Katzen - Marina Mander - E-Book

Katzen E-Book

Marina Mander

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Beschreibung

Welche Denkanstöße und Lebensweisheiten können uns Katzen vermitteln? Die erfolgreiche Autorin Marina Mander ist seit ihrer Kindheit große Katzenfreundin. Charmant und kenntnisreich berichtet sie von persönlichen Erlebnissen, liebenswerten Anekdoten und wissenswerten Fakten. Sie erzählt, was uns Katzen in Sachen Müßiggang und echter Selbstliebe voraushaben und wie man lernen kann, sich etwas von ihrer Eleganz und ihrem ganz eigenen Zeitempfinden abzuschauen. Wir erfahren, warum zahllose Künstler – von Pablo Picasso bis Doris Lessing – die inspirierende Wirkung von Katzen genossen und sie zu ihren engsten Vertrauten gemacht haben. Und die Autorin ist sich gewiss: Hätte Freud statt seines Schäferhundes eine Katze bei den Sitzungen an seiner Seite gehabt, wäre vermutlich die gesamte Psychoanalyse anders verlaufen … Ein unterhaltsames, poetisches Buch voller Tiefsinn, Humor und Zärtlichkeit.

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Seitenzahl: 133

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Welche Denkanstöße können uns Katzen geben, und welche Lebensweisheiten halten sie für uns parat? Die renommierte Autorin Marina Mander ist seit ihrer Kindheit leidenschaftliche Katzenliebhaberin. Feinsinnig und kenntnisreich erzählt sie von liebenswerten persönlichen Erlebnissen und kuriosen Fakten, lässt aber auch immer wieder ihrer Fantasie freien Lauf. Sie beschreibt, weshalb Katzen die Wächter der Zeit sind und warum zahllose Künstler – von Pablo Picasso bis Doris Lessing – sie zu ihren engsten Vertrauten gemacht haben und durch sie inspiriert wurden.

Ein liebevoller Streifzug durch die Katzenwelt, der ebenso spielerisch wie überzeugend darstellt, dass Katzen der erste Schritt sind, um zu einem glücklichen, erfüllten Leben zu gelangen.

»Marina Manders Buch ist eine wunderbare Hommage an Katzen, ein geistreiches, elegantes und tiefsinniges Buch!«

La Stampa

Vita

Marina Mander, geboren in Triest, schreibt sehr erfolgreich Erzählungen, Romane und Theaterstücke. Zuletzt erschien von ihr der hochgelobte Roman Meine erste Lüge, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Sie lebt mit ihren beiden Katzen in Mailand.

Marina Mander

Katzen

Eine unendliche Liebesgeschichte

Aus dem Italienischen von Verena v. Koskull

C. Bertelsmann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Il potere del miao. I gatti che mi hanno cambiato la vita beiMondadori, Mailand.Das Motto auf folgender Seite stammt mit freundlicher Abdruckgenehmigung aus: Claudio Magris, Die Welt en gros und en détail, aus dem Italienischen von Ragni Maria Geschwend, © Hanser Verlag, München Wien 1998, S. 296.

Für Spritz und Schatzi und alle Katzen, auch die seltenen und kostbaren auf zwei Beinen

1. AuflageCopyright © 2015 by Mondadori Libri S.p.A., MilanoCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016beim C. Bertelsmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenUmschlaggestaltung: www.buerosued.de, MünchenUmschlagmotiv: Getty Images / KIOISBN 978-3-641-18016-4V001www.cbertelsmann.de

Die Katze tut nichts, sie ist einfach da, wie ein König.

CLAUDIO MAGRIS, Die Welt en gros und en détail

Katzen fürchten die Liebe nicht

Wie viele Stunden verbringe ich damit, euch zuzuschauen?

Laut Statistik verbringt der Mensch 24 Jahre seines Lebens mit Schlafen, 6 mit Essen und 10 mit Fernsehen.

En détail bedeutet das, dass alle zwischen 14 und 24 Jahren täglich 150 Minuten vor der Mattscheibe sitzen, die 45- bis 54-Jährigen 250 Minuten und die über 64-Jährigen 340 Minuten.

Ich verbringe Stunden damit, den endlosen Film eures Lebens anzuschauen: Ihr seid mein Satellitenfernsehen, meine Lieblingsserie, meine Kultsendung, mein 70-mm-Film, projiziert auf eure vom Kopf bis zur Schwanzspitze gemessenen 70 Zentimeter.

