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Gift, Flammen, Gerechtigkeit - ein Krimi, der unter die Haut geht. Ein verheerender Brandanschlag in einer privaten Garage bringt die Privatdetektivin Fumi Geiger und ihren Azubi Felix Rautenberg in höchste Alarmbereitschaft. Denn dieselbe DNA wird an einem anderen Tatort gefunden - ein Landschaftsgärtner kam durch Tollkirsche und Fliegenpilz zu Tode. Gemeinsam verstrickt sich das Ermittler-Duo immer tiefer in ein dunkles Netz aus Mobbing, Sucht und Racheaktionen. Wer ist das nächste Opfer, wer der Mörder? Können Fumi und Felix die Wahrheit ans Licht bringen oder zahlt eine Unschuldige den Preis?
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Seitenzahl: 236
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Hermann fand sein Handy nicht sofort. Es lag nicht an seinem gewohnten Platz neben dem Computer, worauf er die Rechnungen für seine zahlreichen Nebenjobs schrieb. Hier endlich, auf dem Couchtisch vibrierte es.
„Hallo. Ja? Ja, ich kann‘s Ihnen machen, unter der Hand versteht sich.“ Er lächelte. Wieder extra Kohle in die Haushaltskasse. Damit konnte man so einiges bewerkstelligen. Vielleicht ein Angel-Wochenende mit seinen Kumpanen, mit viel Bier und Wein – vielleicht auch mit ein bisschen Weib und Gesang. Man musste seiner Ehefrau ja nicht alles erzählen. „Am besten Sie kommen nächsten Samstag nach Glattfelden zu mir nach Hause. Dort kann ich Ihr Auto in meiner Garage reparieren. Aber bitte kommen Sie mit Bargeld.“ Nachdem er dem unbekannten Anrufer die Adresse buchstabiert hatte, drückte er auf den roten Auflege-Knopf. In seinem Tresor im Schlafzimmer häuften sich die Banknoten. Seit dem letzten Angelausflug im Frühling hatte er wohl schon 5 000 Euro verdient, was ein gutes Zubrot zu seinem Gehalt in der Kfz-Werkstätte im nahegelegenen Einbergen darstellte. Doch vielleicht musste er das Geld dieses Mal für etwas anderes sparen. Er seufzte. Warum tat Gott ihm das an? Oder war es der Teufel? Sein älterer Sohn Alex mochte Männer – keine Frauen. Er hatte darüber mit dem ortsansässigen Pfarrer gesprochen und dieser hatte ihm empfohlen, seinem Sohn eine Konversionstherapie vorzuschlagen. Daraufhin hatte Hermann die Hotline seiner Krankenkasse angerufen, um sich zu erkundigen, ob diese die Kosten dafür übernahm. Man verneinte es und schlug dafür ihm eine Psychotherapie vor, um mit der Realität besser umgehen zu können, wie es die nicht ganz so freundliche Dame am Telefon formulierte. Was fiel der überhaupt ein? Mit dieser Realität hatte nicht er umzugehen, im Gegenteil, die Realität musste mit ihm umgehen, also verändert werden. Und dies musste schnell gehen, denn es wurde gemunkelt, dass die Politik Konversionstherapie verbieten wollte. Diese Linken hatten die ganze Gesellschaft mit ihrem Liberalismus versifft. Wenn es nach ihm ginge, wäre Homosexualität noch genauso verboten wie in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Vielleicht würde dies Alex zur Vernunft bringen. Er ging in die Küche und vermerkte für den sechsten Juli 2019, Samstag: „14 Uhr, Reparatur, Pfeifen im Motor.“ Wie hieß der Mann eigentlich? Egal, die Telefonnummer musste noch im Handy sein. Er klickte auf die Anrufliste seines Smartphones, neben dem letzten Anruf stand jedoch „Anonym – Unbekannt“.
