Käthchen von Heilbronn / Das Käthchen von Heilbronn - Robert Frankenburg - E-Book

Käthchen von Heilbronn / Das Käthchen von Heilbronn E-Book

Robert Frankenburg

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Beschreibung

Liebe und Liebesverrat, Haß, Intrige, Giftmord, Entführung und zum Schluß ein Happy End - Frankenburgs Roman läßt kein Spannungselement aus. Das ideale Lesefutter für aufregende Stunden. Dies ist Teil 8 von 8 Teilen (insgesamt über 3.000 Seiten!)

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Inhaltsverzeichnis
In Gottes Schutz
Drohende Wolken sich ballen!
In der Abtei
Was soll mir Reichtum – ohne Liebe?
In Todesangst
»Welch’ seltsame Wendung!«
Verkauft
Die einzige Rettung
Nichts ist so fein gesponnen!
Unrettbar verloren!
Wieder daheim
Die Vergeltung naht!
Vom Abgrund zurückgerissen!
Das Glück gefunden!
In Angst und Sorge
In der letzten Stunde
Endlich erlöst!
Ein schweres Verbrechen
Des Herzens Stimme
Von allen verlassen!
Der Schleier gelüftet
Die Nemesis!
Des Schicksals Vergeltung
Des Verräters Ende
Haß – bis zum letzten Atemzug
Sein Tagwerk ist beendet!
Des Kaisers Tochter

Robert Frankenburg

Das Käthchen von Heilbronn

Romantische Erzählung

Teil 8 (Kapitel 176-202)

176. Kapitel

In Gottes Schutz

»Wem Gott ein Herz zum Lieben gab, 
Dem Schmerze wie der Freude offen, 
Vom Glauben voll and voll vom Hoffen, 
Den bat das schönste Los getroffen, 
Dem ward der treuste Pilgerstab.«

Durch die Worte der Prinzessin Beate auf das Tiefste erschüttert, beugte sich Siegwart hinab, ihr die Hand zu küssen.

Lange schaute er ihr dann in die herrlichen, jetzt vor Bewegung umflorten Augen, und was ihre Lippen nicht sprachen, das sagten ihnen die stummen Blicke, mit denen sie einander betrachteten.

Endlich aber, hingerissen von der Seligkeit des Augenblicks, sank Siegwart neben ihr nieder, und seine Augen zum Himmel aufhebend, sprach er mit leise bebender Stimme:

»O, Beate, dies war die glücklichste Stunde meines Lebens! Nie und nimmer konnte ich hoffen, zu Dir meine Augen aufheben zu dürfen – noch ist es mir wie ein Traum, daß Du nun mein sein willst, daß Du so zu mir gesprochen hast!«

»Mußte ich es nicht, Siegwart?« entgegnete die Prinzessin, indem sie ihm strahlend in die Augen blickte. »Biu ich nicht von aller Welt verlassen, bist Du nicht jetzt meine einzige Zuflucht, mein einziger Halt? O, Siegwart«, stammelte sie mit fliegendem Atem, indem sie sich hastig aufrichtete, »komm’, laß uns fliehen – weit, weit fort, hinaus in die Welt! Was frage ich nach all’ dem Glanz, in dem ich aufgewachsen bin, was nach Macht und bevorzugter Stellung – in aller Verborgenheit will ich leben mit Dir, bei Dir allein suche ich mein Glück!«

Heiße Tränen entstürzten ihren Augen, während sie, vom Weh übermannt, ihr Haupt an seine Brust lehnte.

Stumm hielt er sie einige Zeit umfangen, dann aber beugte er sich hinab und schaute ihr tiefernst in die Augen.

»Wer hätte wohl gedacht, teure Beate, daß es dereinst noch so kommen würde! Ich weiß nicht – soll ich Dein trübes Geschick beklagen oder soll ich mich freuen, daß es uns auf solche Weise nun doch noch zusammengeführt hat!«

Ein Schauer rann über ihren Körper.

»O, Siegwart, wenn Du wüßtest, was ich gelitten habe! Mit Dolchstichen haben sie mein Herz verwundet, haben mich tief gedemütigt und mich fast zur Verzweiflung gebracht – fast war diese Gefangenschaft für mich eine Erlösung aus entsetzlicher Pein! Die Sehnsucht nach Dir, dem Einzigen, der mir in meinem Unglück noch geblieben ist, verzehrte mich fast, doch ich konnte Dir ja keine Botschaft senden, konnte Dich nicht zu mir rufen – ich mußte ausharren und es dem Geschick überlassen, ob es uns wieder vereinte! Doch sage mir, Siegwart – woher wußtest Du, was mit mir geschehen ist – wie fandst Du hier mein so gut verborgenes Gewahrsam?«

»Daheim in den Sternen hab’ ich’s gelesen, Beate, daß Dir Unheil drohte, und von dem Augenblick ab litt es mich nicht mehr daheim. Unter Verkleidung eilte ich nach der Hauptstadt, suchte den Freund, den Junker von Brandow, auf und von ihm erfuhr ich Dein trübseliges Geschick! Tagelang irrte ich umher, rastlos nach Dir suchend, bis endlich ein glücklicher Zufall mich hierher in die Einöde geführt hat und ich Dich wiederfand! Weine nicht mehr, Geliebte«, fuhr er flehend fort: »Nun ich bei Dir bin, soll Trübsal und Kummer Dir nicht mehr widerfahren, fortan werde ich Dich schützen und jedes Leid von Dir fern halten!«

»Wirst Du das auch können, Siegwart?« flüsterte sie mit schmerzlichem Lächeln, »werden sie nicht, sobald sie wissen, wo ich bin, mich von Dir zurückverlangen und alles aufbieten, mich wieder in das alte Joch zurückzuschleppen?«

»Nein, Beate, bei Gott, das soll ihnen nicht gelingen! Mit meinem Leben, meinem Blut werde ich Dich verteidigen, keiner von ihnen soll wieder Macht über Dich gewinnen! Aber«, fügte er plötzlich bang hinzu, »wirst Du Dich auch in unserer Abgeschiedenheit nicht zu vereinsamt fühlen? Wirst Du Dich nicht wieder zurücksehnen nach dem glänzenden Leben und Treiben des Hofes? Werden nicht Tage kommen, in denen Du doch fühlst, wie viel Du entbehren mußt?«

»Siegwart!«

Mit schmerzlichem Aufschrei hatte sie beide Arme um ihn geschlungen und schmiegte sich bebend an ihn an.

»Sage das nicht wieder«, bat sie leise, »Du weißt ja, daß fortan nur bei Dir mein Glück, mein Frieden ist! Wie einsam und unglücklich habe ich mich am Hof meines Bruders gefühlt, wie oft mich fortgesehnt aus dem leichtfertigen Leben, in dem ich mich so vereinsamt und unbefriedigt fühlte! O, mein Siegwart«, fügte sie mit aufleuchtendem Blick hinzu, »wie freue ich mich auf die Einsamkeit, auf die Vereinigung mit Dir! Nein, nein, Geliebter, nun gehören wir zusammen, nun soll uns nichts mehr voneinander scheiden – als der Tod!«

Er neigte sich tiefernst zu ihr hinab, ihre Stirn zu küssen, und leise, voll tiefer Bewegung klang es von seinem Mund:

»Nichts als der Tod, Beate!«

Dann aber erhob er sich hastig.

Sein Blick glitt unruhig durch das Zimmer und er erfaßte bittend ihre Hand.

»Beate, wir dürfen mit dem Aufbruch nicht zögern! Ich muß zurück und ein Gefährt für Dich besorgen. Du bist noch zu schwach, um ein Pferd besteigen zu können! Mir ist so unerklärlich bang ums Herz! Wie leicht können wir in Gefahr kommen, wie leicht kann es geschehen, daß der Fürst, Dein Bruder, hierher kommt, und dann ist es zu spät, dann ist all’ unser Hoffen vergeblich gewesen!«

Sie zuckte, jäh erbleichend, zusammen und blickte angstvoll zu ihm auf.

»Ja, Du hast recht, Siegwart – o mein Gott, es wäre entsetzlich, wenn sie uns nun noch von einanderreißen wollten! Geh’, geh’, Siegwart! Eile – hole das Gefährt herbei und bring’ mich fort – ich überlebte es nicht, wenn sie meine Flucht auch diesmal wieder vereitelten!«

Noch einmal nahm er sie zärtlich in seine Arme und küßte das liebe, bleiche Gesicht.

»Mut, Beate, Mut – Gott wird mit uns sein! So schnell ich nur kann, komme ich wieder zu Dir. Ängstige Dich nicht, Geliebte, bald werden wir diesen trübseligen Ort verlassen und der Freiheit und dem Glück entgegenziehen!«

»Gebe es Gott!« flüsterte sie leise.

Noch einmal berührten sich ihre Lippen im heißen Kuß, dann riß sich Siegwart gewaltsam von ihr los und stürmte zur Tür hinaus.

Ihr Blick war ihm gefolgt, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, dann flog ein seliges Leuchten über ihr Gesicht, und den Blick zum Himmel aufhebend, sprach sie:

»Ich danke Dir, heilige Jungfrau, daß Du mein Gebet erhört und mir ihn zur Rettung gesendet hast!«

Eine Zeitlang lag sie still, die Augen gen Himmel gerichtet, auf ihrem Lager, während ihre Lippen sich in leisem Selbstgespräch bewegten.

Da öffnete sich plötzlich die Tür und Anna Barner trat über die Schwelle.

Mit leisem Schrei flog sie auf die Prinzessin zu und sank vor ihr auf ihre Knie nieder.

»O heilige Jungfrau«, stammelte sie, »ich hab’ es ja nicht gewußt, daß Ihr unsere durchlauchtigste Prinzessin seid, und nun ich das gehört habe, möchte ich bitterlich weinen, daß Ihr ein so trübselig Geschick erfahren habt. Heinz Gert und ich, wir wollen Euch fortan treu zur Seite stehen, allergnädigste Herrin! Befehlt über uns und alles, was in unserer Macht steht, wollen wir von jetzt an für Euch tun!«

Bewegt reichte Beate ihr die Hand.

