Kaffeekavalier - A.C. Lelis - E-Book

Kaffeekavalier E-Book

A.C. Lelis

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Beschreibung

Alles hätte Eike bei dem späten Termin in seinem Friseursalon erwartet, aber nicht, dass sein Kunde außer einer Frisur auch noch ein Ausbildungsplatz von ihm möchte. Nicht nur, dass Timm älter ist als seine potentiellen Mitbewerber, er sieht mit seinen Tattoos und der etwas rauen Schale auch nicht aus wie der typische Anwärter auf diesen Job. Als Eike ihm dennoch eine Chance gibt, ahnt er noch nicht, was in Timms Vergangenheit lauert – und auch das Knistern zwischen den beiden Männern steht nicht in der Stellenbeschreibung. Doch Timm ist Eikes Angestellter und damit absolut tabu...

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Seitenzahl: 586

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Deutsche Erstausgabe (ePub) März 2017

© 2017 by A.C. Lelis

Verlagsrechte © 2017 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Fürstenfeldbruck

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

ISBN-13: 978-3-95823-631-8

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

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Klappentext:

Alles hätte Friseur Eike bei seinem späten Kundentermin erwartet, nur keine Bewerbung eines neuen Azubis. Nicht nur, dass Timm älter ist als seine potentiellen Mitbewerber, er sieht mit seinen Tattoos und der etwas rauen Schale auch nicht aus wie der typische Anwärter auf diesen Job. Als Eike ihm dennoch eine Chance gibt, ahnt er noch nicht, was in Timms Vergangenheit lauert – und auch das Knistern zwischen den beiden Männern steht nicht in der Arbeitsbeschreibung. Doch Timm ist Eikes Angestellter und die sind absolut tabu...

Kapitel 1

Vor mir steht einer dieser Jugendlichen, denen man nachts nicht allein auf der Straße begegnen möchte. Es ist bereits stockdunkel draußen. Die anderen sind schon nach Hause gegangen. Wir bieten späte Termine nach Absprache an, zum Beispiel für Geschäftsleute, die es sich zu unseren regulären Öffnungszeiten nicht einrichten können. Das ist nichts Ungewöhnliches. Meistens sind es Stammkunden und dann mache ich es sogar gerne. Aber bei diesem späten Kunden wird mir ein wenig mulmig. An etwas Bestimmten kann ich es nicht festmachen. Es ist das Gesamtbild.

Das Teuerste an ihm sind vermutlich die neonfarbenen Markenturnschuhe. Ansonsten scheinen die Klamotten von irgendeinem Billig-Discounter zu stammen: eine ausgeleierte Jogginghose und ein Muskelshirt. Darüber eine abgetragene Trainingsjacke, die er jedoch sofort auszieht und aufhängt, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hat. Sein linker Arm ist komplett tätowiert und das Ohrläppchen an der gleichen Seite durchtrennt, als wäre ihm irgendwann mal der Ohrring herausgerissen worden. Braune Augen begegnen meinem Blick. In ihnen liegt die gleiche Skepsis wie in meinen.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich einen Kunden vor mir habe oder ob der Kerl mich überfallen will. Man liest ja viel über diese Jugendgangs in Hamburg. Neustädter Jungs und wie die so heißen. Für einen Überfall stellt er sich allerdings ziemlich dämlich an, ich könnte ihn der Polizei leicht beschreiben. Aber ich habe hier keine Kameras und falls er mich erschießt oder ersticht, käme er vermutlich davon. In dieser Gegend, in der alle Geschäfte um acht schließen und niemand wohnt, ist jetzt kaum noch jemand, der es bezeugen könnte.

»N'Abend«, grüßt er lässig und schiebt die Hände in die ausgebeulten Taschen seiner Hose. »Timm, hab 'nen Termin.«

»Eike, hi«, grüße ich zurück und deute auf den Stuhl an der Fensterfront. »Was soll denn gemacht werden?«

Ich frage mich, was sich Diana dabei gedacht hat, ihm einen so späten Termin zu geben. Er sieht nicht aus, als könnte er nicht auch zu normalen Uhrzeiten kommen. Er sieht nicht mal aus, als könnte er sich den Haarschnitt hier leisten.

Seufzend nimmt er sein Basecap ab und lässt sich auf den Bedienungsstuhl fallen. Sein Haarschnitt ist furchtbar. Er hat keinen. Die braunen Haare waren wahrscheinlich mal kurz rasiert, sind aber inzwischen zu lang, um überhaupt noch nach etwas auszusehen. Ich trete mit einem leichten Stirnrunzeln hinter ihn und werfe ihm über den Spiegel einen fragenden Blick zu.

Verlegen weicht er mir aus. »Keine Ahnung. Irgendetwas, das wieder wie eine moderne Frisur aussieht? Nur nicht zu kurz.«

Ich studiere zum ersten Mal sein Gesicht und überlege, was dazu passen könnte. Er ist wahrscheinlich zwischen achtzehn und Anfang zwanzig. Seine Züge sind noch recht jungenhaft, aber ebenmäßig. Nur die Nase sieht aus, als wäre sie schon einmal gebrochen gewesen. Oben hat sie eine leichte Verdickung und sie ist leicht schief. Dennoch sieht er gut aus.

»Hm, ich hätte eine Idee für einen recht markanten Schnitt. Das Deckhaar würde ich etwa auf der Länge lassen, aber die Seiten kurz. Ich würde dir gestufte Seiten empfehlen. Die mach ich mit dem Rasierer«, erkläre ich und deute es ihm an, in dem ich mit meinen Händen rasch über die entsprechenden Stellen streiche. »Den Übergang zum Haupthaar machen wir linear, dadurch wirkt es schön kernig und du kannst damit ziemlich einfach verschiedene Stylings ausprobieren. Okay? Ich zeig dir nachher ein paar Beispiele.«

»Klingt gut«, bestätigt er. »Du bist der Profi... Ist ja auch ziemlich teuer hier.«

Ah, immerhin weiß er, worauf er sich eingelassen hat. Wir sind in der Tat keine Billig-Kette. Darum ist die Typenberatung auch inklusive. »Sollen wir noch ein paar helle Strähnchen für mehr Akzente reinmachen?«

»Nein, erst mal nur schneiden.«

»Okay.« Ich hole mir, was ich brauche, und bitte ihn zum Becken, um sein Haar zu waschen. Mir ist immer noch etwas unwohl in seiner Nähe. Diese Ghetto-Kids sind mir unheimlich. Vielleicht, weil genau solche mich während der Schulzeit schikaniert haben, weil ich als Kind rotes Haar und sehr viele Sommersprossen hatte. Als Junge eine Katastrophe. Mit der Pubertät sind meine Haare rotblond geworden und die Sommersprossen verblasst. Seitdem hat mich auch niemand mehr deswegen gehänselt oder Pumuckl genannt. Meine Vorbehalte gegen Bullies sind jedoch geblieben.

»Musstest du heute arbeiten?«, erkundige ich mich, als er wieder am Fenster sitzt und ich ihm den Friseurumhang umgelegt habe. Zu trinken wollte er nichts. »Oder wieso hast du auf einen späten Termin bestanden?«

»Hatte heute viel zu tun.« Er zögert merklich. »Ich hab morgen ein Vorstellungsgespräch, darum ist es so dringend.«

»Ah ja?«, hake ich nach. »Wo denn?«

»Eine Ausbildungsstelle zum Friseur.«

Das überrascht mich. »Tatsächlich? Interessierst du dich dafür?«

»Ich hatte schon mal ein Praktikum. Hat Spaß gemacht.«

»So?« Praktika in dem Bereich bestehen größtenteils aus Laufburschenaufgaben und Haare zusammenfegen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendjemandem Spaß macht. Sicher lügt er. »Was durftest du denn alles machen?«

»Na ja, hauptsächlich fegen, aber am Ende auch mit dem Haarschneider etwas rumprobieren... Ich kann mit dem Ding ganz gut umgehen. Mache das bei meinen Freunden auch immer. Nur bei mir selbst ist es krass schwer. Da geht nur ganz kurz und da hab ich keine Lust mehr drauf.«

Klingt nicht so, als würde er es sich ausdenken. Wenn ihn seine Freunde noch nicht verprügelt haben, ist er vielleicht wirklich nicht ungeschickt.

»Und jetzt willst du es beruflich machen?«

»Mhm.« Er sieht mich fragend an. »Bildet ihr aus?«

»Manchmal.« Ich sage ihm wohl besser nicht, dass wir demnächst tatsächlich wieder einen Azubi suchen.

»Was bräuchte man denn für ein Abschluss, um bei euch anfangen zu dürfen?«

»Wir kriegen schon recht viele Bewerbungen rein«, erkläre ich. »Und wenn wir die Wahl haben, nehmen wir natürlich die Besten, die auch keine Probleme mit der schulischen Ausbildung haben. Aber es spielt nicht nur der Abschluss eine Rolle. Geht auch um Motivation und Geschick.«

»Du bist hier der Chef, oder?«

»Ja, das ist mein Salon.«

Auf die Bestätigung sagt er erst einmal nichts mehr, doch er scheint etwas auszubrüten. Schweigend arbeite ich weiter. Allmählich nimmt die Frisur Gestalt an. Er sieht ohne die Kappe deutlich weniger nach Bandenmitglied aus. Mit der neuen Frisur hat er durchaus Chancen auf einen Ausbildungsplatz.

