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Eine Serie von außergewöhnliche Todesfällen erschüttern das kleine Örtchen Amecke am Südufer des Sorpesees. Bei seinen Ermittlungen trifft Hauptkommissar Maximilian Knapp auf alte Bekannte und weckt die Geister der Vergangenheit. Doch nicht jeder Dämon sollte aufgeschreckt werden. Idyllische Landschaften, sauerländische Unikate und jede Menge Geheimnisse erwarten Hauptkommissar Maximilian Knapp in seinem zweiten Fall.
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Seitenzahl: 170
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Für meine Eltern
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Er hatte keine Ahnung, was passiert war. Sein Schädel brummte wie nach einem ordentlichen Schützenfestwochenende. Alles wirkte verschwommen und unwirklich. Jeder Knochen in seinem Körper schmerzte. Wahrscheinlich hatte er schon mehrere Stunden in dieser unbequemen Lage verbracht, anstatt zu Hause in seinem Wasserbett die wohlverdiente Ruhe zu genießen. Die Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden. Was auch immer sie fixierte, schnürte sich mit jeder Bewegung in das Fleisch. Verdammt! Sollte es sich hierbei um einen Scherz handeln, würde er, Konrad Reich, den oder die Verantwortlichen gnadenlos zur Rechenschaft ziehen. Nicht, dass er ein Spielverderber war. Nein, auf keinen Fall! Doch bisher war er es immer gewesen, der die Späße oder, wie es auf Neudeutsch hieß, Pranks organisiert hatte. Der übelschmeckende Knebel hinderte ihn daran, den Unmut über die missliche Lage herauszubrüllen. Plötzlich vernahm er vertraute Stimmen untermalt von Hundegebell. Das waren doch Willi, Hubert und Paul mit ihren Terriern. Na klar, sie waren doch heute Morgen verabredet, das Feld von Egon zu umstellen, um den vermaledeiten Wildschweinen den Garaus zu machen. Unter den Hoffnungsschimmer dieser Situation zu entkommen, mischte sich ein Anflug von Skepsis. Steckten etwa seine langjährigen Jagdkumpane hinter diesem Unfug? Nun, er würde es gleich in Erfahrung bringen. Mühsam rappelte er sich auf und bahnte sich langsam seinen Weg durch das Maisfeld. Während er sich dem Feldrand näherte, wurde das Gekläff der Hunde immer lauter.
Haben sie etwa schon Schwarzkittel gerochen, oder freuen sie sich mich zu sehen?, mutmaßte Konrad, während er unbeirrt weiter ging.
„Da kommt etwas“, hörte er Willi sagen. Der Depp wird erstaunt sein, was da auf ihn zukommt, schmunzelte Konrad in Gedanken. Genau in diesem Moment zerstörten Schüsse die morgendliche Idylle.
„Ich habe ihn erschossen. Natürlich nur aus Versehen“, schluchzte Willi mit hochrotem Kopf. Kommissar Maximilian Knapp beobachtete mit Besorgnis die Verfärbung, welche mittlerweile an eine überreife Tomate erinnerte.
„Dachte, er wäre ein Wildschwein“, fuhr Willi derweil ohne Aufforderung mit seiner Schilderung fort. „Der Egon Krass hatte uns beauftragt sein Feld zu durchkämmen. Wer konnte ahnen, dass der Konrad dort herumschleicht. Aber war ein guter Schuss. Natürlich blöd, dass es den Konrad erwischt hat. Wollte ich natürlich nicht, woll.“
„Gleich platzt sie.“
„Wie bitte, Herr Kommissar?“
Erst jetzt wurde Max bewusst, dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte. Verflixt nochmal! So etwas durfte nicht passieren. Wahrscheinlich war es der Tatsache geschuldet, dass er noch keinen Kaffee getrunken hatte. Er sollte seinen Koffeinhaushalt gleich auffüllen, bevor ihm noch mehr dilettantische Patzer widerfuhren. „Möchten Sie auch eine Tasse Kaffee, Herr Ehrlich?“, fragte Max ausweichend und fügte schnell ein: „Oder lieber Tee“, hinzu, als sein Blick erneut auf den tiefroten Schädel fiel.