»Ich danke Dir, Du bist ein gutes Kind! Du hast schon viel für mich getan, da Du ihn zu mir geführt und mich dadurch so namenlos glücklich gemacht hast! Weißt Du es schon«, fuhr die Prinzessin gespannt fort, »daß er mich von hier fortbringen will?«

Anna zuckte erschrocken zusammen und tödliche Blässe überzog ihr Gesicht, während ihre Augen angstvoll auf der Prinzessin ruhten.

»Mein Gott, mein Gott«, murmelte sie entsetzt, »nein, nein – davon wissen wir nichts. Heinz Gert haftet mit seinem Kopf dafür, daß Ihr nicht entkommt, teuerste Herrin, und nun da Ihr das sagt, wird man ihn zur Rechenschaft ziehen, dann ist er verloren!«

Heiße Tränen entstürzten den Augen des geängstigten Mädchens.

Da beugte sich die Prinzessin mit engelssanftem Lächeln zu ihr hin und sprach, ihr freundlich die Hand reichend:

»Nein, nein, Anna, fürchte nichts für Heinz Gert, er steht fortan unter meinem und des Grafen Schutz! Wenn wir fliehen, dann werden wir auch für Eure Sicherheit sorgen. Um unseretwillen sollt Ihr nicht unglücklich werden! Sobald der Graf zurückkehrt, werden wir das Nähere über Euch beraten!«

Während Anna, durch dieWorte der Prinzessin beruhigt, deren Hand an ihre Lippen führte, zuckte Beate plötzlich zusammen und hob aufhorchend den Kopf.

»Hörtest Du nichts, Anna?«

»Nein, gnädigste Prinzessin!«

»Und doch, es nahen draußen Schritte! Geh’ hinaus und sieh’, wer da kommt!«

Eben wollte Anna der Tür zuschreiten – da schrak auch sie plötzlich zusammen und blieb unwillkürlich wie angewurzelt stehen.

Schon erklang draußen ein hastiger Schritt, gleich darauf wurde die Tür aufgerissen und – Alinda stand auf der Schwelle.

Mit lautem Schreckensruf fuhr die Prinzessin empor und starrte entsetzt auf die Tänzerin, die sich ihr jetzt langsam, mit höhnisch lächelnder Miene, näherte.

»Ah, Durchlaucht, Ihr seid, wie es mir scheinen will, nicht sonderlich erfreut über meinen Besuch?« klang es hämisch von der Tänzerin Munde, während ihr Blick voll Schadenfreude auf dem blassen, müden Antlitz Beates ruhte. »Euer fürstlicher Bruder ist sehr besorgt um Euch und deshalb bin ich selbst geeilt, um mich von Eurem Befinden zu überzeugen!«

Beate sprach kein Wort; tödliche Blässe bedeckte ihr Gesicht, während sie es jetzt hastig zur Seite wandte und abwehrend die Hand erhob.

»Ach, anerkennt Ihr nicht die Liebe Eures Brnders zu Euch und mein Mitgefühl, gnädigste Prinzessin?« klang es nun wieder höhnend von Alindas Mund, während ihr stechender Blick schnell durch das Gemach flog und dann wieder starr auf der Priuzessin haften blieb.

Als Beate noch immer nicht antwortete, umdüsterte sich das Gesicht der schönen Tänzerin und sie trat hastig einige Schritte näher an das Lager der Kranken heran.

»Ich komme im Auftrag Eures Bruders, gnädigste Prinzessin, um Euch zu fragen, ob Ihr noch immer nicht anderen Sinnes geworden seid? Der Erbprinz von Ysenstein harrt Eurer endgültigen Entscheidung und Euer fürstlicher Bruder hofft bestimmt, daß Ihr endlich zur Einsicht gekommen seid und dem Prinzen Eure Hand zu reichen Euch fernerhin nicht mehr weigern werdet!«

Ein heftiges Zittern flog durch Beates Gestalt; jetzt wandte sie auf einmal Alinda ihr totenblasses, vor Schmerz fast versteinertes Antlitz zu und stieß, vor Entrüstung bebend, hervor:

»Wie könnt Ihr es wagen, diese Schwelle zu überschreiten? Wie könnt Ihr es abermals wagen, Euch in meine Nähe zu drängen? Ihr wißt doch, daß ich Euch aus tiefstem Herzensgrund verabscheue!«

Ein Zischen klang durch das Gemach, Alindas Augen funkelten dämonisch.

»Was sucht Ihr hier? Seid Ihr etwa gekommen, um Euch an meinem Unglück zu weiden? Geht nur heim und sagt Dem, der Euch gesendet hat, daß Beate nie und nimmer anderen Sinnes werden wird und daß alle Intrigen machtlos an ihr abprallen werden!«

»Hahaha, gnädigste Prinzessin«, lachte die Tänzerin hämisch auf, »Euer Pochen auf Eure Festigkeit ist fürwahr bewundernswert! Ich hoffte Euch gedemütigt zu findenund glaubte, daß Ihr mit Freuden meine Vermittlung annehmen würdet, um wieder in die Residenz zurückkehren zu dürfen – und stattdessen seid Ihr noch genau so hochmütig wie früher! Hütet Euch, Prinzessin, daß Ihr dereinst nicht Euren Stolz bereut!«

»Hinweg, Elende, hinweg!« klang es jetzt erregt von Beates Mund, indem sie gebieterisch die Hand erhob und nach der Tür deutete. »Ich habe mit Euch nichts zu schaffen, ich hasse und verachte Euch, die Ihr Euch in unsere Kreise gedrängt und Unfrieden und Schmach in dieselben gebracht habt. Fort, mir auf den Augen, ich mag Euch nicht mehr sehen!«

Erschöpft sank die Prinzessin in die Kissen zurück, die Aufregung war zu groß für sie gewesen.

Ein lautes, teuflisches Auflachen klang durch das Zimmer.

Anna Barner stand unbeweglich im Hintergrund an der Wand und beobachtete fassungslos die erregte Szene.

Es war zu spät gewesen, als daß sie durch die ihr von Heinz Gert bezeichnete geheime Tür hätte entschlüpfen können, ehe die Tänzerin eingetreten war, und sich jetzt noch zu entfernen, besaß sie nicht den Mut.

»O mein Gott«, flüsterte sie leise, »wenn doch Heinz käme, wenn er die Fremde doch entfernen wollte, damit die Prinzessin wieder Ruhe hätte!«

»Soweit ist es mit Euch gekommen«, begann Alinda wieder, als hätte sie die Worte der Unglücklichen gar nicht gehört, während sie den funkelnden Blick voll wilder Schadenfrende auf die Prinzessin senkte.«Elend, gefangen und gedemütigt sehe ich Euch hier vor mir – hahahu, wer hätte das gedacht, daß ich die stolze Prinzessin jemals in solcher Lage erblicken würde! Doch ich habe Euch gewarnt«, fügte sie erregt hinzu, »ichhabe Euch gewarnt, es nicht mit mir zu verderben und Euch mit meinem Haß gedroht, wenn Ihr nicht nachgeben solltet. Warum habt Ihr auf meine Worte nicht besser geachtet? – nun könnt Ihr Euch auch über Euer Unglück nicht beklagen!«

»Wer sagt Euch, daß ich es tue?« war Beates eisige Antwort, während sie sich hastig wieder aufrichtete.

»Ich fühle mich in meinem Unglück doch noch hoch erhaben über Euch, denn mein Gewissen ist rein, ich kann meinen Blick frei zu Gott erheben, mein Leben kennt keine Schmach! Ihr aber«, fügte sie mit erhobener Stimme hinzu, »Ihr müßt den Blick zu Boden senken, und die Stunde wird für Euch noch kommen, da Gott mit Euch Abrechnung halten und es Euch heimzahlen wird, was Ihr gesündigt habt!«

»Hahaha, meint Ihr, ich sei gekommen, um Belehrungen von Euch mit mir zu nehmen, Prinzessin«, lachte die Tänzerin höhnisch auf. »O, seid versichert, ich fürchte mich nicht, auch vor dem Tag der Abrechnung nicht und ich meine auch, daß er sobald noch nicht anbrechen wird!« Jetzt aber, das glaubt mir, fühle ich mich noch sicher auf meinem Platz – Ihr, Prinzessin, werdet mich sicher nicht von demselben verdrängen!«

»Mein Gott, mein Gott«, stammelte Beate, nach Atem ringend, »befreie mich von diesem Weib, dessen Nähe mich mit so unsagbarem Ekel erfüllt!«

In diesem Augenblick wurde die Tür heftig aufgerissen und Heinz Gert stürmte atemlos über die Schwelle.

Beim Anblick der Fremden stieß er einen Schrei aus und schon im nächsten Moment stand er drohend vor ihr.

»Wie könnt Ihr es wagen, diesen Turm zu betreten?« stieß er drohend hervor.

»Hahaha«, lachte die Tänzerin hell auf, »soll ich Euch etwa um Erlaubnis fragen? Für mich stehen im Reich des Fürsten von Hohenbrück alle Türen offen, ich kann tun und lassen, was ich will! Geht hinaus«, fügte sie in befehlendem Ton hinzu, »ich habe mit der Prinzessin zu reden!«

Jetzt aber hatte Beate ihre Fassung wiedergewonnen, auch ihr Mut war gewachsen.

Einen flehenden Blick auf Heinz Gert werfend, stieß sie bebend hervor:

»Ich bitt’ Euch, entfernt die Fremde sofort, ich mag sie nicht mehr sehen, ich muß Ruhe haben! Und wenn Ihr sie mit Gewalt hinausbringen solltet – nur fort mit ihr, fort, aus meinen Augen!«

Sie hatte gebieterisch die Hand erhoben, aus ihren Augen flammten vernichtende Blitze.

Da stand auch Heinz Gert schon dicht vor der Tänzerin, die ihn mit zornfunkelnden Blicken anschaute.