»Was machst du denn momentan?«, will ich wissen. Eine Ausbildung beginnt man in der Regel im August. Entweder ist er also zu spät dran oder ziemlich früh. Es gibt schon die Möglichkeit, im Frühjahr anzufangen, aber das ist eher ungewöhnlich. »Du bist ein bisschen zu alt, um noch zur Schule zu gehen, oder?«

»Ich bin momentan arbeitslos«, gibt er zu.

»Aber sagtest du nicht, du hättest heute zu viel zu tun gehabt, um tagsüber zu kommen?«

»Ich war auf dem Amt bei so 'ner sinnlosen Beschäftigungsmaßnahme.«

»Hattest du schon eine andere Ausbildung angefangen?«

»Nee, ich hab nur so gejobbt und war zwei Jahre unterwegs.«

»Unterwegs?«

»Hab mir ein bisschen Europa angeschaut.«

»Oh, interessant.« Auch das hätte ich ihm nicht zugetraut. »Dann muss dein Englisch ziemlich gut sein.«

»Es geht. Ich habe mich halt so durchgeschlagen.«

»Und wo warst du überall?«

»Hm, nicht so die großen Städte, kein Sightseeing. Eher so wirklich unterwegs. Wie ein Vagabund halt. Ist spannender.«

»Und in welchen Ländern?«

»Polen, Tschechien, Österreich, Kroatien, Griechenland.« Er schenkt mir ein kleines Lächeln. »Immer der Sonne entgegen.«

Ich muss zurücklächeln. »Da hast du sicher viel erlebt, was?«

»Ja, nicht immer leicht, aber war eine Erfahrung.« Im Spiegel verfolgt er aufmerksam, was ich mit seinem Haar mache. »Und in Griechenland habe ich halt bei einem Herrenfriseur ausgeholfen. Deshalb bin ich mir so sicher, dass ich das machen will.«

»Timm heißt du, richtig?«

»Ja.«

»Okay, Timm, du kannst mir ja mal deine Bewerbungsunterlagen zukommen lassen, falls das mit dem Vorstellungsgespräch morgen nichts wird«, schlage ich unverbindlich vor. »Ich kann dir nichts versprechen, aber ich guck sie mir mal an.«

»Cool, danke.« Sein Lächeln wird verschmitzter.

Irgendwie habe ich das Gefühl, in eine Falle getappt zu sein. Aber das ist doch albern. Wir machen nur Small Talk und sind dabei auf das Thema gekommen. Selbst wenn das von seiner Seite geplant war, ändert es nichts an den Fakten, dass er sich vielleicht für den Job eignet. Zumindest ist er motiviert.

»Mein Zeugnis ist aber nicht so gut«, erklärt er nach kurzer Pause, in der ich ihm den Nacken ausrasiert habe.

»Nicht?«

»Nee, aber das bedeutet nicht, dass ich dumm bin«, behauptet er. »Ich war kein guter Schüler, weil ich zu faul war. Aber ich kann lernen, wenn ich will. Jedenfalls will ich jetzt lernen. Bin vernünftiger geworden.«

Ich lasse mich einfach darauf ein. »Was hast du denn für einen Abschluss?«

»Hauptschule«, sagt er und wirkt etwas verlegen. »Also, ich wär unter deinen Bewerbern sicher nicht einer der Besten. Aber das heißt nicht, dass ich mich nicht eigne. Du hast ja gesagt, dass eher Motivation und Geschick zählen. Das hab ich echt.«

Allmählich erhärtet sich mein Verdacht, dass das hier von ihm nicht wirklich als reiner Friseurtermin geplant war. Es ist quasi schon ein Vorstellungsgespräch. Raffiniert insofern, dass er mit der späten Uhrzeit dafür gesorgt hat, dass wir unter uns sind. Wirklich nicht dumm.

»Okay«, meine ich. »Und abgesehen vom Spaß? Der Beruf bringt nicht gerade viel Kohle. Bist du dir wirklich sicher, dass du das dein ganzes Leben machen willst?«

»Ja. Das heißt, ich will meinen Meister machen und vielleicht einen eigenen Salon eröffnen. Später irgendwann. War das schwer für dich?«

»Einfach ist es sicher nicht. Aber wenn man es wirklich will... Was machen denn deine Eltern?«

»Mein Vater ist gelernter Elektriker beim Bund«, erklärt Timm. »Meine Mutter ist gestorben, als ich vier war. Aber sie war auch Friseurin. Vielleicht ist das auch ein Grund.«

»Okay, unterstützt dich dein Vater noch?«, hake ich nach. »Gerade in Hamburg ist es sonst schwer. Im ersten Lehrjahr bekommst du nicht viel.«

»Das kriege ich hin.«

Ich überlege einen Moment, während ich seiner Frisur den letzten Schliff verpasse. Schließlich reiche ich ihm den Föhn und ein Döschen Haarwachs. »Lass mich mal sehen, was du mit deiner neuen Frisur anstellst.«

»Okay.« Eifrig macht er sich daran, die Haare zunächst in Form zu föhnen. Ich muss nicht eingreifen. Er macht das ganz gut. Dann verreibt er sich eine Perle Haarwachs zwischen den Händen. Es ist nicht professionell, aber er bekommt die Haare ganz gut in Griff. Angesichts seiner vorherigen Frisur hatte ich ihm das nicht unbedingt zugetraut.

»Hattest du die Haare davor schon mal so ähnlich?«

»Vor meinem Trip hab ich sie mehr gestylt«, sagt er. »Aber nicht so.«

»Du hast ein gutes Gefühl dafür«, stelle ich fest. »Aber du kannst sie auch mehr nach hinten kämmen und dann...« Ich zeige ihm noch weitere Styling-Methoden. Sie stehen ihm alle. Mit der Frisur wirkt er recht attraktiv. Auch wenn da immer noch das zerrissene Ohrläppchen und die schiefe Nase bleiben. Beides verunsichert mich nach wie vor.

»Mit der Frisur kannst du viel machen«, erkläre ich abschließend und halte einen Spiegel hoch, sodass er sich auch von hinten bewundern kann.

»Cool, danke.« Aufmerksam mit einem leichten Stirnrunzeln begutachtet er das Werk und tastet mit den Fingern über den Haaransatz.

»Also, Timm, wenn mich deine Bewerbungsunterlagen überzeugen, das heißt, sie sorgfältig und fehlerfrei erstellt wurden, sehe ich über die schlechten Noten hinweg und lass dich ein Praktikum machen«, biete ich aus einem inneren Impuls heraus an. Reiner Instinkt. »Mit Chance auf einen Ausbildungsplatz.«

»Zum nächsten Ausbildungsjahr im August?«, hakt er nach.

»Eigentlich ja.«

Die Bewerbungsphase hat eigentlich noch längst nicht begonnen. Ich habe keine Annonce für die Stelle aufgegeben. Allerdings habe ich schon mehrere Initiativbewerbungen und drei Bewerber wirken auch ganz okay. Alles Schüler. Wirklich überzeugen konnte mich nach dem Reinfall mit unserer letzten Auszubildenden jedoch niemand. Auch wenn ich es merkwürdig finde, gefällt mir dieses Ghetto-Kid besser. Er wirkt reifer. Gefestigter. Einen Versuch wäre es wert.

»Es gibt unter Umständen aber auch die Möglichkeit, im Februar zu starten.«

»Okay, ich bringe die Unterlagen morgen vorbei!«, verspricht er. »Voll cool, danke!«

Bei seinem Strahlen fällt mir auf, dass eine kleine Ecke an seinem Schneidezahn fehlt. »Es ist nur eine Chance. Ich verspreche nichts, klar?«

»Ja, klar. Aber ich hab echt viel Motivation.« Seine braunen Augen sehen mich sehr eindringlich durch den Spiegel an. »Und ich würd es gerne von jemandem lernen, der einen hohen Anspruch hat, und nicht bei so 'ner Billig-Kette, wo alles schnell gehen muss. Dein Salon hat krass viele gute Bewertungen im Internet.«

Das bestätigt wieder meinen Verdacht, dass er mehr oder weniger für ein persönliches Gespräch hergekommen ist. Er hat Schneid. »Kundenzufriedenheit ist hier sehr wichtig. Und ja, wir sind nicht billig. Gefällt dir deine neue Frisur?«

»Ja, die ist super.«

»Gut.« Ich gehe zur Kasse. Es ist spät und ich will den Laden endlich schließen und heimgehen. Vielleicht erwische ich Holger noch in Skype.

Er angelt ein abgenutztes Portemonnaie aus seiner Jogginghose. Es ist nicht einmal aus Leder. Synthetik. Ich kassiere dennoch den vollen Preis von ihm und meine zum Abschluss: »Ach ja, falls du morgen wirklich vorbeikommst, bitte nicht in Jogginghose. Zieh dir was Vernünftiges an.«

»Okay.« Mein Rat scheint ihn betroffen zu machen. »Ist Jeans okay?«

»Ja, völlig okay. Alles, nur nicht dieses Hartz-IV-Outfit.«

»Okay.« Sein Unterkiefer spannt sich kurz an, doch er nickt und weicht meinem Blick aus.

Ich hoffe, ich war nicht zu abfällig. Aber ich sage eben, was ich denke. Manchmal recht ungefiltert, vor allem, wenn es meine Angestellten und ihr Erscheinungsbild betrifft. Es geht hier um das Image meines Ladens. Wenn Timm da reinpassen will, muss er sich anstrengen.

»Gut, dann bis morgen?«, hake ich nach.

