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Auf einem Empfang macht Ken Norton die Bekanntschaft eines sonderbaren Mannes. Raymond de Chanfray bittet ihn, gegen eine großzügige Summe nach einem Kunstgegenstand zu suchen, der seit ewigen Zeiten im Familienbesitz war und ihm gestohlen worden ist. Es reizt ihn, sich aufzumachen, handelt es sich bei besagtem Gegenstand doch um die ‚Blume des Gilgamesch’, die Unsterblichkeit verspricht. Jene Blume ist hier ein goldenes Zepter, dessen Spitze die Form einer Blüte hat, in die ein Kristall eingearbeitet ist. Dass die Diebe einer Sekte angehören, die mit dem Zepter eigene Ziele verfolgt, verschweigt Chanfray allerdings... Die Spur führt den Anthropologen nach Marrakesch, wo es einen Schwarzmarkt für gestohlene Kunstschätze gibt. Ken gerät auf seiner Suche in einen Hinterhalt, als er sich nachts mit einem Mann trifft, der ihm angeblich einen Hinweis auf den Verbleib des geraubten Zepters geben will. Die Mitglieder der Sekte sind längst gewarnt, und zu spät bemerkt er die Falle. Nach einem Kampf auf Leben und Tod gelingt es ihm zwar, das Zepter an sich zu bringen, doch die Berührung hat fatale Folgen. Durch eine gleichzeitig gesprochene magische Formel wird der Anthropologe in eine andere Welt geschleudert. Als er wieder zu sich kommt, findet sich Ken Norton in einer unwirtlichen Gegend wieder.
Damit beginnt ein phantastisches Abenteuer für Ken Norton, das sich zwischen unserer Erde und der phantstischen Welt der „Straße der Legenden“ abspielt.
Eine gelungene Mischung zwischen Fantasy und Abenteuer á la Indiana Jones.
Dieses eBook ist die Gesamtausgabe der zehnbändigen Serie, die zuerst als Heftromane erschienen ist.
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Veröffentlichungsjahr: 2016
Lothar Gräner und Erik Schreiber – Ken Norton -
1. eBook-Auflage – Dezember 2013
© vss-verlag Hermann Schladt
Titelbild: Allan Bruder
Lektorat: Werner Schubert
www.vss-verlag.de
Lothar Gräner
KEN NORTON
Das große Fantasy—Abenteuer
Von den Höhen der Dasachannberge ergießt sich ein gewaltiger Fluss, der einen ganzen Kontinent durchfließt und mit seinem Wasser nährt. Die Völker, die an seinen Ufern leben, gaben ihm den Namen „Die Straße der Legenden“, denn so bunt und vielfältig wie diese Völker sind die Sagen und Legenden, die sich um den Fluss ranken und die des Abends an den Feuern der Hirten und Karawansereien erzählt werden.
Wie die Legende vom „Zepter der Finsternis“.
Vor Urzeiten schuf der Gott My-Tharn-yarl die Welt. Er verliebte sich in Neira, die Göttin der Meere und allen Wassers. Doch Neira erwiderte diese Liebe nicht. Voller Verlangen nach ihrem Körper nahm My-Tharn-yarl die Gestalt eines schönen Jünglings an und verführte die Meeresgöttin.
Sie gebar die Zwillinge Chrios und Nheli, zwei Töchter, die gegensätzlicher nicht hätten sein können. Während Chrios rein und voller Licht war, brach aus Nheli die dunkle Seite ihres Vaters hervor. Auf Geheiß des großen Gottes wurde Chrios die Göttin des Lichts, während seine Lieblingstochter die dunkle Seite seiner Macht verkörperte.
Während die einen Chrios verehrten, beteten andere die Göttin der Finsternis an. Eines Tages kam es zum Streit um die Herrschaft über die Welt, und ein großer Kampf begann. Lange Zeit war der Himmel über der Straße der Legenden verdunkelt, während sich das Wasser des Flusses von dem Blut der Toten rot färbte. In einer letzten großen Schlacht gelang es Chrios, ihre Schwester zu besiegen und sie bannte die dunklen Kräfte in einen Kristall.
Gil-Em-lot, der Schmied der Götter, schuf ein goldenes Zepter, das von diesem Kristall geziert wurde. Chrios machte das Zepter den Menschen zum Geschenk, als Zeichen des Bundes zwischen ihnen. Seit jenen fernen Tagen wurde das Zepter der Finsternis im Lichttempel von Bel-achay bewahrt. Jedes Jahr, am Tage des Sieges über die Finsternis, zeigte man es dem Volk, und der Bund wurde erneuert. Pilger aus aller Herren Länder kamen in die Hauptstadt des argoonischen Königreiches, und es herrschte ein buntes Treiben und ausgelassene Stimmung. Auf dem Höhepunkt der Feierlichkeiten wurde das Zepter den Menschen gezeigt, um ihnen vor Augen zu führen, dass Chrios, die Lichtgöttin, über sie wacht.
Doch eines Tages verschwand das Zepter aus dem Tempel, und die Anhänger der Göttin Nheli erstarkten. Dunkle Mächte streckten ihre Hände aus nach den Ländern an den Straßen der Legenden, und Tod und Verderben kam über alle Königreiche.
Dies geschah vor vielen Zeitaltern, doch noch immer tobt der Kampf zwischen Gut und Böse. Niemand kann sich ihm entziehen, denn die Macht des Dämonengottes ist bis in ferne Welten spürbar.
My-Tharn-yarl lebt, und seine Anhänger streben danach, Nheli aus ihrem Kristallgefängnis zu befreien, um der Finsternis Tür und Tor zu öffnen.
Die Gestalt drückte sich an die Mauer, die das Château Chanfray umgab, und verharrte einen Moment still. Sie trug einen eng anliegenden Anzug aus schwarzem Latex, der sich kaum von den dunklen Steinen der Schlossmauer abhob.
Schwarz war auch die Maschinenpistole, die über der Schulter des ungebetenen Besuchers hing ...
Am Himmel stand der silberne Mond. Es war so hell, dass der Mann genug sehen konnte. Er schlich langsam weiter zum Tor. Wie erwartet, war die schmale Tür daneben verschlossen, doch für den Eindringling war das kein Hindernis. Er zog einen Bund aus der Tasche seiner eng anliegenden Jacke, an dem verschiedene Dietriche hingen. Er benötigte mehrere Versuche, bis sich die Tür mit einem leisen Klicken öffnete. Rasch schlüpfte der Mann hindurch und drückte sie hinter sich wieder zu.
Ein kurzer Blick, dann lief er über den Schlosshof, erreichte die Treppe, die zum Eingang empor führte, und blieb dort leise atmend stehen.
Bis hierher hatte er es geschafft. Es war ein Kinderspiel gewesen; der schwierigste Teil seiner Mission lag noch vor ihm.
Er schaute auf die Reihe Autos, die im Schlosshof standen. Teure Modelle; für jedes einzelne konnte man gut und gerne ein Einfamilienhaus kaufen. Der Mann grinste. Raymond de Chanfray hatte illustere Gäste geladen. Sie alle gehörten zu dem Kreis Eingeweihter, die an diesem Abend an einem ganz besonderen Ritual teilnahmen.
Ein Ritual, das zu stören er gekommen war ...
Die Eingangstür war nicht verschlossen. Der Mann warf einen kurzen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk, bevor er die Halle betrat. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Wenn sein Plan gelingen sollte, musste er sich beeilen.
Er orientierte sich kurz. Es war schon lange her, dass der Hausherr ihn in seinem Château empfangen hatte. Damals hatte es nur wenig Gelegenheit gegeben, sich genau umzusehen, aber ihm hatte es gereicht. Immerhin wusste er, dass sich der Altarraum im Keller befand, genau wie das Zimmer, in dem sich die Gäste umzogen.
Die Stille war beinahe beängstigend. Aber Angst hatte er nie gekannt. Außerdem konnte er beruhigt sein, denn außer der Versammlung unten im Keller war sonst niemand im Schloss; der Graf hatte seiner Dienerschaft, wie immer an solchen Tagen, freigegeben.
Er durchquerte die Halle, die mit alten, kostbaren Möbeln voll gestellt war. An den Wänden hingen wertvolle Bilder. De Chanfrays Ahnengalerie, aber auch Werke bekannter Maler wie Degas, Monet oder Picasso. Unter anderen Umständen hätte er sich mit diesen Gemälden befasst, doch heute war er nicht gekommen, um Kunstschätze zu stehlen, sondern etwas viel Wertvolleres ...
Vor ihm lag eine Treppe, die in den Keller führte. Ein fahles Licht brannte und erhellte sie nur unzureichend. Der Eindringling tastete sich langsam die Stufen hinunter. Unten angekommen wandte er sich dem rechten Gang zu; der linke führte, wie er wusste, zum Weinkeller. Der Gang mündete vor einer Tür. Dahinter befand sich ein großer Raum, von dem wiederum mehrere Türen abzweigten. Hinter einer von ihnen hörte er Stimmen.
Jetzt galt es, schnell zu handeln; offenbar befanden sie sich schon im Altarraum!
Er öffnete die Tür neben sich und stand in dem Zimmer, in dem er sich schon einmal umgezogen hatte. Ein schwarzer Umhang hing noch an einem Haken. Der Mann nahm ihn und streifte ihn über, die Kapuze verdeckte seinen Kopf. Dabei zog er die Maschinenpistole nach vorne, so dass sie vor seinem Bauch hing, vom Umhang aber verborgen war. Dann verließ er das Zimmer wieder und ging entschlossen zu der Tür, die zum Allerheiligsten führte. Ohne zu zögern drückte er die Klinke hinunter und trat ein.
