Kaltes Lachen – Kriminalroman – Tod in München: Der erste Fall für Schmidtbauer und van Royen, den gemütlichen bayerischen Kommissar und die pfiffige holländische Polizistin - Harry Luck - E-Book
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Kaltes Lachen – Kriminalroman – Tod in München: Der erste Fall für Schmidtbauer und van Royen, den gemütlichen bayerischen Kommissar und die pfiffige holländische Polizistin E-Book

Harry Luck

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Beschreibung

Die Münchner Kabarettszene zeigt ihr blutrotes Lachen: der packende Kriminalroman »Kaltes Lachen« von Harry Luck jetzt als eBook bei dotbooks. Wer zuletzt lacht … Als der berühmte Kabarettist Lorenz Merz in München auf der Bühne erschossen wird, ist das Entsetzen groß: ein langjähriger Publikumsliebling – eiskalt hingerichtet! Der Verdacht fällt bald auf die Vertreter eines belgischen Medienkonzerns, die das Geschäft mit dem Humor um jeden Preis an sich reißen wollen … auch wenn es bedeutet, die klassische Kabarettszene auszulöschen. Als sich die Hinweise verdichten, dass weitere Leben in Gefahr sind, müssen Kommissar Lukas Schmidtbauer und seine Kollegin Anneke van Royen unter Hochdruck ermitteln – und übersehen dabei die Gefahr, die in den eigenen Reihen lauert … Brisant, hochspannend, temporeich: Harry Luck verbindet erstklassiges »Tatort«-Feeling mit feinem Lokalkolorit und einem ungleichen Ermittler-Duo, das enthüllt, welche Abgründe hinter der Fassade von Münchens feiner Gesellschaft lauern. »Ein absoluter Spannungskünstler.« Bayerischer Rundfunk »Harry Luck ist ein Garant für großartige Großstadtkrimis.« Reinhard Jahn, Organisator des Deutschen Krimipreises Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Kaltes Lachen – Der erste Fall für Schmidtbauer und van Royen« von Harry Luck – ein Großstadtkrimi mit Regio-Charme. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 291

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Über dieses Buch:

Wer zuletzt lacht … Als der berühmte Kabarettist Lorenz Merz in München auf der Bühne erschossen wird, ist das Entsetzen groß: ein langjähriger Publikumsliebling – eiskalt hingerichtet! Der Verdacht fällt bald auf die Vertreter eines belgischen Medienkonzerns, die das Geschäft mit dem Humor um jeden Preis an sich reißen wollen … auch wenn es bedeutet, die klassische Kabarettszene auszulöschen. Als sich die Hinweise verdichten, dass weitere Leben in Gefahr sind, müssen Kommissar Lukas Schmidtbauer und seine Kollegin Anneke van Royen unter Hochdruck ermitteln – und übersehen dabei die Gefahr, die in den eigenen Reihen lauert …

Brisant, hochspannend, temporeich: Harry Luck verbindet erstklassiges »Tatort«-Feeling mit feinem Lokalkolorit und einem ungleichen Ermittler-Duo, das enthüllt, welche Abgründe hinter der Fassade von Münchens feiner Gesellschaft lauern.

»Ein absoluter Spannungskünstler.« Bayerischer Rundfunk

»Harry Luck ist ein Garant für großartige Großstadtkrimis.« Reinhard Jahn, Organisator des Deutschen Krimipreises

Über den Autor:

Harry Luck wurde 1972 in Remscheid geboren, ist ausgebildeter Redakteur und studierte in München Politikwissenschaften. Er berichtete viele Jahre für verschiedene Medien über Politik, Kultur und Wirtschaft in München und Bayern. Heute lebt er mit seiner Familie in Bamberg. Wenn er nicht an weiteren Kriminalromanen arbeitet, ist er als Pressesprecher für das Erzbistum tätig.

Die Website des Autors: www.harryluck.de/

Der Autor im Internet: www.facebook.com/luck.harry und www.instagram.com/luck_harry/

Harry Luck veröffentlichte bei dotbooks außerdem den Kriminalroman Kaltes Spiel – Ein Fall für Schmidtbauer und van Royen.

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe September 2019

Dieses Buch erschien bereits 2011 unter dem Titel Lachen und Schießen bei Hermann Josef Emons Verlag

Copyright © der Originalausgabe 2011 Hermann Josef Emons Verlag

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Kai Gathemann GbR

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut, Atelier für Gestaltung, Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © Shutterstock / Stefan Wilmer / Georgina Montagu / Honza Krej

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-760-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Kaltes Lachen an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

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Besuchen Sie uns im Internet:

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Harry Luck

Kaltes Lachen

Ein Fall für Schmidtbauer und van Royen

dotbooks.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

»Die besonders guten Kabarettistenkönnen jederzeit auch Comedians sein.«

Dieter Hildebrandt

»Ich mache kein politisches Kabarett,ich mache diesen Alltag,und der besteht nun mal zu neunzigProzent aus Männern und Frauen.«

Mario Barth

EINS

»Willkommen ... München-Hauptbahnhof ... Anschlussverbindungen ... Budapest ... Landshut ... Bad Reichenhall ... Service Point.«

Es waren nur Wortfetzen, die sie von der Durchsage in der Bahnhofshalle verstehen konnte. Dabei sprach sie perfekt Deutsch, und das, obwohl sie ihr gesamtes, bisher achtundzwanzig Jahre währendes Leben in den Niederlanden gelebt und auch mit ihrer deutschen Mutter ausschließlich Holländisch gesprochen hatte.

Anneke van Royen stand mit einem schwarzen Hartschalenkoffer und einem abgewetzten Eastpak-Rucksack auf dem zugigen Bahnsteig von Gleis vierzehn des Münchner Hauptbahnhofs und strich sich eine widerspenstige blonde Strähne aus dem Gesicht. Zwischen den Hunderten Reisenden, die entweder hektisch umherliefen oder gelangweilt auf verspätete Züge warteten, kam sie sich verloren vor. Sekunden, vielleicht auch Minuten wartete sie regungslos auf dem Bahnsteig in der düsteren riesigen Halle ab und ließ alles um sich herum einfach nur geschehen. Sie zog den Reißverschluss ihrer Windjacke bis zum Kinn hoch. Der Herbst in Bayern war kalt.

