Kein Empfang, du Sau! - Sarah Buchner - E-Book

Kein Empfang, du Sau! E-Book

Sarah Buchner

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Beschreibung

Die Reihe halbwertszeit setzt sich mit dem Anteil der Politik auseinander, der allen anderen entgeht. Hier ist das Halbwertige wichtig: das gesprochene Wort, der spontane Ausruf, die polemische Kritik, die im Zwischenmenschlichen wächst und nur im Dialog zum Ausdruck kommt. Band I: Kein Empfang, du Sau! Wen interessiert das überhaupt, was hier publiziert wird? Und warum? Empfang muss man sich erarbeiten, aber wer hört überhaupt was? Und wie und warum werden verschiedene Positionen gehört? Wie empfänglich sind Menschen für bestimmte Inhalte, wer erhält wo welches Forum und wie diskutieren wir in sozialen Medien darüber? Kritik, die nicht empfangen wird, bleibt wirkungslos. Marginale Positionen bleiben marginal. Die Zugehörigkeit zu bestimmten In-Groups und Rackets entscheidet darüber, ob eine Meinung empfangen wird oder nicht. Wen interessiert das überhaupt? Vielleicht eh wieder keine Sau …

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Seitenzahl: 162

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Die Reihe halbwertszeit setzt sich mit dem Anteil der Politik auseinander, der allen anderen entgeht. Hier ist das Halbwertige wichtig: das gesprochene Wort, der spontane Ausruf, die polemische Kritik, die im Zwischenmenschlichen wächst und nur im Dialog zum Ausdruck kommt.

Band I: Kein Empfang, du Sau!

Wen interessiert das überhaupt, was hier publiziert wird? Und warum? Empfang muss man sich erarbeiten, aber wer hört überhaupt was? Und wie und warum werden verschiedene Positionen gehört? Wie empfänglich sind Menschen für bestimmte Inhalte, wer erhält wo welches Forum und wie diskutieren wir in sozialen Medien darüber? Kritik, die nicht empfangen wird, bleibt wirkungslos. Marginale Positionen bleiben marginal. Die Zugehörigkeit zu bestimmten In-Groups und Rackets entscheidet darüber, ob eine Meinung empfangen wird oder nicht. Wen interessiert das überhaupt? Vielleicht eh wieder keine Sau …

Stefan A. Marx (Hrsg.)

Kein Empfang, du Sau!

Essays

© Luftschacht Verlag – Wien 2020luftschacht.com

Einzelrechte © jeweils bei den Autor*innenHerausgegeben von Stefan A. Marx

Die Wahl der angewendeten Rechtschreibung obliegt dem/der jeweiligen Autor*in. Layout- und Formatvorgaben der einzelnen Texte wurden in der Regel beibehalten.

Umschlaggestaltung: Matthias Kronfuss studio – matthiaskronfuss.atSatz: Luftschacht

gesetzt aus der Metric und der Noe

Druck und Herstellung: Print Group Sp. z o.o.Papier: Munken Print Cream v 1,5 90 g/m2, Bilderdruck 250 g/m2

ISBN: 978-3-903081-28-4ISBN E-Book: 978-3-903081-69-7

Gefördert von der MA 7 – Kulturabteilung der Stadt Wien,Wissenschafts- und Forschungsförderung

In Erinnerung an Viviane Drack (11. 12. 1986 bis 22. 11. 2019), die den Himmel auf die Erde malen wollte.

INHALT

Stefan A. Marx

Was ist das für ein Buch?

Viviane Drack

Das Tor zum Kunsthimmel.

Oder: Sie wünschen? Ein kleiner Brauner, eine heiße Melange und das Renommee der Künstlersau.

Dominik Hultsch-Killius

Radical Bookstore Vienna

Sarah Buchner

Ein Schulbesuch

Zwischen Mensch(en) und ein Lehrplan

Ela Mutzenbacher

Facebook ist kein Kaffeehaus.

Tina Sanders

Linke Unvernunft, über Unterscheidungen

Ana Ilic

Tourismus und Political Correctness – ein innerer Dialog

STEFAN A. MARX

Was ist das für ein Buch?

