Karl von Schwarzenberg - Die Biografie - Barbara Tóth - E-Book

Karl von Schwarzenberg - Die Biografie E-Book

Barbara Toth

4,9

Beschreibung

Staatsmann, Zeitzeuge, Vorkämpfer für Menschenrechte, überzeugter Europäer: In Karel Schwarzenbergs Biografie spiegeln sich alle Facetten des 20. und 21. Jahrhunderts. Der Mensch Schwarzenberg: eine charismatische Persönlichkeit mit faszinierender Lebensgeschichte. Familienoberhaupt einer traditionsreichen Familie, millionenschwerer Unternehmer, politisch denkender und handelnder Mensch, Kanzler unter Vaclav Havel, Präsidentschaftskandidat in Tschechien, Mitteleuropäer und Patriot. Zu seinem 80. Geburtstag erscheint die autorisierte Biografie komplett überarbeitet und aktualisiert.

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Über dieses Buch

Staatsmann, Zeitzeuge, Vorkämpfer für Menschenrechte, überzeugter Europäer:

In Karl von Schwarzenbergs Biografie spiegeln sich alle Facetten des 20. Und 21. Jahrhunderts. Der Mensch Schwarzenberg: eine charismatische Persönlichkeit mit faszinierender Lebensgeschichte, Oberhaupt einer traditionsreichen Familie, millionenschwerer Unternehmer, politisch denkender und handelnder Mensch, Kanzler unter Václav Havel, Präsidentschaftskandidat in Tschechien, Mitteleuropäer und Patriot.

Zu seinem 80. Geburtstag erscheint die autorisierte Biografie komplett überarbeitet und aktualisiert.

Für einen tollen Kerl

INHALT

VORWORT

EINLEITUNG

1 FLUCHT AUS DER KINDHEIT

2 FAMILIENOBERHAUPT DURCH ADOPTION

3 ERSTE GEHVERSUCHE IN DER POLITIK

4 EINE UNGEWÖHNLICHE EHE

5 IM DISSENS

6 DER FÜRST ALS KANZLER

7 DER KANZLER ALS POLITIKER

8 DAS UNTERNEHMEN SCHWARZENBERG

SCHLUSS

DANKSAGUNG

LITERATURVERZEICHNIS

REGISTER

VORWORT

Biografien sind entweder indiskret oder langweilig – mit diesen Worten begrüßte mich Karl Schwarzenberg in seinem Prager Domizil, als ich 2004 mein erstes Gespräch mit ihm für seine Biografie führte. Viele weitere sollten folgen.

Er hat mit diesem Bonmot nicht unrecht. Schwarzenbergs Karriere basierte lange Zeit vor allem darauf, dass sich viele Zeitgenossen darauf verlassen konnten, dass er „das Maul“ hielt, wie er es selbst in seiner kalkuliert burschikosen Art ausdrückt. Als Berater war sein Platz jener hinter den Kulissen, nicht im Rampenlicht. Schwarzenberg hat außerdem zeit seines Lebens nie Tagebuch geführt. Zuerst war es ihm zu mühsam, später, als er bereits für die Internationale Helsinki-Föderation arbeitete, schlicht zu gefährlich. Jedes Schriftstück, jede Notiz hätte andere Menschen in Gefahr bringen können. Gleichzeitig ist Schwarzenberg – auch aufgrund seiner Herkunft und Erziehung – ein Mensch, der geschichtsbewusst wie kein anderer lebt. Wenn er aus seinem Leben erzählt, verwebt sich Erlebtes mit Historischem, Brücken zwischen 1989 und 1918 werden ebenso mühelos geschlagen wie zwischen Mittelalter und Neuzeit. Über seine Vorfahren, die er zeitlos stets beim Vornamen nennt, erzählt er, als wären sie eben kurz hinausgegangen. Er fühle sich wie der Direktor des Museums, dessen Inhalt er selbst sei, sagte Schwarzenberg einmal über sich. Viele berühmte Ahnen stehen in diesem Museum. Dass er einmal selbst einen Ehrenplatz darin beanspruchen kann, würde Schwarzenberg nie einfallen – oder es zumindest nicht laut sagen.

Dieses Buch erzählt das Leben eines Mannes, der für eine Welt erzogen wurde, die es zu dem Zeitpunkt, als er alt genug war, sie zu betreten, nicht mehr gab. Es schildert damit auch die Geschichte einer Dynastie, deren jahrhundertealte materielle wie immaterielle Tradition Privileg und Ballast zugleich ist. Es berichtet über eine politische Karriere, die abseits der üblichen Parteikader verlief und deshalb – manche meinen, nur deshalb – erfolgreicher und interessanter war als jene anderer Zeitgenossen. Karl Schwarzenbergs Geschichte ist eine des 20. Jahrhunderts. Die Wendepunkte des letzten Jahrhunderts sind eng mit seiner eigenen Biografie verwoben. Und es ist auch eine sehr europäische Geschichte. Die ideologischen Grenzen Mitteleuropas bestimmten seine Jugend, sein Erwachsenenleben war geprägt vom Bestreben, diese Grenzen wieder zu Fall zu bringen. Schwarzenberg war nie ein Karrierist, es gab sogar Phasen in seinem Leben, wo er sich treiben ließ. Was ihn aber über alle Maßen prägt, ist das Selbstverständnis, bereitzustehen, wenn gesellschaftliche Aufgaben zu übernehmen sind. Er ist damit ein Aristokrat im besten Sinne, wie der ehemalige österreichische Bundespräsident Heinz Fischer es einmal formuliert hat: Einer, der seine Herkunft nicht als Privileg, sondern als Verantwortung versteht. Einer, der über die – bisweilen eng gesteckten – Grenzen seiner Herkunft hinausgewachsen ist und eine geistige Offenheit lebt, die gerade in konservativen Kreisen alles andere als selbstverständlich ist. Um all das zu schildern, bedurfte es der einen oder anderen Indiskretion. Eines war Schwarzenbergs Leben aber mit Sicherheit nie: langweilig.

Wien, im Mai 2017

EINLEITUNG

Karl Johannes Nepomuk Norbert Friedrich Antonius Wratislaw Mena Fürst zu Schwarzenberg, Graf zu Sulz, gefürsteter Landgraf im Kleggau, Herzog von Krumau, wie er mit vollem Titel heißt, hat in den letzten Jahren eine der außergewöhnlichsten politischen Karrieren der europaïschen Gegenwart absolviert. Seine 2009 in der Tschechischen Republik gegründete Partei „Top 09“ – das Kürzel steht für „tradice – odpovědnost – prosperita“ („Tradition, Verantwortung, Wohlstand“) – schaffte bei den tschechischen Wahlen im Jahr 2010 auf Anhieb den Sprung ins tschechische Parlament und in die Regierung. Ihr Aushängeschild, der Fürst, führte monatelang auch alle Beliebtheitsrankings in der Republik an.

