Kaukasische Erzählungen - Leo Tolstoi - E-Book

Kaukasische Erzählungen E-Book

Leo Tolstoi

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Beschreibung

Vom Sommer 1851 bis zum Herbst 1853 war Leo Tolstoi als Offizier im Kaukasus. Die neue Welt, die ihn hier umgab, wirkte auf den Autor mit solcher Macht ein, dass auch die kurze Zeit seines Aufenthalts ungemein reiche Früchte trug. Die Werke, die dieser Zeit ihre Anregung verdanken, sind "Der Überfall”, "Der Holzschlag” und "Eine Begegnung im Feld”. Alle diese Erzählungen durchzieht als leitender Gedanke: die Abneigung gegen die Kultur und die Gesellschaftsschicht, die sich als ihre ausschließliche Eigentümerin fühlt, und die Liebe zu dem schlichten Volk, das unbewusst Tugenden bewahrt hat, die dem Gebildeten fehlen. Hier und da bricht aber auch ernster die Abscheuung des Krieges durch.

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Kaukasische Erzählungen

 

 

LEO TOLSTOI

 

Kaukasische Erzählungen, L. Tolstoi

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849648411

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

Übersetzer: Raphael Löwenfeld

 

 

 

Inhalt:

 

 

Ein Überfall1

I.1

II.1

III.1

IV.1

V.1

VI.1

VII.1

VIII.1

IX.1

X.. 1

XI.1

XII1

Der Holzschlag. 1

I1

II.1

III.1

IV.1

V.1

VI.1

VII.1

VIII.1

IX.1

X.1

XI.1

XII.1

XIII.1

Eine Begegnung im Feld. 1

 

 

 

Ein Überfall

 

I.

 

Es war am 12. Juli, Kapitän Chlopow trat in Epauletten und Säbel — einer Uniform, in der ich ihn seit meiner Ankunft im Kaukasus noch nie gesehen hatte — durch die niedrige Tür meiner Erdhütte ein.

Ich komme direkt vom Oberst, antwortete er auf den fragenden Blick, mit dem ich ihm entgegenkam. Morgen rückt unser Bataillon aus. Wohin? fragte ich.

Nach N. N., dort sollen sich die Truppen sammeln.

Und von da wird es gewiss einen Marsch geben.

Wahrscheinlich.

Wohin aber, was glauben Sie?

Was ich glaube? Ich sage Ihnen, was ich weiß. Gestern Nacht kam ein Tatar vom General hergesprengt und brachte den Befehl, das Bataillon solle ausrücken und für zwei Tage Zwieback mitnehmen; wohin es geht, weshalb und wie lange, danach, Freundchen, fragt man nicht; der Befehl ist da, und das genügt.

Wenn aber nur für zwei Tage Zwieback mitgenommen werden soll, so werden wohl auch die Mannschaften nicht länger unterwegs bleiben?

Nun, das will noch gar nichts sagen . . .

Wie denn aber? fragte ich verwundert.

Das ist einmal so! Wir marschierten nach Dargi, für acht Tage nahmen wir Zwieback mit und blieben fast einen Monat dort.

Werde ich mit Ihnen mitgehen dürfen? fragte ich nach einer kurzen Pause.

Dürfen werden Sie schon, aber ich rate Ihnen, gehen Sie lieber nicht mit. Warum sollen Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen? . . .

Nein, Sie müssen mir schon gestatten, Ihrem Rat nicht zu folgen. Ich habe hier einen ganzen Monat ausgehalten, um endlich die Gelegenheit abzuwarten, ein Gefecht mit anzusehen, und nun wollen Sie, dass ich sie vorübergehen lasse.

Bitte, kommen Sie mit; aber, wahrhaftig, ist es nicht gescheiter, Sie bleiben hier? Sie könnten hier abwarten, bis wir wiederkommen, Sie könnten jagen, und wir werden mit Gott ausrücken. Das wäre prächtig! — sagte er in so überzeugendem Tone, dass es mir im ersten Augenblick wirklich so vorkam, als wäre das herrlich; dann sagte ich entschlossen, dass ich um keinen Preis zurückbleibe.

Und was wollen Sie denn dort sehen? fuhr der Kapitän fort mir zuzureden. Sie möchten gern wissen, wie es in einer Schlacht zugeht? Lesen Sie Michajlowski-Danilewskijs „Beschreibung des Kriegs", ein wundervolles Buch! Da ist alles ausführlich beschrieben: wo die einzelnen Korps gestanden haben, wie die Schlachten vor sich gehen.

