Käpt'n Sansibo — Die Abenteuer der Canneloni - Micha Luka - E-Book

Käpt'n Sansibo — Die Abenteuer der Canneloni E-Book

Micha Luka

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Beschreibung

Schon mal von der Canneloni gehört? Piratenschiff! Gehört Käpt'n Sansibo. Mit an Bord: Toby und die beiden stärksten Matrosen südlich des Nordpols. Habt ihr eine Ahnung, was denen alles passiert? Ein Vulkan beschießt sie mit glühenden Felsen. Ein uralter Spuk weht um die Segel. Eine Horde merkwürdiger Insulaner sorgt für Herzklopfen. Der heimtückische Quim will ihnen an den Kragen. Und dann die Geschichte, wie der Käpt'n an die Canneloni kam. Doch das ist erst der Anfang, denn die Abenteuer hören nicht auf.

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Seitenzahl: 206

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Micha Luka

Käpt’n Sansibo — Die Abenteuer der Canneloni

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel: Der blaue Flamingo

2. Kapitel: Der Geist der dritten Wolke

3. Kapitel: Überraschung an Bord: »Quim«

4. Kapitel: Grüne Nüsse und zwei Schüsse

5. Kapitel: Rätsel auf Mokupuni

6. Kapitel: Käpt’n Sansibo verschwindet

7. Kapitel: Gelbe Segel, blaue Flügel

8. Kapitel: Die Wette

9. Kapitel: Die Begegnung mit Sassafras

10. Kapitel: Wird er springen?

11. Kapitel: Wie alles begann

Impressum neobooks

1. Kapitel: Der blaue Flamingo

Der blaue Flamingo ist nicht immer blau gewesen, wisst ihr. Am Anfang war er ganz normal rosa wie alle ganz normalen Flamingos. Aber er war kein Flamingo wie alle anderen. Er war etwas Besonderes, denn er konnte anders denken. Er konnte sich Sachen ausdenken, auf die die anderen Flamingos in ihrem ganzen Leben nicht gekommen wären. Und so dachte er sich eines Morgens, als er zwischen all den anderen rosafarbenen Vögeln aufwachte und sich umsah, dass Blau doch eine ebenso schöne und passende Farbe für ihn wäre wie Rosa. So ein richtig kräftiges Blau, ein tiefes Blau, eben ein Flamingoblau. Von da an stellte er sich jeden Morgen vor, dass das Blau zu ihm käme.

Am siebenundzwanzigsten Morgen war es soweit. Er wachte auf und öffnete erst das linke Auge. Flamingos legen ihren Kopf zum Schlafen zwischen ihre Federn. Das können sie ganz bequem tun, weil sie so einen langen Hals haben. Er öffnete also das linke Auge zuerst und sah blaue Federn. Er blinzelte zur Sicherheit ein paar Mal und riss das Auge dann ganz weit auf. Die Federn waren immer noch blau. Er öffnete das rechte Auge und die Federn waren immer noch blau. Und nicht nur das: Sein langer Hals, sein Bauch, seine Beine — das schönste Flamingoblau, das man je gesehen hatte. Als die anderen Flamingos ihn sahen, lachten ein paar, einige kicherten, manche wollten plötzlich auch blau sein und manche von den älteren Vögeln schimpften über diesen Unfug. Aber das war unserem Flamingo egal. An diesem Tag beschloss er, in eine andere Richtung zu fliegen. Wenn auch der ganze riesige Flamingoschwarm nach Westen flog — er wollte nach Süden fliegen. Das war doch mal was Neues. Im Süden war ein großes Meer. Das wusste er, weil die Älteren abends davon erzählt hatten. Er wusste auch, wo Süden war — er musste sich nur nach der Sonne richten.