Der Aristokrat mit fränkisch-böhmisch-österreichischen Wurzeln und einem Schweizer sowie tschechischen Pass wurde in Tschechien zu einer Hoffnungsfigur für eine neue Politik, jenseits von altem Kaderdenken, jenseits von Korruption, die in der tschechischen Politik noch allgegenwärtiger ist als in Österreich, und jenseits von „Wir zuerst“-Nationalismen, die die tschechische genauso wie die österreichische Politik bestimmten.

Was kann Schwarzenberg, was andere nicht können? Diese Frage stellen sich viele Politiker, die wie er im bürgerlich-liberalen Lager zu reüssieren versuchen.

Der Großteil von Schwarzenbergs Erfolg hängt mit seiner Persönlichkeit zusammen, die untrennbar mit seiner Familiengeschichte verbunden ist. In beidem spiegeln sich die zentralen politischen Fragen der Moderne. Die Fragen nach Identität, Heimat und Verantwortung. Das macht Schwarzenberg als Projektionsfläche brauchbarer als den Durchschnittsvolksrepräsentanten.

Schwarzenberg ist außerdem einer der wenigen Politiker, die über sich selbst lachen können. Seine Wortmeldungen sind mitunter völlig undiplomatisch, etwa, als er österreichische Kritiker des tschechischen Atomkraftwerks Temelín nonchalant als „magori“, als Spinner, bezeichnete. In tschechischen wie österreichischen Medien ist er ein gern befragter Gesprächspartner, nicht nur wegen seiner berüchtigten Bonmots, sondern auch, weil er inzwischen die Rolle des älteren, weisen Mannes (Frauen gibt es in seiner Generation leider noch weniger) einnimmt, den man um Rat und Orientierung fragen kann.

Wer dem Leben Schwarzenberg folgt, taucht ein in die Gedankenwelt eines Mannes, dessen historischer Horizont weit in die Jahrhunderte zurückreicht.

Jemand, der als Kind im Protektorat aufwächst, dann wegen der Machtergreifung durch die Kommunisten nach Österreich geht, dort seine Adoleszenz erlebt, in München studiert, dann das Familienerbe antritt und eine Familie gründet, das einträgliche, aber langweilige Leben als Land- und Forstwirt gegen das eines politischen Handelsreisenden in Sachen Menschenrechtspolitik tauscht, um schließlich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als Kabinettschef des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Václav Havel in seine Heimat zurückzukehren und damit die Basis für seine eigene politische Karriere zu legen.

So jemand kann gar nicht anders, als ein glühender Europäer zu sein. Schwarzenberg witzelt dazu: „Naja, einen warmen Europäer kann man mich ja nicht nennen.“

Sein kosmopolitischer Lebensweg, der sich über den Großteil des von Eric Hobsbawm so bezeichneten Zeitalters der Extreme spannt, und sein Alter machen auch Schwarzenbergs Ausnahmestellung unter seinen europäischen Amtskollegen aus. Der erklärte Mitteleuropäer und Transatlantiker träumt von einer stärkeren Kooperation der kleinen Staaten im Herzen Europas als Gegengewicht zu Deutschland und Frankreich.

Schwarzenbergs heutige Beliebtheit lässt kaum vermuten, dass der Weg an die politische Spitze alles andere als einfach war. Als Kabinettschef Václav Havels, des ersten Präsidenten nach dem Ende des Kommunismus 1989, zählte er zu jener Dissidentenclique, die im Ausland zwar hohes Ansehen genoss, in Tschechien selbst aber vielfach als überflüssig erachtet wurde. Damals regierte der Dichter Václav Havel von der Prager Burg aus als moralisches Gewissen der Nation; sein Gegenspieler, der erste tschechische Premier und spätere Präsident Václav Klaus, ein Ökonom, propagierte als technokratisches Kontrastprogramm die „Marktwirtschaft ohne Adjektiv“.

Viele argwöhnten damals, dass der Spätheimkehrer fürstlichen Geblüts sich mit seinem politischen Engagement nur eine gute Ausgangsposition für die Restitution seines Familienbesitzes in Tschechien sichern wolle. Das Geschlecht der Schwarzenberg ist mit der Geschichte Böhmens eng verwoben. Der Familie, die ihren Stammsitz in Franken hat, gehörte vor dem Zweiten Weltkrieg praktisch halb Südböhmen, inklusive einiger märchenhafter Schlösser wie das neugotische Hluboká/Frauenberg bei České Budějovice/Budweis. Als Havels Kabinettschef dann tatsächlich relativ schnell einige Ländereien und sein Familienschloss in Orlík zurückbekam und die Politik bald wieder verließ, fühlten seine Kritiker sich bestätigt.

Dabei hat Schwarzenbergs Familie nur einen Bruchteil ihres einstigen Vermögens restituiert bekommen. Der weitaus größte Teil des Besitzes hatte dem reichen älteren Zweig der Familie gehört, der von der Wiedergutmachung ausgeschlossen war. Das Familienvermögen, das auf rund 300 Millionen Euro geschätzt wird, ist heute in einer Stiftung in Liechtenstein gesammelt und wird von Schwarzenbergs ältestem Sohn Johannes gemanagt.

Der ehemalige tschechische Außenminister ist also reich, wenngleich er stets hinzufügt, dass seine Art von Reichtum mit viel Aufwand um dessen Erhaltung verbunden sei. „Mehr als einmal bekam ich im Wahlkampf zu hören: Jemand wie Sie hat es nicht nötig, den Staat zu bestehlen. Ich gebe zu, dass das nicht immer schmeichelhaft war. Ich möchte ja auch für meinen Intellekt respektiert werden, nicht nur für meinen Besitz.“

Nach seinem Abgang von der Prager Burg im Jahr 1992 brauchte es zwei Anläufe, bis Schwarzenberg es zurück auf die politische Bühne schaffte. 2002 scheiterte er bei der Wahl zum tschechischen Senat, 2004 belohnten die Wähler seinen einfallsreichen Wahlkampf mit dem Einzug in die zweite Kammer des Parlaments. 2007 wurde er mit einem Ticket der Grünen erstmals Außenminister; seine alte Partei, die Demokratische Bürgerallianz, ein Überbleibsel der 1989er-Revolution, hatte sich aufgelöst. Staatspräsident Klaus versuchte 2007, Schwarzenberg die Ernennung zum Außenminister mit der Begründung zu verweigern, dass er aufgrund seiner Nähe zu Österreich „die tschechischen Interessen nicht ausreichend verteidigen würde“. „Dabei ist doch Außenministersein ein Job wie jeder andere auch. Ich bin Marketingleiter der Tschechischen Republik. Wenn mich jemand fragt, ob ich mich als Tscheche, Österreicher oder Deutscher fühle, würde ich sagen: Zuerst einmal bin ich ein Schwarzenberg. Dann Böhme. Und dann Europäer.“

Als Innenpolitiker kombiniert er eine wirtschaftsfreundliche Politik mit der Nachhaltigkeitsidee und den gesellschaftsliberalen Ansichten der Grünen.