Am Samstag ging er sofort nach dem Mittagessen, bei dem neben seiner Frau Silke auch sein jüngerer Sohn Thomas zugegen war, in die Garage. Alex kam in letzter Zeit selten zu Besuch. Anders als Thomas lebte er nicht mehr zu Hause, sondern in einer Studenten-WG in München. Hermann nahm das Werkzeug, das er wohl brauchen würde, aus dem metallenen Schrank. Als er ein Motorengeräusch hörte, legte er den Drehmomentschlüssel, den er gerade mit einem Tuch abwischte, auf den Boden und ging zum Gartentor. Der Schweiß lief ihm über die Stirn, denn unter dem wolkenlosen Himmel hatte es sommerliche Temperaturen von fast 30 Grad. Ein roter Toyota Starlet war vorgefahren, wahrscheinlich Baujahr 1990. Am Steuer saß ein Mann mit fast kahlrasiertem Kopf. Er trug eine dunkle Sonnenbrille. Als er ausstieg, fiel Hermann auf, wie dünn er war. Ein weißes, zu weites T-Shirt schlackerte um seinen ausgemergelten Körper, eine ausgewaschene Jeans mit Löchern an den Oberschenkeln hing über einen nicht vorhanden zu sein scheinenden Po. Auf seinem rechten Unterarm schlängelte sich eine Kobra, dazwischen konnte man eine nackte Frau und einen Adler mit ausgebreiteten Flügeln sehen. War das auf dem linken Arm ein Totenkopf? „Hallo, sind Sie Herr Schepers?“, fragte der Mann in einem seltsamen Singsang. Er hatte doch hoffentlich nicht getrunken. „Ja, der bin ich“, sagte Hermann und versuchte, hinter den schwarzen Brillengläsern die Augen des Kahlgeschorenen zu entdecken. „Sie sind also der Herr, den ein komisches Pfeifen im Motor stört. Wie Sie da hergefahren sind, hab ich aber nix gehört.“
„Ja, komisch. Manchmal ist es da und manchmal ist es auch nicht da.“ Ein seltsames Gackern ließ auf ein verlegenes Lachen schließen.
„Fahren Sie erst einmal rein.“ Hermann öffnete das Gartentor, der Mann stieg wieder in den Wagen und fuhr im Schritttempo in die Garage. Als er ausstieg, hatte er eine Zigarettenschachtel in der Hand. Hermann runzelte die Stirn. Der wollte doch hoffentlich nicht in der Garage rauchen. „Ich lass Sie einfach machen. Ich geh vor die Tür und paff eine, während Sie arbeiten“, sagte der seltsame Mann. Na Gott sei Dank. Kunden zurechtzuweisen, war immer unangenehm.
Doch manchmal musste es sein.
„Gut. Dann fang ich mal an“, sagte Hermann und ging zur Motorhaube. Er vertiefte sich in die Motorhaube des Autos, um den Grund für das Pfeifen ausfindig zu machen. Deshalb hörte er nicht das Klicken der seitlichen Tür, die die Garage mit dem Wohnhaus verband. Die Garage bestand aus Holz, weil sie in den Generationen vorher als Kuh- und Schweinestall für den damaligen Selbstversorgerhof gedient hatte. Das Licht war angeschaltet und darum fiel ihm auch nicht auf, dass das Garagentor langsam zuging. Erst als es laut ins Schloss fiel, sah er auf. Was war das? Er legte die Spitzbackenzange weg, putzte sich die Hände mit einem Tuch ab und ging zum Garagentor. Er rüttelte daran, um zu prüfen, ob es wirklich abgeschlossen war. Was sollte das? Hatte Thomas vergessen, dass sein Vater heute in der Garage arbeitete, und das Tor verriegelt? Er ging zur Verbindungstür, aber auch diese ließ sich nicht öffnen. Plötzlich roch er etwas Verbranntes … und irgendwie Benzin … Innen vor dem Garagentor sah er dunkle Flecken … Davor stand etwas geschrieben, in gelber Kreide: „Mei, bist du greislich.“ Was?! Hatte er Halluzinationen? Auf einmal sah er Flammen aus der einen Wand züngeln. Mein Gott, er musste hier raus! Er lief noch einmal zur Verbindungstür, dann zum Garagentor, aber alles Rütteln half nichts. Er versuchte den Knopf nach links zu schieben, was sonst immer die Garagentür aufgemacht hätte, doch dieser Knopf war nicht mehr da. „Hilfe, mach die Tür auf, Silke, komm, hilf mir.“, schrie er. Dann griff er in seine Hosentasche, wo sich üblicherweise das Handy befand, erinnerte sich jedoch sogleich, dass er es auf dem Esstisch liegen lassen hatte und erst holen wollte, wenn er die Garage vorbereitet hatte. Doch der Besuch war zu früh gekommen. Irgendwann sah er nur noch Rauch … und dann wurde es schwarz.