Als das große Flügelschlagen begann und sich tausend und abertausend rosa Flamingos in die Luft Richtung Westen erhoben, wartete unser blauer Flamingo in aller Ruhe, bis der letzte Zipfel der großen rosa Wolke hinter den Bergen verschwunden war. Dann blinzelte er in die Sonne, nahm einen kurzen Anlauf und flog ganz leicht in die Höhe Richtung Süden. Er flog so hoch wie er konnte, höher als die Wolken. Von dort oben konnte er wunderbar weit sehen. In der Ferne schien die Sonne auf das südliche Meer. Mittags war er da. Er ließ den Strand und die Küste hinter sich und flog weit auf das Meer hinaus, einfach weil es ihm Spaß machte, so allein über die Wellen zu segeln.

Aber noch jemandem schien es Spaß zu machen, über die Wellen zu segeln. Aus seiner Höhe sah es zunächst aus, als ob da eine winzige Zitrone auf dem Meer schwamm. Flo, so heißt unser blauer Flamingo, klappte seine Flügel ein kleines bisschen zusammen und segelte rasch immer tiefer hinab. Das wollte er sich doch einmal genau ansehen. Die Zitrone wurde immer größer, je näher er kam. Und dann sah er, dass es keine Zitrone war. Es waren Segel. Wunderbar sonnengelbe Segel. Sie gehörten zu einem ganz alten Schiff aus Holz. Das Schiff war ein Piratenschiff. Es hieß Canneloni. Die Canneloni war nicht sehr groß. Sie war so lang wie zehn Badewannen und so breit, dass drei dicke Elefanten nebeneinander Platz gehabt hätten. Aber es waren keine Elefanten an Bord. Es wäre ihnen wohl auch langweilig geworden, immer nur nebeneinander dazustehen, so ganz ohne Auslauf. An Bord war jemand anders.

»Kann mir mal jemand sagen, warum dieses Steuerruder schon wieder kaputt ist?«, hörte Flo eine laute Stimme rufen, als er gerade um die großen, gelben Segel herumflog. Er hatte gemerkt, dass sich das Schiff im Kreis drehte. Das passierte bei der Canneloni beinahe jeden Tag. Es gab wohl kein Schiff auf den südlichen Meeren, das in letzter Zeit so viele Kreise gesegelt hatte wie die Canneloni. Das konnte das Schiff gerade wirklich sehr gut. Aber wenn man irgendwohin wollte, zum Beispiel nach Sansibar, war es sehr unpraktisch, sich immer nur im Kreis zu drehen. Das fand auch Käpt’n Sansibo. Außerdem wurde ihm schlecht davon. Damit war er nicht einverstanden. Ein Piratenkapitän wie er, dem durfte auf hoher See nicht schlecht werden.

»Also, wer war es? Wer hat das Steuerruder kaputt gemacht?«, rief er noch etwas lauter. Flo war gespannt, wie das weitergehen würde und umkreiste mit leichten Flügelschlägen die Canneloni.

»Er war’s nich!«, hörte er eine andere Stimme rufen.

»Er auch nich!«, sagte eine dritte Stimme. Jetzt sah Flo zwei große, starke Matrosen, die aus der Kajüte kamen und jeder mit dem Löffel auf den anderen zeigten. Sie hatten einen großen Topf Nudeln mitgebracht, aus dem sie nun fleißig weiteraßen. Außerdem sahen sie genau gleich aus und sie hatten auch dieselben Sachen an: Gelb und grün geringelte Hemden ohne Ärmel und grüne Hosen, die bis zu den Knien gingen. Sie hatten jeder einen langen schwarzen Zopf und trugen jeder eine Augenklappe, der eine links und der andere rechts. Mit ihren starken Armen konnten sie die großen gelben Segel alleine setzen und auch den schweren eisernen Anker lichten. Das war eine Arbeit, für die man auf normalen Schiffen zwölf Mann brauchte. Dafür waren sie aber auch immer hungrig. Und sie waren barfuß. Das war Käpt’n Sansibo auch, aber nur mit dem rechten Fuß. Der linke steckte in einem echten Piratenstiefel, der bis übers Knie ging. Der rechte Stiefel war verschwunden. Irgendjemand hatte ihn versteckt. Aber wer das war, hatte er noch nicht herausgefunden. Das war ihm auch nicht so wichtig. Er lief mit einem Stiefel auf seinem Schiff herum seit sie in Indien in See gestochen waren und das waren heute immerhin schon dreizehn Tage. Er hatte sich also schon ganz gut daran gewöhnt.

