Keimzelle Krankenhaus. NRZ-Ausgabe - Klaus Brandt - E-Book

Keimzelle Krankenhaus. NRZ-Ausgabe E-Book

Klaus Brandt

0,0

  • Herausgeber: Klartext
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Lebensgefahr im Krankenhaus: Killerkeime wie MRSA und VRE töten Zehntausende von Patienten in deutschen Kliniken. Die meisten dieser Tragödien wären vermeidbar. Doch statt Bakterien durch konsequente Hygiene zu stoppen, werden Keimausbrüche mit Todesopfern vor der Öffentlichkeit verheimlicht. Verschwundene Akten, verschwiegene Infektionen, verschleiernde Behörden - eine Recherche zu den Hintergründen und den Folgen katastrophaler Zustände in Krankenhäusern, die man vielleicht in der Dritten Welt erwartet hätte, aber nicht in Deutschland.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 203

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



KEIMZELLE KRANKENHAUS

Killerbakterien wie MRSA und VRE führen zu immer neuen Todesfällen und dramatischen Schicksalen in deutschen Kliniken, wie Beispiele aus Nordrhein-Westfalen zeigen. Dabei sind viele Katastrophen vermeidbar.

– Protokoll einer Recherche –

Von Klaus Brandt

Von Keimen zerfressener Brustkorb des Patienten Bernd Z. nach einer MRSA-Infektion im Universitätsklinikum Essen.

Die Wegbereiter dieser Recherche sind tot. Sie liegen begraben auf Friedhöfen im Duisburger Norden. Wie viele es sind, wissen wir nicht. Der Hinweis, der uns auf ihre Spur brachte, kam von einer Pastorin. Sie berichtete von ungewöhnlichen Sterbefällen in ihrem Sprengel. 

Im Anschluss daran beginnt für uns eine Recherche, die tief in das System Krankenhaus führt. In den kommenden Monaten lernen wir, wie erbittert Kliniken und Behörden mauern, wenn es um die Probleme bei der Versorgung der Schwächsten, Kranken und Alten geht. Wir erfahren, wie vielleicht Tausende vermeidbare Todesfälle hingenommen werden wie schlechtes Wetter. Die Rede ist am Ende von insgesamt 40.000 Toten durch die Killerkeime. Wir sehen, wie es um die Sauberkeit in Kliniken bestellt ist.

DER TIPP

Auffallend viele plötzliche Todesfälle machten eine Duisburger Pastorin misstrauisch. „Bitte gehen Sie der Sache nach.“ Foto: Jakob Studnar/WAZ FotoPool

Die Pastorin aus Duisburg erzählt von einem Verdacht. Häufig halte sie Trauerreden an Gräbern von Menschen, die kurz zuvor noch sehr lebendig gewirkt hätten. Auffallend sei: Die Verstorbenen seien alle zuvor im Duisburger Helios-Klinikum St. Johannes behandelt worden. Irgendetwas stimme da wohl nicht. Hinterbliebene stünden vor einem Rätsel.

Die Pastorin sagt, einige Todesfälle in diesem Krankenhaus seien ungeklärt. „Viele Menschen wissen nicht, warum sie ihre Angehörigen dort verloren haben.“ In der Gemeinde rumore es. Krankenhauskeime hätten die Todesfälle verursacht, heiße es. Bestimmte Klinikbereiche seien regelrecht verseucht. Intensivstation und Innere Medizin sollen die gefährlichsten Abteilungen sein. Die hygienischen Verhältnisse dort seien katastrophal, hätten Augenzeugen berichtet. Davon wisse nicht nur sie. „Auch Kollegen von mir haben Schlimmes darüber gehört“, sagt die Pastorin. „Bitte gehen Sie der Sache nach. Aber behutsam und vorsichtig. Viele Leute haben Angst“.

An dieser Stelle ist klar: Es geht um zweierlei. Zuallererst um Menschen. Und dann um Zahlen.

