Karin Bucha Staffel 7 – Liebesroman - Karin Bucha - E-Book

Karin Bucha Staffel 7 – Liebesroman E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt.

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Seitenzahl: 1486

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Inhalt

Kleine Hoheit träumt von der Liebe

Noch ahnte sie nichts von ihrem Schicksal

Traum vom Glück

Verlass mich nicht, Angela!

Die unstillbare Schuld

Daniela, Herrin der Grotkamp Werke

Bevor der Tag zu Ende geht

Verlaß mich nicht, Angela!

Nur eine kleine Angestellte

Arme kleine Antje

Karin Bucha – Staffel 7 –

E-Book 61-70

Karin Bucha

Kleine Hoheit träumt von der Liebe

Roman von Bucha, Karin

Noch liegt über der Hofburg und dem Land Tamarkoff tiefe Trauer. Seit einem Vierteljahr ruht der regierende Fürst Fer­dinand Alexander von Tamarkoff in der Gruft der Hofburg bei seinen Ahnen.

Die blutjunge Kronprinzessin Patricia von Tamarkoff soll demnächst zur Fürstin gekrönt werden. Sie leidet schwer un­ter dem Verlust des geliebten und verehrten Vaters. Er war nicht gerade ein bequemer Vater, aber alles, was er für seine einzige Tochter bestimmte, sollte ihr zum Besten dienen. Sie mußte für das gewiß nicht leichte Amt einer regierenden Für­stin sorgfältig vorbereitet sein. Die tüchtigsten Lehrer und Er­zieherinnen hatten die junge Prinzessin geformt und ihr all das beigebracht, was sie unbedingt beherrschen mußte, woll­te sie eine kluge Regentin werden.

Nur etwas hatte der verstorbene Fürst nicht bedacht: daß diese Erziehung eine sehr einseitige gewesen war, geprägt von den starren Regeln einer jahrhundertealten, verstaubten Tradition.

Auf Schritt und Tritt bewacht und kontrolliert, ist Kron­prinzessin Patricia zu einem Wesen herangewachsen, das kei­ne Ahnung hat, was Jugend und Frohsinn bedeuten. Vielleicht vermißt sie es auch nicht? Einfach deshalb, weil sie es nicht anders kennt?

Von alten schrulligen Hofdamen umgeben, die zwar dem Hochadel angehören, aber in längst überholten Ansichten und Anschauungen leben, sieht man sie kaum lachen.

Auch Amalia Gräfin von Ellersiek, die langjährige Vertraute der Kronprinzessin, die Mutterstelle an ihr vertreten hat und die Patricia von ganzem Herzen liebt, weicht in ihren Anschauungen von der übrigen Umgebung keinesfalls ab. Sie greift tief in das Leben der jungen Prinzessin ein. Sie bestimmt die Kleidung, sie bestimmt den Tagesablauf, ja, sie bestimmt den Umgang und die Lektüre, die für die Prinzessin geeignet scheinen.

Aber eines Tages beginnt die Kronprinzessin zu rebellieren.

Anstoß dazu gibt ein harmloses Modeheft, das sie zufällig in den Händen ihrer Zofe Wanda sieht und an sich nimmt.

Mit ihrer Beute kehrt sie in ihren Salon zurück und blättert eifrig darin. Ihre Wangen, sonst meist blaß, beginnen zu glühen. Was sind da für entzückende, farbenfreudige und duftige Kleider abgebildet! Kleider, die sie niemals zu Gesicht bekommen hat, viel weniger jemals hat tragen dürfen. Kostüme, vornehm geschnitten, mit engen und auch mit schwingenden Röcken. Und dann die Abendroben! Nicht auszudenken, daß man so etwas Wunderschönes selbst besitzen dürfte.

Gewiß, die Roben, die sie bei passenden Gelegenheiten anziehen muß, sind von kostbarstem Stoff, aus wertvollstem Material. Aber die sie hier abgebildet sieht, sind wie bezaubernde Gemälde.

Blitzschnell geht Patricia in Gedanken ihre Garderobe durch, und sie hat auf einmal das Gefühl, daß alle ihre Kleider wie Uniformen sind, alle von einem Schnitt, alle über einen Leisten geschlagen.

»Aber Hoheit…«

Gräfin Ellersiek ist unverhofft vor der Kronprinzessin aufgetaucht, so daß diese erschrocken zusammenfährt.

Die Gräfin ist eine imposante Erscheinung, mit noch reichem weißem Haar, das sie hochgetürmt trägt. In ihren Augen steht viel mütterliche Güte, jetzt jedoch ein Ausdruck des Vorwurfs.

»Was haben Hoheit für eine Zeitschrift in der Hand?«

Patricia hebt den Kopf. Ernst und groß ruht ihr Blick auf dem Gesicht der Gräfin. Es sind Augen von einem geradezu unwahrscheinlichen Blau, in einen Kranz von dichten schwarzen Wimpern gebettet. Die feingezeichneten Brauen haben sich unmutig zusammengezogen.

»Das ist ein Modeheft, Gräfin«, sagt sie gelassen und blättert weiter.

»Wer… wer hat das Hoheit gegeben?« Die Stimme der Gräfin klingt heiser vor Schreck.

»Niemand, Gräfin. Das habe ich mir genommen.«

»Genommen?« fragt die Gräfin entsetzt.

»Sehr richtig, Gräfin, genommen, einfach genommen, ohne Sie zu fragen.« Patricias Augen funkeln angriffslustig.

»Aber, Hoheit…«

Prinzessin Patricia ist ein sehr verträgliches, liebenswürdiges Menschenkind, und alle mögen sie. Sie ist weder herrisch noch hochmütig, doch im Augenblick reizt sie die Art der Gräfin zum Widerspruch.

»Bitte erklären Sie mir, weshalb Sie sich erregen, Gräfin.«

»Es ist unmöglich, solche Zeitschriften anzusehen, Hoheit. Bis jetzt habe ich Ihnen den Lesestoff ausgesucht, und Sie waren immer damit zufrieden…«

»Sehr richtig, Gräfin, ich war«, unterbricht die Prinzessin die Gräfin. »Jetzt bin ich es nicht mehr. In Zukunft werde ich mir den Lesestoff selbst aussuchen. Ich habe schon lange den Wunsch, einige Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt zu besitzen. Und Sie werden sie mir besorgen lassen.«

»Aber, Hoheit…«

Abwehrend hebt die Prinzessin die Hand.

»Hören Sie endlich mit dem albernen ›aber Hoheit‹ auf! Langsam geht mir das auf die Nerven.«

»Patricia, Kind…« Unwillkürlich fällt die Gräfin in den vertrauten Ton. Sie läßt sich in einen Sessel nieder. Entgeistert starrt sie die Prinzessin an. Wann hat ihr Schützling einmal in diesem Ton zu ihr gesprochen? Sie kennt von der Prinzessin nur bedingungslosen Gehorsam. »Was ist denn in dich gefahren, Patricia? So kenne ich dich doch gar nicht.«

Langsam erhebt sich die Kronprinzessin, geht ein paarmal durch das Zimmer. Sie ist sehr nachdenklich, und die Gräfin wagt die Prinzessin nicht zu stören. Endlich bleibt Patricia abrupt stehen.

»Bitte, Gräfin, hören Sie mir einmal genau zu.« Sie läßt eine kurze Pause eintreten, als wolle sie ihren Worten die nötige Wirkung verleihen. Man sieht ihrem blassen, beherrschten Gesicht nicht an, daß ihr Herz heftig klopft. Aber sie muß sich überwinden, sie muß einfach den Mut aufbringen, ihren Willen durchzusetzen. »In einigen Wochen werde ich gekrönt, dann bin ich regierende Fürstin. Bis zu seinem Tod habe ich meinem Vater und all denen, die er mir zur Seite gestellt hatte, blind gehorcht. Meinen Sie nicht auch, Gräfin, daß diese Zeit vorbei ist?«

Herausfordernd, tiefernst schaut die Prinzessin auf die Frau, die sie jahrelang geleitet hat; und ehrlich wie sie ist, muß sie zugeben, mit viel Liebe und Güte. Dafür ist sie ihr auch von Herzen dankbar.

»Was… was ist vorbei, Hoheit?« stammelt die Gräfin. Sie hat das Gefühl, als würde der Boden unter ihr wanken. »Welche Zeit?«

»Die Zeit des blinden Gehorsams ist vorbei. Jetzt gebe ich die Anweisungen, und ich verlange, daß man sie ausführt! Haben Sie mich soweit verstanden, Gräfin?«

Sie läßt ein paar Sekunden verstreichen, und als die vor ihr Sitzende noch nach Worten ringt, fährt die Prinzessin fort: »Nehmen Sie meinen ersten Wunsch zur Kenntnis, Gräfin. Stellen Sie eine Liste einiger jungen Damen aus unseren Kreisen auf. Ich wünsche mir eine gleichaltrige Gesellschafterin und Freundin. Aber sie darf nicht ein Jahr älter sein als ich. Die jungen Damen sollen sich, sagen wir, übermorgen zwischen elf und zwölf Uhr vorstellen. Danke, Gräfin, das wäre es erst einmal.«

Sie neigt den Kopf und verläßt schnell den Salon, um hinüber in ihr Arbeitszimmer zu gehen, das neben dem ehemaligen Arbeitskabinett ihres verstorbenen Vaters liegt.

Lange steht sie, tief in Gedanken versunken am Fenster. –

Gräfin Ellersick ist wohl noch nie in einem so schnellen Tempo die Flure und Treppen im Schloß entlang geeilt wie jetzt. Sie reißt die Tür zum Vorzimmer des Grafen Blühen auf und befiehlt dem anwesenden Diener.

»Melden Sie mich dem Minister.«

»Der Minister läßt bitten.« Weit öffnet der Diener vor der Gräfin die Tür.

Die Gräfin stürmt förmlich in das Arbeitszimmer.

»Palastrevolution, Graf, Palastrevolution!« stößt sie atemlos hervor.