»Auf der Stelle verlaßt Ihr dies Gemach! Ihr habt es gehört, die Prinzessin befiehlt – also habt Ihr zu gehorchen!«

»Meint Ihr?« klang es höhnend von Alindas Mund. »Haltet Ihr die Prinzessin wirklich für so mächtig, daß sie mir gebieten könnte? Oho, guter Freund, verrechnet Euch nicht! Hier befehle ich – sowohl die Prinzessin wie auch Ihr habt mir zu gehorchen, und wehe Euch, wenn Ihr es wagen solltet, mir Ungehorsam zu zeigen!«

Diese hochfahrenden Worte erbitterten Heinz auf das Äußerste.

Ohne noch ein Wort zu sprechen, erfaßte er den Arm der Fremden und zog sie nun mit Gewalt der Tür zu.

Da war auch Anna Barner schnell zu ihm herangetreten und raunte ihm erregt zu:

»Bleib’ fest, Heinz – laß’ sie nicht wieder herein, sie hat die Prinzessin schmählich beleidig!«

Alinda wehrte sich wie eine Rasende, sie suchte sich mit aller Macht der Umklammerung Heinz Gerts zu entziehen – doch umsonst, er hielt sie so fest, daß all’ ihr Mühen erfolglos blieb.

Jetzt hatte er die Tür erreicht; er riß dieselbe auf und stieß die Tänzerin einfach hinaus.

Ein wilder Zornesschrei klang von Alindas Mund:

»Ha, das sollt Ihr mir büßen, das will ich Euch gedenken! Hütet Euch – sowie ich heimkomme, werde ich dem Fürsten melden, wie man hier mit mir verfuhr, und dann soll ein furchtbar Strafgericht über Euch hereinbrechen!«

Heinz Gert antwortete nicht.

Mit festem Griff packte er sie aufs neue, zog sie die Treppe hinauf und führte sie ins Freie.

Dann schlug er mit höhnischem Lachen die Tür zu und verriegelte sie von innen.

Aufatmend kehrte er zu der Prinzessin zurück.

Beate blickte ihm bleich und mit weit geöffneten Augen entgegen.

»Ist sie fort?« murmelte sie, leise erschauernd. »O mein Gott, verschließt die Tür sorgfältig, damit sie sich nicht wieder hier eindrängt, denn ihr Anblick bereitet mir unsägliche Pein!«

Die Aufregung war zu groß für die Prinzessin gewesen. Einer Ohnmacht nahe, sank sie in die Kissen zurück.

Anna Barner war schnell an ihr Lager geeilt.

Mit Tränen in den Augen bemühte sich das junge Mädchen in aufopfernder Fürsorge um die Prinzessin und bot alles auf, die Zitternde zu beruhigen.

Heinz Gert hatte das Zimmer wieder verlassen, um sich zu überzeugen, ob Alinda sich entfernt hatte.

Als er wieder zurückkam, fand er die Prinzessin gefaßt und ruhig.

Sie saß aufrecht auf ihrem Lager, die Hände ineinander gefaltet, und blickte starr vor sich nieder.

Als Heiuz sich ihr näherte, fuhr sie empor und rief in wieder aufsteigender Unruhe:

»O Gott, wenn der Graf doch erst zurückkehrte; mir ist so bang, so entsetzlich bang! Jetzt wird sie zurückeilen nach der Residenz, wird alles aufbieten, umRache an uns üben zu können, und wenn der Fürst oder dessen Abgesandte früher kommen als Siegwart, dann sind wir verloren!«

Die zunehmende Angst und Sorge ließ sie plötzlich alle Schwäche vergessen.

Sie bat Anna in erregtem Ton, ihr beim Ankleiden behilflich zu sein, da sie ihr Lager verlassen wolle, um sich für den Aufbruch, für die Flucht zu rüsten.

Heiuz verließ schweigend das Zimmer, während Anna der Prinzessin half, das Lager zu verlassen.

Kurze Zeit darauf saß die Prinzessin angekleidet im Lehnstuhl und scharf horchte sie auf jedes Geräusch, in ungeduldiger Sehnsucht die Rückkehr Siegwarts erwartend.

Es dunkeltc bereits.

Das plötzlich vernahm sie Rädergerassel und erregt richtete sie sich empor.

Wirklich, sie hatte sich nicht getäuscht; bald darauf hörte sie den Wagen droben vor dem Turmhaus halten.

Wenige Augenblicke später wurde die Tür aufgerissen und Siegwart stand auf der Schwelle.

Beate shatte sich erhoben; vor freudiger Erregung bebend, flog sie dem Grafen entgegen und sank ihm aufschluchzend au die Brust.

All’ die Angst und Qual, die sie in den letzten Stunden erduldet hatte, brach sich jetzt mächtig Bahn und weinend barg sie ihr Haupt an seine Schulter.

Während Anna gerüuschlos das Gemach verließ, bot Siegwart alles auf, die Geliebte zu trösten, was ihm auch endlich gelang.

Mit fliegendem Atem erzählte sie ihm nun von dem Besuch der Tänzerin und drohende Falten zogen sich auf seiner Stirn zusammen.

»Ha, die Elende hat es gewagt, Dich selbst bis hierher zu verfolgen?« stieß er, vor Entrüstung bebend, hervor.

»Fasse Dich, Beate, die Stunde wird sicherlich kommen, da sie vor Dir im Staub liegt und um Gnade und Erbarmen winselt!«

Er hatte die Zitternde schnell zu einem Stuhl geführt und erschöpft sank Beate darauf nieder.

In kurzen Worten berichtete er, daß es ihm gelungen sei, ein Gefährt aufzutreiben, und bat sie nun, sofort mit ihm das Turmhaus zu verlassen.

»Ehe wir aufbrechen, Siegwart – noch eins! Was geschieht mit Heinz Gert und der Anna Barner? Er trägt die Verantwortung, daß ich nicht entkomme! Wird des Fürsten Rache ihn nicht schwer treffen, wenn man mich nicht mehr hier findet?«

Eine Weile blickte Siegwart grübelnd zu Boden.

»Gewiß, Du hast recht, Beate«, sagte er dann, »wir müssen die beiden in Sicherheit bringen!«

Wenige Augenblicke später verließ er das Gemach, um droben mit Heinz Gert zu reden.

Als er schon nach kurzer Zeit wieder zu Beate zurückkehrte, teilte er ihr mit, daß Heinz jenseits der Grenze einen begüterten Ohm habe, bei dem er jederzeit Aufnahme finden werde.

»Ich habe ihm ein reichlich’ Geldgeschenk gemacht, sodaß er und Anna vor Sorgen geschützt sind, und Gert beabsichtiget nun, das Mädchen, sobald er in Sicherheit ist, zu seinem Weib zu machen!«

»So ist also für die beiden gesorgt!« sagte die Prinzessin aufatmend. »Sie werden uns ein Stück auf unserer Fahrt begleiten und sich dann später von uns trennen. Doch nun, Geliebte, laß’ uns sofort das Turmhaus verlassen, denn jeder Augenblick Verzögerung kann uns Gefahr bringen!«

Auf seinen Arm gestützt, verließ Beate ihren Kerker und sank droben, als sie den Wagen erreicht hatten, aufatmend in dessen Polster.

Ihr gegenüber nahm Anna Platz, während Heinz sich zu dem Rosselenker setzte.

Wenige Augenblicke später fuhr das Gefährt davon.

Tief bewegt von den Erlebnissen des heutigen Tages, lehnte Beate den Kopf an die Schulter des Geliebten, und voll inniger Dankbarkeit zu ihm aufblickend, hauchte sie:

»Der Himmel sei gepriesen, daß sich nun doch noch alles so gewendet hat! O Siegwart, Siegwart, was wäre wohl aus mir geworden, wenn Du nicht gekommen wärst – ich wäre sicherlich zu Grunde gegangen!«

Er hatte leise den Arm um die liebende Gestalt gelegt und zog sie nun fest an sich.

»Vergiß das Vergangene, quäle Dich nicht mit dem alten Leid«, bat er leise, »sondern schaue nun hoffnungsfreudig in die Zukunft!«

Da, auf einmal blickte sie so bang, so ängstlich zu ihm auf.

»Mein Gott, Siegwart, in all’ der Erregung habe ich Dich noch nicht gefragt: wohin denn willst Du mich bringen?«

Ein ernstes Lächeln glitt über sein Gesicht.

»Wohin – fragst Du, Beate? Für uns gibt es ja nur ein Wohin – zu meinem greisen Pflegevater! Dort, in der Weltabgeschiedenheit, wird Dich niemand suchen, aber dort auch wirst Du den Frieden wiederfinden!«

»Und Dein Vater – wird er mich auch willkommen heißen?«

»Bcate, er weiß es längst, daß mein Herz Dir gehört, er wird Dich segnend, voll herzlicher Freude empfangen!«

Schweigend lehnte sie ihr Haupt an seine Schulter.

Ein Ausdruck tiefer Ruhe legte sich über ihr blasses, schönes Antlitz – endlich sollte sich ihr eine Heimat auftun, endlich sollte sie Glück und Frieden finden!

***

Mehrere Stunden waren vergangen, seitdem der Wagen mit den Fliehenden das Turmhaus verlassen hatte, als plötzlich mehrere Reiter in schnellem Galopp sich demselben näherten.

Voran ritt auf prächtigem Roß ein hochgewachsener Mann, ihm folgten mehrere Ritter und zuletzt einige Knappen mit brennenden Fackeln.

Kurz vor dem Turmhaus zügelte der Voranreitende sein Roß und schwang sich schnell aus dem Sattel.

»Folgt mir, Ihr Herren!« wandte er sich an die ihn begleitenden Ritter.

Mit fester Hand öffnete er die Tür zu dem Turmhaus und »Heinz Gert!« erklang es in lautem, befehlenden Ruf von seinem Mund.

Doch keine Antwort erklang, in dem Haus blieb es totenstill.

»Was soll das heißen?« rief der Fürst zornig, denn er war es, der trotz der späten Stunde noch nach dem Turmhaus aufgebrochen war, weil Alinda ihm keine Ruhe gelassen, sondern von ihm Sühne gefordert hatte für die Beleidigung, die man ihr angetan hatte.