Er nickt und sieht mir dabei fest in die Augen. »Ja, bis morgen. Und danke.«

»Da nicht für.«

Als er den Laden verlässt, schließe ich hinter ihm ab. Daher sehe ich, wie er nach zehn Schritten die Hand zur Faust ballt und eine Siegergeste macht. Er springt sogar ein bisschen in die Luft. Anscheinend ist sein Plan aufgegangen. Ich muss schmunzeln. Nein, dumm ist er sicher nicht. Das hat bisher noch kein Bewerber gemacht. Aber die Zweifel bleiben. Ich werde mir seine Unterlagen ganz genau ansehen.

***

»Eike?« Diana steckt den Kopf durch die Tür. »Da ist ein junger Mann, der zu dir möchte. Wegen einer Bewerbung?«

Ich schaue von der Farbmischung auf, die ich gerade für eine Kundin anrühre. »Setz ihn bitte in die Küche und gib ihm was zu trinken. Ich kann gerade nicht.«

»Hat er ein Vorstellungsgespräch?«, fragt sie verwundert. »Wusste gar nicht, dass du noch jemand einstellen möchtest.«

»Azubi-Bewerber.«

»Oh? Ist es dafür nicht ein bisschen früh? Außerdem sieht er älter aus als die üblichen Kandidaten.«

»Ich weiß«, antworte ich. »Er war gestern Abend hier und ich habe ihm versprochen, einen Blick auf seine Bewerbung zu werfen. Erklär ich später.«

»Okay.« Sie verschwindet, um meine Anweisung in die Tat umzusetzen. Danach kennt sie Timm wahrscheinlich besser als ich. Sie hat eine charmante Art, mit der sie alles aus ihrem Gegenüber herauskitzeln kann. In gewisser Weise ist es von mir beabsichtigt, dass sie Timm auf den Zahn fühlt, es interessiert mich, welchen Eindruck er auf sie macht.

Zunächst konzentriere ich mich jedoch auf die verunglückten Strähnchen meiner Kundin, das Opfer eines Selbstversuchs. Ich frage mich wirklich, wie man auf die Idee kommt, sich selbst Strähnchen machen zu wollen. Nicht einmal ich würde das bei mir selbst machen. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich rötliches Haar habe und alle Strähnchen bei mir hässlich finde.

Nachdem ich die arme Dame verarztet und unter eine Wärmehaube gesetzt habe, gehe ich ebenfalls in die Küche und ertappe Diana dabei, wie sie über etwas, das Timm gesagt hat, herzlich lacht. Timm lehnt am Arbeitstresen und grinst irgendwie zurückhaltend, aber auch amüsiert. Heute trägt er Jeans und ein blaues Hemd mit Knopfleiste. Das Haar hat er anders gestylt als gestern, aber auch nicht so, wie ich es ihm gezeigt habe. Total anders. Nicht schlecht. Er ist kreativ. Gefällt mir.

»Hey, Timm«, grüße ich ihn.

»Hallo!«, grüßt er zurück und sein Grinsen weicht einer ernsteren, aufmerksamen Miene. Mit hastigen Bewegungen kramt er aus einem alten Rucksack eine schwarze Bewerbungsmappe hervor und hält sie mir hin. »Hier, meine Bewerbung.«

»Danke.« Ich nehme sie an und werfe gleich einen flüchtigen Blick hinein. Anschreiben, Lebenslauf, Zeugnis. Mehr ist da wohl noch nicht. Also komplett. Mein Blick bleibt an dem Bild hängen. Der Timm darauf ist mindestens zwei Jahre jünger. Seine Nase ist noch gerade und etwas kleiner, sein Ohrläppchen ganz. Und Gott, war er mal niedlich.

»Das Foto ist alt«, erklärt er verlegen. »Sorry, ich bin noch nicht dazu gekommen, neue machen zu lassen. Ich wollte erst die neue Frisur haben.«

»Kein Problem, ich weiß ja, wie du aussiehst.« Ein bisschen spöttisch sehe ich ihn an. Jeans stehen ihm viel besser als Jogginghosen. Die Mappe kurz hebend meine ich: »Ich schau mir das in Ruhe an, okay? Deine Telefonnummer steht drin?«

»Klar, lass dir Zeit.« Er nickt.

»Wie war denn dein Vorstellungsgespräch heute?«, hake ich nach.

»Weiß noch nicht. Hab ich erst später.«

»Na dann, viel Erfolg.« Ich werfe einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr. »Sorry, heute ist so viel los. Ich melde mich aber definitiv, okay?«

»Okay, danke.« Er stößt sich von der Theke ab. »Danke für das Wasser, Diana.«

»Sehr gern.« Sie sieht ihm nach, als er sich mit einem leisen Tschüs verabschiedet und die Küche verlässt. Ich daraufhin auch. Sein Knackarsch sieht in den Jeans auch viel besser aus. Das heißt, in der Jogginghose habe ich ihn gar nicht bemerkt. Mist, wieso starre ich auf seinen Hintern? Ich öffne die Mappe und schaue in seinen Lebenslauf. Nach kurzem Rechnen komme ich auf zwanzig Jahre.

»Er ist nett«, stellt Diana fest.

»Findest du? Als er gestern Abend hier aufgetaucht ist, hatte ich für einen Moment die Befürchtung, dass er mich überfallen will.«

»Was? Wieso?«

»Er sah aus wie so ein Ghetto-Gang-Mitglied.«

»Manchmal hast du echt einen Knall.« Diana muss lachen. »Wieso lässt du ihn dann hier antanzen und sich bewerben?«

Ich zucke mit den Schultern. »Er hat es darauf angelegt und das hat mir imponiert. Es kommt selten vor, dass ein Bewerber so viel Motivation zeigt. Die meisten belassen es bei einer schriftlichen Bewerbung und die klingen alle gleich.«

»Ich finde es gut, dass du ihm eine Chance gibst«, meint sie. »Er scheint ein netter Junge zu sein. Außerdem finde ich es nicht schlecht, dass er etwas älter ist. Man kann sich mit ihm besser unterhalten als mit diesen kleinen Azubis, die gerade erst von der Schule kommen.«

»War auch mein Gedanke, dass es Vorteile haben kann. Allerdings ist er schon etwas alt für jemanden mit einem Hauptschulabschluss und ohne Ausbildung.« Ich seufze. »Da ist bestimmt irgendwo ein Haken.«

»Er hat mir erzählt, dass er viel gereist ist.«

»Ja, und davor?« Ich nehme die Mappe mit und lege sie unter den Tresen bei der Kasse, um sie mir später durchzulesen. Jetzt muss ich mich erst einmal um den nächsten Kunden kümmern. Hier steht nur eine Beratung an. Torben, mein anderer Mitarbeiter, übernimmt den Rest, weil ich mit den Strähnchen weitermachen muss. Der übliche Alltagswahnsinn. Aber darüber beschwere ich mich nicht. Solange der Laden läuft, bin ich zufrieden.

An diesem Abend habe ich keine späten Termine. Ich schließe den Laden pünktlich um acht und steige mit Timms Bewerbungsmappe unterm Arm in meinen Smart, um nach Hause zu fahren.

Nach Hause ist eine kleine Wohnung in Winterhude. Die Parkplatzsuche ist furchtbar, aber noch schrecklicher finde ich es, mit dem Bus zu fahren. Besonders um diese Uhrzeit. Nach ein paar Umrundungen meines Wohnblocks und der umliegenden finde ich schließlich doch noch einen Parkplatz.

Genervt gehe ich die fünfhundert Meter nach Hause und schmeiße mich erschöpft vor den Fernseher. Eigentlich habe ich noch nichts gegessen, aber ich mag nicht aufstehen. Wahrscheinlich ist der Kühlschrank ohnehin leer.

Nachdem das Fernsehprogramm mich eine halbe Stunde verblödet hat, greife ich wieder nach Timms Mappe, die ich vor mir auf dem Couchtisch abgelegt habe, und werfe einen Blick hinein. Das Anschreiben ist fehlerfrei. Es klingt sehr nach Arbeitsamt, also die üblichen Phrasen und nichts wirklich Ausgefallenes. Standard. Aber ich kenne ihn ja auch schon und weiß, dass er sich darauf allein nicht verlassen hat. Er hat mir seine Motivation ausreichend bewiesen.

Ich betrachte seinen Lebenslauf. Geburtsdatum, er ist Schütze. Das heißt, er hat noch dieses Jahr Geburtstag und wird einundzwanzig. Ziemlich alt. Interessiert lese ich weiter. Geburtsort ist Hamburg. Wie bereits von ihm erwähnt, ist seine Mutter früh gestorben, also ist er Halbwaise. Möglich, dass sein Vater noch einmal geheiratet hat, aber hier steht nichts von einer Stiefmutter. Geht vielleicht auch zu weit. Es klingt auf jeden Fall nicht nach Sozialfall. Eher Mittelschicht.

Grundschule, vier Jahre. Danach auf die Hauptschule. Abschluss nach der zehnten Klasse, einmal sitzen geblieben, denn wenn ich richtig zähle, ist das ein Jahr zu viel. Und nur ein erweiterter Hauptschulabschluss. Für den Realschulabschluss hat es nicht ausgereicht.

Ich betrachte sein Zeugnis. Oh krass, das ist echt schlecht. Er hat mich ja vorgewarnt. Auf der Hauptschule eine Fünf in Englisch zu bekommen, ist gruselig. Und eine Vier in Deutsch. In Mathe hat er immerhin eine Drei. Aber Zweien und Einsen sehe ich gar nicht. Doch da: eine Eins in Sport. Na immerhin. Und in Textilem Gestalten zumindest eine Zwei. Das bedeutet wohl, er kann mit einer Schere und seinen Händen umgehen.