Alles in allem standen die Chancen im Jahr 2013 nicht schlecht, dass aus dem „kníže“, tschechisch für Fürst, wie der Aristokrat trotz der Abschaffung der Adelstitel in der böhmischen Republik immer noch tituliert wird, bald ein „pan prezident“, ein Herr Präsident, wird. Schwarzenbergs Wahlkampf für das Präsidentenamt war, wie schon seine erste erfolgreiche Senatskampagne, perfekt durchorchestriert, vor allem von jungen Sympathisanten getragen und durchaus selbstironisch. Für Schwarzenberg wäre die Eroberung der Prager Burg, des Amtssitzes des Präsidenten, die Krönung seiner politischen Karriere. Er schaffte es dann auch souverän in die Stichwahl, scheiterte aber letztlich am Gegenkandidaten Miloš Zeman. Er trat 2015 als Vorsitzender von Top 09 zurück, blieb aber einfacher Abgeordneter und Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses im Prager Parlament.

Schwarzenberg selbst würde das natürlich nie so offen aussprechen, aber in einem an Ausnahmegestalten reichen Geschlecht gibt es neben der Pflicht zur Verantwortung auch so etwas wie biografischen Konkurrenzdruck – und eine gewisse Eitelkeit. Felix zu Schwarzenberg war Ministerpräsident in der österreichischen Monarchie unter Kaiser Franz Joseph I., dessen Bruder Friedrich zu Schwarzenberg Salzburger und Prager Kardinal. Letzterer schrieb einmal, dass der Adel „nicht eine durch Geburt und Stellung bloß exklusive, für sich bestehende, abgeschlossene Kaste“ bilden dürfe, sondern sich durch seine Fähigkeiten „einen Vorzug, eine Auszeichnung vor den übrigen Staatsbürgern erwerben“ müsse. Wer den 1937 geborenen Schwarzenberg fragt, warum er sich in seinem fortgeschrittenen Alter und nach einer Herzoperation den ganzen politischen Reisezirkus eigentlich antut, bekommt eine einfache, aber gleichzeitig sehr selten gewordene Antwort: „Weil ich dazu erzogen wurde.“

Schwarzenberg verbrachte seine Kindheit in der Ersten Tschechoslowakischen Republik mit einem Vater, der ein begeisterter Tscheche war und diese Sprache seinem Sohn auch weitergab, und einer kosmopolitischen Mutter, die in Deutsch wie Englisch zu Hause war. Als die Familie vor den Kommunisten nach Österreich flüchtete, war Deutsch fortan Schwarzenbergs Hauptsprache und nicht, wie in Böhmen, eine Woche Deutsch, die andere Tschechisch. Schwarzenberg glaubt, dass ihm diese Sozialisation jene Art Halb-Zweisprachigkeit beschert hat, die für viele seiner bildhaften und inzwischen legendären Wortbildschöpfungen mitverantwortlich ist. „Mein Deutschprofessor Luigi Pichler sagte, wenn ich einen Aufsatz abgegeben hatte: Dir sitzt der Böhm im Gnack.“ Aus diesem Grund habe er sich auch nie zugetraut, in seinen Traumberuf einzusteigen, den Journalismus.

Die Eckdaten seiner beeindruckenden politischen Karriere, der die letzte „Krönung“, das Präsidentenamt, verwehrt blieb, sind das eine, das andere ist Schwarzenbergs Wirken abseits der offiziellen Positionen, die er innehatte. Es lässt sich am besten als „Dauer-Entwicklungshilfe in Sachen Demokratie“ beschreiben.

Als die Revolutionäre in Gestalt des einst inoffiziellen, nun auch amtlichen Helden der Dissidentenkultur Havel im Jahr 1989 die Präsidentschaftskanzlei auf der Prager Burg übernahmen, fanden sie diese verwahrlost vor. Der letzte kommunistische Präsident Gustáv Husák hatte die Parteizentrale dem prächtigen Amtssitz oberhalb der Moldau vorgezogen. Es existierten bloß eine Amtsstelle zur Erhaltung des Gebäudes, die ihrer Aufgabe in den Jahrzehnten davor aber nicht gerecht geworden war, und eine Protokollabteilung, die unter den Kommunisten für die Einhaltung des Begrüßungszeremoniells unter den Bruderstaaten zu sorgen hatte. „Man schmierte dort Brötchen“, meinte Havel einmal im Scherz.

Schwarzenberg mit seinem hervorragenden Netzwerk an internationalen Kontakten sorgte nicht nur dafür, dass die junge Republik nach 1989 das richtige Entree am Weltparkett bekam, er bemühte sich auch, eine funktionierende Kanzlei aufzubauen – mit versierten Fachreferenten, spracherfahrenen Diplomaten und persönlichen Vertrauensleuten. Auf Bildern von Empfängen oder internationalen Besuchen aus der damaligen Zeit sieht man Schwarzenberg meist im Hintergrund stehen, stets einen Schritt hinter Havel. Eine Diskretion, die nicht leichtfällt, wenn man den schmächtigen Staatspräsidenten körperlich überragt und auch sonst aufgrund der eigenen stattlichen Figur eher wie sein Leibwächter denn wie einer seiner wichtigsten Berater wirkt. Spätestens aus dieser Zeit verbinden viele Tschechen den Namen Schwarzenberg nicht nur mit Adel, Schlössern und Reichtum, sondern mit Václav Havel – was seinen späteren Wahlkampf nicht unbedingt leichter machte.