»Ich weiß, dass ihr es nicht wart!«, rief Käpt’n Sansibo. Er stand auf dem flachen Dach der Kapitänskajüte und schaute durch sein Fernrohr aufs Meer hinaus. »Ihr seid es ja noch nie gewesen. Aber so langsam kenne ich diese Ecke des Meeres auswendig. Ich will jetzt woanders hin, nämlich nach Sansibar«, sagte er und drehte sich mit dem Fernrohr langsam im Kreis, um den Horizont abzusuchen. Das ist da, wo das Meer aufhört und der Himmel anfängt. Auf seiner Schulter saß ein kleiner gelber Papagei. Er schlief und schaukelte leicht hin und her, wenn Käpt’n Sansibo sich bewegte. Auf seiner vierten Runde um das Schiff hatte Flo ihn entdeckt und war jetzt richtig neugierig geworden. Er beschloss, auf diesem Schiff zu landen. Eine Pause würde ihm ganz guttun. Immerhin war er jetzt schon den halben Tag lang in der Luft gewesen. Und ein Schiff, das solche wunderbar gelben Segel hatte, passte ganz ausgezeichnet zu seinen blauen Federn, fand er.

»Achtung Käpt’n, ein großer Vogel von achtern!«, rief Bullerjan. Das war einer der Matrosenzwillinge. Er hatte Flo im Landeanflug entdeckt und zeigte mit dem Löffel auf ihn.

»Ein blauer Vogel, Käpt’n!«, rief Kullerjan, der andere Matrose. Käpt’n Sansibo drehte sich mit seinem Fernrohr nach achtern, also Richtung Heck, aber Flo war schon direkt über ihm, bremste gekonnt ab und landete sicher auf dem Dach der Kajüte. Allerdings stieß er mit seinen Flügeln an den schwarzen Piratenkapitänshut. Dieser rutschte Käpt’n Sansibo über die Augen.

»Was soll denn das?«, rief der und wunderte sich, dass plötzlich Nacht war. Er schob seinen Hut zurück und wunderte sich über den blauen Vogel, der da plötzlich vor ihm stand. Der gelbe Papagei auf seiner Schulter hatte nichts mitbekommen und schlief weiter. Und darüber wunderte sich Flo. Kullerjan und Bullerjan standen mit dem großen Topf zwischen sich auf Deck und wunderten sich, dass die Nudeln schon alle waren. In diesem Moment ging ein Ruck durch die Canneloni, als ob sie sich schütteln würde. Daraufhin wunderten sich alle, dass die Canneloni plötzlich geradeaus segelte. Das Segeln im Kreis hatte mit einem Mal aufgehört. Davon erwachte der zitronengelbe, kleine Papagei auf Käpt’n Sansibos Schulter. Er schaute von einem zum anderen und dann hinaus aufs Wasser.

»Ach du mein lieber Zitronenkeks«, krächzte er erschrocken, »wir sind ja auf dem Meer!« Käpt’n Sansibo verdrehte die Augen.

»Das wissen wir, Oma Zitrona, das wissen wir. Wir sind schon seit dreizehn Tagen auf dem Meer!« Dann schaute er Flo freundlich an. »Willkommen an Bord.« Flo spreizte seine großen Flügel weit auseinander, legte sie sorgfältig wieder zusammen, wie alle Flamingos es tun, und verbeugte sich. Er war froh, auf diesem Schiff gelandet zu sein. Die beiden großen, starken Matrosen Bullerjan und Kullerjan kamen näher, um sich den schönen und seltenen Vogel anzusehen.