Seit Jahren schalte ich den alten, von irgendwem geliehenen Fernseher nicht mehr ein, weil ich mir nie einen Decoder gekauft habe.

Wenn ich euch zwei beobachte, decodiere ich eine Menge Dinge: Ihr seid meine Unterhaltung, mein Bildungsprogramm, mein Wetterbericht, meine Meldungen aus dem Innenministerium, meine Sondersendungen vom Mysterium des Innersten.

Klänge es in den Ohren zweier Katzen nicht beleidigend, würde ich sogar sagen, ihr seid mein Gefühlswörterbuch, weil ihr Dilemmata in Lemmata und Fragezeichen in Ausrufungszeichen verwandelt: Wenn du nicht weißt, was du von einem Menschen halten sollst, frag deine Katze, wenn du nicht weißt, was du von dir selbst halten sollst, frag sie ebenfalls.

In der Psychoanalyse ist die Grundidee des Therapeuten, der vor allem als Spiegel agiert, inzwischen einer interaktiveren Form des Austausches gewichen. Der Psychoanalytiker trennt sich immer mehr vom Konzept der Couch, während sich eine Katze nie freiwillig von dieser wunderbaren Schlafgelegenheit trennen würde. Wie auch. Freud war Hundefreund, er hatte einen Chow-Chow namens Jofi. Katzen traute er nicht über den Weg, sie waren für ihn das Inbild des Weiblichen, und er schrieb ihnen einen Hang zum Narzissmus zu. Man muss schon voreingenommen oder oberflächlich sein, um zu diesem Schluss zu kommen, und trotzdem gibt es immer noch viele, die mit dem Vater der Psychoanalyse einer Meinung sind.

Katzen haben eine äußerst fortschrittliche Vorstellung von Liebe: Zwischen Selbstbestimmung und Narzissmus besteht ein gewisser Unterschied.

Hätte Freud eine Katze gehabt, wäre die Psychoanalyse anders verlaufen. Sie hätte sich schneller entwickelt, vor allem, was das Prinzip der Gegenübertragung betrifft. Obwohl Katzen die denkbar feinsinnigsten und geübtesten Zuhörer sind, fürchten sie die Gegenübertragung nicht; sie haben keine Angst, sich in ihren Patienten zu verlieben oder mit ihm das Bett zu teilen.

Katzen fürchten die Liebe nicht.

Sie haben Angst vor Gebrüll und Gebell, vor Silvesterböllern, jähen Geräuschen, schrillen Tönen, manchmal auch vor dem Staubsauger und dem Mixer, aber ansonsten sind sie äußerst mutige Geschöpfe, vor allem in Gefühlsdingen.

Sie verlieben sich unsterblich in ihre Mitbewohner, egal ob Mensch oder Katze; auch in eine Decke, einen alten Pullover, eine Plüschmaus, eine Pflanze, einen Ausblick, ein fallendes Blatt, einen jäh aufflammenden Sonnenstrahl, selbst in Musik, solange sie nicht hektisch und ohrenbetäubend ist. Sie schämen sich nicht, rückhaltlos zu lieben, weil sie keinen Identitätsverlust fürchten. Niemand kann einer Katze ihr unverwechselbares Selbst und somit ihr Wesen rauben, ihre äußerst kätzische Art des Auf-der-Welt-Seins.

Katzen lieben ihren Nächsten wie sich selbst, nicht mehr und nicht weniger. Sie verkörpern das neutestamentliche Gebot und hüllen es – um es endlich attraktiver zu machen als die längst vergessene Kirchenpredigt aus Jugendtagen – in einen seidigen Pelz.

Ihre Liebe ist nie zu viel oder zu wenig: Katzen, die idealen Lebensgefährten des Menschen, sind nun einmal Katzen und keine Hunde.

Ich habe auch mit Hunden zusammengelebt und mochte sie sehr, auch wenn ich ihre passive Hingabe, die immer auch einen Hauch Aggression in sich trägt, stets als ein wenig erdrückend empfunden habe. Ihr fordernder Blick scheint es geradezu darauf anzulegen, einem ein schlechtes Gewissen zu machen. Es ist, als würde man einen Hund nie genug lieben; eine Katze dagegen weiß genau, dass man sie wie wahnsinnig liebt, denn es kann ja gar nicht anders sein: Sie erkennt deinen Wahnsinn und verliebt sich darin, weil sie einfach weiß, dass ein Übermaß an Vernunft ihrer Eigenschaft als Katze ebenso schaden kann wie dem ihr zur Seite gestellten Menschen. Dazu braucht es weder Hätscheleien noch lange Erklärungen.

