Kasdeya - Heike Altpeter - E-Book

Kasdeya E-Book

Heike Altpeter

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Beschreibung

Mit dem Geschäft übernimmt die neue Besitzerin nicht nur das Objekt und das Angebot, sondern auch gleich die Stammkundschaft. Doch noch etwas bekommt sie dazu. Etwas, mit dem sie nicht gerechnet hat und das sie nicht in den Griff zu bekommen scheint. Aber wer – oder was – ist Kasdeya? Fluch oder Bedrohung? Freund oder Feind? Oder einfach nur das Böse selbst? Sarah ist hin und hergerissen zwischen zwei Welten, versucht zu verstehen, dass es mehr als fünf Sinne gibt. Neben all dem Neuen was über sie hereinbricht, tauchen immer wieder neue Fragen auf und jede gefundene Antwort bringt mehr Unglaubliches zum Vorschein. Gibt es Parallelwelten und können wir Kontakt zu diesen aufnehmen? Wenn man bedenkt, dass der Mensch nur 5 Prozent seines Potentials ausschöpft, so kann es Dinge zwischen Himmel und Erde geben, die wir uns nicht erklären können. Aus quantenphysischer Sicht ist alles Energie. Wieso sollten Gedanken nicht in Frequenzen schwingen können, die jeder Mensch hören kann?

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Seitenzahl: 350

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Heike Altpeter

Kasdeya

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Verlage, Herausgeber und Autor unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt. Namensgleichheiten sind beabsichtigt und die Zustimmung zur Verwendung wurde erteilt.

Fototeile Cover lizenzfrei Pixabay, CocoParisienne

Impressum

Text: Heike Altpeter

Coverdesign: Karin Pfolz

Foto: Diana Göttermann

Korrektur/Lektorat: Kerstin Jolas

Layout/Überarbeitung: Karin Pfolz

ISBN Print: 978-3-96111-390-3

ISBN E-Book: 978-3-96544-506-2

© März 2019, Karina Verlag, Wien

Teil 1, Die Erbschaft

Kapitel 1 – Meine leibliche Mutter

Vom Läuten der Klingel wurde ich wach.

„Nanu, was war das?“ Schlaftrunken musste ich mich erst einmal sammeln. „Die Haustür!“ Ein Blitzgedanke. Etwas in meinem Bauch sagte mir, dass etwas auf mich zukommt, was mir vielleicht nicht gefällt. Diese Empfindungen hatte ich seit längerer Zeit öfter schon mal verspürt.

So zum Beispiel, als mein Auto vor ein paar Monaten mitten im Nirgendwo den Geist aufgab, da hatte ich kurz vorher dieses Gefühl im Bauch.

Und, als ich vom Unfall meiner Eltern gehört hatte, davor auch.

Als an meiner Waschmaschine der Schlauch geplatzt war, eigentlich wusste ich es schon vorher und bin nach Hause gefahren. Ich kam gerade noch rechtzeitig, und der Wasserschaden war zum Glück mit einmal Durchwischen behoben. Heute hatte ich es wieder!

Ich ging zur Tür und öffnete.

„Hallo Sarah, hast du geschlafen? Um diese Zeit?“ Mit Blick auf seine Uhr stellte er fest: „Wir haben elf Uhr. Ein bisschen früh, für ein Mittagsschläfchen.“ Martin, unser Postbote, stand breitbeinig und lächelnd vor mir.

„Hey Martin, wieder mal auf Tour? War letzte Nacht lange wach und erst um vier Uhr eingeschlafen. Weiß auch nicht, hatte lauter wirre Gedanken im Kopf. Geht bestimmt anderen auch so? Nicht so schlimm. Hab ja im Moment Zeit, mich zu erholen.“

„Bist wohl immer noch arbeitslos. Hab´s diese Woche in meiner Stammkneipe Matze gehört. Ich habe ein Einschreiben für dich. Bitte hier unten rechts quittieren. Danke.“

Ich unterschrieb auf dem Handcomputer und nahm das Schreiben an mich.

„Danke! Ganz schön warm heute. Hast du vielleicht Durst? Soll ich dir ein Glas Mineralwasser holen?“

Martin und ich kannten einander schon seit dem Kindergarten. Gemeinsam Schule, gemeinsames Abitur. Da wächst die Freundschaft.

„Oh, ja bitte! Bin schon seit vier Stunden am Rennen. Wieder mal ganz schön was los nach dem Streik der letzten Woche. Aber gut, dass ich wenigstens noch Arbeit habe.“

Mit dem Taschentuch wischte er Schweißtropfen von seiner Stirn und lehnte sich an die etwas kühlere Hauswand im Eingang.

Von der Küche aus hörte ich ihn reden und füllte ein Glas mit dem erfrischenden Nass.

„Hier, zum Wohl!“

Martin nahm dankend sein Glas und trank es in einem Zug aus. Er war ein hübscher Mann geworden. Nicht so sehr groß, dafür muskulös und gepflegt. Er hätte einen rassigen Italiener abgegeben. Mir gefiel er.

Früher! Ja, da hatten die Kinder ihn immer gehänselt. Er war damals ein mickriger Junge mit Brille und wadenhohen orthopädischen Schuhen, davon sah man heute nichts mehr. Mir war das schon damals egal gewesen. Irgendetwas hatte mich an ihm fasziniert und tat es auch heute noch.

„Willst du noch ein Glas, oder soll ich dir eine Flasche mitgeben?“

„Nein, danke! Das war perfekt, sonst muss ich zu oft zur Toilette. Muss dann wieder los. Sehen wir uns diese Woche noch bei „Matze“ auf ein Bier?“ Auf dem Absatz kehrt machend, winkte er mir noch einmal zu. Dann war er weg.

„Mal sehen! Ich denke darüber nach. Bis dann!“, rief ich ihm nach und sah, wie er in der nächsten Einfahrt verschwand. Ich schloss die Tür.

„Was das wohl für ein Schreiben ist?“ Der Absender sagte mir nichts. In der Küche öffnete ich mein Schreiben mit einem spitzen Messer. Hervor kam ein handgeschriebener Brief. Vorsichtig entfaltete ich das zartrosa Papier und las:

„Meine liebe Sarah. Du wirst dich nicht mehr an mich erinnern, dazu warst du viel zu klein, aber ich habe dich nie vergessen. Ich war die beste Freundin von Maria, die dann deine Mutter wurde. Maria und ich hatten einen Pakt geschlossen, um dich zu beschützen. Keiner sollte jemals erfahren, dass du meine leibliche Tochter bist. Es wäre damals zu gefährlich für dich gewesen, so aufzuwachsen, unter Hexen und Magiern. Mein Meister hätte dich mir weggenommen, wenn er von dir erfahren hätte und dich für seine Zwecke missbraucht. Das konnte ich nicht zulassen. Also entschlossen wir uns, dich kurz nach der Geburt bei Maria und ihrem Mann zu lassen. Ich bin dann damals ohne dich nach Kanada geflohen, um meinem Meister davonzulaufen und um dort zu praktizieren. Meine Kräfte wuchsen mit der Zeit. Mit Hilfe von guten Engeln und Schutzzaubern konnte ich mich irgendwann von diesem Mann befreien. Gott sei Dank hatte er sich nach längeren Auseinandersetzungen zurückgezogen und war plötzlich wie vom Erdboden verschwunden.