Das Angebot, sich von den neuen Kollegen abholen zu lassen, hatte sie selbstbewusst ausgeschlagen. Ich bin doch kein kleines Mädchen mehr, hatte sie gedacht und sich erklären lassen, dass das Münchner Polizeipräsidium nur zwei S-Bahn-Stationen vom Hauptbahnhof entfernt lag. Kein Problem für eine erfahrene Kriminalbeamtin. Wenn sie im Rahmen des sechsmonatigen Europol-Austauschprogramms ihren kriminalistischen Spürsinn unter Beweis stellen wollte, dann durfte sie nicht daran scheitern, dass sie ihren neuen Arbeitsplatz nicht fand. Ihr bisheriger Arbeitgeber war der »Dienst Nationale Recherche des Korps Landelijke Politiediensten« gewesen, und sie war stolz darauf, für das deutsch-niederländische Austauschprogramm ausgewählt worden zu sein.

Wieder wurde etwas durchgesagt, was nach einem verspäteten Eurocity aus Wien klang. Immerhin hatte der Münchner Hauptbahnhof auch einen Vorteil: Man konnte nicht in die falsche Richtung gehen, nachdem man aus dem Zug ausgestiegen war. In dem Sackbahnhof gab es nur eine Richtung. Anneke konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen hässlicheren Bahnhof gesehen zu haben. War München nicht die Stadt der Prachtbauten und Schlösser? Der Isar und des Englischen Gartens? Warum wurden Besucher dann in einem monströsen Betonbunker mit dem Charme einer Fabrikhalle empfangen? Endlich löste sie sich aus ihrer Starre und ließ sich mit der Menschenmasse treiben, wobei sie von einem älteren Herrn angerempelt wurde, der sich aus unerfindlichen Gründen gegen den Strom bewegte. Der Weißhaarige raunzte ihr etwas zu, das sie weder als Deutsch noch als sonst eine ihr geläufige Sprache identifizieren konnte. Auch der Schriftzug »Service Point«, vor dem sie kurz darauf stand, war natürlich nicht in Deutsch formuliert, aber den Ausdruck verstand sie wenigstens. Sie zückte einen kleinen gelben Zettel aus ihrem Portemonnaie, auf dem sie »Polizeipräsidium Ettstraße« und »S-Bahn Marienplatz« notiert hatte. In Waalwijk, ihrem kleinen Heimatort in Nordbrabant, gab es keine S-Bahn und seit Jahrzehnten auch keinen Bahnhof mehr. Mit dem gelben Bus war sie bis Tilburg gefahren und von dort siebeneinhalb Stunden mit der Bahn über Düsseldorf bis nach München. Während der Fahrt hatte sie zweihundertzwanzig Seiten »Harry Potter« auf Deutsch und die komplette »Süddeutsche Zeitung« vom Vortag gelesen, die es am Tilburger Bahnhofskiosk zu kaufen gab – zum Training.

»Entschuldigen Sie, wie komme ich von hier am besten zur Ettstraße?«

Der Mann am Service Point schaute gutmütig und hilfsbereit, doch als er den Mund öffnete, drangen nur eigenartige Geräusche heraus: »Gengan S' do grodaus, d'Rolltreppn nunter, dann rechts, und dann seng S' scho a Schuidl zur S-Bahn, und dann nehman S' irgenda Bahn Richtung Marienplatz und steing noch zwoa Stationen wieder aus, junge Frau.«

Anneke hatte kaum ein Wort außer »Rolltreppe« und »Marienplatz« verstanden. Trotzdem bedankte sie sich höflich und ging einige Meter weiter zum Zeitschriftenstand, an dem sie die aktuelle »Süddeutsche« und einen Stadtplan kaufte.

Den werde ich wohl oder übel brauchen, dachte sie und hatte kein Problem, den türkischen jungen Mann an der Kasse zu verstehen.

Als sie auf einem Reklameschild eines Blumenhändlers im Laden neben dem Zeitschriftenstand »Blumen aus Holland« las, wurde ihr langsam bewusst, dass sie fern der Heimat fast am Ziel ihrer Reise angekommen war. Eigentlich war es mehr als nur eine Reise. Es war eine Flucht, auch wenn Anneke sich das nur ungern eingestand. Die achthundert Kilometer entfernte Millionenstadt war perfekt, um abzutauchen und zu vergessen. Und mal wieder etwas Neues anzufangen. Hier würde sie nur eine unter Hunderten von Polizistinnen sein und nicht bei jeder Verkehrskontrolle als die Versagerin aus der Zeitung erkannt werden. Sechs Monate waren keine lange Zeit. Aber lange genug, um sich selbst zu beweisen, dass sie noch immer eine gute Polizistin war.

***

»Sehr komisch«, sagte Alfons Hedderich an der Stelle, wo im Manuskript ein kleines 1 notiert war, das Zeichen für einen erwarteten Lacher des Kabarettpublikums. Doch bei der Probe auf der kleinen Bühne der Lach-Kompanie bestand das Publikum ausschließlich aus dem Betreiber des traditionsreichen Kabaretttheaters. Und wenn Alfons Hedderich »sehr komisch« sagte, dann glich das einem Todesurteil ohne Chance auf Begnadigung. Denn »komisch« sollte es bei der Lach-Kompanie nicht zugehen. Komik überließ Hedderich lieber den affenähnlichen Gestalten, die Abend für Abend die Sendeplätze der Privatsender mit Programmen verstopften und damit unter dem Begriff »Comedy« das Umfeld für teure Werbezeiten schufen. Ihm zufolge war Kabarett geistreiche und intelligente Unterhaltung. Aber nicht komisch.