Wir müssen versuchen, Betroffene zu finden. Was ist da los? Gab es diese Todesfälle? Wenn ja: Worauf beruhten sie? Waren tödliche Keime im Spiel? Gab es wirklich diese Häufung von  Krankheitserregern im Helios-Klinikum St. Johannes? Und wenn ja: warum? Zugleich brauchen wir Daten. Zahlen, die veranschaulichen, was in St. Johannes los ist. Und Vergleichsdaten anderer Krankenhäuser, um einzuordnen und zu bewerten, ob die Helios-Klinik St. Johannes aus dem Raster fällt. Und wenn ja: in welche Richtung, in welcher Größenordnung. Dazu benötigen wir auch Zahlen aus den anderen Duisburger Krankenhäusern. Ebenso landesweite Zahlen aus den Kliniken in Nordrhein-Westfalen.

Wir bilden zunächst ein vierköpfiges Recherche-Team und teilen uns auf: Daniel Drepper sichtet Patientenforen nach Inhalten und potentiellen Informanten. Benedict Wermter knüpft direkte Kontakte in die Helios-Belegschaft. Haluka Maier-Borst besorgt Datenmaterial und wertet es journalistisch aus. Ich spreche mit Betroffenen und versuche, Dokumente zu beschaffen, von Patienten, Angehörigen, Hinterbliebenen von Keimopfern.

DIE MENSCHEN

„Wir bedauern den tragischen Verlauf“: Rainer F. war von sieben Keimen befallen. Im Bericht der Helios-Ärzte fehlen die letzten Lebenstage. Auch der Sturz aus dem Intensivbett.

Einige Leute, die selbst in der Duisburger Helios-Klinik gelegen oder einen Angehörigen dort liegen hatten, wollen reden, aber nicht öffentlich in Erscheinung treten. „Helios ist ein großer Konzern, mit viel Geld. Damit legen wir uns nicht an“, sagt eine Frau, deren Mann in St. Johannes gestorben ist. Als sie ihn kurz vor seinem Tod besucht, greift sie sie beim Öffnen der Zimmertür auf eine blutverschmierte Türklinke. Ein Schock. „Sie glauben nicht, wie ekelhaft das war“, sagt sie. In der Zeitung soll diese Begebenheit nicht stehen. Die Frau will anonym bleiben. Aber sie kennt andere Leute, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben sollen. „Vielleicht sagen die was.“

Meine Kontaktkette entwickelt sich. Ein wichtiges Stück ist die Telefonnummer von Monique Müller. Ihr Vater ist in der Helios-Klinik St. Johannes gestorben. Das erste Telefonat mit der jungen Frau macht mir Hoffnung. Starke Stimme, klare Worte, deutliche Meinung. Mein Eindruck: Eine wie sie könnte den Willen, die Kraft und die Entschlossenheit haben, die nötig sind, um ein persönliches Schicksal ans Tageslicht zu bringen. Auch wenn es wehtut.

An einem warmen Sommertag fahre ich nach Duisburg. Eine Siedlung in Meiderich: viel Grün zwischen grauen Fassaden. Eine muntere Kinderkulisse schallt aus der Wohnung. Der Händedruck von Monique Müller ist wie ihre Stimme: kräftig. Die Endzwanzigerin wirkt auf Anhieb geradeheraus. In der Küche sitzt ihre Mutter. Sie ist zarter, zerbrechlicher: Klaudia F., Anfang 50, trauert um ihren Mann. Ein Bild von ihm steht auf der Arbeitsplatte. „Opa“, sagt der größere der beiden kleinen Jungen, die zwischen uns herumtollen und zeigt auf den Mann auf dem Foto.

Rainer F. ist der Fixpunkt dieser Familie gewesen. Dass er schwer krank war, dass er auch sterben konnte, das haben seine Angehörigen an dem Tag akzeptiert, als er ins Krankenhaus kam. Wie er dann dort starb, unter welchen Umständen – das akzeptieren sie nicht.

Auch nicht den Bericht der behandelnden Helios-Ärzte. Die Familie zeigt ihn mir. In dem Bericht steht, dass Rainer F. sieben verschiedene Keime in seinem Körper hatte. In seinem Blut schwammen die lebensgefährlichen Bakterien MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus)und VRE (Vancomycin-resistente Enterokokken).

Dass Rainer F. am Tage vor seinem Tod aus dem Bett gefallen ist, auf der Intensivstation, das steht nicht im Arztbericht. Auch deshalb glaubt die Familie den offiziellen Angaben nicht.

„Wir bedauern den tragischen Verlauf“, heißt es in dem Bericht. Und: Für weitere Fragen stehe Helios „selbstverständlich jederzeit zur Verfügung“.