„Lieber einen Kaffee. Danke.“
Für einen Moment war Max versucht, ihm aus gesundheitlichen Aspekten von dieser Wahl abzuraten. Doch sein Instinkt raunte ihm zu, dass dieser Einwand sinnlos sein würde. Wilfried Ehrlich, von allen nur Willi genannt, war ein Sauerländer Urgestein, der ohnehin in dieser vertrackten Situation ein Pils und einen Korn bevorzugt hätte. Auf dem Weg zum Kaffeevollautomaten nickte er seinem Kollegen Sven Herbst zu und betrachtete das Gemälde im Hintergrund, welches mit dem Ausscheiden seines früheren Chefs Wolfram Wilhelm Berg aus dem Polizeidienst die „Alpenlandschaft“ ersetzt hatte.
„Na, da musst du aber einiges an Getränken intus haben, wenn du solch ein Gewirr von Farben am Strand sehen willst“, hatte Polizeianwärter Noah lachend festgestellt, als das Aquarell mit dem Namen Strandspaziergang im Büro Einzug gehalten hatte. Zwar hatte er in seiner sauerländisch direkten Art nur ausgesprochen, was alle dachten. Doch seitdem war er beim neuen Chef Janus Thal als Kunstbanause verschrien.
„Auch einen Kaffee?“, fragte Max seinen Kollegen Sven, als dieser von seinem Aktenstapel aufblickte.
„Nein danke. Habe eben schon einen getrunken. Später vielleicht. Ach, wo du gerade da bist. Schau einmal, das hat die Spurensuche im Feld ergeben. Nichts Brauchbares.“
„Hm“, sagte Max, während er wie gebannt auf einen Sektkorken starrte, der sich unter den Gegenständen befand.
„Es ist schon erstaunlich, was sich alles verändert hat“, sagte Ben und ließ seinen Blick über das Vorbecken des Sorpesees schweifen.
„Untergang und Neubeginn liegen dicht beieinander“, philosophierte Leonie und leckte an ihrem Stracciatella-Eis. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass sich Ben Förster nach der langen Zeit gemeldet hatte. Ohne Vorwarnung war er wieder in ihrem Leben aufgetaucht. Und das Schlimmste daran war, dass sie ihn noch immer vergötterte.
„Studierst du Philosophie?“
„Nein! Nein! Ich habe eine Ausbildung zur Europakauffrau gemacht.“
„Sehr gut“, antwortete Ben und starrte in die Ferne. Leonie war sehr dankbar, dass er nicht nachfragte, warum sie an einem Montag zu Hause war. Wie hätte sie ihm erklären sollen, dass sie extra für das Treffen spontan Urlaub eingereicht hatte? Doch anscheinend verschwendete er daran überhaupt keinen Gedanken und genoss stattdessen die Sonnenstrahlen, die die Wasseroberfläche zum Glitzern brachten und ein atemberaubendes Farbenspiel im Herbstlaub erzeugten. Viele nutzten die warmen Temperaturen, um einen Spaziergang zu unternehmen, oder um in einer der vielen Gastronomiebetriebe einzukehren. Unweit des baufälligen Gebäudes, das sich die Natur Stück für Stück zurückeroberte, war ein neuer Anlaufpunkt namens „Heimathafen“ für Touristen und Einheimische entstanden. Von ihrem Sitzplatz, der nur mit Trittsteinen vom Ufer aus erreicht werden konnte, hatte man einen tollen Ausblick auf das Treiben.