Am Montagmorgen klingelte das Telefon in Fumi Geigers Büro in Aschfurt bei München. Sie hatte die Privatdetektei von ihrem Mann übernommen, als er einen Posten als Kriminalkommissar bei der Polizei gefunden und sich kurz nachher von ihr scheiden lassen hatte, weil er dem Charme einer Kollegin erlegen war. Da es in ihrer Ehe schon lange gekriselt hatte, war es für Fumi keine besondere Überraschung gewesen. Sie hatte schon vorher als Assistentin ihres Mannes in der Detektei mitgearbeitet und war mit dieser Arbeit bestens vertraut. Mittlerweile war sie zusammen mit zwei freien Mitarbeitern – nämlich einem ehemaligen Türsteher und einer jungen Studentin - seit drei Jahren erfolgreich auf dem Markt vertreten, ließ aber auf der Firmenwebseite ihren Vornamen weg, um durch den exotischen Klang keine potentiellen Kunden abzuschrecken. Da sie als Kind japanischer Eltern in Deutschland aufgewachsen war – ihr Vater war bei BMW Ansprechpartner für Gemeinschaftsprojekte mit japanischen Firmen gewesen -, sprach sie akzentfrei Deutsch. Im Moment beschäftigte sie auch einen Vollzeit-Praktikanten namens Felix, sehr gutaussehend, vielleicht zu gutaussehend, der gerade die Ausbildung für Privatermittler absolvierte. Den Türsteher Simon rief sie immer dann an, wenn der Einsatz gefährlich wurde und sie einen starken Mann brauchte. Die attraktive, junge Verena ließ sich gut als Venusfalle einsetzen. Da Fumi jedoch in letzter Zeit diese Qualität für ihre Fälle wenig gebraucht hatte, ließ sie Verena hin und wieder die Buchhaltung machen. Fumi klickte auf den Annehmen-Knopf.
„Grüß Gott, mein Name ist Silke Schepers. Ist hier das Detektivbüro Geiger?“ Die Stimme am anderen Ende war kaum zu hören.
„Ja, ich bin Fumi Geiger. Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Sie sind der Privatdetektiv?“
„Ja, ich bin die Privatdetektivin.“ Viele Leute waren überrascht, dass sie eine weibliche Stimme hörten. Es gab noch nicht so viele Privatdetektivinnen. Und noch weniger Japanerinnen, die als Privatdetektivinnen arbeiteten.
„Ich … ich brauche Ihre Hilfe.“
„Worum geht es?“, fragte Fumi.
„Also, also … es ist so.“ Die Anruferin schien erst ihre Gedanken sammeln zu müssen. „Also, mein Mann liegt im Krankenhaus mit schweren Brandwunden. Er hat sich gerade in einem Holzhaus aufgehalten, also in unserer Garage, wo er ein Auto repariert hat.“ Sie stockte einen Moment, fasste sich aber gleich wieder und sprach mit tränenerstickter Stimme weiter: „Dann… dann hat es angefangen zu brennen und er konnte nicht raus, weil alle Türen abgesperrt waren. Ich war in der Küche und hab abgespült. Die Küche ist auf der anderen Seite vom Haus und ich hab es zuerst nicht mitbekommen. Dann hab ich was gerochen und bin zur Garage gerannt. Aber ich hab keine der beiden Türen aufmachen können.“
„Wissen Sie, wer die Türen abgesperrt hat?“, fragte Fumi.
„Nein. Deshalb rufe ich Sie ja an.“
„Haben Sie die Polizei gerufen?“
„Ja, gleich nachdem die Feuerwehr gerufen wurde, aber die tut nicht viel. Die glauben mir nicht, dass jemand Fremdes die Türen abgesperrt hat. Also, die meinen, entweder war er unaufmerksam oder … tja, das ist der Hauptgrund, warum ich mich an Sie wende: Sie verdächtigen mich oder meinen Sohn, der noch bei uns wohnt.“
„Verstehe.“
„Unglaublich. Ich bin echt verzweifelt, weil ich wirklich nichts gemacht habe. Mein Mann ist schwer verletzt im Krankenhaus – und mir und meinem Sohn wird noch mit Gefängnis gedroht. Meine Anwältin meinte nun, dass es sinnvoll wäre, einen Privatdetektiv hinzuzuziehen, weil sie nur darauf pochen kann, dass es nicht genügend Beweise für unsere Schuld gibt. Den Fall kann sie jedoch nicht lösen.“ „Dann kommen Sie bitte bei mir vorbei. Wann haben Sie Zeit?“ Fumi zog den Fotokalender, in den sie ihre Termine schrieb, näher zu sich heran. Natürlich trug sie diese auch in die Kalender-App ihres iPhones, doch schriftliche Aufzeichnungen stellten bessere Beweise dar, falls sie selbst im Trubel einer Untersuchung einmal wirklich verschwinden sollte. Dann hätte die Polizei einen Anhaltspunkt.
„Das ist egal. Ich kann auch schon heute Nachmittag zu Ihnen kommen“, erwiderte Frau Schepers.
„Morgen passt es mir besser. Haben Sie um zehn Uhr Zeit?“ „Ja, morgen Vormittag geht es. Ihre Adresse ist Gambacher Straße 42 in Aschfurt, oder?“ Man hörte ein Schniefen.