»Diese Männer-Frauen-Scheiße über Fernbedienungen, Lockenwickler und Einparkprobleme kann ich wirklich nicht mehr hören!«

Hedderich nahm seine kleine schwarze Lesebrille ab und lockerte den blauen Seidenschal, seit Jahren das Markenzeichen des Altmeisters der Münchner Kabarettszene. Schon lange haderte er nicht mehr damit, dass er seit einem Schlaganfall vor elf Jahren nicht mehr selbst auf der Bühne stehen konnte. Manchmal war er sogar froh darüber, nicht erleben zu müssen, dass sein hochpolitisches Kabarett, wie er es als Ensemblemitglied der Lach-Kompanie jahrzehntelang dargeboten hatte, heute kaum noch zu vermitteln gewesen wäre. Dennoch wollte er nicht zulassen, dass auf seiner Bühne trivialer Gossenhumor aufgeführt wurde. Von Lorenz Merz war er anderes gewohnt.

»Lorenz!«, rief er in Richtung Bühne, wo Merz im Scheinwerferkegel stand und gerade noch nicht auswendig gelernte Passagen aus der Rohfassung seines neuen Programms präsentiert hatte. »Was ist los mit dir? Du hast es doch überhaupt nicht nötig, dich auf das Niveau dieser Knallfrösche aus dem ›Quatsch-Comedy-Club‹ zu begeben! Ich habe es dir von Anfang an gesagt: Es war ein Fehler, dass du dein neues Programm nicht mehr selbst geschrieben hast.« Nachdenklich massierte Hedderich sich das faltige Doppelkinn.

»Aber Ernst Grau hat Erfolg«, erwiderte Merz und kniff angesichts des grellen Scheinwerferlichts seine dunklen Augen zusammen. »Seit er für die ›Horst-Bendix-Show‹ schreibt, steigen dort erstmals seit vier Jahren wieder die Quoten. Max Metulskie füllt mit seinem Grau-Programm ganze Fußballstadien, und das, obwohl ihn vor einem Jahr noch fast niemand kannte!«

Merz, dessen wie immer braun gebranntes Gesicht ebenso im Scheinwerferlicht glänzte wie sein dunkelblondes geföhntes Haar, stieg von der Bühne hinunter und setzte sich in die erste Reihe neben Hedderich, der leise und abfällig murmelte: »Metulskie, dieser Pausenclown!«

»Ich weiß es doch auch nicht«, seufzte Merz. »Mein letztes Programm ›Scherz mit Merz VI‹ haben insgesamt weniger als tausend Leute gesehen. Du warst damit nicht zufrieden und hast gesagt, ich soll mir etwas Neues einfallen lassen. Und da habe ich gedacht ...«

»Grau ist ein guter Geschäftsmann. Was er anpackt, ist erfolgreich, ja, denn er trifft damit den Geschmack der Masse. Aber das ist Mainstream. Und Mainstream passt nicht auf eine kleine Kabarettbühne. Wir haben unser eigenes Profil, das wir schärfen müssen. Und das wird uns nicht gelingen, wenn wir das Gleiche bringen wie diese Pappnasenträger aus dem Unterschichtenfernsehen.«

Hedderich schwieg einen Moment, lockerte den Schal um seinen Hals und blickte Merz ernst an.

»Lorenz, es geht hier nicht um mein persönliches Humorverständnis. Es geht um die Existenz der Kompanie. Und das ist noch nicht einmal theatralisch übertrieben. Du weißt, dass wir in Schwierigkeiten stecken.« Ihm stockte die Stimme. »In verdammt ernsten Schwierigkeiten.«

»Ja, ich weiß, Alfons«, antwortete Merz leise. »Und ich weiß auch, was ich dir alles zu verdanken habe. Ich wäre heute vielleicht noch Requisiteur am Gärtnerplatz-Theater, wenn du damals nicht meine Rede als Hochzeitsclown gehört hättest und mich daraufhin –«

»Ja, ja, jetzt lass uns mal nicht sentimental werden, Lorenz. Das ist fast dreißig Jahre her, und noch ist nicht aller Tage Abend.« Die Luft im Bühnenraum war stickig, die Klimaanlage nicht eingeschaltet. Hedderich atmete tief durch und erhob seinen massigen Körper mühsam aus seinem Stuhl, wenn er für seine einundsiebzig Jahre auch vergleichsweise fit und rüstig war. »Wenn du unbedingt mit diesem Grau zusammenarbeiten willst, dann sprich noch mal mit ihm. Sag ihm, dass wir hier keine Komiker brauchen, sondern Kabarettisten. Wir sind nicht die Gag-Factory.« Er sprach den Namen des Medien- und TV-Giganten aus, als rotze er den üblen Geschmack eines verkaterten Morgens ins Pissoir. »Und jetzt machen wir für heute Schluss.«

Merz nickte stumm, rollte sein Manuskript zusammen, steckte es in die Innentasche seines Leinensakkos, das er wie immer über einem Hemd mit zwei geöffneten Knöpfen trug, und verließ den Raum mit einem gutturalen »Servus, Alfons!«.

Hedderich blieb zurück und starrte minutenlang regungslos Richtung Bühne, auf der ein leerer Stuhl im Scheinwerferkegel stand.