»Nanu, Gräfin!« Graf Blühen kommt um seinen Schreibtisch herum und weist auf einen Sessel. »Sie sind ja ganz aufgeregt. Was ist denn los?«

»Sie werden es gleich hören, Graf, es ist furchtbar.« Die Gräfin läßt sich nieder und atmet tief ein und aus. »Die Kronprinzessin…«

»Ist sie krank?« wirft Graf Blühen ein.

»Ach wo, sie erfreut sich bester Gesundheit!« Und dann berichtet sie mühsam beherrscht von der Unterredung mit Patricia.

Eine Weile bleibt es still. Der Graf hat sich wieder auf seinen Platz hinter dem Schreibtisch gesetzt. Die Gräfin starrt den Mann entgeistert an.

»Sie sagen nichts dazu, Graf?«

»Dazu habe ich sehr viel zu sagen, Gräfin«, erwidert er. Um seinen Mund steht ein kleines Lächeln. »Wir haben beide einen großen Fehler begangen…«

»Ich bitte Sie, Graf!« fällt sie ihm in die Rede. Er hebt die Hand.

»Lassen Sie mich aussprechen, Gräfin. Wir haben beide vergessen, daß die Kronprinzessin ein blutvoller Mensch ist, eine Frau, ein junges Mädchen. Unser verstorbener Fürst hat seine Tochter sehr streng erziehen lassen. Sie hat weniger Bewegungsfreiheit gehabt als das einfachste Bauernmädchen. Erstaunt es Sie, Gräfin, wenn die Kronprinzessin sich gegen diesen Zwang auflehnt? Mich nicht! Es ist endlich an der Zeit, daß die Prinzessin ihren Willen durchsetzt, und das ist ganz in Ordnung.«

»In Ordnung finden Sie das, Graf?« Die Gräfin ringt die Hände.

»Es ist die natürliche Reaktion, Gräfin«, fährt er in seiner ruhigen, gemessenen Art fort. »Wenn die Kronprinzessin eine junge Begleiterin wünscht, dann bitte, kommen Sie diesem Befehl nach. Unsere Hofdamen sind für eine so junge Fürstin nicht der richtige Umgang. Das müßte selbst Ihnen schon längst klargeworden sein. Also setzen sie die Liste auf und lassen Sie die jungen Damen zur Audienz kommen.«

»Sie… Sie sind ja auch ein Revolutionär!« stößt die Gräfin empört hervor.

Graf Blühen lacht kurz auf. »Was Sie unter einem Revolutionär verstehen, weiß ich nicht. Jedenfalls bin ich der Neuzeit sehr aufgeschlossen. Man kann ein junges Menschenkind nicht in einen Glaskasten setzen, um es vor jedem Lufthauch zu bewahren. Unsere Kronprinzessin wird einmal zur Fürstin gekrönt werden, und das in kürzester Zeit. Gönnen Sie ihr doch einige Wochen der Freiheit, ohne Zwang, ohne Protokoll.«

Gräfin Ellersiek erhebt sich. Recht kleinlaut meint sie: »Wenn Sie es für richtig halten, Graf…«

»Allerdings, ich halte es für richtig, was die Kronprinzessin befohlen hat.«

Die Gräfin rauscht davon.

Eine Stunde später werden beide zu ihr gebeten. Patricia steht hochaufgerichtet hinter ihrem Schreibtisch, als die beiden eintreten. Sie weist auf die Sessel davor. Aber erst nachdem die Kronprinzessin sich gesetzt hat, nehmen auch sie Platz.

Erwartungsvoll schauen sie zu Patricia hinüber, die sehr blaß und unvorteilhafter denn je aussieht mit dem straff zurückgekämmten Haar, so daß man den Eindruck gewinnt, das schmale Gesicht bestünde nur aus Stirn und Augen. Es sind wunderschöne Augen von einem unwahrscheinlichen Blau, doch das fällt wenig auf, da die Prinzessin die Augen meistens niedergeschlagen hat.

Jetzt aber richtet sie den Blick offen auf den Graf und die Gräfin.

»Als meine engsten Vertrauten möchte ich Ihnen zur Kenntnis geben, daß mein Vater mir einen Brief hinterlassen hat. Ein Vierteljahr nach seinem Tod sollte ich ihn öffnen. Nun, ich habe es getan und erfahren, daß ich sehr reich bin. Bisher hat man mich in dem Glauben gelassen, daß wir arm sind und jede Ausgabe sorgsam überlegt werden müßte. Ich habe mich immer danach gerichtet, und ich glaube, ich war meinem Vater auch darin eine gehorsame Tochter. Mit dem heutigen Tag wird das anders. Zunächst möchte ich in Zukunft den Speisezettel vorgelegt bekommen. Sagen wir, jeweils für eine Woche. Ich bestimme dann, was auf den Tisch kommt, für uns und für die anderen. Es soll möglichst kein Unterschied gemacht werden, es sei denn, es ist Besuch im Schloß. Bin ich verstanden worden?«

»Jawohl, Hoheit!«

»Ich danke Ihnen.« Die Kronprinzessin neigt das Haupt und fährt fort: »Übermorgen sollen sich die jungen Damen vorstellen. Eine davon, die mir gefällt, soll auch gleichzeitig meine Privatsekretärin sein. Anschließend wünsche ich einige Wochen auf Reisen zu gehen. Ich möchte endlich einmal Land und Leute kennenlernen, über die ich regieren soll. Sie, Gräfin Ellersiek, und Sie, Graf Blühen, sowie die neue Hofdame sollen mich begleiten. Natürlich werde ich nicht als Kronprinzessin reisen, sondern inkognito. Sie, Graf Blühen, werden den Namen auswählen, unter dem ich zu reisen beabsichtige. So, das wäre es.«

Sie hat mit Ruhe und Gelassenheit, aber auch mit großer Bestimmtheit gesprochen, so daß niemand eine Widerrede wagt. Um Graf Blühens Mund irrt ein amüsiertes Lächeln.

Richtig, kleine Prinzessin, denkt er, setz dich endlich durch, lange genug warst du nur eine Marionette.

Mit tiefer Verneigung ziehen beide sich zurück.

Draußen raunt die Gräfin dem Minister zu: »Na, was habe ich gesagt?«

»Ein neues Zeitalter ist angebrochen«, erwidert der Graf trocken, verneigt sich und geht rasch davon.

*

»Wir sind so arm, bei uns laufen sogar die Mäuse mit Tränen in den Augen herum«, sagt Prinzessin Dagmar von Remington zu dem jungen Stallburschen, der die einzigen zwei Reitpferde zu betreuen hat und der von jeher der Spielkamerad der kleinen Prinzessin war. Die liebreizende Prinzessin sagt das ohne jede Bitterkeit, einfach als feststehende Tatsache, mit der sie sich längst abgefunden hat. Ja, sie lacht dabei über das ganze Gesicht und steckt den jungen Burschen mit ihrem silberhellen Lachen an.

»Aber du bist eine Prinzessin«, wirft der schlanke Mensch mit den lustigen blauen Augen und dem sommersprossigen Gesicht ehrfurchtsvoll ein.

Prinzessin Dagmar funkelt ihn an.

»Das weißt du und sagst ›du‹ zu mir? Na, hör mal!«

Felix wird vor Verlegenheit rot.

»Du… Sie… aber du wolltest doch nie, daß ich ›Hoheit‹ sage. Du warst doch immer empört…«

»Richtig«, lenkt die Prinzessin sachlich ein, »ich will es auch wirklich nicht von dir hören, Felix. Sag weiter Dagmar zu mir. Aber bitte nur, wenn es keiner hört. Mein Bruder Michael würde mir die Ohren langziehen.«

Er legt die Hand auf das Herz.

»Ehrenwort«, versichert er treuherzig, »nur wenn keiner in der Nähe ist, Hoheit!«

»Quatsch!« sagt sie burschikos. »Dagmar heißt das! Du wirst nie gescheit, Felix. Immer bringst du alles durcheinander.«

Die kleine Prinzessin rutscht anmutig von der nicht sehr hohen Mauer herab und läßt die Reitgerte durch die Luft sausen.

»Kümmere dich jetzt bitte um Bellarina. Sie muß abgerieben werden. Tschüs, Felix, bis morgen früh.«

Sie hebt die Hand zum Abschiedsgruß und schlendert ohne Eile über den Hof der Villa zu. Es ist ein langgestreckter Bau mit einer schlichten Fassade, einem breiten, säulengetragenen Portal an der Vorderseite und einer Terrasse an der Hinterfront.

Über die Terrasse geht Prinzessin Dagmar nun und verschwindet im Haus. Sie durchquert einen geräumigen Salon und stößt in der Halle auf den Diener John.

»Hoheit werden dringend verlangt«, sagt er vorwurfsvoll. Aber in seinen blaßblauen Augen blitzt es erfreut auf. Er liebt die kleine Prinzessin von Herzen und ist jederzeit bereit, sie in Schutz zu nehmen. Und das geschieht sehr oft; denn Prinzessin Dagmar ist ein temperamentvolles Geschöpf und immer zu irgendwelchen Streichen aufgelegt.

»Meine Güte!« seufzt die zierliche Prinzessin. »Was soll denn das schon wieder bedeuten? Hat man sich immer noch nicht daran gewöhnt, daß ich um diese Zeit ausreite?«

»Sicher, Hoheit, natürlich, nur…«

»Hör auf zu stottern, John! Wer will mich sprechen?«

»Ihre Hoheit, die Frau Mutter.«

»Ist gut, John. Wo befindet sie sich?«

»Im Gelben Salon, Hoheit.«

John legt einen Schritt zu und öffnet vor der Prinzessin die Tür.

»Ach, du bist es, Michael!«

Prinzessin Dagmar stürmt in das Zimmer und hängt im nächsten Augenblick am Hals des Bruders, den sie abgöttisch liebt.

»Michael, seit wann bist du denn hier? Hast du was ausgefressen?«

»Erlaube mal, Kind!« Prinz Michael von Remington schiebt seine Schwester etwas von sich und sieht ihr in die strahlenden Braunaugen. Er hat die kleine Schwester von ganzem Herzen lieb. Er liebt sie wegen ihrer Natürlichkeit und unbestechlichen Ehrlichkeit. »Muß ich denn unbedingt etwas ausgefressen haben, wenn ich bei euch auftauche?«

Sie blickt ihn von der Seite her an.