Bei Katzenblicken fühlt man sich nie schlecht, nur schön.

Wenn ich euch zwei beobachte, lerne ich viel.

Heute, zum Beispiel, habt ihr mir den Unterschied zwischen Natur und Kultur beigebracht, zwischen angeborenen und anerzogenen Verhaltensweisen. Ihr habt mir gezeigt, dass es möglich ist, sich über Veranlagungen hinwegzusetzen. Ein jahrelanges Psychologie- und Neurobiologiestudium hätte mir in Sachen emotionaler Entwicklung zwar die gleiche Erkenntnis gebracht, doch euer Privatunterricht ist deutlich unterhaltsamer.

Heute habt ihr mir gezeigt, dass die Liebe immer ganz unverhofft kommt: ein Hinterhalt von Küssen.

Zuerst die Angriffshaltung: geduckter Körper, Ohren in Drohstellung, flacher, nervös zuckender Schwanz.

Ich sehe, wie du zum Sprung ansetzt, zusammengekauert hinter eurem Zelt, eurem Rückzugsort in der Serengeti unserer Wohnung. Du nimmst ihn ins Visier. Dein Kumpel schläft tief und fest, Bauch nach oben, satt und ahnungslos, es ist Siestastunde, keine Trainingszeit. Er merkt nicht, dass du jetzt immer schneller den Kopf hebst und senkst, ihn fixierst, den unvermeidlichen Sprung kalkulierst, den perfekten Satz, den deine DNA dir vorgibt, dieses federnde Aufschnellen, das du auch aus dem Stand beherrschst, raubtierhaft und unerbittlich. Das kleine Zelt dient euch mitunter als Schlafplatz und Tarnung, und auch du bist perfekt getarnt mit deinem parkettfarbenen, mahagonigeäderten Fell.

Löwen sind savannenfarben, du bist parkettfarben: das Wunder der häuslichen Camouflage.

»Achtung, Freundchen«, denke ich‚ »der stürzt sich auf dich und schlägt zu, du wirst kämpfen müssen, mit der Wendigkeit einer jungen, lebenshungrigen Antilope, um mit heiler Haut davonzukommen.« Wie gern würde ich in den Lauf der Natur eingreifen. Während ich noch überlege, ob es richtig ist, dazwischenzufunken, fliegst du schon durch die Luft und bist auf ihm: »Tu ihm nicht weh, ich bitte dich! Er hat so schön geschlafen und vielleicht geträumt!«

Doch der mörderische Angriff verwandelt sich in sein Gegenteil: Du wirfst ihm die Pfoten um den Hals und leckst ihn von oben bis unten ab, bedeckst ihn mit Küssen. Du umarmst und küsst ihn, als wäre er knapp einer Gefahr entronnen, du wiegst ihn in Sicherheit wie der große Retter, du drückst ihn an dich, als wolltest du ihn nie mehr loslassen, nie mehr um ihn fürchten müssen.

Für eine schier endlose Zeit tauscht ihr Geschnurr und Zärtlichkeiten aus. Die reglose Zeit der Liebe.

Wie lange habe ich euch zugeschaut?

Trotz deiner Veranlagung als fleischfressender Jäger ziehst du dem Kampf die Ruhe vor: Du kannst laute Menschen nicht ausstehen, verabscheust jähe Bewegungen, schroffe Gesten und falschen Alarm.

Damals hast du vor dem Konflikt Reißaus genommen und dich in meiner Manteltasche verkrochen. Du warst zum Zankapfel geworden. Zum Kosovo, um den sich die Serben und ihre Feinde gestritten haben. ER wollte dich nicht im Schlafzimmer, SIE nicht im Wohnzimmer. Sie haben dich »General« genannt, als du kaum in eine Hand passtest, ein Lilliputgeneral, ein vierbeiniges Oxymoron. Solche Fehler entstehen in den Kriegsgräuel.

Ich habe dich die ganze Nacht angesehen.

Ich musste dir einen anderen Namen geben, einen glücklichen Friedensnamen.

»Wie heißt du?«, habe ich dich gefragt. »Wie heißt du, kriegsmüder kleiner Krawallmacher?«

»Ich heiße Spritz«, hast du geantwortet.