***

»Wir könnten ihr Tulpen auf den Schreibtisch stellen«, schlug Hauptkommissar Lukas Schmidtbauer vor und stimmte mit Heintje-Akzent an: »Wenn der Frühling kommt, dann schick ich dir ... Tulpen aus Amsterdam ...«

»Sehr komisch. Außerdem ist Herbst, da gibt's keine Tulpen«, grummelte Hubert Neidlinger, Leiter der dritten Mordkommission, in seinen grauen Vollbart hinein. In den über dreißig Jahren im Polizeidienst hatte er schon viele Hospitanten kommen und gehen sehen. Das Gastspiel der niederländischen Kollegin in der Männer-WG betrachtete er als willkommene Abwechslung, um die Zeit bis zum Vorruhestand abzukürzen. Es waren nur noch etwas mehr als zwei Jahre. Die MK 3 wurde intern als Männer-WG bezeichnet, weil sie inzwischen die einzige Mordkommission bei der Münchner Kripo ohne weibliche Ermittlerin war. Offiziell war es ein Zufall, dass Bewerberinnen niemals in Neidlingers Zuständigkeitsbereich versetzt wurden, doch den verantwortlichen Beamten im Personalreferat des Polizeipräsidiums war seit vielen Jahren bekannt, dass Frauen mit Dienstwaffe und Dienstgrad im Weltbild des Achtundfünfzigjährigen keinen Platz hatten. Dass inzwischen zwei der fünf Mordkommissionen sogar von Frauen geleitet wurden, das würde Neidlinger für immer unbegreiflich bleiben. Und dass die holländische Gastarbeiterin jetzt ausgerechnet ihm zugeteilt worden war, konnte er sich nur damit erklären, dass in seiner Abteilung seit über einem halben Jahr ein Schreibtisch verwaist war. Ein Kollege war als Dozent an das Ausbildungsinstitut der bayerischen Polizei in Ainring berufen und seine Stelle nicht nachbesetzt worden.

»Ist sie wenigstens hübsch? Zeig mal her«, sagte Kies Grötzinger und griff nach der Personalmappe, die vor Neidlinger lag.

Eigentlich hatten sich die Mitglieder der MK 3 in Neidlingers Büro wie jeden Morgen um halb neun versammelt, um die anliegenden Aufgaben des Tages zu besprechen. Da es, abgesehen von einem unbekannten Toten am Flaucher mit ungeklärter Todesursache, derzeit kein aktuelles ungeklärtes Tötungsdelikt in der Stadt gab, befassten sich die Mordkommissionen mit Altfallbearbeitung. Routinemäßig wurden immer wieder die Akten ungeklärter Mordfälle hervorgeholt, um jede Spur neu zu beleuchten. Mit Hilfe der DNA-Technik gelang es immer häufiger, fast vergessene Delikte anhand einfacher Datenabgleiche aufzuklären. Geschlossen wurde die Akte eines ungelösten Mordes jedenfalls nie. Doch heute ging es nicht um ungelöste Fälle, sondern um Anneke van Royen, die zum ersten Tag ihres Europol-Austauschprogramms erwartet wurde.

»Hübsches Meisje«, sagte Kies, dessen abschätzender Blick auf das Porträtfoto in der Personalmappe keinen Zweifel daran ließ, dass er als Kenner der Materie sprach und sich ein rasches Urteil erlauben konnte. Auf dem Bild blickte Anneke van Royen ernst, ihre Haare waren streng zum Pferdeschwanz zurückgekämmt, und nur eine widerspenstige Strähne über dem linken Ohr verlieh der jungen Frau eine winzige freche Note. »Vielleicht spricht sie ja wie Linda de Mol«, meinte Schmidtbauer, bevor er wieder zu singen begann: »Lass dich überraschen, schnell kann es geschehn ...«

»... werden Wunder Wirklichkeit, werden Träume wahaaar«, stimmte Kies ein, untermalte die Melodie mit seinem Zeigefinger und schnalzte abschließend mit der Zunge. Alle drei lachten laut.

»Vom Alter her passt sie ja in dein Beuteschema«, frotzelte Schmidtbauer. »Natürlich nur für den Fall, dass du mit deiner schönen Helena noch nicht ausgelastet bist.«

Dass der zweiundvierzigjährige Kies Grötzinger neben seiner sechzehn Jahre jüngeren Freundin Babette auch noch eine lockere Sekundärbeziehung mit der wiederum weitere zwei Jahre jüngeren Kommissaranwärterin Helena Frings vom Kriminaldauerdienst am Laufen hatte, das war im Präsidium ein offenes Geheimnis. Kies' Mühe, die Affäre geheim zu halten, hielt sich aber auch einigermaßen in Grenzen. Schließlich würde Helena bei jeder Wahl zur Miss Bayern auf einem der vorderen Plätze landen. Davon jedenfalls war nicht nur Kies Grötzinger überzeugt.

»Mal wieder ernsthaft, Männer.« Neidlinger schaute auf seine Armbanduhr. »Fräulein van Royen kann jeden Augenblick hier –«

»Fräulein?«, fragte Kies.

»Jedenfalls steht hier bei Familienstand ›ledig‹«, sagte Neidlinger. »Also, wollen wir unserer neuen Kollegin nun zum Einstieg eine kleine Freude machen? Sie hat in ihrer Bewerbung für das Austauschprogramm als persönliche Interessen ›Kino, Theater und Kabarett‹ angegeben.«

»Hm, und sie spricht gut Deutsch?«, vergewisserte sich Schmidtbauer. »Im Cuvilliés-Theater läuft gerade ›Clavigo‹.«

»Nee, wir müssen ja nicht gleich mit Deutsch für Fortgeschrittene anfangen«, wehrte Kies ab. »Das ist ja selbst mir zu hoch, obwohl ich relativ gut Deutsch spreche und verstehe.«

»Die Holländerin hat sogar einen deutschen Pass«, sagte Neidlinger mit Blick in die Unterlagen. »Ihre Mutter ist Deutsche, stammt vom Niederrhein. Aber Kies hat schon recht. Goethe zum Einstieg wäre tatsächlich etwas harte Kost, und ein Kinoabend wäre auch nicht sehr gesellig. Wie wär's mit gemütlichem Kabarett?« Neidlinger blickte seine Kollegen fragend an. Als niemand widersprach, schlug er vor: »Im Lustspielhaus tritt Bruno Jonas auf. Der ist gut. Hab ich neulich erst im ›Satire-Gipfel‹ gesehen.«

»Der war auch mal der Bruder Barnabas auf dem Nockherberg«, sagte Kies.

»Kann sein«, erwiderte Neidlinger. »Aber dir ist schon bewusst, dass du dich dann umziehen müsstest. Mit deinem Rolling-Stones-T-Shirt nehme ich dich jedenfalls nicht mit ins Kabarett.«

»Für spontane Theaterbesuche und Beerdigungen hab ich immer ein weißes T-Shirt und ein schwarzes Sakko im Spind«, sagte Kies und grinste.