DIE KLINIK

Ich klicke mich durch die virtuelle Helios-Welt. Was der Konzern im Internet bietet, sieht gut aus. Die Häuser, Abteilungen, Stationen, auch viele Menschen auf den Bildern – alle schön. Im Hygiene-Portal stehen Fotos, die den Standard im Krankenhaus darstellen sollen. Da desinfizieren sich Ärzte, Pfleger und Schwestern die Hände; sie tragen Schutzkittel, Mund-Nasen-Schutz, Kopfhaube. Die suggestive Botschaft: Hier sind Profis am Werk. Hier sind sie gut aufgehoben. Wir tun alles für Ihre Sicherheit und Gesundheit. Hygiene, Betreuung, Pflege, Zuwendung, Vertrauen, Offenheit und Transparenz sind in der Helios-Netzpräsentation eine Sache der Selbstverständlichkeit. Wie realitätsnah ist dieser Anspruch? Wie sieht es hinter der Hochglanzfassade aus?

Das gucken wir uns an. Dazu schleusen wir einen jungen Kollegen ins Klinikum St. Johannes ein. Er suche das passende Krankenhaus für eine Operation, die bei seiner Großmutter anstehe, sagt er. Er schaut sich die Stationen 11, 12, 13, 17 und 18 an: Intensivstationen, Kardiologie, Chirurgie. Hier die Eindrücke, die unser Mitarbeiter als Augenzeuge bei Helios aufgeschrieben hat:

Schon vor dem Betreten der Klinik wird der Unterschied zum Internetauftritt deutlich: Alles nur Fassade – und zwar alte, heruntergekommene. Die durch Schmutz der umliegenden Fabriken geschwängerte, saure Luft umgibt die Einrichtung, während in der Einfahrt im Hinterhof in grün gekleidete Schwestern auf einem Mäuerchen sitzend rauchen. Ein Leichenwagen fährt vorbei.

Wenn man das Gebäude umläuft, verliert man schnell die Orientierung, so groß und verwinkelt sind Trakte, Gänge und Hinterhöfe. Vor dem Eingang der Klinik stehen die ersten Patienten – in der einen Hand das tragbare Infusionsgerät, in der anderen die Zigarette. Hinter dem Haupteingang wird man von fahlem Licht und kaltem Kaffeegeruch empfangen. Es herrscht reges Treiben: Patienten schreiten vor sich hin, Angehörige warten, Schlangen bilden sich vor dem Empfang und der Notaufnahme, in blau gekleidete Mitarbeiter schieben einen operierten Patienten in den Aufzug. Der ältere Herr klagt über Schmerzen, nachdem das Bett angestoßen wurde. Man hat es eilig.

Das Gebäude scheint unendlich weitläufig zu sein. In den engen, schwülen Kellergängen riecht es nach Kochwäsche; unzählige, leere Betten und Rollstühle reihen sich an den Rändern der Gänge auf. Die Stationen sind allesamt voll belegt: Ärzte, Schwestern und Helfer sowie zahlreiche Patienten laufen umher bzw. sitzen in Warteräumen oder liegen in Betten an den Gangrändern. Man bietet mir Hilfe an, ich sehe offenbar verloren oder bedürftig aus.

Auf dem Weg zu Station 12 fällt auf, wie rückständig und verlassen die Klinik erscheint: Die Gänge sind mit alten Kacheln gefliest, viele davon mussten offenbar nach Schäden ersetzt werden. Die Tapeten sind alles andere als weiß. Es wurden Bilder auf- und wieder abgehängt, die, die noch hängen, haben schwarze Ränder und sind von Spinnweben umgeben. Eine verstaubte Kirchenfigur lädt ein in den denkmalgeschützten Trakt der Klinik, hier wird es dunkel und hässlich. Ordnung und Sauberkeit sehen jedenfalls anders aus.

Über die geschlossene Station 13 gelangt man auf die Intensivstationen 12 und 11. Bevor man eintritt, der Hinweis auf notwendige Hygienemaßnahmen. Auf dem linksgekrümmten Gang geht es völlig chaotisch zu: Benutzte Utensilien zur Nahrungsaufnahme und entsprechende Reste häufen sich auf einem Beistellwagen an, benutzte und bereits abgezogene Betten kreuz und quer, Desinfizierungsmaterialien und Handschuhe liegen auf kleinen Wägelchen, die so im Gang stehen, dass sie zum Stolpern einladen. Schwestern mit und ohne Mundschutz kommen mir entgegen – auf Nachfrage, wo diese oder jene andere Station sei, zeigen sich jedoch alle hilfsbereit und freundlich.