»Heda, Ihr Knappen, herbei, herbei – wir wollen den Turm durchsuchen!«

Und beim hellen Fackelschein schritt der Fürst nun, von den Rittern gefolgt, zuerst hinauf nach Heinz Gerts Zimmer.

Als er die Tür zu dem Gemach aufriß, fand er es leer.

»So folgt mir hinab ins Gewölbe!« gebot er kurz, in heiserem Ton; eine nervöse Unruhe verriet sich bereits in seinem Wesen.

Er selbst stieg allen voran die schmale Treppe zuerst hinunter.

Als er vor Beates Tür stand, zögerte er einen Moment.

Ahnte er etwa, daß er sie nicht mehr vorfinden werde?

Dann riß er die Tür hastig auf und schritt ungeduldig über die Schwelle.

Ein lauter Schrei klang gleich darauf von seinem Mund.

»Ah, so hat mich meine Ahnung doch nicht betrogen – sie ist entflohen!« stieß er zornbebend hervor. »Jetzt erst verstehe ich Alindas Ungeduld, mit der sie mich antrieb, hierher zu eilen – auch sie hat geahnt, daß uns der Vogel entschlüpfen werde!«

Eine Zeitlang stand der Fürst regungslos und nach Atem ringend, mitten in dem Gewölbe, während sein düsterer Blick in jedem Winkel umherspähte, als hoffe er doch noch, die Gesuchte irgendwo zu entdecken.

Dann aber richtete er sich schnell empor.

»Fort, fort – hinauf, zu den Pferden!« rief er und wieder stürmte er, den anderen voran, die Treppe hinaauf.

Die Ritter waren ihm gefolgt, im Nu saßen sie im Sattel.

»Sie können noch nicht weit sein, wir müssen ihnen nach – schnell, schnell, Verteilt Euch nach verschiedenen Richtungen, Ihr Ritter, nur zwei von Euch folgen mir mit den Knappen! Ich selbst will mich an der Verfolgung beteiligen!«

Also sprechend, hatte auch er sich hastig in den Sattel geschwungen, und während er nun sein Pferd heftig herumriß, fügte er hinzu:

»Wir müssen sie einfangen, um jeden Preis, und wer von Euch mir die Gesuchte bringt, soll eine besondere Gunst sich von mir erbitten dürfen!«

Damit wandte er sich ab und von zwei Rittern und den Knappen gefolgt, sprengte der Fürst von dannen.

Kaum bog er in den Waldweg ein, da zogen seine Brauen sich finster zusammen und düster murmelte er:

»Das wird eine böse Stunde geben, wenn Alinda erfährt, daß Beate entkommen ist! Ich muß sie wieder einfangen, ich muß«, stieß er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor, »und sollte ich Tag und Nacht nach ihr suchen lassen! Wehe, wehe ihr, wenn sie wieder in meine Hände fällt – diesen Streich soll sie mir furchtbar büßen!«

177. Kapitel

Drohende Wolken sich ballen!

»Bald ist der Rache Tag erschienen, 
Du wirft ihn klagend, jammernd grüßen 
Und, weinend, auf des Glücks Ruinen 
Die Schuld, die Du begangen, büßen.«

Seit jenem Abend, da Hans so plötzlich bei Kunigunde erschienen war, hatte das Edelfräulein keine ruhige Stunde mehr gefunden.

All’ die Grüße und Botschaften von der Strahlburg vermochten nur ein leises Lächeln auf ihrem Antlitz hervorzuzaubern, fast immer war es starr und finster.

Rosalinde hatte am meisten unter den Launen ihrer gestrengen Herrin zu leiden, und sie atmete jedes Mal wie von einem Alp befreit auf, wenn Kunigunde ihren Falben bestieg, um einen Ritt durch die Wälder zu machen.

Das war dem Edelfräulein noch die liebste Beschäftigung, denn wenn sie nach einem solchen Ritt, an Leib und Seele todmatt, heimkehrte, da fand sie doch, für einige Stunden wenigstens, in festem Schlummer Ruhe und Vergessenheit.

So war sie auch heute, um ihren qualvollen Gedanken zu entrinnen, hinaus in den Wald gesprengt.

Dort aber hemmte sie plötzlich den Lauf des feurigen Tieres und langsam schritt es nun auf dem weichen Boden dahin.

Den Kopf auf die Brust gesenkt, hing Kunigunde ihren Gedanken nach und nun stieg auch schon wieder die heiße Angst in ihr auf: Was war aus Hans geworden, war es ihm gelungen, sich in Sicherheit zu bringen?

Ein Schatten verdunkelte in diesem Augenblick den Pfad, sodaß ihr Pferd sich plötzlich erschrocken aufbäumte und einen heftigen Seitensprung machte.

Wäre Kunigunde nicht eine so gewandte Reiterin gewesen, sie wäre unfehlbar vom Pferd geglitten; doch mit fester Hand hatte sie die Zügel des Tieres gehalten und nur ein leiser Schreckensruf entfloh ihrem Mund.

Jetzt aber suchte ihr zürnender Blick den Übeltäter und wieder stieß sie einen zornigen Schrei aus, als sie an der Seite die Gestalt – des roten Zwerges erblickte.

»Ha, wie kannst Du es wagen, mein Tier so zu erschrecken?« knirschte sie in wildem Zorn.

Ein leises, höhnisches Lachen war die Antwort des kleinen Mannes, dann aber pflanzte er sich dicht neben ihrem Pferd auf und blickte in stummem Hohn zu ihr empor.

»Mir aus dem Weg!«rief Kunigunde in jetzt hervorbrechendem Grimm.

»Gemach, gemach, mein edles Fräulein, es könnte doch sein, daß ich Euch eine Neuigkeit brächte, die Euch interessieren dürfte! Habt Ihr in der letzten Zeit nicht oft an Euren Vetter gedacht?«

Kunigunde, die eben ihrem Pferd die Peitsche geben wollte, zuckte, wie von einem Schlag getroffen, zusammen und starrte mit weit geöffneten Augen und totenblassen Zügen auf den Zwerg.

In diesem Augenblick vergaß sie alles, ihren Stolz und ihren Haß gegen den kleinen Mann, nur an das eine dachte sie jetzt – daß er ihr Nachricht über Hans geben wollte.

»Was weißt Du von meinem Vetter?« stieß sie atemlos hervor. »Rede, sprich, ich befehle es Dir!«

»Oho, seit wann hat denn das Fräulein von Thurneck mir etwas zu befehlen?« höhnte der Zwerg mit lautem Auflachen. »Die Zeiten sind vorüber, da die Thurnecks mich knechten konnten, jetzt bin ich ein freier Mann, und wenn ich zu Euch rede, so ist es mein freier Wille und ich tue es nur, weil es mir Vergnügen macht, Euch diese Mähr zu bringen!«

Kunigunde atmete gepreßt.

Sie konnte in ihrer Wut kaum noch an sich halten; die hohnvollen Worte des Zwerges trieben ihr das Blut heiß ins Gesicht.

Doch sie wagte nicht, ihn noch mehr zu erbittern, denn sie wollte ja von ihm hören, was er ihr zu sagen hatte, aber im stillen zitterte sie schon vor dem, was sie von seinem Mund vernehmen würde.

»Eurem armen Vetter ist es recht schlecht ergangen, edles Fräulein! Ihr wißt es wohl, daß er den Häschern schließlich doch noch in die Hände gefallen ist?«

Ein banger Schrei entfuhr ihrem Mund.

Geisterhafte Blässe bedeckte ihr Gesicht, während sie, vor Aufregung zitternd, mit der Linken die Mähne des Pferdes umklammerte.

»Was sagst Du«, keuehte sie atemlos, »sie haben ihn doch gefangen?«

»Gewiß«, höhnte der Zwerg, Kunigunde triumphierend ansehend, »gefangen und vor die Vehme geschleppt! Dort sprach man das Todesurteil über ihn und am anderen Tag sollte er gerichtet werden. Wie es Euer Vetter dann angefangen hat, das weiß ich nicht – als man ihn zur Hinrichtung holen wollte, fand man ihn in seiner Zelle entseelt am Boden liegen.

Ein lauter Schrei klang durch den stillen Wald.

Nur mit Mühe vermochte das Edelfräulein sich noch im Sattel zu halten.

Ihr Gesicht hatte eine unheimliche Färbung angenommen, ihre Augen starrten entsetzt ins Leere, als sähen sie ein Gespenst, das drohend seine Hand gegen sie ballte.

Ein heftiges Zittern flog durch ihre Gestalt.

»O mein Gott, mein Gott«, murmelte sie leise, »nun ist er tot, erlöst – vielleicht habe ich nun Frieden!«

»Meint Ihr das wirklich, Fräulein von Thurneck?« erklang da neben ihr die hohnvolle Stimme des Zwerges, »meint Ihr wirklich, daß Ihr nun Frieden finden werdet? Habt Ihr nicht Euren Vetter verraten, seid Ihr nicht schuld, daß er in der Verzweiflung selbst Hand an sich legte, ist das nicht Euer Werk allein?«

»Schweig’, schweig’!« keuchte sie in sinnloser Erregung, während ihre zitternde Hand die Zügel fester zu fassen suchte und sie doch nicht die Kraft dazu fand.

»O, er ist ja nicht der erste, der Euch zum Opfer fiel!« fuhr der Zwerg jetzt drohend fort, während seine blitzenden Augen sich in ihr bleiches Antlitz bohrten und seine kleine Gestalt förmlich zu wachsen schien.

Jetzt konnte Kunigunde ihren Groll nicht länger mehr bezwingen. Ihre bebende Hand hob die Reitpeitsche und heiser vor Wirt keuchte sie:

»Hinweg – mir aus dem Weg, ich will Dich nicht mehr hören!«

»Hahaha«, lachte der Zwerg höhnisch auf, ohne auch nur einen Zoll breit zurückzuweichen, »das Fräulein scheint doch nicht mehr zu wissen, wer ich eigentlich bin, sonst würde es sich vielleicht doch besinnen, die Peitsche gegen mich zu heben! Habt Ihr wirklich den kleinen Ernst ganz vergessen, der gemeinsam mitEuch aufwuchs auf Thurneck? Kommt Euch noch immer nicht die Erinnerung?«

Kunigunde zuckte betroffen zusammen und bohrte jetzt ihren angstvoll forschenden Blick in das schmale, bleiche Gesicht des Zwerges.