„Eine Frau aus der Menge ruft Jesus zu: Glücklich der Mutterbauch, der dich getragen hat! Jesus ruft zurück: Ja! Doch noch glücklicher sind die, die meine Nachricht hören und danach leben!!“ (Klaus Kinski: Jesus Christus Erlöser)

Jesus hat Sendungsbewusstsein und er will gehört werden. Kinskis Jesus braucht Empfang und findet es beglückender, Empfang zu haben, als empfangen worden zu sein. Und wenn er keinen Empfang kriegt, dann brüllt er manchmal mit wutverzerrtem Gesicht „Du Sau!“. Die Sau ist in dem Fall das uneinsichtige Publikum, das das Genie Kinskis nicht erkennen will. Oder die Sau, die Jesus gekreuzigt hat. Oder Kinski selber, weil er „Du Sau!“ laut ausspricht. Das ist ja auch was, was nur die Sau macht, dass sie sowas rausbrüllt, während die anderen sich das nie getraut hätten. Also je nachdem.

Kinski hat sich jedenfalls gekreuzigt gefühlt, als er seine „Jesus-Christus-Erlöser-Tour“ abbrechen musste, sagt er selbst. Ein Publikum, das auf stur schaltet und den Empfang verweigert, ist ja auch wirklich eine Sau. Das bringt nicht nur Kinski auf der Bühne zur Weißglut. Aber kaum jemand hätte diesem, seinem eigenen Publikum dann wie Kinski schreiend erklärt, was Jesus in so einer Situation getan hätte: „Er hätte eine Peitsche genommen und dir auf die Fresse gehauen!“

Ja. Der Sau, die nicht empfängt, haut man mit der Peitsche auf die Fresse. Also sei dir bewusst, LeserIn, das kann passieren, wenn es keinen Empfang gibt. Dass Klaus Kinski runterbrüllt auf die verdatterten ZuhörerInnen ohne Empfang, die seine Selbstinszenierung als „Jesus Christus Erlöser“ nicht durchschauen. Weil, was das Publikum, wenn es keinen Empfang hat, oft ja nicht sieht: Es verpasst was.

Diejenigen, die Kinski Selbstherrlichkeit und Spießigkeit vorgeworfen und ihn von der Bühne gebuht haben, waren dabei selbst zu spießig, um die Ironie zu begreifen, die entsteht, wenn Klaus Kinski sich als Jesus Christus Erlöser inszeniert.

Ironie bekämpft das unberechtigte Für-wahr-Halten. Insofern ist die Ironie wahrscheinlich auch Kinski verborgen geblieben, aber darüber soll sich Kierkegaard Gedanken machen. Jedenfalls konnte Kinski die Tournee nicht wie geplant fertig machen. Sondern der unironische Publikumshaufen machte ihn fertig. Er brach die erste Aufführung im großen Saal ab und beendete das Stück dann vor einer Handvoll ebenfalls ironiefreier Fans. Über die Ruhestörer sagt er: „Dieses Gesindel ist noch beschissener als die Pharisäer. Die haben Jesus wenigstens ausreden lassen, bevor sie ihn angenagelt haben.“

Kinski ist nach heutigen Standards natürlich nicht mehr als Vorbild tauglich und Jesus würde sich wahrscheinlich in Zeiten von #metoo auch eher für einen Re-Shoot entscheiden, wenn er sein Leben in der Kinski-Version vorgesetzt bekäme. Aber Kinski war eben nicht nur als Jesus Christus Erlöser umtriebig, sondern hat nach eigenem Bekunden auch öfter mal die Sau rausgelassen. Und da sind wir jetzt bei einem ganz anderen Thema, um das es aber auch gehen muss.

Denn Empfang hat auch seine sexuellen Untiefen. Jesus’ Mutter Maria ist ja Kind aus unbefleckter Empfängnis. Das ist die Voraussetzung dafür, den Sohn Gottes gebären zu können, auch wenn es meist so klingt, als wäre Jesus der unbefleckt Empfangene. Maria ist empfangen worden, aber ohne sich (sozusagen) die Ohren durch zu viel „Du Sau!“ schmutzig zu machen. Sie ist frei von der Erbsünde und damit erst qualifiziert, Gottesmutter zu werden. Was dem späteren Jesus dann auch nur begrenzt genutzt hat, wenn man sich die Passion so ansieht. An wem die Passionsspiele bis heute aufs grausamste durchgeführt werden, sind die Frauen dieser Welt, dieses 21. Jahrhunderts. Die Vorstellungswelt vieler heutiger Männer sieht die Erbsünde im übertragenen Sinn dort am Werk, wo sie selbst nicht betroffen ist. Die Dichotomie Heilige/Hure oder Mutter/Frau ist offenbar wieder im Trend. Eine Frau, die (sexuell) selbstbestimmt leben will, gilt als verdächtig und auch in Österreich setzt sich (in Übereinstimmung mit dem internationalen Trend) der Frauenmord als Mittel der Beziehungs-„Konflikt“-Lösung immer mehr durch. Jesus bewahrt zumindest eine Frau vor der Steinigung: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe zuerst den Stein auf sie. Dieser Trend kehrt sich um. Frauen werden als Eigentum von Männern behandelt und breite Bevölkerungsschichten sind damit still einverstanden. Darüber müssen wir reden und zwar so deutlich, dass wir Empfang dafür erhalten.