Vor ein paar Jahren war es mir dann möglich, wieder nach Hause zu kommen. Aber mir schien es besser für dich, dass du davon nichts erfährst. Ich habe immer noch Angst um dich und hoffe, dass Kasdeya dich nie findet. Jetzt, da du den Brief in Händen hältst, erfährst du die Wahrheit. Ich gehörte zu einem geheimen, okkulten, magischen Zirkel und war damals dumm und naiv, aber sehr begabt. Mein Meister, Kasdeya, wusste das nur zu gut für seine Zwecke zu nutzen, und ich habe Dinge getan, auf die ich wahrlich nicht stolz bin. Keine Angst! Ich habe niemanden umgebracht. Nur ein paar sehr wirkungsvolle Rituale angewandt. Ja, du hörst richtig. Im Mittelalter hätte man mich sehr wahrscheinlich als Hexe verbrannt.

Nein, Spaß beiseite. Als meine Tochter hast du meine Fähigkeiten geerbt, da bin ich mir ganz sicher! Früher oder später wirst du sie erkennen und lernen, damit umzugehen. Nutze sie mit Verstand und lass dich nicht zum Bösen verleiten. Der Grat ist sehr schmal. Ich habe gerade so die Kurve gekriegt und in der Fröschengasse am St. Johanner Markt, ganz in deiner Nähe, einen Esoterik- und Literaturladen eröffnet. Vielleicht bist du ja mal daran interessiert vorbeigekommen?

Es tut mir sehr leid, dass ich niemals Kontakt mit dir aufgenommen habe, aber es war besser so für dich. Die Gefahr ist vielleicht nie ganz vorbei. Jetzt bist du aber erwachsen und gefestigt. Jetzt ist die Zeit gekommen, dich mit deinen Fähigkeiten auseinanderzusetzen. Um dir den Weg zu erleichtern, gebe ich dir das einzige, was ich habe. Nimm den Schlüssel und lerne. Notariell habe ich alles veranlasst. Sobald ich tot bin, wirst du von Dr. Theobald Nikolaus informiert. Sei nicht traurig! Ich werde immer bei dir sein, auch über den Tod hinaus. Verlass dich auf deine Gefühle. Es war so das Beste für dich. Ich habe dich immer geliebt.

Deine Mutter Regina.“

Mein Herz setzte für einen Moment aus. So fühlte es sich jedenfalls an. Mein Leben war eine Lüge? Meine Mutter nicht meine Mutter? Und wer war dann mein leiblicher Vater? Plötzlich bekam alles einen Sinn.

Immer schon, seit ich denken kann, kam ich mir seltsam vor. Immer dachte ich, nicht in diese Familie zu gehören. Ich war ein sehr stilles Kind mit vielen Macken, was sich bis heute nicht geändert hat. Wenn wir früher außer Haus waren und zurückkamen, schaute ich immer zuerst hinter die Türen und unters Bett. Sogar den Kleiderschrank öffnete ich, um auszuschließen, dass Räuber sich versteckt hatten. Genau das tat ich heute immer noch. Bescheuert, ich weiß, aber mach was dran! Oft hatte ich das Gefühl, es wäre noch jemand mit mir im selben Raum. Aber ich war alleine! Wenn Mutter mich in den Keller schickte, sang ich vom Öffnen der Tür, bis ich wieder nach oben kam. Warum? Keine Erklärung. Und jetzt das! Was sollte ich tun?

Meine Eltern konnte ich nicht mehr fragen. Sie waren bei einem Autounfall vor zwei Jahren ums Leben gekommen. Ich hatte es schon gewusst, bevor die Polizei vor der Tür stand. Nahm es aber nicht wahr. Auch das ergab jetzt einen Sinn, wenn auch einen unglaublichen.

Die Gedanken überforderten meinen Verstand, und ich musste mich erst einmal setzen.

Eine gefühlte Ewigkeit später war ich wieder in der Lage, klar zu denken. Gedanklich ging ich den Brief noch mal durch. Regina hatte geschrieben: „Nimm den Schlüssel!“ Welchen Schlüssel?

Das Kuvert immer noch krampfhaft in der Hand haltend, tastete ich es ab.

Da war noch etwas drin!

Ein relativ normaler Schlüssel machte mich neugierig. Das einzige sonderbare daran war ein kleines Symbol am oberen, dickeren Rand. Ich holte eine Lupe.

Das Symbol stellte eine fünfseitige Raute mit einem Kreis in der Mitte dar. In diesem Kreis befand sich ein kleines Dreieck. So was hatte ich bisher noch nicht gesehen. Egal! Zuerst wollte ich sehen, wozu er passte. Ein Schlüssel hieß aber doch auch, ich durfte etwas aufschließen. Gehörte mir jetzt der Esoterikladen? Diese Neugierde überdeckte meine vielen Fragen. Kurzentschlossen schnappte ich mir meine Handtasche, den Autoschlüssel und den Brief. Die Fröschengasse war mir ein Begriff. Jeder Saarbrücker kannte sie. Ein kleines Seitensträßchen am St. Johanner Markt. Kleidergeschäfte, Schuhgeschäfte und Kneipen. Ich war gespannt. Den Esoterikladen fand ich am Ende der Gasse, Nr. 513. „Esoterik und Literatur“, stand groß über der Eingangstür. Ich zückte meinen Schlüssel. Er passte!

„Hallo! Ist jemand zu Hause?“

Zaghaft betrat ich den Laden. Ein Geruch von Lavendel, Zitrone, Weihrauch, Rosmarin und Nelke reizte meine empfindliche Nase. Ich musste niesen. Es kam keine Antwort, und so schloss ich die Tür hinter mir. Das von draußen einfallende Licht reichte aus, um das Inventar zu begutachten. Eine lange Theke mit Kasse und Glasauslage. Darin und rundherum Dolche, Kelche, Kerzen, Pendel, Tensoren. Ein Gewürzregal mit schönen handbemalten Tiegeln. Ein Regal mit Edelsteinen, Moqui Marbles (ich hatte auch solche zu Hause). Drusen und Tarot-Karten. Bretter mit Buchstaben und Zahlen. Öle. Ein Bereich mit Sitzecke und Bücherregalen, die unterteilt waren in: Zauber, Magie, Heilkunst, Kräuter, Sagen, Esoterik, okkult, Astrologie und vieles mehr. Ich konnte gar nicht alles fassen, was ich sah. Es wirkte schauerlich und zugleich beruhigend. Eine Mischung aus Hexenladen und Bücherei. Ich hatte den beklemmenden Eindruck, nicht alleine zu sein und rief vorsichtshalber noch einmal: „Hallo! Ist hier noch jemand? Ich bin Sarah und habe einen Schlüssel. Hallo!“ Keine Reaktion. Ich war scheinbar doch allein!