»Hand aufs Herz, Michael, dein Besuch hat etwas zu bedeuten?« Dagmar sieht sich um. »Wo ist Mama?«

Prinz Michael drückt die Schwester in einen der Sessel.

»Mama muß gleich erscheinen.« Er sieht prüfend auf das etwas erhitzte Gesicht Dagmars hinab. »Allerdings, Dagmar, es handelt sich um etwas Besonderes.«

»Also hast du doch etwas ausgefressen«, bemerkt sie trocken.

Prinz Michael schüttelt den Kopf.

»Es handelt sich diesmal nicht um mich, Kleines, sondern um dich.«

Im Nu sitzt die Prinzessin kerzengerade.

»Um mich? Da bin ich aber wirklich neugierig. Bis jetzt bin ich doch nur am Rande mitgelaufen.«

Er lacht belustigt auf.

»Diesmal bist du Hauptperson.«

Prinzessin Dagmar runzelt die Stirn.

»Ihr… ihr wollt mich doch nicht etwa verheiraten? Vielleicht mit einem alten, verkalkten Aristokraten, der junges Blut für seine Ahnengalerie nötig hat?«

»Dagmar, Kind, was denkst du von uns! Beruhige dich! Es geht um keine Heirat, dazu bist du noch längst nicht reif. Hör zu, Kind!«

Dagmar setzt sich in ihrem Sessel bequem zurecht und sieht erwartungsvoll zu dem geliebten Bruder auf.

Was für ein interessanter Mann Michael ist, denkt sie, und mustert ihn so eingehend, als habe sie ihn noch nie aus der Nähe betrachtet.

Er ist hochgewachsen wie alle Remingtons, breitschultrig und schmalhüftig, hat eine durchtrainierte Figur und ein rassiges, gebräuntes Gesicht mit hellen, klugen Augen und dunkles Haar. Wirklich, ein gutaussehender Mann. Sollte ihr je ein Mann gefallen, müßte er wie Michael aussehen.

»Zufrieden?« fragt er belustigt, und Dagmar fährt aus ihren Gedanken auf.

»Wie? Was meinst du?«

»Ob du zufrieden mit mir bist, Dagilein. Du hast mich soeben angesehen, als ob ich ein Gegenstand sei, der zum Verkauf angeboten wird.«

»Um Gottes willen!« entfährt es ihr entsetzt. »Dich würde ich für keine Million hergeben.«

Er lacht hellauf, und da sie erwartungsvoll zu ihm aufsieht, rückt er einen Sessel in ihre Nähe.

»Nun schieß endlich los!« fordert sie ihn energisch auf.

»Dagi, Dagi, gewöhne dir nur die burschikose Redeweise ab! Du wirst es nötig haben.«

Sie reißt die Augen weit auf.

»Was? Ich soll mich ändern? Ich denke nicht daran, Michael! Was hast du mit mir vor?«

»Ich nicht, kleine Schwester, aber die Kronprinzessin von Tamarkoff.«

»Die Kronprinzessin? Unsere Kronprinzessin?« Prinzessin Dagmar muß ganz tief Luft holen. »Was… will sie denn von mir?«

»Also hör gut zu, Dagmar.« Jetzt ist Prinz Michael ernst geworden.

»Aus der Hofburg ist ein Schreiben an mich als den Chef unseres Hauses ergangen, daß du, Prinzessin Dagmar von Remington, zu dem Kreis auserwählter junger Damen gehörst, die sich bei der Kronprinzessin Patricia vorzustellen haben. Die Kronprinzessin sucht eine junge Dame ihres Alters als Gesellschafterin und Vertraute.«

»Und da soll ich dabeisein?« fragt sie ungläubig, und als ihr Bruder nickt, entfährt es ihr: »Ich werde verrückt!«

»Schon wieder diese ungehobelte Ausdrucksweise, Kleines!« Verweisend schüttelt Prinz Michael den Kopf. »Mir scheint, es ist völlig sinnlos, dich zur Audienz in die Hofburg zu schicken. Du wirst die Probe nie bestehen.«

»Waas?« sprudelt sie empört hervor. »Du meinst, ich wüßte mich nicht zu benehmen?«

»Genau das!«

»Och, du bist gemein, Michael! Niemals traust du mir etwas Gutes zu.«

»In puncto Benehmen, mein Kind, fehlt dir noch so manches. Du wirst nicht nur dich, sondern die gesamte Familie Remington blamieren.«

Prinzessin Dagmar springt auf. Sie reckt die zierliche Gestalt, macht ein hochmütiges Gesicht und sinkt vor ihrem Bruder in einen tiefen, vorschriftsmäßigen Hofknicks.

»Gewiß, Hoheit! Sehr wohl, Hoheit!« flötet sie dabei mit spitzem Mund. Und dann fällt sie in ihre alte Rolle zurück: »Was sagst du nun? War das hoffähig? Willst du immer noch behaupten, ich könne mich nicht fein benehmen?« Sie funkelt ihn kriegerisch an.

Prinz Michael verbeißt sich ein Lachen.

»Ganz nett, richtig fein.« Und dann prustet er los. »Du bist überwältigend. Vielleicht besitzt die Kronprinzessin Humor.«

»Was soll das heißen?«

»Nun, es ist doch allgemein bekannt, daß es am Hof sehr steif zugeht, daß die Kronprinzessin überaus streng erzogen ist. Sie wird auf Schritt und Tritt beobachtet. Es sollte mich nicht wundern, wenn am Hof das Lachen verboten ist…«

»Waas?« unterbricht Dagmar ihn heftig. »Und in ein solches Gefängnis willst du mich schicken? Daraus wird nichts, Bruderherz! Willst du, daß ich elendig verkümmere?«

Er sieht sie eine Weile gedankenvoll an und meint dann: »Ich könnte mir sehr gut vorstellen, daß du etwas frischen Wind in die verstaubte Welt der Kronprinzessin bringen könntest.«

»Oder man setzt mich an die frische Luft«, entgegnet sie trocken. »Wann soll denn der Rummel losgehen?«

»Am Montag bereits. Du hast nur zwei Tage Zeit, um dich vorzubereiten.«

»Und was sagt Mama dazu?« erkundigt sie sich vorsichtig. »Hat sie etwa jetzt schon ihre Zustände, aus Angst vor der Blamage?«

»Da kommt Mama!« Prinz Michael geht seiner Mutter, Fürstin Hermina von Remington, entgegen und küßt ihr die Hand. Dann nimmt er sie in die Arme und küßt sie auf die Wangen.

Fürstin Hermina sieht unglaublich jung aus mit dem reichen Braunhaar, in dem noch kein einziges graues Fädchen zu entdecken ist. Etwas Hilfloses geht von der schlanken Frau aus. Aus diesem Grund, weil sie dem Leben nicht so recht gewachsen ist, wird sie von ihren beiden Kindern verwöhnt und zärtlich geliebt. Man sieht in ihr mehr die Freundin als die erzieherisch wirkende Mutter.

»Da seid ihr ja! Hast du es Dagmar beigebracht?« wendet sie sich an den Sohn, der ihr ehrerbietig einen Sessel zurechtrückt. Als er es bestätigt, richtet sie den Blick auf die Tochter. »Hoffentlich schicken sie dich wieder nach Hause, Kind.«

»Aber Mama!« Das ist ein einziger Empörungsschrei.

»Nun ja, weil ich überzeugt bin, daß du dich niemals in das Hofleben eingewöhnen könntest. Und dann, was soll ich nur ohne Dagilein anfangen?« Das klingt ängstlich und traurig zugleich.

»Deine Nerven stärken, die Dagmar täglich strapaziert«, wirft Prinz Michael trocken ein.

Unsicher schaut sie zu dem Sohn hin, der mit verschränkten Armen an der Glasvitrine lehnt und sehr amüsiert aussieht.

»Also bist du entschlossen, Dagmar in die Hofburg zu schicken?«

»Der Wunsch der Kronprinzessin kommt einem Befehl gleich, Mama.«

Fürstin Hermina seufzt ergeben, und Prinzessin Dagmar wird es ganz eigen ums Herz. Impulsiv sprudelt sie hervor: »Weißt du was, Muschilein? Ich nehme dich einfach mit in die Hofburg.«

»Sieh zu, daß du erst mal selbst hineinkommst. Bis jetzt bist du nämlich noch nicht drin.« Damit setzt der Prinz der Schwester einen Dämpfer auf.

Wieder gleitet ein langer Blick Herminas zu Michael. Sie hat dabei einen Gesichtsausdruck, als könne sie es bis jetzt noch nicht fassen, einen so stattlichen Sohn zur Welt gebracht zu haben, wo sie doch stets nur ›eine halbe Portion‹ war, wie der verstorbene, über alles geliebte Gatte von ihr immer behauptet hat.

Nun ja, er gleicht eben seinem Vater aufs Haar, denkt sie. Nur ist er ernster und nimmt das Leben viel schwerer als der jederzeit übermütige, lebensfrohe Fürst, der sie auf Händen getragen und seine kleine Familie sehr geliebt hatte.

»Machst du dir Sorgen wegen der Ausstattung, die Dagmar für den Empfang haben muß?« fragt Prinz Michael seine nachdenkliche Mutter. Ehe diese noch antworten kann, erklärt Prinzessin Dagmar nicht ohne Stolz: »Hast du eine Ahnung, Michael! Unsere Rischa ist ein Genie. Wir haben eine Fundgrube auf dem Boden entdeckt, eine uralte Truhe, vollgestopft mit alten, aber sehr kostbaren Roben. In unermüdlicher Kleinarbeit hat Rischa die Roben auseinandermontiert, gewaschen und gebügelt und daraus die schönsten Kleider gezaubert. Hast du noch nicht gemerkt, daß Mama und ich immer nett angezogen sind?«

»Allerdings«, stimmt Prinz Michael ihr zu. »Mich hat das immer gewundert.«

Er zückt seine Brieftasche und entnimmt ihr einen Schein, den er seiner Schwester in die Hand drückt.