Maria die Mutter hatte es nicht leicht mit ihrem Sohn. Maria die Heilige dagegen hatte gegenüber der Mutter einen angenehmen Vorteil, weshalb sie auch unter denen, die Frauen sonst eher feindselig gegenüberstehen, bis heute beliebt ist. Denn bei ihrem, wie bei Jesus Empfang gab es ein Rauschen in der Leitung. Die Gesprächspartner haben sich aber trotzdem verständigt, ohne dass man weiß wie. Das kann geglaubt werden. Sie haben jedenfalls nicht „die Sau rausgelassen“, sondern die Sau schön drinnen behalten und dann trotzdem was rausgekriegt. Wie auch immer das in dem Fall gelaufen ist, bei Kinski war es wahrscheinlich definitiv anders, wie einer der militanten Diskutanten bei Jesus Christus Erlöser scharfsinnig feststellt: „Ich glaube, es gibt Jesus, aber der [zeigt auf Kinski] ist es definitiv nicht.“ Richtig.

Kinski ist nicht Jesus. War er nie. Eher der Typ „vermeintlicher Millionär, der nicht in Würde altern kann“ (Peter Geyer). Aber es gibt eine sexuelle Bedeutung des Wortes Sau, die schon darin begründet liegt, dass symbolisch betrachtet dem Schwein bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Die Sau ist oral-interessiert/-fixiert. Sie will ständig sprechen und/oder erbrechen. Sie ist ein sexuelles Tier, das ständig nackt (und dabei sehr säuberlich) im Schlamm suhlt. Sex- und egogierige Menschen sind Schweine. Geltungssüchtige und unmäßige, vielleicht wie Kinski, sind auch Schweine. Die Sau ist aber auch sauber, sozial und klug. Also ein gscheites, unmäßiges, sauberes, innerlich bissl schmutziges Viecherl, das da auf allen Vieren durch den Morast kriecht und sich im Schlamm so richtig wohl fühlt. An was erinnert uns das außerhalb der sexuellen Komponente?

Richtig! An den politischen Schriftsteller, an die vielen Essayist_ innen, Polemiker_innen, Einmischer_innen. Also an alle, die sich lustvoll öffentlich im Schlamm des Alltags wälzen und das dann als Kritik verstanden wissen wollen. Was tun diese Leute eigentlich, um sich selbst zu verwerten? Sie vermarkten ihre Ideen. Sie sind hochgradig von Empfang abhängig und tun im Grunde alles dafür. Die einen denken so präzise, dass man sich ihren Gedanken nicht entziehen kann, die anderen kompensieren durch knallige Formulierungen. Beide machen sich zur Sau für ihr Publikum.

Es stimmt schon: Wir bewegen uns durch Untiefen und bohren im Schlamm nach den Überresten des Zwischenmenschlichen, nach der Leiche im Keller, dem Rest von Kultur und Vernunft. Ein lustvolles Wühlen im Sauhaufen, für das man dann als Belohnung wenigstens Trüffel finden will. Den Trüffel, den man in der hippen Pizzeria über das Risotto gehobelt bekommt. Also den Abhub vom Pilz, der fröhlich unter der Erde vor sich hin schimmelt. Die Welt der Kritik ist eine Welt der Resteverwertung und des kulturellen Schimmels. Ein fröhliches Andocken an die Empfänger, die gefälligst den Aushub bewundern sollen, den man hinter sich wirft beim Wühlen.

