Keks-Mord. Ein Hanseaten-Krimi - Stella Michels - E-Book

Keks-Mord. Ein Hanseaten-Krimi E-Book

Stella Michels

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Beschreibung

Dass ihm ausgerechnet seine Leidenschaft für Weihnachtsgebäck zum Verhängnis werden würde, damit hätte Gerth Roggen aus Flensburg wohl nicht gerechnet. Denn die Kekse, die er an diesem Tag im Dezember isst, haben es in sich – Gift! Kommissar Frieder Westermann wird mit dem Fall beauftragt und begibt sich auf die Suche in Gerth Roggens Vergangenheit. Doch wo soll er anfangen zu suchen? Hat Roggens Tod etwa mit dem geplanten Bau eines Putenmaststalls in Taby zu tun? Oder ist die Giftbäckerin unter seinen Frauengeschichten zu suchen? Die Sekretärin, die Ex-Frau, die neue Partnerin und die Affären – alle scheinen ein Motiv zu haben. Dieser Fall verursacht dem kochenden Kommissar zusätzlichen Stress in der Adventszeit. Erst vor kurzem wurde er Vater von Zwillingsmädchen, seine Hochzeit steht bevor, mehrere Diätversuche sind bereits gescheitert und der übliche Vorweihnachtstrubel hält die junge Familie in Atem. Entspannung findet Frieder nur noch beim Kochen und bei der Suche nach dem perfekten Familien-Segelschiff. Das plötzliche Auftauchen von Annas Verflossenem aus Husum, der Frieder bei den Ermittlungen helfen soll, macht das Chaos perfekt … Auch der neue Krimi der Syker Autorin Stella Michels wartet neben nervenaufreibender Hochspannung mit leckeren Rezepten zum Nachkochen und tollen Segeltörns auf!

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Seitenzahl: 242

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Stella Michels

Keks-Mord

Ein Hanseaten-Krimi

Michels, Stella: Keks-Mord. Ein Hanseaten-Krimi, Hamburg, ACABUS Verlag 2014

Originalausgabe PDF: 978-3-86282-320-8 ePub: 978-3-86282-321-5 Print: ISBN 978-3-86282-319-2

Lektorat: Roxanne König, ACABUS Verlag Umschlaggestaltung: © Marta Czerwinski, ACABUS Verlag Umschlagmotiv: http://pixabay.com, © Tim UR - Fotolia.com, © Meliha Gojak - Fotolia.com

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der ACABUS Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

© ACABUS Verlag, Hamburg 2014   Alle Rechte vorbehalten.

„Schade, dass man einen Wein nicht streicheln kann.“

Kurt Tucholsky

Anmerkung der Autorin:

Alle Handlungen und Personen, ausgenommen Ereignisse und Personen der Zeitgeschichte, sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig. Die Nennung von Markennamen dient lediglich der Beschreibung.

Der Ort Taby existiert dem Namen nach nicht. Er ist ein Fantasie-Produkt der Verfasserin. Gleichwohl ähnelt Taby (sprich: Toahbü) einer Vielzahl von kleineren Gemeinden im Nordosten des Bundeslandes Schleswig Holstein. Charakteristisch sind die dörflichen Strukturen, die Feldsteinkirchen sowie die Einbettung in einer von landwirtschaftlicher Nutzung geprägten und lieblich geschwungenen Landschaft. Die Namensendung „by“ erinnert an die Einwanderung 600 n. Chr. von Jüten und Dänen. „By“ bedeutet in der dänischen Sprache so viel wie Ort, Siedlung, Gehöft.

Prolog

Das Dröhnen der Triebwerke änderte sich, als das Flugzeug eine Schleife flog und mit dem Landeanflug auf den Flughafen begann. Ein gutaussehender Mann saß in der letzten Sitzreihe; er konnte die Hinterköpfe der Mitreisenden sehen. Die meisten Passagiere sahen aus den Fenstern, um einen Blick auf die sich rasch nähernde Landebahn zu erhaschen. Der Mann wusste, dass viele der Passagiere ein mulmiges Gefühl während der Landung hatten. Er hatte keine Angst. Wovor auch? Er würde bald sterben. So oder so. Da konnten ihn die Auswirkungen von Turbulenzen, ein abruptes Durchsacken des Flugzeuges, nicht beeindrucken.

Der angstlose Passagier in der letzten Reihe dachte an den Termin, den er vor Wochen für heute vereinbart hatte; er würde nicht lange dauern und in wenigen Stunden säße er wieder in einem Flugzeug, um den Rückflug anzutreten. Kein Mensch auf dem Kirchentag in Frankfurt am Main würde ihn vermissen. Wenn heute alles nach Plan ging, könnte er morgen wieder an den Gottesdiensten und Veranstaltungen teilnehmen. Und am Montag wäre er wieder bei seiner Familie in Schleswig-Holstein, die ihn auf dem Kirchentag wähnte.