Denn Havel, wiewohl international angesehen, spaltet die Tschechen bis heute. Die einen sahen in ihm immer ein unerlässliches moralisches Gewissen einer Nation, welche die Suche nach ihren Wurzeln in der jüngeren Geschichte gleich mehrmals aufnehmen musste und noch lange nicht mit dem, was war, fertig geworden ist. Die anderen hielten ihn für einen Moralisierer aus der Vergangenheit, für den Chefprediger jener Dissidentenkultur der 1968er-Generation, deren Höhepunkt in ihren Augen nach der Wende im Jahr 1989 zurecht überschritten war. Ihre Lebensphilosophie gossen die Widerständler in berühmte Sinnbilder wie jenes Havels vom „Leben in Wahrheit“, wohlklingende Dichterworte, denen viele in der Tschechischen Republik für das Überleben im Kapitalismus aber nur mehr begrenzte Bedeutung schenken wollen.

Schwarzenberg galt immer als Havelianer, das lud schon seine Senatskandidatur im Jahr 2004 symbolisch auf, das gab später seiner neu gegründeten Partei Top 09 Gewicht und das brachte ihn im Jahr 2013 in die Stichwahl der Präsidentschaftswahlen.

Schwarzenberg repräsentiert aber nicht nur die Generation der Dissidenten, jener Menschen, die im Jahr 1968 politisch geprägt wurden durch die Aufbruchstimmung in der ČSSR, durch den Glauben an einen eigenen Weg innerhalb des kommunistischen Ostens, versinnbildlicht im Prager Frühling und in Alexander Dubčeks „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, und die dieses Versprechen spät, aber doch im Jahr 1989 einlösen konnten. Schwarzenberg steht mindestens genauso für die anderen historischen Krisendaten in der tschechoslowakischen Geschichte: 1938 und 1948, das Münchner Abkommen und die Übernahme durch die Kommunisten. Anhand seiner persönlichen Geschichte, die, wie bei adeligen Familien üblich, eng verwoben ist mit der seiner Vorfahren, lassen sich die Wirrungen und Schrecken Deutscher wie Tschechen des 20. Jahrhunderts nachvollziehen. Schwarzenberg kann somit auch so etwas wie das lebende – mitunter schlechte – Gewissen für beide Seiten sein, aber auch deren Vermittler.

Schwarzenberg machte in seinen Wahlkämpfen kein Hehl aus seiner politischen Herkunft. Abseits von geschicktem politischen Aktionismus vertrat er in unzähligen Interviews und Auftritten Ideen, die für manche Tschechen wie aus dem Gefrierfach der Politik wirken mussten: Es waren die Ideale des Jahres 1989, die er einmal mehr heraufbeschwor. Der Top 09-Wahlkampf war selbstironisch, gleichzeitig schroff und deklariert europafreundlich. Schwarzenberg warb mit einem Röntgenbild seines Schädels für sein zentrales Wahlanliegen, mehr Transparenz in der Politik zu bringen. Statt der gängigen Floskeln und Versprechungen, die nicht nur das tschechische Wahlvolk satthat, kündigte er harte Zeiten, Sparmaßnahmen und Reformen an, um das Budget seines Landes und die aus dem Ruder laufenden Gesundheits- und Sozialkosten in den Griff zu bekommen. Der immer wieder aufkeimenden Europhobie in seiner Heimat setzte er die schlichte Macht des Faktischen seiner eigenen Biografie entgegen. Dazu kamen Forderungen, die auf die aktuelle tschechische Politik gemünzt waren: Er versprach, sich gegen die ausufernde Bürokratie, weit verbreitete Korruption und Machtkumulation einzusetzen – also genau gegen jene Begleitgeräusche der „Modernisierung“, die auch nach drei Jahrzehnte Demokratie und Freiheit nicht verstummen wollen.

Bevor Schwarzenberg in die tschechische Innenpolitik einstieg, war er den Österreichern vor allem als Aristokrat, Waldbesitzer und eine Art illustrer Lebemann mit Lebensliebe zur Politik ein Begriff. Vielleicht liegt das daran, dass sein politischer Horizont der eines Mitteleuropäers ist und damit eindeutig eine Nummer zu groß für das Land, das sich zwar gerne als im Herzen Europas gelegen verkauft, sich im Grunde genommen aber eher als Alpenfestung sieht. Wohl auch, weil er stets das internationale Parkett als politische Bühne wählte und damit fast automatisch aus dem nach wie vor sehr auf sich selbst konzentrierten Fokus Österreichs fiel.

Die Schwarzenberg sind neben den Habsburgern das in Österreich bekannteste Adelsgeschlecht, man kennt sie als zweitgröße private Waldbesitzer (die Mayr-Melnhof haben noch mehr) und als Prominente, die immer wieder Schlagzeilen auf den Wirtschaftsund Societyseiten machen. Etwa mit dem „Erbstreit“ zwischen Karl und seiner Adoptivschwester Elisabeth von Pezold, die ihm vorwirft, zu wenig für die Restitution der böhmischen Güter getan zu haben, und deshalb sein Erbrecht anficht.

Fasziniert hat die Regenbogenpresse auch stets das Ehe- und Liebesleben der Fürstenfamilie. Etwa dass Karl Schwarzenbergs jüngster Sohn „Witti“, 1979 geboren, nicht von ihm, sondern aus einer langjährigen Beziehung seiner Frau Therese mit dem Papierindustriellen Thomas Prinzhorn stammt. Prinzhorn adoptierte ihn 1988, wenige Monate später folgte die Scheidung der Schwarzenbergs, 2008 heirateten sie erneut.

Mit gängigen gesellschaftlichen Schablonen lässt sich Schwarzenberg schwer fassen. In Österreich agierte er, wenn, dann nur im Hintergrund. Notgedrungen. „Mit dem Namen – nie!“, meinte der von 1975 bis 1977 als ÖVP-Chef am Ruder stehende Josef Taus, als man ihn fragte, ob seine Partei nicht gut daran täte, Schwarzenberg für die Außenpolitik in Betracht zu ziehen. „Du bist ein Aristokrat, der mit der Republik viel anzufangen weiß. Von ihr, der Republik, kann man das umgekehrt nicht behaupten – sonst würde sie dir seit Jahr und Tag jene Aufgaben antragen, die von unsäglichen Ohnmachthabern nicht wahrgenommen werden“, klagte der ehemalige österreichische ORF-Generalintendant Gerd Bacher in seiner Laudatio zu Schwarzenbergs 50. Geburtstag.