„Das ist richtig. Wir sehen uns morgen.“
Freitagvormittag um fünf vor zehn klingelte es. Fumi öffnete die Tür ihres Büros. Vor ihr stand eine Dame mit braunen Haaren, einer schlichten blauen Jacke und einem schwarzen Rock. Fumi schätzte sie auf ein paar Jahre älter als sie selbst, um Mitte 40.
„Grüß Gott. Mein Name ist Silke Schepers“, sagte die Frau, während sie sich ein zerknülltes Taschentuch vor den Mund hielt. Ihre Augen sahen geschwollen aus. Sie sah kurz auf, als sie Fumis Gesicht sah, das momentane Staunen der Kunden, während ihr Gehirn Fumis von pechschwarzen, schulterlangen Haaren umrahmtes Gesicht mit ihrem akzentfreien, perfekten Deutsch kombinierte – aha, wahrscheinlich zweite Generation in Deutschland oder adoptiert – dieses sekundenlange Schweigen war Fumi längst gewohnt.
„Guten Tag. Ich bin Fumi Geiger. Bitte kommen Sie doch rein.“ Mit einer Handgeste zeigte Fumi ihr, dass sie auf dem schwarzen Ledersofa Platz nehmen sollte.
„Tee oder Kaffee?“, fragte Fumi.
„Tee, bitte“, antwortete Frau Schepers leise. Sie setzte sich und strich ihren Rock zurecht. „Felix, bringst du mir bitte Tee?“, rief Fumi zum Nebenzimmer. „Ja, sofort“, ließ sich eine junge Männerstimme vernehmen.
„Dann erzählen Sie bitte.“ Sie setzte sich auf einen Sessel gegenüber ihrer potentiellen Kundin, und nahm ihr Notizheft, um sich die wichtigsten Informationen aufzuschreiben. Sie hatte es zwar einmal mit der Notiz-Apps ihres Handys versucht, was ihr jedoch zu unpraktisch war. So notierte sie alles noch immer auf die altmodische Weise. Felix dagegen tippte jegliche Informationen in sein Smartphone.
Dieser kam mit einem Tablett zur Tür herein, auf dem zwei blaue Teetassen und eine Teekanne standen. Vorsichtig stellte er es auf dem kleinen Couchtisch ab. „Das ist mein Assistent. Er absolviert gerade die Ausbildung zum Privatdetektiv und für drei Monate macht er bei mir ein Praktikum“, stellte Fumi Felix vor.
„Guten Tag“, sagte er und hielt Frau Schepers die Hand hin. Sie ergriff sie kurz und murmelte ebenfalls eine Begrüßung. Felix hatte braune leicht gewellte Haare, grün-braune Augen und ein schön geschnittenes Gesicht. Nur die Nase war etwas zu groß geraten, da er jedoch stolze ein Meter neunzig und einen athletischen Körperbau aufwies, tat dies seiner Attraktivität keinen Abbruch. Eigentlich war er gewöhnt, dass Frauen ihm bei der ersten Begegnung einen etwas längeren, bewundernden Blick zuwarfen, aber alle, die hier ankamen, hatten so viel Kummer auf dem Herzen, dass sie ihn regelrecht ignorierten.
„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, wird Felix hierbleiben und sich ihre Geschichte ebenfalls anhören. Dann brauche ich ihm nicht alles zu erzählen.“
„Ja, schon gut. Es war so“, begann Frau Schepers und griff nach der angebotenen Teetasse. „Mein Mann – er heißt Hermann – ist Kfz-Mechatroniker. Normalerweise arbeitet er in Einbergen in einer Werkstatt. Aber am Wochenende repariert er Autos für Freunde und Bekannte zu Hause in Glatt felden. Das macht er in einer alten Holzgarage neben unserem Haus. Letzten Sonntagnachmittag hat er ein Auto für irgendwen repariert, ich weiß nicht für wen, wahrscheinlich für einen Bekannten. Wie gesagt, ich war gerade in der Küche weit weg davon.“ Während sie sprach, drückte sie das Taschentuch in ihrer Hand unablässig, als wollte sie eine Zitrone auspressen. Stockend sprach sie weiter. „Mein Küchenfenster war gekippt. Plötzlich hat es komisch gerochen – irgendwie verbrannt. Zuerst … zuerst dachte ich, der Herd wäre noch eingeschaltet und etwas brennt dort an, doch dann hab ich Hermann schreien hören. Ich bin - also - ich bin zur Garage gerannt und dann seh ich Flammen da … da rauskommen. Ich wollte die Tür aufmachen, also die zur Garage, aber die Tür war abgesperrt. Dann bin ich aus der Haustür zum Garagentor gelaufen, und das war wegen einer regelrechten Feuersbrunst kaum mehr zu sehen.“
„Ist da kein Fenster?“, fragte Fumi, während sie schnell in ihr Notizheft schrieb.