Das Erklingen eines Windspiels ließ mich erschrocken herumfahren.

„Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Hab sie von der Straße aus gesehen und die Gelegenheit genutzt. Ich hätte gerne eine Heilkerze.“ Freundlich verharrte ein Herr vor der Theke.

Was sollte ich tun? Meine Augen suchten das Regal mit den Kerzen nach dem Gewünschten ab. „Eine Heilkerze. Heilkerze, wo bist du?“ Im Geist formte ich wie selbstverständlich diese Worte. Ich suchte noch einmal das Regal ab. Oben rechts lugte eine lila Kerze etwas mehr aus dem Regal hervor als alle anderen. Sonderbar! War mir eben nicht aufgefallen. Ich griff nach ihr und las das Etikett:

„Heilung – Harmonie & Gleichgewicht. Bestandteile: Nelke, Muskatnuss, Zitroneneisenkraut, Mohnsamen, Zeder, Wacholder, Geißblatt.“

Sie roch verführerisch. Ein separates Preisschild zeigte 16,00 Euro.

„Meinten Sie so eine?“, fragend sah ich den Fremden an.

„Der Laden hat dich verhext“, war so eine blödsinnige geistige Eingabe von mir.

„Ja, genau. War schon vor einem halben Jahr hier, da hat mich aber eine ältere Frau bedient. Ihre Mutter, wie ich vermute.“ Dieser gutaussehende Herr lächelte mir geheimnisvoll zu.

Du spinnst. Den kennst du doch überhaupt nicht und wieso geheimnisvoll? Was war auf einmal los mit mir? Wie kam er auf so was? Kannte er mich? Kannte er meine Mutter?

Ich legte die Kerze an der Kasse bereit und ging hinter den Tresen. „Das macht 16,00 Euro, bitte.“ Eigenartig! Wie selbstverständlich bediente ich, als hätte ich nie etwas anderes getan. Der Herr zahlte, nahm seine Kerze und verabschiedete sich. „Danke und viel Erfolg.“

Als er schon fast zur Tür hinaus war, überkam es mich: „Halt! Bitte warten Sie einen Moment. Sie kennen die Besitzerin?“ Hastig lief ich zur Tür.

„Ja, eigentlich schon. Ich kaufe schon seit vier Jahren hier ein. Sie ist doch Ihre Mutter? Sie sehen ihr auf jeden Fall zum Verwechseln ähnlich. Nur eben viel jünger. Aber warum fragen Sie?“ Er hatte sich zu mir umgedreht und sah mir in die Augen. Vertrauen durchströmte meinen Körper.

„Das weiß ich nicht so genau. Ich habe heute diesen Schlüssel erhalten.“ Zur Bekräftigung hielt ich ihn in die Höhe. „Ich war neugierig. Sie sagen, ich gleiche ihr? Können Sie mir mehr erzählen?“ Einladend zeigte ich auf die Sitzecke. „Entschuldigung, wie unhöflich von mir. Sarah Pfister.“

„Angenehm, Alex Rieht.“

Wir setzten uns und schwiegen. Alex fand als erster seine Stimme wieder.

„Sind Sie nicht die Tochter von Regina?“

„Laut dem Brief von heute Morgen schon. Ich kenne sie aber nicht. Sie hatte mich nach der Geburt weggegeben. Ich begreife das selbst noch nicht.“ Mein anschließendes Schweigen musste erdrückend wirken. Alex richtete sich im Sessel auf und sah mich an.

„Ja, das sieht man gleich. Sie sind ihre Tochter. Ich erinnere mich. Sie hat mir einmal von einem Kind erzählt und gesagt, es sei bei ihrer Freundin besser aufgehoben. Aber sie hat auch erzählt, dass sie ihre Tochter sehr vermisst und dass sie einmal das Geschäft erben sollte. Wissen Sie, Regina war in letzter Zeit nicht mehr so gesund. Sie litt an Gelenkschmerzen und gelegentlichen Ohnmachtsanfällen.“ Jetzt lehnte er sich wieder entspannt zurück.

„Oh!“, war alles, was mir dazu einfiel.

„Ist ein schönes Geschäft, das Sie da geerbt haben. Finden Sie nicht?“ Für Alex musste es klar sein, dass Regina verstorben war. Die Spannung löste sich allmählich, und wir kamen ins Gespräch. Alex erzählte mir alles von meiner Mutter, was er wusste. Sie war fünfundsechzig Jahre alt geworden und sah genauso aus wie ich. Klein, zierlich mit langen schwarzen Haaren und grünen Katzenaugen, wie er sagte. Dabei lächelte er liebevoll. Mir kam so ein Gedanke: „Ob er verliebt in meine Mutter war?“ Nein, dafür war er doch zu jung wie mir schien. Sie habe gerne gelacht und ihr Esoterik-Wissen sei enorm gewesen. Er schwärmte von ihrem Können und zeigte mir Bücher, die sie ihm empfohlen hatte. Weiter sprach er von Leseabenden und spiritistischen Abenden mit Gläserrücken. „Sie hatte immer ein passendes Kraut gegen meine Wehwehchen, und sie war präsent. So wie Sie.“ Wieder schenkte er mir einen bewundernden Blick aus seinen wasserblauen Augen.

„Ein netter Mann“, schoss es mir durch den Kopf.

„So. Ich muss dann mal wieder. Es war nett, sich mit Ihnen zu unterhalten. Wir können das ja gelegentlich mal wiederholen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit dem Geschäft und schön, dass es wieder eine Besitzerin gibt.“ Damit verabschiedete sich Alex, und das Windspiel tönte. Ich war wieder allein. Allein mit mir und dem Geschäft.

Meinem Geschäft?

Endlich wieder ein Lichtblick am Horizont.

Kapitel 2 – Mein Erbe

Erst ein paar Tage später begriff ich die Situation erst richtig. Ich war in Kürze nicht mehr arbeitslos. Was ich noch nicht wusste, war, wie es weiter gehen sollte. Wann war meine „Mutter“ verstorben? Wo war sie beerdigt? Ich nahm mir vor, bei nächster Gelegenheit, Alex danach zu fragen. Er wusste es vielleicht.