»Ernst – Ernst?« murmelte sie, während ein Schauer durch ihre hohe Gestalt flog und sie einen Moment lang die Augen schloß.

»Ha, jetzt sehe ich’s Euch an, daß Ihr Euch besinnt! Das arme Kind, das von Euren Almosen lebte und von den Brosamen sich nährte, die von Eurem Tisch fielen. Dem armen Kind wurde kaum der Bissen gegönnt, den es in den Mund schob, obwohl es dasselbe Recht hatte wie Ihr, obwohl es ebenso gut wie Ihr ein Kind Eures Vaters war!«

Kunigunde stieß einen wilden Schrei aus, doch der Zwerg fuhr, jetzt keuchend vor Erregung, unbeirrt fort:

»Meine Mutter war ja nur eine arme Magd, die Euer Vater betörte und die er dann verstieß, als sie in Schmach und Elend geraten war. Was verschlug’s denn, daß sie endlich in ihrer Verzweiflung sich im Fluß ertränkte, um ihrem schmachvollen Dasein zu entrinnen. Man pries damals den Edelmut Eures Vaters, Fräulein von Thurneck, als er sich des verwaisten Knaben annahm und ihn von einem seiner Diener erziehen ließ.

Niemals hat er sich zu seinem Fleisch und Blut bekannt, er ging mir immer aus dem Weg, wenn er mich sah, und niemals hab’ ich ein freundlich Wort aus seinem Mund gehört. Schweigend duldete er es freilich daß ich mit Euch, seiner Tochter, spielte, aber er wußte auch, warum er es tat, denn keiner ertrug Eure Launen so geduldig wie ich, keiner nahm die Schläge von Eurer Hand so still hin wie das arme Waisenkind.

O, wenn ich daran denke, wie oft Ihr mich gequält und gepeinigt habt«, stöhnte der Zwerg erbittert, »und wie ich doch schweigen mußte, damit man mir nur das Stück Brot nicht noch nahm, mit dem ich meinen Hunger stillte! Und dann«, schrie er verzweifelt auf, »dann kam jener Tag, jener entsetzliche Tag, da Ihr und Euer Vater das aus mit machtet, was ich geworden bin – ein Krüppel – ein Zwerg!«

Erbleichend war Kunigunde von Thurneck zusammengezuckt und starrte den Unglücklichen mit weit geeöffneten Augen an.

Eine dunkle Ahnung schien in ihr aufzusteigen, sie erschauerte leise und immer wieder kehrte ihr Blick wie gebannt zu dem kleinen, unglücklichen Mann zurück, der jetzt in wortlosem Schmerz das Antlitz in den Händen vergraben hatte.

»Ich werde ihn nie vergessen, jenen Tag«, rang es sich tonlos von seinem Mund, »denn er ist der schrecklichste meines Lebens! Was hatte ich Euch getan, daß Ihr plötzlich in Eurer Grausamkeit Lug und Trug ersannt, um mich bei Eurem Vater anzuschwärzen und damit seinen Groll mächtig gegen mich zu steigern? Entsinnt Ihr Euch noch«, fuhr er mit keuchendem Atem fort, »wie Ihr Euren Vater so lange quältet, bis er den Dienern befahl, mich mit Ruthenpeitschen so lange zu züchtigen, bis ich auf dem Platz liegen blieb?«

»Großer Gott!« stammelte Kunigunde erschauernd und wandte hastig das Antlitz zur Seite – jetzt war jener Tag aus der Vergaugenheit plötzlich wieder in ihrer Einnerung wach geworden und ihre Hand umkrampfte die Zügel fester, während sie sich mühte, ihre Erregung niederzukämpfen.

»Ah, entsinnt Ihr Euch jetzt?« fuhr der Zwerg in maßloser Erbitterung fort. »Nun, dann wißt Ihr auch, daß Ihr dabei gestanden und die Diener angefeuert habt, derber zuzuschlagen und mein Schreien nicht zu beachten!

Ihr hattet schon damals, da Ihr noch ein Kind wart, kein Herz für Eure Mitmenschen und mein furchtbares Jammergeschrei vermochte Euch nicht zu rühren! Ihr lachtet damals höhnisch und rieft den Dienern zornig zu: Schlagt nur immer zu, er hat es nicht anders verdient!

Und dann – und dann«, schrie er verzweifelt, »als die Diener endlich von mir ließen, da lag ich am Boden elend und blutend, ich hatte die Besinnung verloren! Keiner fragte danach, was aus mir wurde, ich war schlimmer dran wie die Hunde, die Ihr auf Eurer Burg hieltet, denn um die kümmerte man sich noch, während man mich erbarmungslos auf dem Hof liegen ließ und nicht danach fragte, ob ich starb oder mich wand in meinen Schmerzen.

O, wäre ich doch gestorben!« rief er, in maßlosem Grimm die Hände ballend, »warum mußte ich denn wieder erwachen, um mich dann blutend fort zu schleppen und mein elendes Dasein weiter zu tragen! Wie durch ein Wunder des Himmels genas ich dennoch trotz jener Mißhandlungen, nur zahlreiche Narben an meinem Körper verrieten noch, was ich erduldet hatte.

Und eines Tages, da ich, mich mühsam auf einen Stock stützend, mich hinaus–schleppte ins Freie, um ein wenig frische Luft zu schöpfen, als ich oben auf der Treppe still stand, weil mir der Atem versagte – da kam Euer Vater vorüber und gebot mir barsch, ihm aus dem Weg zu gehen, und als ich flehend zu ihm aufschaute, gab er mir einen Stoß, daß ich die Treppe hinabstürzte und ohnmächtig drunten liegen blieb!«

»Mein Gott, mein Gott, haltet ein!« murmelte Kunigunde erschauernd.

Aber hohnlachend fuhr der Zwerg fort:

»Ah, seht Ihr, wie es nun in Euch aufdämmert! Jetzt wißt Ihr auch, daß Euer Vater daran schuld ist, daß ich so elend geworden bin und daß ich als Krüppel mein armselig Dasein weiter fristen muß! Keiner hob mich damals vom Boden auf, keiner kümmerte sich um mich – was lag daran, ob der Bastard verdarb und starb – er war Euch ja allen nur im Weg!

Es stirbt sich jedoch nicht so leicht, wie auch ich gedacht hatte!« fuhr er mit heiserem Auflachen fort. »Freilich war ich damals nahe daran, den Tod zu suchen, doch eins hielt mich von dem entsetzlichen Schritt zurück – das war das Verlangen nach Rache, nur das allein trieb mich, noch weiter zu leben!

Begreift Ihr nun, daß ich Euch hassen mußte, daß mein ganzes Sinnen und Trachten nur darauf gerichtet war, Euch und Euer Geschlecht zu verderben? Faßt Ihr’s nun, weshalb ich mich so teuflisch freute, als ich das Ende Eures Vetters vor Augen sah, als ich aus seinem eigenen Mund erfuhr, daß er Schmach und Schande über Euch gebracht hat? O, das war Balsam auf mein verbittertes, tief verwundetes Herz, so mußte es ja kommen, denn Ihr hattet es nicht anders verdient!«

Kunigunde hatte sich hastig aufgerichtet.

Sie wollte sich mit aller Macht dem lähmenden Bann entziehen, der bei seinen Worten über sie gekommen war, und scheu streifte ihr Blick über die kleine Gestalt des vor Empörung zitternden Mannes dahin.

Im nächsten Augenblick zog sie die Zügel straffer, wollte sie das Pferd antreiben – da ließ abermals das heisere Auflachen des Zwerges sie innehalten.

Ein leiser Schrei entfuhr ihrem Mund, als sie in sein jetzt wild verzerrtes Gesicht blickte, aus dem die glühenden Augen so unheimlich und drohend zu ihr aufschauten.

»So, nun wißt Ihr doch, weshalb ich Euch hasse und verfolge!« klang es zischend von seinem Mund, während er die geballten Hände drohend aufhob. »Mein ganzes verfehltes Leben danke ich Euch und wahrlich, der Tag wird noch kommen, bald kommen, an dem ich es Euch heimzahle, was Ihr an mir angetan habt! Euer Vater ist tot, sein letztes Stündlein wurde ihm zur gräßlichsten Qual, sein böses Gewissen war es, das ihm zu schaffen machte, er ist einen furchtbaren Tod gestorben! Aber Ihr lebt noch und auch mein Haß! Und schon ziehen die drohenden Gewitterwolken über Euch herauf – Wehe, dreifach Wehe Euch, bald wird der Sturm sich entladen und hereinbrechen über Euer stolzes Haupt!«

»Schweigt – schweigt!« stieß Kunigunde entsetzt hervor, nachdem sie endlich ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden hatte, »ich will Euch nicht mehr hören, ich verachte Eure Drohungen – was könnt Ihr, der erbärmliche Zwerg, wohl gegen mich unternehmen? Hahaha, ich spotte Eurer –«

Sein heiser–er Schrei ließ sie betroffen innehalten.

Wieder hob er drohend die Hand gegen sie empor und unheimlich und dumpf klangen jetzt seine Worte an ihr Ohr.

»Wehe Euch, dreimal Wehe, daß Ihr in dieser Stunde nur Spott und Hohn für mich habt! Ihr wißt freilich nicht, welche Macht der verkrüppelte Zwerg besitzt, daß er die Fäden schon alle in seiner Hand hält, um das Netz, das Euch fangen soll, zusammenzuziehen – daß er schon jahrelang an Eurem Untergang gearbeitet hat und daß nun der Tag der Vergeltung bald hereinbrechen wird! Ja, ja – lacht nur, schönes Fräulein! Ich sage es Euch noch einmal – der Tag der Vergeltung wird bald kommen und dann werde ich es sein, der hohnlachend auf Euch herabblickt, dann werde ich triumphieren!«

»Geht mir aus dem Weg!« knirschte Kunigunde, ihrer selbst kaum noch mächtig; aber noch einmal stellte sich der Zwerg ihr drohend in den Weg, sodaß das Pferd erschrocken sich aufbäumte und zur Seite sprang.