Ich kehre zurück zum Lebenslauf. Nach der Hauptschule... Nichts. Da steht etwas von berufsbildendem Jahr, aber kein Abschluss. Und danach Work-&-Travel für die Zeit bis jetzt. Das sind eigentlich mehr als zwei Jahre. Ganz schöne Lücken für so einen kurzen Lebenslauf. Wahrscheinlich ist er erst jetzt aufgewacht und hat gemerkt, dass er nicht ewig so weitermachen kann. Aber reicht das?

Seufzend lege ich die Mappe beiseite. Ich würde ihm gerne eine Chance geben, aber ich führe ein Unternehmen. Zwar nur ein kleines, aber ich trage immerhin die Verantwortung für zwei Angestellte und mich selbst. Wenn ich jemanden ausbilde, muss dieser Jemand es auch wert sein und durchhalten. Und nicht einfach verschwinden, wenn er gerade beginnt, nützlich zu werden. Das ist uns mit der letzten Azubine passiert. Schwanger mit achtzehn. So ein Scheiß.

Schwanger kann Timm nicht werden. Ich wollte deswegen gerne einen männlichen Azubi. Aber keine Ahnung, ob er der Richtige ist. Um die Entscheidung noch etwas aufzuschieben, beschließe ich, eine Nacht drüber zu schlafen.

Ich fahre den Laptop hoch, um zu sehen, ob Holger online ist. Natürlich nicht. Er hat anscheinend wieder Spätschicht. Seufzend klappe ich den Laptop wieder zu. Das leere Gefühl bleibt. Ich vermisse Holger schrecklich. Als Krankenpfleger bekommt er in der Schweiz das doppelte Gehalt. Es ist verständlich, dass er sich entschieden hat, es für eine Weile dort zu versuchen. Ich versuche zumindest, verständnisvoll zu sein.

Aber es war eine Entscheidung gegen uns. Nur bin ich zu feige, es zur Sprache zu bringen, und tue immer noch so, als könnte eine Fernbeziehung funktionieren und als würde er vielleicht bald wieder zurückkommen. Es ist Trennungsschmerz auf Raten. Vielleicht leichter zu ertragen, aber dennoch das langsame Ende unserer Beziehung, wenn er nicht zurückkommt.

Um das Gefühl aus meinem Inneren zu vertreiben, stehe ich auf, schlüpfe in meine Trainingssachen, um eine Runde zu laufen. Nicht weit. Ich bin kein besonders ausdauernder Sportler und eigentlich hasse ich Joggen. Aber ich tue es für meine Linie. Seit ich dreißig bin, muss ich doch mehr tun, um keine Speckpolster anzusetzen. Vor der Kamera sieht man die nämlich erst recht und etwas anderes als Cybersex über Skype hatte ich schon seit einem Monat nicht mehr.

Kapitel 2

Letztlich ist es Diana, die mich zu einer Entscheidung bezüglich Timm drängt. Die ganze Woche war bei uns im Salon sehr viel los und es ist nicht zu leugnen, dass wir noch jemanden brauchen – und sei es nur für die Drecksarbeit. Also rufe ich Timm einfach an und frage ihn, ob er noch an einem Praktikum interessiert ist. Er willigt sofort ein.

Für die nächsten vier Wochen arbeitet er also in meinem Salon als Praktikant. Wenn er sich bewährt, bekommt er einen Ausbildungsplatz.

Der Anfang ist vielversprechend. Er erscheint jeden Morgen pünktlich um zehn und bleibt jeden Abend, bis ich ihm um acht sage, dass er gehen kann. Er fegt, ohne zu Murren, mit gleichbleibender Gründlichkeit die abgeschnittenen Haare zusammen, kocht Kaffee, serviert die gewünschten Getränke und versorgt die Wartenden mit geeigneter Lektüre während der Wartezeiten. Inzwischen sogar ohne Aufforderung und mit einer gewissen Routine.

Auch Torben und Diana scheinen gut mit ihm klarzukommen. Nur ich werde irgendwie nicht richtig warm mit ihm. Bisher ist es mir noch nicht gelungen, mich mit ihm über etwas anderes als die Arbeit zu unterhalten. Hin und wieder schnappe ich etwas auf, wenn die anderen beiden mit ihm reden, aber auch dadurch werde ich nicht schlauer aus ihm. Es liegt vielleicht an mir. Immerhin bin ich der Chef und treffe die Entscheidungen.

»Was hörst du eigentlich für Musik?«, fragt Diana Timm gerade, als ich die Küche betrete, um mir einen Kaffee zu holen. Sie beugt sich über den Laptop und bestückt unsere Playlist für den Salon mit neuen Liedern. Bei uns läuft immer ein guter Mix aus verschiedenen, unaufdringlichen Musikrichtungen. Manchmal auch einfach nur Radio.

»Eher so Rap.« Timm räumt den Geschirrspüler aus. Er weiß sich immer irgendwie nützlich zu machen. Andere hätte man vielleicht dazu auffordern müssen. Ihn nicht.

»Ach ja? Stehst du auf Hip Hop?«, hakt Diana nach.

Er nickt und lächelt dieses unbestimmte Lächeln, das seine Augen nicht erreicht und mir daher immer etwas verhalten erscheint.

»Was denn zum Beispiel?«, mische ich mich ein. Es ist Vormittag und noch nicht viel los im Laden. Ich habe Zeit für einen Plausch.

»So ein paar Rapper hier aus Hamburg find ich ganz cool.«

»Deutscher Rap?« Was ich davon bisher gehört habe, fand ich immer sehr asozial. Überwiegend sexistisch, homophob oder gewaltverherrlichend. Nichts, womit ich etwas anfangen könnte, aber zu dem Ghetto-Kid, das vor einer Woche in meinen Laden gestolpert ist, passt es wohl. Zugegeben, inzwischen sieht er nicht mehr danach aus. Zumindest trägt er keine Jogginghosen mehr.

»Ja.« Er wirkt unsicher. »Aber ich höre auch andere Musik. Was hier läuft, finde ich eigentlich immer ganz cool.«

»Schleimer.« Diana legt ihm lachend eine Hand auf die Schulter. »Och, Timmy, du kannst hören, was dir gefällt. Eike guckt immer so skeptisch, wenn jemand einen anderen Geschmack hat. Aber Geschmäcker sind nun mal verschieden und Eike ist ja auch schon ziemlich alt.«

»Hey!«, empöre ich mich. »Ich bin gerade mal dreißig!«

»Ja, aber von deinem Verhalten her könnte man denken, du wärst vierzig. Und von deinem Musikgeschmack her auch.« Sie wendet sich wieder an Timm. »Er steht auf die Achtzigerjahre, weißt du? Deshalb läuft hier auch ständig David Bowie.«

»Ich höre auch aktuelle Musik«, entgegne ich und suche mir eine frische Tasse aus dem Geschirrspüler. »Aber kein Rap, das stimmt. Dafür bin ich aber nicht zu alt, sondern zu schwul.«

Es ist mir einfach herausgerutscht, ohne dass ich mir etwas dabei gedacht habe. Aber aus dem Augenwinkel sehe ich nun, wie Timm überrascht zusammenzuckt. Es wundert mich, dass er noch nicht von selbst darauf gekommen ist. In diesem Fall erfülle ich schließlich das Klischee schwuler Friseur. Torben ist ebenfalls schwul und dem merkt man es vielleicht noch ein bisschen mehr an als mir.

»Bin ich eigentlich der Einzige, der hier noch arbeitet?«, erkundigt sich eben dieser von der Küchentür mit frechem Grinsen. Heute trägt er ein hellblaues Hemd und dazu hautenge Jeans, die recht tief sitzen. Aber es steht ihm, passt zu seinen blonden Haaren, und ich mag seinen Stil. In dem halben Jahr, dass er nun für mich arbeitet, habe ich ihn noch nie unmodisch gekleidet erlebt.

»Was ist denn mit dir?«, entgegne ich.

»Bin fertig. Timm, wäre cool, wenn du noch mal fegen könntest«, meint Torben und zwinkert ihm zu. »Falls dich die beiden Tratschtanten entbehren können, natürlich. Sonst mach ich es selbst.«

»Nein«, beeilt sich Timm zu sagen und drängt sich an Torben vorbei aus der Küche. »Ich mach schon.«

»Und weg ist er«, seufzt Diana und mustert mich leicht vorwurfsvoll. »Zu schwul für Rap? Musstest du ihm das so unter die Nase reiben? Meinst du nicht, dass er es auch so gemerkt hätte?«

»Ich dachte, das hätte er schon längst. Und besser jetzt, als wenn er es erst nach dem Praktikum merkt und nicht damit umgehen kann.«

»Was denn?« Torben stibitzt sich meine Tasse, um einen Schluck daraus zu nehmen. »Igitt… schwarz.«

»Eike hat sich gerade eben vor Timm geoutet«, erklärt Diana. »Jetzt muss der arme Kleine ja denken, er wäre von Schwulen umzingelt. Das schüchtert doch jeden Heterojungen in seinem Alter ein.«

»Ich denke, er wird es überleben.« Gelassen entwende ich Torben wieder meine Tasse und nehme selbst einen Schluck von meinem Kaffee.

»Denke auch nicht, dass er Probleme damit hat.« Torben wirft einen Blick aus der Küche in Richtung unseres Praktikanten. »Mit mir kommt er super klar.«

»Genau. Also wieso machst du dir Sorgen, Diana?«, frage ich zurück.