Die Wände des Altarraumes waren mit schwarzer Seide bespannt. An den Seiten standen Feuerschalen auf mannshohen Ständern. Ihr Licht flackerte und warf gespenstische Schatten auf die Anwesenden. Gespannte Ruhe herrschte hier drinnen. Sie alle warteten auf den Beginn des großen Rituals. In dieser Nacht würde einer von ihnen den Weg gehen, und damit würde ihre Macht ein weiteres Mal gestärkt. Jedes Opfer brachte sie ihrem Ziel einen Schritt näher auf dem Weg, an dessen Ende das lag, wonach alle hier Versammelten strebten – Unsterblichkeit!
Allerdings ahnten sie nicht, dass unter ihnen ein Eindringling war. Einer, der nicht zu ihnen gehörte, der vielmehr gekommen war, um ihnen das Kostbarste zu nehmen, das sie besaßen.
Das Zepter der Finsternis!
*
Der Mann wusste, dass er sterben würde, aber er sah der Stunde seines Todes gelassen entgegen. Man hatte ihn aus dem Zimmer geholt, in dem er eine Woche ohne Speisen und Getränke zugebracht hatte. Drogen vernebelten sein Gehirn, und in seinen Träumen sah er sich bereits in der anderen Welt. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, bis er über die Schwelle vom Leben zum Tode trat, und er konnte den Moment kaum noch erwarten.
An der Stirnseite des Raumes war ein Altar aufgebaut, vor dem eine Gestalt kniete. Sie trug einen schwarzen Umhang, wie alle anderen, nur besaß ihrer zusätzlich ein blutrotes Innenfutter.
Der Mann in dem Umhang hatte sein stummes Gebet verrichtet und erhob sich. Langsam drehte er sich zu seinen Anhängern um, hob den rechten Arm und rief mit schneidender Stimme: „Bringt das Opfer!“
Aus dem Hintergrund waren Geräusche zu hören. Zwei Gestalten schleppten den Mann heran. Er war nackt, hing zwischen ihnen, hielt den Kopf gesenkt, seine Augen waren geschlossen. Gegenwehr ging von ihm nicht aus. Sie brachten ihn zum Altar und legten ihn darauf.
Der Anführer der Sekte breitete die Arme aus.
„My-Tharn-yarl, Gott der Dämonen, Herrscher über das Reich der Finsternis, wir bitten dich, nimm das Opfer gnädig an und erweise ihm die Gunst des ewigen Lebens.“
Ein Raunen ging durch das Kellerverlies, als der Mann in dem Umhang zum Altar ging und das geweihte Zepter in die Hand nahm. Ehrfürchtig küsste er es, bevor er sich wieder umdrehte.
„Dies ist die Stunde des Todes und des Lebens“, sagte er. „Unser Bruder hat den Weg gewählt. Mit seinem Fortgang aus dieser Welt wird er in eine neue gehen. Er hat alle Stufen seines irdischen Daseins durchschritten und sich würdig gezeigt, ein Diener der Finsternis zu werden.“
Wieder raunte es. Die Anhänger des unheimlichen Kultes verzehrten sich danach, an der Stelle des Mannes zu sein, der auf dem Altar lag. Denn am Ende des Weges würde ein anderes Leben stehen. Ein Leben, das ihnen Macht und Reichtum versprach und – Unsterblichkeit!
Raymond de Chanfray küsste das Zepter erneut, bevor er es an seinen Platz zurücklegte. Dann griff er unter seinen Umhang und zog einen Dolch hervor. Niemand sah das triumphierende Lächeln in seinem Gesicht, als er die Spitze auf die Brust des Opfers setzte.
„Halt!“
Eine donnernde Stimme störte das Ritual. Verstört sah de Chanfray sich um. Im selben Moment ertönte eine Salve von Schüssen. Die Vermummten schrien durcheinander und flüchteten in eine Ecke des Altarraumes. Panik breitete sich aus.
De Chanfray starrte entsetzt auf die Gestalt, die sich langsam dem Altar näherte. Sie trug einen Umhang wie alle anderen, und ihr Kopf war verborgen. Das einzige, was der Graf deutlich erkannte, war eine Maschinenpistole, deren Lauf auf ihn gerichtet war.
Er wich zurück, als der Mann, offenbar ein Eindringling, der nicht zu der Gruppe gehörte, sich ihm näherte. Doch Raymond de Chanfray schien nicht sein Ziel zu sein. Der Vermummte betrat das Podest, auf dem der Altar stand, warf einen kurzen Blick auf die Gestalten, die immer noch verängstigt in der Ecke kauerten, und griff nach dem Zepter.
Ein Stöhnen entrang sich de Chanfrays Brust als er sah, wie das Zepter unter dem Umhang verschwand. Es schien, als werfe der Frevler noch einen Blick auf den Mann auf dem Altar, dann wandte er sich um und schritt rückwärts zur Tür.
„Wer mir folgt, bekommt eine Kugel!“, warnte er, bevor er die Tür aufdrückte, hindurch schlüpfte, sich von außen dagegen warf und den Riegel umlegte.
Rasch entledigte er sich seines Umhangs, der ihm bei der Flucht nur hinderlich gewesen wäre, und rannte die Treppe hinauf.
Im Verlies gewann Raymond de Chanfray als erster seine Fassung zurück.
„Ihm nach!“, brüllte er mit überschnappender Stimme. „Wir müssen ihn einholen! Er darf das Zepter nicht von hier fortbringen!“
Doch seine Worte verhallten, ohne dass sich jemand geregt hätte. Er rannte zur Tür und warf sich dagegen. Ohne irgendeine Wirkung. Das zentimeterdicke Stahlblech hielt jedem Ausbruchsversuch stand. Er selbst hatte angeordnet, dass die Tür so solide gebaut wurde. Ohnmächtig trommelte der Graf dagegen und brüllte aus Leibeskräften.
Gleichzeitig wurde ihm bewusst, wie unsinnig sein Unterfangen war. Außen ihnen hier unten war niemand im Schloss. Er selber hatte den Bediensteten freigegeben, um das Ritual ungestört durchführen zu können. Jetzt mussten sie warten, bis die Leute, die im Schloss arbeiteten, zurückkamen und die Rufe der Eingeschlossenen hörten.
Doch das würde nicht vor dem nächsten Morgen sein.
Den Mann auf dem Altar beachtete de Chanfray nicht mehr. Das Opfer war nutzlos geworden; sie konnten das Ritual ohne das Zepter nicht durchführen und mussten hoffen, dass der Dämonengott sich ihnen gnädig zeigte und sie nicht mit seinem ganzen Zorn bestrafte.
Die Anhänger des Kultes hatten sich zusammengerottet. Sie diskutierten über das, was eben vorgefallen war. Die Enttäuschung war groß. Sie alle hatten sich viel von diesem Abend versprochen, und jetzt saß ihnen die Angst im Nacken, dass der Vorfall weitere Konsequenzen haben konnte. Niemand wusste, wie My-Tharn-yarl auf diesen Frevel reagierte.
Raymond de Chanfray beteiligte sich nicht an dieser Diskussion. Er hatte im Moment andere Sorgen. Krampfhaft überlegte er, wer der dreiste Eindringling gewesen sein mochte.
Es musste ein Eingeweihter sein, das lag auf der Hand. Über den Kult war in der Öffentlichkeit kaum etwas bekannt. Nur wenige wussten überhaupt, dass es ihn gab. Wer immer es gewesen war, der das Zepter gestohlen hatte, er musste sich jedenfalls auskennen, musste um die Bedeutung des heiligen Gegenstands wissen und die alten Geheimnisse kennen, die damit verbunden waren.
In Gedanken ging de Chanfray die Leute durch, die für diesen Überfall in Frage kamen. Es konnte sich nur um ein Mitglied der Bruderschaft handeln.
Aber wer war es?
Mehrere Namen gingen ihm durch den Kopf. Er wog ab und verwarf wieder, bis er schließlich bei einem hängen blieb.
Mustafa Terjoong!
Natürlich, nur dieser elendige Bastard konnte es gewesen sein!
De Chanfray erinnerte sich nur zu gut an den Besuch des Mannes hier im Château, an seinen gierigen Blick, als er ihm das Zepter präsentierte.
Wut stieg in dem Grafen auf, als er das Gesicht des Mannes vor sich sah. Wut und Hass. Es musste einen Weg geben, das Zepter zurückzuholen, aber er wusste, dass er nicht dazu in der Lage sein würde.
Die Stunden bis zum Morgen schlichen quälend langsam dahin. De Chanfray verbrachte sie damit, einen Plan zu schmieden. Wenn es jemanden gab, der das Zepter wieder beschaffen konnte, dann nur ein ganz bestimmter Mann.
Er kannte ihn nicht persönlich, aber de Chanfray hatte von ihm gehört. Ein Engländer, Anthropologe und Abenteurer.
Der Graf überlegte, wie er mit diesem Mann Verbindung aufnehmen konnte. Natürlich durfte er über die Bestimmung des Zepters nichts wissen. Dies vor allem musste geheim bleiben.
De Chanfray erinnerte sich eines anderen Engländers, dessen Bekanntschaft er vor Jahren gemacht hatte: Lord Witherspoon. Er hatte einmal im Gespräch den Namen des Mannes genannt, auf den der Graf seine ganze Hoffnung setzte.
Ken Norton.
*
Vor dem schlossartigen Haus im Londoner Stadtteil Mayfair stand eine Reihe hochkarätiger Limousinen. Davor standen die Fahrer und vertrieben sich rauchend und unterhaltend die Zeit.