Der Aushub ist jetzt hier zu besichtigen, auch wenn’s keine Sau interessiert. Aber was die Menschen interessieren wird, kann man ja vorher meistens nur schwer sagen. J. K. Rowling etwa war vor dem Erfolg der Harry-Potter-Serie klinisch depressiv. Die Dementoren in Buch drei sind laut eigener Aussage Symbole ihres damaligen Zustandes. Bis sie das zweite Buch fertiggestellt hatte, lebte sie von staatlicher Unterstützung. Sie konnte zu keinem Zeitpunkt sicher wissen, dass die Geschichte über zaubernde Kinder und die Magie der Pubertät irgendjemandes Interesse wecken würde. Im Grunde ist es eine Coming-of-age-Story mit Goblins und einem Pegasus. Oder denkt sich da keiner was, wenn der für Harry bestimmte Zauberstab genau dann auftaucht, wenn es in seinem Leben spannend wird? Dass der kleine Zauberer entdeckt, dass da etwas rauskommt, aus dem Stab, wenn er ihm nur auf die richtige Weise zu Leibe rückt? Dass sich ein Großteil der Actionszenen in den Büchern so abspielt, dass sie sich mit bunten Strahlen gegenseitig von der Bühne spritzen und dabei latinisierte Fantasie-Sauereien zubrüllen?

Welche Sau, die Erfolg mit einem Kinderbuch haben will, schreibt denn so was?

Dabei ist Rowlings Werk, das im Musicalbetrieb und mit den fantastischen Tieren zunehmend ausfranst, ja trotzdem noch ein Lichtblick, wenn man es mit 50 Shades of Grey und Zwielicht bis zum Morgengrauen vergleicht. Da betätigen sich kaum als Charaktere zu bezeichnende Glitzervampire an zahnlosen und vertraglich überregulierten SM-Spielchen. Also kann man sagen, Rowling hat sich bemüht, eine hübsche Geschichte aus den Versatzstücken sämtlicher bereits existierender Fantasy-Geschichten zu machen. Aber was dachte sich Stephenie Meyer beim Zusammenfassen ihrer Ergüsse? Vielleicht dachte sie ja an Jesus. Sie ist schließlich eines der prominentesten Mitglieder der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“. Und wenn die Mormonen etwas können, dann ist es, sich eine fantastische Geschichte auszudenken. Nachzulesen im Buch Mormon. Wir erinnern uns: Joseph Smith wurde dieses Buch im 19. Jahrhundert von Gott offenbart (bzw. hat er es aus einem Hut gelesen, oder?). Vielleicht hätte Kinski zu dieser Zeit auch noch mehr Empfang gehabt bei seiner Jesus-Tour. Vielleicht hätte er aber, angesichts des Erfolgs von Twilight, heute auch wieder besseren Empfang dafür.

Aber es geht ja nicht um Literatur hier. Die Sau ist sich für ästhetische Fragen zu schade. Ich habe die letzte 60-Stunden-Woche mit 12-Stunden-Schreibtagen verbracht um dieses Meisterwerk auf den Tisch zu legen und danke der letzten Regierung auf Knien für diese Möglichkeit. Ohne diese Regelung hätte ich das nie in einer Woche geschafft.

Wenn wir hier schon von „dieser Regierung“ anfangen: So gern ich Stephenie Meyer zur Sau machen würde, so sehr merke ich ja jeden Tag in welchem Schweinestall ich hier selbst lebe. Ob der jetzt ausgebaut, oder ausgemistet gehört, überlasse ich den politisch Zuständigen und im Notfall auch den politischen Zuständen. In Österreich kann man sich ja nie so ganz sicher sein. Da war sich nicht mal Thomas Bernhard mit sich selber einig. Aber der hatte immerhin Empfang, nachdem ihn sein adliger Sponsor nach Wien überstellt hatte. Aber so viel möchte ich auch ohne Expertise anmerken: Anstatt die Lehre zu ziehen, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sein sollte und alle Verhältnisse umzuwerfen sind, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes, verächtliches Wesen ist (das ist natürlich Marx, aber das sag ich jetzt nicht dazu), schielen manche zur Zeit lieber auf den Klassenkampf von oben. Das Land in dem das Eigenheim vor Altersarmut schützen soll, ist gleichzeitig das Land in dem Armut zu einem direkten Zugriff des Staates auf das Eigenheim führen kann. Ob sich das mit einer leichten Farbverschiebung anders leben lässt, werden wir demnächst herausfinden.