Fürs Erste musste ich zu Dr. Nikolaus, dem Notar. Zwei Tage zuvor hatte ich von seinem Büro eine Einladung zur Testamentseröffnung erhalten. Heute war es soweit! Ich beeilte mich, um rechtzeitig im Notariat zu sein.

Außer mir waren auch Alex und eine mir unbekannte jüngere Frau in dem Amtszimmer erschienen. Wir standen alle ein wenig verloren vor dem ovalen schweren Holztisch mit den acht geschnitzten Holzstühlen, die mitten im Raum platziert waren. Kurze Zeit später betrat ein kleiner rundlicher Herr mit einem Aktenkoffer würdevoll den Raum und nahm am Tischende, uns gegenüber, seinen Platz ein.

„Meine Damen, mein Herr, nehmen Sie bitte Platz.“ Dr. Nikolaus war ein gesetzter älterer Herr mit Bauch, Glatze und kleinen lustigen Augen. Keine wirkliche Schönheit, trotzdem mit viel Ausstrahlung und Charme. Er verlas das Testament:

„Wir haben uns heute, Dienstag, den 26. Mai 2015, hier eingefunden zur Eröffnung des Testaments von Frau Regina Scholz, verstorben am 12. Mai in Saarbrücken.“ Er sah von einem zum anderen und schien uns zu taxieren. „Frau Scholz hat das Testament selbst verfasst. Ich verlese ihren letzten Willen wie folgt“: dabei zog er hörbar die Luft ein und rückte seine Brille zurecht.

„Mein langjähriger Kunde und Freund, Alexander Rieht, erhält als Erinnerung an mich aus meinem Geschäft das Buch „Das Gedächtnis der Natur“ von Rupert Sheldrake. Ich hoffe, dir damit ein weiteres Stück meines Wissens zu eröffnen. Vergiss mich nicht und kümmere dich ab und zu um meine Tochter Sarah. Sie wird dich brauchen und dich schätzen lernen.“

Der Notar griff eines der Päckchen und reichte es über den Tisch.

„Vielen Dank.“ Alex griff danach.

Dr. Nikolaus räusperte sich und putzte weithin hörbar seine Nase:

„Meine liebe Tochter Sarah, hiermit überschreibe ich dir meinen Esoterik- und Literaturladen sowie meinen gesamten Besitz. Ich hoffe, dir damit ein Stück von mir näher zu bringen und deine erwachenden Fähigkeiten zu fördern. Ich liebe dich über alles und wünsche dir ein gutes Leben. Zum Schutz stelle ich dir den Engel Michael, er schützt dich vor negativen Energien, und den Engel Jophiel, er gibt dir Geduld, Weisheit, Mut und innere Kraft, zur Seite. Des Weiteren verfüge ich, dass Sabine Neu, meine geschätzte Angestellte, weiterhin bei dir beschäftigt werden muss. Sie kennt den Laden von Grund auf und wird dich unterstützen, so wie sie mich unterstützt hat. Mein Kind, ich werde immer bei dir sein. Denk daran. Du wirst mich erkennen, wenn es soweit ist.“

Zu mir gewandt sprach Dr. Nikolaus: „Frau Pfister, Sie kommen nachher bitte noch zu mir, um die Formalitäten zu erledigen.“ Mir standen zum ersten Mal Tränen in den Augen, und ich wischte sie verstohlen weg.

… „Und nun zu dir, liebe Sabine. Ich danke dir für deine uneingeschränkte Hilfe. Du warst ein wichtiger Bestandteil in meinem Leben. Ich habe dir alles, was du wissen musst, vermittelt und hoffe, du hilfst meiner Tochter auf ihrem Weg. Ich verlasse mich auf dich. Als Erinnerung erhältst du ein Amulett. Es schützt dich vor Schaden, Krankheit und verhilft dir zur Entscheidungskraft und Ausdauer. Von Dr. Nikolaus werden dir, nach der Testamentseröffnung, fünftausend Euro auf dein Konto überwiesen. Nutze sie klug.“

Wieder reichte der Notar ein Päckchen über den Tisch.

„Danke!“, erklang eine feine melodische Stimme. Mir schenkte Sabine ein strahlendes Lächeln. Dr. Nikolaus räusperte sich erneut:

„Zum Schluss wünsche ich mir, dass ihr alle meine Wünsche erfüllt und zusammen haltet. Ganz gleich, was euch widerfährt. Das ist mein letzter Wille. Gezeichnet: Regina Scholz, Saarbrücken, den 01.03.2015. Gegengezeichnet und beurkundet: Notar Dr. Theobald Nikolaus, Saarbrücken, den 01.03.2015.“

„Die Eröffnung ist nun verkündet und geschlossen. Treten Sie bitte nacheinander zur Unterzeichnung vor.“

Befriedigt schloss Notar Nikolaus die Akte und schaute wieder prüfend in die Runde. Wir erhoben uns. Alex unterschrieb gerührt das vorliegende Dokument. Dann Sabine. Mir den Stift reichend, rückte sie zur Seite.

Sabine war eine etwa dreißigjährige, junge blonde Frau. Leicht korpulent mit auffallend zarter Stimme. „Hier für Sie. Das ist meine Telefonnummer. Wenn Sie mögen, können wir später telefonieren. Sie sagen mir dann, wann ich wieder zur Arbeit kommen darf. Schön, Sie endlich kennen zu lernen. Bis demnächst.“ Freundlich reichte sie mir die Hand zum Abschied.

„Danke. Ich melde mich, wenn es so weit ist.“ Die Telefonnummer steckte ich in meine Tasche. Meine Aufmerksamkeit gehörte jetzt Dr. Nikolaus. In meinem Ohr hallten immer noch die verlesenen Worte meiner Mutter: „… sowie meinen gesamten Besitz.“ Was kam da noch auf mich zu? Das Gefühl in meinem Bauch machte mich unsicher. Eine gute Stunde später stand ich wieder auf der Straße. Um ein Haus, ein Geschäft und viele ungeklärte Fragen reicher.

Ich konnte es nicht glauben. Ich kannte meine leibliche Mutter nur vom Erzählen und dem seltsamen Brief, und jetzt hatte ich ein Stück von ihrem Leben erhalten. Stolz und zugleich traurig? Was sollte ich jetzt anfangen? Bis hierhin musste ich erst mal verdauen, und dann würde ich weiter sehen. Mit Unterlagen, Bildern und einer Testamentsabschrift ging ich nach Hause. Meine Wohnung erschien mir heute seltsam kalt und leer.