O nein, das interessiert mich nicht, antwortete ich.

Nun was denn: Sie wollen also, wie es scheint, einfach mit ansehen, wie man Menschen totschlägt? ... Da war hier im Jahre 32 auch so ein Zivilist, ein Spanier war es, glaube ich. Zwei Feldzüge hat er mit uns mitgemacht, in seinem blauen Mäntelchen — schließlich haben sie den Burschen abgemurkst. Hier, Väterchen, wird kein Mensch dich viel bewundern . . .

So peinlich es mir auch war, dass der Kapitän meine Absicht in so hässlichem Sinn auslegte, gab ich mir doch keine Mühe, ihm eine andere Überzeugung beizubringen.

War er tapfer? fragte ich ihn.

Das weiß Gott: er war immer in den ersten Reihen; wo man Gewehrknattern hörte, sah man ihn.

Er muss also wohl tapfer gewesen sein, sagte ich.

Nein, das nennt man nicht tapfer, wenn einer überall herumrennt, wo man ihn nicht braucht…

Was nennen Sie also tapfer?

Tapfer? ... Tapfer? wiederholte der Kapitän, mit der Miene eines Menschen, dem eine solche Frage zum ersten Mal vorgelegt wird: Tapfer ist, wer sich so benimmt, wie sich's gehört, sagte er nach einigem Nachdenken.

Mir fiel ein, dass Plato die Tapferkeit definiert als „die Kenntnis dessen, was man zu fürchten hat und was man nicht zu fürchten hat", und trotz der Allgemeinheit und Unklarheit des Ausdrucks in der Definition des Kapitäns, meinte ich, der Grundgedanke beider sei gar nicht so schlecht, wie es scheinen mochte, ja die Definition des Kapitäns sei sogar richtiger, als die Definition des griechischen Philosophen; denn hätte er sich so auszudrücken verstanden, wie Plato, so würde er sicher gesagt haben: Tapfer ist, wer nur das fürchtet, was man fürchten muss, und nicht das, was man nicht zu fürchten braucht.

Ich hatte Lust, dem Kapitän meinen Gedanken klarzumachen.

Ja, sagte ich, in jeder Gefahr, glaube ich, haben wir eine Wahl, und eine Wahl, die z. B. unter dem Einfluss des Pflichtgefühls getroffen ist, ist Tapferkeit, und eine Wahl, die unter dem Einfluss eines niedrigen Gefühls getroffen ist, ist Feigheit; darum kann man einen Menschen, der aus Eitelkeit, aus Neugier oder aus Habsucht sein Leben aufs Spiel setzt, nicht tapfer nennen, und umgekehrt einen Menschen, der unter dem Einfluss des ehrenwerten Gefühls von Familienpflicht oder einfach der Überzeugung — einer Gefahr aus dem Wege geht, nicht einen Feigling nennen.

Der Kapitän sah mich, während ich sprach, mit einem sonderbaren Blick an.

Ja, das verstehe ich nicht mehr, sagte er und stopfte dabei sein Pfeifchen; aber wir haben hier einen Junker, der philosophiert euch gern. Mit dem müssen Sie sprechen. Er macht auch Verse.

Ich hatte den Kapitän erst im Kaukasus kennen gelernt, aber gekannt hatte ich ihn schon in Russland. Seine Mutter, Maria Iwanowna Chlopowa, war Besitzerin eines kleinen Gütchens, zwei Werst von meiner Besitzung. Vor meiner Abreise nach dem Kaukasus war ich bei ihr gewesen; die Alte war sehr erfreut, dass ich ihren Paschenka (wie sie den alten, grauen Kapitän nannte) aufsuchen wollte und — ein lebendiger Brief — ihm von ihrem Leben und Treiben erzählen und ein Päckchen überbringen konnte. Sie hatte mir einen vorzüglichen Pirogg und Spickgans vorgesetzt, dann ging sie in ihr Schlafzimmer und kam von da mit einem schwarzen, ziemlich großen Heiligenbild zurück, an dem ein Seidenbändchen befestigt war.