Drinnen hingegen feierten die Gäste den Wohltätigkeitsball, den Lord und Lady Witherspoon jedes Jahr veranstalteten.
Im großen Saal spielte eine Band, die das klassische Quartett, das während des Essens musizierte, abgelöst hatte. Aufmerksame Bedienstete liefen umher und achteten darauf, dass die Gäste stets volle Gläser hatten. Immerhin kostete die Teilnahme an diesem Ball fünfhundert Pfund – pro Person.
Ein Stockwerk höher befand sich das Arbeitszimmer Seiner Lordschaft. Zwischen hohen Bücherwänden und Aktenschränken saßen sich zwei Männer in ledernen Clubsesseln gegenüber. Ein dritter stand zwischen ihnen. Während der eine der beiden Sitzenden hektisch an einer Zigarre zog, blickte der andere gelassen sein Gegenüber an.
Lord Witherspoon räusperte sich.
„Also, Ken, dann lasse ich Sie jetzt mit Mr. de Chanfray allein“, sagte er und wandte sich dem Mann mit der Zigarre zu. „Seien Sie sicher, dass Ihr Anliegen bei Dr. Norton in den besten Händen ist.“
Mit einem Kopfnicken verließ er den Raum und zog die Tür hinter sich ins Schloss.
Raymond de Chanfray legte die Zigarre in den Aschenbecher, der auf einem kleinen Tisch neben seinem Sessel stand. Er rieb sich nervös die Hände.
„Seine Lordschaft hat Sie mir wärmstens empfohlen, Monsieur Norton“, sagte er in gebrochenem Englisch, das seinen französischen Akzent deutlich hören ließ. „Außerdem möchte ich kein Geheimnis daraus machen, dass ich über Sie gelesen und weitere Erkundigungen eingezogen habe. Sie sind ... wie soll ich sagen – ein Mann der Tat. Anthropologe, ein ernstzunehmender Wissenschaftler also, aber auch jemand, der bereit ist, hinter den Horizont zu blicken. Sie sind so etwas wie der letzte Abenteurer unserer Zeit, und um Ihr Ziel zu erreichen, besitzen Sie die notwendige Hartnäckigkeit und gehen oft unkonventionell vor. Aber Sie sind vor allem eines – absolut ehrlich.“
Mit diesen Worten hatte er den Charakter des englischen Gelehrten treffend beschrieben. Vielleicht sollte man noch hinzufügen, dass Ken Norton Ende zwanzig war, groß und schlank. Seine durchtrainierte Figur bewies, dass er regelmäßig Sport trieb. Er war begeisterter Polospieler, was eine gewisse Fähigkeit als Reiter voraussetzte. Ken war darüber hinaus ausgebildet in verschiedenen asiatischen Kampfsportarten, und seine Fähigkeiten im Umgang mit Pistole und Gewehr gingen weit über die eines Sportschützen hinaus. Zudem gehörte er einem Londoner Fechtclub an.
Er trug das dunkle Haar modisch kurz geschnitten, das markante Gesicht wurde von zwei blauen Augen dominiert, die, je nach Gemütslage, strahlen oder ernst blicken konnten. Durch eine Erbschaft unabhängig geworden konnte er es sich leisten, seine Studien als Privatgelehrter durchzuführen und seiner Leidenschaft zu frönen – dem Sammeln von okkulten Gegenständen und Büchern, die besser ungeschrieben geblieben wären. Ausgedehnte Reisen hatten Ken in beinahe alle Länder der Erde geführt, und er hatte seine Sammlung ständig vergrößert.
Vor allem eines hatte er auf all diesen Reisen gelernt – nämlich dass das von dem großen, englischen Dichter William Shakespeare stammende Zitat „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt“ durchaus der Wahrheit entsprach.
„Ich bin überzeugt, dass Sie der richtige Mann sind“, fuhr der Franzose fort. „Sie werden mir helfen können, Monsieur Norton.“
Ken streckte sich. Wirklich neugierig war er nicht darauf, zu erfahren, was der Franzose von ihm wollte. Eigentlich hatte er dem Gespräch nur zugestimmt, um dem Lord einen Gefallen zu tun, als dieser ihn darum bat. De Chanfray war ihm alles andere als sympathisch. Der Mann hatte etwas Unstetes, Lauerndes an sich – wie ein Raubtier, das jeden Moment bereit war, sein Opfer anzuspringen und zu zerfleischen.
„Wofür, glauben Sie, bin ich der richtige Mann?“, fragte der Anthropologe.
Raymond de Chanfray beugte sich vor. Sein Blick fixierte Ken.
„Es geht um einen Schatz“, flüsterte er, als habe er Angst, noch jemand könne ihn hören. „Ein kostbarer Besitz, der meiner Familie gestohlen worden ist. Ich weiß, dass Sie ihn wiederbeschaffen können. Und es soll Ihr Schaden nicht sein – Geld spielt absolut keine Rolle!“
Ken Norton runzelte die Stirn.
Was war das für eine Geschichte? Glaubte der Mann wirklich, er könne ihn dazu anheuern, irgendwelchen Kunstdieben hinterher zu jagen? Warum beauftragte er nicht eine Detektei?
„Können Sie etwas konkreter werden?“, fragte er und bemühte sich, seiner Stimme einen freundlichen Ton zu geben.
Dabei dachte er an die reizende Blondine, die während des Essens seine Tischdame gewesen war. Bestimmt vermisste sie ihn schon schmerzlich ...
„Der Gegenstand, um den es geht“, unterbrach de Chanfray seine Gedanken, „ist seit mehr als dreihundert Jahren im Besitz meiner Familie. Es wäre ein großer, nicht wieder gutzumachender Verlust, sollten wir ihn nicht zurückbekommen.“
„Was genau ist es, das Ihnen gestohlen wurde?“
De Chanfray wischte sich die Schweißperlen ab, die sich auf seiner Stirn gebildet hatten.
„Es ... es ist die ‚Blume des Lebens’“, stieß er hervor.
Ken Norton starrte ihn verblüfft an.
„Sie meinen ...?“
Ungläubig schüttelte er den Kopf.
„Ja“, versetzte de Chanfray nachdrücklich. „Die Blume des Lebens, von der im Gilgamesch-Epos die Rede ist. Verstehen Sie jetzt, warum ich über diesen Verlust untröstlich bin?“
Der Anthropologe schluckte. In Gedanken ging er durch, was ihm über das Epos bekannt war.
Gilgamesch, der sumerische Sagenheld, König von Uruk, treibt seine Untertanen zum Frondienst, um eine Mauer um die Stadt errichten zu lassen. In ihrer Not wenden sich die Menschen an Anu, ihren höchsten Gott.
Auf dessen Befehl hin erschafft die Göttin Aruru Enkiduk, den Beschützer der Tiere. Es kommt zum Kampf zwischen Enkiduk und Gilgamesch, doch am Ende werden sie Freunde.
Die Göttin Ischtar verliebt sich in Gilgamesch. Als dieser ihre Liebe nicht erwidert, hetzt sie den Himmelsstier auf die Helden. Enkiduk tötet das Tier und wird zur Strafe von den Göttern zum Tode verurteilt. Als Gilgamesch sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst wird, macht er sich auf, das Geheimnis des ewigen Lebens zu enträtseln. Nach zahlreichen Abenteuern findet er, tief unten im Meer, die Blume des Lebens, die ihm Unsterblichkeit verheißt ... Doch Gilgamesch verliert die Blume an eine Schlange und gewinnt die Erkenntnis, dass der Tod das Schicksal aller Menschen ist ...
Soweit das Epos – doch was hatte das alles mit diesem Mann hier vor ihm zu tun?
Ken Norton blickte den Grafen nachdenklich an.
Was hatte de Chanfray mit der Blume des Lebens zu schaffen?
War sie tatsächlich seit Jahrhunderten im Besitz seiner Familie, und wenn ja, was für ein Gegenstand war es wirklich?
Dass das Epos ins Reich der Fantasie gehörte, war jedem Archäologen klar. Selbst wenn es die Leben spendende Blume jemals gegeben hätte, wäre sie im Laufe der Jahrtausende längst unter den Trümmern vergangener Reiche für immer und ewig verschüttet.
Indes war dem Anthropologen auch bewusst, dass in jeder Geschichte, jedem Märchen, ein wahrer Kern steckte. In diesem Moment interessierte ihn weniger das Gilgamesch-Epos, sondern vielmehr die Frage, worum es sich bei dem vermissten Gegenstand des Grafen de Chanfray tatsächlich handelte.
„Beschreiben Sie mir die Blume“, forderte er den Franzosen auf.
De Chanfray nickte und wischte sich wieder über die Stirn.
„Es handelt sich um ein Zepter“, erklärte er. „Gut achtzig Zentimeter lang. Es ist aus Gold und läuft an der Spitze blütenförmig aus. In diese Blüte ist ein Kristall eingearbeitet.“
Er schluckte.
„Wie gesagt, für meine Familie ist es von unschätzbarem Wert.“
„Seit wann vermissen Sie das Zepter?“
„Vor einer Woche wurde es gestohlen.“
„Und was sagt die Polizei dazu? Haben Sie einen Verdacht, wer der Täter sein könnte?“
Der Graf zuckte mit den Schultern. Er hatte sich eine Geschichte zurechtgelegt, von der er hoffte, dass Norton sie ihm abnähme. Die Wahrheit konnte er ihm ja nicht sagen.
„Ich habe keine Anzeige erstattet. Wollte die Behörden da raus lassen, wenn Sie verstehen, Monsieur Norton. Nein, einen Verdacht habe ich nicht. Wenigstens keinen konkreten ...“
Ken nickte.