Ist es so, dass die größte Sau den besten Empfang hat? Oder drängt sich der Eindruck nur dann auf, wenn’s um’s liebe Geld geht? Gold ist ja eher für den analen Charakter relevant. Die Freigiebigen scheißen in der Öffentlichkeit, die anderen legen’s heimlich hinter verschlossenen Türen aufs Tablett, betrachten den Kot, suchen nach Verunreinigungen und spülen erst, wenn alles analysiert ist. Am liebsten würden sie ihn behalten. Die Geldgier, der Neid, die funktionieren ähnlich. Die Sau ist aber oral. Behält erst mal nichts, schiebt nur alles in den Mund und testet wie es schmeckt. Saugt mal hier, mal da und kostet sich durch. Die Sau ist eher der Typ, der sich öffentlich ausscheißen will und allen zeigen, was er nicht hat.

Das hat etwas mit Armut zu tun. Mit der Verarmung von Kritikerinnen und der Verarmung von Kritik. Also nicht nur, dass wir armen Schweine schutzlos dem Zugriff des Staates ausgeliefert sind, leiden wir auch am Mangel an Empfang. Da findet eine Unsichtbarmachung statt. Da gibt es Menschen die etwas „zählen“, die man wie Scheiße aufs Tablett legen und im Halbdunkel verliebt mit Seitenblicken betrachten kann, und dann gibt’s die Unansehnlichen. Die Sozialhilfe-EmpfängerInnen und die prekären KünstlerInnen, die Verrückten und die Problemkinder. Die gehören, wenn sie mit Aufmerksamkeit bedacht werden, schikaniert. Ansonsten sollen sie unsichtbar bleiben. Die Regierung erbittet sich größtmöglichen Empfang, die anderen sollen die Goschen halten. Und zum Goschen halten werden sie durch den Entzug von Geld angehalten. Ja, Mangel an Geld macht auch unsichtbar. Nicht so wie bei Harry Potter, unterm magischen Tuch, aber doch. Wer kein Geld hat zum Publizieren, der kann die Sau rauslassen, wie er will, der kriegt keinen Empfang. Da nützt die größte Ferkelei nicht.

Es läuft also alles auf die Frage nach dem Empfang hinaus und die Frage kann man im konkreten Fall so formulieren: Welche Sau wird das lesen? Wen interessiert das überhaupt, was so publiziert wird? Und warum? Empfang muss man sich erarbeiten, aber wer hört überhaupt was? Und wie werden verschiedenen Positionen gehört? Wie empfänglich sind Menschen für bestimmte Inhalte, wer erhält wo welches Forum und wie diskutieren wir in sozialen Medien? Kritik, die nicht empfangen wird, bleibt wirkungslos, marginale Positionen bleiben marginal. Die Zugehörigkeit zu bestimmten In-Groups und Rackets entscheidet immer noch darüber, ob eine Meinung empfangen wird oder nicht. Wen interessiert das überhaupt? Wahrscheinlich eh wieder keine Sau.

Alles wie gehabt, oder? Die sozial unterlegenen Dienstboten zb. wurden durch Adlige so behandelt, als wären sie nicht da. Der Toilettendiener hält den Luster und der Kaiser setzt sich auf den Topf daneben und lässt sich den Hintern wischen. Die Livrierten sollen sich unauffällig verhalten. Ein unbeschreibliches Gefühl. Kurze Zeit wie ein Ninja. Auf lange Sicht eher frustrierend. Weil man ja nicht in Ruhe gelassen wird in seiner Bedeutungslosigkeit. Die Unsichtbaren sind diejenigen, die auch noch von anderen bewertet werden: die Massen, die Ahnungslosen, die Stammtische, die Populärkulturkonsumenten, die Banaldenkenden, die Schnitzelfresser, die Gefolgsleute, die Leibeigenen der Parteien, das Stimmvieh, das am Wahltag (ist Zahltag) zur Schlachtbank getrieben wird. Wer hätte gedacht, dass man das so wörtlich nehmen kann?

Wenn ich so nachdenke: Wie haben denn die damals Unsichtbaren das Problem gelöst? Was war da noch mal mit den Adligen in dieser vielversprechenden Zeit? Da war doch was ab Hochsommer 1789? Heiß war’s auf jeden Fall. Da hat so mancher den Kopf verloren. Na ja egal. Irgendwas Ähnliches könnte man ja jetzt machen. Vielleicht mehr Augenrollen als Köpferollen. Aber das ist Geschmackssache.