Meine Blicke schweifen durch die vielen halb geöffneten Türen in Krankenzimmer und Arbeitsräume. Kranke mit weit geöffneten Mündern und geschlossenen Augen sind zu sehen, durch Kabel und Schläuche am Leben erhalten. In einem anderen Zimmer wird wieder reines Bett gemacht: Eine Mitarbeiterin schrubbt die plastikbezogene Matratze sauber. Die Arbeitsräume sind hoffnungslos chaotisch. Hier fliegt alles umher an Unterlagen und Ordnern, Kaffeetassen und Arbeitsmaterialien. Auf Nachfragen antwortet man allerdings gerne und auch ausführlich, auch im Umgang mit den Kranken gibt sich das Personal nett.

Wenn hier die Todesstation ist, wie einige ehemalige Patienten beklagen, so wird dieser Eindruck durch das Gesehene bestätigt. Hier wird die kranke Masse abgefertigt, hier gibt es Probleme, Desorganisation und Mangel an Ressourcen.

Die Führung endet mit einer ungewollten Schlusspointe. Die Dame, die unserem Mann das Klinikum St. Johannes zeigt, empfiehlt ihm nach dem Rundgang, „besser nie krank zu werden“ – und wenn, für eine private Versicherung zu sorgen. Unser Mitarbeiter ist irritiert. Nein, sagt die Frau, das habe „nichts mit dieser Klinik zu tun, sondern generell mit dem Krankenhaussystem“.

DIE ANGESTELLTEN 

„Die Lage ist katastrophal.“ Helios-Klinikum St. Johannes in Duisburg. Foto: Ralf Rottmann/WAZ FotoPool

Erste Gespräche mit Beschäftigten aus dem Klinikum St. Johannes offenbaren eine große innere Anspannung in Teilen der Belegschaft. Vor mir sitzen keine motivierten, dynamischen Menschen, sondern ausgezehrte, frustrierte Menschen. Sie berichten von schlimmen Zuständen. Die Angaben sind sehr konkret. Und sie decken sich mit vielen Erlebnissen, die Patienten, Besucher und Angehörige geschildert haben. Demnach wäre Hygiene kein Aushängeschild, sondern ein Fremdwort – zumindest in diesem Helios-Klinikum.

Wir wissen, dass St. Johannes schon optisch einen harten Kontrastpunkt zu den hübschen Impressionen im Netz setzt. Es gibt gute historische Bausubstanz. Und es gibt diesen alten Backsteinbau. Wir können uns nicht von jeder Abteilung ein Bild machen, aber was wir sehen, sieht nicht gut aus. Und was wir hören, klingt schlimm. Besucher erzählen von feuchten Flecken an Decken und Wänden, von Stockflecken und Schimmelpilz, schmutzigen Ecken auf Stationen, Krankenzimmern und Toiletten. Klinikbeschäftigte bestätigen diese Zustände. Angehörige berichten von Krankenschwestern, die erst Zigaretten rauchen, dann ohne Mundschutz und Kittel an die Betten auf der Intensivstation eilen und Schwerstkranke versorgen. Besucher, so heißt es, müssten sich komplett mit Schutzkleidung vermummen, für das Personal gelte das nicht. Auch nicht für den Pizza-Service. Der fliegende Bote bringe das Essen stets in voller Straßenmontur direkt auf die Station, bei entsprechender Bestellung auch auf die Intensivstation.

„Die Lage ist katastrophal“, sagt mir eine Pflegerin. „Wir haben viel zu wenig Personal. Die Hygiene-Richtlinien werden nicht eingehalten. Das kann keiner schaffen. Dazu ist die Belastung einfach zu groß.“ Angesichts des Personalmangels kämen die Pflegekräfte zu nichts. „Das sieht man dann auch an den Patienten.“