»Da, Dagmar, kauf dir dafür irgend etwas, das du für den Empfang nötig hast.«

Aus großen Augen sieht sie den Bruder entgeistert an.

»Sag mal, Michael, hast du eine Bank beraubt? Wie kommst du zu so viel Geld?«

Er lacht belustigt auf.

»Ich habe einen Wagen verkauft.«

»Was? Du hast deinen Wagen verkauft?« ruft die Prinzessin entsetzt. »Das Prunkstück der Familie?«

Er streicht zärtlich über ihr wiederspenstiges Lockenhaar.

»Keine Sorge, Kleines, nicht meinen Wagen habe ich verkauft, sondern einen Wagen. Seit kurzem bin ich Vertreter der Gass- Motorenwerke. Es ist nur ein Übergang. Ich muß Geld verdienen, um euch unter die Arme greifen zu können.«

Nach diesen Worten legt er auch vor seine Mutter einige Scheine.

»Nimm, Mama, ich habe gut verdient, und ihr sollt nicht immer mit jedem Pfennig rechnen müssen.«

Auch Fürstin Hermina starrt den Sohn ungläubig an.

»Aber Michael, wie kannst du nur! Du, ein Sproß des Hauses Remington, und Vertreter!«

»Mama, Arbeit schändet nicht, und was ich tue, wird unserem alten Namen keine Unehre machen. Ich bin nun einmal begeisterter Rennfahrer, und Autos sind meine Leidenschaft.

Weshalb soll ich nicht aus Überzeugung Autos verkaufen? Später einmal, Mama, werde ich entweder ein eigenes Büro eröffnen und mich als zweifacher Doktor niederlassen, oder in den Staatsdienst treten, wenn ich Glück habe. Umsonst habe ich bestimmt nicht Rechts­- und Staatswissenschaft studiert. Bist du nun beruhigt, kleine Mama?«

Ergeben legt Fürstin Hermina die Hände im Schoß zusammen.

»Du wirst es schon richtig machen, Michael, du warst immer energisch und zielbewußt. Du wirst dein Ziel erreichen, Junge.«

Prinz Michael nimmt die schlanke Hand seiner Mutter auf und drückt dankbar seine Lippen darauf.

»Ich danke dir, Mama, ich danke dir dafür, daß du an mich glaubst.« Er richtet sich auf. »Ist nun alles klar? Wird Dagmar rechtzeitig in der Hofburg erscheinen?«

Die Fürstin nickt.

»Ich werde dafür sorgen, Michael. Aber hoffentlich befördert man Dagmar recht schnell wieder hinaus.«

*

Kronprinzessin Patricia verläßt ihr Arbeitszimmer über die Terrasse und begibt sich in den Park. Es ist eine wunderbare Anlage und war das Hobby ihres verstorbenen Vaters. Die Wege sind sorgsam gepflegt, blühende Sträucher säumen sie, die Rabatten sind ein Blumenmeer. Das duftet und erfüllt die Luft mit Wohlgeruch.

Patricia geht an den Rosen vorbei, bleibt hier und da stehen und beugt sich zu den wunderschönen Blüten hinab.

Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr. Noch zehn Minuten hat sie Zeit, dann muß sie zurück in das Empfangszimmer, um sich die jungen Damen anzusehen, die sie zur Audienz befohlen hat.

Sie nähert sich langsam einer der zwischen den Büschen aufgestellten weißleuchtenden Bänke, auf der ein junges Mädchen sitzt.

Sie wundert sich, daß die junge Dame bei ihrem Erscheinen sitzen bleibt und ihr mit neugierigem Blick entgegensieht. Es ist ein bildhübsches Geschöpf, wie die Kronprinzessin feststellt, mit braunem, lockigem Haar und großen braunen Kinderaugen.

Jetzt hebt die Fremde die Hand und sagt: »Kommen Sie, nehmen Sie Platz! Wer weiß, wie lange wir noch warten müssen, bevor die Kronprinzessin geruht uns zu empfangen. Warten ist eine langweilige Angelegenheit, finden Sie nicht auch?«

Die Fremde rückt zur Seite und macht Patricia Platz. Vertraulich neigt sie sich herüber.

»Sind Sie auch zur Kronprinzessin befohlen?« fragt sie. Ein prüfender Blick aus den braunen Augen streift Patricia, der das Versteckspiel Spaß zu machen beginnt. Sie nickt und fährt ein wenig zusammen, als das junge Mädchen ungeniert weiterspricht.

»Aber hören Sie mal, sehr vorteilhaft sehen Sie nicht gerade aus. Wie kann man sich nur so unmöglich anziehen? Haben Sie denn keine Mutter, die Sie berät?«

Wieder schüttelt die Kronprinzessin nur den Kopf. Mit immer größer werdendem Interesse betrachtet sie das fremde Mädchen, das so offenherzig seine Meinung sagt.

»Mein Bruder behauptet, die Kronprinzessin liebe alles, was schön ist.« Sie streift Patricia mit einem sehr ernsten und forschenden Blick. »Schön sehen Sie gerade nicht aus. An Ihrer Stelle würde ich mir keine Hoffnung machen. Sie würden nur sehr enttäuscht sein, wenn die Kronprinzessin Sie nicht auswählt.«

»Wären Sie denn enttäuscht?« fragt Patricia, die sich ein Lachen verbeißen muß.

»Nicht die Spur! Mir wäre es sehr lieb, wenn sie mich gleich in der ersten Minute wieder hinausfeuerte.« Dagmar von Remington – denn sie ist es, die sich aus dem Salon in den Park geschlichen hat, da sie es im Schloß zu langweilig fand – legt den Arm um die Kronprinzessin. »Wissen Sie, mir macht es gar nichts aus, wenn ich nicht zum Hofdienst befohlen werde. Ich lache sehr gern, und mein Bruder behauptet, in der Hofburg dürfe nicht einmal gelacht werden, es würde furchtbar steif zugehen. Das ist nichts für mich. Ich bin gern lustig und zu Streichen aufgelegt. Was soll ich in einer solchen Umgebung? Ich bitte Sie, ich würde mich nur unglücklich fühlen. Und auf den Titel einer Hofdame pfeife ich.«

»Aber es ist doch allerhand Geld damit verbunden«, wirft die Kronprinzessin ein.

»Geld?« Prinzessin Dagmar schnauft verächtlich durch die Nase. »Wir haben nie Geld gehabt, wir sind immer arm gewesen. Sie müssen wissen, wir entstammen einer zwar ahnenreichen, aber sehr armen Seitenlinie der Remingtons. Geld bedeutet für mich nicht so viel!« Dabei schnippt sie mit dem Finger. »Aber Sie glauben nicht, wie glücklich wir sind, Muschi, Rischa und John, der Allerweltskerl, Butler, Haushofmeister und Diener in einer Person, und dann mein Bruder Michael, der beste Mann, den es auf der Welt gibt. Er ist älter als ich und sehr ernst. Ich bin ein Nachzügler, deshalb darf ich mir auch alles erlauben, und ich mache reichlich Gebrauch davon, das können Sie mir glauben!«

»Ich glaube Ihnen«, versichert die Kronprinzessin. Sie hat sich selten so köstlich amüsiert, wie bei den Ausführungen der kleinen Person, die bei aller Unbekümmertheit doch etwas Damenhaftes an sich hat.

»Werden Sie meinen Rat beherzigen?« forscht Dagmar.

»Welchen Rat?«

»Nun, davonlaufen, ehe Sie sich vor der Kronprinzessin blamieren. Sie dürfen mir nicht böse sein, ich meine es gut mit Ihnen!« versichert Dagmar eifrig und warmherzig.

Ein schattenhaftes Lächeln irrt um den Mund Patricias.

»Leider kann ich das nicht. Es ist mir nicht gestattet.«

»Sie Ärmste! Sicher haben Sie es nötig, Geld zu verdienen. Nun ja, Sie müssen es wissen. Also, dann leben Sie wohl. Vielleicht sehen wir uns ja noch.«

Prinzessin Dagmar erhebt sich. Treuherzig sieht sie die Kronprinzessin an.

»Schade, daß wir uns schon trennen müssen. Sie gefallen mir. Sie haben wunderschöne Augen, wissen Sie das?«

Patricia errötet und neigt den Kopf zur Seite.

»Nein, das hat mir noch niemand gesagt«, erwidert sie bitter.

»Keine Bange«, tröstet Dagmar, »es wird schon einer kommen, der Ihnen das sagt. Wissen Sie, was unsere Rischa immer behauptet? Zu jedem Pott gibt es den passenden Deckel! Nun muß ich aber verschwinden, sonst falle ich noch unangenehm auf. Wiedersehen!«

Sie winkt der zurückbleibenden Kronprinzessin zu und huscht über die Wege zurück in die Hofburg.

*

Gräfin Ellersiek macht eine auffordernde Handbewegung zu Prinzessin Dagmar von Remington hin und sagt: »Ihre Hoheit läßt bitten!«

Die Gräfin geleitet Dagmar bis zur Tür, die der Diener aufreißt, und Dagmar taumelt förmlich in den saalartigen Raum, in dessen Mitte die Kronprinzessin steht.

Dagmar versinkt in einen tiefen Knicks. Von unten herauf schielt sie auf die hohe, schlanke Gestalt – und da ist es auch schon geschehen. Ehe es Dagmar bewußt wird, sinkt sie mitten aus dem Hofknicks heraus auf das Parkett. Dort sitzt sie nun und blickt mit großen, entsetzten Augen auf die Kronprinzessin, zu deren Füßen sie gelandet ist.

»Ach du meine Güte!« stößt sie nach einer Weile ganz konsterniert hervor. »Da hab’ ich ja was Schönes angerichtet.«

Sie versucht, sich hochzurappeln, aber das weite Gewand hindert sie daran.

Lächelnd neigt Patricia sich vor und reicht ihr die Hand.