„Hast du das auch schon mal ausprobiert?“, fragte Ben und zeigte auf eine Gruppe, die beim Standup-Paddling gekonnt ihre Runden auf dem Vorbecken des Sorpesees drehte. Die Wassersportart, bei der man sich auf einer Art von aufblasbarem Surfbrett mit Hilfe von einem großen Paddel fortbewegt, war generationsübergreifend beliebt und hatte sich zu einem Trendsport entwickelt. Dabei erforderte sie einen guten Gleichgewichtssinn, um nicht unfreiwillig im kühlen Nass zu landen. Leonie biss ein großes Stück von der Eiswaffel ab, um die Antwort hinauszögern zu können. Bisher hatte sie es nur ein einziges Mal versucht und sich dabei so ungeschickt angestellt, dass sie eine Schulterprellung erlitten hatte. Wenn man für Unsportlichkeit einen neuen Begriff suchen würde, könnte man getrost „Leonie“ nehmen, grummelte sie in Gedanken. Doch das konnte sie unmöglich Ben erzählen. Als dieser vor mehr als drei Jahren das Sauerland verlassen hatte, war sie dank der sozialen Medien immer ein Teil seiner Welt gewesen. Mit klopfendem Herzen hatte sie die Videos betrachtet, die ihn bei den verschiedensten sportlichen Höchstleistungen überall auf dem Erdball zeigten. Sei es beim Rückwärtssalto einen Wasserfall hinunter oder beim Hochklettern an einer Felswand. Es war stets wie das Betrachten eines Spielfilmes gewesen, indem man mit dem Helden der Geschichte mitfiebert und sich nichts sehnlicher wünscht, als bei ihm sein zu können. Nun saß sie neben ihrem Actionhelden, unfähig die richtigen Worte zu finden. Blöderweise hatte sie auch mittlerweile das Eis aufgegessen, sodass sie dies nicht mehr als Vorwand nehmen konnte, nicht sofort zu antworten. „Komm, Leonie, du Memme! Sag ihm die Wahrheit“, säuselte eine Stimme in ihrem Innern. „Und hast du es schon ausprobiert?“, fragte Ben in diesem Moment erneut.
„Na klar“, antwortete Leonie ohne Zögern. „Das macht richtig Spaß!“
„Das ist super! Sollen wir uns die Tage nicht mal Boards leihen und eine Runde auf der Sorpe drehen? Natürlich nur, wenn du Lust hast“, fügte Ben rasch hinzu.
„Tolle Idee! Ich freue mich schon“, erklärte Leonie und lächelte gequält.
„Ich habe ihn erschossen“, prahlte Hubert Wille mit stolz geschwellter Brust und fügte ein gemurmeltes: „Natürlich nur aus Versehen“ hinzu.
„Was macht Sie so sicher, dass Sie Konrad Reich erwischt haben? Immerhin haben doch alle gleichzeitig Schüsse abgefeuert?“, fragte Max Knapp und schielte auf seine Schublade, in der sich sein Süßigkeitenvorrat verbarg. Wie gern hätte er jetzt der Verführung nachgegeben. Doch das wäre unprofessionell. Abgesehen davon müsste er höflichkeitshalber seinem Gegenüber etwas anbieten. Nicht, dass es jemals ein Problem für ihn gewesen wäre zu teilen, allerdings bevorzugt an sympathische Zeitgenossen. Natürlich war es als Polizeibeamter äußerst wichtig, jedem Individuum neutral gegenüber zu treten und stets objektiv zu bleiben. Letztendlich blieb man aber auch als Kriminalkommissar in erster Linie ein Mensch. Zum Glück war es ihm bisher immer gelungen, seine wahren Gefühle und Gedanken perfekt zu verbergen. Es war ohnehin nicht das erste Mal, dass er mit Hubert Wille ein Gespräch führte, denn dieser war kein Unbekannter in Sundern und Umgebung. Zwar war er noch nie in irgendwelche kriminellen Machenschaften verwickelt gewesen, was eventuell auch daran lag, dass er bisher Glück gehabt hatte. Schon mehrfach hatte er versucht, sich politisch einen Namen zu machen. Trotz seiner unzähligen Wahlkampfpropaganda schaffte er es allerdings nie, bei Diskussionsrunden seine eigentliche Gesinnung zu verbergen. „Es ist kein böser Wille von dem Wille“, nutzte man häufig als Wortspiel, um sich über ihn lustig zu machen.
„Natürlich habe ich ihn getroffen“, antwortete Hubert Wille in diesem Moment, „die anderen treffen doch nie etwas.“
„Sie geben also zu, Konrad Reich bewusst erschossen zu haben?“
„Nein, natürlich nicht. Ich dachte, ich hätte ein Schwein erwischt“, erklärte Hubert Wille mit einem selbstgefälligen Grinsen.
„Verschwinde, du alte Hexe! So was wie du wäre früher auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden!“, schrie Bauer Egon Krass und fuchtelte mit seiner Mistgabel herum. Für einen Moment war Frieda Engel versucht einen Kommentar abzugeben. Doch stattdessen packte sie wortlos ihren Korb und den Reisigbesen und schlurfte von dannen.