Die Liste meiner Informanten wird länger. Dabei entstehen immer mehr Kontakte direkt in die Klinik. Ich telefoniere mit Angestellten und versuche, Vertrauen aufzubauen. Das ist schwierig, denn die Angst sitzt vielen im Nacken. Ein Mitglied des Betriebsrates erzählt, dass sie ihren Freunden und Bekannten schon lange von dem Krankenhaus abrate, in dem sie arbeitet. Personal sei knapp, der Druck auf die Beschäftigten höllisch, das Pensum für die Putzkolonnen derart hoch, dass unterm Strich keine ordentliche Reinigung möglich sei. Wir vereinbaren ein Treffen. Doch kurz davor kommt die Absage. Das sei zu riskant, sagt die Gewerkschafterin. Sie könne das nicht machen. „Ich werde nichts tun, was meinen Arbeitsplatz oder irgendeinen anderen Arbeitsplatz gefährdet.“ Der zuständige Betreuungssekretär der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft in Duisburg bestätigt die Nöte und Sorgen der Helios-Belegschaft. „Die haben alle Angst“, sagt er.

Drohungen stünden im Raum, sagt ein Pfleger. Er zeigt mir das Motiv eines Bildschirmschoners, den Helios auf vielen Stationen installiert habe: „Das ist eine Patientenumfrage. Die Ergebnisse sind mies. Der Bildschirmschoner führt jedem von uns immer vor Augen, wie schlecht er eigentlich ist. Dabei sind wir einfach nur zu wenige. Das ist demütigend.“ Der Pfleger berichtet von einem Klima des Misstrauens, das Helios schüre. „Es gibt heimliche Inspektionen, bei denen Fotos geschossen werden, die nachher an die Stationsleitung verschickt werden – verbunden mit der Androhung von Konsequenzen.“

Eines Tages finde ich eine anonyme Botschaft in meinem Mail-Eingang. Der Absender: „Duckface“. Unter diesem Decknamen bietet mir eine unbekannte Person Informationen zu Helios an. Nun sind verschlüsselte Vorstöße grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Quellen, die im Verborgenen bleiben wollen, kommen vor – gerade bei Hinweisen, die von großer Tragweite sind. Informanten fürchten Konsequenzen für den Fall, dass sie auffliegen. Die Angst um den Arbeitsplatz hält einige meiner Kontaktpersonen in der Anonymität. „Duckface“ allerdings bietet zumindest eine Mobilfunkverbindung an, unter der er – oder sie? – erreichbar sei. Ich wähle diese Handynummer. Am anderen Ende: eine männliche Stimme. Ich taste mich vorsichtig heran und frage dann, wer denn da was anzubieten habe. Eine Antwort bekomme ich nicht. Eine Information zu Helios auch nicht. Stattdessen den Eindruck: Der Mann am Telefon hat nichts für mich. Er will etwas von mir. Hier läuft offenbar ein Versuch, mich auszuhorchen. Ich sei ja wohl schon länger an Helios dran, schwadroniert der Anonymus und fragt nach meinem aktuellen Erkenntnisstand. Wir könnten über vieles reden, entgegne ich, aber grundsätzlich habe man mir doch Informationen angeboten, und keine Fragen, oder? So geht es hin und her, bis sich herausstellt, wer sich da anpirscht. Es ist kein Informant. Ich habe einen Helios-Mann am Apparat. Den Pressesprecher. Hinter „Duckface“, dem Entengesicht, versteckt sich Felix Lennertz, Leiter für Kommunikation und Marketing des Helios Klinikums Duisburg. „Warum die Tarnung?“, frage ich ihn. Das ist „Duckface“ nun hörbar unangenehm. Er druckst herum. „Ähm…“ – ob er etwas für mich tun könne, habe er fragen wollen. „Später bestimmt“, sage ich. „Ich komme dann auf Sie zu.“

DER MRSA-KEIM

MRSA-Keimkultur: Der Träger merkt erst einmal nichts. Foto: Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

Ich will verstehen, was so gefährlich ist am Erreger MRSA. Ich mache mich schlau. Ich stelle elf Fragen und und bekomme elf Antworten rund um das Bakterium.

Was ist MRSA?

MRSA ist eine Abkürzung und steht für Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus. MRSA-Bakterien gleichen von ihrem Erscheinungsbild und ihren Eigenschaften anderen Staphylococcus-aureus-Keimen. Der einzige Unterschied ist die Fähigkeit der MRSA-Erreger, gegen viele Antibiotika unempfindlich, also resistent zu sein.

Wie verbreitet sich MRSA?