»Du bist ein blauer Flamingo«, sagte Käpt’n Sansibo verdutzt. »Du musst der einzige blaue Flamingo auf der ganzen Welt sein. Das weiß ich, denn ich war schon überall«, sagte er und kraulte nachdenklich seinen Bart. Flo blinzelte mit dem rechten Auge. Der kleine, gelbe Papagei, der Oma Zitrona hieß, war schon wieder eingeschlafen und schaukelte leicht hin und her.

»Er hat ihn zuerst gesehen«, sagte Kullerjan und zeigte mit seinem Löffel auf Bullerjan.

»Er hat ihn auch zuerst gesehen«, sagte der und zeigte mit seinem Löffel auf Kullerjan. Käpt’n Sansibo seufzte und verdrehte wieder mal die Augen.

»Das weiß ich. Ihr habt ja immer alles zuerst gesehen. Was macht ihr überhaupt hier mit dem leeren Nudeltopf? Ab in die Kombüse! Ich hab’ zuerst Hunger gehabt!« Die beiden Matrosen schauten sich groß an, als hätten sie vergessen, wo die Kombüse, also die Küche der Canneloni war. Käpt’n Sansibo seufzte tief, doch bevor er nochmal die Augen verdrehen konnte, hörte Flo eine Jungenstimme.

»Jungs, ihr geht am besten in südlicher Richtung und dann ist es die erste Tür auf der rechten Seite.« Und schon stürzten sie davon. Den Nudeltopf ließen sie vor lauter Eile fallen.

»Toby! Ich dachte schon, du tauchst gar nicht mehr auf!«, sagte Käpt’n Sansibo und bückte sich, um nachzuschauen, ob noch Nudeln im Nudeltopf waren. Aber Bullerjan und Kullerjan waren sehr ordentliche und gründliche Matrosen, was das Essen anging. Außer Luft war nichts mehr in dem Nudeltopf.

»Aye Käpt’n, ich musste auch ziemlich lange tauchen«, sagte Toby, der Schiffsjunge. Er war über die Reling geklettert und stand tropfnass zwischen Flo und Käpt’n Sansibo.

»Dieses Mal waren es Muscheln, die auf dem Steuerruder festgewachsen waren und es verklemmt haben«, sagte Toby und nieste einmal kräftig.

»Richtig, wir segeln ja jetzt wieder geradeaus«, sagte Käpt’n Sansibo und rückte seinen Piratenkapitänshut zurecht. »Also dann: Alle Mann Segel setzen!«, rief er mit seiner Kommandostimme.

»Aber Käpt’n«, sagte Toby, die Jungs machen doch gerade das Essen fertig. Außerdem«, er deutete nach oben in die Masten, »sind doch schon alle Segel gesetzt.« Käpt’n Sansibo räusperte sich.

»Äh, ach so ja. Natürlich. Das seh’ ich doch! Ich wollte es ja nur nochmal gesagt haben. Für alle Fälle. Und überhaupt…«, brummte er verlegen.

»Und du bist wahrscheinlich Flo«, sagte Toby zu Flo, der mit dem rechten Auge blinzelte.

»Woher weißt du seinen Namen?«, fragte Käpt’n Sansibo und setzte wieder sein Fernrohr ans Auge, um den Horizont abzusuchen. Toby nahm einen Zipfel seines pitschnassen Hemdes in seine Hände und drückte das Wasser raus.

»Na, er sieht einfach so aus, als ob er Flo heißt.« Und damit lag Toby richtig, wie ihr sicher gemerkt habt. Toby war sehr schlau, obwohl er noch ein sehr junger Schiffsjunge war. Wenn es eine schwierige Aufgabe oder ein Problem an Bord der Canneloni gab, dann war Toby dran. Es machte ihm Spaß, schwierige Aufgaben zu lösen. Entweder dachte er lange genug, geduldig und von allen Seiten darüber nach oder er hörte auf seinen Bauch. Sein Kopf und sein Bauch waren gleich schlau. Deshalb war Käpt’n Sansibo froh, dass Toby an Bord war.