Das ist das Bild unserer Mutter Gottes, der Fürsprecherin, vom brennenden Dornbusch, sagte sie, bekreuzte sich, küsste das Bild der Gottesmutter und überreichte es mir: überbringen Sie ihm das, Väterchen. Sehen Sie, als er nach dem Kaukasus ging, habe ich eine Messe lesen lassen und ein Gelübde getan, wenn er gesund und unversehrt bleibt, dieses Mutter-Gottesbild zu bestellen. Nun sind es schon achtzehn Jahre, dass die barmherzige Fürsprecherin und die Heiligen ihn schützen; nicht ein einziges Mal war er verwundet, und in wie viel Schlachten ist er schon gewesen! . . . Wie mir Michajlo, der mit ihm war, zu erzählen anfing, glauben Sie mir, die Haare stehen einem zu Berge; sehen Sie, was ich von ihm weiß, weiß ich alles nur von fremden Leuten, er selbst, mein Täubchen, schreibt nichts von seinen Kriegszügen — er fürchtet mich zu ängstigen.

(Schon im Kaukasus hatte ich erfahren, und zwar nicht von dem Kapitän selbst, dass er viermal schwer verwundet gewesen, und es versteht sich von selbst, dass er über die Verwundungen wie über die Feldzüge nie seiner Mutter ein Wort geschrieben hatte.)

Dieses Heiligenbild soll er nun auf seiner Brust tragen, fuhr sie fort, ich segne ihn damit.

Die heilige Fürsprecherin wird ihn beschützen! Besonders in der Schlacht soll er es immer tragen. Sag's ihm, Väterchen, das lässt dir deine Mutter sagen.

Ich versprach ihren Auftrag pünktlich auszuführen.

Ich weiß, Sie werden ihn liebgewinnen, meinen Paschenka, fuhr die Alte fort, er ist ein so prächtiger Mensch! Wollen Sie glauben, kein Jahr geht vorüber, in dem er mir nicht Geld schickt, und meine Tochter, die Annuschka, unterstützt er auch sehr; und alles nur von seinem Gehalt! Mein ganzes Leben werde ich Gott danken, schloss sie mit Tränen in den Augen, dass er mir ein solches Kind geschenkt hat.

Schreibt er Ihnen oft? fragte ich.

Selten, Väterchen, so einmal im Jahr, wenn er Geld schickt, schreibt er wohl ein Wörtchen, sonst nicht. Wenn ich dir nicht schreibe Mütterchen, sagt er, dann bin ich gesund und munter, und wenn, was Gott verhüte, etwas passiert, so wirst du es auch so erfahren.

Als ich dem Kapitän das Geschenk der Mutter überreichte (es war in meinem Zimmer), bat er mich um Umschlagpapier, hüllte es sorgfältig ein und steckte es in die Tasche. Ich erzählte ihm viel und ausführlich über das Leben seiner Mutter — der Kapitän schwieg. Als ich mit meiner Erzählung zu Ende war, ging er in die Ecke und stopfte auffallend lange sein Pfeifchen.

Ja, eine prächtige Frau! sagte er von dort her mit etwas dumpfer Stimme. Ob's mir Gott noch vergönnt, sie wiederzusehen? In diesen einfachen Worten lag sehr viel Liebe und Sehnsucht.

Warum dienen Sie hier? sagte ich.

Man muss doch dienen, antwortete er mit Überzeugung, für einen armen Teufel wie unsereins will das doppelte Gehalt viel sagen.

Der Kapitän lebte sparsam: Karten spielte er nicht, Wein trank er selten und rauchte einen einfachen Tabak, den er, ich weiß nicht warum, nicht Rauchtabak, sondern sambrotalischen Tabak nannte. Der Kapitän hatte mir schon früher gefallen: er hatte eine von den schlichten, ruhigen, russischen Physiognomien, denen man mit Vergnügen und leicht gerade in die Augen sieht; nach dieser Unterhaltung aber empfand ich vor ihm wahre Hochachtung.

 

II.

 

Am folgenden Tag, um vier Uhr morgens, kam der Kapitän, mich abzuholen. Er trug einen alten, abgetragenen Rock ohne Epauletten, breite Hosen, eine weiße Fellmütze, mit ausgegangenem, gelbgewordenem Schafpelz und einen unansehnlichen, asiatischen Säbel über die Schulter.