„Doch, aber dort am Fenster hat es auch schon total gebrannt. Ich hab die Feuerwehr gerufen und einen Hammer gesucht, um die Verbindungstür einzuschlagen. Währenddessen hat mein Nachbar, der Walter, versucht, die Tür aufzukriegen, indem er sich dagegen geworfen hat, aber es hat nicht funktioniert.“ Sie weinte leise in ihr Taschentuch, wischte sich dann mit der Hand über die Augen und sprach weiter. „Es war zu spät. Ich hab endlich den Hammer gefunden, im Keller, im Hobbyraum von meinem Sohn Thomas – der ist auch runtergelaufen, weil er von dem ganzen Tohuwabohu aufgeschreckt worden ist -, doch die Tür hat dann auch schon lichterloh gebrannt. Währenddessen hat der Walter die Feuerwehr gerufen.“ Frau Schepers zuckte kurz zusammen, weil Felix sein Handy fallen ließ und dieses mit einem Knall auf dem Laminat-Boden auf schlug. Er nuschelte „Entschuldigung“. „Dann ist die Feuerwehr gekommen und hat das Feuer gelöscht“, fuhr sie fort. „Sie haben Hermann auf der Krankenbahre rausgetragen.“ Frau Schepers Redefluss wurde schneller. „Ich hab gefragt: Lebt er noch? Ein Feuerwehrmann hat geantwortet: ´Ja, aber er muss schnell ins Krankenhaus. Wir warten jetzt auf einen Helikopter´. Dann haben sie ihn in ein Spezial-Krankenhaus geflogen. Die Ärzte sagen, er wird wohl weiterleben, zumindest glauben sie es mit Vorbehalt, doch er wird so aussehen wie Niki Lauda.“ Sie seufzte.
„Ist Ihr Mann bei Bewusstsein?“
„Nein, sie mussten ihn in ein künstliches Koma versetzen.“ Frau Schepers ließ den Kopf hängen.
„Sind Sie sicher, dass es Brandstiftung war?", fragte Fumi.
„Ihr Mann hat nicht geraucht und die Zigarette fallen lassen?“
„Nein, mein Mann raucht nicht. Ich bin mir sicher, dass die Garage angezündet wurde.“
„Wie sah denn der Mann oder die Person aus, die das Auto zum Richten gebracht hat? Haben Sie da irgendwen gesehen?“, fragte Fumi, ohne von ihrem Notizheft aufzusehen. „Das war ein komischer Typ. Ich hab kurz aus dem Fenster geschaut, als ich die Stimme von meinem Mann gehört habe, weil der Kunde so komisch gesprochen hat. Das hat sich irgendwie so wie Lallen angehört. Und aufgefallen ist mir, dass seine beiden Arme tätowiert waren. Scheußlich.“
„Können Sie sich an die Tätowierungen erinnern?“
„Mir ist nur eine nackte Frau aufgefallen, widerlich, sonst waren die Arme einfach zutätowiert. Ich konnte keine Haut mehr erkennen.“
Fumi notierte sich ‚Tatoo einer nackten Frau‘ und erkundigte sich dann nach der Haarfarbe.
„Der hatte keine Haare. Er war kahl rasiert, man hat nur Stoppeln gesehen. Und die Stoppeln waren eher hell, also blond. Und eine dunkle Sonnenbrille hat er getragen.“
„Hat Ihr Mann irgendwelche Feinde?“, fragte Fumi.
„Ich glaube nicht.“
„Wie sind Sie sich dann so sicher, dass es Brandstiftung war?“
Frau Schepers zögerte kurz. „Na ja, er ist manchmal nicht so nett zu anderen. Er wird leicht wütend.“
„Dann könnte er also Feinde haben?“
„Also, Feinde ist ein starkes Wort.“
Fumi war verwirrt. Sie hatte das Gefühl, dass die Frau ihr nicht alles mitteilte, was sie wusste. Sollte Fumi fragen, ob die Ehe glücklich war? Wie kam die Polizei zu ihrem Verdacht? Nein, besser erst einmal unverfängliche Fragen stellen. „Wie lange sind Sie schon verheiratet?“
„Fast zweiundzwanzig Jahre.“
„Haben Sie Kinder?“
„Ja, zwei Söhne, sechzehn und achtzehn Jahre alt.“
„Was machen die beiden beruflich? Gehen sie noch zur Schule?“
„Was hat das denn mit dem Brand zu tun?“
„Ich möchte mir erst einmal ein umfassendes Bild über Ihre Familiensituation machen. Dann hab ich mehr Anhaltspunkte für mögliche Verdächtige. Sie wissen schon, enttäuschte Freunde und so was.“ Fumi setzte ihr liebevollstes Lächeln auf.