»Kommen Sie, kleine Prinzessin, ich helfe Ihnen!«

Endlich steht Dagmar auf den Beinen. Ihr Gesichtchen war tiefrot angelaufen, aber jetzt verliert es alle Farbe.

»Mir ist ganz schlecht, Hoheit«, stammelt sie, und Patricia legt den Arm um die zitternde Dagmar, die aller Mut verlassen hat, und führt sie zu einem der zierlichen Sessel.

»Erholen Sie sich erst einmal von dem Schreck«, sagt die Kronprinzessin gütig und läßt sich Dagmar gegenüber nieder, sie mit einem belustigten Lächeln betrachtend.

Für sie steht es schon seit der Begegnung im Park fest: die oder keine wird ihre jüngste Hofdame und Privatsekretärin.

»Wie war das, Prinzessin Dagmar, wollten Sie nicht, daß Sie in der ersten Minute hinausgefeuert würden? Wünschen Sie sich das noch immer?«

Prinzessin Dagmar sieht sehr kläglich aus. Aber die Kronprinzessin schaut so lieb drein, gar nicht böse, so daß sie endlich den Mund zu öffnen wagt.

»Verzeihung, Hoheit, immer geht mein loses Mundwerk mit mir durch. Meine Musch, entschuldigen Sie, Hoheit, meine Mutter hat mir von vornherein prophezeit, ich würde mich unsterblich blamieren. Sagen Sie selbst, Hoheit, kann sich ein Mensch überhaupt noch schlimmer blamieren als ich?«

Das Lächeln Patricias vertieft sich.

»Sie konnten doch nicht wissen, in der unmöglich angezogenen Dame die Kronprinzessin vor sich zu haben.«

Wieder läuft Dagmar rot an.

»Bitte, verzeihen Sie, Hoheit, aber wahr ist es. Sie sind wirklich unmöglich angezogen. Wer steht Ihnen denn als Beraterin zur Seite?«

»Ich hoffe, in Kürze Sie, kleine Prinzessin Dagmar«, sagt die Kronprinzessin mit ihrer dunklen, warmen Stimme.

Dagmars Augen werden riesengroß.

»Ich, Hoheit? Aber ich bin doch viel zu dumm.«

»Das glaube ich nicht. Ich glaube eher, Sie sind eine ganz gescheite Person. Sind Sie noch immer gegen die Hofburg eingestellt?«

Eifrig nickt Dagmar. »Gegen die Hofburg schon, aber gegen Hoheit nicht. Im Gegenteil, ich finde Hoheit wunderbar!«

Offenherzig strahlt sie die Kronprinzessin an, so daß es dieser ganz warm ums Herz wird.

»Wie ist es nun, wollen Sie in meine Dienste treten, Prinzessin Dagmar von Remington?«

Patricia sagt das ernst und eindringlich, und Dagmar durchfährt ein Schreck.

»Das… das ist ein Befehl, nicht wahr, Hoheit?« fragt sie ängstlich.

»Kein Befehl, kleine Prinzessin, aber eine Bitte. Es würde mich aufrichtig freuen, wenn wir Freundinnen würden.«

Dagmar starrt die Kronprinzessin verblüfft an.

»Aber das kann Ihr Ernst nicht sein, Hoheit. Mein Bruder behauptet, die Kronprinzessin sei die gescheiteste und klügste Frau im ganzen Land. Und ich, du lieber Gott, ich bin ein sehr unbedeutendes Mädchen.«

»Aber Sie besitzen etwas sehr Wertvolles: Sie haben den Mut, offen Ihre Meinung zu sagen, und Sie verstehen es ausgezeichnet, Frohsinn um sich zu verbreiten. Das weiß ich sehr wohl zu schätzen, kleine Prinzessin. Nun, immer noch Bedenken?«

»Glauben Sie mir, Hoheit, ich werde mich sehr ungeschickt anstellen, ich war nämlich noch nie Hofdame«, sagt Dagmar mit so treuherzigem Ausdruck, daß die Kronprinzessin hell auflachen muß.

Dagmar lauscht hinter diesem Lachen her, und sie findet es sehr warmherzig.

»Wollen Hoheit nicht doch lieber eine von den anderen Damen zum Hofdienst bestimmen? Sie werden nicht viel Freude an mir haben, Hoheit, da ich immer alles sage, was mir auf der Zunge liegt. Bedenken Hoheit doch, wie unangenehm ich auffallen würde. Sie hätten wirklich nur Ärger mit mir. Und Kummer möchte ich Ihnen wirklich nicht bereiten.«

Die Kronprinzessin ist von der Ehrlichkeit der kleinen Prinzessin so angenehm berührt, daß sie sie am liebsten in die Arme nehmen möchte. Wann hat jemand je so aufrichtig mit ihr gesprochen?

Sie zwingt sich zur Strenge.

»Schluß jetzt, Prinzessin Dagmar von Remington! Sie werden meine Hofdame und werden Ihren Dienst in den nächsten Tagen antreten. Sie erhalten noch genaue Instruktionen. Nächste Woche gehe ich für einige Wochen auf Reisen, und Sie werden mich begleiten.«

Ergeben neigt Dagmar das Köpfchen.

»Sehr wohl, ich werde Hoheit auf der Reise begleiten.« Und dann sieht sie sich aufmerksam um.

»Verzeihung, Hoheit, gibt es hier denn nichts zu trinken? Warum wird überhaupt im Sommer in diesen Räumen so übermäßig geheizt? Wenn ich vielleicht ein Glas Wasser…?«

Die Kronprinzessin lacht wieder hell heraus.

»Sie sind köstlich, Prinzessin, und ich bin unaufmerksam.« Sie sieht auf die kostbare Uhr auf dem Kaminsims. »Wir haben die vorgeschriebene Zeit über Gebühr überschritten. Das gibt sicher ein Donnerwetter für mich. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.«

Patricia geht zu dem Schreibtisch und drückt auf einen Knopf. Sofort erscheint Gräfin Ellersiek.

»Hoheit wünschen?«

»Bitte, Gräfin, schicken Sie die anderen jungen Damen fort. Ich werde jeder persönlich schreiben. Es soll sich niemand beleidigt fühlen. Prinzessin Dagmar von Remington wird meine Hofdame. Wollen Sie bitte davon Kenntnis nehmen. Und wenn ich bitten darf, lassen Sie uns auf der Terrasse eine Erfrischung servieren. Die Prinzessin bleibt noch etwas bei mir.«

Sie neigt den Kopf, und mit einer tiefen Verbeugung zieht die Gräfin sich zurück.

Draußen lehnt sich die Gräfin ein paar Sekunden gegen die Tür.

Total verrückt, denkt sie. Ein so junges Ding und Hofdame. Das kann niemals gutgehen!

*

Seit geraumer Weile steht Fürstin Hermina von Remington auf dem Balkon eines der Fremdenzimmer und beobachtet die Auffahrt. Sie wartet auf Dagmar und kann sich nicht erklären, weshalb sie so lange in der Hofburg festgehalten wird. Sie ist voller Unruhe. Ob Dagmar wohl respektlos war und die Kronprinzessin erzürnt hat?

Endlich fährt eine vornehme Limousine mit dem fürstlichen Wappen vor und Dagmar steigt aus. Gegen ihre sonstige Gewohnheit setzt sie Fuß vor Fuß, während sie sonst angestürmt kommt.

Fürstin Hermina eilt die Treppe hinunter und betritt gleichzeitig mit ihrer Tochter die Halle. Dagmar läßt sich in den erstbesten Sessel plumpsen.

»Die Katastrophe ist da, Mami!« verkündet sie unheilvoll.

Erschreckt neigt sich Hermina zu ihrer Tochter.

»Welche Katastrophe, Kind? So rede doch!« drängt sie erregt. »Was ist passiert?«

»Das Schlimmste, was mir überhaupt passieren konnte, Mami. Ich bin zur Hofdame ernannt.«

Das klingt mehr bedrückt als erfreut. Aber Hermina atmet erleichtert auf. Es hätte schlimmer kommen können, denkt sie.

»Erzähle, Kind«, fordert sie die Tochter auf.

Unsicher blinzelt Dagmar zu ihrer Mutter auf.

»Eigentlich habe ich nichts als Blödsinn gemacht, Muschilein. Zuerst habe ich die Kronprinzessin, die ich noch nie gesehen hatte, für eine Bewerberin gehalten und ihr allerlei Unangenehmes gesagt. Als ich dann vor ihr stand, habe ich mich vor Schreck aufs Parkett gesetzt, der Kronprinzessin direkt vor die Füße. Glaube mir, so tief bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht erschrocken gewesen. Ich fand kaum die Sprache wieder.«

Hermina unterdrückt ein Lachen.

»Das will bei dir allerhand bedeuten, Dagi. Und trotzdem hat die Kronprinzessin dich erwählt? Dann brauchst du doch nicht so zerknirscht auszusehen. Das ist ein Glück für dich!«

»Meinst du, Muschi? Ich bin anderer Meinung. Die Hofburg ist ein riesiger kalter Bau, das heißt, die heizen wie verrückt, obgleich es warm ist und die Sonne scheint. Ich bin bald erstickt in der Hitze. Und die arme Kronprinzessin muß in solcher Umgebung leben und immer machen, was die anderen sagen. Findest du das schön?«

»Nun, mein Kind, das Leben einer Kronprinzessin verläuft eben anders, als zum Beispiel dein Leben bisher verlaufen ist. Aber das wirst du erst verstehen lernen, wenn du selbst in der Hofburg lebst.«

Fürstin Hermina hat sehr ernst und nachdrücklich gesprochen. Um ihren Mund zuckt es, und Dagmar hat das Gefühl, als wolle ihre Mutter jeden Augenblick in Lachen ausbrechen.

»Du kannst mich wohl nicht schnell genug los sein, Muschi?« fragt sie kleinlaut.