»Weil er…« Sie seufzt. »Ich denke, er sieht in dir ein Vorbild. Mach es nicht kaputt, indem du ihn vor den Kopf stößt, okay?«

Ein Vorbild. Ich runzle die Stirn und zucke mit den Schultern. »Weiß nicht, was das mit meiner Sexualität zu tun hat, aber bitte… Ich bin doch nett zu ihm, oder?«

»Du wirkst ziemlich streng.«

»Wirklich?« Vielleicht hat sie recht. Ich versuche ständig, den Haken zu finden, um keinen Fehler mit dem Jungen zu machen. »Okay, ich versuche, mich zu bessern.«

»Wir könnten ihn ja am Samstag nach der Arbeit zum Essen einladen«, schlägt Torben vor. »So als Willkommensgeste.«

Ich runzle die Stirn. »Nein, das machen wir erst, wenn wir ihn tatsächlich übernehmen.« Damit leere ich meine Tasse und kehre zurück in den Salon. »Frau Minkler muss unter der Haube raus.«

***

»Puh, ist deine Laune gruselig«, stellt Torben fest, als wir am frühen Samstagnachmittag allein im Geschäft sind. Diana und Timm holen sich etwas zu essen vom Bäcker. Torbens letzter Kunde hat gerade den Salon verlassen.

»Ach ja?«

»Ja, da hängt eine dicke, fette Gewitterwolke über deinem Kopf«, stellt Torben fest. »Schon den ganzen Vormittag. Ist was passiert?«

Holger hatte gestern wieder keine Zeit zum Telefonieren. Stattdessen ist er lieber mit seinen Kollegen ausgegangen. Ein weiterer Schritt in Richtung Beziehungsende. Doch noch immer bin ich zu feige, ihn damit zu konfrontieren. Ich will nicht, dass es vorbei ist.

»Beziehungsstress.«

»Habt ihr euch gestritten?«, hakt Torben nach.

»Dazu müssten wir überhaupt erst mal wieder miteinander sprechen.« Ich mache eine wegwerfende Geste. »Will eigentlich nicht darüber reden.«

»Aber uneigentlich solltest du das«, entgegnet Torben. »Vielleicht hilft es ja.«

»Ich sehe nicht, wie es Holger dazu motivieren sollte, Zeit in unsere Beziehung zu investieren, wenn ich mit dir darüber rede.«

»Nein, aber vielleicht hilft es dir ja, wenn ich über Holger schimpfe, dir verklickere, dass er ein egoistisches Arschloch ist und nicht weiß, was er an dir hat, und dich dazu überrede, mal wieder auszugehen.« Torbens Augenbrauen hüpfen herausfordernd. »Also? Gehen wir heute Abend tanzen?«

Ich seufze und schüttle den Kopf. »Keine Lust.«

Mir fällt auf, dass das bereits Torbens zweiter Versuch ist, mich zum Ausgehen zu bewegen. Erst das Essen mit Timm und jetzt Tanzen als Ablenkung von Holger. Ich runzle die Stirn und werfe ihm einen skeptischen Blick zu, doch er hat sich bereits schulterzuckend abgewandt und fegt, da der Praktikant nicht da ist, selbst die Überreste seines letzten Kunden fort.

»Wir könnten auch was Ruhiges machen, um dich abzulenken«, meint Torben nach einer Weile beiläufig. »Filmabend oder so… Einfach nur, damit du nicht wieder den ganzen Abend auf Skype rumhängst.«

Er ist leider auch in meiner Kontaktliste bei Skype, daher die durchaus gerechtfertigte Unterstellung. Anscheinend hat er mich einmal zu oft erwischt, als ich genau das getan habe. Da Diana und Timm genau in diesem Moment zurückkehren, gehe ich nicht wirklich auf seinen Vorschlag ein: »Immer noch keine Lust.«

»Wozu hast du keine Lust?«, will Diana natürlich trotzdem wissen.

»Filmabend«, erklärt Torben.

»Oh, aber das ist eine coole Idee«, stellt Diana fest. »Ich hab heute auch noch nichts vor. Bei dir, Torben?«

»Klar, aber nur, wenn du Eike auch dazu kriegst.«

»Welchen Film denn überhaupt?«, will ich wissen, um nicht der Spielverderber zu sein.

»Was du willst«, antwortet Torben. »Irgendwas Lustiges, damit du nicht mehr so finster aus der Wäsche schaust. Timm, wenn du Lust hast, kannst du auch kommen. Ich mache Pizza.«

»Cool.«

Was ist nur los mit der heutigen Jugend? Timm ist zwanzig. Torben ist auch erst vierundzwanzig. Sie sollten eigentlich Besseres zu tun haben, als mit ihren Kollegen einen langweiligen Filmabend durchzuziehen. Ich runzle die Stirn. Aber eigentlich ist es gar keine so schlechte Idee. Vielleicht ist es ein ganz gutes Mittel, um Holger zu signalisieren, dass ich auch nicht immer auf Abruf für ihn bereitstehe.

Ich seufze. »Fein. Aber keine Komödie. Lass uns lieber einen Actionfilm gucken. Und wir treffen uns bei mir. Ich fahre nicht extra nach Lüneburg.«

»Dann machst du die Pizza?«, hakt Diana spöttisch nach.

»Bestellen wir halt.« Ich bin froh, als der nächste Kunde den Laden betritt und wir die Diskussion unterbrechen müssen. Ab jetzt beginnt wieder die heiße Phase. Bis wir um achtzehn Uhr schließen, werden wir keine ruhige Minute haben.

***

Es klingelt um acht bei mir an der Tür. Pünktlich. Da kann ich Torben und Diana schon einmal ausschließen. Tatsächlich ist es Timm, der kurz darauf die Treppe hochkommt. Er trägt noch die gleichen Klamotten wie im Salon. Ich dagegen habe es mir bequemer gemacht und trage meine Lieblingsjeans, auch wenn sie schon reichlich abgenutzt ist und ein paar Löcher aufweist. Dazu einen bequemen Baumwollpulli. Passend für einen Filmabend.

»Hey!«, grüße ich Timm.

»Hi!«, grüßt er zurück und deutet auf seine Schuhe. »Ausziehen?«

»Ja, sei so gut.«

Er folgt der Bitte sofort. Weiße Sportsocken. Obwohl ich finde, dass es keine hässlicheren Socken gibt, halte ich meine Zunge im Zaum. Wenn ich ständig an ihm herumnörgle, flüchtet er noch.

»Magst du was trinken?«, frage ich stattdessen.

»Ähm, gern…«, sagt er und folgt mir ins Wohnzimmer.

Ich habe noch schnell Bier besorgt. Normalerweise habe ich so etwas nicht im Haus, aber ich habe mir gedacht, dass es für heute ganz gut passt. Ich halte ihm eine Flasche hin. »Bier okay?«

»Klar, danke.« Er nimmt die Flasche entgegen und setzt sich nach kurzem Umsehen auf meine Couch. »Bin also mal wieder der Erste?«

»Diana und Torben sind nie pünktlich.« Ich lasse mich auf dem Sessel nieder und nehme mir ebenfalls ein Bier. »Torben besorgt noch die Filme. Bei seiner Entscheidungsfreudigkeit kann das eine Weile dauern.«

Darauf grinst Timm und nimmt einen Schluck von seinem Bier.

Ich tue es ihm nach und überlege, worüber ich mit ihm reden soll. Letztlich entscheide ich mich für das Nächstliegende: »Und wie fandst du deine erste Woche in meinem Salon?«

»Cool«, antwortet er. »Ich mag… wie ihr arbeitet und die Atmosphäre. Und wie du die Leute berätst. Du gehst immer so auf sie ein und erklärst ihnen auch, was ihnen nicht steht. Das finde ich gut.«

Offenbar hat er mehr gemacht, als nur fegen und servieren. Ist mir gar nicht so bewusst gewesen. Aber es gefällt mir. Der Junge übertrifft regelmäßig meine Erwartungen. Die sind allerdings auch nicht sonderlich hoch. »Schön, dass es dir gefällt.«

»Meinst du, ich darf während meines Praktikums noch mehr machen? Ich meine, so zum Ende? Also Haare waschen und so?«

»Keine Ahnung. Kommt darauf an, wie du dich dabei anstellst.« Ich nehme noch einen Schluck von meinem Bier. »Hast du das Fegen schon über?«

»Nein, mache ich gern…« Er zögert. »Na ja, vielleicht nicht gern. Aber es macht mir nichts aus. Ihr habt nur so viel zu tun, vielleicht kann ich noch mehr machen, um euch zu helfen.«

Einen Moment überlege ich, ob und was dagegenspricht, ihm ein bisschen mehr beizubringen als einem normalen Praktikanten. Eigentlich gibt es keinen Grund. »Wenn wir eine ruhige Minute haben, zeige ich dir das Haarwaschen und dann sehen wir, wie du dich anstellst, okay?«

»Cool, danke.« Er lächelt zurückhaltend.

Wir schweigen. Auf mich wirkt die Stille eher unangenehm. Ich weiß einfach nicht, worüber ich mit ihm sprechen soll. Dabei gehört Small Talk zu meinem Beruf. Schließlich sagt er: »Du hast eine schöne Wohnung.«

»Danke.« Ich sehe mich ebenfalls um. Mein Blick bleibt an einem Bild von Holger und mir hängen. Es gibt mir einen Stich und ich richte meinen Blick wieder auf Timm. »Wo wohnst du eigentlich?«

»In einer WG«, antwortet er. »In Horn.«

»Mit wie vielen?«

»Na ja, es ist so eine Art Wohnheim. Da wohnen fast nur Jungs in meinem Alter. In meinem Apartment sind wir zu sechst.«

»Wow.« Das muss echt nervig sein.