»Lukas, du kannst das doch so gut mit dem Internet ...«

Schmidtbauer verdrehte die Augen. »Ja, ja, Chef. Ich schau mal, ob es noch Karten gibt.« Dass Neidlinger sich noch vor der Pensionierung überwinden würde, auf seinem PC einen Internetbrowser zu installieren, galt als unwahrscheinlich. Dass er überhaupt die elektrische Schreibmaschine vor einigen Jahren gegen einen Computer hatte austauschen lassen, schien von seiner Seite her das größtmögliche Zugeständnis an die technischen Entwicklungen des neuen Jahrhunderts gewesen zu sein. Die auf seinen Visitenkarten standardmäßig aufgedruckte E-Mail-Adresse »[email protected]« hatte er anfangs noch mit Tipp-Ex übermalt, später dann mit Kugelschreiber durchgestrichen, und inzwischen wussten alle Kollegen, dass man den Chef der MK 3 am zuverlässigsten per Fax, mit einem braunen Hauspostumschlag oder über den Telefonapparat erreichte, der in diesem Moment mit einem schrillen Ton einen internen Anruf signalisierte. Neidlinger meldete sich mit seinem Namen, der für jeden, der ihn nicht kannte, wie ein undefinierbares, im Bartgestrüpp untergehendes »Nhmmmmr« klingen musste. Ohne dem Anrufer zu antworten, legte er wieder auf, blickte in die Runde und sagte: »Wir wollten doch ins Kabarett. Es gibt Arbeit.«

***

»Nehmen Sie Platz, Herr Hedderich.« Thilo Baier, Geschäftskundenberater im Bankhaus Pröll & Jansen, war wie immer höflich und zuvorkommend. »Aber ich fürchte, wenn sich an Ihrer Situation seit unserem letzten Gespräch nichts geändert hat –«

Die Klimaanlage war auf einige Grad unter der Wohlfühltemperatur eingestellt, und in der Luft hing das Aroma von Essigreiniger. Das Büro im vierten Stock wurde von einem gläsernen Schreibtisch dominiert, an der Wand dahinter hing ein Gemälde, das auf einer riesigen weißen Leinwand rote und gelbe Farbkleckse unterschiedlicher Form und Größe zeigte. Moderne Kunst.

»Herr Baier«, unterbrach ihn Hedderich, während er sich auf den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch setzte und überlegte, wie teuer die Farbkleckserei an der Wand wohl gewesen sein mochte. »Ich weiß ja, dass Männer über siebzig in Ihrem Gewerbe nicht mehr als kreditwürdig gelten, aber hier geht es nicht um mich. Sie haben es in der Hand, mit einem für Ihr Haus lächerlichen Betrag eine der traditionsreichsten deutschen Kabarettbühnen zu retten.« Hedderich redete sich in Rage. »Es geht hier nur um die Überbrückung eines kleinen Liquiditätsengpasses. Die Auszahlung zugesagter kommunaler Fördermittel hat sich –«

»Herr Hedderich«, fuhr der Bankier dazwischen, »wir haben dieses Gespräch schon ein Dutzend Mal geführt. Sie haben sich verspekuliert, sind überschuldet, und Ihre Einnahmen sind niedriger als die Ausgaben. Es gibt keine Sicherheiten mehr. Wenn Sie nichts Neues vorzutragen haben, dann vergeuden wir hier beide unsere wertvolle Zeit.«

»Die Zeitung hat eine Aktion gestartet. Es werden Spenden gesammelt zur Rettung der Lach-Kompanie«, setzte Hedderich mit verzweifelter Stimme noch einmal an. »Vielleicht wird das –«

»Ach, Herr Hedderich.« Baier verdrehte die Augen Richtung Zimmerdecke. »Was soll das bringen? Tausend Euro? Oder fünftausend? Und selbst wenn es zehntausend werden sollten. Auch damit ist Ihnen nicht zu helfen. Gutmenschentum hat noch nie ein Unternehmen aus einer existenziellen Krise gerettet. Das wissen Sie selbst, wenn Sie ehrlich sind. Die Leute sollten besser für hungernde Kinder in der dritten Welt spenden. Oder für Obdachlose oder das Tierheim anstatt für das Honorar eines Insolvenzverwalters. Vielleicht sollten Sie lieber mit potenziellen Investoren über eine zukunftsfähige –«

»Ich will aber keine Verhandlungen mit dubiosen Spaßfabriken oder halbseidenen Finanzinvestoren führen!«, schrie Hedderich, während sich sein Gesicht rot färbte. Sein Atem wurde kürzer. »Eher hänge ich mich auf der Bühne auf, als dass ich mich zur Marionette irgendwelcher Gag-Manager machen lasse, die nichts anderes wollen als meine kleine ...« Er schnappte nach Luft.

»Herr Hedderich, jetzt regen Sie sich doch nicht so auf! Brauchen Sie ein Glas Wasser?«

Hedderich ließ sich in den Stuhl zurücksinken und versuchte langsam und tief durchzuatmen. Gedankenverloren knetete er sein Doppelkinn.

»Schon gut, schon gut«, flüsterte er fast. »Vielleicht haben Sie ja recht. Es hat alles keinen Sinn mehr. Vielleicht muss ich einfach hinnehmen, dass meine Zeit abgelaufen ist – und damit auch die Zeit der Lach-Kompanie.« Er erhob sich langsam von dem Stuhl und schritt auf das große Panoramafenster hinter Baiers Schreibtisch zu, von dem aus man über die Ludwigstraße zum Odeonsplatz blicken und über den Häuserdächern die Zwiebeltürme der Frauenkirche sehen konnte. Dunkle Wolken verfinsterten den Himmel. Hedderich kniff die Augen zusammen und konnte nicht verhindern, dass ihm eine Träne die Wange hinunterlief. Er hoffte, dass Baier nichts davon mitbekam. Als er seine Fassung wiedergewonnen hatte, räusperte er sich ein Mal, dann sagte er: »Herr Baier, ich gehe davon aus, dass Sie wissen, was Sie tun. Ich hatte gedacht, dass ...« Ohne den Satz zu vervollständigen, wandte sich Hedderich zur Tür um. »Auf Wiederschauen, Herr Baier.« Als er die Türklinke schon in der Hand hatte, hielt er inne und griff in die Innentasche seiner Jacke.