Ich brauchte Gesellschaft, wollte nicht alleine sein. Sollte ich Martin anrufen? Dann fiel mir aber ein, dass heute Männerabend war. Ich würde ihm auf den Anrufbeantworter sprechen, um ihm meine Neuigkeiten und die Adresse des Hauses, das ich geerbt hatte, mitzuteilen. Ich schlug den kommenden Samstagabend als möglichen Treffpunkt vor und sagte, dass ich mich wieder melden werde. Danach köpfte ich eine gute Flasche Wein und schaltete den Fernseher ein, um meinen Verstand zu betäuben.

Für den folgenden Samstag war eine Ortsbegehung für das geerbte Haus ausgemacht. Bis dahin hatte ich Zeit, auch noch einen Gewerbeschein für mich zu beantragen. Was sein musste, das musste sein!

Die folgenden Tage verbrachte ich mit Behördengängen und Lesen. Schließlich musste ich doch etwas Ahnung vom Geschäft haben. Das Einlesen fiel mir nicht besonders schwer. Lesen war Gott sei Dank ein Hobby von mir. „Wenn man schon keine Freunde hat, sollte man wenigstens lesen“, hatte meine Mutter als Kind zu mir gesagt. Mitten in diesem Gedanken stutzte ich. „Maria war ja gar nicht meine Mutter? Wann ist man eine Mutter? Wenn man ein Kind geboren hat, so wie Regina, oder wenn man eines großgezogen hat, so wie Maria? Was für ein Mist! Sollten sich doch andere darüber den Kopf zerbrechen. Für mich war Maria meine Mutter und würde es auch bis in alle Ewigkeit bleiben.“

„Richtig so mein Kind“, schoss es durch meinen verwirrten Kopf.

Ich las Bücher über Kräuterkunde als Heilmittel und Esoterik. Einige Kräuter kannte ich sowieso schon, und wozu das eine oder andere gebraucht wurde würde ich wohl von Sabine lernen. Bisher hatte ich gedacht, Esoterik würde internationale Mythen weitergeben. Dann kam ich zu dem Entschluss, dass es sich um ein Geheimwissen, welches nur einer besonderen Klientel von Eingeweihten zugänglich war, handeln müsse. Mir wurde bewusst, dass andere Dinge wie Spiritismus, Astrologie, Geomantie, Okkultismus, Magie, aber auch alternative Medizin und UFO-Forschung nach außen hin sichtbare Teilbereiche der Esoterik waren. So stand es jedenfalls in den Büchern, die ich las. Auf was ließ ich mich da ein? Konnte ich den Anforderungen gerecht werden? Hatte ich besondere Fähigkeiten?

Wenn Zerstörung dazu zählte? Definitiv ja!

Seit ein paar Tagen fiel mir ständig etwas zu Boden. Scheppernd, krachend oder auch nur mal eben so, ohne ersichtlichen Grund, ganz nebenbei, wie von selbst. Ich zweifelte an meinem Verstand. War ich denn so abgelenkt, dass ich schon nicht mehr registrierte, wenn ich ein Glas auf den Tisch stellte, es auch sorgsam zu tun? Wenn das so weiterginge, würde mein Geschirr nicht mehr lange ausreichen. Wieder einmal, wie so oft in den letzten Tagen, qualmte mir der Kopf. Bisher hatte ich noch mit niemandem persönlich über meine unverhoffte Erbschaft gesprochen. Ich war ein Mensch, der alles zuerst einmal mit sich selbst ausmachte, bevor er sich anderen öffnete. Ich hatte mir vorgenommen, dies am Samstag, wenn ich Martin traf, zu ändern. Nach der Hausbegehung wollte ich noch einmal im Laden vorbeischauen und mir neue Bücher holen.

Wie geplant, fuhr ich nach dem Frühstück zum Haus meiner Mutter: Kaiserslauterer Straße 513! Irgendwie kam mir die Hausnummer bekannt vor. Dr. Nikolaus stand schon vor der Tür. „Guten Morgen Frau Pfister. Haben Sie alles gut überstanden und verarbeitet?“

„Danke der Nachfrage. Wenn ich ehrlich bin, kann ich es immer noch nicht glauben, aber ich habe mich schon etwas schlau gemacht und hoffe, ich werde Regina gerecht.“ Das Wort „Mutter“ kam mir nur schwerlich über die Lippen.

„Wollen wir hineingehen?“ Die Tür aufschließend zeigte er mir an, ihm zu folgen. Ich tat es. Das Haus hielt innen, was es von außen versprach. Sauber, gemütlich, geordnet. Alles hatte anscheinend seinen Platz. Gleich hinter der Tür führte eine Treppe nach oben. Dort fingen wir an.

„Hier hätten wir das Badezimmer. Sehr geschmackvoll, wenn ich das mal so sagen darf. Bitte folgen Sie mir. Und hier wären ein Arbeitszimmer und ein Schlafzimmer. Klein, aber fein, nicht wahr?“ Fragend sah mich Dr. Nikolaus an.

Zu mehr als nicken kam ich nicht, dann ging es schon weiter.

„Wie Sie sehen, sind die Fenster relativ neu, und das Dach ist erst zehn Jahre alt. Die Böden sind alle aus Eiche-Parkett, und geheizt wird mit Gas. Das zeige ich Ihnen aber noch im Anschluss. Bitte folgen Sie mir.“ Dr. Nikolaus schien in seinem Element. Auf seinen kurzen Beinen wuselte er flink durch die Räume. Im Erdgeschoss gab es dann ein Wohnzimmer mit Balkon zum Garten, eine Küche und eine Tür, zu der es keinen Schlüssel gab.

„Ich würde Ihnen gerne auch noch diesen Raum zeigen, aber dazu müsste ich erst den Schlüssel finden. Vielleicht haben Sie ja mehr Glück bei der Suche als ich. So, jetzt noch der Keller und Garten, dann sind wir fertig.“

Das Haus gefiel mir auf Anhieb gut, und ich hatte das Gefühl, hier schon einmal gewesen zu sein. Nur wann? Mir war wieder so, als sei ich nicht alleine hier. Abgesehen natürlich von Dr. Nikolaus. Beim Umschauen hatte ich das Gefühl, einen Schatten wahrzunehmen, hielt es aber letztendlich doch für eine optische Täuschung. „War vielleicht doch etwas zu viel die letzten Tage.“ Ich fasste mir an den Kopf und ließ mich auf eine Bank im Garten gleiten.

„Geht es Ihnen nicht gut?“ Besorgt beugte sich der Notar über mich.

„Nein, danke. Alles in Ordnung. Ich muss nur mal kurz alles auf mich wirken lassen. Und Sie sind sicher, dass das jetzt mir gehört?“

„Natürlich, mein Kind. Wem denn sonst?“ Er setzte sich neben mich.

„Auch wieder wahr, wenn ich das einzige Kind war.“ So in Gedanken vertieft, verstrich die Zeit.