„Aber?“
Der Graf wand sich, schien sich darum drücken zu wollen, einen Namen zu nennen.
„Vielleicht melden sich die Diebe bei Ihnen und bieten Ihnen das Zepter zum Rückkauf an“, meinte der Engländer.
„Das halte ich für eher unwahrscheinlich“, schüttelte der Graf den Kopf. „Ich bin mir fast sicher, dass man es irgendwo verborgen hat, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Ich könnte mir vorstellen – in Marrakesch ...“
Das war der Ort, an dem er das Zepter vermutete, immerhin lebte Mustafa Terjoong dort ...
„Marrakesch ist ein bekannter Umschlagsplatz für gestohlene Kunstgegenstände“, stimmte Ken zu. „Vielleicht sollte man dort ansetzen.“
De Chanfrays Miene hellte sich auf.
„Dann nehmen Sie den Auftrag an? Sie werden die Blume des Lebens finden und mir zurückbringen?“, fragte er hoffnungsvoll.
Die schlanke, durchtrainierte Gestalt des Anthropologen straffte sich.
„Sagen wir, ich werde es versuchen“, erwiderte er. „Aber versprechen kann ich Ihnen nichts.“
Der Graf rieb sich die Hände.
„Wunderbar!“, rief er aus. „Ich kann Ihnen einen Namen geben. Der Mann heißt Terjoong. Er ist Kunsthändler mit einem, sagen wir, etwas zweifelhaftem Ruf. Ich bin mir fast sicher, dass er im Besitz dieses Zepters ist. Ich zahle jeden Betrag, den er verlangt. Machen Sie ihm das klar, Monsieur Norton.“
*
Der Mann im Pool des Luxushotels in Cannes schwamm gemächlich seine Runden, ohne sich um die schmachtenden Blicke der vornehmlich weiblichen Gäste zu kümmern, die jede seiner Bewegungen verfolgten.
Nach einer knappen Stunde hatte John Buchannan genug vom Schwimmen. Er kletterte aus dem Wasser, das bei einer Außentemperatur von siebenunddreißig Grad im Schatten nur wenig Abkühlung bot, nahm seinen Bademantel von der Liege und schlüpfte hinein. Während er sich lässig das rote Haar frottierte betrat er das Hotel, durchquerte den hinteren Teil des Foyers und nahm den Aufzug in den sechsten Stock.
Von seiner Suite aus hatte der Ire einen fantastischen Ausblick auf die „Croisette“, jene weltbekannte Prachtstrasse, an der weitere Luxushotels und Geschäfte, in denen das billigste Stück mehr kostete als manch einer in einem ganzen Jahr verdiente, standen. Doch John hatte keine Zeit, sich auf den Balkon zu stellen und den meist leicht bekleideten Frauen nachzuschauen, die hofften, irgendein Filmstar oder bekannter Regisseur würde ihren Weg kreuzen – die Filmfestspiele begannen in zwei Tagen –, denn das enervierende Geräusch seines Handys hatte er schon vernommen, noch ehe er die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Die Suite bestand aus einem Flur, von dem mehrere Zimmer abgingen. Ein großes Bad war ebenso selbstverständlich wie das geräumige Schlafzimmer und der äußerst elegant ausgestattete Wohnbereich. John eilte durch den Flur, schob die Tür zum Bad auf und nahm das Handy, das auf der Kristallablage über den vergoldeten Armaturen lag.
„Was gibt es denn so Dringendes?“, fragte er, ohne seinen Namen genannt zu haben.
Er hatte angenommen, dass es sich bei dem Anrufer um den Geschäftsführer der Whiskyfabrik handelte, die ihm gehörte und ihm ein sorgenfreies Leben ermöglichte.
Wobei sorgenfrei vielleicht falsch wäre – ein finanziell unabhängiges Leben hatte John Buchannan schon, aber auch er kannte die großen und kleinen Sorgen des Alltags.
Als er jetzt die Stimme des Franzosen vernahm, horchte er auf.
„Monsieur Buchannan, ich bin’s, Jean Picard.“
„Bon soir, Monsieur, ich hoffe, Sie rufen nicht an, um unsere Verabredung abzusagen?“
„Non, non“, hörte er zu seiner Beruhigung den Franzosen rufen. „Ganz im Gegenteil. Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern, dass es dabei bleibt.“
„Natürlich. So, wie wir es besprochen haben.“
„Dann erwartete ich Sie gegen acht Uhr.“
„Ich werde pünktlich sein“, erwiderte der Ire und beendete das Gespräch.
Nachdem er geduscht und sich umgezogen hatte, verließ John seine Suite wieder, fuhr nach unten und ging an der Rezeption vorbei, zu dem Eingang, der dem Personal des Hotels vorbehalten war. Allerdings kümmerte sich der Ire nicht um das Schild. Er durchquerte einen langen, schmalen Gang und stand kurze Zeit später in der Küche des Luxushotels.
Hier drinnen herrschte ein Höllenlärm. Töpfe und Pfannen klapperten, auf den großen Herden dampfte und zischte es. Vorne, am Pass, riefen die Kellner ständig neue Essensbestellungen herein, der Küchenchef stauchte seine Köche zusammen, die wiederum ihren Ärger an den Commis abließen, die ihrerseits mit den Lehrlingen schimpften.
Das Abendgeschäft war im vollen Gange.
John schaute einem der Köche in die Pfanne; Krebse, Gemüse und Fischstücke brieten darin.
„Ah, Monsieur Buchannan“, hörte er eine Stimme hinter sich und drehte sich um.
„Maître Arnaud, wie ich sehe, läuft das Geschäft.“
Der Küchenchef strahlte über das ganze Gesicht.
„Wir haben eine kleine Gesellschaft, die ein exklusives Menü wünscht. Dazu das Abendgeschäft. Aber Sie sind sicher nicht hergekommen, um uns bei der Arbeit zuzusehen.“
„Richtig“, nickte John. „Ich würde gerne wissen, was Sie mir heute Abend Schönes empfehlen können.“
Marcel Arnaud führte den Iren zur anderen Seite der Küche.
„Frische Austern“ – er deutete auf einen Spankorb, der auf einem Tisch stand – „Hummer natürlich, und erst vor einer Stunde haben wir frischen Seewolf hereinbekommen. Als Vorspeise würde ich eine ‚paté’ nach Art des Hauses empfehlen, dann überbackene Austern in Riesling. Als Hauptgang käme Seewolf mit sautiertem Gemüse in Betracht und zum Dessert eine ‚mousse au chocolat’.“
John Buchannan nickte zufrieden.
„Genauso machen wir es.“
Der Maître strahlte wieder. Er liebte solche Gäste, die sich mit ihm über das Menü verständigten, weil ihm dies zeigt, dass sie wirkliche Feinschmecker waren. Und John hatte er ganz besonders in sein Herz geschlossen. Er war einer der wenigen Fremden, die Marcel Arnauds Reich betreten durften.
Ein Ober führte ihn an den reservierten Tisch. John suchte die passenden Weine aus und bestellte als Aperitif einen Whisky. Ohne zu fragen wurde ihm ein achtzehn Jahre alter Buchannan serviert. Der Ire trank einen Schluck und ließ ihn genießerisch die Kehle hinunterlaufen, nachdem er konzentriert die „Blume“ an Zunge und Gaumen gekostet hatte.
Dann klingelte sein Handy!
Ohne sich um die entrüsteten Blicke der anderen Gäste zu kümmern, die sich durch das Klingeln gestört fühlten, nahm er das Mobiltelefon und drückte eine Taste.
„Picard, sind Sie es?“, fragte er.
„Nein, Sir“, vernahm er die Stimme seines Geschäftsführers. „Ich bin’s, Webber.“
John verdrehte die Augen.
„Was gibt’s denn? Ist die Fabrik abgebrannt? Oder streiken die Arbeiter?“
„Weder noch, Sir. Es ist nur so, dass ich Sie dringend sprechen muss. Wegen des Vertrags mit den Chinesen ...“
Der Ire runzelte die Stirn.
Zwischen seiner Firma und der Volksrepublik China war ein Millionendeal zustande gekommen. Das Geschäft stand kurz vor dem Abschluss. Charles M. Webber sollte morgen in Peking alles unter Dach und Fach bringen.
„Und deswegen stören Sie mich? Sie haben doch Prokura. Außerdem dachte ich, Sie seien längst unterwegs ins Reich der Mitte.“
„Bin ich auch Sir“, hörte er die Stimme Webbers. „Allerdings ist es so, dass die Chinesen auf einen Nachlass aus sind, und da ...“
„Schon gut, verstehe. Wo sind Sie denn jetzt?“
„In Cannes. Ich bin vor einer Stunde in Nizza gelandet.“
„Na, dann kommen Sie her. Wir wollen keine Zeit verlieren. Ich sitze im Restaurant; nachher habe ich noch eine Verabredung.“
*
Ken Norton befand sich derweil in Marrakesch. Er hatte sich in einem Hotel in der Altstadt eingemietet und es gleich darauf wieder verlassen, nachdem er sein Zimmer bezogen hatte. Jetzt spazierte er über die Avenue de la Koutoubia und erreichte kurz darauf den Platz „Djemaa el Fna“ – den Platz der Geköpften. Früher wurden hier die abgeschlagen Köpfe der Feinde und Rebellen zur Schau gestellt, heute herrschte hier indes ein buntes, quirliges Treiben. Araber, Juden und Schwarzafrikaner boten in ihren Gewändern ein farbenfrohes Bild. Gewürzhändler hatten ihre Stände aufgebaut, Teppiche wurden ebenso angeboten wie Lebensmittel, Obst und Gemüse. Zahlreiche Straßencafés luden zum Verweilen ein, und an jeder Ecke hatte sich eine Menschentraube um die Gaukler, Akrobaten und Geschichtenerzähler gebildet.