»Ich wünsche Euch eine glückliche Heimkehr!« klang es höhnend von seinem Mund, »vergeßt nicht, was der Zwerg Euch gesagt hat. Das Unwetter bricht los, ehe Ihr es vermutet – macht Euch auf Euren sicheren Untergang bereit!«

Ein zorniger Schrei drängte sich über ihre Lippen; im nächsten Augenblick hatte sie ihr Pferd herumgerissen und sprengte, ohne dem Zwerg noch einen Blick zuzuwenden, in wildem Galopp den Waldweg entlang.

Mit wutverzerrtem Gesicht schaute der Zurückbleidende ihr nach, dann klang sein wildes, unheimliches Auflachen durch den stillen Wald.

»Ziehe nur hin«, knirschte er, »Du ahnst nicht, wie eng die Fäden sich schon um Dich zusammengezogen haben, wie nahe das Unheil Dir ist! Jetzt aber«, fuhr er, sich hastig aufrichtend, fort, indem er sich mit der Hand über die feuchte Stirn strich, »will ich heim, zu Hubertus eilen, nun soll mein Rachewerk beginnen!« –

Wie von Furien verfolgt, jagte das stolze Edelfräulein nach ihrer Burg zurück.

Sie, die Furcht nur vom Hörensagen gekannt, die alle Drohungen verlacht hatte, empfand so namenloses Grauen und so sehr sie sich auch bemühte, desselben Herr zu werden, es wollte ihr doch nicht gelingen.

»Bah«, murmelte sie in wegwerfendem Ton, »was kann der Zwerg mir schaden? Ich lache ob der Drohungen dieses armseligen Burschen!«

Sie zuckte plötzlich zusammen, es, hatte doch etwas in dem Ton des kleinen Mannes gelegen, was sie gepackt hatte, was sie die Furcht fast kennenlehrte.

Was kann er nur gemeint haben mit der Vergeltung, mit dem Unheil, das über mich hereinbrechen soll?« murmelte sie. »O heilige Jungfrau – sollte Hans ihm verraten haben –?«

Fahle Blässe breitete sich über ihr Gesicht, ihre Hände umkrampften die Zügel fester und sausend schlug die Gerte gegen die Weichen des Pferdes, sodaß es sich hoch aufbäumte und dann wie ein Pfeil dahinschoß.

Hatte sie die Furcht bereits kennengelernt?

Weshalb lachte das stolze Fräulein nicht mehr ob der Drohungen des armseligen Zwerges?

178. Kapitel

In der Abtei

War’s Gottes Wille, daß hier ich rasten mußt’, 
Hat das Geschick mich heut’ hierher geleitet?

Leise strich der frische Nachtwind über das Plateau dahin, sodaß die weißen Haare an den Schläfen des alten Astrologen sich hin und her bewegten.

Den Kopf in die Hand gestützt, saß der alte, einsame Mann noch zur Mitternachtsstunde droben auf seinem stillen Plätzchen, den Blick unverwandt auf den vor ihm liegenden Folianten gerichtet.

Trotz seiner freiwilligen Abgeschiedenheit von der Welt flogen seine Gedanken doch hinaus zu dem Leben und Treiben der Menschen, er fühlte und litt, lebte und wirkte im Geist doch mit ihnen, die da draußen waren in dem lauten Getriebe.

Ein schwerer, gedrückter Seufzer hob seine Brust.

Bald würde sein Abend kommen, bald würde der Herr ihm zurufen:

»Ruhe aus von Deinem Schaffen und Wirken, gehe ein zum ewigen Frieden«– und doch gab es noch so viel, so unendlich viel vorher zu ordnen!

»Herr, Herr, hilf mir!« klang es leise und flehend von seinem Mund, »gib mir die Kraft, daß ich das Letzte und Schwerste noch vollbringe und den Willen des Heimgegangenen noch erfülle!« »

Plötzlich schrak der Greis auf seinem Brüten empor, seine Augen öffneten sich weit und sein Oberkörper beugte sich vor, während er gespannt lauschte.

Was war das für ein seltsamer Lärm?

Wer pochte noch zu so später Nachtstunde an das Tor der einsamen Abtei und begehrte Einlaß?

Hastig erhob er sich und schritt nun langsam und vorsichtig die schmalen Stufen hinunter.

Als er den Hofraum betrat, kam ihm der alte Berthold schon, mit der Leuchte in der Hand, entgegen.

»Vielleicht sind’s müde Wanderer, gnädigster Herr, die so spät noch Einlaß begehren!« meinte der Alte.

»Öffne nur!« gebot der Greis und folgte dem voranschreitenden Diener.

Als dieser den Riegel von dem Tor zurückschob und dasselbe öffnete, drang ihnen heller Fakelschein entgegen, sodaß sie, unwillkürlich geblendet, zurücktraten.

Erst nach einer Weile konnten sie die draußen Befindlichen erkennen.

Zwei Ritter standen an dem Tor und hinter ihnen zwei Diener mit Fackeln.

Jetzt näherte sich einer der Ritter mit ehrerbietigem Gruß dem Greis und sein Barett ziehend, neigte er tief und ehrfurchtsvoll das Haupt.

»Verzeiht, edler Herr, daß ich so spät noch Eure Nachtruhe störe, doch hat uns ein Unfall betroffen; das Pferd unseres Herrn ist gestürzt und vermag nicht weiter zu gehen, sodaß auch wir gezwungen sind, zu rasten. Wollt Ihr uns vergönnen, Herr, die wenigen Nachtstnnden unter Eurem Dach zu verbringen?«

»Seid mir willkommen, Ihr Herren«, ertönte jetzt die tiefe Stimme des Astrologen, »tretet ein in mein Heim, gern will ich Euch Obdach gewähren!«

Da wichen auf einmal die Ritter und Diener ehrfurchtsvoll zur Seite und machten einer hohen, gebietenden Mannesgestalt Platz, die jetzt auf den offenen Torweg zuschritt.

Ein breitkrämpiger Hut beschattete die Züge des sicherlich vornehmen Fremden, der sich jetzt mit stolzem Neigen seines Hauptes dem Astrologen näherte.

»Ich vernahm soeben aus Eurem Mund, daß Ihr uns willkommen heißt und bereit seid, uns Unterkunft zu geben!«

Einen Moment lang hatte der Greis starr auf den vornehmen Fremden geblickt, dann lief plötzlich ein leises Zittern durch seine Gestalt und tief, sehr tief neigte er sein graues Haupt zum Gruß.

»Seid mir willkommen, mein hoher Herr!«

Dabei trat er ehrerbietig zur Seite, um dem Fremden Raum zu geben.

Dieser hatte schnell einige gedämpfte Worte zu den Rittern gesprochen, dann trat er in den inneren Hof und winkte dem Astrologen, ihm zu folgen.

Schweigend geleitete der greise Mann den Gast nach seinem lauschigen, stillen Arbeitszimmer.

Als sie dasselbe betraten, sank der Fremde erschöpft auf einen Stuhl.

Nachdem er den breiten Hut von seinem Haupt genommen hatte, fiel der Schein des Lichtes voll auf sein edles, strenges Gesicht.

Sein Blick flog scharf forschend zu dem alten Astrologen hinüber, doch dessen Antlitz war kalt und ruhig.

Der Greis hattte sich der Tür genähert.

Er rief seinen Diener herbei und gebot ihm, vorerst Wein und dann einen Imbiß zu bringen.

Als Berthold den Wein gebracht hatte, bot der Greis ihn selbst seinem Gast.

»So trink’ ich auf Eure Gesundheit!« sprach der Fremde, indem er das Glas emporhob and es dann auf einen Zug leerte.

Ein tiefer Atemzug hob hierauf seine Brust.

»Das war ein harter Ritt, Ihr könnt mir’s glauben!« nickte er ernst. »Wir glaubten, unser Ziel, das uns in Walfringen winkt, diese Nacht zu erreichen – da geschah der Unfall und wir müssen nun zufrieden sein, daß wie sobald schon Obdach gefunden haben und nicht im Freien die Nacht zu verbringen gezwungen sind! Doch sagt mir – hat man mich auch recht berichtet: Seid Ihr der Asstrolog, der Sternendeuter von St. Martin, wie aller Orten man Euch nennt? Den Namen hört’ ich schon, doch hab’ ich Euch von Angesicht bisher noch nicht gesehen?«

»So ist’s, mein hoher Herr – ich bin der, den Ihr nennt!« lautete die Antwort des Greises. »Ich habe Jahre meines Lebens in ernstem Forschen zugebracht und nach und nach hat mein geistig Auge es gelernt, aus den Sternen die Geschicke der Menschen zu lesen!«

Der fremde Gast senkte grübelnd den Kopf; eine düstere Sorgenfalte grub sich zwischen seine Augenbrauen und ein müder Ausdruck flog über sein Gesicht.

»Wohl Euch, daß Ihr hier in Eurer friedlichen Idylle Eure Tage beschließen könnt und nur von fern auf das Weltgetriebe schaut! O, glaubt mir«, seufzte er leise, »es ist eine gar arge und böse Welt, in der wir leben, und der ist nicht zu beneiden, den das Geschick bestimmt hat –« er hielt plötzlich inne. »Wieviel Böses«, fuhr er nach kurzem Schweigen sinnend fort, »wird von den weltlichen Richtern geahndet und doch, wie manches Verbrechen schleicht sich ungesehen durch die Nacht und findet seine Strafe nicht!«

»Wir haben das Gericht der heiligen Vehme, mein hoher Herr!« fiel ihm der Greis ernst ins Wort.