»Aber mein Kind!« Hermina legt die Arme um Dagmars Hals und küßt sie auf die Wangen. »Wie kannst du so etwas sagen! Du wirst uns sehr fehlen. Wir dürfen aber jetzt nicht an uns, sondern müssen an dich denken. Ein Glück ist es doch für dich, wenngleich du es im Augenblick nicht einsehen willst. Nun komm schon, Dagi, wir wollen Tee trinken. Michael kann jeden Augenblick kommen. Er wollte unbedingt wissen, wie es in der Hofburg ausgegangen ist!«

Sie zieht ihre Tochter empor und führt sie in ihren Salon, wo John bereits am Teetisch auf die Herrschaften wartet.

Als sie sich gegenübersitzen, erklärt Dagmar eifrig: »Und morgen um elf Uhr werde ich abgeholt, und du mußt auch mitkommen, Mami! Die Kronprinzessin möchte alle Formalitäten mit dir besprechen, da ich noch nicht volljährig bin.«

Hermina sieht an ihrer Tochter vorbei ins Leere. Sie, die arme Prinzessin, soll in die Hofburg kommen? Das, was die reichen Remingtons, ihre Verwandten, immer zu verhindern wußten, tritt ein? Und ihre kleine Dagmar soll Hofdame werden, ein Amt bekleiden, um das sich die reichen Remingtons förmlich gerissen hätten? Ach, wenn es der geliebte Mann noch erlebt hätte!

Unwillkürlich richtet sie sich auf. Wenn sie auch in der Verwandtschaft wegen ihrer Armut verachtet sind, ihr Stolz war niemals zu brechen gewesen.

»Wenn es sein muß, Dagmar, werde ich mich nicht sträuben. Aber es soll keiner wagen, über uns die Nase zu rümpfen.«

*

Der Gedenkgottesdienst für den verstorbenen Fürsten von Tamarkoff ist beendet. Leise klingt die Orgel aus, und Kronprinzessin Patricia erhebt sich von den Knien.

Noch ein paar Minuten verharrt sie gedankenvoll vor dem Altar, dann wendet sie sich zum Gehen.

Dicht hinter Patricia schreitet Prinzessin Dagmar. Seitdem sie in der Hofburg weilt, sind sie und die Kronprinzessin unzertrennlich. Bei den jungen Menschenkindern ist es Zuneigung auf den ersten Blick gewesen. Täglich finden sie mehr gemeinsame Berührungspunkte, und Dagmars Frohsinn und ihr Humor haben der überaus ernsten Patricia schon manches Lächeln entlockt.

Mit dem heutigen Tag ist auch die Hoftrauer beendet, so wie es Fürst von Tamarkoff bestimmt hat.

In Patricias Ankleidezimmer wühlt Prinzessin Dagmar unter den Kleidern der Kronprinzessin, aber ihr vor Eifer gerötetes Gesichtchen wird immer ratloser. Alles, was sie in den Händen gehalten hat, sah kein bißchen netter und freundlicher aus als die Trauerkleidung, die Patricia bis heute getragen hat. Dagmar schüttelt den Kopf.

»Das geht nicht, Hoheit«, sagt sie energisch, »von den Gewändern können Sie keines anlegen.«

Patricia lehnt behaglich in einem der zierlichen Sessel, ein belustigtes Lächeln um den Mund.

»Die Absicht habe ich auch nicht.«

»Nein?« Dagmar ist verwundert. »Aber Hoheit müssen sich doch umkleiden?«

»Muß ich das?« Patricias Lächeln vertieft sich. Schnell erhebt sie sich. »Schrecklich, wenn hinter allem ein Muß steht.« Sie streckt die Arme von sich. »Schluß damit! Jetzt werde ich einmal tun, was ich möchte, Kleines. Das Kleid behalte ich an, obgleich ich es nicht leiden mag. Komm mit in meinen Salon. Wir wollen gemeinsam unsere Reise zusammenstellen.«

»Unsere was?«

»Unsere Reise, Dagmar«, wiederholt die Kronprinzessin. Es klingt fröhlich.

»Weißt du nicht mehr, daß ich einige Wochen auf Reisen gehe? Endlich kann ich einmal tun, was mir Freude macht. Endlich kann ich mir leisten, was ich will. Ach, Dagmar, du weißt nicht, wie armselig ich aufgewachsen bin. Immer wurde mir gesagt, ich müsse sparen, sparen und wieder sparen. Mein Vater hat nicht nur mich, nein, den ganzen Hofstaat knappgehalten. Heute weiß ich es. Dabei sind wir reich, unermeßlich reich. Ich habe mir geschworen, daß ich alles ändern will, wenn ich erst regierende Fürstin bin. Doch vor meiner Krönung habe ich die Absicht, Land und Leute kennenzulernen. Natürlich werde ich inkognito reisen.«

»Und ich… ich soll Hoheit begleiten?« fragt Dagmar atemlos.

»Selbstverständlich, Kleines! Wir werden acht Wochen herrlich und in Freuden leben. Natürlich werden uns Gräfin Ellersiek und Graf Blühen begleiten. Wir fahren in zwei Wagen.«

Hingerissen von der verlockenden Eröffnung blickt Dagmar auf Patricia.

»Das… das kann ich noch gar nicht glauben, Hoheit.« Und dann preßt sie bestürzt die Hand gegen den Mund. »Ach, du meine Güte! Da muß ich doch aber eine Menge Garderobe haben; woher jedoch nehmen?«

Leise lacht die Kronprinzessin auf.

»Nichts wirst du mitnehmen, ich nämlich auch nicht. Wir kaufen uns unterwegs, was uns gefällt. Hast du verstanden?«

Dagmar nickt eifrig. Die plötzlich so energisch auftretende Kronprinzessin imponiert ihr mächtig.

»Darf ich mir eine Frage erlauben, Hoheit?«

»Gewiß, Kleines.«

»Wird Gräfin Ellersiek auch diesmal Ihre Garderobe aussuchen, Hoheit?«

Patricias Gesicht nimmt einen grimmigen Ausdruck an.

»Damit ist es endgültig vorbei. Zukünftig wähle ich nach meinem Geschmack, und du wirst mir dabei helfen. Ich habe schon festgestellt, daß du genau weißt, wie man sich kleiden muß. Zu zweit werden wir es schon schaffen…«

»… aus einem häßlichen Entlein einen stolzen Schwan zu machen«, vollendet Dagmar und preßt im nächsten Moment die Zähne zusammen. Sie wirft einen unsicheren Blick auf die Kronprinzessin. Wie konnte sie sich so etwas erlauben! Aber Patricia ist gar nicht beleidigt. Sie seufzt tief auf.

»Bei meinem Aussehen wird das wohl nie gelingen.«

Dagmar ist empört.

»Das dürfen Hoheit nicht sagen!« protestiert sie. »Neulich war ich zugegen, als die Zofe Bella Ihr Haar bürstete. Sie haben das schönste schwarze Haar, das ich je gesehen habe. Sie müssen nur eine vorteilhaftere Frisur wählen. Ich wüßte schon, welche. Und dann haben Hoheit die strahlendsten blauen Augen, die es überhaupt geben kann. Nur blicken sie meist viel zu traurig, und dadurch wirken sie glanzlos. Und Ihre Figur, Hoheit…«

Die Kronprinzessin läßt sich tief in den Sessel zurückgleiten und hält sich die Ohren zu.

»Hör auf, hör auf, Kleines! Wenn du noch weitersprichst, machst du eine Schönheit aus mir.«

»Genau das werde ich tun, Hoheit!« sagt Prinzessin Dagmar todernst. »Bei der Garderobe fangen wir an. Gemeinsam schaffen wir es schon, nur müssen Hoheit bei der Stange bleiben und nicht abtrünnig werden.«

»Was heißt denn das?«

»Nun, Hoheit müssen sich gegen Gräfin Ellersiek behaupten und Ihren Willen durchsetzen.«

»Und ob ich das tun werde!« versichert die Kronprinzessin aus tiefstem Herzen. »Mit dem blinden Gehorsam, den man von klein auf von mir verlangte, ist es aus und vorbei!«

»Recht so!« stimmt Dagmar begeistert ein. In ihren Augen liegt tiefe Bewunderung, aber auch Freude, denn das sonst so bleiche Antlitz der Kronprinzessin hat sich vor Erregung leicht gerötet, und sie findet, das kleidet Patricia sehr gut.

*

Drei Tage lang herrscht in der Hofburg helle Aufregung. Minister gehen bei der Kronprinzessin aus und ein. Alle kommen sie mit hochrotem Kopf zurück. Und dann hat Patricia ihren Willen durchgesetzt: Acht Wochen Freiheit liegen vor ihr, acht Wochen wird sie dem höfischen Zwang entfliehen können. Dafür nimmt sie Gräfin Ellersiek und Graf Blühen als Begleitung gern in Kauf. Irgendwie würde sie mit denen schon fertig werden, um diese schwererrungene Freiheit auch genießen zu können.

Gräfin Ellersiek ist außer sich, als die Kronprinzessin den Auftrag gibt, nur ihren Schmuck und die Toilettensachen einzupacken.

Sie fällt bald in Ohnmacht, als ihr eröffnet wird, alles, was die Kronprinzessin benötige, werde in der nächsten Großstadt gekauft. Aber sie wagt keinen Widerspruch mehr, seitdem die Kronprinzessin begonnen hat, mit allem Nachdruck ihren Willen durchzusetzen.

Und dann rollen die beiden dunklen, eleganten Reisewagen aus dem breiten Portal. Sie tragen weder das fürstliche Wappen noch die Standarte. Die Kronprinzessin Patricia von Tamarkoff reist inkognito als Komteß von Alberdeen. Das große Abenteuer beginnt.

*

»Tony, was haben Sie?«

Kronprinzessin Patricia hat den Chauffeur schon eine Weile beobachtet, wie er von Zeit zu Zeit das Gesicht schmerzlich verzieht und sich leicht zusammenkrümmt.

»Nichts, Hoheit«, erwidert er und wischt sich heimlich ein paar Schweißtropfen von der Stirn.

Zu dumm, überlegt er, woher kommen nur diese höllischen Schmerzen. Er muß sich zusammenreißen. Das geht auch ein paar Minuten gut, dann aber setzt dieser grausame Schmerz wieder ein. Er stöhnt leise.