Der kleine Schimmel, den er ritt, ging mit gesenktem Kopf in ruhigem Schritt und schlug beständig mit seinem dünnen Schweif um sich. Obgleich in der Erscheinung des guten Kapitäns nicht nur wenig Kriegerisches, sondern auch wenig Schönes lag, sprach aus ihr doch so viel Gleichgültigkeit gegen alles, was ihn umgab, dass sie unwillkürlich Achtung einflößte.

Ich ließ ihn nicht einen Augenblick warten, bestieg sofort mein Pferd, und wir ritten zusammen zum Festungstor hinaus.

Das Bataillon war uns schon 200 Faden voraus und sah wie eine schwarze, kompakte, schwankende Masse aus. Nur daran konnte man erkennen, dass es Infanterie war, dass die Bajonette wie dichte, lange Nadeln zu sehen waren; von Zeit zu Zeit schlugen die Töne eines Soldatenliedes, einer Trommel oder eines prächtigen Tenors aus der sechsten Kompanie, den ich schon oft in der Festung mit Entzücken gehört hatte, an unser Ohr. Der Weg ging mitten durch einen tiefen und breiten Engpass am Ufer eines kleinen Flüsschens entlang, der gerade um diese Zeit „spielte", d. h. über die Ufer trat. Scharen wilder Tauben flatterten um den Fluss: bald setzten sie sich auf das steinige Ufer, bald beschrieben sie in der Luft schnelle Kreise und entschwanden unsern Blicken.

Die Sonne war noch nicht zu sehen, aber der Gipfel der rechten Seite des Engpasses wurde heller und heller. Die grauen und weißlichen Steine, das gelbgrüne Moos, die taubedeckten Sträucher des Kreuzdorns, der Mispel und der Korkulme traten mit außerordentlicher Deutlichkeit und Plastik in dem durchsichtigen, goldigen Licht der aufgehenden Sonne hervor; dagegen war die andere Seite und der Hohlweg in dichten Nebel gehüllt, der in rauchartigen ungleichen Schichten wogte, feucht und düster, und boten ein unbestimmbares Gemisch von Farben: blass lila, fast schwarz, dunkelgrün und weiß.

Dicht vor uns an dem dunklen Azur des Horizonts schimmerten in überraschender Helligkeit die hellweißen, matten Massen der Schneeberge mit ihren wunderlichen, bis in die kleinsten Einzelheiten schönen Schatten und Umrissen. Grillen, Heuschrecken und tausend andere Insekten erwachten im hohen Gras und erfüllten die Luft mit ihrem hellen, ununterbrochenen Klingen: es war, als ob eine zahllose Menge winziger Glöckchen in unsern eigenen Ohren tönte. Die Luft duftete nach Wasser, Gras und Nebel, mit einem Wort, sie duftete nach einem schönen Sommermorgen. Der Kapitän schlug Feuer und zündete sein Pfeifchen an, der Geruch des sambrotalischen Tabaks und des Zunders kam mir außerordentlich angenehm vor.

Wir ritten neben dem Weg einher, um die Infanterie schneller einzuholen. Der Kapitän schien nachdenklicher als gewöhnlich, ließ sein daghestanisches Pfeifchen nicht aus dem Mund und stieß bei jedem Schritt mit den Fersen sein Pferd an, das, von einer Seite auf die andere schwankend, eine kaum merkliche, dunkelgrüne Spur in dem feuchten, hohen Grase zurückließ. Unter seinen Füßen flog mit Gackern und mit dem Flügelschlag, bei dem der Jäger unwillkürlich zusammenzuckt, ein Fasan auf und stieg langsam in die Höhe. Der Kapitän schenkte ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit.

Wir hatten das Bataillon beinahe schon eingeholt, als hinter uns der Hufschlag eines heransprengenden Pferdes hörbar wurde, und in demselben Augenblick sprengte ein sehr hübscher, junger Bursche in Offiziersuniform und in einer hohen, weißen Fellmütze vorüber. Als er uns erreicht hatte, lächelte er, nickte dem Kapitän zu und schwang sein Peitschchen ... Ich hatte Zeit zu bemerken, dass er mit besonderer Anmut im Sattel saß und die Zügel hielt, und dass er schöne, schwarze Augen, eine feine Nase und ein eben sprossendes Schnurrbärtchen hatte. Besonders hatte mir an ihm gefallen, dass er das Lächeln nicht hatte unterdrücken können, nachdem er gesehen, dass wir Freude an seinem Anblick hatten. Aus diesem Lächeln allein hätte man schon schließen können, dass er noch sehr jung war.