Es scheint, als habe Österreich für einen Mann seiner Abstammung kein rechtes Betätigungsfeld gehabt – also schuf Schwarzenberg es sich selbst. Lange bevor er vom österreichischen sozialdemokratischen Bundeskanzler Bruno Kreisky im Jahr 1985 für den Vorsitz der Internationalen Helsinki-Föderation zur Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte vorgeschlagen wurde, knüpfte er Kontakte zu Dissidenten in Osteuropa und legte damit den Grundstein für seine spätere politische Tätigkeit an der Seite Havels.

Von Wien aus baute sich Schwarzenberg das Fundament für seine politische Karriere, in seinem Vaterland Böhmen löste er es ein. Das ist symptomatisch für das Leben des 1937 in Prag Geborenen, der immer schon zwischen mehreren Welten pendelte. Als Kind mit seiner Familie aus Südböhmen vertrieben, verbrachte er sein gesamtes Erwachsenenleben in Österreich. Zuerst als unkonventioneller „Aristoplayboy“ (Hans Rauscher) in der aufgeheizten Wiener Szene der 1950er-Jahre, nach der Adoption durch seinen Onkel Heinrich im Jahr 1960 und dessen frühem Tod als junger Familienpatriarch und Herrscher über das Fürstenhaus auf Schloss Murau in der Steiermark, zwischendurch und in den späteren Jahren vor allem im Palais Schwarzenberg in Wien, das neben dem derzeit leer stehenden Luxushotel immer noch einen Trakt mit Familienwohnungen beherbergt. Erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs konnte er die so lange gekappten Bande zu seiner Geburtsheimat wieder aufnehmen. Und obwohl Wien nach wie vor der Mittelpunkt der Schwarzenberg’schen wirtschaftlichen Aktivitäten ist, die mittlerweile von seinem Sohn Johannes, gerufen „Aki“, übernommen wurden, hat Karl Schwarzenberg nie einen österreichischen Pass besessen, sehr wohl hingegen einen tschechischen – durch ein, wie er es selbst ausdrückt, „Versehen“ der dortigen Behörden – und, wie alle Schwarzenberg seit dem 17. Jahrhundert, das Zürcher Bürgerrecht und somit seit 1926 auch einen Schweizer Pass. Aufgrund dieses alemannischen Dokuments darf er seinen Adelstitel auch zu Recht tragen.

Die Schweizer Staatsbürgerschaft war immer so etwas wie eine Lebensversicherungspolizze für die Schwarzenberg, als Heimat im engeren Sinne sahen sie die Eidgenossenschaft nie. Heimat war dort, wo sie lebten – in Österreich, Böhmen und Deutschland. Das Leben als Adelsspross aus einer der reichsten Familien Mitteleuropas lässt sich ebenso wenig in nationale und berufliche Schubladen pressen wie Schwarzenberg selbst. Einer seiner Vorfahren, der Bruder seines Vaters, Onkel Franz, pflegte auf die Frage, was er denn mache, stets zu antworten: „Mein Hauptberuf war und ist es, ein Orlíker Schwarzenberg zu sein.“ Und als sein anderer Onkel, Adolph, bei seiner Emigration im Jahr 1940 von den US-Einwanderungsbehörden nach seinem Beruf gefragt wurde, antwortete dieser: „Schwarzenberg auf Frauenberg. Das ist mein Wohnsitz und das ist mein Beruf.“ Noch vor hundert Jahren erklärte sich das von selbst, mittlerweile liegt es an den Repräsentanten des Hauses, diesen in Jahrhunderten gewachsenen gesellschaftspolitischen Anspruch einer Dynastie zeitgemäß zu interpretieren.

Schwarzenberg tat dies unter anderem auch, indem er beschloss, sich in seiner alten Heimat politisch zu engagieren – gegen erheblichen Widerstand, denn der Umgang mit dem Adel ist sowohl in der Tschechischen Republik als auch in Österreich nach wie vor ein schwieriger. Diesseits wie jenseits der Grenze weckt der Adel eine Fülle an Assoziationen – viele davon negativ. Über 40 Jahre kommunistische Indoktrinierung taten ein Übriges dazu, dass Menschen, die kraft ihrer Herkunft viel besitzen, Misstrauen entgegengebracht wurde und wird. Warum etwa, musste sich Schwarzenberg in seinem ersten Wahlkampf fragen lassen, hatte er Anfang der 1990er-Jahre so bald so viele seiner Besitztümer vom Staat restituiert bekommen? Er bekam in Wahrheit zwar nur einen Bruchteil des ehemaligen südböhmischen Familienvermögens zurück, dennoch kursierten Verleumdungen. Er habe seine Position bei Havel dazu benutzt, um schneller an sein altes Vermögen zu kommen. Er habe rund um den alten Familiensitz im südböhmischen Orlík einen Wald einzäunen lassen und ein Schild aufgehängt: „Privatgrund. Betreten verboten.“ – „Völliger Blödsinn. Ich möchte meine Wälder nicht einzäunen, abgesehen davon, dass ich nicht genug Zaun habe“, antwortete er im Jahr 1993 einer tschechischen Journalistin. Was bei diesen Befürchtungen mitschwang, ist wohl die in Epochen der Fronarbeit eingeprägte Angst vor den Herrscherfamilien, die in der Neuzeit jene Stellung einnahmen, die heute in den Augen der Globalisierungskritiker multinationalen Unternehmen zukommt: uneingeschränkt mächtig, die nicht mobilen Bevölkerungsschichten ausbeutend, über nationale wie Standesgrenzen hinweg agierend.

Schwarzenbergs Vorfahren verfügten zu Zeiten der Monarchie über einen der größten Besitze und ein grenzüberschreitendes Wirtschaftsimperium, dessen Glanz und Reichtum heute fast nur noch in den Archiven und Schlossmuseen fortlebt – und auf jenen Ortstafeln, Straßenschildern und Namenstafeln in Österreich, der Tschechischen Republik und Deutschland, die den Namen Schwarzenberg als historische Reminiszenz tragen. In Wien zeugen das Palais Schwarzenberg – ein erstes Hauptwerk des großen Wiener Barockarchitekten Lucas von Hildebrandt – und der Schwarzenbergplatz von der Stellung, die diese Familie einst innehatte. Auf dem Schwarzenbergplatz stehen das Schwarzenbergdenkmal – ein kolossales Reiterstandbild aus Bronze von Feldmarschall Karl Philipp Fürst Schwarzenberg, einem der Sieger der Schlacht von Leipzig gegen Napoleon –, ein Hochstrahlbrunnen und das Befreiungsdenkmal, im Volksmund „Erbsenkönig“ genannt, die Statue eines Rotgardisten mit Fahne in der Hand, 32 Meter hoch, im stalinistischen Monumentalstil. Von den Sowjets auf dem kurzfristig „Stalinplatz“ genannten Gelände erbaut, soll dieses Denkmal an die Befreiung Wiens durch die Rote Armee im April 1945 erinnern. „Wo sonst findet man heutzutage noch Personal, das strammsteht?“, ist Karl Schwarzenbergs Lieblingsaperçu, wenn er auf das Denkmal vor seinem Palais angesprochen wird. Sein Onkel Josef pflegte sich mit dem Satz zu verabschieden: „Ich geh jetzt nach Haus, auf den nach mir benannten Stalinplatz.“