»Hier, nehmen Sie die!«

Baier nahm die Karten, die Hedderich ihm reichte. »Was ist das?«

»Zwei Karten fürs Kabarett. Heute Abend hat Toni Paroli Premiere.« Und fast unhörbar fügte er hinzu: »Vielleicht ist es das letzte Gastspiel in der Kompanie.«

Hedderich verließ schnell Baiers Büro und vermied es damit, den Banker in die Verlegenheit zu bringen, sich für das unverhoffte Geschenk bedanken zu müssen.

ZWEI

Ernst Grau hatte ein Radler bestellt. Merz fand, dass das Getränk zu seinem Autor passte: halb Bier, halb Limonade, nichts Richtiges. Eben eine halbe Sache. Genau wie seine Witze: Humor für jedermann. Gags für die Masse. Bloß niemandem auf die Füße treten.

»Hedderich ist auch nicht begeistert«, sagte Merz und wischte sich den Mund ab. Die Weißwürste hatte er gerade noch rechtzeitig vor dem Zwölf-Uhr-Läuten verzehrt und damit ein bayerisch-kulinarisches Sakrileg vermieden.

»No a Hoibe?«, fragte die Kellnerin vom Scheidegger, als sie den leeren Teller abräumte. Merz nickte ihr zu.

»Hedderich, Hedderich, Hedderich«, äffte Grau den Kabarettisten nach. Darin war er gut. Ins Showgeschäft war er vor vielen Jahren als Stimmenimitator mit dem Künstlernamen Pierre Lavendel und tuntigen Glitzeranzügen gekommen. Von Helmut Kohl über Marcel Reich-Ranicki bis zum Papst, damals natürlich noch der aus Polen, hatte sein Repertoire gereicht, mit dem er auf Kleinkunstbühnen, in Vorstadttheatern und Autohäusern aufgetreten war. Für kurze Zeit hatte er es sogar zu einer Vorabendshow im Fernsehen gebracht. »Hedderich ist ein Mann von gestern«, sagte er. »Er hat den Zug verpasst. Der ist längst ohne ihn abgefahren. Was er mit seiner Lach-Kompanie da betreibt, ist heute nicht mehr mehrheitsfähig und kommerziell zum Scheitern verurteilt. Du bist verloren, wenn du dich von diesem Kabarett-Dinosaurier abhängig machst. Glaub mir, Lorenz!«

Merz wusste, dass Grau eigentlich recht hatte. »Nicht mehrheitsfähig, kommerziell zum Scheitern verurteilt«: So musste man denken, wenn man es gewohnt war, mit billigen Pointen große Hallen zu füllen.

»Allein schon der Titel deines Programms: ›Scherz mit Merz‹«, fuhr Grau fort und redete sich in Rage, »das klingt doch wie ›Dalli Dalli‹ oder ›Nonstop Nonsens‹. Lorenz, das ist Siebziger-Jahre-Humor, den keiner mehr hören will. Ich habe dir ein Programm geschrieben, mit dem du noch kurz vor knapp den Absprung schaffen könntest. Ich kann es hinkriegen, dass du mit einem Ausschnitt im Schlachthof oder bei Horst Bendix auftrittst. Die nötigen Kontakte habe ich, das weißt du ja. Ein einziger Anruf genügt. Aber um Himmels willen, nenn das Programm nicht mehr ›Scherz mit Merz‹. Bitte! Bitte, hör nur dieses einzige Mal auf mich!«

Merz bedankte sich für das Helle, das ihm die Bedienung servierte.

»Aber ›Scherz mit Merz‹ ist seit vielen Jahren eine etablierte Marke. Damit hatte ich meinen Durchbruch, und dazu stehe ich. Außerdem will ich meine Fans nicht mit einem Programm erschrecken, das rein gar nichts mehr mit dem zu tun hat, was sie von mir kennen und gewohnt sind. Ich kann dein Programm einfach nicht bringen. Entweder –«

»Dann ist dir nicht mehr zu helfen, Lorenz!« Grau sprach etwas lauter als beabsichtigt. Einige der anderen Gäste des rustikal eingerichteten Lokals schauten sich erschrocken um. »Ich serviere dir fünfundsiebzig maßgefertigte Lacher auf dem Silbertablett, und du zierst dich wie eine Diva? Bist du dir deiner Lage eigentlich nicht bewusst? Wenn du weitermachst wie bisher, dann ist deine Karriere bald zu Ende!«

»So zu Ende wie deine, Monsieur Lavendel? Warum bist du denn kein erfolgreicher Kabarettist, wenn du doch so genau weißt, wie alles funktioniert? Wenn deine albernen Nummern so toll sind, dann stell du dich doch mit ihnen auf die Bühne!«

»Vielleicht sollte ich das wirklich tun, du ignorantes –«

»Vorsicht, der Herr!«

Offenbar hatten einige der Gäste die Protagonisten des Künstlerstreits erkannt. Gebannt beobachteten sie die Aufführung und mussten sich vermutlich beherrschen, keinen Szenenapplaus zu spenden.

»Ich werde dem Comeback von Pierre Lavendel jedenfalls nicht im Weg stehen«, sagte Merz mit gepresster Stimme.

In diesem Moment ertönte »Waterloo« von Abba – der Klingelton von Graus Smartphone.

Er drückte es an sein Ohr und säuselte: »Hasi, ich ruf dich gleich zurück. In zehn Minuten, okay?«

Dann legte er das Telefon neben seinen Teller und winkte die Bedienung herbei. »Ich möchte zahlen.«

Den Zwanzig-Euro-Schein, den er aus seiner Brieftasche hervorgezogen hatte, legte er auf den Tisch und stellte das Bierglas darauf.