»Sie haben doch Schmerzen, Tony! Wo fehlt es denn?« fragt die Kronprinzessin teilnehmend. »Können Sie überhaupt noch fahren?«

Tony krampft die Hände fester um das Steuer. Jetzt wird auch Graf Blühen aufmerksam. Er sieht von der Seite her in ein bleiches Gesicht.

»Verzeihung, Hoheit, das ist ganz plötzlich über mich gekommen. Mir ist wirklich sehr schlecht.«

»Halten Sie, Tony!« befiehlt die Kronprinzessin, und gehorsam lenkt der Fahrer den Wagen an den rechten Straßenrand. Sie haben gerade die Vororte der nächsten Großstadt erreicht.

Tony hängt ein wenig über dem Steuerrad.

»Es ist der Leib!« stöhnt er.

Aufmerksam geworden, mischt sich nun auch Prinzessin Dagmar ein, die neben der Kronprinzessin sitzt.

»Das wird doch nicht Blinddarmentzündung sein? Bei mir hat es auch so angefangen! Später ging es auf Leben und Tod.« Sie ist ganz Mitgefühl, und Patricia erschrickt.

»Bitte, Graf Blühen, würden Sie sich ans Steuer setzen. Haben Sie eine Ahnung, wo hier ein Krankenhaus ist? Wir könnten schnell hinfahren, und Tony untersuchen lassen.«

Graf Blühen steigt sofort aus und sieht sich aufmerksam um. Ja, jetzt weiß er, wo sie sich befinden. Er geht um den Wagen herum und hilft dem Chauffeur auf den Beifahrersitz.

Wenig später passieren sie die breite Einfahrt der nächsterreichbaren Klinik.

Graf Blühen geleitet Tony die Stufen zum Eingang hinauf. Auch die Kronprinzessin hat den Wagen verlassen und geht zu dem Auto, aus dem Gräfin Ellersiek mit verwundertem Gesicht aussteigt.

»Was ist geschehen, Hoheit? Ist etwas mit Tony?«

»Das werden wir gleich wissen, Gräfin. Er hat große Schmerzen, und Graf Blühen bringt ihn zum Arzt«, erklärt Patricia.

Prinzessin Dagmar taucht neben ihnen auf.

»Der arme Kerl! Hoffentlich ist es nicht der Blinddarm, dann sind wir Tony als Chauffeur los. Und was ist dann, Hoheit? Werden wir die Reise aufgeben?«

Sie merkt, daß die Kronprinzessin ziemlich bestürzt ist. Ihr zartes Antlitz hat kaum noch Farbe.

Energisch schüttelt sie den Kopf.

»Irgendwo wird Graf Blühen wohl einen tüchtigen Fahrer auftreiben können.«

Stumm blickt sie zum Eingang der Klinik hinüber.

Nach einer halben Stunde erscheint der Graf endlich.

»Blinddarm, Hoheit«, berichtet er etwas atemlos. »Sofortige Operation.«

»Haben Sie alle Formalitäten erledigt, Graf? Bekommt er die beste Pflege?« erkundigt sich Patricia.

»Alles erledigt, Hoheit. Für Tony wird alles getan.«

Patricia überlegt kurz, dann entscheidet sie: »Wir bleiben eine Nacht hier. Graf Blühen, wählen Sie für uns ein passendes Hotel aus. Ich möchte unbedingt wissen, wie es Tony nach der Operation geht. Und vergessen Sie nicht, Graf, von nun an bin ich Komteß Alberdeen!«

»Gewiß Hoheit – äh – Komteß.«

*

Seit einer Stunde sitzt Prinz Michael von Remington dem Direktor der Gass-Motorenwerke in dessen feudalem Büro gegenüber.

Direktor Bender ist guter Laune. Der Prinz hat eines der teuersten Modelle, einen Luxuswagen, an einen sehr prominenten Kunden verkauft. Dieser Verkauf würde todsicher weitere nach sich ziehen.

Bei einem guten Tropfen besprechen sie nun das demnächst stattfindende Rennen in Mexiko.

»Sie sind wirklich entschlossen, das Rennen zu fahren, Hoheit?« erkundigt sich Bender noch einmal vorsichtig. »Es wird ein mörderisches Rennen werden, bei Höllenglut und unendlichen, sehr gefährlichen Kurven, und das bei einer Strecke von dreitausend Kilometern.«

Prinz Michael lacht, daß die Zähne in seinem tiefgebräunten Gesicht nur so blitzen.

»Gerade der richtige für mich, Direktor. Wann geht es ins Training?«

»In acht Wochen, Hoheit.«

»Das ist mir recht«, entscheidet Prinz Michael. »Da kann ich in der Zwischenzeit noch einige Verkäufe tätigen.«

Direktor Bender lacht. »Sie sind ja geradezu versessen aufs Geldverdienen.«

»Bin ich auch. Wie Sie wissen, sind die Remingtons arm.«

Er hat sich nie gescheut, offen darüber zu sprechen, und weil er so gar nichts Hochmütiges an sich hat, ist er dem Chef der Gass- Motorenwerke sympathisch. Sie verstehen sich ausgezeichnet.

In diesem Augenblick wird der Direktor durch den Hausapparat abberufen. Er erhebt sich.

»Entschuldigen Sie mich, Hoheit. Man braucht mich. Es wird nicht lange dauern. Bitte bedienen Sie sich.«

Er weist auf die silberne Zigarettendose und die Flasche mit altem französischem Kognak. Dann verläßt er das Büro.

Direktor Bender durchschreitet die riesige Ausstellungshalle und betritt den Besucherraum. Ein älterer Mann, hochgewachsen, schlank, elegant und gepflegt, wendet sich ihm zu.

»Graf Blühen«, stellt er sich vor, und Bender tut es ihm gleich.

Dann weist er auf einen der Besuchersessel und fragt höflich: »Womit kann ich dienen?«

Graf Blühen lehnt sich etwas nach vorn. Er hat helle, aufmerksame Augen, wie Bender feststellen kann.

»Hm!« beginnt er etwas zögernd. Er denkt an die Kronprinzessin, die draußen im Wagen auf ihn wartet. Sie sind soeben aus dem Krankenhaus gekommen, und haben erfahren, daß es Tony den Verhältnissen entsprechend gut gehe, er aber noch keinen Besuch empfangen dürfe, da er noch in Narkose läge.

Auf seinen Rat hin hatte die Kronprinzessin entschieden, sich bei den Gass-Motorenwerken nach einem zuverlässigen Fahrer, der Tony vertreten könne, zu erkundigen. Nun sitzt er dem Direktor gegenüber. Er räuspert sich.

»Ich gehöre zur Begleitung der Komteß von Alberdeen. Wir befinden uns auf einer längeren Reise und mußten unglücklicherweise einen unserer Fahrer in die Klinik bringen. Nun sind wir in großer Verlegenheit. Können Sie uns zu einem zuverlässigen Chauffeur mit guten Manieren verhelfen? Bezahlung ist sehr hoch, Hotel und Verpflegung frei. Die Komteß ist sehr wohlhabend.«

Ohne Graf Blühen zu unterbrechen, hat Bender zugehört, und wie der Blitz durchzuckt ihn ein Gedanke.

»Wenn Sie sich etwas gedulden wollen, Graf. Vielleicht kann ich Ihnen wirklich helfen. Für wann benötigen Sie den Fahrer?« erkundigt er sich höflich.

»Sofort«, entgegnet Graf Blühen. »Wir möchten unsere Reise nicht lange unterbrechen. Sie können den Mann in unser Hotel schicken. Wir wohnen im ›Roten Ritter‹!«

Direktor Bender lächelt. »Wenn es klappt, können Sie den Fahrer gleich mitnehmen.«

Auch Graf Blühen steht auf. »Unser Wagen steht draußen auf dem Parkplatz neben der Tankstelle. Die Entscheidung trifft die Komteß von Alberdeen.«

»Es ist gut.« Die Herren trennen sich.

Graf Blühen tritt an den ersten der beiden parkenden Wagen heran und klärt die Kronprinzessin auf. Erleichtert atmet sie auf. »So brauchen wir unsere Reise nicht länger zu unterbrechen, falls mir der Fahrer zusagt«, bemerkt sie und lehnt sich zurück.

Prinzessin Dagmar, die neben Patricia sitzt, ist ganz zappelnde Ungeduld. Außer dem traurigen Zwischenfall mit Tony, den sie sehr bedauert, ist alles Neue für sie aufregend, die Nacht in dem komfortablen Hotel, die elegante Suite, die sie bewohnen. Ihr Zimmer grenzt gleich an das der Kronprinzessin. Alle Räume sind mit einem Balkon verbunden, der rund um das Stockwerk läuft.

Und nun warten sie, daß man ihnen einen Ersatzfahrer zur Verfügung stellt.

Gleich der Kronprinzessin starrt sie zu dem breiten Eingang hin, aus dem Graf Blühen gekommen ist.

Jetzt tauchen zwei Herren dort auf und kommen langsam auf sie zu.

Dagmar preßt die Hand auf den Mund, sonst hätte sie einen Schrei ausgestoßen. Das ist doch… Aber das kann doch nicht möglich sein.

Graf Blühen steigt aus und hilft der Kronprinzessin aus dem Wagen.

Prinz Michael verneigt sich tief, und Direktor Bender stellt vor: »Michael Remin.«

Er hat den Direktor gebeten, seinen Titel und Namen ändern zu dürfen. Beides würde ihm, falls man ihn anstellen sollte, nur hinderlich sein.

Aufmerksam mustert die Kronprinzessin den hochgewachsenen Mann mit dem tiefgebräunten, markanten Gesicht. Ein hellgraues und ein tiefblaues Augenpaar treffen sich sekundenlang und versinken ineinander. Patricia ist fasziniert. Noch nie hat sie einen Mann wie diesen Fahrer gesehen.