Eins

Sofie Kehlenbeck stampfte mit den Füßen, um den Schnee von ihren Stiefeln zu entfernen. Er fiel in glasigen Klümpchen aus dicken Profilsohlen auf die Fußmatte vor der Bürotür des VFFF. Mit einer Handbewegung strich Sofie die Kapuze ihrer Wetterjacke zurück und zog die Handschuhe aus. Sie suchte nach dem Türschlüssel und einem Taschentuch. Warum musste ihr immer die Nase laufen, wenn es draußen so kalt war? Mistwetter!

Sie öffnete die Tür und griff nach dem Lichtschalter. Der kurze Flur war im Nu erhellt. Wie zum Hohn über das frühe Schneetreiben Mitte Dezember hingen an den Wänden eine Reihe sonniger Urlaubsplakate der Ferienregion um die Flensburger Förde. Auf allen Fotos schien die Sonne, die Förde glitzerte mittelmeerblau und die Menschen auf den Fotos waren Urlauber, die nicht froren und vor allem keine kalten Füße hatten. Sie lagen relaxed am Strand. In den Gesichtern spiegelte sich die reinste Lebensfreude über das Himmels- und Fördeblau und über die schönsten Wochen des Jahres. Der Weihnachtsstress und das Verkehrschaos, das durch den frühen Wintereinbruch den Flensburger Straßenverkehr lähmte, waren Lichtjahre von ihren Gedanken entfernt. Wer denkt im Sommer schon an die Adventszeit?

Auf Socken, die dicken Winterstiefel hatte Sofie Kehlenbeck auf eine Doppelseite der gestrigen Tageszeitung im Flur zum Abtropfen gestellt, betrat Sofie das Büro des Verein zur Förderung der Fördeferien Flensburg e.V. – kurz VFFF. Die Büroräume waren noch älter als der Verein selbst, der auf eine Initiative mehrerer an der Förde ansässiger Gastronomen und Hoteliers kurz nach der Gründung der BRD ins Leben gerufen wurde. Dass der Verein bis heute überlebt hat, verdankt er einigen traditionsbewussten und unflexiblen Mitgliedern, die sich mit den Marketingkonzepten der modernen Tourismusindustrie nie anfreunden konnten. Als das Internet aufkam und auch der VFFF seine Mitglieder auf die Möglichkeit dieser schnellen und aktuellen Informationsplattform hinwies, zogen sich die meisten Mitglieder zurück. Sie hätten in den letzten fünfzig Jahren keinen Computer gebraucht und würden jetzt auch keinen brauchen.

Sofies Büro war mit modernster Technik ausgestattet; sie schaltete ihren PC ein, loggte sich ein und startete Outlook. Während das Programm die Mails der letzten sechzehn Stunden abrief, kontrollierte Sofie den Anrufbeantworter und schaltete das Multifunktionsgerät, welches drucken, faxen, kopieren und scannen konnte, ein. Manchmal, wenn sie sich in ihrem modernen Büro umsah, war sie verwundert, wie schnell die Zeit vergangen war. Seit 35 Jahren arbeitete Sofie für den VFFF als Tausendsassa oder wie es neudeutsch heißt: als Projektmanagerin. Sie war Sekretärin, Buchhalterin, Telefonistin und Redakteurin in einer Person.

Als Relikt aus der Vergangenheit war lediglich ein runder, fast wassermelonengroßer Kaktus mit bleistiftlangen und dicken Stacheln, ein sogenannter Schwiegermutterstuhl, geblieben. Der Kaktus war das Erbe ihrer Vorgängerin und gehörte somit auf die Fensterbank des Sekretariats. Es hatte in der jüngeren Vergangenheit Zeiten gegeben, da ging ihr der Geschäftsführer des VFFF, Gerth Roggen, mit seiner Ungeduld und Nörgelei dermaßen auf den Geist, dass sie ihm am liebsten den Kaktus an den Kopf geworfen hätte.

Bevor Sofie Kehlenbeck die dicken Norwegersocken gegen elegantere Fußbekleidung tauschte, stellte sie in der winzigen Kaffeeküche die Kaffeemaschine an. Während das Wasser gurgelnd und prustend in den Filter lief, ging Sofie in das Büro von Gerth Roggen. Im Lichtlichkeit schein des Flurs konnte sie sehen, dass auf dem Besprechungstisch ein Adventsgesteck stand.