»Ganz recht, die heilige Vehme! Es dringt zuweilen ins Land hinaus gar seltsame Mär von Wunderdingen, die sie verrichtet, und auch, daß ans Licht sie zu bringen vermag Verbrechen, die sonst wohl ein menschlich’ Auge nimmer entdeckt! Ich kenn’ sie nicht, die Vehme«, fuhr der Gast langsam fort, »es sind, wie ich meine, doch nur Männer aus dem Volk, die dort zu Gericht sitzen und sich die Macht des göttlichen Richters anmaßen!«

In den Augen des Greises blitzte es seltsam auf.

»Anmaßen, mein hoher Herr, ist wohl nicht das rechte Wort! Volkes Stimme ist Gottes Stimme! Warum sollte das Volk nicht den klaren und gerechten Blick besitzen, den man sonst den irdischen Richtern nachrühmt? Warum sollte sich aus dem Voll heraus nicht das Gerechtigkeitsgefühl entwickeln, warum sollte es unter sich selbst nicht richten können?«

»Die Vehme richtet aber nicht unter sich selbst, nicht unter dem Volk allein, es steht keiner zu hoch, als daß er ihrem Spruch nicht unterläge! Denkt an den Grafen vom Strahl, denkt an den Junker von Thurneck – hat nicht auch über diese die heilige Vehme zu Gericht gesessen?«

Die gebeugte Gestalt des Greises schien plötzlich zu wachsen.

Sich hoch aufrichtend ruhte sein flammender Blick sekundenlang durchdringend auf dem vor ihm sitzenden Fremden.

»So ist’s, mein hoher Herr! Vor der Vehme gilt weder Ansehen noch Reichtum, vor ihr wie vor Gott sind alle gleich! Ob der Bettler vor ihr steht oder der Kaiser selbst, sie wird sich in ihrem Urteil nicht beeinflussen lassen!«

Warum zuckte der Fremde plötzlich zusammen, warum wandte er so hastig sein Gesicht zur Seite?

Als er es dem Greis wieder zukehrte, waren seine Züge wieder ernst und ruhig und er neigte nachdenklich sein Haupt.

»Ihr habt recht, man rühmt der heiligen Vehme nach, daß sie keinen Unterschied mache, und mancher bebt wohl scheu vor einer Tat zurück, wenn er an die Vehme denkt!«

Der Fremde hatte sich jetzt erhoben.

Er durchmaß einige Mal das Gemach, blieb dann aber plötzlich vor dem greisen Astrologen stehen.

»Mir ist heute gar seltsam zumute! Ich möcht’ durch Euer geschärftes Auge wohl meine Zukunft einmal schauen, möchte wissen, was das Schicksal mir noch aufgespart hat! Wollt Ihr mir einen Dienst erweisen? Wollt Ihr mir aus den Sternen künden, was die Zukunft noch für mich in ihrem Zeitenschoß birgt?«

Ernst neigte der weise Mann sein Haupt.

»Wenn Ihr es wünscht, so tu’ ich’s gern! Doch, Herr, vergeßt nicht – Ihr hab’t es so verlangt! Wollt Ihr mir hinauf folgen nach dem Turm, auf dessen Plateau ich meine Sternwarte errichtet habe? Dort oben bin ich, wie Ihr selbst gesagt habt, der Welt entrückt und dem Himmel so nahe!«

Damit öffnete er die Tür und ließ dem Fremden den Vortritt.

Schweigend schritten die Männer über den stillen Hof, der kleinen Kapelle zu.

Der Astrolog hatte die Leuchte in der Hand, er schritt dem fremden Gast jetzt voran, während er den Lichtschein so fallen ließ, daß dessen Weg hell beleuchtet war.

Als sie droben auf dem Plateau standen, entfuhr ein leiser Ruf dem Mund des Fremden.

»Ah, hier oben ist Euer Heiligtum! Ich begreif’ Euch wohl – hier seid Ihr jeglichen fremden Eindrücken fern und Euer geistig’ Aug’ kann nicht abgelenkt werden von irdischen Dingen!«

Er war an die Brüstung getreten, und sein Blick flog hinauf zu dem sternenhellen Himmel, während seine breite Brust sich hob, er tief aufatmete, hier droben – in der Freiheit.

»Wie still und friedlich das Tal da vor mir liegt«, murmelte er, »als könne es in der Welt keine Feindschaft, keine Zwietracht geben – und doch gährt es allerorts, doch haßt der Bruder den Bruder und trachtet der Freund dem Freund nach dem Leben! O, welch’ eine Welt– welch’ seltsames Getriebe in ihr herrscht!« fuhr er schmerzlich fort; »Ihr kennt sie freilich nicht hier in Eurer Abgeschiedenheit. Euer Blick ist nach oben gerichtet; was irdisch ist, bleibei Euch fern, es liegt zu weit, gar zu tief unter Euch, als daß es imstande wär’, Euch zu stören!«

»Glaubt Ihr das, mein hoher Herr?« klang es seltsam von dem Mund des Greises, »glaubt Ihr wirklich, daß ich mich hier oben nicht kümmere um das Leben und Treiben der Menschen?«

Dann aber, als bereue er schon, zuviel gesagt zu haben, drehte er sich hastig um, tastete mit der Hand über die Pergamentrolle, die auf dem Tisch lag, und wandte sich dann langsam seinem Fernglas zu.

Der Fremde hatte auf einem Schemel Platz genommen, er verschränkte die Arme über der heftig wogenden Brust und sein Auge hing fest an der Gestalt des greisen Astrologen, während eine geheime Spannung sich in seinen Zügen verriet.

Und nun herrschte tiefe – tiefe Stille auf dem Plateau. Der Astrolog rührte sich nicht.

Lange Zeit schaute er unverwandt auf zu den Sternen, bis er endlich seine Stimme erhob und es wie aus weiter Ferne leise an das Ohr des Gastes klang:

»Hell strahlt Euer Stern, mein hoher Herr! Gar weit, aus fernen Landen, schaut man hin auf ihn, der eine Leuchte ist unserer Zeit! Groß seid Ihr, mächtig und erhaben, doch – glücklich seid Ihr nicht! Euer Herz ist arm auf Eurer stolzen Höh’, Ihr möchtet Frieden schaffen, Frieden um Euch, in der Welt – Frieden auch in Euch, in Eurem eigenen Herzen!«

Warum zuckte der vornehme Fremde wiederum so jäh zusammen, warum bedeckte auf einmal so geisterhafte Blässe sein stolzes Gesicht, und seine Augen, warum blickten sie so bang fragend auf den Astrologen, der seiner jetzt nicht achtete?

»Frieden in mir?« murmelte er wie geisiesabwesend.

»Es ist kein Mensch auf Erden, und stünde er noch so hoch, der nicht eine Schuld in seinem Herzen trüge, die an ihm zehrt. Auch Euer Herz, mein hoher Herr, trägt eine schwere Schuld aus vergangenen Tagen!«

»O mein Gott, mein Gott, woher kann er das wissen?« klang es leise aufstöhnend von dem Mund des Fremden, während er, von tiefer Ergriffenheit überwältigt, die Augen mit der Hand beschattete.

»Diese Schuld ist’s, die Euch oft in frohen Stunden Eure Seele trübt – Ihr könnt sie nicht vergessen, wenn auch Jahrzehnte darüber hingegangen sind, sie lebt ewig fort in Eurer Seele bis zu Eurer letzten Stunde! Ihr seid einst glücklich gewesen, doch Ihr seid es nicht mehr! Ihr steht jetzt einsam auf Eurer stolzen Höhe, Euer Herz sehnt sich nach Liebe und Verständnis – doch wo sollt Ihr solches suchen, nun da Ihr keinen mehr habt, der Euch nahe steht! Und doch gibt es ein Menschenkind auf Erden, das Euch alles, alles sein könnte! Aber es gemahnt Euch an Eure Schuld und der Stolz in Eurem Herzen bäumt sich trotzig dagegen auf, diese Schuld vor der Welt anzuerkennen!«

»O mein Gott, haltet ein –« »

Doch der Sterndeuter schien diese Worte nicht gehört zu haben. Unverwandt blickte er hinauf zu den leuchtenden Sternen, sein Auge war nach oben gerichtet, er hatte die Welt unter sich vergessen.

»Doch dereinst wird noch die Stunde kommen – und sie ist nicht mehr allzu fern – mein hoher Herr, da Euer Herz im Unglück demütig wird, da Ihr Euch beugen werdet vor dem dort oben, der alles weiß! Und dann werdet Ihr auch Euren menschlichen Stolz bezwingen, dann wird die Schuld aus vergangenen Tagen Euch mahnen, wieder gutzumachen, was Ihr gefehlt habt«– dann endlich werdet Ihr der Stimme Eures Herzens folgen! Bald naht die Zeit, da Ihr Euch selbst erkennen werdet, bald wird die Stunde der Erlösung für Euch schlagen – und dann, wenn Ihr jauchzend Eure Arme dem so lang entbehrten Glück entgegenbreitet – dann wird es Frieden in Euch werden!«

Die Stimme war verstummt – langsam hatte der Astrolog sich aufgerichtet; er war an die Brüstung getreten und starrte in die Nacht hinaus.

Und indessen saß der Gast, das Gesicht in den Händen vergraben, unbeweglich und das heftige Zittern seiner hohen Gestalt verriet, wie mächtig ihn das Vernommene bewegte.

Ein leises Stöhnen nur klang von seinem Mund.

Er, der es gelernt hatte, sich zu beherrschen, um fremden Augen seinen Schmerz zu verbergen, er richtete sich jetzt langsam auf, und als der Strahl der Leuchte auf sein blasses Antlitz fiel, war es zwar geisterhaft bleich, doch ruhig.

Jetzt wandte er sich dem Sterndeuter zu.

»Nehmt meinen Dank für Eure Prophezeiung! Eure Worte haben mein Herz mächtig ergriffen, denn Ihr habt an einer Wunde gerührt, die keiner kennt außer Gott und ich! Kommt, laßt uns hinuntergehen!« stieß er plötzlich schwer hervor, wie von einer inneren Unruhe ergriffen, »die Luft hier oben ist schwül, so schwül!«

Schweigend hatte der Greis sich dem Tisch zugewendet; er nahm das Licht und ging nun dem anderen voran.