Was für wunderbare Augen! geht es Prinz Michael durch den Kopf. Dann gleitet sein Blick weiter, und es zuckt mitleidig um seinen Mund. Wie geschmacklos diese Komteß gekleidet ist!

Die Kronprinzessin tritt etwas zur Seite und unterhält sich mit Graf Blühen.

Prinzessin Dagmar rutscht ans Fenster. Sie begegnet dem erstaunten Blick des Bruders und sieht, wie er schnell den Finger auf den Mund legt.

Dagmar hat sofort verstanden. Sie nickt und nimmt ihren Platz wieder ein.

Ihr Herz jubelt.

Wenn man doch Michael als Aushilfe nehmen würde! Es gibt keinen besseren und zuverlässigeren Fahrer als ihn.

Eine Stunde später sitzt Prinz Michael hinter dem Lenkrad. Er trägt einen hellen, eleganten Einreiher, der als Chauffeurskleidung sehr ungewöhnlich wirkt.

Patricia starrt auf den breiten Rücken des Fahrers und erlebt zum erstenmal, daß ihr Herz schneller und unruhig klopft.

»Graf Blühen«, wendet sie sich an ihren Begleiter, der vorn sitzt, »sorgen Sie dafür, daß Michael eingekleidet wird.«

»Sehr wohl, Komteß.«

Michael, einfach Michael bin ich jetzt, denkt der Prinz und schmunzelt in sich hinein. Zuerst hat ihn das Angebot in finanzieller Hinsicht gereizt, jetzt findet er Geschmack an der Maskerade. Nun, er ist gewillt, alles über sich ergehen zu lassen.

Natürlich weiß er, wer diese Komteß Alberdeen in Wirklichkeit ist. Niemand anders als die Kronprinzessin Patricia von Tamarkoff, sonst wäre ja seine kleine Schwester nicht in ihrer Gesellschaft.

Dagmar würde nichts verraten, davon ist er überzeugt, und er wird sich hüten, sein Inkognito zu lüften.

Da in den Konfektionsgeschäften nichts gefunden wird, was dem Fahrer paßt, dazu ist er zu groß und zu breitschultrig, bestimmt die Prinzessin, die passenden Uniformen für den Fahrer Michael anfertigen zu lassen.

Sie bestimmt Dagmar dazu, mit in die Stadt zu fahren. Also würde man doch noch eine Zeit in der Stadt bleiben müssen.

Nichts kommt Dagmar gelegener, als mit Michael unter vier Augen sprechen zu können. Bisher hat sich keine Gelegenheit dazu ergeben.

Sie kuschelt sich neben ihm in die Polster und streichelt zärtlich über seinen Arm.

»Ist das nicht ein herrlicher Zufall, Michael? Wir zwei zusammen auf einer Reise durch das Land? Wer hätte das gedacht!« sprudelt sie erregt hervor.

Er wirft ihr einen schiefen Blick zu.

»Wirst du dich auch nicht verplappern, Dagi?«

Sie legt die Hand aufs Herz.

»Großes Ehrenwort, Bruderherz!«

»Wie ist die Kronprinzessin?« erkundigt er sich wie beiläufig, und Dagmar beginnt zu schwärmen.

»Sie ist wunderbar, Michael, einfach wunderbar! Noch nie hatte ich eine Freundin, jetzt

habe ich eine, und ich bin

überglücklich. Nach Mami und dir ist sie mir der liebste Mensch.«

»Soso!« macht der Prinz nachdenklich, und er sieht ein Paar unwahrscheinlich blauer Augen vor sich, die übrigens öfter vor ihm auftauchen. »Also bist du zufrieden?«

Noch ehe sie bejahen kann, fährt er fort: »Kannst du mir sagen, warum die Kronprinzessin wie eine Landpomeranze herumläuft? Gehört das auch zu ihrem Inkognito?«

»Keinesfalls!« ereifert Dagmar sich. »Sie hat wunderschöne Augen…«

»Geschenkt«, unterbricht er sie trocken, »habe ich bereits bemerkt.«

Dagmar rückt ein wenig zu ihm hinüber und berichtet lebhaft: »Du kannst dir nicht vorstellen, unter welchem Zwang die Kronprinzessin bisher gelebt hat. Sie durfte überhaupt keinen eigenen Willen haben. Alles wurde ihr vorgeschrieben, alles! Und sie hat bisher blind gehorcht.«

»Warum bisher?«

Dagmar richtet sich auf.

»Weil das vorbei ist, Michael, hörst du, es ist vorbei! Jetzt gilt nur noch, was die Kronprinzessin will, und ich muß sie dabei unterstützen. Diese Reise hat sie auch durchgesetzt, und du sollst sehen, auf dieser Reise wird sie sich auch äußerlich verändern. Das haben wir uns beide geschworen.«

»Das kann ja lieblich werden«, entfährt es Prinz Michael. »Du warst schon immer zu jeder Schandtat bereit.«

Dagmar wirft ihm einen bitterbösen Blick zu.

»Ist es vielleicht eine Schandtat, wenn ein junges, von Natur aus hübsches Mädchen den Wunsch hat, sich modern zu kleiden, modern zu frisieren? Daß sie es einfach nicht mehr ertragen kann, von der Hofgesellschaft gegängelt zu werden? Vergiß nicht, bald ist sie die regierende Fürstin! Soll sie eine lächerliche Figur auf dem Thron abgeben?«

»Und du willst ihr wirklich dabei helfen?« Er ist sehr ernst geworden.

»Was denn sonst, Michael«, sagt sie trotzig. »Sie hat ja keinen Menschen, der ihr vernünftig rät. Keinen Vater, keine Mutter, nur die alten, verschrumpelten Hofdamen.«

»Habe ich dir nicht gesagt, vielleicht braucht die Kronprinzessin einen Menschen wie dich? Weißt du noch, wie entsetzt du damals warst?«

Dagmar nickt eifrig. »Sicher weiß ich das noch. Aber jetzt sieht alles ganz, ganz anders aus. Die Kronprinzessin braucht eine energische Freundin.«

Prinzessin Dagmar scheint ordentlich zu wachsen, und Michael verbeißt sich ein amüsiertes Lächeln.

»Mit dieser energischen

Freundin meinst du natürlich dich.«

»Du wirst dich noch wundern, Michael, was ich aus der Kronprinzessin mache! Eine bezaubernde junge Frau!«

»Wir sind da«, sagt Prinz Michael in diesem Augenblick. »Ich wundere mich, daß man dich mitgeschickt hat. Wer hat das angeordnet, etwa diese Gräfin Ellersiek?«

»So siehst du aus, Michael! Die Kronprinzessin hat schon gewußt, warum ich dich begleiten muß«, erwidert Dagmar stolz.

Nach einer Stunde hat Prinz Michael unter den Stoffen gewählt, und Dagmar nickt zustimmend zu allem.

»In zwei Tagen ist alles fertig und kann abgeholt werden. Natürlich muß ich alle verfügbaren Kräfte heranziehen«, erklärt der Besitzer des Geschäfts. »Es kommt ein Sonderzuschlag dazu.«

»Das spielt keine Rolle«, entscheidet Prinzessin Dagmar, die Vollmachten hat, und der Besitzer geleitet seine vornehme Kundschaft dienernd zur Tür.

»Bitte lassen Sie die Sachen im Hotel ›Roter Ritter‹ abgeben, und zwar für die Komteß von Alberdeen«, bestimmt sie hoheitsvoll. »Rechnung legen Sie bei.«

»Wird alles prompt erledigt, gnädige Frau.«

Als Dagmar wieder neben dem Bruder sitzt, sagt sie mit Genugtuung: »Hast du gehört, Michael? ›Gnädige Frau‹ hat er zu mir gesagt.«

Prinz Michael lächelt vergnügt vor sich hin. Sie macht sich, die Kleine.

*

Noch am selben Tag – Michael hatte sich in seinem Zimmer auf die Couch gelegt – wurde er telefonisch gebeten, mit dem Wagen vorzufahren.

Da es sehr heiß war, trug er die hellgraue Uniform. Sie war dezent und ohne auffallende Knöpfe gearbeitet. Nur die Mütze fand er abscheulich. Aber ergeben stülpte er sie sich auf das dunkle Haar.

Pünktlich fuhr er vor dem Hotelportal vor. Keine Minute zu früh, denn die Kronprinzessin, gefolgt von Dagmar, kam bereits die Freitreppe herab.

Er riß die Mütze vom Kopf und den Schlag auf. Höflich half er den Damen beim Einsteigen und schwang sich dann hinter das Lenkrad.

Wieder hatte die Kronprinzessin Gelegenheit, den Mann vor sich zu betrachten. Sie sah auch das kühne Profil, und ihr Herz schlug unvernünftig schnell.

Michael wartete auf die Anweisung, wohin er die Damen zu fahren habe. Endlich erklang die Stimme der Kronprinzessin, warm und dunkel, aber wie ihm schien etwas heiser.

»Wir haben viele Einkäufe zu erledigen. Fahren Sie uns in die City. Zunächst möchten wir zu Gaston. Werden Sie den Modesalon finden, Michael?«

»Gewiß, Komteß, ich kenne den Weg.«

Lautlos glitt der schwere elegante Wagen über den Asphalt. Wenig später hatten sie ihr Ziel erreicht, und die Kronprinzessin wandte sich abermals an Michael. Wieder sah sie mitten hinein in die hellen, klugen grauen Augen.

»Es wird einige Zeit dauern. Sie können im Wagen warten, Sie können aber auch irgendwo eine Erfrischung zu sich nehmen. In drei Stunden erwarte ich Sie wieder hier.«

Michael verneigte sich, eilte den Damen voraus und hielt ihnen die Tür zu dem Modesalon auf. Eine abermalige Verbeugung, und die Tür schloß sich hinter den Damen.

Kronprinzessin Patricia kam sich vor wie ein Kind vor der Weihnachtsbescherung. Mannequins führten elegante Straßenkleider und Kostüme, Nachmittagskleider, Cocktailensembles und Abendroben vor, ein Modell schöner als das andere. Mit sicherem Blick wählte sie, und Dagmar war jedesmal begeistert.