Aha, da hatte er wohl gestern Besuch. Gerth Roggen, das wusste Sofie genau, würde nie Geld für ein Adventsgesteck ausgeben. Er hielt den Gemütlichkeit verbreitenden Brauch für Firlefanz und damit für überflüssig. Das Gesteck war an Gerth Roggen verschwendet. Sofie gefiel, was sie sah: Um eine dicke nachtblaue Kerze war in einem Rund Tanne gesteckt. Vier Porzellanengel, die frivole goldfarbene Miniröckchen trugen und in Posaunen bliesen, waren symmetrisch um die Kerze angeordnet. Der Raum zwischen den Engeln schimmerte in tuffigen Wölkchen aus Goldhaar. Sofie stieg der Geruch von Tanne und Marzipan in die Nase. Es war der Duft der Adventszeit und er passte weder zu Gerth Roggen, noch in das unaufgeräumte Chefzimmer. Sofie trat näher und blieb erschrocken stehen. Warum sagte er nicht, dass er schon da war und warum saß er hier im Halbdunkeln? Schlief er etwa? Hatte er gestern Abend beim Chatten wieder zu viel Rotwein getrunken und war dann eingeschlafen? Sofie machte Licht. Ach du meine Güte! Was war denn mit dem passiert? Sofie wusste es sofort, obwohl sie nie zuvor einen Toten gesehen hatte und sie auch nie wieder einen sehen wollte. Ihr Chef saß hinter seinem Schreibtisch auf dem protzigen schwarzen Ledersessel, sein Kopf auf dem kurzen Hals war nach hinten an die Lehne gesunken. Das Gesicht mit den geschlossenen Augen und dem halbgeöffneten Mund machte einen entspannten Eindruck. Die schlaffen, bartstoppeligen Wangen des Dreiundsechzigjährigen hingen in Falten auf dem Hemdkragen. Eine Krawatte trug die Leiche nicht.

Sofies Gedanken rasten. Hatte sie sich das nicht oft gewünscht, wenn Gerth Roggen ihr, seiner besten und einzigen Mitarbeiterin, die Hölle heiß machte und ihr zu viel Arbeit zumutete? Hatte sie nicht oft gedacht, hoffentlich bekommt der alte Choleriker einen Schlaganfall und sitzt sabbernd vor einer Schnabeltasse im Pflegeheim? Nun war es soweit. Oder war er doch nur total besoffen?

Sofie traute sich nicht ihren Chef anzufassen. Wie oft hatte sie im Fernsehen gesehen, dass in diesem Moment der Tote vom Sessel kippte oder zufällig jemand kam. Das würde ihr hier nicht passieren. Nicht einmal die Putzfrau hatte einen Schlüssel für das Büro. Sofie rief die Polizei.

Während Sofie auf das Eintreffen der Polizei wartete, sah sie sich noch einmal genau im Büro ihres Chefs um. Die gesamte Schreibtischfläche war durch hohe Aktenstapel belegt. Lediglich eine Freifläche von vierzig mal vierzig Zentimeter war als Schreibfläche ausgespart. Auf dem schmalen Schenkel des Schreibtisches stand das Notebook ihres Vorgesetzten. Sofie trat näher und sah, dass das Notebook im Standby-Betrieb lief. Daneben stand – halb verdeckt von Aktenstapeln – eine filigrane Keramikschale, in der Weihnachtsgebäck lag. Es sah selbstgebacken aus. Die Mandeln auf den Keksen waren nicht professionell ausgerichtet. Und das Schwarzweißgebäck war an den Rändern fast verbrannt.

Mandelkekse! Der Keksbäcker oder die Keksbäckerin kannte Gerth Roggen noch nicht lange oder ignorierte seine Abneigung gegen harte Speisen. Gerth Roggen hatte ein extrem schiefes und unregelmäßiges Gebiss. Seine langen Zähne standen wie bei einem Steinbeißer in Zweierreihen ohne eine gerade Linie in seinem Mund. Sofie hatte diese Entdeckung erst nach vielen Jahren gemacht, ihr Chef lachte wenig und seine Zähne zeigte er auf andere Art.

Es roch intensiv nach Mandeln und Sofie überlegte, ob sie sich von den Mandelkeksen einen oder zwei stibitzte?

Bevor sie zugreifen konnte, klingelte es an der Tür und die Polizei traf ein.

Zwei

„Oh, du kleiner Rosenkohl …“ Frieder Westermann stand singend in der Küche am Herd. Aus der oberen Etage des Hauses hörte er fröhliches Kinderlachen, das sich in hohes Quietschen steigerte. Frieder grinste. Er war glücklich. Kann es für einen Mann mit siebenundvierzig Jahren etwas Schöneres geben, als Vater von Zwillingen zu werden? Die Mutter seiner Kinder, Anna Thomsen, hatte er vor eineinhalb Jahren in seiner Dienststelle BKI Flensburg kennen und lieben gelernt. Anna Thomsen war Kriminalkommissarin und sie wurde seine Kollegin.