„Ist der Besen kaputt?“, schallte es hinter ihr her, begleitet von einem schäbigen Lachen. Jedes Mal, wenn sie in den Wäldern Kräuter oder zu dieser Jahreszeit auch Pilze suchte, geriet sie mit dem Ekel aneinander, stets in der Hoffnung, dass der Choleriker bei einem seiner Tobsuchtsanfälle ums Leben kommen würde. Doch anscheinend hatte der Teufel noch keine Lust, Egon Krass zu sich zu holen. Anders konnte sich Frieda den Umstand nicht erklären, dass dieser ungehobelte Kerl trotz seiner angeschlagenen Gesundheit immer noch auf Gottes wunderschönem Erdboden wandelte, während ihr Ehemann Harald, den sie sehr vermisste, bereits die letzte Reise angetreten hatte. Na ja, zumindest hatte ihr Harald ein anderes Endziel als dieser furchtbare Tyrann. Wie gern würde sie dessen Ehefrau Mathilde von diesem Unhold befreien.
„Hallo, Frau Engel“.
Frieda nickte und murmelte freundlich: „Hallo“, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Auf diesem Stück begegneten ihr oft Passanten, die ihre Vierbeiner ausführten, oder Radfahrer, die mit ihrem Sportoutfit bis zur Unkenntlichkeit verkleidet waren. Seit Frieda mit ihrem Mann das Haus gekauft hatte, in dem vorher ein gewisser Gacka-Paul gelebt hatte, der einem Mord zum Opfer gefallen war, waren sie auf der Stelle zu einer gewissen Berühmtheit gelangt. Wobei ihre Vorliebe für Kräuter und alternative Heilmethoden das gewisse Tüpfelchen auf dem i oder besser die perfekte Schaumkrone auf einem frisch gezapften Pils war, das den Nährboden für allerlei Geschichten lieferte. Hinzu kam noch, dass sich viele fragten, warum solch ein betagtes Paar nicht der Bequemlichkeit vom „Betreuten Wohnen“ den Vorrang gab. Hatte dieses nette Pärchen vielleicht etwas zu verbergen? Als dann nach Monaten Harald Engel unerwartet verstarb und Frieda seitdem allein in dem urigen Gemäuer hauste, brachte es die Gerüchteküche zum Brodeln. Frieda Engel umgab seitdem eine Aura von Faszination, die einige fürchteten und andere liebten. Ihre Kurse bei der hiesigen Volkshochschule in Pflanzenkunde waren innerhalb kürzester Zeit ausgebucht. Darüber hinaus war sie eine Anlaufstelle für verletzte Jungvögel, aus dem Nest gefallene Eichhörnchen und unterernährte Igel. Doch dass sie sich so schnell zu einem unverzichtbaren Mitglied der Gemeinde gemausert hatte, rief natürlich auch viele Neider auf den Plan. Um den Klatsch und Tratsch um ihre Person anzufeuern, nahm sie stets einen Besen auf ihren Waldausflügen mit. Diese Marotte war durch ihren Mann entstanden, der sie oft als „meine kleine Hexe“ bezeichnet hatte, was unter anderem auf ihren Geburtsnamen Witsch zurückzuführen war, der wie das englische Wort für Hexe ausgesprochen wurde. Sie hatte niemandem diese Anekdote aus ihrem Leben verraten. Viel lieber amüsierte sie sich über die Menschen, die sich in ihrem Glauben bestärkt fühlten, wenn sie mit dem Besen ihre Runden drehte. War es nicht eigenartig, dass die meisten innerhalb von Sekunden ein Urteil fällen, ohne sich für Hintergründe zu interessieren? „Guten Tag, Frau Engel. Schöner Herbsttag heute, woll?“
Wieder nickte sie kurz und murmelte: „Hallo, ja sehr schön“, bevor sie ihren Weg fortsetzte.
„Ich dachte, da wäre ein Wildschwein im Feld. Hätte ich gewusst …! Aber alles ging so schnell. Mensch, der Konrad, jetzt ist er hin. Schade!“
„Sie geben also zu, dass Sie ihn erschossen haben?“
„Ich? Nein! Oder doch? Vielleicht. Hm, was haben denn die anderen gesagt?“, stammelte Paul Fuchs, der als Dritter im Bunde die Schüsse auf den vermeintlichen Schwarzkittel abgefeuert hatte.