„Thomas, der Sechzehnjährige, geht noch aufs Gymnasium, Alex, der Achtzehnjährige, studiert schon Jura. Er ist hochbegabt.“ Sie lächelte stolz durch die Tränen in ihren Augen hindurch. „Ich weiß auch nicht, woher er die Intelligenz hat. Hermann und ich waren nicht so gut in der Schule.“
„Und Ihr Mann und seine Söhne, wie ist da das Verhältnis?“
„Eigentlich schon …“ Sie zögerte wieder und sah auf ihre Handtasche.
„Bitte geben Sie mir so viele Informationen wie möglich“, sagte Fumi nun etwas bestimmter.
„Sie wollen doch nicht sagen, dass meine Söhne das Feuer gelegt haben!“ Ihr vorher noch verzweifelter Gesichtsausdruck wechselte in eine angewiderte Grimasse über.
„Meine Fragen sind reine Formalitäten. Je mehr ich weiß, desto schneller kann ich den Täter finden“, sagte Fumi freundlich. „Bitte erzählen Sie mir von Ihrer Familie.“ Felix umklammerte schweigend sein Mobiltelefon, lächelte jedoch ebenfalls aufmunternd.
Frau Schepers seufzte, öffnete den Mund, als ob sie etwas sagen wollte, aber es kam nichts. Fumi zog die Augenbrauen hoch.
„Mein Sohn Alex ist homosexuell“, sagte die Besucherin schließlich mit etwas zu schriller Stimme. „Ich kann das selbst nicht glauben. Deshalb sind wir sehr unglücklich. Mein Mann und Alex haben sich oft gestritten.“ Sie suchte ein frisches Taschentuch in ihrer Handtasche, nachdem sie das gebrauchte dort hineingesteckt hatte, und hielt es sich an die Nase. Tränen liefen ihr übers Gesicht. „Sie müssen wissen, wir sind katholisch. Für uns ist das eine Krankheit.“ „Eine Krankheit?“ Fumi zog die Augenbrauen noch höher, so dass ihre ganze Stirn in Falten lag.
„Hermann hat Alex gesagt, er soll eine Konversionstherapie machen, also eine Therapie, dass er Frauen mag.“
„Davon habe ich schon gehört. Das ist mit Hormonen, oder?“
„Ich weiß es auch nicht so genau. Auf jeden Fall gibt man den Patienten etwas, damit der Körper … ähm … also damit der Körper sexuell anders reagiert.“
Sie sagte ‚Patient‘. Sie glaubte wirklich, dass Homosexualität etwas Krankhaftes war.
„Hat Ihr Mann Geschwister?“
„Ja, er hat einen Bruder. Er lebt in Moosberg hier in der Nähe von Aschfurt. Aber die beiden verstehen sich leider auch nicht so.“
„Ist Ihr Mann der ältere oder der jüngere?“
„Hermann ist der ältere, Edmund der jüngere. Hermann und Edmund reden seit Jahren nicht mehr miteinander.“
In dieser Familie war ja einiges kaputt. „Warum haben sie keinen Kontakt mehr zueinander?“, fragte Fumi und kritzelte weiter in ihr Heft.
„Also, Sie müssen wissen, mein Schwiegervater, der bei uns lebt, möchte nicht, dass unser Haus geteilt wird. Deswegen hat er Hermann das ganze Haus als Schenkung vermacht. Und das hat Edmund so wütend gemacht, dass er jetzt nicht mehr mit uns spricht, auch nicht mit seinem Vater.“
„Edmund hat den Kontakt zur ganzen Familie abgebrochen?“ Fumi schaute auf.
„Leider ja.“ Sie seufzte.
„Kann Hermanns Bruder das Feuer gelegt haben?“
„Was? Sie meinen doch nicht … Nein, das kann ich mir nicht vorstellen!“ Nachdenklich sah sie auf den Boden.
„Oder vielleicht …?“ Sie hob den Kopf. „Aber sowas macht man doch nicht mit der eigenen Familie.“
„Wenn Sie wüssten, was Familienmitglieder sich alles antun“, erwiderte Fumi. Nun lächelte sie nicht mehr. „Noch eine reine Routine-Frage: Hat Ihr Mann eine Lebensversicherung?“
„Nein, mein Mann bekommt hoffentlich eine gute Rente vom Staat und von der Firma – und ich auch. Ich hab früher als Krankenschwester gearbeitet. Sie meinen, wegen Berufsunfähigkeit, oder?“
„Jaa“, sagte Fumi gedehnt. Was sie eigentlich meinte, war: ‚Haben Sie ein Mordmotiv, Frau Schepers?‘
„Ach, da haben wir uns nie drüber Gedanken gemacht. Meinen Sie wirklich, dass Hermann nicht mehr arbeiten kann?“
„Ich hoffe das Beste für Sie“, sagte Fumi. Viele glaubten, Blut sei dicker als Wasser, sie hatte jedoch schon zwei Verdächtige: Hermanns Sohn Alex und Hermanns Bruder Edmund.