Wie an einer Schmuckkette aufgefädelt lagen die Burgen, Schlösser und Sommerpalais der Familie in der böhmischen Landschaft. So wohlhabend waren die Schwarzenberg, dass darüber in den 1950er-Jahren folgender Witz kursierte: Der amerikanische Präsident Harry Truman, der russische Staatslenker Josef Stalin und der tschechische Staatspräsident Klement Gottwald treffen sich auf einer Konferenz. In der Rauchpause holt Truman eine silberne Zigarrendose hervor. Auf ihr steht eine Widmung eingraviert: „Dem großen Präsidenten – das amerikanische Volk.“ Auch Stalin hat eine Zigarrendose, sie ist aus Gold und trägt die Inschrift: „Flaggenführer des Friedens und Führer des Weltproletariats – die Arbeiterschaft der ganzen Welt.“ Schließlich holt Gottwald seine Dose hervor, sie ist ungleich wertvoller, aus Platin gefertigt und mit Brillanten besetzt, und auch sie trägt eine Dankgravur: „Dem treuen Förster von Fürst Schwarzenberg.“

Diese Anekdote trägt dem riesigen Waldbesitz der Schwarzenberg Rechnung. Zur Zeit des Zusammenbruchs der Österreichisch-Ungarischen Monarchie umfassten die böhmischen Besitzungen eine Fläche von 176 146 Hektar, wovon auf die Forste rund 110 000 Hektar, die Teichwirtschaft 10 000 Hektar, die Landwirtschaft 29 000 Hektar und auf Kleinpachten 25 000 Hektar entfielen. Sie gaben 1600 Angestellten und Zehntausenden von Arbeitern und Gewerbetreibenden ein sicheres Brot. Auf 150 Meierhöfen wurden alle erdenklichen Bodenfrüchte angebaut; Saatzuchtbetriebe und eine „agrikulturchemische Versuchsanstalt“ sorgten für Innovationen. Die Schwarzenberg besaßen 1350 Pferde, 9000 Rinder, 13 500 Schafe und 2200 Schweine. Die Schwarzenberg – oder wie Karls Vater altmodisch zu sagen pflegte: die „Schwarzenberge“ – waren eine durch und durch grenzüberschreitende Dynastie, wirtschaftlich gesprochen ein multinationales Familienunternehmen mit Schwerpunkt im Donauraum, politisch gesehen Mitteleuropäer im besten Sinne, zu einem Zeitpunkt, als die Idee einer europäischen Kernregion noch Zukunftsmusik war. Heute verfügt die Familie Schwarzenberg, trotz der mittlerweile erfolgten teilweisen Restitution jener Güter, die nach der Machtübernahme der Kommunisten in der ČSSR im Jahr 1948 konfisziert wurden, weniger als ein Viertel ihres einstigen Besitzes: rund 23 000 Hektar in Österreich, 11 000 Hektar in der Tschechischen Republik und 2000 Hektar in Deutschland.

Geblieben ist, zumindest bis in die Generation Karl Schwarzenbergs, der ideologische Überbau: das Selbstverständnis als mitteleuropäische Familie mit Hang zu Politik und Macht sowie einem Verantwortungsgefühl für das Gemeinwesen. Nicht nur sentimentale Anhänger des untergegangenen Vielvölkerstaates des Kaisertums Österreich sehen in ihm einen Repräsentanten für ein Europa der Zukunft, in dem regionale Verbundenheit und vielschichtige nationale Identitäten kein Widerspruch sind. Die Schwarzenberg waren schließlich immer zweisprachig: deutsch und tschechisch. Sie haben sich zu den Tschechen anständig verhalten – und sie waren gegen die Nazis. Sie waren durch und durch europäisch, als es die Europäische Union noch gar nicht gab.

Seinen Einstieg als tschechischer Politiker im Jahr 2004 feierte der frisch gewählte Senator Schwarzenberg mit seinem früheren Chef Ex-Präsident Vacláv Havel. Schwarzenbergs Kampf um seine Nachfolge als Präsident auf dem Hradschin im Jahr 2013 erlebte Havel nicht mehr, er starb 2011.

Für Schwarzenberg war der Einzug in den Senat nicht nur eine Genugtuung und einer der Höhepunkte seines Lebens, das im Grunde genommen immer der Politik gewidmet war, auch wenn er zuvor nie eine gewählte politische Funktion innehatte; für ihn schloss sich damit auch ein Lebenskreis, der 56 Jahre zuvor im Jahr 1948 mit der Flucht vor den Kommunisten brutal unterbrochen worden war. Wenn man so will, ist Schwarzenberg an diesem Abend gleich doppelt angekommen: in seiner Lebensheimat Politik und seiner Geburtsheimat Böhmen.

1 FLUCHT AUS DER KINDHEIT

Es gibt Momente im Leben jedes Menschen, die sich für immer einprägen. Man kann sie so präzise wieder aufrufen, als hätten sie sich ins Gehirn eingebrannt, so als wären sie ein Standbild im unendlichen Rauschen der Lebenseindrücke. Oft weiß man gar nicht, welches Datum dieser Moment genau trug, aber man ist dafür in der Lage, den Lichteinfall, den Geruch im Vorzimmer und den unvergesslichen emotionalen Charakter dieses Tages wiederzugeben.