Der Engländer überquerte den Platz und tauchte in ein Gewirr von engen, verschlungenen Gassen ein.
Der Souk, der Markt der Kunstschmiede, befand sich am Place des Ferblantiers. Ken Norton suchte ein bestimmtes Haus und ging durch den Torbogen.
Hier drinnen war es angenehm kühl. Die hohen Mauern hielten die Hitze des Tages weitgehend ab. Zudem drang nur wenig vom Lärm der Straße in den Innenhof.
Ein paar Frauen saßen vor den Eingängen, die Gesichter verschleiert. Sie musterten neugierig den Fremden, ebenso wie die Kinder, die ihr Spiel unterbrachen. Ken zwinkerte ihnen zu und betrat einen Hauseingang. Im Flur blätterte die Farbe von den Wänden, und es roch nach gebratenem Hammelfleisch. Der Anthropologe stieg eine schmale Treppe hinauf. Im zweiten Stock angelangt, klopfte er an eine grün gestrichene Tür.
Es dauerte einen Moment, bis sich dahinter etwas regte. Dann wurde geöffnet, und ein bärtiges Gesicht schaute heraus.
„Guten Abend, Khalid“, sagte der Engländer auf Französisch.
Im selben Moment ging ein Strahlen über das Gesicht des Mannes.
„Ken! Bist du’s wirklich?“
Sie umarmten sich, und Khalid führte den Besucher in die Wohnung.
„Bei allen Teufeln, ist das eine Überraschung! Was führt dich nach Marrakesch?“
Ken nahm auf einem Sessel Platz.
„Ich brauche deine Hilfe.“
„Warte“, sagte Khalid, „ich koche erst einmal Tee. Und du bleibst natürlich zum Essen.“
Er verschwand in der angrenzenden Küche, und Ken hörte ihn dort hantieren. Er schaute sich um. Die Wände des Zimmers waren in einem sanften Gelb gestrichen, Bilder hingen daran, an der einen Seite zwei gekreuzte Krummschwerter. Auf dem Boden lag ein dicker Teppich, neben dem Diwan stand ein rundes Tischchen, darauf die unvermeidliche Wasserpfeife. Ken lächelte und dachte daran, dass Khalid und er sich schon seit Jahren kannten. Wenn er eine Spur des geraubten Gegenstands finden wollte, dann war der Sohn eines Franzosen und einer Marokkanerin die richtige Adresse. Khalid handelte mit allem, was sich zu Geld machen ließ, und hatte die besten Verbindungen.
Auch und vor allem zur Unterwelt ...
Nach wenigen Minuten kam Khalid zurück.
„So“, sagte er, nachdem er eingeschenkt hatte, „jetzt erzähle.“
Ken erklärte, worum es ging. Die Tatsache, dass er nach nichts Geringerem auf der Suche war als nach der Blume des Lebens, dem Zepter des Gilgamesch, schien Khalid nicht sonderlich zu beeindrucken. Er wiegte bedächtig den Kopf hin und her und dachte einen Moment schweigend nach. Dann sah er seinen Besucher an.
„Dein Verdacht ist richtig“, sagte er. „In den letzten Jahren ist Marrakesch mehr noch als früher zu einem Umschlagsplatz für gestohlene Kunstgegenstände geworden. Diebe und Hehler aus aller Welt treiben sich hier herum. Allerdings ...“
Er machte eine bedeutungsvolle Pause und sah Ken unheilschwanger an.
„... allerdings gefällt es mir nicht, dass du mit diesem Mann verhandeln sollst“, vollendete er den Satz.
„Terjoong? Was ist mit ihm?“
„Später“, erwiderte der Marokkaner kurz.
Ohne zu sagen wohin er ging, verließ er die Wohnung und ließ Ken zurück. Der machte es sich auf dem Diwan bequem und wartete geduldig auf die Rückkehr des Freundes. Dabei beschäftigte ihn eine Frage, über die er schon die ganze Zeit nachdachte.
Wer war Raymond de Chanfray, und was waren dessen Absichten?
Natürlich hatte er sich vor seiner Abreise aus London eingehend mit dem französischen Adligen befasst. Allerdings war es nicht viel, was er über ihn herausbekommen hatte. Lediglich, dass die Familie seit über dreihundert Jahren auf einem Schloss in der Provence ansässig war. Weder womit de Chanfray sein Geld verdiente, noch was es mit dem Zepter auf sich hatte, wie es in seinen Besitz gekommen war oder warum der Graf nicht die Polizei nach dem Diebstahl eingeschaltet hatte, war herauszufinden gewesen.
Irgendwann musste er eingenickt sein. Als Ken die Augen wieder öffnete, hörte er Khalid in der Küche rumoren, Bratgeruch drang durch den Perlenvorhang, und der Anthropologe verspürte ein Hungergefühl. Kurze Zeit später saßen sie am Tisch. Khalid hatte ein Gericht aus gebratenem Lamm, Paprika und Reis gezaubert.
„Es ist erstaunlich“, erklärte er, während er genüsslich kaute, „zuerst wollte niemand etwas gehört haben. Nur dumme Gesichter. Doch schließlich bin ich fündig geworden. Terjoong scheint tatsächlich im Besitz des Zepters zu sein. Zu der fraglichen Zeit war er in Europa. Nach dem Essen bringe ich dich zu ihm.“
Der Engländer nickte und stellte keine weiteren Fragen.
Der Freund reichte ihm eine schwarze Dschellaba.
„Ist besser, wenn du das anziehst.“
Ken nickte und streifte den schwarzen Mantel über. Als er das Hotel verlassen hatte, war er zuvor in eine Jeans, ein helles Hemd und braune Stiefel geschlüpft. Khalid zog ihm die Kapuze über den Kopf und nicke zufrieden.
„Jeder wird dich für einen Marokkaner halten.“
Sie verließen die Wohnung und stiegen die Treppe hinunter. Unten im Hof waren die Kinder und Frauen verschwunden. Ken schaute in den Himmel hinauf. Er war dunkelblau und voller funkelnder Sterne.
Der Anthropologe überließ sich ganz seinem Führer. Khalid wandte sich nach rechts und schritt rasch aus. Es waren nur wenige Menschen um diese Zeit noch unterwegs. Kaum jemand nahm Notiz von den beiden Männern, die schnellen Schrittes die winkligen Straßen und Gassen durchquerten. Bald hatten sie das Zentrum der Stadt verlassen und befanden sich in einer wenig bewohnten Gegend. Die Häuser wurden spärlicher; links lag ein großer Park, rechts führte eine breite Straße zu einem Industriegebiet.
Während sie gingen, überlegte Ken sein weiteres Vorgehen. Vielleicht war der Mann, dem er gleich begegnen würde, nur ein Vermittler, den der Dieb eingeschaltet hatte, um nicht selbst in Erscheinung treten zu müssen. Möglicherweise war es aber auch der Kerl, der das Zepter geklaut hatte. Dann hieß es, vorsichtig zu sein.
Unwillkürlich griff er an die rechte Seite, wo unter dem Mantel ein langer, schmaler Dolch an seinem Gürtel hing. Nicht gerade eine besonders gute Waffe; ein Revolver wäre ihm lieber gewesen, aber etwas anderes hatte Khalid nicht gehabt. Doch Ken Norton wusste damit umzugehen, und im Ernstfall würde er den Dolch einsetzen.
Er war einige Schritte hinter seinem Führer zurückgeblieben. Khalid drehte sich zu ihm um.
„Jetzt ist es nicht mehr weit.“
„Du wolltest mir etwas über ihn erzählen“, erinnerte der Engländer seinen Freund.
Der deutete auf ein Haus, das am Ende des Parks lag. Im Schein des aufgehenden Mondes sah es tatsächlich aus wie ein Palast aus Tausend und einer Nacht.
„Dort wohnt Mustafa Terjoong“, erklärte er.
„Was ist das überhaupt für ein seltsamer Name?“
Khalid grinste.
„Er ist Mischling, genau wie ich. Sein Vater war ein holländischer Seemann, seine Mutter eine ägyptische Hure im Hafen von Alexandria. Und das meine ich wörtlich; Mustafa ist ein Hurensohn, wie er im Buche steht. Verschlagen, hinterhältig und mit allen Wassern gewaschen. Der Palast dort gehört ihm. Vor fünfzehn Jahren kam er völlig mittellos aus Kairo hier an. Zwei Jahre später zog er dort ein.“
Ken zog scharf die Luft ein. Er ahnte, was auf ihn zukommen würde.
„Sei also vorsichtig“, fuhr Khalid fort. „Ich habe Mustafa mitteilen lassen, dass ein Engländer nach einem Kunstgegenstand sucht und bereit ist, gut dafür zu zahlen. Er ist der größte Hehler in Marrakesch. Also, lass dich nicht übers Ohr hauen.“
Der Anthropologe nickte.
„Du kommst nicht mit?“
„Ich warte hier. Nimm den Eingang links vom Tor.“
Ken winkte ihm zu und ging den schmalen Weg entlang, der, von Blumenrabatten gesäumt, zu einer Tür führte; einem Seiteneingang offenbar. Er klopfte, die Tür schwang auf, und ein Bär von einem Mann blickte ihn fragend an.
„Zu Monsieur Terjoong“, sagte Ken.