»Ich muss kurz ums Eck«, sagte er. »Wenn du derweil ...?«

»Klar, mach ich«, sagte Merz um einen versöhnlichen Tonfall bemüht. »Darf ich in der Zeit dein Smartphone benutzen? Ich hab mein Handy vergessen und möchte mir ein Taxi rufen. Ich habe einen Termin bei der –«

»Sicher«, sagte Grau und verschwand in Richtung Toiletten.

Merz wog Graus Telefon in seiner Hand. Die vielen Funktionen ließen unglaubliche Möglichkeiten der modernen Kommunikation erahnen. Merz fühlte sich leicht mit der Aufgabe überfordert, einfach nur ein simples Telefonat zu führen. Musste er nur die Nummer eintippen oder vorher eine bestimmte Funktion wählen? Er drückte eine Taste unter dem Display. Eine Liste der Nummern erschien, die zuletzt gewählt und von denen die Gespräche angenommen oder verpasst worden waren. Neben einigen standen auch die dazugehörigen Namen. Das letzte Gespräch war erst vor zwei Minuten geführt worden. Merz staunte nicht schlecht, als er sah, wen Grau soeben Hasi genannt hatte. Seine Neugier war geweckt. Das Gerät schien leichter als gedacht zu bedienen zu sein, die Funktionen erklärten sich weitgehend selbst. Wenig später fand sich Grau im E-Mail-Speicher des Telefons wieder.

***

Anneke stand vor dem altehrwürdigen Gebäude, das sie aus der Serie »Der Alte« kannte, die mit Untertiteln auch in Holland als ›Onze Ouwe ‹ erfolgreich war.

Der Mann an der Pforte nickte ihr zu. Sie wurde von den unverkennbaren Sirenen deutscher Martinshörner aufgeschreckt, als mehrere Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht den Hof verließen. Anneke stellte sich vor, und als der Wachbeamte den Mund öffnete und sie in perfektem Hochdeutsch und mit den Worten begrüßte: »Grüß Gott, Frau van Royen. Sie werden schon erwartet«, lächelte sie ihn erleichtert an. Sie war angekommen.

Auch den Paternoster kannte sie aus dem Fernsehen. Der unheimliche Zauberschrank brachte sie in den vierten Stock, wo sie sich im Raum 411 beim Ersten Hauptkommissar Hubert Neidlinger melden sollte. Die Bürotür war nur angelehnt. Anneke klopfte gegen das weiß lackierte Holz, wodurch sich die Tür einige Zentimeter nach innen öffnete und ihr Blick auf einen unbesetzten Schreibtisch fiel. Weil niemand auf ihr Klopfen antwortete, stieß sie die Tür noch weiter auf.

»Hallo?«, rief sie verhalten in das Zimmer hinein. »Herr Neidlinger?«

»Auf Einsatz«, kam endlich eine Antwort – jedoch nicht aus Neidlingers Büro, sondern von einer jungen Frau, die hinter Anneke vorbeiging. Erschrocken zuckte Anneke zusammen.

»Du bist bestimmt die neue Kollegin. Hab schon gehört, dass wir Verstärkung aus dem Flachland kriegen. Ich bin Natascha.«

Die junge Frau lächelte herzlich und streckte ihr die Hand entgegen. Sie trug eine Jeans, ein enges weißes T-Shirt und darüber ein schwarzes Pistolenhalfter mit der Dienstwaffe unter der linken Schulter. Ihre kastanienbraunen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Während Anneke sich noch fragte, ob wohl alle deutschen Kripofrauen eine Figur wie Lara Croft hatten, schlug sie ein und sagte: »Ich bin Anneke. Ich soll mich bei Herrn Neidlinger melden. Er ist der Chef, oder?«

»Ja, der Chef der Männer-WG.« Natascha lachte. »Find ich in Ordnung, dass hier endlich mal eine Frau nach dem Rechten sieht. Aber keine Sorge, die Jungs sind alle okay.«

Während Anneke noch die Figur der jungen Kollegin musterte, nahm sie sich vor, die Zeit in München für eine Diät zu nutzen und nicht den Versuchungen von Schweinsbraten und Weißwürschtln nachzugeben, die in jedem München-Reiseführer den Touristen ans Herz oder besser an den Gaumen gelegt wurden. Dass ihr Freund Henk ihr bis vor Kurzem noch eine Traumfigur bescheinigt hatte, schob sie seiner verliebten Verblendung zu. Sechs Kilo in sechs Monaten. Das war ein realistischer Vorsatz, der in dieser Sekunde beschlossen wurde. Anneke überlegte kurz, ob sie Natascha noch fragen sollte, was »Männer-WG« eigentlich bedeutete, kam aber nicht zu Wort.

»Sie sind gerade zu einem Einsatz gerufen worden. Die MK 3 hat in dieser Woche Bereitschaft. Du hast also Pech – oder Glück, je nachdem. Selbst in einer Millionenstadt passiert nicht jeden Tag ein Mord.«

»Mord?« Wie so oft fühlte sich Anneke im falschen Moment am falschen Ort. Andererseits fand sie es sehr sympathisch, dass die nette Kollegin, die etwa im gleichen Alter zu sein schien, sie ganz unkompliziert sofort duzte. Sie hatte gelesen, dass die Du-Sie-Frage in deutschen Büros sehr umständlich sein konnte.

»Ich arbeite in der MK 1. In fünf Minuten habe ich eine Besprechung, aber danach kann ich dir hier alles Wichtige zeigen: Toiletten, Kantine, Kaffeemaschine ... Ihr Holländer trinkt viel Kaffee, hab ich gehört?«

Anneke lachte. »Ja. Außerdem essen wir den ganzen Tag Käse und drehen Joints. Meine Holzklumpen hab ich übrigens im Rucksack.«

Natascha erwiderte ihr Lachen. »Mach's dir irgendwo gemütlich, soweit das in einer deutschen Amtsstube möglich ist. In zehn Minuten bin ich wieder da.«

Und damit war Natascha auch schon wieder verschwunden.