Frau Schepers blieb noch eine weitere Stunde, währenddessen sie vieles Gesagte wiederholte. Allerdings konnte Fumi erfahren, dass der herbeigeeilte Nachbar vom angrenzenden Grundstück den Fahrer des zu reparierenden Autos gesehen haben musste und das Nummernschild den Brand fast unbeschädigt überstanden hatte. So konnte sich Fumi das Kennzeichen notieren. Abschließend wurde Frau Schepers über die Kosten des Einsatzes aufgeklärt, was diese zum Kommentar verleitete: „Na, billig ist es nicht, wenn ich oder mein Sohn dafür nicht ins Gefängnis müssen, ist es das jedoch wert.“
Nachdem die neue Klientin gegangen war, setzte Fumi sich an den Schreibtisch und blätterte durch die Notizen. Felix war damit beschäftigt, das Teegeschirr abzuräumen.
„Was denkst du, Felix?“, fragte sie.
„Ich glaub nicht, dass Frau Schepers verdächtig ist“, sagte er mit dem Tablett in der Hand.
„Woran machst du das fest?“ Fumi nahm ihre Tasse davon herunter, trank den letzten übriggebliebenen Schluck und stellte das Gefäß wieder zurück.
„Sie scheint wirklich traurig über das Feuer. Es sei denn, sie ist eine gute Schauspielerin. Außerdem: Welches Motiv würde sie haben?“
„Was sind die häufigsten Motive? Was habe ich dir gesagt?“ Felix kratzte sich an der Schläfe. „Lebensversicherungen, Eifersucht und Geld?“, fragte er, zog einen Mundwinkel zu einem unsicheren Lächeln nach oben und sah dabei richtig süß aus. Nächstes Mal würde sie keinen so gutaussehenden Praktikanten mehr einstellen. „Du bist 13 Jahre jünger als ich.“ Warum musste sie das gerade jetzt sagen? Um sich daran zu erinnern, dass dieser Mann ein No-Go für sie war? „Eine Lebensversicherung scheint es ihrer Aussage nach ja nicht zu geben,“ fügte Fumi zusammenhanglos hinzu. Sie fuhr sich durchs dezent gewellte Haar und dachte kurz nach. „Also, du bist viel jünger als ich. Deshalb kennst du dich besser aus mit sozialen Medien. Könntest du vielleicht alles checken, was ein Familienmitglied der Schepers-Familie geschrieben hat, egal, ob Twitter, Facebook, Instagram … Das ganze Spektrum.“ Das hatte zwar nichts mit den häufigsten Mordmotiven zu tun, so konnte sie sich jedoch geschickt aus ihrem sprachlichen Fauxpas herauswinden. „Und ja, Lebensversicherungen, Eifersucht und Habgier sind die Gründe, weswegen am meisten getötet wird. Bei einem Mordfall sollte immer in diese Richtungen ermittelt werden.“
„Dann setze ich mich an den Computer und schau mal, was ich zu den Schepers finden kann“, sagte Felix und verschwand in der kleinen Küche. „Und vergiss nicht, die Polizei anzurufen und nach dem Kennzeichen zu fragen“, erinnerte Fumi ihn. Sie hatte zwei Rechner in ihrer Kanzlei, noch ein Überbleibsel von ihrem Ex-Mann. Nachdem Felix das Tee-Service in die Spülmaschine gestellt hatte, setzte er sich an den Schreibtisch im Nebenzimmer, der für die Zeit seines Praktikums als sein Arbeitsplatz fungierte. Fumi schloss die Augen. Sie musste sich zusammenreißen. Seit Felix in ihr Büro gekommen war, hatte sie wieder angefangen, Make-up aufzulegen und mehr auf ihre Garderobe zu achten. Da sie keine üppige Oberweite vorweisen konnte, trug sie manchmal ihre Haare hochgesteckt, vorgebend, dass es im Büro zu heiß sei, damit Felix ihren Nacken sehen konnte. In Japan galt dieses Körperteil als eines der erotischsten Stellen einer Frau. Wer weiß, vielleicht hatte dies auf Felix überhaupt keinen Effekt, denn als Deutscher stand Felix wohl mehr auf lange offene Haare und ein schönes Dekolleté. Ob sie vielleicht doch Online-Dating ausprobieren sollte? Da könnte sie vielleicht geeignetere Männer in ihrem Alter finden. Eigentlich wollte sie nach ihrer Scheidung nichts mehr mit Liebesdingen zu tun haben und sich ganz ihrem Beruf widmen. Sie war sich auch ganz sicher, dass sie für keinen Mann mehr Interesse entwickeln würde, doch wie Körper und Herz auf Felix reagierten, strafte diese Überzeugung Lügen. Jetzt blieb erst einmal zu hoffen, dass Felix nichts von ihrer Faszination für ihn bemerkte. Sie schaltete den Computer ein und suchte nach Edmund Schepers‘ Adresse im Internet. Sie hatte Glück, denn die Adresse stand im Online-Telefonbuch. Wie Frau Schepers ihr mitgeteilt hatte, wohnte er in Moosberg, in einem Vorort von Aschfurt. Stöhnend stand sie auf – sie hatte von einem missglückten Kick während des Karatetrainings vorletzte Woche Schmerzen am Knie - und ging ins Nebenzimmer.