Wie hätte es anders sein können. Wieso habe ich das nicht gleich begriffen? Rot, leicht berauschend, mit einem Schuss Selters. Eine freundliche Hommage an die Glanzzeiten Venedigs. Ein Wunsch für die Zukunft, ein Toast auf unsere Begegnung.

Stalin, Hitler und Mussolini waren abstinent, falls das jemand noch nicht wusste. Über MiloŠević muss ich mich schlaumachen.

Vorname Spritz, Nachname Amore, selbstverständlich.

Die zweite Katze ist hingegen eines Sonntagabends in meiner Tasche gelandet. Ich war mir nicht sicher, ob ich eine piemontesische Katze haben wollte, heißt es doch, die Piemonteser seien falsch und aalglatt.

»Sie ist nicht piemontesisch! Sie ist halb Siamkatze.«

In Ordnung. Lass uns nach Hause gehen und Spritz überraschen.

»Was ist das für ein schielendes Scheusal?«

»Das ist kein Scheusal, sondern ein Kätzchen.«

»Was soll das heißen?«

»Dass sie klein ist und aussieht wie eine Maus, aber noch wachsen wird.«

»Na, wenn du meinst.«

Ihr habt nicht lange gebraucht, um miteinander warm zu werden. Ein paar Kopfnüsse mit der Pfote, ein bisschen Gefauche, und zwei Stunden später wart ihr bereits ganz dicke, der eine ein bisschen dicker als der andere, wie man auch nach fünf Jahren noch unschwer erkennen kann. Schatzi ist größer und sehr viel schwerer als du, auch wenn du nie aufgehört hast, den Chef zu spielen. Schatzi wird für dich immer der Kleine bleiben. Schatzi, das Schätzchen.

Mein erster Schatz

Durchschnittliche Dauer einer Ehe in den Vereinigten Staaten: 9,5 Jahre. Durchschnittliche Haltbarkeit eines Dampfbügeleisens: 10 Jahre. Dauer unserer Liebe: lebenslang.

Bekanntschaften, Beziehungen oder kaputte Geräte mit abgelaufener Garantie werden mir bisweilen leid, doch das Leben nie. Manchmal fürchte ich eher, ich werde dem Leben leid. Egal, was passiert, ich will mindestens noch fünfzehn Jahre leben, die Zeit, die ihr voraussichtlich noch auf dieser Erde weilt. Ich will mit euch alt werden, ihr seid meine Chance, mit der Zeit zu gehen, weder zu früh noch zu spät dran zu sein. Endlich werde ich meiner Zeit gerecht. Bedenkt man die Berechnung des Katzenalters im Vergleich zum menschlichen Alter (fünfzehn Jahre für das erste Jahr, neun für das zweite und vier für jedes weitere), kann es sogar sein, dass ich eines Tages jünger bin als ihr.

Das ist natürlich absurd, weil eure Schönheit nicht vergeht und uns niemand je für gleichaltrig halten wird; nicht einmal in vier Jahren, wenn es fast so weit ist. Doch ich werde mich von meinem Zopf nicht trennen, wie es Frauen sonst ab einem gewissen Alter tun. Ich werde ihn weiterhin tragen wie ihr euren Schwanz, hoch auf dem Kopf, wenn ich glücklich bin, und ihn zornig hin und her peitschen lassen, wenn ich verärgert und unleidlich bin. Der Schwanz ist ein wertvoller Verbündeter des physischen und psychischen Gleichgewichts. Er hält die Balance, wenn man abzustürzen droht (in dem Fall ist die Bewegung klar: entweder hierhin oder dorthin), oder verrät einen inneren Konflikt (soll ich bleiben oder mich verduften) durch heftiges Zucken. Außerdem dient er dazu, sich wie der Baron von Münchhausen selbst aus dem Sumpf zu ziehen und in ein neues Abenteuer zu stürzen.

Als ich klein war, wurde ich nicht nur Nina, sondern auch Schatzi genannt. Der erste Kater, mit dem ich Freundschaft schloss, hieß Schatzi (mein erster Seelenverwandter), und mein letzter Kater (in der Reihenfolge des Auftretens) ebenfalls.

Schatzi wie Kleinod.

Spritz ist ein kleiner kriegsmüder Krawallmacher, Schatzi eine in Friedenszeiten aufgegangene, knusprig gebackene Brioche. Er ist unendlich friedfertig, ein Kind des gastronomischen Booms.