Der Mann trug Pluderhosen, eine ärmellose Weste über dem nackten Oberkörper, an den Füßen bestickte Sandalen. An der linken Seite steckte ein Krummsäbel, und den beinahe kahlen Kopf zierte ein Fez. Der Anthropologe wurde unwillkürlich an einen Eunuchen im Harem erinnert; lediglich das Maschinengewehr in der Hand des Mannes lenkte irritierend von diesem Eindruck ab.
Der Wächter nickte nur kurz und ließ ihn eintreten. Offenbar war er über das Kommen des Engländers informiert. Schweigend schloss er die Tür und führte den Besucher durch einen langen, schmalen Gang, der von ein paar flackernden Fackeln beleuchtet wurde. Bei näherem Hinsehen erkannte Ken, dass es sich dabei um elektrische Leuchten handelte, echten Fackeln täuschend ähnlich nachgebildet.
Sie erreichten eine offene Halle. Der Engländer blickte sich neugierig um. Vor allen Türen standen Männer, gekleidet wie der, welcher ihn führte, und ebenso wie er trugen sie Maschinengewehre; Kalaschnikows, wie Ken jetzt feststellte.
Mustafa Terjoong musste ein sehr wichtiger Mann sein – oder große Angst um sein Leben haben.
Vielleicht auch beides ...
Die Halle war hell erleuchtet. Überall standen Kunstgegenstände herum; Statuen aus Bronze, Silber und Gold; verzierte Truhen und Pokale. Kostbar aussehende Gemälde hingen an den Wänden. Ken erkannte darunter einen Rembrandt, der vor Jahren aus dem „Rijksmuseum“ in Amsterdam gestohlen worden war.
Der Gipfel aber war eine Art Thron, der am Ende der Halle auf einem Podest stand. Darauf saß ein Mann, in der Rechten ein Weinglas, die Linke nachdenklich an das Kinn gelegt. Seine Augen schienen geschlossen, obwohl Ken sicher war, dass er ihn durch halbgeöffnete Lider musterte. Hinter ihm mühten sich zwei braungebrannte Jungen damit ab, dem Mann auf dem Thron frische Luft zu verschaffen. Sie benutzten dazu riesige Fächer aus Pfauenfedern.
Der Wächter, der ihn eingelassen hatte, blieb vor dem Thron stehen und verbeugte sich. Die Augen des anderen öffneten sich und fixierten den Engländer.
Belustigung und Verachtung spiegelten sich gleichermaßen in diesem Blick.
Ken begriff. Mustafa Terjoong, um den es sich zweifellos bei dem „Herrscher“ auf dem Thron handelte, hatte ihn absichtlich durch den Seiteneingang hereinführen lassen, um dem Ausländer seine Macht zu demonstrieren und zu zeigen, dass Ken für ihn nichts weiter als ein Bote war. Ein Bittsteller, der hergekommen war, um im Auftrag seines Herrn zu verhandeln. Und dieser Blick sagte gleichzeitig aus, dass Ken sich in der schlechteren Position befand.
Sollte Terjoong tatsächlich Besitz des Zepters sein, woran der Anthropologe angesichts der Reichtümer, die er hier sah und die allesamt geklaut waren, nicht zweifelte, so würde er den Preis in astronomische Höhen treiben.
Ob de Chanfrays Mittel dann ausreichten, wagte Norton zu bezweifeln.
*
„Okay, nicht mehr als zwei Prozent“, knurrte John Buchannan. „Wenn sie damit nicht einverstanden sind, sollen sie ihren Whisky von mir aus bei den Schotten einkaufen.“
Charles M. Webber nickte beflissentlich.
„Sehr wohl, Sir. Das werde ich den chinesischen Partnern natürlich nicht sagen. Aber auf die Prozente achten.“
„Das werden Sie ihnen sehr wohl sagen, Webber“, entgegnete der Boss. „Sonst sind Sie die längste Zeit mein Geschäftsführer gewesen!“
Natürlich war es eine leere Drohung. John konnte sich für diesen Posten gar keinen besseren Mann wünschen. Webber war seit Jahren schon in der Firma und leitete sie zu Johns vollster Zufriedenheit. Auch wenn er sich von der Statur mit seinen eins achtundsechzig gegenüber dem Chef wie ein Zwerg ausnahm, so machte der Engländer diesen Unterschied durch seine Kompetenz und seine Durchsetzungskraft wieder wett. In der Fabrik gab es keinen, der ihn nicht schätzte, hatte er doch auch für die kleinen, privaten Probleme der Arbeiter immer ein offenes Ohr. Deshalb belächelte ihn auch keiner, weil er sich stets wie ein englischer Geschäftsmann kleidete. John Buchanan hatte noch keinen Tag erlebt, an dem Charles M. Webber nicht in seinem schwarzen Anzug, mit silberfarbener Weste, dem Bowler auf dem Kopf und dem unvermeidlichen Regenschirm in der Hand im Büro erschienen wäre.
Nur eines gab ihm ein Rätsel auf – sein Geschäftsführer weigerte sich beharrlich, die Bedeutung des Buchstaben „M“ in seinem Namen zu erklären ... So oft er schon danach gefragt hatte, Webber wich ihm immer aus, als sei es ihm peinlich, darauf eine Antwort zu geben.
„Nun essen Sie schon“, forderte John ihn auf. „Der schöne Fisch wird ja ganz kalt.“
Sein Angestellter beäugte misstrauisch den filetierten Seewolf auf seinem Teller. Er hätte lieber Lamm mit Mintsauce bestellt. Doch als Webber den Kellner fragte, ob das Gericht vorrätig sei, hatte der nur distinguiert eine Augenbraue gehoben, und John hatte Mühe gehabt, nicht in brüllendes Gelächter auszubrechen. Schließlich hatte der Ire die Auswahl für den Engländer getroffen.
Jetzt sah er auf die Uhr. Gleich acht – wenn er pünktlich sein wollte, musste er sich beeilen.
„Wann fliegen Sie weiter?“, erkundigte er sich.
„Morgen früh um zehn geht eine Maschine nach Berlin. Dort habe ich Anschluss an einen Flug nach Hongkong.“
„Gut. Haben Sie eine Unterkunft für die Nacht?“
Webber bedauerte.
„Dann müssen wir Sie hier unterbringen“, meinte John. „Hören Sie, Mr. Webber, ich habe gleich eine dringende Verabredung, die ich nicht verpassen möchte. Würde es Ihnen was ausmachen, mich zu begleiten?“
Der Engländer sah ihn zweifelnd an.
„Hat die Verabredung etwas mit Ihrer ... äh, Passion zu tun?“, fragte er vorsichtig.
Der Ire lächelte. Webber wusste um seine Leidenschaft für die so genannten Grenzwissenschaften. Als Engländer war er abergläubisch und vermutete in jedem alten Gemäuer ein Gespenst.
„Ja“, antwortete John. „Aber keine Angst. Ich treffe einen Mann, der mich zu einer Frau führt, mit der ich mich unterhalten werde. Nichts Außergewöhnliches. In spätestens zwei Stunden sind wir wieder zurück, nehmen einen Drink an der Bar und gehen noch mal Ihre Taktik für das Gespräch mit den Chinesen durch.“
Sein Geschäftsführer nickte ergeben. Was sollte er bis dahin auch allein anfangen? Er kannte niemanden hier, und um im Mittelmeer baden zu gehen fehlte ihm die notwendige Ausrüstung; eine Badehose hatte er nicht eingepackt.
„Wir essen die Mousse später“, erklärte John dem Ober und unterschrieb die Rechnung.
Sie verließen das Hotel durch den Vordereingang und stiegen in Johns Mietwagen, der inzwischen vorgefahren worden war. Der Ire grinste, als er seinen Geschäftsführer ansah. Wahrscheinlich überschlug Webber in Gedanken bereits, wie viel dem Chef dieser Trip an die Côte d’Azur wohl kosten mochte und wie er das verbuchen sollte.
„Wer kümmert sich in Ihrer Abwesenheit um die Fabrik?“, fragte John, während er über die Croisette fuhr.
„Bolton, Sir“, lautete die Antwort.
„Guter Mann“, nickte John zufrieden.
Sie hatten Cannes bereits verlassen und befanden sich auf einer Straße, die ins Hinterland führte. Inzwischen hatte die Dämmerung eingesetzt und John schaltete die Schweinwerfer ein. Jean Picard erwartete sie an der verabredeten Stelle. Der Renault des Franzosen stand an der Straße, er selbst wartete davor.
„Bon soir“, begrüßte der Ire ihn, als sie ausgestiegen waren.
„Monsieur Buchannan, es ist mir eine Ehre.“
John stellte seinen Begleiter vor.
„Ist es noch weit?“, erkundigte er sich.
„Keine fünf Minuten von hier. Sie können das Auto stehen lassen.“
„Darf ich fragen, um was es bei dieser Unterhaltung geht, Sir?“, meldete sich Webber zu Wort.
Der Whiskyfabrikant erklärte es ihm, und sein Geschäftsführer machte große Augen.
„Sie hat bei lebendigem Leib gebrannt?“, fragte er ungläubig.
John nickte. Es machte ihm einen Heidenspaß, den Aberglauben seines Begleiters anzuheizen.
„Aber keine Bange. Madame Bourgardez wird uns heute Abend wohl nicht den Gefallen tun, es uns noch einmal vorzuführen“, beruhigte er Webber schließlich.
Der Engländer schauderte bei dem Gedanken.