Wohin eilt er? brummte der Kapitän mit mürrischer Miene, ohne den Tschibuck aus dem Munde zu nehmen.

Wer ist das? fragte ich.

Der Fähnrich Alanin, ein Subaltern-Offizier meiner Kompanie ... Er ist erst im vorigen Monat aus dem Kadettenkorps hierher gekommen.

Er geht gewiss zum ersten Mal in eine Schlacht? sagte ich.

Darum ist er auch so glücklich ... — antwortete der Kapitän, tiefsinnig den Kopf wiegend. O, die Jugend!

Warum sollte er denn nicht froh sein? Ich kann mir wohl denken, dass das für einen jungen Mann sehr interessant sein muss.

Der Kapitän schwieg einige Minuten.

Ja, ja, ich sage: die Jugend! fuhr er in tiefem Ton fort, wie kann man sich freuen, ehe man noch etwas gesehen hat? Wenn du erst öfter ins Feld gezogen bist, wirst du dich nicht mehr freuen. Wir sind jetzt, sagen wir, zwanzig Offiziere, einer oder der andere fällt oder wird verwundet, das ist gewiss. Heut gilt es mir, morgen gilt es dir, übermorgen einem dritten: was gibt es da für einen Grund zur Freude?

 

III.

 

Die helle Sonne war kaum hinter dem Berge hervorgekommen und ergoss ihr Licht in das Tal, durch das wir zogen, die wogenden Nebelwolken zerstreuten sich, und es wurde heiß. Die Soldaten marschierten mit ihren Gewehren und Säbeln auf dem Rücken langsam die staubige Straße dahin, in den Reihen hörte man von Zeit zu Zeit ein Gespräch in kleinrussischer Mundart und Gelächter. Einige alte Soldaten in weißen Kitteln, — meist Unteroffiziere —, gingen neben dem Wege, mit dem Pfeifchen im Munde, und plauderten ruhig. Vollgepackte, dreispännige Fuhren bewegten sich Schritt für Schritt vorwärts und wirbelten den dichten, schwerfälligen Staub auf. Die Offiziere ritten voran: die einen schlugen das Pferd mit der Peitsche und ließen es vier, fünf Sprünge machen, dann parierten sie es auf der Stelle und schwenkten den Kopf nach rückwärts. Die anderen schenkten den Spielleuten ihre Aufmerksamkeit, die trotz Glut und Stickluft unermüdlich ein Lied nach dem anderen spielten.

Gegen 100 Faden vor der Infanterie ritt auf einem großen Schimmel neben den berittenen Tararen ein schlanker und schöner Offizier in asiatischer Tracht; er war im ganzen Regiment wegen seiner tollkühnen Tapferkeit bekannt und als ein Mann, „der jedem die Wahrheit in die Augen wirft". Er trug ein schwarzes Beschmet mit Silberborte, ebensolche Beinkleider, neue, eng an den Füßen anliegende Stiefel mit Tschirasen (Talons), einen gelben Tscherkessenrock und eine hohe nach hinten eingedrückte Fellmütze. Über Brust und Rücken liefen silberne Borten, daran hingen auf dem Rücken Pulverhorn und Pistole; eine zweite Pistole und ein Dolchmesser in silberner Scheide hingen am Gürtel. Über der Kleidung war sein Säbel in schöner Saffianscheide mit Silberbesatz umgürtet, über die Schultern hing die Windbüchse in schwarzem Überzug. Aus seiner Tracht, seiner Haltung und aus seinem ganzen Gebühren, überhaupt an allen seinen Bewegungen war ersichtlich, dass er sich Mühe gab, wie ein Tatar auszusehen.

Er sprach auch mit den Tataren, die neben ihm ritten, in einer mir unbekannten Sprache; aber an den verwunderten, spöttischen Blicken, die diese letzteren einander zuwarfen, glaubte ich zu erkennen, dass sie ihn nicht verstanden. Es war einer von unseren jungen Offizieren, einer der kühnen Ritter und Dshigiten, die sich an dem Muster von Marlinskij und Lermontow schulen. Diese Leute sehen den Kaukasus nur durch das Prisma der Helden unserer Zeit und lassen sich in allen ihren Handlungen nicht von den eigenen Neigungen leiten, sondern von dem Beispiel dieser Vorbilder.