»Welchen Kurs nehmen wir, Käpt’n?«, fragte Toby und nieste noch einmal.

»Wir müssen nach Sansibar wie du weißt, also nach Südwesten«, sagte der Käpt’n, während er immer noch durchs Fernrohr spähte. »Immerhin sind wir die letzten zwei Wochen gut vorangekommen. Da hätten wir zwischendurch auch noch Zeit für ein Abenteuer.« Toby nickte begeistert.

»Was halten Sie davon, wenn wir Flo danach Ausschau halten lassen? Von ganz weit oben kann er ganz weit sehen. Ihm entgeht bestimmt kein Abenteuer.« Käpt’n Sansibo setzte das Fernrohr ab und schaute erst Toby und dann Flo an.

»Also gut!«, kommandierte er und deutete mit der Hand nach oben in den prächtigen, blauen Himmel. »Nach oben, Flo! Und komm mit einem Abenteuer zurück!« Flo blinzelte mit dem rechten Auge, breitete seine großen, blauen Flügel aus, nahm ein paar Schritte Anlauf und schwebte elegant in die Höhe. Er kreiste einmal um die Canneloni, deren Segel prall mit dem Wind gefüllt waren. Sie hatte ordentlich Fahrt aufgenommen und tanzte munter mit den Wellen auf und ab. Flo schlug kräftig und gleichmäßig mit seinen Flügeln und war bald so hoch, dass die Canneloni wieder wie eine kleine, leuchtendgelbe Zitrone aussah, die auf dem dunkelblauen Meer schwamm. Käpt’n Sansibo versuchte, ihn mit dem Fernrohr zu verfolgen.

»Verflixter Klabautermann!«, rief er aus und legte es auf das Dach der Kajüte. »Ich kann ihn nicht mehr sehen!« Toby stand neben ihm und hatte seinen Kopf in den Nacken gelegt.

Mit beiden Händen schirmte er seine Augen vor der grellen Sonne ab.

»Kein Wunder, Käpt’n. Ein blauer Flamingo im blauen Sommerhimmel, der ist ja praktisch unsichtbar. Eher finden Sie einen Regenwurm im Spaghettitopf.«

»Ha! Du sagst es, Toby!«, rief der Käpt’n und klopfte auf seinen Bauch. Toby grinste.

»Ich schau mal, wo die Jungs bleiben.« In diesem Moment kamen Kullerjan und Bullerjan aus der Kombüse, mit einem neuen Topf voller Nudeln. Und gleich darauf saßen sie alle vier auf dem Dach der Kajüte, wo der schönste Platz auf der Canneloni war. Sie ließen sich den Wind um die Nase wehen und sie ließen sich die Nudeln gut schmecken. Auch Kullerjan und Bullerjan, denn die hatten immer noch Hunger. Ein Regenwurm war nicht im Topf.

Der wäre vielleicht etwas für Flo gewesen. Aber Flo war gerade damit beschäftigt, nach einem Abenteuer Ausschau zu halten. Hoch über dem Meer ließ er seine scharfen Augen in alle Richtungen schweifen. Er hatte keine Ahnung wie ein Abenteuer aussah. Aber das machte nichts. Er würde es sicher schon merken. Irgendetwas würde komisch aussehen oder ungewöhnlich oder gefährlich. Wie zum Beispiel diese Wolke dahinten. Das konnte doch gar nicht sein. Flo schloss die Augen für ein paar Sekunden und segelte weiter durch die dünne Höhenluft. Als er die Augen wieder öffnete, war die Wolke schon viel größer geworden. Flo flog näher heran. Er ließ sich bis aufs Meer hinab sinken und schließlich landete er im Wasser und schaute sich diese komische Sache von der Nähe an. So etwas hatte er noch nie gesehen. Plötzlich hörte er etwas ins Wasser plumpsen. Und dann gleich noch einmal. Und dann hörte es sich an, als ob ganz viele kleine Steine um ihn herum ins Wasser fielen. Das hörte sich so an, weil es wirklich ganz viele kleine Steine waren. Flo schaute sich das eine Weile an, bis die Steine größer wurden, größer als er selbst. Und als sie so groß wie die Canneloni waren, beschloss Flo, zurück zu fliegen zu den anderen. Er hatte ein Abenteuer gefunden.