„Schauen Sie mal. Hier sind die Schlüssel: Haustür, Keller, Garage, Briefkasten. Ich glaube, ich lasse Sie jetzt mal alleine und Sie schauen sich alles noch einmal in Ruhe an. Ist das so in Ordnung für Sie?“ Er hatte sich erhoben, reichte mir die Schlüssel und nickte. „Wenn Sie noch Fragen haben, wissen Sie ja, wie Sie mich erreichen.“ Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ließ mich auf der Bank zurück. Der Garten machte einen beruhigenden Eindruck auf mich. Eine große Weide stand in der Mitte und warf Schatten. Ein kleiner Teich mit Goldfischen sorgte für Abwechslung, und kleinere Blumeninseln versprühten ihren Duft. Ich fühlte mich wohl. Es war mehr, als ich erwartet hatte, und ich beschloss, den Rat von Dr. Nikolaus zu befolgen und noch einmal durchs Haus zu gehen.

So allein in einem fremden Haus zu sein war doch etwas unheimlich. Plötzlich war es wieder da, diese Sinnesempfindung, nicht allein zu sein. Ein Hauch streifte meine Beine, und mir schien, als nähme ich den Duft von Jasmin wahr. An was erinnerte mich Jasmin?

Es wurde Zeit zu gehen. Die Geschäfte, in die ich noch gehen wollte, schlossen um sechzehn Uhr. Auf den letzten Drücker konnte ich noch alles erledigen, was ich mir vorgenommen hatte. Meine neuen Visitenkarten gefielen mir. Volker, mein persönlicher Computerfachmann, hatte sie für mich gemacht.

Genau wie meine gezeichnete Vorlage:

Esoterik und Literatur.

Sarah Pfister, Handy-Nr.: …

Dasselbe Symbol, das sich auch auf dem Schlüssel befindet, oben links in der Ecke. Daneben: Esoterik und Literatur. Darunter: Sarah Pfister, dann meine Handynummer. Ich war begeistert. Mein Geschäft, meine Visitenkarten, mein...?

„Ich werde es noch sehen!“

Geschäft war das Stichwort. Ich wollte ja auch noch einmal in den Laden. Der St. Johanner Markt war nicht weit von Volkers Wohnung entfernt, und ich beschloss, bis dorthin zu laufen. Die frische Luft und ein Spaziergang würden mir gut tun. Unterwegs, am Staden, traf ich auf Alex.

Alex war ein gut aussehender Mann etwa Anfang vierzig, schätzte ich, dicke kurze rotblonde Haare und Dreitagebart.

Freudestrahlend kam er auf mich zu. „Das ist ja mal ein Zufall. Was machen Sie denn hier?“

„Hallo Alex, ich wollte noch einmal im Geschäft vorbeisehen und Sie?“ Mir huschte ein verlegenes Lächeln über den Mund.

„Ich bin mit ein paar Freunden hier. Wir hängen ein bisschen ab und trinken noch ein Feierabendbier. Haben Sie Zeit? Ich lade Sie ein.“ Alex zeigte auf eine Zeltgarnitur mit drei weiteren Männern.

Ich überlegte kurz: „Danke, das ist wirklich nett von Ihnen, aber ich möchte heute Abend noch ausgehen und muss mich jetzt doch etwas beeilen. Sonst wird es zu spät. Ein andermal nehme ich aber Ihre Einladung sehr gerne an.“

„Das ist schade. Wir sehen uns ja bestimmt mal wieder. Bis dahin, alles Gute für Sie.“ Alex wirkte enttäuscht.

Die Hand hebend verabschiedete ich mich und ging weiter.

Das Geschäft wirkte heute schon nicht mehr so fremd auf mich, und ich betrat es ohne gemischte Gefühle. Wieder kitzelte der Geruch von diversen Gewürzen meine Nase. „Ob ich mich jemals daran gewöhne?“

„Das wird schon!“, hörte ich in meinem Kopf und drehte mich sofort um. Niemand da? Es war mir, wie schon vor Tagen: Ein langsam vertrauter werdendes Gefühl von Gesellschaft.

Kapitel 3 – Die Eröffnung

Drei Wochen später war es soweit. Alle Formalitäten waren erledigt. Ich hatte Grundkenntnisse der Geschäftswelt erworben, und dank Dr. Nikolaus, der mich tatkräftig unterstützt hatte, die Geschäftsbücher eingesehen und gelesen. Er hatte mir auch einen Steuerberater empfohlen, der mir gefiel. Es konnte losgehen. Am Wochenende telefonierte ich mit Sabine:

„Hallo, Frau Neu, hier Sarah Pfister. Ich wollte fragen, ob es Ihnen recht ist, am Montag wieder im Geschäft zu arbeiten?“ Ich lauschte.

„Oh ja! Schön, dass es endlich weitergeht. Ich habe schon angefangen, mich zu langweilen. Wie geht es Ihnen?“ Sabine klang erfreut.

„Danke, mir geht es recht gut. Langsam gewöhne ich mich an den Gedanken, Geschäftsfrau zu sein. Ist schon ein komisches Gefühl. Ich hoffe, wir werden uns gut verstehen, Sie und ich. Jetzt habe ich einen Überblick über die auflaufenden Kosten und denke, wir lassen alles so wie Regina das gemacht hat. Was halten Sie davon?“

„Gute Entscheidung. Der Laden läuft prima. Machen Sie sich keine Sorgen, wir haben jede Menge Stammkundschaft. Es wird keine Probleme geben. Ich helfe Ihnen, so gut ich kann.“

Ich spürte ihre Herzlichkeit im Inneren und hatte ein gutes Gefühl. „Treffen wir uns am Montag um acht, dann können wir noch ein bisschen plaudern. Ich bringe zur Eröffnung Sekt und etwas zum Knabbern mit. Wie finden Sie das?“ Ich hoffte, dass es ihr gefiel und dachte an Fingerfood für unsere Kunden und einen Begrüßungssekt. Bildlich sah ich mich im Laden stehen und die Kunden begrüßen. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Ich war glücklich.

„Acht Uhr ist gut. Die ersten Kunden kommen meist so gegen halb zehn. Wir haben dann genügend Zeit, alles zurichten. Ich freue mich auf Sie und auf meinen Job, selbstverständlich. Wir sehen uns also am Montag. Das freut mich wirklich. Bis bald und ein schönes Wochenende.“ Die Begeisterung von Sabine sprühte förmlich aus dem Telefonhörer.

„Ja, danke, für Sie auch. Bis Montag.“ Wir legten auf. Das lief ja gut! Ich war zufrieden mit mir.