Im Leben von Karl Schwarzenberg, das am 10. Dezember 1937 nach einer schnellen Geburt im Prager Krankenhaus im Stadtteil Bubeneč begann – die Gebete der Mutter kurz zuvor in der Klosterkirche des Emmausklosters zu Füßen der dunklen Festung Vyšehrad waren offenbar erhört worden –, gab es mehrere solcher Momente. Der früheste markiert das jähe Ende einer, trotz Kriegswirren, durchaus privilegierten Kindheit und er ereignete sich am späten Vormittag im August des Jahres 1947 kurz vor Schulbeginn auf Schloss Čimelic, dem Sommersitz der Familie Schwarzenberg. Die Blätter im Park des Barockschlosses, das wie eine kostbare Preziose italienischer Lebenslust in der südböhmischen Landschaft liegt, hatten sich noch nicht verfärbt, aber abends konnte es schon empfindlich kühl werden. Der neunjährige Karl hatte den Tag, wie immer in den Sommerferien, mit einem einfachen Frühstück begonnen und war dann in den weitläufigen Schlosspark spielen gegangen. Kurz vor dem Mittagessen holte Karls Mutter Antonie ihn zu sich.

In Čimelic verbrachten Karl, sein Bruder Friedrich, seine beiden Schwestern Marie Eleonore und Anna Maria die sorgloseste Zeit des Jahres. Gerufen wurden sie Kary, Beda, Amia und Anina. Der Adel pflegt seinen Kindern oft jenes Wort als lebenslangen Spitznamen zu geben, das sie als Kleinkind selbst besonders häufig verwenden. Bei Maria Eleonore war es „Amia“, weil sie das „Ave Maria“ nicht korrekt aussprechen konnte. „Beda“ leitet sich von „Bedřich“, der tschechischen Form für Friedrich, ab.

Einmal im Jahr kam der herrschaftliche „Zirkus“ der Familie Schwarzenberg, wie die Angestellten das Ritual des Von-einem-Wohnsitz-zum-anderen-Ziehens scherzhaft schimpften, für die Zeit der Sommermonate in Čimelic zur Ruhe. Im Herbst ging es zurück auf das gut eine Stunde Kutschenfahrt entfernte Familienstammschloss Orlík. Orlík ist ein eigenwillig auf einem Felsvorsprung über dem Moldautal liegendes Anwesen, das mit seinen übermütig eingesetzten Zinnen und runden Türmen wie eine Ritterfestung wirkt, die den romantischen Anwandlungen ihrer Herren nachgeben musste. Die Wochen von Weihnachten bis Ostern schließlich verbrachten die Schwarzenberg stets in Prag in ihrem Stadtpalais in der Voršilská-Straße in der Altstadt. Nur wenige Schritte entfernt liegt das prächtige und ganz das Selbstbewusstein des tschechischen Volkes ausstrahlende Nationaltheater, dessen Grundsteinlegung im Mai 1868 auch Karls Ururgroßvater beiwohnte. Er hatte maßgeblich dafür gespendet.

Die Gewohnheit, das Jahr nicht an einem, sondern an drei verschiedenen Orten zu verbringen, hatten Karl Schwarzenbergs Eltern, so wie vieles andere, aus der Zeit ihrer Vorfahren übernommen. In vielem, was sie dachten und wie sie lebten, waren Karl Schwarzenberg VI. und seine österreichische Frau, eine geborene Prinzessin Fürstenberg, Menschen des 19. Jahrhunderts geblieben. Karl Schwarzenberg setzt diese Eigenart übrigens auf seine Art und mit den Mitteln der heutigen Fortbewegungsmöglichkeiten beschleunigt fort. Nie länger als 36 Stunden an einem Ort sei er, wird ihm nachgesagt. „48 Stunden sind es schon“, meint er selbst. Mit dem Wechsel zwischen urbanem und ruralem Lebensstil, den seine Vorfahren kultivierten, hat Karl Schwarzenbergs Reisetätigkeit kaum etwas gemeinsam. Für seine Eltern war das Stadtleben ohne die gesellschaftlichen Verpflichtungen des Adels, den Soireen, Abendessen, Theaterbesuchen und Konzerten, nicht denkbar. Zum Aufenthalt am Land wiederum gehörten die Jagd, Spaziergänge, Gartenpflege und das heute nur mehr schwer nachvollziehbare Gefühl, einfach privat sein zu können.

Als seine Mutter Karl nun zu sich in ihr Zimmer rief und ihn bat, sich einen Moment hinzusetzen, weil sie ihm etwas Wichtiges sagen müsse, hatte Karl eine düstere Vorahnung. Seine Erinnerungen an den vor zwei Jahren zu Ende gegangenen Zweiten Weltkrieg und das Protektorat, die Besetzung durch die Nazis, waren lebhaft. Sie hatten den ohnehin ernsthaften ältesten Sohn der Familie zu einem frühreifen, fast ein bisschen altklugen Jungen werden lassen. 1942 war das Stammschloss Orlík von der Gestapo beschlagnahmt worden, die Familie verbrachte die Kriegszeit auf dem Sommersitz Čimelic.

Orlík war unter Zwangsverwaltung gestellt worden, nur seine Mutter durfte noch hin. Die Prager Stadtwohnung musste auf Befehl der Gestapo einem Funktionär der Nazi-Industrieverwaltung zur Verfügung gestellt werden. Sie war von Karls Mutter im englischen Stil eingerichtet, nicht prunkvoll, aber gediegen. Dennoch fand sie der deutsche ungebetene Gast nicht entsprechend und befahl, sie besser auszustatten. Karls Vater ließ also üppigere Möbel anschleppen – und erlaubte sich einen kleinen Scherz: Er dekorierte den Salon mit einer Serie prachtvoller Stiche von Napoleons Russlandfeldzug. Eine feine Anspielung auf die bereits in vollem Gang befindliche Ostexpansion Hitlers und ihr baldiges unrühmliches Ende.

Karls Erinnerungen an die Zeit des Krieges zeigen die Perspektive eines Kindes, das beobachtet, dass Seltsames geschieht, es aber noch nicht in den historischen Zusammenhang stellen kann. Den sollte er erst später erfahren. Karl hatte gesehen, wie eine Abteilung der Hitlerjugend mit prächtigen Trommeln, Pfeifen und Fahrtenmessern durch die Straßen marschierten, und als er seinem Vater sagte, so möchte er auch werden, spürte er, wie dieser neben ihm erstarrte. Warum, verstand er erst im Nachhinein. Erst als Erwachsener sollte er erfahren, dass seine Mutter damals heimlich mit der Nagelschere das gestickte Monogramm aus den feinen Leintüchern schnipselte. Später, zu Kriegsende, sah Karl andere Männer durchs Dorf marschieren: zuerst amerikanische Soldaten, dann russische. Er begann schon damals die Zeitungen, die sein Vater abonniert hatte, zu lesen. Die sozialdemokratische Právo lidu und die Lidová demokracie, das Blatt der katholischen Volkspartei. Er verstand nicht alles, was politisch vor sich ging, aber er ahnte, dass die Kommunisten, die ständig an Macht gewannen, für seine Familie nichts Gutes wollten. Und er konnte die Namen und die Funktionen der Mitglieder der Regierung Klement Gottwalds auswendig aufsagen – und er kann es bis heute.