Die Aufklärung eines Totschlagdelikts schweißte das Team Westermann-Thomsen eng zusammen. Ende des vorletzten Sommers war beiden Kommissaren klar, dass sie nicht nur wegen des zu erwartenden Nachwuchses zusammenbleiben wollten. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge hatte Frieder sein komfortables Hausboot verkauft und war mit Anna in sein Elternhaus an die Ostseite der Förde gezogen. Sein Arbeitsweg war nun etwas länger. Dafür freute er sich jeden Abend auf das nach Hause kommen. Heute war es ihm trotz chronischem Personalmangel im BKI gelungen, pünktlich Feierabend zu machen. Während Anna die Zwillingsmädchen Marina und Valentina badete und in die Betten legte, bereitete Frieder das Abendessen vor. Die Vaterschaft hatte ihm figürlich zu gut getan, denn die wenigen Kilos, der er während der aufregenden Werbephase um Anna verloren hatte, waren längst als unübersehbare Bauchrundung zurückgekommen. Während Annas Schwangerschaft wurden Anna und Frieder zeitweilig von Dritten gefragt, wer von ihnen beiden denn nun die Kinder bekäme? Obwohl Frieder nach wie vor glühend in seine attraktive und schlaue Frau verliebt war, nahm er seine figurschädigenden Essgewohnheiten wieder auf. Heute hatte er Appetit auf Spiegeleier und er entschied, ganz unkompliziert Stramme Mäxe zuzubereiten. Anna hatte ein Faible für dieses Rezept, wobei man von einem mit Butter bestrichenem Landbrot, das mit rohem Holsteiner Schinken belegt und mit Spiegeleiern gekrönt wurde, kaum von einem Rezept sprechen konnte.

Frieder deckte den Tisch und rief nach oben in den ersten Stock: „Seid ihr fertig?“

„Ich bin gleich bei dir. Kannst die Eier schon in die Pfanne hauen.“

Frieder und Anna aßen in der gemütlichen Küche, deren Fenster über die Terrasse einen Blick – wenn es hell gewesen wäre – auf die Flensburger Förde gestattet hätte.

„Was machen die beiden? Schlafen sie schon? Ich wollte sie doch noch zur Nacht knuddeln.“

„Nein, die werden uns heute noch unterhalten. Ich war heute Morgen mit ihnen beim Kinderarzt – es ist alles okay – und heute Mittag haben sie lange geschlafen. Ich habe aber trotzdem nicht das geschafft, was ich mir vorgenommen hatte.“

Anna seufzte. Das Leben mit zwei temperamentvollen Kleinkindern war aufregend und anstrengend. Häufig, wenn Anna dachte, jetzt ist mal fünf Minuten Ruhe, passierte etwas Unvorhergesehenes. Anna war ständig dabei, sich selbst zu überholen und kam doch nicht vorwärts.

„Okay. Dann esse ich erst in Ruhe. Kochst du mir einen Tee, während ich oben bin?“

„Ja, mach ich. Und dann müssen wir endlich die Entscheidung treffen, was wir Weihnachten machen.“

Frieder scherzte: „Wollen wir in die Karibik fliegen?“

„Du weißt genau, dass ich meinte, ob wir hier feiern oder mit den Mädchen zu meinen Eltern nach Pellworm fahren. Helma kommt am Samstag und das ist schon übermorgen.“

„Freu dich, wenn meine Mutter hier ist, hast du Entlastung.“

„Ja, schon … Wir verstehen uns ja gut und mit den Mädchen kommt sie prima klar. Ich habe aber noch genug vor Weihnachten zu erledigen. Und ich möchte gerne wissen, was wir essen wollen zu Weihnachten, wenn wir hierbleiben?“

Während Frieder seinen Töchtern Schlaflieder vorsang, räumte Anna das benutzte Geschirr in die Spülmaschine. Sie war so müde und am liebsten würde sie schlafen gehen. Die Geburt der Kinder lag fast ein Dreivierteljahr zurück und Anna fühlte sich abends so bleiern und schwer, als würde sie im kommenden Juli Achtzig und nicht Vierzig werden. Und irgendwie war sie auch in dem Haus, das sie mit Frieder bewohnte, noch nicht richtig angekommen. Die letzten zwei Jahre waren auch mehr als turbulent verlaufen. Sie hatte sich von einem zur Polygamie neigenden Partner getrennt und sich deshalb aus ihrer Heimatstadt Husum in die Dienststelle nach Flensburg versetzen lassen. Dort traf sie auf Frieder und ehe Anna sich versah, waren Frieder Westermann und Anna Thomsen nicht nur beruflich ein Paar, sondern auch privat. Als sie schwanger wurde, zog sie zu Frieder auf sein Hausboot an der Flensburger Förde. Dann machten sie sich auf die Suche nach einem Haus, das nicht nur ruhig und mit Blick auf die Förde gelegen sein, sondern auch geeignete Schulen in der Nähe haben sollte. Das Unterfangen war aussichtslos; vor allem weil Frieder sehr anspruchsvoll war. Schließlich stand sein Elternhaus auf einem Top-Grundstück mit eigenem Strandzugang in der Nähe eines Yachthafens. Frieders Mutter, eine vitale und modern denkende selbständige Frau, machte der Haussuche ein Ende. Sie überschrieb ihrem Sohn und seiner Partnerin den stilvollen Bungalow an der Ostseite der Förde. Helma Westermann folgte der Einladung einer ehemaligen Nachbarin und guten Freundin, diese auf der Kanareninsel Fuerteventura zu besuchen.

Als Frieder von seinen temperamentvollen Töchtern als Gute-Nacht-Singer entlassen wurde, schlief Anna auf der Couch vor dem Fernseher. Judith Rakers berichtete während der Tagesschau für Anna völlig überflüssig, was in der Welt passiert war.

Frieder schaltete den Fernseher aus, er würde später Tagesthemen gucken. Jetzt wollte er mit Anna reden. Sonst würden sie, noch bevor die Mädchen laufen konnten, eines dieser Paare werden, die nicht mehr miteinander reden und gleichgültig gegenüber den Belangen und Bedürfnissen des Partners nebeneinander, aber nicht miteinander leben.

Frieder wollte mit Anna gemeinsam müde sein, die Töchter erziehen und aufwachsen sehen. Und er wollte im Frühling wieder mit Anna segeln gehen. Wie lange war es schon her, das er und Anna den Abend und die Nacht im Bett verbrachten, sie sich mit einer Intensität liebten, die atemlos machte und Frieder zwischendurch aufstand und etwas zu Essen und Champagner ans Bett holte? Es schien Frieder, dass solche Nächte mit seiner Frau in einem anderen Leben stattgefunden hatten. Gerne würde er, wenn die Kinder schliefen, abends einfach früh ins Bett gehen und den Zauber der ersten Verliebtheit aufleben lassen. Aber irgendwie war jeder Tag um Stunden zu kurz und er zu müde.

Frieder küsste Anna zart auf die Wange.

„Mm? Habe ich etwa geschlafen? Ach, Frieder tut mir leid. Der Tee ist fertig.“

„Ja, das sehe ich. Du wolltest vorhin mit mir über die Feiertage reden. Ist das noch aktuell?“

„Ja. Ach – nein. So dringend ist es auch wieder nicht. Erzähl mir, Lieber, was heute im BKI los war.“

Im Frühling war Frieder Westermann befördert worden. Der langjährige Dienststellenleiter Manfred Hansen ging in den wohlverdienten Ruhestand und er hatte Frieder Westermann als geeigneten Leiter der Bezirkskriminalinspektion Flensburg – kurz BKI – vorgeschlagen; nicht zuletzt aufgrund Frieders langer Dienstzeit, seiner großen Erfahrung und zahlreichen Ermittlungserfolgen und natürlich wegen seiner Beliebtheit bei den Kollegen.

Fast zeitgleich mit dem Wechsel seiner Position wurden seine Töchter geboren; er wurde Vater und Chef. Seine Hoffnungen, mit der neuen Position geregelte Arbeitszeiten zu haben und nicht mehr im Außendienst zu ermitteln, zerschlugen sich. Im Gegenteil: Er hatte mehr denn je um die Ohren; privat wie auch beruflich.

Seine ehemalige Stelle als Kriminalhauptkommissar war mit einem neuen Mitarbeiter zu besetzen. Darüber hinaus fehlte Anna aufgrund des Erziehungsjahres. Und um die Misere im Amt zu vervollständigen, fiel auch Sören Schneider, sein langjähriger Kollege und Segelfreund, wegen eines Knöchelbruches für mehrere Monate aus.

„Ich habe Aussicht auf eine Vertretung für Sören Schneider. Das ist zumindest etwas. Die Trick- und Taschendiebe machen uns in der Weihnachtszeit viel Arbeit. Du weißt, dass deine Stelle und vor allem du, meine Liebe, nicht zu ersetzen sind?“

Frieder zog seine Frau dicht an sich und legte den Arm um Annas zierlichen Oberkörper. Ihre dunklen Locken kitzelten ihm am Hals. Frieder liebte den besonderen Anna-Geruch, der in ihrem Haar haftete. Ganz nah an ihrer Schläfe sagte er: „Kennst du einen Christian Meier?“

„Aus Husum?“

„Hmh.“

„Ein neuer Kollege?“

„Hmhmh. Frag doch nicht so viel. Kennst du ihn?“

„Leider.“

Frieder spürte, dass Anna ihre entspannte Lage veränderte. Anna hätte sich ohrfeigen können, als sie zugab, Christian Meier zu kennen. Sie kannte ihn sehr gut. Er war der Mann, der sie vor fast zwei Jahren nach Strich und Faden betrogen und ein Kind mit einer Kollegin gezeugt hatte. Daraufhin hatte sich Anna nach Flensburg versetzen lassen. Was sich im Nachhinein als absoluter Glücksfall herausstellte. Ihr Kollege und Partner im Dienst, Frieder Westermann, war nicht nur der Vater ihrer Zwillingsmädchen, sondern der Mann, mit dem sie alt werden wollte.

„Es hat heute einen Toten gegeben. Ich war aber nicht am Tatort. Die Kollegen sollen erst die Vorarbeiten machen, ich kann nicht mehr so viel im …“

„Ein Mord?“

„Ich vermute es – die Spurensicherung ebenfalls. Ich muss bis morgen warten. Fakt ist, der Tote roch nach Marzipan oder Mandeln und das deutet auf Kaliumcyanid hin. Entweder hat er Suizid begangen oder aber er ist vergiftet worden. Dann ist der Täter vermutlich eine Frau.“

Anna verstand. Frieder sprach von Zyankali, das in Verbindung mit Magensäure Blausäure freisetzt, die den intensiven Geruch nach frischen Mandeln verströmt. Bei einem erwachsenen Menschen beträgt die tödliche Dosis etwa 140 mg Cyanid. Das Gift wirkt innerhalb weniger Minuten tödlich. Nach einer Bewusstseinstrübung setzt Atemstillstand und daraus folgend Herzstillstand ein. Giftmorde wurden häufig von Frauen begangen.

„Wenn ich dir was helfen kann, sag es mir.“

„Du hast genug zu tun und ich sehe, du bist genauso erschöpft wie ich auch. Irgendwie müssen wir unseren Tagen mehr Stunden geben oder Zeitdiebe ausschalten.“

„Kann ich mich klonen lassen? Eine Anna für die Kinder und den Haushalt und eine Anna nur für dich!“ Anna lächelte Frieder an.

„Tolle Vorstellung, zwei von deiner Sorte. Lass das mal lieber. Ich könnte mich ja nicht zwischen euch entscheiden. Eine Anna reicht mir vollkommen.“

Frieder atmete tief aus und trank den letzten Schluck Tee aus seinem Becher.

„Was ist an Post gekommen?“

„Nur Reklame und deine Segelzeitschrift DIE YACHT. Ich habe sie dir auf den Schreibtisch gelegt. Sag mal, hast du das vorherige Heft noch nicht gelesen?“

„Nein. Wann sollte ich das denn tun? Ich bin im Sommer ja nicht mal mehr zum Segeln gekommen.“

Bislang haben Frieder und Anna kurze Segeltörns mit ihren beiden Piratenjollen auf der Flensburger Förde unternommen. Und für gelegentliche Wochenendtörns in die nahe gelegene Dänische Südsee konnten sie sich von Segel-Vereins-Freunden ein komfortables Fahrtenschiff leihen. Die Überlegung, ein eigenes Fahrtenschiff anzuschaffen, war bei Frieder nicht neu. Sie scheiterte jedoch am Zeitmangel und letztendlich an den finanziellen Möglichkeiten. Jetzt hatte er den Verkaufserlös vom Hausboot und keine Hypothekenraten für sein Wohnhaus zu zahlen, weil seine Mutter auf eine Bezahlung des Hauses verzichtet hatte. Frieder und Anna suchten ein Schiff, das neben guten Segeleigenschaften ausreichend Platz für zwei Erwachsene und zwei quirlige Kinder bot. Und bezahlbar sollte es auch sein.

„Ich nehme mir die Hefte morgen mit ins Büro; vielleicht kann ich mal zwischendurch reinsehen. Bist du denn mit der Suche nach einer Kinderfrau weitergekommen?“

Seit ein paar Wochen suchten Anna und Frieder händeringend eine kompetente Frau, die vormittags oder abends nach Absprache die Mädchen betreuen sollte. Leider klafften zwischen Annas und Frieders Ansprüchen und der Wirklichkeit auf dem Stellenmarkt Welten. Frieder und Anna stellten sich eine reife Frau, die Kinder hat oder hatte und nach Möglichkeit eine Ausbildung im Erziehungswesen, vor.

Anna verdrehte die Augen und schüttelte mit dem Kopf: „Du glaubst gar nicht, wer sich als Kinderfrau berufen fühlt. Wenn ich dir die E-Mail-Adressen der Bewerber und Bewerberinnen zeigte, könnte es passieren, dass du deine Kollegen von der Sitte einschaltest. Heute bewarb sich eine Frau, eigentlich eher ein Mädchen von Achtzehn, die nannte sich @HotAngel und war nicht in der Lage, einen Satz fehlerfrei zu schreiben. Wahrscheinlich liegen ihre Qualitäten auf einem anderen Gebiet. Die Krönung war allerdings eine Mail von einem jungen Mann. Ich habe eigentlich nichts gegen eine männliche Kinderfrau oder heißt es dann Kindermann? Also, ich hätte ja nichts gegen einen Mann, wenn die Chemie zwischen ihm, uns und den Kindern stimmte. Was ich sagen wollte“, Anna lachte, „der Bewerber bot auch Putzarbeiten, die er Oben-Ohne verrichten wollte, an.“

Frieder reagierte humorlos, „Das kommt überhaupt nicht in Frage! Wir geben unsere Kinder nicht für fünf Minuten in unqualifizierte und unreife Hände!“

„Liebling! Es ist gut. Natürlich geben wir unsere Sonnenscheinchen nur in Hände, denen wir absolut vertrauen. Vielleicht haben wir Glück und finden bald das, was wir suchen.“

Frieder wechselte das Thema: „Was kommt denn im Fernsehen?“

„Ein Brennpunkt zum Thema des Fleischskandals von vorgestern.“

„Ich kann es nicht mehr hören! Schon wieder ist was mit unserem Essen! Wie und wo soll der Verbraucher denn noch seinen Lebensmittelbedarf decken und wer kann die hohen Preise für Bioprodukte bezahlen?“ Frieder erwartete keine Antwort von Anna. Sie waren sich einig, was gesunde Ernährung betraf. Nach Möglichkeit deckten sie ihren täglichen Lebensmittelbedarf in einem Hofladen, der zu einem konventionellen Landwirtschaftsbetrieb ohne Massentierhaltung gehörte. Anna und Frieder wussten, dass auf diesem Hof kein Etikettenschwindel betrieben wurde. Und die Produkte waren bezahlbar.

Jetzt fragte Frieder: „Gibt es nichts Gemütliches in der Glotze, etwas zum langsamen Absacken?“

„Meinst du heile Welt ohne Action und Mord und Totschlag?“

„Das weißt du doch! Ich habe im BKI genug mit Diebstahl und Gewaltdelikten zu tun.“

„Dann schalt doch bitte auf das Dritte. Da läuft die Serie des NDR ‚Land im Gezeitenstrom‘. Hat zwar schon angefangen, aber das macht ja nichts. Volker Lechtenbrink ist der Sprecher…“

Die fantastischen Bilder des Gezeitenlandes zwischen den Ostfriesischen Inseln, die Trägheit und Ruhe der Inselorte, grünes, weites Land und weiße Wattewolken, die schafherdengleich über den ostfriesischen Himmel wanderten sowie die beruhigende Stimme von Volker Lechtenbrink gaben den ohnehin erschöpften Eltern den Rest.

Kurz vor zweiundzwanzig Uhr wachte Anna auf. Hatte da eines ihrer Kinder geweint? Frieder schnarchte leise neben ihr auf der Couch.

Drei

Sofie Kehlenbeck kochte Kaffee und bereitete den Besprechungstisch im Büro des VFFF vor. Für zehn Uhr hatten sich zwei Kriminalkommissare angemeldet. Sie hätten ein paar Fragen zum Tod von Gerth Roggen. Nachdem gestern die Leiche von Gerth Roggen abtransportiert und die Spurensicherung das Büro verlassen hatte, wusste Sofie zunächst nicht, was sie tun sollte. Es gab so viel zu bedenken und beachten. Wen sollte sie zuerst anrufen? Seine Ex-Frau? Ging die der Tod ihres Ex-Mannes noch etwas an? Und im Verein? Der Vorsitzende des Vereins, der gleichzeitig Inhaber einer größeren Hotelkette in Norddeutschland war, befand sich in der Karibik und machte seit Anfang November Urlaub. Er würde erst kurz vor Weihnachten mit den ersten Weihnachtsferiengästen zurückkommen.

Während Sofie Kehlenbeck überlegte, ob sie die Kerze auf dem Adventsgesteckt anzünden sollte, klingelte es an der Bürotür.

Frieder Westermann und sein neuer Mitarbeiter, Christian Meier aus Husum, standen vor der Tür. Frieder zeigte seinen Dienstausweis und sagte: „Wir haben angerufen. Sind Sie Frau Kehlenbeck? Dürfen wir reinkommen?“

Sofie nickte und machte eine einladende Handbewegung. Beim Anblick von Christian Meier dachte sie: Hui! Schnuckelige Kripobeamte haben wir in Flensburg.

Christian Meier hatte eine sportliche Figur und war einen Kopf kleiner als der stattliche knapp einsfünfundneunzig große Frieder Westermann, der einen barocken Eindruck machte in seinem naturfarbenen und viel zu engen Lammfellmantel. Christian Meier sah verdammt gut und smart aus, er erinnerte gleichzeitig an den jungen Tom Cruise und Brad Pitt. Sofie wünschte, sie wäre mindestens zwanzig Jahre jünger und zwanzig Kilo leichter und verfluchte still ihre gleichgültige Entscheidung, heute einen dicken Rollkragenpullover und die bequeme, jedoch unvorteilhaft sitzende curryfarbene Cordhose anzuziehen. Was soll’s? Eigentlich bin ich ja glücklich verheiratet …, dachte sie. Und für eine Affäre fühlte Sofie sich seit Beginn des Klimakteriums zu alt. Neulich hatte sie zu ihrer Freundin gesagt, die single und mit fünfundfünfzig immer noch auf der Suche nach dem Traumprinzen mit viel Verständnis und noch viel mehr Geld war, der Mann, der sie, Sofie, erobern könnte und mit dem sie sich unter Umständen einließe, müsste ein Sehbehinderter sein. Nackt könne sie sich nur noch im Dunkeln zeigen.

Die Kommissare hatten am Besprechungstisch Platz genommen. Sofie schenkte Kaffee ein. Christian Meier betrachtete interessiert und mit geneigtem Kopf die blasenden Posaunenengel auf dem Adventskranz. Es schien, als versuche Christian Meier, den Engeln unter die kurzen Porzellanröckchen zu gucken.

Frieder Westermann nahm einen Schluck Kaffee und stellte fest: „Die Kerze war ja noch nie an. Wir haben doch schon den zweiten Advent gehabt?“

„Ja. Das Gesteck ist auch neu. Als ich gestern kam, stand es hier auf dem Tisch. Ich weiß aber nicht, woher es kommt.“

„Erzählen Sie doch mal in aller Ruhe und immer der Reihe nach, wie das gestern genau war, als Sie in das Büro gekommen sind.“

„Tja, ich war spät dran. Der Schnee gestern Morgen hat mich aufgehalten. Und deshalb war ich auch etwas hektisch, als ich kam. Mir ist auch erst später aufgefallen, dass die Bürotür nicht abgeschlossen war. Ich brauchte den Schlüssel nur einmal umdrehen. Da hätte ich wissen müssen, dass Herr Roggen schon da ist. Aber kaum war ich im Büro und hatte meine nassen Stiefel ausgezogen, da klingelte das Telefon.“

„Wer war dran?“

„Ein Tourist aus Süddeutschland wollte wissen, wie das Wetter im Sommer bei uns ist und dann hat er Prospekte bestellt.“ Sofie berichtete den Kommissaren von ihrer Morgenroutine im Büro und wie sie ihren Chef tot auf dem Sessel gefunden hatte.

„Ist Ihnen etwas Besonderes aufgefallen?“, fragte Christian Meier.

„An meinem Chef? Oder meinen Sie überhaupt …?“

Sofie war befangen und ihre Stimme knickte weg. Hoffentlich dachten die Kriminalkommissare nicht, dass sie etwas mit dem Tod von Gerth Roggen zu tun hatte. Sie nahm sich zusammen und sprach jetzt klar und deutlich: „Ja, Herr Roggen sah aus, als wäre er besoffen.“

„Woher wissen Sie, wie Ihr Chef betrunken aussieht?“

Sofie Kehlenbeck trank einen Schluck Kaffee und sagte: „Wissen Sie, ich arbeite seit fast fünfunddreißig Jahren hier. Der erste Vorsitzende hat mich damals eingestellt. Erst drei Jahre später wurde Herr Roggen als Geschäftsführer bestellt. Wir haben uns anfangs gut verstanden und sind auf Geschäftsreisen auch mal abends weggegangen. Einmal – kurz nach der Wiedervereinigung, die hatten in den Neuen Ländern noch keine D-Mark, waren wir auf Rügen, um die Hotellandschaft zu erkunden … Na, ja. Man konnte sich für zehn Ostmark besinnungslos trinken, was Herr Roggen auch tat. Er saß in einer Kneipe und schlief im Sitzen an der Theke ein. Ich wollte …“

Frieder unterbrach Sofies Erinnerungen. „Also, Frau Kehlenbeck, jetzt mal Klartext. Vorhin sagten Sie, das Adventsgesteck sei neu. Was war noch verändert, als Sie gestern Morgen kamen?“

Sofie dachte nach. „Hm, tja … Nichts. Eigentlich nichts. Bis auf die nicht verschlossene Tür und das Gesteck …“ Sofie versuchte sich zu erinnern. Sie tat jeden Morgen die gleichen Handgriffe in der gleichen Reihenfolge. Nur manchmal – so wie gestern, als sie die Stiefel auszog – gab es eine Unterbrechung durch das Telefonklingeln. Und da fiel es ihr ein. Das Büro hatte anders gerochen! Sie sagte: „Doch. Da war was. Er hatte Kekse neben dem Notebook stehen. Und es roch nach Marzipan oder nach Mandeln.“

„Das wissen wir schon. Die Kekse haben wir mitgenommen. Sie werden untersucht. Wissen Sie, woher er die Kekse hatte? Stammen die aus dem Büro und sind noch mehr davon da?“

„Nein, das waren keine Besprechungskekse, wie wir sie anbieten. Und woher er die hat? Ach, Gott! Der Mann war naschhaft und verfressen. Manchmal kaufte er sich etwas Süßes, wenn er Hunger hatte.“ Sofie zog eine Grimasse. „Er ernährte sich schlecht: Das war ja auch nicht zu übersehen. Diese Kekse kann er sich aber nicht gekauft haben, denn er mochte keine Mandeln und eigentlich aß er nur weiche Schokoladenkekse.“

Christian Meier machte Notizen und Frieder setzte die Befragung fort: „Was hatten Sie für ein Verhältnis oder Beziehung zu Gerth Roggen?“

„Hm. Mit einer Schulnote bewertet, würde ich sagen: Drei bis Vier. Wir wussten, was wir voneinander zu halten hatten. Wie das so ist, wenn man über dreißig Jahre zusammenarbeitet und sich zeitweilig nervt. Als er jünger war, kamen wir besser miteinander aus.“

Christian Meier wollte wissen: „Schliefen Sie mit ihm?“

„Nein! Er war nicht mein Typ. Außerdem bin ich verheiratet.“

„Das hat noch nie jemanden gehindert fremd zu gehen, Frau Kehlenbeck“, schaltete Frieder sich ein. Sofie fragte sich, warum Kommissar Westermann seinen Mitarbeiter Christian Meier so wütend ansah. Die Frage, ob sie ein Verhältnis mit ihrem Chef hatte, war doch legitim. Das wurde ja in fast jedem Fernsehkrimi gefragt.