Der Leutnant z. B. war vielleicht gern in Gesellschaft anständiger Frauen und ernster Männer: Generale, Obersten, Adjutanten — ja, ich bin überzeugt, dass er sehr gern in solcher Gesellschaft war, denn er war im höchsten Grad eitel; aber er hielt es für seine unbedingte Pflicht, allen ernsten Männern seine raue Seite zuzukehren, wenn er auch in seiner Derbheit sehr maßvoll war; und ließ sich eine Dame in der Festung sehen, so hielt er es für seine Pflicht, mit seinen Kameraden bloß in einem roten Hemd und mit Fußlappen an den nackten Beinen an ihrem Fenster vorüberzugehen und so laut als möglich zu schreien und zu schelten, weniger in der Absicht, sie zu kränken, als in der Absicht, zu zeigen, was er für schöne weiße Füße habe, und wie man sich in ihn verlieben könnte, wenn er das nur wollte. Oder er zog häufig mit zwei, drei russenfreundlichen Tataren ganze Nächte in die Berge und lagerte am Weg, um den feindlichen Tataren, die vorüberkamen, aufzulauern und sie zu töten; und obgleich ihm sein Herz oft genug sagte, dass darin nichts Heldenhaftes liege, hielt er sich für verpflichtet, den Menschen Leid zuzufügen, die ihm, wie er meinte, Enttäuschungen bereitet, und die er verachtete und hasste. Zwei Dinge legte er nie ab: ein ungeheures Heiligenbild, das er um den Hals trug, und das Dolchmesser, das über dem Hemd hing, und mit dem er sich auch zu Bett legte. Er war aufrichtig davon überzeugt, dass er Feinde habe. Sich selbst zu überzeugen, dass er an jemandem Rache zu nehmen und mit Blut eine Beleidigung zu sühnen habe, war für ihn der höchste Genuss. Er war überzeugt, dass die Gefühle des Hasses, der Rache und der Verachtung des Menschengeschlechts die erhebendsten poetischen Gefühle seien. Seine Geliebte aber, — natürlich eine Tscherkessin — mit der ich später zufällig zusammentraf, erzählte, er sei der beste und sanfteste Mensch, und er schreibe jeden Abend seine düsteren Aufzeichnungen nieder, trage auf Rechnungspapier seine Ausgaben und Einnahmen ein und knie jeden Abend zum Gebet nieder. Und wie viel hatte er gelitten, nur um vor sich selbst als das zu erscheinen, was er sein wollte, weil seine Kameraden und die Soldaten ihn nicht verstehen konnten, wie er gern verstanden sein mochte! Einst auf einem seiner nächtlichen Straßenstreifzüge mit den Genossen, verwundete er mit einer Kugel einen feindlichen Tschetschenen am Fuß und nahm ihn gefangen. Dieser Tschetschene lebte dann sieben Wochen bei dem Leutnant, er behandelte ihn, pflegte ihn wie seinen besten Freund, und als er geheilt war, entließ er ihn mit Geschenken. Später einmal, während eines Kriegszugs, als der Leutnant mit der Vorpostenkette zurückwich und sich gegen den Feind durch Schießen verteidigte, hörte er aus den Reihen der Feinde seinen Namen rufen, und sein verwundeter Freund kam hervor geritten und forderte den Leutnant durch Gebärden auf, dasselbe zu tun. Der Leutnant ritt zu seinem Kunak (Freunde) heran und drückte ihm die Hand. Die Bergbewohner standen in der Nähe und schossen nicht; als aber der Leutnant sein Pferd umwandte, schossen mehrere Mann auf ihn, und eine Kugel streifte ihn unterhalb des Rückens. Ein andermal habe ich selbst gesehen, wie in der Festung zur Nacht Feuer ausbrach. Zwei Kompanien Soldaten waren mit dem Löschen beschäftigt, plötzlich erschien mitten in der Menge, beleuchtet von dem Purpurschein des Brandes, die hohe Gestalt eines Mannes auf einem Rappen. Die Gestalt drängte die Menge auseinander und ritt mitten auf das Feuer zu. Als der Leutnant ganz nahe herangekommen war, sprang er vom Pferd und stürzte in das Haus, das von einer Seite lichterloh brannte. Fünf Minuten später kam der Leutnant mit versengten Haaren und mit angebranntem Ellbogen zurück und trug zwei Tauben unter der Achsel, die er aus den Flammen gerettet hatte.