Nun musste ich noch Sekt und Knabbereien besorgen. Ich streifte mir Jeans und ein T-Shirt über, dann fuhr ich zum Supermarkt. Man musste mir die Vorfreude regelrecht angesehen haben. Jeder lächelte mich an und grüßte freundlich. Mein Strahlen kam von innen heraus. Das Einkaufen machte mir Spaß. Natürlich kaufte ich noch Schnickschnack und mehr als notwendig. Mir war nach Geldausgeben. Während des gesamten Einkaufs unterhielt ich mich mit dem einen oder anderen Nachbar aus der Straße. Samstags war alles auf den Beinen, und jeder machte seinen Einkaufswagen voll. Schließlich war Wochenende.

Wieder zu Hause, fiel mir beim Auspacken siedend heiß ein, dass ich vergessen hatte, mich bei Martin zu melden. Seit drei Wochen. Unverzeihlich!

Ich rief ihn sofort an. Es war mir ein Bedürfnis, mit ihm zu sprechen. Er war ein Freund – mein einziger Freund? Mit wem hätte ich mich sonst austauschen sollen?

Martin meldete sich kurz und knapp: „Lux.“

„Hey! Wie geht es dir? Wollte mich mal bei dir melden.“ Irgendwie war ich doch ein wenig aufgeregt.

„Sarah, grüß dich. Du machst dich aber rar. Wolltest du nicht schon eher anrufen? Keine Zeit mehr für Freunde, seit du Geschäftsfrau geworden bist?“

„Sorry, hatte wirklich viel um die Ohren. Ist doch ein ziemlicher Aufwand, den ich da betreiben muss, seitdem ich geerbt habe. Das kannst du dir vielleicht nicht vorstellen. Gewerbe anmelden, Visitenkarten bestellen und die vielen anderen Kleinigkeiten, an die ich denken muss. Aber gerade, weil ich mich die ganze Zeit nicht gemeldet hatte, rufe ich dich ja heute an.“

„Okay, meine Liebe, dann will ich mal nicht so sein. Um was geht es?“ Während er dies sagte, konnte ich sein Grinsen instinktiv spüren.

Ich mochte diesen Kerl und wollte endlich einmal wieder Zeit mit ihm verbringen. „Wie sieht’s aus. Hast du Lust, heute zum Grillen an die Saar zu gehen? Ich habe Schwenker und ein paar Würstchen gekauft und könnte noch einen Salat für uns machen. Gute Idee?“, fragte ich und wartete ich auf seine Antwort.

„Lass mal, den Salat bringe ich mit. Aber warum gehen wir nicht zu deinem neuen Haus? Du hast doch erzählt, es habe einen schönen Garten.“ Martin hatte auch gute Ideen.

Manchmal jedenfalls. Das Haus! Daran hatte ich mich noch nicht gewöhnt. Sicherlich platzte er vor Neugierde. Ich kannte ihn recht gut. Warum war mir das nicht eingefallen? An diesen Gedanken musste ich mich erst einmal gewöhnen.

„Auch gut! Dann also Treffpunkt an meinem Haus. Erinnerst du dich noch an die Adresse oder hast du sie in den letzten drei Wochen vergessen?“ Martin vergaß eigentlich nie etwas. Sicher ist sicher!

„Na klar! Meinst du, ich wäre nicht schon vorbeigefahren, um es mir von außen anzusehen? Du kennst mich doch!“ Die Neugierde in Person kicherte.

„Na dann, bis um fünf. Passt dir das?“ Bis dahin hatte ich noch Zeit, mir ein paar Strategien für den Montag zu überlegen und die Einkäufe zu verstauen. Außerdem wollte ich auch noch ein Schönheitsschläfchen halten.

„Super! Dann bis um fünf. Wir sehen uns.“ Martin legte auf.

Eigentlich wollte ich mich nach dem Wegräumen der Lebensmittel hinlegen, aber irgendwie war ich dazu zu nervös. Ich versuchte es, aber es ging einfach nicht. Mein Bauch rumorte, mein Herz klopfte. Es sollte nicht sein. Also stand ich wieder vom Sofa auf und überlegte: „Soll ich vielleicht jetzt schon alles einpacken und zum Haus fahren? Alles herrichten und lüften? Es könnte stickig im Haus sein, nach so vielen Tagen, in denen es unbewohnt gewesen war. Ob es dort wohl einen Grill oder Schwenker gibt? Habe ich noch Holzkohle?“ Viele Fragezeichen, die ich nur klären konnte, indem ich nachsah. Nach einer weiteren halben Stunde hatte ich alles zusammengepackt.

Bestückt mit Dreibein, Schwenker, Holzkohle, Fleisch und Würstchen, sechs Flaschen alkoholfreiem Weizenbier und zwei Flaschen Mineralwasser fuhr ich los. Mit meiner Packaktion war mehr Zeit verstrichen als geplant. Martin stand bereits vor dem Haus.

„Du bist auch zu früh! Dachte ich mir schon, deshalb bin ich auch eine Stunde eher hergekommen. Schön, dass sich nichts geändert hat!“ Martin kannte das bereits von früher. Es war eine Macke von mir, immer mindestens eine halbe Stunde vor einem Termin am Treffpunkt zu sein. Schon zu Schulzeiten war das so gewesen. „Kann ich dir helfen?“

„Ja, genau wie früher. Holst du den Schwenker und die Kohle? Geh direkt am Haus vorbei in den Garten und stell alles ab. Ich komme auch gleich.“ Auf mein Geheiß hin lief Martin los.

Ich schnappte mir den Korb und folgte ihm.

„Schön ist es hier. Wo soll ich den Schwenker aufbauen?“ Martin stand vollbepackt am Teich.

„Vor den Teich, denke ich.“

Ich stellte den Korb in den Schatten und ging eine Runde um den Teich, um nach einem Tisch Ausschau zu halten. Schade, es war keiner da! Aber vielleicht im Keller? Mit dem Schlüssel in der Hand machte ich mich auf den Weg.

„Kommst du mit? Ich suche einen Tisch. Die Bank reicht ja für uns. Ich zeige Dir dann mein Haus von innen.“ Ich ging voraus, und Martin folgte mir. Wir betraten das Haus. Es verbreitete eine angenehme Kühle und war kein bisschen stickig. Gerade so, als ob jemand da gewesen wäre? Und wieder lag ein Hauch von Jasmin in der Luft. Sehr angenehm! Gemeinsam schauten wir uns um. Es war alles so, als ob noch jemand hier wohnte. Kein Staub, die Kissen schlaggefaltet. Sogar frische Blumen standen auf dem Esstisch. Heute traute ich mich und öffnete den Schrank in der Küche. Wie erwartet, war alles fein säuberlich geordnet. Teller, Schüsseln, Kaffeegeschirr, Gläser. Nicht das allerneuste, aber auch nicht uralt. Mir gefiel es. Das, was ich zu Hause hatte, war ein Sammelsurium an diversen Geschirrteilen. Es würde mir leicht fallen, meines gegen das hier zu tauschen.