Als er wieder hoch oben in der Luft war, sah er, dass die Canneloni genau in die richtige Richtung segelte. »Ich muss mich beeilen«, dachte er und schlug so schnell mit seinen Flügeln, wie er konnte. »Ich muss sie warnen, bevor sie zu nahe an diese fliegenden Steine kommen«. Flo sauste jetzt wie ein Pfeil übers Meer. Noch nie war ein Pfeil so weit geflogen. Er spannte seine großen, blauen Flügel aus und segelte auf dem Wind genau auf die Canneloni zu.

»Großer Vogel von achtern, Käpt’n!«, sagte Bullerjan und schleckte seinen Löffel ab.

»Großer, blauer Vogel, Käpt’n!«, sagte Kullerjan und tat das Gleiche. Käpt’n Sansibo sprang auf und drehte sich um, den Mund voller Nudeln. Toby war schon zur Reling gelaufen und winkte Flo mit beiden Händen.

»Verfliffter Kabautermann!«, rief Käpt’n Sansibo etwas undeutlich, dann schluckte er erst einmal hinunter. Im selben Moment landete Flo auf dem Kajütendach direkt neben dem Nudeltopf und schaute alle der Reihe nach an. Zuletzt Oma Zitrona, die auf der Schulter des Käpt’n leicht hin und her schaukelte.

»Flo hat ein Abenteuer gefunden«, sagte Toby und nickte.

»Woher weißt du das, Toby?«, fragte Käpt’n Sansibo und pulte eine Nudel aus seinem roten Vollbart. Toby hatte Flo seine Hand auf den langen, blauen Hals gelegt.

»Ganz einfach, Käpt’n, ich kann sein Herz ganz oben an seinem Hals schlagen fühlen. Es schlägt so schnell – er muss ganz aufgeregt sein.« Flo schaute Toby an und blinzelte mit dem rechten Auge. Käpt’n Sansibo schüttelte den Kopf.

»Flo ist zwar ein blauer Flamingo und er ist auch ein sehr kluger Vogel, sonst wäre er nicht auf meinem Schiff gelandet. Aber er kann uns nicht sagen, was er gesehen hat.«

»Ich kann ihn trotzdem verstehen«, sagte Toby, der eine Idee hatte. Er schaute Flo ins Gesicht, so dass er beide Augen zugleich beobachten konnte.

»Bist du ein roter Flamingo?«, fragte ihn Toby. Flo schaute ihn erst mit großen Augen an. Dann blinzelte er mit dem linken Auge.

»Bist du ein blauer Flamingo?«, fragte Toby dann. Flo blinzelte mit dem rechten Auge. »Aha!«, sagte Toby dann. »Hast du ein Abenteuer gefunden?« Flo blinzelte heftig mit dem rechten Auge.

»Alles klar«, sagte Käpt’n Sansibo, der Flo auch genau beobachtet hatte,« links heißt nein und rechts bedeutet ja.« Toby grinste und nickte eifrig.

»Haben wir den richtigen Kurs für das Abenteuer, Flo?« Flo blinzelte wieder heftig mit dem rechten Auge.

»Na das fängt ja gut an«, rief Käpt’n Sansibo laut.

»Johoo, johoo!«, riefen Kullerjan und Bullerjan und schwenkten den Nudeltopf hoch in der Luft. Davon wurde Oma Zitrona wach. Sie schaute sich um und spreizte dann erschrocken ihr Gefieder.

»Ach du mein lieber Zitronenkeks!«, krächzte sie, »wir sind ja auf dem Meer!« Käpt’n Sansibo, Bullerjan, Kullerjan und Toby verdrehten die Augen.