Also im Buch herrscht erstmal Augenrollen. Über so manches. Über Rechtspopulisten und Rechtsradikale, aber auch über Linkspopulisten und Kulturrelativisten. Bis vor kurzem herrschte in Österreich eine rechte Regierungskoalition die im Kritikbereich massiv eingespart hat. Der größere Teil dieses Ausnahmezustands für die Polemik ist auch jetzt wieder in Regierungsverantwortung. Der freie Empfang wird zusehends erschwert. Ist im linken Kulturbetrieb der Nepotismus das entscheidende Triebmittel und die Fähigkeit zur Seilschaft die entscheidende Qualität, die Kulturtreibende auszeichnet, so ist es im rechten Kulturbetrieb eher so wie bei der Zombieapokalypse. Keiner hat was und wenn mal doch was Brauchbares gefunden wird, ist der Finger schnell am Abzug, weil die Konkurrenz nicht schläft und weil Zombies Gehirne fressen. Kultur und Soziales gehen in beiden Fällen Hand in Hand. Wer mit dem Überleben beschäftigt ist, kommt nicht dazu, als Jesus auf der Bühne den Spießern den Spiegel hinzuhalten und sie mit der Peitsche aufs Maul zu schlagen.

Dabei hat Österreich nicht einmal NUR ein Problem mit den vielbemühten Neokonservativen und Ewigrechten, sondern definitiv mit der Politik an sich. Das macht sich etwa darin bemerkbar, dass wir hier Parteienförderungsmeister sind. Während die Presse- und Kulturförderung jährlich sinkt, steigt die Parteienförderung. Seltsame Sparzwänge müssen das sein, die österreichische Politiker seit Bruno Kreisky dazu anhalten, sich selbst immer stärker und diejenigen, durch die sie kontrolliert werden sollen, immer weniger zu fördern. Seltsam. Die Sau steckt wahrscheinlich im Detail.

Österreich hat mit einem Index von 2,66 (Parteiausgaben pro Wahlberechtigten im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt) nach Japan (2,70) die zweithöchsten „Demokratiekosten“ im internationalen Vergleich (Ich kopier das einfach von Wikipedia).

2013 erhielten die österreichischen Parteien mehr als 127 Mio. Euro an Fördermitteln.

Während diejenigen, die die Politik kritisieren sollen, mit einem Zehntel davon arbeiten müssen. Die einen genehmigen sich auf Steuerkosten die eigenen Zuschüsse, die anderen müssen auf dem freien Markt konkurrieren, sich durchsetzen, behaupten und dennoch Kontrolle üben. Und kriegen von smarten Jungpolitikern (die mittlerweile nicht einmal mehr eine berufstaugliche Ausbildung brauchen) trotzdem noch eins mit der „freien-Konkurrenzkeule“ übergebraten. Ein Empfangsproblem eigener Güte. Vor allem, weil die höhnische Nachrede der Politik ja meistens ein Seitenhieb auf die mangelnde Rentabilität der Kleinverlage, der Kleinkünstler, der Kleinschriftsteller ist. Hätten sie halt was Gscheites gelernt. Oder wären sie halt erfolgreicher. Du Sau! So läuft das nicht.

Da kommt es dann auch mal zu Mikro-Perfidien, die sich auf den Empfang natürlich massiv auswirken: Die im Staatseigentum befindliche österreichische Post hat vor kurzem die nötige Mindestauflage einer Publikation, um in die billigste Zeitungsversandklasse „Sponsoring-Post“ zu fallen, von 300 auf 1.000 Stück erhöht. Was für jene Medien, die unter diese Grenze fallen, eine Preiserhöhung von „bestenfalls 160 %“, „im schlechtesten Fall bis über 500 %“ bedeutet. Etwas geringer, aber dennoch deutlich, fielen die Preiserhöhungen für Auflagen über 1.000 Stück aus. Hinzu kam ein Verbot von „Fremdbeilagen“, was zu den erhöhten Versandkosten zusätzlich eine Verringerung der Einkommensmöglichkeit für die Klein- und Mittelverlage bedeutet. Alles in allem führten die Tarifänderungen zu Preiserhöhungen, die für „gemeinnützige Organisationen nicht zu verkraften“ sind, aber natürlich auch für rentablere Betriebe ein Problem darstellen.