Wenn alle Kollegen hier so offen und nett sind, dann werde ich in München eine schöne Zeit haben, dachte Anneke. Sie betrat Neidlingers Büro und legte ihre Jacke sowie den Rucksack auf einen gepolsterten Besucherstuhl. Als sie den Lichtschalter betätigte, erleuchteten die Neonröhren nach einem kurzen Flackern surrend das Zimmer. Der Anblick, der sich ihr bot, hatte nichts mit dem altmodischen Ambiente gemein, das sie aus den Münchner Fernsehkrimis kannte. Das Büro war modern eingerichtet, ein Computer stand auf dem Schreibtisch, daneben ein Aschenbecher mit einem noch glühenden Zigarillo, der die stickige Luft erklärte. Vermutlich hatte ihn Neidlinger in der Hektik des Aufbruchs nicht richtig ausgedrückt. Er würde gewiss nichts dagegen haben, wenn Anneke dies für ihn erledigte und anschließend das Fenster ein wenig öffnete. Sie ging zum Schreibtisch und drückte den Zigarillo in den Aschenbecher. Dabei fiel ihr Blick auf die Arbeitsunterlage, die aus großen Kalenderblättern der Polizeigewerkschaft bestand. Daneben lag eine Akte, mit der sich Neidlinger wohl zuletzt beschäftigt hatte, bevor er fluchtartig sein Büro verlassen musste. Unter der Überschrift »Unbekannter Toter« betrachtete Anneke das Foto eines alten Mannes mit aufgeschwollenem Gesicht, einer auffälligen, gekrümmten Narbe auf der Stirn und aufgerissenen Augen. Sie erkannte sofort, dass es sich bei dem Toten um eine Wasserleiche handelte. Den weiteren Informationen entnahm sie, dass der Tote am Tag zuvor aus der Isar gefischt worden war, dass er keine Verletzungen aufwies, die auf Fremdverschulden hindeuteten, und seine Identität noch ungeklärt war.

Solche vermutlich wenig spektakulären Fälle gehören wohl auch zum Alltag der Mordkommission einer Großstadt, dachte Anneke. Direkt neben dem Telefon lagen zwei handschriftliche Notizen: »Montag, 10 Uhr. Anneke van Royen.« Und darunter, sehr hastig und fast unleserlich hingekritzelt: »Lach-Kompanie. Haimhauserstraße. Tötungsdelikt?«

War das der aktuelle Einsatz? Von der Lach-Kompanie hatte sie in ihrem Reiseführer gelesen. Und im Lokalteil der »Süddeutschen« hatte gestanden, dass die Kabarettbühne in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Wenn dort jetzt ein Mord passiert sein sollte, würde das die Probleme wohl eher noch vergrößern. Auf jeden Fall könnte es spannend werden.

Anneke setzte sich auf den zweiten Besucherstuhl und kramte ihr Mini-Wörterbuch aus dem Rucksack. Einen Eintrag des Begriffes »Männer-WG« fand sie nicht, wohl aber eine verständliche Erklärung für die Abkürzung »WG«. »Wohngemeinschaft: gemeinsames Mietverhältnis meist nicht verwandter Personen, oft Studenten«, las sie interessiert. Das klang fast so, als würden sich ihre neuen Kollegen im Büro wie zu Hause fühlen.

Apropos Zuhause. Die Zeit, in der sie auf Natascha wartete, konnte sie nutzen, um in ihrem neuen Stadtplan zu schauen, wie sie am besten zu dem Apartment kam, das sie übers Internet für die ersten vier Wochen gebucht hatte. Mit dem Straßenregister fand sie die Adresse ihrer Ein-Zimmer-Wohnung in der Studentenstadt sehr schnell. Vom Marienplatz aus war ihr neues Zuhause praktisch mit der U6 zu erreichen. Weil Anneke sich langweilte, suchte sie auch noch nach der Haimhauserstraße. Der Tatort lag nicht weit entfernt von der Innenstadt. Dann schaute sie sich auf dem Plan alle weiteren Sehenswürdigkeiten in der Umgebung an, denen sie in den nächsten Wochen einen Besuch abstatten wollte: den Liebfrauendom, den Stachus, das Glockenspiel am Marienplatz und natürlich den Englischen Garten und das weltberühmte Hofbräuhaus.

»Sorry, Anneke.« Natascha hatte Neidlingers Büro betreten. »Mir ist etwas dazwischengekommen. Ein Gespräch beim Präsi. Ist wichtig ...«

»Präsi?«, fragte Anneke.

»Beim Polizeipräsidenten Dr. Stapper. Den wirst du auch noch kennenlernen. Drück mir die Daumen ...«, und flüsternd, so als ob es Pech bringen könnte, laut darüber zu reden, fügte sie hinzu: »... dass es mit der Beförderung zur Oberkommissarin klappt.« Wieder lauter sagte sie noch: »Wir können ja später zusammen in die Kantine gehen.«

»Viel Glück«, sagte Anneke. »Bis später. Ich schau mich hier inzwischen schon mal um.«

***

In den Zuschauerraum der Lach-Kompanie führte eine schmale Tür.

»Da kriegt man ja klaustrophobische Anfälle«, bemerkte Lukas Schmidtbauer. Die Szene auf der kleinen Bühne sah aus, als würden Schauspieler gerade für ein Stück proben, doch die Leiche im Scheinwerferlicht war ebenso tödlicher Ernst wie die in weiße Overalls gewandeten Männer vom Erkennungsdienst, die routinemäßig neben jeder Spur ein kleines Täfelchen mit einer Ziffer aufstellten und aus jedem Blickwinkel Fotos machten. »Erster Angriff« wurde das im Polizeijargon genannt. Das Schild mit der Nummer eins stand neben der Leiche, die Zahlen wurden größer, je weiter entfernt sich die Spuren von dem Toten befanden.