»Es ist günstig.«

»Teilt ihr euch alle Bad und Küche?«

»Zu dritt ein Bad. Zu sechst die Küche.« Er lächelt verlegen. »Es geht. Hab schon Schlimmeres erlebt.«

»Wo wohnt eigentlich dein Vater? Ist der noch beim Bund?«

Er nickt. »Auslandseinsatz.«

»Ah, wo ist er stationiert?«

»Afghanistan. Wir haben nicht viel Kontakt.« Sein Blick fällt nun ebenfalls auf das Bild. Es steht auch recht präsent neben dem TV-Board auf einem Regal. »Ist das dein Freund?«

»Ja.«

»Wohnt ihr hier zusammen?« Er klingt normal. Interessiert irgendwie, aber nicht sensationslustig oder gar ablehnend. Obwohl sich seine Rapper-Idole regelmäßig mit homophoben Sprüchen beschimpfen.

»Nein, Holger ist vor einem Monat nach Bern gezogen.« Ich versuche, möglichst nüchtern zu klingen. »Wir versuchen es mit einer Fernbeziehung.«

»Oh. Nicht so einfach, schätze ich.«

»Nein.« Ich habe wirklich keine Lust, das mit ihm zu erörtern. »Was ist mit dir? Bist du in einer Beziehung?«

Er schüttelt rasch den Kopf. »Nein. Hab ich momentan keinen Nerv für.«

Auch eine nette Ausdrucksweise. Aber verständlich. Anscheinend versucht er gerade, sein Leben in geregelte Bahnen zu lenken. Ich hoffe, Torben oder Diana kommen bald. Das Schweigen wird mir wieder unangenehm. Es gibt sicher viele Dinge, über die Timm und ich reden könnten, doch mir fällt momentan einfach kein Thema ein. Vielleicht sträubt sich in mir auch nur etwas dagegen, weil er mein Praktikant ist. Ich möchte Distanz wahren, um objektiv zu bleiben. Dass Torben ihn eingeladen hat, finde ich schon alles andere als optimal.

»Ich bin gespannt, was Torben für Filme anschleppt.«

»Ja, ich auch.« Timm führt die Bierflasche erneut an seinen Mund. Er hat volle Lippen. Sie geben seinem sonst eher maskulinen Gesicht etwas Verletzliches. »Er meinte, er will mal sehen, ob er einen guten Klassiker auftreiben kann.«

»Ist das was für dich? Was magst du für Filme?«

»Och, eigentlich recht viel.« Sein Blick wandert zu meiner Sammlung an DVDs und Blue-Rays. Es sind einige. Eigentlich gehören sie Holger. Er hat sie nicht mitgenommen. Noch nicht.

»Ich mag schon ganz gerne Actionfilme.« Er deutet auf die DVDs. »Cool, du hast ja alle Fast & Furious-Filme.«

»Ja.« Die gehören sogar tatsächlich mir.

»Da hätte Torben ja gar nichts besorgen müssen. Die würde ich gerne mal wieder sehen. Die neueren kenne ich noch gar nicht.«

»Kannst sie dir gerne ausleihen«, biete ich an.

»Lieber nicht«, lehnt er ab.

»Wieso nicht? Ist doch kein Ding.«

»Ich habe auf meinem Zimmer keinen DVD-Player.« Er zuckt mit den Schultern und weicht meinem Blick aus. »Habe die meisten Sachen vor meiner Reise verkauft.«

Es klingelt an der Tür. Es ist Diana. Sie hat Wein und Chips dabei. Timm hat nichts mitgebracht. Es verdeutlicht mir den Altersunterschied, beziehungsweise unterstreicht das, woran ich mich bei ihm stoße. Ich glaube, er weiß gar nicht, dass sich so etwas gehört.

»Hey!« Diana umarmt mich zur Begrüßung, ehe sie mir ihre Mitbringsel überreicht und sich aus ihrer Jacke schält.

»Hi«, grüße ich zurück. »Danke. Da muss ich wohl mal meine Weingläser entstauben.«

»Ich bitte darum!« Lachend schlüpft sie aus ihren Schuhen. »Bin ich die Erste?«

»Nein, Timm ist schon da.«

»Schau an, schau an. Pünktlich wie immer, der junge Herr.« Feixend betritt sie das Wohnzimmer und begrüßt Timm ebenfalls mit einer Umarmung.

Ich überlasse sie für einen Moment sich selbst, um mich um die versprochenen Gläser zu kümmern. Noch während ich in der Küche bin, klingelt es erneut.

»Ich mach auf!«, ruft Diana und im nächsten Moment höre ich sie zur Tür stürmen. Ein reines Energiebündel.

Mit Torben sind wir vollzählig. Die drei quetschen sich auf meine Couch und ich bekomme den Chefsessel, wie Torben es so schön formuliert. Dann beginnt die Diskussion, um die mitgebrachten Filme, die zur Wahl stehen. Mir ist es letztlich völlig egal, was wir gucken, aber da sich die drei nicht einig werden können, muss ich letztlich doch eingreifen. Meine Stimme fällt auf den Film, den auch Timm favorisiert. Anscheinend haben wir, zumindest was das angeht, einen ähnlichen Geschmack.

Torben hat neben den Filmen auch noch eine Flasche Wodka und Orangensaft mitgebracht. Bier, Wein und nun das. Es wird definitiv ein feuchtfröhlicher Abend. Ich besorge uns also auch noch Longdrink-Gläser und überlasse es Timm, die Wünsche für die Partypizza zu koordinieren, damit er auch etwas Sinnvolles geleistet hat.

Die Pizza geht natürlich auf meine Rechnung. Ich weiß ja, was sich gehört als Chef. Auch wenn das heute eine Privatveranstaltung ist und sie sich eingeladen haben.

Kapitel 3

Mit Torben und Diana stirbt der Small Talk nie. Wir verquatschen die Zeit, bis die Pizza kommt, ohne den ersten Film angefangen zu haben. Timm und ich haben den deutlich geringeren Anteil an der Unterhaltung, doch wirklich schweigsam sind wir auch nicht. Auf dem Tisch stehen bereits drei leere Flaschen Bier, eine davon ist meine. Ich denke, nur Timm nuckelt noch an seiner ersten. Vielleicht traut er sich nicht, vor mir über den Durst zu trinken.

Als die Pizza da ist, starten wir mit dem Film. Die Unterhaltung wird weniger, aber ganz abbrechen tut sie nicht. Torben macht immer wieder lustige Kommentare, die uns vom eigentlichen Geschehen auf der Mattscheibe ablenken. Ich entspanne mich zusehends und öffne irgendwann den Wein, von dem Diana zwei Flaschen mitgebracht hat. Ich verteile die erste ungefragt gleich ganz auf die vier Gläser.

»Die Pizza ist echt toll«, lobt Diana. »Woher haben wir die?«

Ich nenne ihr den Namen des Lieferanten. »Ist ganz in der Nähe.«

»Der Boden ist klasse«, stimmt Timm zu. »So dünn und lecker.«

Torben lacht leise. »Genau wie Eike.«

»Was?«, hake ich verdutzt nach.

»Du bist auch dünn und lecker«, stellt er fest und nimmt noch einen Schluck von seinem Wein. Anscheinend hatte er davon schon ein bisschen zu viel. Oder es verträgt sich nicht mit den zwei Bier, die er davor getrunken hat.

Amüsiert lache ich auf und werfe meine Serviette nach ihm. »Ich bin gar nicht so dünn. Und ob ich lecker bin, kannst du überhaupt nicht beurteilen.«

Er zwinkert mir gut gelaunt zu. So ein Idiot. Dennoch schmeichelt mir das holprige Kompliment, beziehungsweise die schlechte Anmache irgendwie.

»Täubchen, trink nicht so viel«, rät Diana Torben und nimmt ihm das Glas ab. »Sonst kannst du uns am Montag nicht mehr in die Augen schauen.«

Torbens Erwiderung darauf bekomme ich nicht mehr mit, weil das Telefon klingelt. Sie scheint lustig gewesen zu sein, denn als ich mir den Hörer angle, kann ich den Anrufer nicht verstehen, weil die drei auf der Couch in heiteres Gelächter ausbrechen. Ich stehe daher rasch auf und verschwinde in die Küche.

»Sorry… Hallo?«

»Hey, ich bin's.« Es ist Holger. »Was ist denn bei dir los?«

Mein Herz setzt einen Takt aus. Holger. Ich habe seine Stimme so vermisst, doch nun klingt sie genervt. Gefällt ihm anscheinend nicht, dass ich mich auch ohne ihn zu amüsieren weiß. Oder dass ich nicht in Skype auf ihn warte und er zum Telefon greifen muss, um mich zu erreichen.