Karl wusste also, dass die Situation für seine Familie nicht einfach war; wie prekär sie tatsächlich war, sollte ihm seine Mutter gleich beibringen – auf die behutsame, aber dennoch bestimmte Art, die sie im Umgang mit ihren Kindern auszeichnete. „Du wirst heuer zehn, du bist also kein Kind mehr, sondern ein Teenager, wie man auf Englisch sagt“, hob seine Mutter an. Ihre Großmutter war Schottin und Englisch stand ihr immer näher als das Tschechische. Karl konnte sich unter dem Wort Teenager etwas vorstellen, Englisch gehörte zu seinen Unterrichtsgegenständen und es war die Sprache, in die seine Mutter fiel, wenn sie nervös war. Jetzt aber sprach sie Deutsch. „Ich habe genau beobachtet und ich weiß, wie sehr du das alles hier liebst und wie du mit dem hier lebst, aber du solltest wissen, in welcher Situation wir sind.“

In welcher Situation? Karl dachte an das, was er in den Zeitungen der vergangenen Wochen immer wieder gelesen hatte. Er hatte gesehen, dass mit seinem Familiennamen Schlagzeilen gemacht wurden. „Kampf um vier Milliarden“ und „Lex Schwarzenberg“ stand dort. Es ging um das Vermögen seines Onkels Adolph, des Fürsten der Frauenberger Linie, der ungleich vermögenderen Schwarzenberger Primogenitur. Die Schwarzenberg sahen sich im Sommer 1947 mit der Tatsache konfrontiert, dass ihr Besitz in der ČSSR zum zweiten Mal binnen eines Jahrzehnts in großer Gefahr war. Große Verluste hatte bereits die Bodenreform nach dem Ersten Weltkrieg gebracht. Dann hatten zuerst die Nationalsozialisten ihren Anspruch auf Schwarzenberg’schen Grund und Boden angemeldet, nun waren es die immer stärker werdenden Kommunisten, die an einer der wohlhabendsten Adelsfamilien ein öffentlichkeitswirksames Exempel statuieren wollten.

Im Herbst des Jahres 1938 – Karl war damals nicht einmal ein Jahr alt – hatte sein Onkel Adolph das Erbe seines Vaters angetreten – unter äußerst schwierigen politischen Bedingungen. Seit dem Anschluss Österreichs im März 1938 war die Tschechoslowakei eingezwängt zwischen Berlin und Wien, ein keilförmiger slawischer Fremdkörper, der Adolf Hitlers Wahntraum von einem einheitlichen Deutschen Reich massiv störte. Aber die gerade erst zwanzig Jahre alte Erste Tschechoslowakische Republik war kein solider, selbstbewusster Staat, sondern ein von Nationalitätenkonflikten geschwächtes Gebilde. Ständig kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den rund drei Millionen Sudetendeutschen, die sich benachteiligt fühlten, und den Tschechen. Hitler heizte die Querelen geschickt von außen wie innen an. Er brachte Konrad Henlein, den Führer der Sudetendeutschen Partei (SdP), dazu, überzogene Autonomieforderungen zu stellen, gleichzeitig beanspruchte er das Sudetengebiet für sich – angeblich als letzten territorialen Happen für sein Arierreich. Hitlers Parolen fielen nicht nur bei den Sudetendeutschen auf fruchtbaren Boden. Auch Großbritanniens Premierminister Arthur Neville Chamberlain spielte mit dem Gedanken, Hitler ein letztes Zugeständnis zu machen – und dafür Frieden für Europa zu erhalten.

Die Schwarzenberg beobachteten die politische Situation genau – und mit zunehmender Sorge. Karl Schwarzenbergs Mutter hatte schon zuvor für Aufregung innerhalb der Familie gesorgt, als sie von einer zufälligen Begegnung mit dem britischen Kriegsminister Duff Cooper in Paris erzählte. Als Enkelin einer schottischen Grande Dame und Diplomatentochter von höchstem Rang kannte sie ihn natürlich; dies war zu einer Zeit, als Hochadel und Diplomatie noch eng miteinander verwoben waren und eine eingeschworene Kaste bildeten, deren informelles Informationsnetzwerk sich über ganz Europa spannte. „So, Sie kommen gerade aus Prag“, meinte Cooper zu ihr sehr nachdenklich. „Ich hoffe, dass man sich in die politische Situation dort nicht einmischt, wir können noch nicht, wir brauchen mindestens ein Jahr Zeit.“

Seine Sorge war begründet. Hitler gab sich mit dem tschechoslowakischen Sudetenland nicht zufrieden und kündigte stattdessen den Einmarsch der Wehrmacht und eine Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit an; wie zuvor auch schon in Österreich wollte er die erzwungene Okkupation durch ein pseudodemokratisches Ritual legalisieren. Daraufhin baten die Briten den italienischen Diktator Benito Mussolini um Hilfe. Hitler, Mussolini, Chamberlain und der französische Premierminister Edouard Daladier trafen sich am 29. September in München und beschlossen die Filetierung der Tschechoslowakei – weder Vertreter der Tschechoslowakei noch von deren Bündnispartner Sowjetunion durften teilnehmen. Dieses Septemberdatum symbolisiert ein Trauma im kollektiven Gedächtnis der Tschechen und erklärt, warum die Mächte des Westens für sie nach dem Zweiten Weltkrieg viel weniger Attraktivität haben sollten als jene des Ostens. Dass die Kommunisten nach 1945 relativ leicht die Vorherrschaft in der Tschechoslowakei erringen konnten, hat in diesem Münchner Abkommen seine Ursachen.

Für Onkel Adolph bedeutete das Münchner Abkommen empfindliche Einbußen bei den böhmischen Herrschaften, die weit größer waren als jene auf österreichischem Gebiet. Das Unternehmen Schwarzenberg hatte sich immer als nationenübergreifend verstanden. Angestellte mussten nachweisen, dass sie sowohl das Deutsche wie auch das Tschechische beherrschten – zumindest zum Dienstgebrauch ausreichend. Die von Hitler durchgesetzten Gebietsansprüche liefen quer durch die Schwarzenberg’schen Ländereien. Drei Forstdirektionen befanden sich nun im Böhmerwald (Krumau, Oberplan und Winterberg), drei weitere im Protektorat