MRSA-Bakterien können natürlicherweise im Rachen und auf der Nasenschleimhaut des Menschen leben. Da der Mensch täglich unzählige Male die Hände am oder im Mund hat, kann der Keim im alltäglichen Leben über den normalen Handkontakt oder per Tröpfchen weitergegeben werden. Die Flora von gesunden Personen kann oft zusammen mit dem Immunsystem die MRSA-Bakterien wieder verdrängen. Liegen allerdings bestimmte Risikofaktoren wie z.B.  chronische Hauterkrankungen, eine Operations- oder andere Wunden oder ein geschwächtes Immunsystem vor, kann sich der MRSA dauerhaft auf der Haut- oder Schleimhaut festsetzen und gegebenenfalls eine Infektion auslösen.

Typisch für MRSA im Krankenhaus oder Altenheim ist die Übertragung durch die Hände von MRSA-besiedelten Personen wie Pflegepersonal. Aber auch kontaminierte Gegenstände (wie Katheter, Atemschläuche, Versorgungsschläuche von medizinischen Geräten) oder Flüssigkeiten (Leitungswasser) können MRSA übertragen, da die Bakterien verschiedenen Oberflächen sehr gut anhaften.

Wie merke ich, ob ich MRSA habe?

Im Normalfall merken Sie – gar nichts! Circa 30 Prozent der Bevölkerung tragen den Staphylococcus aureus auf der Haut und normalerweise verursachen diese Bakterien keine Infektion. Von diesen 30 Prozent sind ca. 20 Prozent ein MRSA. Eine Besiedelung mit MRSA macht keine Beschwerden. Um feststellen zu können, ob jemand ein MRSA-Träger ist oder ob eine Infektion durch MRSA verursacht wurde, muss ein Abstrich von der Nase, vom Rachen oder zum Beispiel von Wunden der Person genommen werden. Dieser Abstrich wird im Labor auf MRSA getestet.

Was bedeutet eine MRSA-Kolonisation, was eine MRSA-Infektion?

Die bloße Besiedelung mit diesem Bakterium ist kein Problem für Sie. Es besteht jedoch das Risiko, dass diese Bakterien von Ihrer Haut oder Nasenschleimhaut in eine Wunde und darüber in Ihren Körper gelangen. Dabei kann es zu einer Infektion durch MRSA kommen. Ebenso ist es möglich, dass diese Bakterien auch auf andere Personen (Krankenhauspatienten und Personen mit vorgeschädigter Haut) übertragen werden und dort Infektionen verursachen.

Wie gefährlich sind MRSA-Infektionen für 18-Jährige, 48-Jährige, 78-Jährige?

Ob eine Lungenentzündung, Wundinfektion oder Blaseninfektion gefährlich ist, hat nichts mit dem Alter, sondern nur mit der persönlichen Immunsituation zu tun. Eine Blutvergiftung ist immer lebensbedrohlich. Im Allgemeinen haben Menschen mit MRSA-Risikofaktoren (zum Beispiel geschwächtes Immunsystem, chronische Wunden, Katheter) ein erhöhtes Risiko für eine MRSA-Infektion. Aufgrund der vorhandenen Antibiotika-Resistenzen sind MRSA-Infektionen (insbesondere bei einer Blutvergiftung) sehr viel schwieriger mit Medikamenten zu behandeln, sodass die Erkrankung sogar einen lebensgefährlichen Verlauf nehmen kann. Ansonsten gibt es keine Unterschiede für die Altersgruppen.

Was muss mein Arzt tun, wenn ich MRSA habe?

Ärzte und Pflegende in der ambulanten Versorgung, Mitarbeiter von Alten- und Pflegeheimen und Behinderteneinrichtungen sowie die von Rettungs- und Transportdiensten müssen sich auf den Umgang mit MRSA-Trägern einstellen. Der behandelnde Arzt muss sicherstellen, dass MRSA nicht von einem Patienten zum nächsten übertragen wird. In der Arztpraxis stehen vor allem die Fortbildung des Praxispersonals zum richtigen Umgang mit MRSA-Patienten, die Praxislogistik (direkte Einbestellung der Patienten) und das Einhalten der Standardhygienemaßnahmen wie Händedesinfektion im Vordergrund. So gilt beispielsweise auch für den niedergelassenen Arzt, sich vor und nach dem Kontakt mit dem Patienten die Hände zu desinfizieren.