„Nun Herr Fuchs, es ist doch nicht relevant, was die anderen zu Protokoll gegeben haben. Ich möchte Ihre Version des Vorfalles hören“, antwortete Max und lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. Paul Fuchs, der zusammengesunken auf dem Stuhl gegenüber kauerte, straffte seine Schultern und blickte Max mit kleinen braunen Augen für einen Moment argwöhnisch an, bevor er mit der Schilderung begann.
„Der Egon Krass hatte uns gebeten, am Sonntag in aller Frühe das Maisfeld mit unseren Hunden zu durchkämmen. Deshalb hatten wir vier uns dort verabredet und, als dann irgendetwas aus dem Feld herauszubrechen drohte, geschossen.“ „Hatten Sie sich nicht darüber gewundert, dass Konrad Reich zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetroffen war?“
„Nein“, erwiderte Paul und fügte schmunzelnd hinzu: „Letztendlich haben wir ihn ja getroffen. Oh, das hätte ich nicht sagen sollen. Entschuldigen Sie, das war pietätlos.“
Max seufzte leise. Dieser Paul Fuchs war schwerer einzuschätzen, als er gedacht hatte. War er nur ein harmloser Mitläufer oder ein Wolf beziehungsweise Fuchs im Schafspelz?
„Herr Fuchs, wir sind erst einmal fertig. Sie können jetzt nach Hause gehen. Aber halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung.“
Nachdenklich sah Max dem scheidenden Paul Fuchs hinterher, bevor er mit großen Lettern das Wort UNFALL auf einen Notizblock kritzelte, welches er mit einer Reihe von Fragezeichen versah. Alles wirkte eindeutig. Doch da war dieses Bauchgefühl, das seine Familie und Freunde scherzhaft als „Mr. Holmes Eingebung“ bezeichneten. Handelte es sich um einen dummen Streich, der außer Kontrolle geraten war? Oder war es ein geplanter Mord? Konrad Reich war nicht gerade als netter Wohltäter bekannt gewesen. Ganz im Gegenteil, noch vor drei Wochen hatte er die Firmenschließung angedroht und zeitgleich massenhaft Kündigungen verschicken lassen. Dabei war es ihm egal, was aus den ehemaligen Mitarbeitern wurde. Woraus er auch keinen Hehl machte. Für ihn zählten nur die Zahlen beziehungsweise der Gewinn. Auch seine drei gescheiterten Ehen zeugten nicht von einem umgänglichen Menschen. Aufgrund seiner eher unsozialen Ader hatte er auf politischer Ebene niemals Fuß fassen können. Was ihn natürlich nicht davon abgehalten hatte mitzumischen. Mittlerweile agierte er im Hintergrund und unterstützte alle, die seine Interessen durchboxten. Wenn man es emotionslos betrachtete, war das Ableben von diesem Individuum kein Verlust. Wohl eher etwas, was der ein oder andere heimlich feiern würde. In diesem Augenblick flackerte das Bild des Sektkorkens vor Max’ geistigen Augen auf, den sein Kollege Sven ihm gezeigt hatte, und nahm ihn gedanklich mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Zurück zu einem Vorfall, der sich vor ungefähr zwei Jahren ereignet hatte.
Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt. Doch handelte es sich weniger um eine mitfühlende Geste der Gemeinde als ein persönliches Absichern, dass Sören Pitzel wirklich das Zeitliche gesegnet hatte. Der pensionierte Beamte wohnte noch nicht lange in der schönen Ortschaft Amecke, welche am Südufer des Sorpesees zu finden ist. Er hatte es jedoch innerhalb kürzester Zeit geschafft, eine gewisse Berühmtheit zu erlangen, da er es als seine Aufgabe angesehen hatte, jede Kleinigkeit zu ahnden. Er beschwerte sich über Parkverstöße und meldete ungepflegte Grundstücke, inkorrekte Müllsortierung, laute Partymusik ab 22 Uhr, Hundegebell in der Nacht, Kindergekreische zur Mittagszeit und und und. Eine exakte Auflistung aller Bereiche würde den geplanten Umfang dieses Buches sprengen. Abschließend bleibt nur zu sagen, dass für Sören Pitzel, insgeheim nur Spitzel genannt, ein halb gefülltes Glas weder halb voll noch halb leer war, sondern von vorneherein nicht ordentlich gekühlt. Die letzten Silben des Kirchenliedes waren gerade verklungen, als Bäckereifachverkäuferin Anne sich flüsternd an ihren Sitznachbarn Maximilian Knapp wandte: „Wo auch immer er gelandet sein soll. Na ja, wir wissen ja wo. Aber wie auch immer. Wetten, dass er dort was zu meckern hat?“
Als zivile Person hätte er ihr sofort zugestimmt. Doch als Beamter im Dienst überhörte er den bissigen Kommentar.