„Da vorn ist es“, sagte Picard, der bisher geschwiegen hatte, und deutete auf ein einsames Haus, das in ein paar hundert Metern Entfernung auf einem Hügel stand. Umgeben von knorrigen Olivenbäumen, mit einem kleinen Stall dabei und aus groben Steinen gemauert, machte es einen malerischen Eindruck. Bei Sonnenschein würde man bestimmt dahinter die blühenden Lavendelfelder sehen, dachte John. Nichts deutete darauf hin, dass das Anwesen einmal Schauplatz eines grauenhaften Schauspiels gewesen war.
Picard trat an die Tür und klopfte. Drinnen blieb es still. Die Männer sahen sich fragend an, dann zuckte der Franzose die Schultern und drückte die Klinke herunter.
Die Tür schwang mit einem Knarren nach innen auf. Vor ihnen lag ein dunkler Flur. Und drinnen war es totenstill.
*
„Chalida, Wein für unseren Gast!“, sagte der Mann auf dem Thron.
Wie aus dem Nichts tauchte eine Frau vor Ken auf. Sie war von Kopf bis Fuß verschleiert und hielt in den Händen ein rundes Tablett aus getriebenem Silber. Darauf stand ein funkelndes Kristallglas, gefüllt mit einer dunkelroten Flüssigkeit.
„Willkommen in meinem bescheidenen Heim“, prostete Mustafa Terjoong ihm zu.
Der Engländer nahm das Glas und hielt es ihm entgegen.
„Ein Freund sagte mir, dass Sie auf der Suche nach einem bestimmten Gegenstand sind“, fuhr Terjoong fort, nachdem sie getrunken hatten.
Ken nickte.
„Vielleicht können Sie mir dabei behilflich sein?“
Der Hausherr hob eine Hand und ließ sie wieder fallen.
„Möglich ist alles“, erwiderte er vieldeutig.
„Wenn es eine Frage des Geldes ist – mein Auftraggeber verfügt über die entsprechenden Mittel.“
Terjoong beugte sich vor. Erst jetzt hatte Ken ausreichend Gelegenheit, ihn näher zu betrachten. Das Gesicht hatte einen dunklen Ton, wahrscheinlich das Erbe seiner Mutter. Die schwarzen Augen glichen denen eines Untieres, das sich seines Opfers sicher ist. Sie schienen zu funkeln. Seine hakenförmige Nase drückte Brutalität aus, die von dem schmalen Mund unterstrichen wurde. Mustafa Terjoong war ein Mann, der keinen Widerstand duldete, gnadenlos und ohne jegliche Rücksicht seine Ziele durchsetzte.
Dies alles war aus seinem Äußeren und seiner Haltung zu lesen.
„Es gibt Dinge, die kann man nicht mit Geld bezahlen“, sagte er und deutete zu den Gemälden. „Nehmen Sie nur den Rembrandt dort. Sein Wert wird in Millionen beziffert, doch der wahre Wert einer solchen Kostbarkeit liegt in ihr selbst. Schauen Sie sich nur die Farben an, mit denen der Meister gearbeitet hat. Blicken Sie auf die feinen Linien des Gesichts, das Rund des Ausschnitts. Der Maler hat hier die Wirklichkeit wiedergegeben, besser, als jeder Fotograf es vermocht hätte.
Und doch ist es nicht mehr als ein Bild. Etwas, das geschaffen worden ist, um das Auge des Menschen zu erfreuen; eine andere Berechtigung für sein Vorhandensein hat das Gemälde nicht.
Wie anders ist da doch jener Gegenstand, der dem bedauernswerten Raymond de Chanfray abhanden gekommen ist! Ein Zepter von solcher Vollkommenheit, das so zu schmieden ein Mensch niemals in der Lage sein wird.
Soll ich Ihnen etwas verraten, Mr. Norton?
Dieses Zepter ist von einem Gott erschaffen worden. Es ist älter als die Erde selbst, und sein Besitz verheißt unendliche Macht.
Mehr noch – er verspricht das ewige Leben!“
Ken ließ die Worte nachklingen.
Woher kannte der Mann seinen Namen?
Khalid hatte ihn ihm gewiss nicht verraten. Doch das war im Moment nebensächlich. Ihn beschäftigte vielmehr eine andere Frage. Glaubte Terjoong wirklich alles, was er da sagte?
Das Gilgamesch-Epos gehörte in das Reich der Legenden. Auch wenn ein kleines Körnchen davon der Wahrheit entsprechen mochte. Doch ernsthaft konnte kein vernünftig denkender Mensch glauben, dass er durch den Besitz des Zepters davor bewahrt bliebe, den Weg alles Irdischen zu gehen.
Beinahe belustigt schaute Ken zu dem Mann auf dem Thron.
„Das Zepter ist also in Ihrem Besitz“, stellte er fest.
Terjoong erhob sich, und der Engländer sah sich einem breitschultrigen, hoch gewachsenen Mann gegenüber, der ihn spöttisch musterte.
Es war eine bizarre Situation. Da stand er hier in dieser Halle, umgeben von den herrlichsten Kunstgegenständen, die jemals von Menschen erschaffen worden waren. Aber es war kein Museum, in dem er sich befand, und die Männer, die rings um ihn standen, waren bewaffnet, als wollten sie in den Krieg ziehen. Dazu der archaisch wirkende Thron mit Terjoong, der wie ein mittelalterlicher Potentat gewirkt hätte, wäre da nicht sein dunkelgrauer Anzug gewesen, der irgendwie nicht in die Umgebung passen wollte.
„Ja, ich besitze es“, erwiderte der Sohn eines Holländers und einer Ägypterin. „Sie ahnen ja nicht, wie lange ich schon danach gesucht habe. Tausendmal sind mir Zepter zum Kauf angeboten worden, aber nie war das echte darunter. Denn es gibt nur das eine.“
Er machte eine einladende Handbewegung.
„Kommen Sie“, sagte er. „Ich möchte Ihnen etwas zeigen.“
Terjoong klatschte in die Hände, und zwei Männer öffneten die Tür, vor der sie standen.
Ken betrat einen Saal, der größer als die Halle war. Hier drinnen war es dunkel, nur in der hinteren Ecke leuchtete etwas. Der Engländer folgte dem Mann und bemerkte, dass die Wände mit schwarzem Samt bezogen waren. An den Seiten standen mannshohe Feuerschalen, deren Glut erloschen war.
Vor einem Altar blieben sie stehen. Ken Norton hielt unwillkürlich den Atem an, als er den Gegenstand erblickte.
Das Zepter lag auf einer Samtdecke und leuchtete aus sich heraus. Es sah so aus, wie de Chanfray es ihm beschrieben hatte. Als er genauer hinsah, erkannte er, dass das Leuchten von dem Kristall ausging, der das Zepter krönte.
„Was Sie hier sehen, Mr. Norton“, sagte Mustafa Terjoong feierlich, „ist das Vermächtnis der Götter an die Menschheit. Dieses Zepter wurde geschaffen, um den Bund zwischen ihnen und uns zu festigen. Ihm wohnt die göttliche Kraft inne, die in der Lage ist, Berge zu versetzen.“
Ken sah ihn an und wusste, dass es nicht ein Kunstdieb war, den er da vor sich hatte, sondern ein Fanatiker – die gefährlichste Sorte unter der Spezies des Homo sapiens.
„Von welchen Göttern sprechen Sie?“, fragte er. „Von denen der alten Griechen, der Römer? Oder vielleicht Odin, Freya, Loki, denen die Germanen huldigten? Nein. Man sagt, das Zepter sei im Besitz des Gilgamesch gewesen. Meinen Sie also die sumerischen Gottheiten?“
„Schweigen Sie!“, herrschte der Araber ihn an. „Was wissen Sie schon? Die Götter, von denen ich rede, sind älter als alle anderen nach ihnen. Sie stammen nicht aus dieser Welt. Gegen sie sind Zeus oder Jupiter oder wie sie alle heißen mögen nichts weiter als Hirngespinste. Erdacht von Menschen, die zu dumm waren, sich ihre Existenz zu erklären und etwas brauchten, um sich dafür zu rechtfertigen. Die Götter, um die es in Wirklichkeit geht, sind mächtiger als eines kleinen Menschen Verstand es sich ausmalen kann.“
Er sah den Engländer an, und in seinen Augen stand ein seltsamer Glanz. Ken kam für einen Moment ein irritierender Gedanke ...
Bei seinen Studien war er auf einen Kult gestoßen, dessen Name ihm jetzt wieder einfiel. My-Tharn-yarl war ein Dämonengott unbestimmter Herkunft. Es hieß, dass seine Anhängerschaft auf der ganzen Welt verbreitet sei; von blutigen Ritualen und sogar Menschenopfern war in den Berichten die Rede gewesen. Indes schien es unmöglich, in den inneren Zirkel dieses Kults eindringen zu können. Wie alle Geheimbünde schotteten sich die Mitglieder von der Außenwelt ab, und nur ganz wenigen gelang der Zutritt. Jeder von ihnen legte einen Eid ab, das Geheimnis zu wahren.
Diejenigen, die diesen Eid brachen und die wenigen Berichte über den Dämonengott an die Öffentlichkeit brachten, wurden ausnahmslos mit dem Tode bestraft. Ihren Angaben, durch geschickte Manipulationen in die Lächerlichkeit gezogen, schenkte kaum jemand Glauben.
Bis auf ein paar Leute vielleicht, die mehr wussten als andere – so wie Ken Norton.
Terjoong hatte die Augen geschlossen und schwieg. Dafür tauchten Bilder vor seinem geistigen Auge auf, und wieder betrat er Orte, die er schon so oft besucht hatte. Doch das war nicht im Traum gewesen, sondern in der Realität. Orte, die vor ihm nur wenige Menschen gesehen hatten. Sie lagen nicht auf diesem Erdenrund, sondern in einer anderen Welt. Einer Welt fernab jeglichen menschlichen Verstehens.