Was muss das Krankenhaus tun, wenn ich MRSA habe?

Im Krankenhaus sind zum Schutz aller Patienten und um eine Weiterverbreitung zu vermeiden strengste Hygienemaßnahmen notwendig. Die von der RKI-Kommission empfohlenen Hygienemaßnahmen (www.rki.de) müssen von allen Kliniken umgesetzt werden. Dies hat der Gesetzgeber in § 23 des Infektionsschutzgesetzes festgelegt. Im Falle einer MRSA-Besiedelung oder -infektion werden durch das Hygienepersonal des Krankenhauses Isoliermaßnahmen durchgeführt.

Dazu gehört immer ein Einzelzimmer mit eigener Nasszelle. Das Personal und Besucher müssen vor dem Betreten des Patientenzimmers eine hygienische Händedesinfektion durchführen und Schutzkleidung (Haarschutz, Schutzkittel, Einmalhandschuhe und Mund-Nasen-Schutz) anlegen.

Um den Patienten von MRSA zu befreien sind die Sanierungsmaßnahmen sorgfältigst durchzuführen. Da die Krankheitserreger meist in der Nase, auf der Haut und an den Haaren zu finden sind, wird die Nase einige Tage mit einer speziellen Nasensalbe behandelt. Körper und Haare werden desinfizierend gewaschen. Deshalb sollen Sie nicht Ihre eigene Seife benutzen, sondern die Präparate, die Ihnen auf Station zur Verfügung gestellt werden. Sie erhalten auf der Station eine entsprechende Aufklärung und ein Patienten-Informationsblatt, das die entsprechenden Anweisungen enthält.

Was muss ich tun, um andere nicht mit MRSA anzustecken?

Um eine Übertragung und Weiterverbreitung des MRSA innerhalb des Krankenhauses und auf andere Krankenhauspatienten zu verhindern, ist es erforderlich, dass Sie die Anweisungen beachten und die Schutzmaßnahmen einhalten.

Die Isolation macht erforderlich, dass Sie das Zimmer nicht verlassen dürfen.

Bitte erschrecken Sie nicht, wenn alle Besucher, Schwestern, Ärzte usw. mit Mundschutz und im Kittel zu Ihnen kommen und sich nach Kontakt mit Ihnen die Hände desinfizieren!

Bitte wundern Sie sich nicht, wenn Sie selbst „verkleidet“ durch das Haus transportiert werden und die Visite oder das Essen möglicherweise etwas später kommen. Sobald MRSA bei Ihnen nicht mehr nachweisbar ist, wird die Isolationspflege aufgehoben, und Sie können sich wieder frei bewegen.

Im Umgang mit MRSA-besiedelten Menschen in deren häuslicher Umgebung, in der Praxis und in Heimen besteht kein Anlass zu Überreaktionen.

Was müssen meine Freunde und Familie tun, um sich zu schützen?

Das Bakterium MRSA stellt für gesunde Personen im ambulanten und häuslichen Bereich keine Gefahr dar; mit diesen Personen können Sie alltägliche soziale Kontakte pflegen. Lediglich bei Kontaktpersonen mit offenen Wunden oder Hautekzemen kann es zu einer Infektion mit MRSA kommen. Um eine erneute Übertragung von MRSA zu vermeiden, sollten Sie enge Kontakte mit Ihren Angehörigen in dieser Zeit vermeiden.

Gesunde Menschen – Personal, Besucher – sind selber durch MRSA nicht gefährdet, jedoch kann eine Übertragung auf kranke Menschen schwerwiegende Folgen haben.

Wenn Sie als Isolationspatient Besuch bekommen, so muss dieser sich zunächst bei dem Pflegepersonal auf der Station melden. Hier bekommt er entsprechende Anweisungen und ein Besucher-Informationsblatt. Um eine Weiterverbreitung und Übertragung von Besuchern auf andere Patienten zu vermeiden, ist es das Einhalten einfacher Schutzmaßnahmen erforderlich. So muss vor dem Betreten des Patientenzimmers mit dem isolationspflichtigen Patienten entsprechende Schutzkleidung (Kittel, Handschuhe, Haarschutz, Mund-Nasen-Schutz) angelegt werden. Nach dem Besuch legen die Besucher beim Verlassen des Zimmers die Schutzkleidung wieder ab. Abschließend ist eine Händedesinfektion mit einer Einwirkzeit von 30 Sekunden durchzuführen.