Möglichst gelassen sage ich: »Es ist Samstag. Ich habe Diana und Torben hier. Wir machen einen Filmabend.«

»Ist das die Rache für gestern?« Jetzt klingt er verärgert. »Oh Mann, Eike, ich hab echt keine Lust auf so was. Es tut mir leid, dass ich keine Zeit für dich hatte, aber das ist echt etwas anderes. Ich bin neu hier. Es wäre total unhöflich gewesen, die Einladung abzulehnen. Ich will nicht zum Außenseiter werden.«

»Und woher sollte ich wissen, dass du ausgerechnet heute mit mir telefonieren willst?«, frage ich zurück. »Vielleicht habe ich auch keine Lust, meine Wochenenden allein vor Skype zu verbringen, in der Hoffnung, dass du gnädigerweise mal online kommst.«

»Ich dachte, das wäre klar nach gestern, dass ich heute mit dir telefonieren will.«

»War es das? Keine Ahnung.« Plötzlich bin ich wieder der Buhmann. Das Arschloch, das ihn einfach nicht versteht. Er ist derjenige, der sich in ein neues Leben einfügen muss. Ich bin ja nur der Zurückgelassene. »Tut mir leid, ich bin auch neu in diesem Fernbeziehungsding. Und ich habe es mir auch nicht ausgesucht.«

»Eike.« Er seufzt. »Können wir jetzt bitte sachlich bleiben und nicht wieder darüber streiten?«

»Ich will mich nicht streiten.« Ich schließe die Augen. »Ich will dich hier haben.«

»Hey, ich wäre jetzt auch gerne bei dir«, versichert er mir sanfter. »Ich vermisse dich.«

»Ich dich auch«, bringe ich mit rauer Stimme hervor.

»Tut mir wirklich leid, dass ich gestern keine Zeit hatte«, sagt er nochmals. Diesmal glaube ich es ihm sogar. »Kommst du in Skype online?«

»Ich habe die Bude voll«, entgegne ich widerstrebend.

»Na und? Die können sich doch wohl mal für eine Viertelstunde allein beschäftigen. Fällt ihnen sicher gar nicht auf, dass du weg bist.«

»Doch«, widerspreche ich. »Der Laptop ist im Wohnzimmer. Sie würden es auf jeden Fall mitbekommen, wenn ich ihn jetzt hole.«

»Sag ihnen halt, dass es was Wichtiges ist.«

Ich will ihn sehen, nur die Blöße vor meinen Gästen möchte ich mir nicht geben. Vor allem nicht vor dem Praktikanten. Ich spiele unschlüssig mit dem Basilikum auf dem Fensterbrett und starre in die Dunkelheit des Hinterhofs. »Aber nur sehen… Alles andere muss bis morgen warten.«

»Ich habe morgen wieder Schicht, Schatz.«

»Den ganzen Tag?«, will ich wissen. »Es ist Sonntag. Ich bin flexibel. Wir können auch morgens…«

»Ich muss um fünf raus und arbeite bis nachmittags. Danach bin ich zu erledigt.«

Mit anderen Worten: jetzt oder gar nicht. Meine Frustration kehrt zurück. Während die drei in meinem Wohnzimmer rumgackern, kommt aber dergleichen überhaupt nicht infrage. Rausschmeißen werde ich sie auch nicht. »Es geht jetzt aber auch nicht.«

»Diana und Torben haben uns doch schon bei Schlimmeren erwischt.«

»Es sind aber nicht nur Diana und Torben«, entgegne ich streng. »Unser neuer Praktikant ist auch da.«

»Neuer Praktikant?«

»Ja, wir überlegen, ihm eine Ausbildungsstelle zu geben.« So lange haben wir schon nicht mehr miteinander telefoniert. Er ist überhaupt nicht auf dem Laufenden. »Timm. Ist schon ein bisschen älter, darum erst mal das Praktikum.«

»Wie alt?«

»Zwanzig.«

Holger schnauft leise. »Also erwachsen. Er wird es verkraften.«

Das ist doch nicht sein Ernst. Er will immer noch… »Nein, Holger.«

Auch er seufzt genervt. »Na gut, dann eben nicht.«

Und damit legt er einfach auf. Ich merke es erst, als ich auf meine Frage, ob er nicht doch morgen skypen möchte, keine Antwort mehr bekomme. Manchmal ist er wirklich ein egoistisches Arschloch. Aber ich mag das irgendwie. Ich stehe darauf, wenn ein Mann weiß, was er will. Wenn er kompromisslos seine Ziele verfolgt. Leider weichen Holgers Ziele aktuell verdammt weit von meinen ab. Und das tut weh.

***

»Hey, wo bleibst du denn?« Torben kommt zu mir in die Küche, wo ich immer noch mit dem Telefon in der Hand vor dem Fenster stehe.

Seufzend wende ich mich zu ihm um. »Sorry, das war Holger.«

»Ach nein.« Torben mustert mich. »Und so wenig erfreulich?«

Ich zucke mit den Schultern. »Um ehrlich zu sein, es war durchwachsen. Aber das Ende war eher unangenehm.«

»Ach komm, Eike, lass dich davon nicht runterziehen.« Er nimmt mir das Telefon ab und steckt es kopfschüttelnd in die enge Gesäßtasche seiner Jeans. »Wir wollten heute Abend nicht an deine verkorkste Beziehung denken.«

»Ich hätte damit rechnen sollen, dass er sich ausgerechnet heute Abend meldet.«

»Das haben wir. Es ging ja gerade darum, dass du heute Abend mal nicht abrufbereit bist.«

»Aber jetzt ist er morgen auch nicht abrufbereit und Montag bin ich nicht abrufbereit und ehe wir uns versehen, vergeht wieder eine Woche, ohne dass wir miteinander geredet haben.« Ich fahre mir resigniert durchs Haar. »Scheiße.«

Torben seufzt, nimmt mich beim Arm und zieht mich zurück ins Wohnzimmer. Der Film läuft noch. Ich lasse mich wieder auf meinen Platz lotsen und mir von Torben das nachgefüllte Glas Wein in die Hand drücken.

»Und jetzt entspann dich mal!«, rät er mir noch.

»Okay.« Ich richte meinen Blick auf den Fernseher, jedoch habe ich den Faden verloren und komme nicht mehr in den Film rein. Vielleicht hätte ich doch nachgeben sollen. Mein Blick fällt auf meine Gäste und ich ertappe Timm dabei, wie er mich ebenfalls mustert. Er sieht rasch fort. Doch durch ihn wird alles noch komplizierter. Vor Diana und Torben hätte ich weniger Hemmungen.

Fuck. Vielleicht ist Holger nachher noch online, wenn sie weg sind. Nein, bestimmt nicht, wenn er morgen schon um fünf aufstehen muss. Scheißidee mit dem Filmabend. Ich kann gar nicht mehr nachvollziehen, wieso ich nachgegeben habe. Natürlich ist Holger jetzt sauer. War ich gestern ja auch. Und einer muss nachgeben.

»Eike!«, sagt Torben plötzlich streng. »Vergiss dieses Arschloch jetzt endlich!«

»Klappe, Täubchen.« Ich trinke meinen Wein aus, schnappe mir meinen Laptop und verlasse das Zimmer.

Hinter mir höre ich Torben frustriert aufstöhnen. »Ich verstehe einfach nicht, wieso immer alle auf Arschlöcher stehen müssen.«

Ich bin schwul. Natürlich stehe ich auf Arschlöcher. Doch obwohl mir die Erwiderung gefällt, verbeiße ich sie mir und schließe stattdessen lieber die Schlafzimmertür hinter mir. Diskussion beendet. Leider habe ich keinen Schlüssel, aber zumindest Diana und Timm werden hier wohl kaum unangemeldet reinschneien.

Noch einmal tief durchatmend lasse ich mich auf das Bett nieder und fahre den Computer hoch. Es dauert wie immer viel zu lange. Endlich lädt Skype und ich melde mich an. Als ich sehe, dass Holger immer noch online ist, beginnt mein Herz ein bisschen schneller zu schlagen. Ich rufe ihn direkt an. Es ist wie ein Déjà-vu, als das Anruffenster verschwindet. Genau wie vorgestern, als er zu müde war. Er hat mich abgeblockt.

Hey, es tut mir leid, schreibe ich. Hab es mir anders überlegt. Will dich sehen.

Es tut sich nichts. Ich warte geschlagene fünf Minuten vor meinem Bildschirm, bis mich die Ungeduld packt und ich eine weitere Nachricht schreibe: Bist du da?

Nach weiteren zehn Minuten geht Holger einfach offline. Okay. Das schmerzt. Eigentlich hatten wir abgemacht, nicht zerstritten schlafen zu gehen, wenn es die Möglichkeit gibt, die Sache zu klären. Ich habe mich entschuldigt und nachgegeben. Weiter kann ich ihm doch gar nicht entgegenkommen.

»Eike?« Torben klopft an die Tür. »Machst du Schweinkram?«

Ich antworte nicht. Keine Ahnung, wie lange ich jetzt schon hier liege. Macht sicher einen großartigen Eindruck auf den Praktikanten, wenn der Gastgeber und Chef ins Schlafzimmer verschwindet und Liebeskummer hat. Letztlich ist es dieser Gedanke, der mich dazu bewegt, aufzustehen und die Tür zu öffnen. »Nein.«

Torben seufzt, als er mich sieht, und zieht mich spontan in seine Arme. »Mann, Eike, das ist er doch echt nicht wert.«

»Wie willst du das beurteilen können?« Ich schiebe ihn von mir. »Du kennst ihn doch gar nicht wirklich.«

»Nein, vielleicht nicht so gut wie du, aber ich habe eine Schublade für solche Typen und bisher passt er da auch ganz hervorragend rein.« Torben schiebt seinen Unterkiefer angriffslustig vor. Seine blauen Augen mustern mich hingegen immer noch besorgt.