Als sie über den Hof geschritten waren und das Haus betraten, wandte der Fremde sich noch einmal dem Greis zu.

»Ich bin müde«, klang es leise von seinem Mund, »ich möcht’ zur Ruhe geh’n! Morgen in der Frühe schon will ich weiter!«

Der Greis neigte ehrfurchtsvoll sein Haupt.

»Gestattet mir, mein hoher Herr, daß ich nach Eurem Schlafgemach Euch führe!«

Gleich darauf öffnete er die Tür zu einem Zimmer, in welchem Berthold bereits für den fremden Gast eine Lagerstätte bereitet hatte, nachdem er vorher die beiden Ritter und die Diener untergebracht hatte.

Über die Schwelle tretend, streckte der Fremde dem Astrologen mit aufleuchtendem Blick seine Rechte entgegen.

»Gute Nacht – ich danke Euch!«

»Gute Nacht!« klang es leise, voll tiefer Bewegung, von dem Mund des Greises.

Tief neigte er sein ehrwürdiges Haupt zum Gruß –dann ging er schweigend hinaus.

Doch nicht, um sein Lager aufzusuchen, hatte der fremde Gast sich auf sein Zimmer zurückgezogen, sondern nur um der stürmenden Gefühle seines Herzens Herr zu werden und nach Fassung zu ringen.

Ruhelos schritt er in dem Gemach auf und nieder, während sein Gesicht in heftigster Bewegung zuckte und seine breite Brust sich stürmisch hob und senkte.

»Ich muß den Frieden finden«, murmelte er leise, während ein heißer Kampf sich in seinen bleichen Zügen widerspiegelte – »ich muß! Du alter, weiser Mann mit Deinem sicheren Blick, Du hast mir den rechten Weg gezeigt zu meinem Glück – sei’s denn, ich will Deine Worte als eine Gottesoffenbarung hinnehmen, ich will in mich gehen und suchen, meine Schuld zu sühnen! O, ich fühl’ es ja, daß Du recht hast, Du allweiser Mann, daß ich nicht eher Frieden und Ruhe finden kann, als bis ich gesühnt habe!«

Langsam hob er den frommen, leuchtenden Blick zum Himmel auf.

»Herr, gib Du mir Kraft zu dem schweren Schritt – lehre Du mein Herz in Demut sich vor Dir beugen. Verbanne alle falsche Scham aus meinem Herzen, damit ich ruhig meine Schuld gesteh’ und sie gutzumachen trachte!«

Dann sank sein Haupt demütig wieder auf die Brust herab und seine Lippen bewegten sich kaum merklich in stillem Gebet. –

Auch der greise Astrolog fand keine Ruhe; er stand am Fenster und starrte unverwandt in die Nacht hinaus.

»Es war eine heilige, ernste Stunde«, murmelte er, »heilig und segenbringend für ihn! Du Allweiser dort oben sprachst durch mich zu ihm, ich habe es gesehen, daß Deine Worte auf fruchtbaren Boden gefallen sind und weiß, daß er jetzt nicht mehr zaudern wird, zu sühnen! O, wenn er ahnte, wie nahe sie ihm ist! Doch nein, nein, er muß sie suchen mit sehnendem Herzen, dann erst wird seine Sühne eine vollkommene sein!« –

Am anderen Morgen schon frühzeitig brachen die Fremden auf.

Als der vornehme Gast mit blassem, übernächtigem Gesicht aus dem Haus trat, kam ihm der greise Astrolog eutblößten Hauptes entgegen.

»Grüß Euch Gott, weiser Mann«, riefder Fremde, »ich dank’ Euch für die gastliche Aufnahme, die ich bei Euch gefunden habe; seid überzeugt, daß diese Nacht gewiß ich nie vergessen werde!«

»Das gebe der Herr im Himmel!« klang es ernst und bewegt von dem Mund des Astrologen.

Noch einmal trafen sich die Blicke der beiden Männer – dann neigte der Fremde zu freundlichem Gruß sein Haupt und schritt langsam zum Torweg hinaus, um sein Roß zu besteigen.

Noch einmal flog sein Blick zu dem Sterndeuter hinüber; noch einmal winkte er grüßend zurück – dann gab er das Zeichen und von den Rittern und Dienern gefolgt, sprengte er von dannen.

Lange noch stand der greise Mann vor dem Tor und schaute den sich Entfernenden nach.

»Ich weiß es«, flüsterte er dann mit strahlendem Blick, »er wird diese Nacht niemals vergessen, sie wird ihre heilsamen Früchte bringen!«

***

Als sich an diesem Tag die Sonne zum Untergang neigte, kam ein Gefährt auf der nach der Abtei führenden Straße daher und betroffen blieb der Astrolog, der eben am Fenster vorüberging, stehen, als er den Wagen jetzt halten sah.

Dann aber– er mochte die Ankommenden wohl erkannt haben – eilte er mit fast jugendlicher Lebhaftigkeit hinaus.

Als er unter das Tor trat, sah er, wie ein junger Mann aus dem Wagen sprang und dann einem schlanken Mädchen beim Aussteigen behilflich war.

Beim Knarren des Tores wandte der Jüngling sich um – es war Siegwart – und ein Leuchten flog über sein Gesicht, als er den Greis gewahrte.

Doch wer war die fremde, blasse Dame, der Siegwart aus dem Wagen half und die sich so schwer auf seinen Arm stützte?

»Mein Vater«, klang es jetzt bewegt von dem Mund des Jünglings, »ich bringe Euch Beate, die Euch bittet, ihr Aufnahme bei Euch zu gewähren, da ihr die eigene Heimat verschlossen ist!«

Der Astrolog zuckte erbleichend zusammen, seine Augen öffneten sich weit in maßlosem Erstaunen und hingen sekundenlang starr an der Prinzessin.

Dann aber, als er sah, wie Tränen in ihre Augen traten, als sie ihm in stummem, bangem Flehen die Hand entgegenstreckte, da strahlte sein Auge hell auf und hastig trat er heran, ihr ehrfurchtsvoll und bewegt die Hand zu küssen.

»Im Namen des Herrn – seid mir gegrüßt, durchlauchtigste Prinzessin! Ich heiße Euch herzlich willkommen in meinem schlichten Heim und bitt’ Euch von Herzen, betrachtet es als das Eure!«

»O Dank, Dank Euch, edler Mann!« stammelte die Prinzessin mit leisem Aufschluchzen. »So hab’ ich Euch mir gedacht, nachdem Siegwart sooft mir von Euch erzählt hat – so hat mein geistig’ Auge Euch gesehen, von dem ich so viel und so Seltsames schon gehört habe! Noch einmal – nehmt meinen Dank für Eure Lieb’ und Güte!«

»Komm ins Haus, Beate!« bat Siegwart leise, während er die schwankende Gestalt umfaßte und sie der Abtei zuführte.

Schweigend schritt der Astrolog neben ihnen her, während sein Blick ernst und gedankenvoll von dem einen zum anderen schweifte.

Als die Prinzessin, im Zimmer angekommen, ermattet auf den Divan niedersank, war Siegwart in zärtlichster Fürsorge um sie bemüht und der Astrolog rief sofort den alten Berthold herbei, daß er Erfrischungen für die Tieferschöpfte bringe.

Dann leuchtete es plötzlich hell in seinen Augen auf.

»Schon eine birgt dies Haus, die sich hierher geflüchtet hat – noch eine andere weilt seit kurzem in diesen Mauern, die, gleich Euch, draußen in der Welt keine Zuflucht mehr hatte! Berthold«, wandte er sich an den eben wieder eintretenden Diener, »rufe mir das Käthchen von Heilbronn – es wird Eure Pflege, gnädigste Prinzessin, deren Ihr bedürft, gern und freudig übernehmen und Ihr selbst werdet es, wie ich meine, nicht ungern sehen, wenn Ihr ein weiblich Wesen fürder um Euch habt!«

Wenige Minuten später öffnete sich die Tür und Käthchen trat scheu und zögernd über die Schwelle.

Da nahm der Astrolog sie bei der Hand und sie der Prinzessin zuführend, sprach er in bewegtem Ton:

»Ihr seid beide meine Schützlinge! Ihr flüchtetet Euch beide aus den Wirrsalen der falschen Welt hierher, an diesen stillen Ort, Ihr werdet Euch verstehen in Eurem gemeinsamen Leid!«

Beates Blick ruhte bewundernd auf dem schönen Mädchen, das sich ehrfurchtsvoll vor ihr verneigte.

»Wie ist mir denn –« sprach sie, des Greises Blick suchend, »das Käthchen von Heilbronn nanntet Ihr sie? Ich dächte, daß ich schon früher von ihr gehört hätte – von jenem edlen Mädchen, das dem Grafen vom Strahl, da er in der Verbannung gelebt, so treulich beigestanden hat!«

Ein leiser Schrei klang von Käthchens Mund, Tränen entstürzten ihren Augen, und während sie flehend und beschwörend die Hände zu der Prinzessin aufhob, sprach sie leise:

»Auch Ihr habt von ihm gehört? O sagt mir, gnädigste Herrin – was wißt Ihr von dem Grafen, habt Ihr Kunde von seinem Ergehen?«

Tiefe Bewegung prägte sich in den Zügen der Prinzessin aus; diese wahre, reine Liebe erschütterte sie mächtig. Und während sie dem Käthchen nun mit gütigem Lächeln die Hand entgegenstreckte und es neben sich auf einen Sessel niederzog, winkte Siegwart dem Astrologen bittend zu, ihm in das Nebenzimmer zu folgen.

Lange und ernst sprachen die beiden Männer drüben zusammen und Siegwarts Blick hing so flehend an den umdüsterten Zügen des greifen Mannes.

»Mag es da kommen, wies es will«, klang es leidenschaftlich von seinem Mund, »Beate und ich, wir trotzen der ganzen Welt, wir gehören fortan zueinander, wenn Ihr, mein Vater, uns schützt! Gott hat uns zusammengeführt, so soll uns die Welt nicht mehr scheiden!«

Ernst senkte der Greis sein Haupt und dann klang es leise von seinen Lippen: