Khassid und Redjin - Dorte Schünecke - E-Book

Khassid und Redjin E-Book

Dorte Schünecke

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Beschreibung

Man nehme einen pflichtbewussten Wachhauptmann namens Khassid, einen freiheitsliebenden Stallsklaven namens Redjin, füge eine Prise Anziehung und einen Teelöffel Zuneigung hinzu, rühre um, bis Liebe entsteht, und lasse alles im Bett warmgestellt kräftig durchziehen. Nach Geschmack Halbgötter, Piraten und Loyalitätskonflikte hinzufügen und mit reichlich Meerwasser abschmecken. Achtung: Kann Spuren von Gestaltwandlern und anderen magischen Fähigkeiten enthalten. Weckt unter Umständen Lust auf Me(e/h)r.

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Seitenzahl: 529

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Dorte Schünecke

 

 

Khassid und Redjin

 

 

Fantasy-Abenteuerroman.

Mit Liebe drin.

Und Halbgöttern.

Und Piraten.

Copyright © 2024 by Dorte Schünecke

Umschlaggestaltung: © Ulrike Güthe-Wunderlich

Umschlagidee & Geburtshilfe: Birthe zur Nieden

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Verlag: Dorte Schünecke

 Projensdorfer Str. 181

 24106 Kiel

 [email protected]

 https://dorte.schuenecke.com

Hauptmann und Stallsklave

                    Ein Malheur

Der Herbst neigte sich dem Winter zu. Der Boden war nass und glitschig von schmelzendem Schnee, und der wolkenverschleierte Himmel versprach baldigen Nachschub. Redjin stand am Stalltor und hielt eine nervös tänzelnde Stute am Zügel, denn er wartete auf ihren Reiter. Das Tier wollte hinaus, ließ sich nur mühsam festhalten, drängelte gegen Redjin und machte sich einfach nur so unbequem, wie es einem Pferd möglich war. Und das alles nur, weil Hauptmann Khassid unbedingt in der Frühe ausreiten wollte und jetzt auf sich warten ließ.

Typisch. Einen Pferdesklaven konnte man ja warten lassen, schließlich wurden nur Sklaven in den Stall verbannt, die für den Dienst in besseren Positionen zu schwierig waren. Hauptmann Khassid war natürlich viel zu wichtig, um sich darum zu kümmern, dass dieser Pferdesklave langsam nasse Füße bekam, weil ihn der blöde Gaul ständig in die riesige Pfütze mit Schneebrocken direkt vorm Stalltor drängelte.

Endlich bewegte sich die charakteristische Gestalt auf den Stall zu: groß und kräftig, mit aschblonden Haaren, die wellig sein Gesicht umrahmten. Wie immer war er in die göttliche Wachuniform gekleidet, wahrscheinlich schlief er auch darin, oder zumindest schlief er garantiert in einem Nachthemd mit eingesticktem göttlichen Emblem.

„Guten Morgen, Hauptmann“, murmelte Redjin, als selbiger herangekommen war.

Hauptmann Khassid sah ihn kurz an, was Redjin überraschte – normalerweise war er für alle unsichtbar. Hatte er Dreck im Gesicht? Dann huschte der Blick weiter auf die Stute, zum Glück. „Morgen. Alles klar mit meinem Mädchen?“

„Frisch wie der junge Morgen, Hauptmann“, gab Redjin zurück und hörte selbst, wie pampig er klang. Er musste sich besser zusammenreißen.

Der Hauptmann ignorierte zum Glück den Tonfall, nahm die Zügel entgegen und führte die Stute in den Hof. Redjin blieb am Stalltor stehen, um vorschriftsgemäß sicherzugehen, dass Khassid keine weiteren Wünsche hatte – es war dem Hauptmann der Wache schließlich nicht zuzumuten, noch einmal abzusteigen, weil er etwas Wichtiges vergessen hatte.

Die Stute folgte ihrem Herrn willig mit gespitzten Ohren, freute sich ganz offensichtlich auf den Ritt. Khassid tätschelte ihr den Hals, kontrollierte den Sattelgurt, setzte den Fuß in den Steigbügel, stieß sich mit dem anderen vom Boden ab – und krachte gemeinsam mit dem Steigbügel zu Boden – mitten in den Schneematschtümpel vorm Stalltor.

Redjin konnte sich ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen, als er auf den Hof sprang, um die erschrocken davonspringende Stute am Zügel zu packen, während Khassid sich aufrappelte, und brauchte einen Moment, um das trippelnde Tier unter Kontrolle zu bringen. Als er sich zu Khassid umwandte, stand der Hauptmann bereits wieder. Die aschblonden Haarwellen tropften strähnig auf die Schultern hinab. Es brauchte schon einiges, um als begossener Hund noch stattlich auszusehen, aber Khassid hatte damit kein Problem.

„Das findest du wohl auch noch witzig, Junge!“, knurrte Khassid und trat neben die Stute, griff nach dem Stumpf des Steigbügelriemens und hielt ihn anklagend Redjin entgegen. Das rissige Leder, alte Kratzer und die sichtlich ausgeleierten Löcher für die Schnallen sprachen für sich. „Was ist das denn hier, hast du etwa mit Absicht einen uralten Bügelriemen irgendwo ausgegraben?“

„Ich hab erst vor zwei Wochen das Sattelzeug gereinigt, da war alles in Ordnung!“, protestierte Redjin.

„Aber jetzt ist es das nicht!“, knurrte Khassid.

„Das war bestimmt Tiynan oder einer von den anderen, die mir eins auswischen wollten, oder –“

„Das ist mir egal!“, fuhr Khassid ihm über den Mund. „Du hast das Pferd zu satteln, dazu gehört, dass du schaust, ob alles heile ist. Der Riemen hätte dir auffallen müssen.“

Es war harte Arbeit, aber Redjin zwang sich zum Schweigen. Es brachte ja nichts.

Khassid starrte ihn wütend an. „Du könntest dich wenigstens entschuldigen.“

„Entschuldigung, Hauptmann.“

„Das nächste Mal ohne besondere Aufforderung, Junge! Herren aller Welten, wie kann man nur so verstockt sein?“

Redjin kannte viele Gründe für Verstocktheit, und umso mehr, wenn es um Hauptmann Khassid ging. Gründe, an die er lieber nicht denken wollte, weil er dem Hauptmann sonst noch Dinge an den Kopf werfen würde, die ihm mehr Ärger als die wahrscheinliche Tracht Prügel einbringen würden.

Khassid schüttelte den Kopf. „Komm mit“, knurrte er, „und wage es ja nicht. Was immer du vorhast – wage es nicht!“

Redjin zog vor, der Anweisung Folge zu leisten, und folgte Khassid zickzackenderweise – immer den Schneepfützen ausweichend – zum Wachhaus, das in der Mitte des großen Palasthofes stand. Der Stall kuschelte sich an die südliche Mauer, im Norden prangte das aberwitzig hohe Gebäude der göttlichen Herrschaft mit seinen unzähligen Fenstern. Die vordere Front hatte fünf Geschosse, die Turmgeschosse hatte Redjin nie gezählt. Das Wachhaus war ein kleiner Holzbau, nur ein Geschoss und darüber das strohgedeckte Winkeldach, unter dem sich wohl auch noch ein Raum verbarg. Redjin hatte das Wachhaus erst einmal betreten, als er vor einigen Jahren frech zu einem der Wachmänner gewesen war und sich dort seine zehn Peitschenhiebe abgeholt hatte. Seitdem ging er dem Gebäude, den Wachen und auch sonst allem möglichst weit aus dem Weg.

„Du wartest hier!“, befahl der Hauptmann und zeigte auf den Platz neben der Tür zum Wachhaus. „Und mit warten meine ich warten – bis du geholt wirst.“

Redjin stellte sich stumm auf den angezeigten Fleck und starrte auf den Boden. Er spürte, wie er einen Moment lang angestarrt wurde, dann knarrte die Tür in den Angeln, Schritte gingen von Schneematsch auf Holzdielen und die Tür wurde zugeschlagen.

 

 

In trockener Kleidung und mit einem Becher Tee in der Hand fühlte sich Khassid zwar wieder etwas mit der Welt versöhnt, doch die nächsten Wochen würden alle Sklaven über ihn lachen, das stand fest. Nie offen, aber dafür mit Ausdauer und Hingabe.

Seine Untergebenen hatten sich, soweit es ihnen möglich war, aus dem Staub gemacht. Nur die Wachhabenden waren anwesend, saßen am zweiten Tisch und schielten ihn hin und wieder verstohlen an.

Khassid füllte sich Tee nach und spürte, wie seine Stimmung mit dem Becher um die Wette dampfte.

„Nun nehmt’s Euch doch nicht so zu Herzen“, brummelte der Zweite Wachoffizier Tharvak. Khassid reagierte nicht, was Tharvak offensichtlich als positives Zeichen deutete, denn er setzte sich zu Khassid an den Tisch. Sie kannten einander schon lange, waren fast gleich alt, hatten gemeinsam Ausbildung und Kriegserfahrungen durchgemacht, ohne jedoch dabei Freunde zu werden. Aber sie respektierten einander. Daher bediente sich Tharvak ohne zu fragen an Khassids Tee und schaute den Hauptmann der Wache prüfend an. „Ich sage Euch, wie ich das machen würde: Der Junge kriegt ein paar mit der Peitsche und geht zurück in den Stall, und alles geht weiter wie bisher. Hm? Kein Grund für schlechte Laune.“

Khassid schlürfte etwas Tee. „Wie lange bin ich jetzt Hauptmann, Tharvak?“

Der Wachoffizier überlegte kurz. „Müssen jetzt fast drei Jahre sein, oder?“

„Etwas mehr als drei Jahre. Ich bin mit sechsundzwanzig Hauptmann geworden, in ein paar Wochen werde ich dreißig.“

„Stimmt wohl. Ich bin Euch altersmäßig ja immer ein Jährchen voraus.“

„Wenn es nach meinem Vater geht, übernehme ich in fünf bis zehn Jahren seinen Posten als göttlicher Haushofmeister.“

„Tja, Karriere muss man machen können“, gab Tharvak etwas verwirrt zurück, „bei mir reicht’s nicht für mehr als Wachoffizier.“

„Einige können Karriere machen, andere müssen es“, antwortete Khassid bitter und schaute auf seinen Becher. Seine Hand umfasste das Gefäß so fest, dass die Fingerknöchel weiß durch die Haut schimmerten.

Tharvak gab einen undeutbaren Laut von sich, der eigentlich nur aussagte, dass er Khassid gehört hatte, aber er konnte unmöglich verstehen, was gerade in Khassid vorging. Er hatte für die frühen Beförderungen viel erduldet, hart für das Vertrauen der göttlichen Herrschaft gearbeitet, und dennoch stieß er noch immer auf Skepsis unter den Wachleuten. Sicher dachten alle, dass Khassids Erfolg zum Großteil auf dem Einfluss seines Vaters beruhte, der als göttlicher Haushofmeister der wichtigste Mensch im Palast war. Es war zum Verrücktwerden. Langsam begannen einige, seine Qualitäten zu sehen und ihn als Anführer zu akzeptieren, und nun das, diese öffentliche Lächerlichkeit!

„Tut Eurer Karriere sicher nicht weh“, riss ihn Tharvak schließlich aus seinen Gedanken. „Klar, alle kichern ’n paar Tage drüber, aber es war halt ein dummer Zufall, weil der Junge zu blöd ist, die Riemen zu prüfen.“

„Hmpf.“ Khassid leerte den Becher und stand auf. „Bestraft werden muss er trotzdem. Schon alleine, damit ich nicht wie ein Trottel dastehe.“

„Klar, Hauptmann, sehe ich doch genauso. Wenn Ihr’s nicht machen wollt, mache ich’s gerne, der hat eh noch was gut bei mir.“

Khassid schüttelte den Kopf. Er mochte keine Prügelstrafen. Bei manchen mochten sie wirken, Redjin gehörte seiner Einschätzung nach nicht dazu. In den letzten zehn Jahren hatte der Junge öfter schon welche abbekommen, das hatte ihn wenn überhaupt nur noch verstockter gemacht. „Ich glaube, der muss mal in Ruhe nachdenken, wie gut er es bei uns eigentlich hat. Dach überm Kopf, Essen, und wer seine Arbeit gut macht, kriegt auch keine Prügel.“ Khassid atmete tief durch und stand auf. „Genau. Jawohl.“

Tharvak deutete ein verständnisloses Nicken an, zuckte mit den Schultern und griff sich Khassids Teetasse. „Wenn Ihr meint.“

Redjin wartete wie befohlen vor der Tür und sah nicht einmal auf, als Khassid sie öffnete. Er starrte auf den Schneematsch, das Gesicht wie immer eine Maske aus Sturheit, Ablehnung und überraschend schönen Gesichtszügen. Siebzehn mochte der Junge jetzt sein, vielleicht schon achtzehn; Khassid wusste es nicht mehr. Sein blondes Haar war struppig und staubig und kannte offensichtlich keinen Kamm, nur halbstumpfe Messer und Mähnenscheren aus dem Stall, die es der Länge nach im Zaum hielten. Die Kleider waren wie bei allen Stallsklaven eher Lumpen – Abgelegtes aus Küche und Palast, denn es lohnte sich nicht, im Stall gute Kleidung zu ruinieren. Die auffälligen Wangenknochen und das spitze Kinn erzählten eine kleine Geschichte von Machtrangeleien und Essensentzug durch die Anführer im Stall. Andererseits hatte Redjin sich das vermutlich selbst zuzuschreiben.

Khassid wusste nicht viel über den Jungen. Ihre Leben hatten kaum Berührungspunkte: Khassid lebte im Palast und ein wenig im Wachhaus hier auf dem Hof, Redjins Leben spielte sich im Pferdestall ab, wo sich jeder nur darum kümmerte, dass er möglichst wenig arbeiten musste. Was verstand Redjin schon von Khassids Leben, das nur daraus bestand, dass er sich kümmerte? Um seine Herren, seine Karriere, die Ehre und Erwartungen seines Vaters, sein Äußeres, seine Untergebenen – Khassid war immer im Einsatz und dazu noch unterwegs in den Gängen des Palastes, im Innenhof, im Umland.

„Ich habe es nicht nötig, mich von einem Sklaven lächerlich machen zu lassen“, sagte Khassid barsch, ohne dass Redjin darauf reagierte. „Aber es bringt wohl nichts, dich für Unaufmerksamkeit auszupeitschen, wenn es nicht einmal gegen deine Frechheit hilft. Eine Strafe bekommst du trotzdem. Da Prügeln aber bei dir nichts zu bewirken scheint, werde ich eine andere Strafe ausprobieren.“

Skeptische Sorge schlich sich in Redjins Gesicht, und er schaute endlich vom Boden auf, so dass Khassid diese sommerhimmelblauen Augen sehen konnte, über die er viel zu oft nachdenken musste und die ihn immer ein bisschen aus dem Konzept brachten. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, sondern die Strafe angemessen distanziert zu verkünden.

„Die Zuchtstuten sollen sich noch etwas die Beine vertreten, bevor der Schnee kommt. Und du auch. Vielleicht war es ein Fehler von mir, dich wegen deines schlechten Betragens den Sommer über nicht aus der Stadt zu lassen – der Qualität deiner Arbeit hat es jedenfalls ebenso wenig geholfen wie deinen Manieren. Nun kannst du die Frischluft nachholen. Du wirst die Pferde auf die hintere Hangweide führen und sie dort bewachen. Ich erlaube dir sogar, die Hütte zu benutzen, damit du es dir etwas gemütlich machen kannst und nicht erfrierst. Morgen früh machst du dich auf den Weg. Ich lasse dir täglich Essen bringen. Du kehrst erst dann zurück, wenn ich es dir befehle. Verstanden?“

Redjin starrte ihm wütend ins Gesicht, nickte und ging wortlos an ihm vorbei.

Khassid presste die Lippen zusammen. Nie bedankte sich irgendjemand bei ihm für seine Großzügigkeit. Und Redjin erst recht nicht. Ungebeten schlich sich die Frage in seinen Kopf, wie Redjins Augen wohl aussahen, wenn er lächelte.

 

 

Zwischen Erleichterung und Wut pendelnd ging Redjin zum Stall zurück. Das hätte schlimmer kommen können. Aber erst hatte ihn der Hauptmann ewig draußen stehen lassen und dann diese blöde Strafe, Wachdienst auf der Koppel, tagelang! Warum nicht einfach eine Tracht Prügel und gut? Damit war man schnell durch und hatte dann wieder seine Ruhe.

Vor der Stalltür blieb er stehen. Lachende Stimmen drangen durch das Holz, vermutlich saßen alle beim Abendessen beisammen und freuten sich über Redjins Bestrafung. Wer feierte dort wohl am lautesten, fragte er sich. Der lange Tiynan? Die stets mürrische Ridyadhi? Die Stallsklaven waren eine bunte Mischung aus verschiedensten Völkern, die aus verschiedensten Gründen hier gelandet waren. Ein paar waren verurteilte Verbrecher, andere hatten sich in die Gegend verirrt oder waren von Sklavenhändlern hierher verkauft worden. Und andere waren Kriegsbeute. Eins hatten sie alle gemeinsam: Keiner von ihnen gehörte zu den Belkhai, die hier im Palast alle wichtigen Posten innehatten. Als Belkhan wurde man nicht besonders schnell Sklave, und wenn doch, dann landete man in der Küche oder in der Wäscherei, aber nicht im Stall. Weiter nach unten ging es nicht.

Redjin hörte Tiynans charakteristisches wieherndes Lachen und verspürte keine Lust, zu der ausgelassenen Gesellschaft zu treten und in die grinsenden Gesichter zu blicken. Gut zehn Jahre war es nun her, seit Redjin von den Soldaten mitgebracht worden war; ein verschreckter Junge von etwa acht Jahren, verwaist, einsam und fern von daheim.

Daheim, das war eine ferne Erinnerung an salzige Luft, Möwengeschrei und dem ewigen Heben und Senken des Schiffes. Das leise Klatschen der Wellen gegen den Bug. Das behagliche Knarzen der Planken. Mutters Gesang und Vaters ruhige Stimme, mit der er abends Geschichten erzählte. Das muntere Geplärr des kleinen Bruders, dessen Namen er vergessen hatte, und der noch kleineren Schwester, die kaum mehr war als ein Schatten in seinem Gedächtnis. Seinen älteren Bruder, den kannte er noch, obwohl auch er schon lange tot war. Kyenti. Groß und kräftig und immer bereit, mit Redjin auf dem Rücken über das Deck zu hüpfen.

Bis heute war Redjin fremd geblieben in der Sklavenschar, denn die kamen alle von Bauernhöfen oder aus Städten und hatten sich damit abgefunden, Pferde zu putzen, Pferdescheiße zu schaufeln und bei guter Führung einen Posten im Palast zu ergattern. Redjin aber stammte aus einer besseren, mythischen Welt der Freiheit und der See. Was wussten diese Landratten schon von seinem Leben? Was verstanden sie von Freiheit? Für sie war es Freiheit, anderen das Essen wegzunehmen.

Mistgabeln statt Taue, dämliche Pferde statt Planken und Strohsäcke statt einer komfortabel mit dem Atem des Schiffes schaukelnden Hängematte. Redjin hatte die Nase schon voll vom Sklavendasein gehabt, bevor es recht begonnen hatte.

Er drückte die Tür einen Spalt breit auf, quetschte sich hindurch, huschte an der laut plaudernden Gesellschaft im Vorraum vorbei, die Stallgasse entlang zur Leiter, die auf den Heuboden führte. Dort hatte er sein Quartier eingerichtet, zusammen mit anderen Außenseitern des Stallvolks, die zumindest im Sommer hier oben Zuflucht nahmen. Die Hauptgruppe schlief unten, dort, wo das Feuer abends prasselte und die Glut sich die Nacht über hielt. Die meisten von Redjins ausgestoßenen Kollegen krochen daher zu Beginn des Winters bei der Hauptgruppe an und baten um Aufnahme. Redjin hatte das noch nie getan, nicht einmal in dem heftigen Winter vor drei Jahren, in dem er morgens zwischen gefrorenen Heuhalmen aufgewacht war.

Es war dunkel hier oben. Redjin kroch auf allen Vieren, tastete sich voran bis zu seinem Lager. Neben ihm hatte bis gestern der kleine rothaarige Valjanth geschlafen, doch der war am Morgen bibbernd mit seinen Sachen die Leiter hinuntergekraxelt und hatte sich bei Tiynan eingeschmeichelt.

Blieb nur noch Nulda. Wenn sie ging, hatte Redjin den Heuboden wieder für sich alleine.

Hoffentlich ging sie bald. Redjin liebte die Winterruhe im Heu.

Er wühlte sich zwischen seine Decken, rollte sich mit ihnen in einen Heuberg und überlegte, ob das Exil auf der Hangweide wirklich so schrecklich war, wie es im ersten Moment geklungen hatte. Kalt war es dort, sicher, aber die Hütte hatte einen Kamin, und Feuerholz lag in einem großen Stapel neben der Hütte. Die Pferde versorgten sich weitgehend selbst, brauchten nur täglich etwas von dem Heu, das unter dem Hüttendach eingelagert war.

Keine hinterhältigen Sklavenkollegen.

Keine ständigen Nörgeleien, Vorschriften und Maßregelungen; keine engen Stallgassen, staubigen Strohmatten und stinkenden Misthaufen.

Nur die blöden Pferde, gut, die blieben ihm leider erhalten. Redjin hielt nicht viel von Pferden. Aber sie hatten wenigstens nichts gegen ihn, konnten ja nichts dafür, dass sie als Pferde zur Welt gekommen waren. Nein, die Pferde waren schon in Ordnung. Sie ließen ihn in Ruhe, solange er sie auch in Ruhe ließ.

Es raschelte leise im Heu – Mäuse, Ratten oder vielleicht eine Katze auf der Jagd nach ebensolchen. Redjin lauschte den Geräuschen, erkannte eine nächtliche Jagd, Verfolgung, Lauern und Sprung. Die Katze verfehlte offensichtlich ihr Ziel, denn der zarte Schmerzlaut blieb aus.

Irgendwann raschelte es erneut, als Nulda ins Heu kroch. Das Geräusch ihrer klappernden Zähne mischte sich mit dem Mahlen der Pferdezähne, das von den Boxen unter ihnen empordrang, und die Geräusche verwandelten sich für Redjin irgendwann in das leise Knarzen von Schiffsplanken in einer sanften Dünung.

Auf der Weide

Der nächste Morgen war trocken und kalt. Noch zeigte sich die Sonne nicht, denn es ging auf Mittwinter zu, daher würde sie erst im Lauf des Vormittags müde über den Horizont kriechen. Im Schein von Laternen arbeiteten die Sklaven im Stall, misteten Boxen aus, bürsteten Pferde und putzten das Sattelzeug.