„Ich hab die Adresse vom Bruder von Hermann Schepers. Lass uns dort morgen hinfahren.“
„Okay. Und ich hab die Facebook-Seite von Alex Schepers gefunden, von dem Sohn. Er hat ziemlich viel auf `Öffentlich` gesetzt, das heißt, jeder kann es lesen.“ Felix lächelte sie triumphierend an. Fumi beugte sich zum Bildschirm hinab, wobei sie ganz nah an sein Gesicht kam. Kurioserweise zuckte er nicht zur Seite, wie sie erwartet hatte. So konnte sie den angenehmen Duft seiner Haare riechen. Auf dem Bildschirm war ein junger blonder Mann zu sehen, Arm in Arm mit einem dunkelhaarigen Beau, dessen Gesicht auffallend attraktiv geschnitten war. Ein Post zeigte die bunte LGTB-Flagge, die Flagge der Homosexuellen-Bewegung. Dieser Alex zeigte seine sexuelle Orientierung ganz offen.
„Interessant“, sagte Fumi knapp. „Den müssen wir auch befragen. Aber morgen fahren wir erst einmal zu Edmund Schepers. Morgen ist Samstag. Da könnte er zu Hause sein.“ „Und jetzt ruf ich die Polizei an. Hoffen wir, dass der Grund diesmal triftig genug ist“, sagte Felix.
„Er ist bestimmt triftiger als eine eifersüchtige Ehefrau“, grinste Fumi. Bei ihrem vorletzten Auftrag wollte die Polizei partout den Namen des Halters nicht herausrücken, weil die Überwachung eines untreuen Gatten keinen ernsthaften Fall im Sinne von Verkehrsdelikten oder Verbrechensbekämpfung darstellte.
Da sie etwas Abstand zu Felix‘ Körper brauchte, um sich zu beruhigen, ging sie aus dem Zimmer, setzte sich an ihren Schreibtisch und hörte Felix mit der Polizei diskutieren. „… wegen dem Brandanschlag in Glattfelden … ja, ja … Beide Nummernschilder wurden gestohlen? Echt? Wo? In Starnberg? Aha, gut zu wissen. Von einem VW-Bus?“ Fumi war nicht sonderlich überrascht. Sonst hätte man den Täter sofort ausfindig machen können. Sie hörte Felix „Vielen Dank. Wiedersehen“, sagen und dann sich nähernde Schritte. „Also, …“, setzte er an, als er im Türrahmen stand. „Ich hab’s schon gehört. Gestohlen. Ganz blöd scheint der Typ nicht zu sein.“ Fumi seufzte. „Sonst wäre es zu einfach gewesen.“ Felix nickte zustimmend.
Gleich am nächsten Tag stiegen die beiden in Fumis alten Volvo und fuhren nach Glattfelden, um sich im Haus der Familie Schepers umzusehen. Die Garage sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Um den verkohlten Wagen lagen schwarze Holzreste, ein umgefallener Werkzeugschrank versperrte fast den Eingang. Von dort aus rief Fumi ihre Stamm-Pathologin Dr. Hartmann an, um ihr den Auftrag für DNA-Abstriche am Tatort zu erteilen. Der Toyota war zwar zum Fahren unbrauchbar geworden, zum Glück schien jedoch das Lenkrad fast unversehrt. Vielleicht war es der Ärztin dort möglich, DNA-Spuren sichern. Leider konnten sie sonst keine Objekte im Wagen finden. Er war absolut leer, nicht einmal im Handschuhfach befand sich irgendetwas. Beide Nummernschilder waren jedoch noch gut lesbar. Da sie jedoch schon wussten, dass diese gestohlen waren, versprachen sie sich nicht viel von ihnen.