Der erste Schatzi hingegen war ein Streuner, genau wie ich.

In meiner Kindheit wurde ich für eine gewisse Zeit, die eigentlich kurz sein sollte, am Ende aber sehr lang wurde und irgendwelchen verworrenen Umständen geschuldet war, meiner Großmutter anvertraut.

Die Zeit des Verlassenseins steht genauso still wie die Zeit der Liebe, allerdings ins Gegenteil verkehrt: Die Zeit der Liebe ist nur ein Augenblick, der sich in der Erinnerung ins Unendliche erstreckt; die Zeit des Verlassenseins währt gefühlt eine Ewigkeit, die man gern in einem Augenblick vergessen machen will, doch sie widersetzt sich unserem Drang, die Wunden des Lebens zu stopfen und zu flicken.

Es gab noch weitere Gründe, warum ich damals kein bisschen glücklich war. Allerdings musste das ein Geheimnis bleiben. Abgesehen davon, dass ich sämtliche Kinderkrankheiten – Windpocken, Mumps und Röteln – gleichzeitig und dazu am falschen Ort und zur falschen Zeit bekam, versuchte ich, mir mein Unglück nicht anmerken zu lassen.

Sich das eigene Unglück nicht anmerken zu lassen, sollte man dringend lernen, und das am besten möglichst früh. Man nennt das kreative Anpassung: Aufgeweckte Kinder finden immer unverhoffte Kraftquellen. Man sucht einen Kusshinterhalt. Einen Miezhinterhalt.

Ich fand Schatzi in einem Garten, er war weggelaufen oder ausgesetzt. Er war noch ein Kind, mehr weiß als schwarz, weder hübsch noch hässlich, aus irgendwelchen zwingenden oder fadenscheinigen Gründen sich selbst überlassen wie ich, die ich nach einem Gewitter auf Schneckensuche war. Wir versuchten, die schleimigen, einziehbaren Fühler zu berühren, er mit seiner zaudernden kleinen Pfote, ich mit meinem zögerlichen Zeigefinger, angeekelt von den weichen Extremitäten dieser Weichtiere und zugleich neidisch auf sämtliche Schneckenarten, die das Glück hatten, mit einem Haus auf dem Rücken geboren worden zu sein und es stets bei sich zu tragen. Ein Haus, vollständig eingerichtet mit rotem und weißem Stübchen und einem Haufen Spielzeug, gestickten Tierbildern von Hunden und Katzen, Ziegen und Käuzchen, allesamt mit Kreuzstichen gemacht, die mir, auch wenn sie nicht ganz ohne Hilfe zustande kamen, gute Noten in einem altmodischen Fach namens »Handarbeiten« einbrachte.

Schatzi und ich beneideten die Schnecken um ein Privileg, das wir offenbar für immer verloren hatten: sich von Natur aus oder dank eines reichen Onkels aus Amerika nie unbehaust zu fühlen. Schatzi hatte eine zum Napf umfunktionierte rostige Blechdose, ich hatte vier Stoffteddys im Gepäck, das war unsere spärliche Habe, die wir gut im Auge behalten mussten, damit die Hunde sie uns nicht wegschnappten. Doch obwohl oder gerade weil es für Schatzi Eins keinen festen Wohnsitz gab, hatte er sein eigenes Bed and Breakfast für eine Schar Wanderflöhe aufgemacht, die nach einem freundlichen Willkommen sogleich zwischen seinen Pfoten und meinen Beinen, auf seinem kleinen Körper und meinen gesprenkelten Armen Herberge bezogen.

Der Zusammenhalt zwischen mir, Schatzi Eins und den Flöhen war die einzige Freude jener Zeit, an die ich nie mehr zurückgedacht hätte, wenn ich nicht begonnen hätte, die Geschichte dieser ersten schwarz-weißen Mieze und die Gründe, weshalb Katzen unsere unendliche Dankbarkeit verdienen, zu Papier zu bringen.

Mit Katzen fühlt man sich zu Hause, selbst wenn man obdachlos ist und einem weder Vergangenheit noch Zukunft eine Zuflucht bieten.

Rückblickend betrachtet könnte es sein, dass meine letzte Kinderkrankheit nicht wirklich Röteln waren, sondern dem Kommen und Gehen der Mitbewohner meines Findelkaters geschuldet war. Doch auch das blieb unser Geheimnis.

Traumforscher