»Das wissen wir!«, riefen sie im Chor, »schon seit dreizehn Tagen!« Sie freuten sich alle so auf das nahe Abenteuer, dass sie gar nicht merkten, wie Flo jetzt mit beiden Augen heftig blinzelte. Was das zu bedeuten hatte, würden sie bald merken.

Käpt’n Sansibo nahm sein Messingfernrohr und stellte sich ganz nach vorn an den Bug der Canneloni. Kullerjan und Bullerjan räumten das Geschirr in die Kombüse. Toby jedoch beobachtete besorgt den blauen Flamingo.

»Irgendetwas stimmt nicht mit Flo«, rief er Käpt’n Sansibo zu. »Er blinzelt jetzt abwechselnd mit beiden Augen und hört gar nicht mehr auf damit. Vielleicht will er …«

»Da vorn brennt es!«, unterbrach ihn Käpt’n Sansibo. Auch Toby sah jetzt die gewaltige Rauchwolke, die unermesslich hoch in den Himmel reichte. Die Canneloni fuhr mit vollen Segeln direkt darauf zu.

»Alle Mann an Deck, zack, zack!«, rief Käpt’n Sansibo, und gleich darauf kamen Bullerjan und Kullerjan herbei.

»Wir segeln näher ran, bis wir wissen, woher ein Feuer mitten auf dem Meer kommt«, bestimmte Käpt’n Sansibo. »Komische Sache das«, murmelte er leise und kraulte nachdenklich seinen roten Bart.

»Vielleicht ist ein anderes Schiff in Seenot«, meinte Toby. Der Käpt’n schüttelte den Kopf.

»Riechst du das?«, fragte er Toby. »Das ist kein normales Feuer.«

»Gestank von vorn, Käpt’n«, rief Bullerjan.

»Dat stinkt nach faulen Eiern, Käpt’n«, rief Kullerjan und beide hielten sich die Nase zu.

»Verflixter Klabautermann!«, rief Käpt’n Sansibo, »was kann das bloß sein?«, und starrte angestrengt durch sein Fernrohr. Der Rauch kam immer näher und näher. Sie fuhren auf eine dichte Nebelbank zu, so sah es jedenfalls aus.

»Das Feuer kann nicht von einem anderen Schiff kommen, Käpt’n!«, schrie Toby, der es jetzt auch schon ohne Fernrohr sehen konnte. »Es ist irgendwo viel weiter oben. Da, zwischen den dicken Qualmwolken!«

»Das seh’ ich jetzt auch. Aber dann müsste das ja …« Ein lautes Platschen unterbrach Käpt’n Sansibo, als ob ein großer Stein neben der Canneloni ins Meer gefallen wäre. Ein dumpfes Poltern war zu hören, wie von einem Gewitter. Dann ein schrilles Pfeifen, ein Sausen in der Luft. Ein Krachen und Splittern. Und gleich noch ein lauter, mächtiger Schlag, dass ein Zittern durch die Canneloni ging.

»Steine von oben, Käpt’n!«, schrie Bullerjan und deutete mit seinen dicken Armen in alle Richtungen.

»Große Steine, Käpt’n!«, schrie Kullerjan, »richtig große Steine!« Und er deutete mit seinen dicken Armen auf zwei schwarze Klumpen, so groß wie der größte Nudeltopf an Bord. Sie waren auf das blanke Deck der Canneloni geflogen und qualmten vor sich hin.

»Nicht anfassen!«, schrie Toby.

»Sofort alle Segel reffen, Jungs, runter mit den Segeln!«, kommandierte Käpt’n Sansibo. Oma Zitrona saß schaukelnd auf seiner Schulter und bekam von dem Qualm und dem Gestank, von dem Donnern und Krachen, dem Sausen und Pfeifen, von der großen Gefahr um die Canneloni herum nichts mit. Sie schlief. Vielleicht war das der Grund, warum sie so alt geworden war, älter als hundert Jahre. Sie verschlief einfach alle Aufregungen.