Kann ich wieder MRSA bekommen?

Wird bei Ihnen eine Besiedelung mit MRSA nachgewiesen, versucht man durch verschiedene Maßnahmen wie Nasensalben und desinfizierende Waschlotion den Erreger auf der Haut und/oder Schleimhaut zu beseitigen.

Es kann sein, dass Sie nur kurzzeitig mit MRSA besiedelt sind, aber es gibt auch Berichte von Personen, die über längere Zeit MRSA auf der Haut tragen, teilweise sogar über Jahre MRSA-Träger sind. Faktoren, die das Verweilen von MRSA erleichtern und somit den Sanierungserfolg beeinträchtigen, sind zum Beispiel der häufige und lange Einsatz von Antibiotika, aber auch das Vorliegen einer schlecht heilenden Wunde oder das Vorhandensein von Kathetern. Im Vordergrund steht daher die Abheilung der Wunde beziehungsweise die Beendigung der Antibiotika-Einnahme oder der Katheterisierung. Die Entscheidung hierüber wird nach individueller Risikoeinschätzung durch den behandelnden Arzt getroffen. Ist eine Sanierungsmaßnahme erfolgt, wird diese durch negative Kontrollabstriche zu verschiedenen Zeitpunkten am vorherigen Besiedlungsort belegt. Trotzdem ist bei jedem Krankenhausaufenthalt eine erneute Testung auf MRSA erforderlich.

Kann ich mich vor MRSA schützen?

Außerhalb von Krankenhäusern und Altenheimen infizieren sich hierzulande nur sehr wenige Menschen mit den Bakterien. Wenn jemand in Länder reist, in denen MRSA auch in der Bevölkerung viel stärker verbreitet ist als hierzulande, etwa in den USA, Großbritannien oder in Japan, ist allerdings größere Wachsamkeit angebracht.

Regelmäßiges Händewaschen oder Desinfizieren sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Es schützt nicht nur vor MRSA, sondern auch vor einer Vielzahl anderer Krankheiten wie Erkältungsviren oder Durchfallerregern. Wer zu Hause Angehörige mit bekanntem Infektionsrisiko betreut, sollte sich die Hände mit einem alkoholischen Präparat desinfizieren. Ist ein Familienmitglied MRSA-Träger, sollte man mit dem behandelnden Arzt oder einem Experten für Hygiene und Umweltmedizin sprechen, wie man den Keim los wird und eine Ansteckung verhindert.

Fragen Sie kritisch nach, bevor der Arzt Ihnen ein Rezept ausstellt. Denn noch immer verordnen viele Ärzte Antibiotika ohne sicherzustellen, dass der Patient überhaupt an einer bakteriellen Infektion leidet. Für eine Halsentzündung sind beispielsweise häufig Viren verantwortlich. Die Antibiotika wirken dann nicht gegen die Beschwerden, helfen aber resistenten Keimen, sich zu vermehren.

Hat der Arzt Ihnen allerdings dargelegt, warum Sie ein Antibiotikum nehmen müssen, sollten Sie sich unbedingt an diese Verordnung halten. Auf keinen Fall darf man die Therapie ohne fachlichen Rat verändern oder abbrechen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass resistente Keime entstehen und sich ausbreiten können.

Ansprechpartner für weitere Informationen

DIE AKTEN

Wir wollen wissen, wie sich meldepflichtige Krankheiten in Duisburg entwickelt haben. Der zuständige Mann heißt Georg Vogt. Er ist kommissarischer Leiter des Duisburger Gesundheitsamtes. Auf Anfrage schickt er eine Tabelle: eine Übersicht über die Fallzahlen meldepflichtiger Krankheiten in Duisburg seit 2009. Es ist eine besorgniserregende Statistik. Die MRSA-Zahlen fallen aus dem Rahmen. Seit 2010 sind sie kontinuierlich gestiegen. Für 2013 deutet sich ein extrem steiler Anstieg an. Schon Ende April gibt es 15 Prozent mehr MRSA-Erkrankungen in der Stadt als im gesamten Jahr 2010. Wenn das so weiterginge, würden die MRSA-Infektionen in diesem Jahr durch die Decke schießen.