„Haben Sie schon einen Verdächtigen?“
Verdammt noch mal! Konnte diese redselige Frau noch nicht einmal warten, bis die Trauerfeier beendet war? Allerdings war er unsicher, was ihn mehr erzürnte: ihre Geschwätzigkeit oder die Tatsache, dass sie einen wunden Punkt angesprochen hatte. Denn im Grunde genommen gehörte jeder der hier Anwesenden zu dem Kreis der Verdächtigen, da ein jeder negative Erfahrung mit dem Verstorbenen gemacht hatte. Seitdem man Sören Pitzel tot auf dem ehemaligen Sterngolfgelände aufgefunden hatte, liefen die Ermittlungen auf Hochtouren. Nach gründlichen Recherchen kam man letztendlich zu dem Schluss, dass Herr Pitzel von einem Sektkorken an der Schläfe getroffen worden war. Dies hatte wohl dazu geführt, dass er stolperte und mit dem Schädel auf eines der vom Grün überwucherten Hindernisse aufgeschlagen war. Da bis zum Auffinden der Leiche einige Tage vergangen waren, hatte das sauerländische Wetter mittlerweile alle brauchbaren Spuren verwischt. Obwohl sich Max Knapp in der Vergangenheit immer auf die Beobachtungsgabe der Einheimischen hatte verlassen können, biss er in diesem Fall auf Granit. Niemand hatte etwas gesehen oder gehört. „Muss ein Unfall gewesen sein.“ „Aber Korken fliegen doch nicht von allein durch die Luft!“ „Es passieren immer mal merkwürdige Sachen. Haben Sie schon gehört…“ So waren bisher alle Verhöre abgelaufen, die er in dem Zusammenhang geführt hatte.
„Und haben Sie nun schon einen Verdächtigen?“, fragte Bäckereifachverkäuferin Anne erneut.
„Sie wissen doch, dass ich über laufende Ermittlungen nicht sprechen darf. Aber sollten Sie mir etwas beichten wollen. Bitte schön. Dies wäre zumindest ein passender Ort“, flüsterte Max und betrachtete sie mit einem geschulten Blick. Zu seiner Verwunderung reagierte sie nicht wie erwartet. Zog sie sein Angebot ernsthaft in Betracht? Der Organist stimmte derweil die letzten Akkorde an, während die Gottesdienstteilnehmer Sitzbank für Sitzbank die Kirche verließen.
„Möchten Sie mir etwas mitteilen?“, fragte Max Knapp, kurz bevor seine Gesprächspartnerin den Platz räumte.
„Wie kommen Sie denn darauf?“, antwortete diese in einem Tonfall, dass ihm schlagartig bewusst wurde, dass er beim Brötchenholen den Satz: „Die Brötchen sind heute recht klein. Ich packe Ihnen eines mehr in die Tüte“, niemals wieder zu hören bekommen würde.
Sie rannte herum wie ein aufgescheuchtes Huhn und genehmigte sich, sobald sie den Tisch passierte, einen Schluck des rubinroten Sektes. „Es ist wieder passiert.“
„Kein Grund hysterisch zu werden. Wir haben ihn doch nicht umgebracht. Konnte doch keiner ahnen, dass die sofort losballern.“
„Nun, die wollten doch Schweine töten.“
Allgemeines Gelächter erfüllte den Raum. Nur unterbrochen vom Geklirre der Gläser.
„Leute, das ist nicht lustig.“
„Irgendwie schon. Auch diesen Mistkerl wird keiner vermissen.“
„Aber war das nicht gefährlich, einen Sektkorken vor Ort zu platzieren? Was, wenn man uns auf die Schliche kommt?“