„Wann ziehst du hier ein?“ Als ob Martin meine Gedanken gelesen hätte, fragte er genau in diesem Moment.

„Ich weiß noch nicht. Hab darüber noch nicht nachgedacht. Was meinst du?“ Ich öffnete derweil weitere Schränke, um mir den Inhalt zu betrachten.

„Worauf willst du denn warten? Das Haus ist doch perfekt. Du kannst gleich so einziehen, wie es ist. Neu tapezieren können wir später immer noch. Gefallen dir die Möbel?“

Er redete von w i r. Das war ein neuer Aspekt. WIR? Fürs Erste beließ ich es dabei.

„Die Möbel gehen so. Meine sind schlechter – abgesehen von meinem Bett und meinem Schlafzimmerschrank, die hab ich mir erst vor eineinhalb Jahren gekauft. Außerdem möchte ich nicht in einem fremden Bett schlafen. Alles andere wäre mir egal.“ Ich redete, während ich weiter Schränke öffnete.

„Dann denk darüber nach und sag mir, wann du umziehen möchtest, dann helfe ich dir dabei. Wäre es denkbar, auch noch Karl und Rüdiger zu fragen? Die helfen bestimmt auch gern.“ Martin sah mir zu.

Ich nickte schwach und durchsuchte die anderen Schränke.

„Super! Darauf freue ich mich schon jetzt. Und anschließend machen wir ein fröhliches Besäufnis im Garten.“ Immer nur Feiern im Kopf, das war typisch Martin. Er schlenderte durch die Räume, testete die Couch, die Sessel, schaltete den Fernseher ein und die Stereoanlage. Bewegte die Rollläden auf und ab, öffnete und schloss die Türen und Fenster.

„Wirklich alles gut in Schuss, das muss ich sagen. Soll ich die Balkontür gleich offenlassen, dann müssen wir nicht mehr ums Haus laufen?“

„Gute Idee, gehen wir noch nach oben.“ Auffordernd zwinkerte ich in seine Richtung.

„Sarah! Wo führt diese Tür hin?“ Martin stand vor der einzigen verschlossenen Tür im Haus.

„Keine Ahnung. Habe keinen Schlüssel.“

„Lass uns doch danach suchen. Schatzsuche hat mir immer schon gefallen.“ Schon hatte er angefangen, die Wände und Schubladen abzusuchen.

„Schlüssel, Schlüssel, Schlüssel, wo bist du? Komm zu Mutti“, formulierte ich in Gedanken.

Etwas fiel scheppernd auf den Boden.

„Muss wohl vom Schrank gefallen sein.“ Martin hob einen alten Bartschlüssel auf und zeigte ihn mir. „Soll ich mal versuchen?“ Ich nickte und sah zu, wie Martin ihn ins Türschloss steckte, das ebenso alt aussah, und ihn umdrehte. Einmal, zweimal. Knarrend öffnete sich die Tür. Stockfinster! Martin suchte nach einem Lichtschalter. „Klatsch in die Hände“, schoss es mir durch den Kopf, und ich tat es, ohne zu überlegen. Licht! Wir standen vor – was?

Zuerst musste ich mich umschauen. Eine Feuerstelle inmitten des Raumes, darauf ein anscheinend uralter Kupfertopf und darüber ein großzügiger Abzug. In einiger Entfernung, um die Stelle herum, Regale mit Töpfchen und Tiegeln. Ein weiteres Regal mit größeren Behältnissen, in denen Kräuter aufbewahrt wurden. Einige Kräuter hingen an Schnüren von der Decke zum Trocknen. Daneben ein länglicher schmaler Tisch und eine Buchsäule, auf der ein sehr dickes Buch mit Ledereinband platziert war.

„Das ist ja wie im Kino. Ein richtiger Hexenkessel. Es fehlt nur noch ein schwarzer Rabe, und alles ist geritzt.“ Martin konnte nicht glauben, was er sah. Das Buch ließ ihn dann noch mehr staunen. „Sieh mal, lauter Sprüche und Formeln und die Schrift so verschnörkelt. Sieht aus, als sei alles mit Tinte geschrieben. Das ist bestimmt wertvoll. Allein dieser Einband muss ein Vermögen kosten.“ Fasziniert betrachtete er die Seiten.

Ich ging zu ihm und sah es mir an. Wie von selbst blätterten sich die Seiten in einer rasenden Geschwindigkeit. Martin hatte es nicht gesehen, da er schon wieder mit anderen Dingen beschäftigt war.

„Igitt, das sind Hühnerfüße. Wozu in aller Welt braucht man denn so etwas?“ Angeekelt schüttelte er seine Hand.

Ich legte meine Hand auf die flatternden Buchseiten, und sofort ließ es nach. „Liebeszauber“, stand in großen Lettern auf einem ansonsten leeren Blatt. Ich konzentrierte mich und betrachtete das Blatt abermals, und wie von Zauberhand kam ein Wort nach dem anderen zum Vorschein. Jetzt war ich diejenige, die sich ungläubig schüttelte. „Komm lass uns gehen. Es gibt bestimmt noch andere Dinge für uns zum Entdecken.“

„Ich sage dir, das hier ist eine Hexenküche“, Martin sprach mir ganz leise ins Ohr, so als ob noch jemand zuhören würde.

„Was du nur für Fantasien hast. Das hier ist eine Werkstatt. Hier hat meine – ich meine – Regina, bestimmt ihre Kerzen und Salben hergestellt. Komm, wir gehen jetzt noch schnell nach oben, und dann lass uns den Grill anschmeißen. Ich habe Hunger!“

„Sieht tatsächlich wie eine Hexenküche aus. Wenn du wüsstest“, dachte ich mir.

Es war herrlich! Grillen am Teich und im Schatten unter der Trauerweide sitzen. Wie im Märchen. Wir redeten von alten Zeiten und dem Haus. Martin, wollte noch wissen, wie es mit dem Geschäft stünde.

„Ich eröffne am Montag. Wenn du Zeit hast, komm doch vorbei. Würde mich freuen. Es gibt Sekt und Knabbereien. Bin gespannt, wer so alles reinschneit.“

„Bist du aufgeregt?“ Er sah mich liebevoll an.

„Oh ja! Das kann man wohl sagen. Ich hoffe, ich schaffe das und der Laden wirft was ab.“ Der Tag ging so zwischen essen und trinken dahin, und allmählich dämmerte es schon.

„Lass uns einpacken. Gleich ist es dunkel. Verstaue du alles im Auto, ich schließe das Haus ab. Den Schwenker kannst du stehen lassen, fürs nächste Mal.“ Zum Haus zurückgehend stellte ich mir vor, hier zu wohnen. Wohlbehagen durchströmte meinen Körper.