Und dorthin würde er zurückkehren, wenn das Ritual vollzogen war.
Mit einem Ruck öffnete er die Augen.
„Packt ihn!“, schrie er.
Ken wirbelte herum. Hinter ihm standen die bewaffneten Männer. Zwei von ihnen sprangen vor und griffen nach ihm. Der rechte Fuß des Engländers schoss nach oben und traf den ersten. Der zweite hob sein Maschinengewehr und ließ den Lauf auf den Kopf des Anthropologen krachen. In seine Dschellaba gekleidet hatte er nicht so agieren können, wie er es sonst getan hätte.
Ken sank zu Boden. Er spürte nicht mehr die Hände, die nach ihm griffen und ihn fesselten.
Terjoong hatte die ganze Zeit ungerührt daneben gestanden. Triumph leuchtete in seinen schwarzen Augen, als die Männer den Bewusstlosen auf den Altar legten.
Auf seinen Wink hin tauchte aus dem Dunkel des Raumes eine Frau auf und legte ihm einen Umhang um. Er war schwarz und das Innenfutter hatte die Farbe von Blut. Mit einer herrischen Bewegung scheuchte er seine Leute aus dem Saal.
Einen Moment herrschte gespenstische Stille, nachdem die Tür geschlossen worden war.
Mustafa Terjoong stand kurz vor dem Ziel. Noch einmal ließ er sein bisheriges Leben Revue passieren. Geboren als Sohn einer Hure im Hafenviertel von Alexandria hatte er es nie leicht gehabt. Schon früh musste er lernen sich durchzusetzen. Seine Karriere begann im Alter von fünf Jahren, als er bei einem Taschendieb in die Lehre ging, der sich seiner angenommen hatte. Seinen Erzeuger hatte er nie kennen gelernt, und so wurde der flinke Ali so etwas wie ein Ersatzvater.
Später verlegte sich der junge Mustafa auf Einbrüche, Autodiebstähle und Falschspielerei. Rund zehn Jahre verbrachte er hinter Gefängnismauern. Am Tage seiner Entlassung schwor er sich, dass er nie wieder eine Zelle von innen sehen würde, verschwand aus Alexandria nach Kairo und legte sich kurzerhand den Nachnamen des Holländers zu, dessen Samen er entsprungen war.
Eines Tages sah er ein junges Mädchen, als er vor der Universität herumlungerte. Ali hatte ihm nicht nur beigebracht, die Taschen anderer Leute zu leeren, er lehrte ihn auch Lesen und Schreiben. Dass er die Universität niemals als Student betreten würde, war ihm klar, aber Mustafa kam von nun an jeden Tag, um das Mädchen zu sehen, in das er sich unsterblich verliebt hatte. Er verfolgte es und fand heraus, dass Rachel die Tochter eines reichen, jüdischen Kunsthändlers war. Das stellte ihn vor ein großes Problem; ihr Vater würde niemals in eine Heirat einwilligen. Dennoch machte er sich an sie heran und verführte Rachel auf dem wackligen Bett seines schäbigen Zimmers. Das blieb nicht ohne Folgen, indes hatte Mustafa das Kind nie gesehen – er machte sich vorher aus dem Staub ...
In Kairo hatte er Anschluss an eine Bande von Fälschern und Kunstdieben gefunden und erklomm innerhalb der Organisation, die von einem alten Franzosen geleitet wurde, schnell die Karriereleiter.
Etienne Muller gefiel der junge Araber, der schnell begriff, worauf es in diesem Gewerbe ankam, und er machte ihn zu seinem Stellvertreter. Nach dem Tod des Franzosen übernahm Mustafa die Bande als Chef, und unter seiner Führung gelangen ihnen einige der spektakulärsten Raubzüge im Nahen Osten und Europa. Kein reicher Sammler, kein Museum blieb von ihnen verschont. Sie stahlen ein Vermögen zusammen; die Beute wurde auf dem Schwarzmarkt verkauft.
Schließlich flog die Bande auf, und Mustafa musste fliehen – mit nichts als dem, was er auf dem Leib trug. Auf Umwegen gelang ihm die Flucht nach Marrakesch, wo er abgerissen auftauchte und innerhalb kürzester Zeit eine neue Bande aufbaute.
Diesmal mit noch mehr Erfolg. Marrakesch war von jeher ein Umschlagplatz für gestohlene Waren, insbesondere für Kunstgegenstände, deren rechtmäßige Besitzer um den Verlust trauerten. Es war Gewohnheit geworden, dass sie Vertrauensmänner herschickten, um ihr Eigentum gegen Zahlung eines horrenden Lösegelds wiederzubekommen.
Und so ein Vertrauensmann war dieser Ken Norton. Sein Pech nur, dass Mustafa Terjoong inzwischen ganz andere Erfahrungen gemacht hatte.
Bei einem der Einbrüche in das Haus eines reichen Marokkaners war seinen Männer ein Buch in die Hände gefallen, das sie nur mitgenommen hatten, weil es, mit Edelsteinen besetzt, kostbar ausgesehen hatte. Erst nach ein paar Wochen begann Terjoong darin zu blättern, und was er las, kam ihm einer Offenbarung gleich. Das Buch, kunstvoll mit der Hand geschrieben, in einer Schrift, deren Entzifferung ihm Mühe machte, handelte von alten Mysterien, dunklen Kulten und blutigen Ritualen. Der rote Faden, der sich durch das Werk zog, war ein Name – My-Tharn-yarl, Gott der Dämonen, Erschaffer des Reiches der Finsternis.
Mustafa war so fasziniert von dem, was er las, dass er das Buch kaum noch aus der Hand legte. Während seine Bande weiterhin ihrem einträchtigen Geschäft nachging, studierte er Tag und Nacht die Schrift, und dann, eines Tages, wagte er den ersten Schritt.
Er suchte und fand andere, die dazu gehörten, und brachte während eines Aufnahmerituals das geforderte Menschenopfer, um sich würdig zu erweisen. Dann tauchte er in die andere Welt ein.
Fortan war er ein getreuer Diener des Kultes, der auf der ganzen Erde verbreitet war, und von dem doch so gut wie niemand etwas wusste.
Zumindest kein Außenstehender, denn die Mitglieder dieser geheimen Bruderschaft mussten bei ihrem Leben schwören, zu niemandem ein Wort über das zu sagen, was sie verband.
De Chanfray gehörte ebenfalls dazu. Sie hatten sich vor Jahren kennen gelernt, und der Franzose prahlte damit, dass er im Besitz des göttlichen Zepters sei. Er hatte es dem Araber sogar gezeigt, ohne zu ahnen, was er damit auslöste. Mustafa selbst war nach Frankreich gereist, hatte den Grafen bei dem Ritual gestört und den wertvollen Gegenstand gestohlen. Jetzt gehörte er ihm, und nichts und niemand würde ihn daran hindern, mit dem Zepter in die Welt zu reisen, in der ihn das erwartete, wonach alle strebten, die dem großen My-Tharn-yarl anhingen – das ewige Leben!
Er drehte sich um und blickte auf den Engländer. Ein triumphierendes Lächeln umspielte seine Lippen, als er unter den Umhang griff und einen Dolch hervorzog. Leise sprach er die magischen Worte, mit denen er My-Tharn-yarl anrief.
Ken spürte den Schmerz an der Schläfe, wo ihn der Schlag getroffen hatte, und dieser Schmerz holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Blinzelnd öffnete er die Augen. Wie durch einen Schleier sah er Terjoong und den Dolch in dessen Hand. Der Anthropologe zerrte an seinen Fesseln, doch es war unmöglich, sie zu sprengen. Mustafa holte aus, und der Dolch sauste nieder.
„Herrscher der Finsternis, nimm dieses Opfer gnädig an“, brüllte er mit einem fanatischen Gesichtsausdruck. „Für My-Tharn-yarl!“
Das Zepter begann unheilvoll zu glühen. Ken spürte den Stoß, und warf sich im selben Moment herum. Der Dolch glitt durch den Stoff seiner Dschellaba und verfehlte das Herz des Engländers.
Ken fiel vom Altar herunter und landete schmerzhaft auf dem Boden. Er rollte sich von dem fanatischen Mann fort, der ein Ritual in Gang gesetzt hatte, das unter allen Umständen beendet werden musste.
Mustafa Terjoong stieß einen Schrei aus. Das Glühen des Zepters hatte zugenommen; es schien, als sende seine Spitze unsichtbare Strahlen aus. Geblendet schloss der Araber die Augen und sank auf die Knie. Er wusste instinktiv, dass er seine Chance vertan hatte. Irgendetwas war schiefgegangen. Der Dämonengott war nicht gnädig gestimmt; er hatte das Opfer abgelehnt und nun würde er ihn, Mustafa, dafür bestrafen.
Ein Blitzstrahl ging von dem Kristall des Zepters aus. Er traf Terjoong, der winselnd zu Boden ging, die Arme schützend um den Kopf gelegt. Ein Zucken ging durch seinen Körper, dann lag er still da und rührte sich nicht mehr.
Ken versuchte, sich aufzurichten. Den Anschlag auf sein Leben hatte er überlebt, aber noch war er nicht außer Gefahr. Der unheimliche Strahl, der von dem Zepter ausging, wanderte durch die Halle, als sei er auf der Suche nach dem nächsten Opfer. Dabei wurden die Samtvorhänge in Brand gesetzt, und als hätten Geisterhände sie wieder entzündet, loderten die Feuerschalen hell auf.