»Man schießt auf uns! Los Jungs, beeilt euch!«, schrie Käpt’n Sansibo und Kullerjan und Bullerjan kletterten flink die Masten hinauf und refften die Segel.

»Schneller, schneller«, brüllte Käpt’n Sansibo, »ich will keine Löcher in meinen Segeln haben!« Und die beiden Matrosen arbeiteten so schnell, als ob jeder von ihnen sechs Arme hätte.

»Ans Steuer, Toby, los, los, beeil dich!«, rief Käpt’n Sansibo. »Achte auf meine Zeichen!« Toby flitzte nach hinten, zum Heck der Canneloni, während rechts und links von ihm die großen, schwarzen, heißen Steine auf das Deck knallten.

Flo kannte das ja schon. Er war der einzige, der den fliegenden Steinen durch die Luft entfliehen konnte, und das tat er jetzt. Er nahm einen kurzen Anlauf und schwang sich elegant in die qualmende Nebelluft, von der die Canneloni vollständig eingehüllt war. Immer größere Steine prasselten auf das Schiff nieder. Flo wich ihnen geschickt aus und flog mit raschen Flügelschlägen davon. Die Canneloni war ohne Segel jetzt deutlich langsamer geworden. Toby stand am Steuerrad, das größer war, als er selbst. Aber er konnte sehr gut damit umgehen und passte genau auf, welche Richtung Käpt’n Sansibo ihm vorne am Bug anzeigte. Bullerjan und Kullerjan blieben oben in den Masten, damit sie jederzeit die Segel wieder setzen konnten. Das Deck der Canneloni hatte einige Löcher bekommen. Auf der linken Seite, der Backbordseite, war ein großes Stück der Reling abgerissen. Flo war jetzt außerhalb der Rauchwolke. Er konnte von oben alles viel besser sehen. Und was er sah, war zum Fürchten.

Käpt’n Sansibo schaute angestrengt aufs Wasser hinaus, um irgendetwas zwischen den Rauchschwaden erkennen zu können. Er deutete mit den Armen mal nach backbord und mal nach steuerbord, und Toby am Steuerruder lenkte aufmerksam mal nach links und mal nach rechts. Nach einigen endlosen Minuten lichtete sich der Nebel. Käpt’n Sansibo ließ die Arme sinken und riss die Augen auf.

»Beim Zopf des Klabautermannes!«, flüsterte er und starrte reglos in die Höhe.

»Berg von vorn!«, rief Bullerjan von der Höhe seines Mastes und riss sein rechtes Auge auf.

»Feuerspeiender Berg, Käpt’n«, rief Kullerjan und riss sein linkes Auge auf. Toby hatte das Steuerrad verlassen und war nach vorne gerannt.

»Ein Vulkan, Käpt’n!«, rief er und riss beide Augen auf. Käpt’n Sansibo kraulte seinen roten Vollbart. Dann klatschte er einmal kräftig in die Hände.

»Da soll mich doch …, das ist eine Vulkaninsel!«, rief er laut. Davon erwachte Oma Zitrona.

»Ach du mein lieber Zitronenkeks!«, kreischte sie und stellte die Federn auf ihrem Kopf senkrecht, »wir sind auf dem Meer!«

»Wir sind vor einer Insel, Oma Zitrona. Du kennst doch alle Inseln auf allen Weltmeeren. Wie heißt die wohl?«, fragte Käpt’n Sansibo den kleinen, zitronengelben Papagei auf seiner Schulter. Oma Zitrona legte ihre Federn wieder flach an und äugte in die Runde. Dann legte sie ihren Kopf schief und schaute bis zum Gipfel des Vulkans, aus dem immer noch rote Flammen schlugen und dichter Rauch quoll. Nur Steine flogen keine mehr durch die Luft. Sie klapperte leise mit ihrem Schnabel und schaukelte auf der Schulter des Käpt’ns hin und her. Sie starrte auf die rote, glühende Lava, die den Berg herunterfloss wie eine scharfe Soße und am Ufer zischend ins Meer tröpfelte.