»Er ist nicht so schlimm, wie du vielleicht denkst«, behaupte ich dennoch. »Es ist nur…« Ich muss tief Luft holen, ehe ich es ausspreche. »… wahrscheinlich ohnehin das Ende unserer Beziehung.«

»Wenn du das denkst, wieso lässt du dich so behandeln?«

»Ich schätze, weil keiner von uns der sein will, der zuerst aufgegeben hat«, erkläre ich leise. »Und weil ich Gefühle für ihn habe und hoffe, dass er zurückkommt.«

»Idiot.« Torben schüttelt den Kopf. »Du hast übrigens den Film verpasst. Willst du dir noch einen zweiten mit uns angucken oder sollen wir gehen?«

»Nein, es ist ja erst…« Ich sehe auf meine Uhr. »Halb elf. Und ich denke, ich brauche jetzt Alkohol. Allein trinken ist blöd.« Leiser füge ich hinzu. »Ungünstig nur, dass Timm da ist.«

»Ach, der ist doch schon groß«, flüstert Torben zurück. »Ich denke nicht, dass er dich weniger respektiert, wenn er kapiert, dass du auch nur ein Mensch bist und ein Herz hast. Im Gegenteil. Das könnte dem Arbeitsklima eher helfen. Wir haben uns doch auch gleich angefreundet. Und Diana und du sind ja schon immer ganz dicke.«

»Aber du bist auch kein Azubi«, entgegne ich eigen. »Und mit Diana bin ich seit der Ausbildung befreundet.«

»Eben. Da willst du ihn doch nicht außen vor lassen.« Torben drückt meine Schulter und gibt mir dann einen Schubs. »Auf jeden Fall darfst du dir ruhig die Kante geben. Das verkraftet er schon.«

Ich gebe nach, weil ich das nicht weiter erörtern will, solange Timm bei mir im Wohnzimmer hockt. »Also, was gucken wir als Nächstes?«

»The Fast and the Furious.«

»Timms Idee?«

»Ja, und eine gute.« Torben zieht mich zurück ins Wohnzimmer.

»Alles okay?«, will Diana wissen, als ich mich auf meinen Sessel hocke.

Ich schüttle nur den Kopf. Es ist nichts okay zwischen Holger und mir. Aber ich will nicht mehr daran denken. »Habt ihr schon mit dem Wodka angefangen?«

»Nein, wir haben auf dich gewartet«, antwortet Torben und greift nach der Flasche.

***

Ich wache mit einem tierischen Brummschädel auf. Mir entweicht ein Stöhnen und ich versuche, mich tiefer unter die Decke zu wühlen, ohne meinen Kopf mehr als nötig zu bewegen. Scheiße. Meinem Magen ging es auch schon mal besser. Ich sollte was trinken. Wasser oder Tee. Irgendwas. Aber dafür müsste ich mich ja bewegen. Aua.

Plötzlich wird mir bewusst, dass ich leise Atemzüge höre. Ich bin nicht allein. Dass es Holger nicht sein kann, ist mir beinahe sofort bewusst. Deshalb habe ich ja diese Schmerzen. Holger hasst es, wenn ich zu viel trinke, das hat mich immer vor dem Schlimmsten bewahrt.

Ganz vorsichtig öffne ich mein linkes Auge einen Spaltbreit. Decke. Hm. Ich richte mich bedächtig auf und versuche, auch das andere Auge zu öffnen. Ein tätowierter Arm, eigentlich ist es eine tätowierte Schulter. Männlich. Ich wusste gar nicht, dass Torben ein so großes Tattoo hat. Moment. Dunkle Haare. Das ist nicht Torben.

Oh mein Gott! Ruckartig setze ich mich auf und starre mit pochenden Kopfschmerzen angestrengt auf den Schlafenden hinab. Der Praktikant liegt in meinem Bett! Er hat nicht mal ein Shirt an!

Ich auch nicht. Und ich kann mich wirklich nicht erinnern, wie wir hier gelandet sind. Ich taste unter die Bettdecke und atme erleichtert auf. Immerhin trage ich noch meine Pants. Natürlich trage ich noch meine Pants. So betrunken kann ich gar nicht gewesen sein.

Nur kann ich mir wirklich nicht erklären, wie er in meinem Bett gelandet ist, und mit ihm halte ich es auch nicht länger darin aus. Es ist albern, aber es ist mir sehr unangenehm. Möglichst leise und vorsichtig schlüpfe ich aus den Laken und schleiche aus dem Zimmer. Mit jedem Schritt dröhnt mein Schädel und die Augen kriege ich immer noch nicht richtig auf. Mein erster Weg führt jedoch zu meinem Trockner. Ich weiß, dass ich da noch eine Wäscheladung mit einer Hose drin haben muss.

Tatsächlich. Dankbar schlüpfe ich in die Jeans und hole mir eine Flasche Wasser aus der Vorratskammer. Damit setze ich mich in die Küche und… warte. Es ist erst acht. Keine Ahnung, ob Timm ein Langschläfer ist. Aus der Wohnung höre ich auch keine Geräusche, demnach haben es Torben und Diana wohl nach Hause geschafft. Nach einer Weile treibt mich meine Neugier dennoch ins Wohnzimmer.

Es ist verlassen. Keine Spur von meinen anderen Mitarbeitern. Also nur Timm. Ausgerechnet. Mein Handy liegt noch im Wohnzimmer. Ich greife danach, lasse mich auf der Couch nieder, auf dem Tisch davor türmen sich die Bier- und Weinflaschen und eine leere Flasche Wodka. Wow, das haben wir alles getrunken. Kein Wunder, dass mein Kopf gleich explodiert und mein Magen selbst gegen das Wasser rebelliert.

Ich schreibe Torben eine SMS: Nur so aus Neugier: Was macht Timm in meinem Bett?

Zu meiner Überraschung erhalte ich bereits kurz darauf eine Antwort: War zu betrunken, um heimzugehen. Keine Sorge, du warst auch zu betrunken, um noch was mit ihm anfangen zu können.

Wieso hast du ihn nicht mitgenommen und bei sich abgeladen?, schreibe ich zurück.

Selbst zu betrunken und Timm wollte nicht. Bin bei Diana.

Diana wohnt nur ein paar Straßen von hier entfernt. Da hätten sie Timm auch echt mitnehmen können. Aha.

Vielleicht dachten sie, es wäre so am ungefährlichsten. Packen wir den Hetero-Mann zum Homo und den anderen Homo zur Frau ins Bett. Eigentlich ganz clever. Und ein bisschen gespannt, wie Timm auf seinen Aufenthalt bei mir reagiert, bin ich auch. Vielleicht könnte ich es sogar mit Humor nehmen, wenn ich nicht diesen verfluchten Kater hätte.

Langsam leere ich die Flasche Wasser. Danach gehe ich aufs Klo und anschließend in die Küche, um etwas gegen die Kopfschmerzen einzunehmen. Da ich gerade da bin, stelle ich auch gleich die Kaffeemaschine an und schmeiße ein paar Aufbackbrötchen in den Ofen. Als ich den Kühlschrank nach etwas Essbarem durchforste, höre ich leises Schlurfen aus Richtung Schlafzimmer.

Kurz darauf erscheint ein verschlafender, leicht zerknautscht wirkender Timm in der Tür. Seine Haare stehen unordentlich ab und er trägt immer noch kein Hemd. Sein Anblick schockiert mich, weil er so überraschend sexy ist. Trotz seines Alters ist seine Muskulatur ausgeprägt. Dazu kommt ein hübscher, schmaler Steg an dunklen Härchen, der von seinem Bauchnabel in seine Hose führt. Oh Mann.

Um nicht zu starren, widme ich mich wieder dem Kühlschrankinhalt. Die Abkühlung ist ebenfalls willkommen. »Morgen. Hast du Hunger?«

»Nicht wirklich«, krächzt er mit heiserer Stimme. »Aber hast du was zu trinken? Leitungswasser ist auch okay.«

»In der Vorratskammer. Die Tür.« Ich deute mit meiner Hand in die entsprechende Richtung. Dann nehme ich den Käse, der noch essbar aussieht, die Marmelade, die wahrscheinlich ewig hält und eine noch geschlossene Packung Salami aus dem Kühlschrank, lege alles auf den Tisch und setze mich wieder vor meine Teetasse.

»Ich habe auch Kaffee gemacht«, biete ich ihm an.

»Wasser ist erst mal okay.«

»Brauchst du ein Aspirin?«

»Das wäre gut.«

»Liegt hier…« Ich schiebe sie in seine Richtung, als er an den Tisch kommt.

Vorsichtig setzt er sich mir gegenüber auf den Stuhl. Nachdem er die Tablette runtergespült hat, runzelt er die Stirn und reibt sich immer noch verschlafen über die Augen. »Was mache ich eigentlich noch hier?«

Das wüsste ich auch gerne. »Du hast den Heimweg anscheinend nicht mehr gefunden und Torben hat dich in mein Bett gepackt.«

»Oh.« Sein Stirnrunzeln wird tiefer. »Hast du mein T-Shirt irgendwo gesehen?«

»Nein.« Es wäre mir allerdings ganz recht, wenn er sich was überzieht. Nicht, dass ich so etwas nicht gerne sehe. Vielleicht ein bisschen zu gerne und das ist das Problem. Er ist mein Praktikant, verdammt noch mal.

Er zuckt mit den Schultern. »Hab es im Schlafzimmer nirgends gefunden.«

»Komisch. Vielleicht im Bad oder Wohnzimmer?«