Redjin kam recht spät die Leiter herunter. Seine Finger und Zehen waren taub vor Kälte, so dass er sich kaum festhalten konnte. Er holte sich am Feuer einen Becher Tee, einen Brotkanten und ein Stück Speck, mümmelte das Frühstück in einer stillen Ecke und ging dann zu Tiynan.

„Ich soll die Zuchtstuten zur hinteren Hangweide bringen. Irgendwer muss mir helfen.“

„Sagt wer?“

„Sagt Hauptmann Khassid.“

„Zu mir nicht.“

„Geh doch und frag ihn.“

Tiynan grunzte ärgerlich, das traute er sich dann doch nicht. „Nulda!“, bellte er durch die Stallgasse. „Valjanth! Unser Prinzchen schafft seine Aufgabe nicht alleine, seid doch so gütig und helft ihm!“ Damit wandte er sich ab und verschwand in den Innenhof, während die Herbeigerufenen Redjin wenig begeistert anstierten.

Ihre Mienen hellten sich aber auf, als Redjin ihnen die Aufgabe erklärte. Etwas frische Luft bei einem Ausritt war nicht das Schlechteste, das einem im Stall passieren konnte. Die Hangweide war nicht weit von der Stadt entfernt, vom Heuboden aus konnte man ihr vorderes Ende sehen, doch ein sumpfiger Landstrich blockierte den direkten Weg, so dass man recht umständlich um die halbe Stadt reiten musste.

Den drei Sklaven war dies nur recht. Jeder von ihnen nahm sich eine der Stuten und zäumte sie als Reitpferd. Als die anderen in ihre Arbeiten vertieft waren, entließen sie die restlichen Tiere in die Stallgasse und trieben sie von dort in das abgetrennte Hofstück vor dem Stall. Dann erklommen sie ihre Reitpferde und begannen den Weg zur Weide, Redjin vorne, Valjanth hinten und Nulda in der Mitte der Herde, um ein Ausbrechen einzelner Pferde zu verhindern. Im gemächlichen Schritt ging es durch das Stadttor, dann links den breiten Feldweg entlang, nach einer Weile von dort auf einen Trampelpfad entlang der Holzzäune. Als sie die hintere Hangweide erreichten, war die Sonne über den Horizont gekraxelt und beschien das raureifknistrige Gras.

Nulda und Valjanth halfen Redjin noch, die Stuten auf die Weide zu bringen, dann machten sie sich auf den Weg zurück zur Stadt.

Redjin vermisste sie keine Sekunde.

Er legte sein kleines Bündel in die Hütte und begann, die Dinge dort für seinen Aufenthalt vorzubereiten: Der Kamin musste angefacht werden, und Redjin setzte gleich den Kessel mit Wasser auf; dann holte er einige Holzscheite auf Vorrat und stapelte sie im Fach unter dem Kamin. Als die Mittagssonne hell und blass durchs Fensterloch schien, setzte er sich in den Sonnenstrahl an den Tisch und genehmigte sich die Hälfte seiner mitgebrachten Vorräte und einen Becher dampfendes Wasser. Dann ging er hinaus, um nach den Pferden zu sehen, die friedlich grasten.

Über dem Hang thronte der Palast wie ein überdimensionierter Wachhund. Redjin schaute an den felsigen Flanken hinauf und zählte die Fensterlöcher, kam durcheinander und hörte wieder auf. Er fragte sich, wie es wohl war, dort oben zu sitzen und über Land und Leute zu herrschen. Falls dort jemand gerade am Fenster stand, musste er Redjin bei seiner Mittagspause gut beobachten können. Redjin kannte niemanden aus dem Palast, sein Kontakt mit den Hochwohlgeborenen und ihren Herren beschränkte sich auf Khassid und seine Wachen. Und mehr wollte er von dem göttlichen Gesocks und seinen Hündchen auch nicht wissen.

Einige Male hatte er einem der halbgöttlichen Zwillinge ein Pferd bringen müssen. Die Tochter, Heylin, war noch erträglich – sie war arrogant und nahm keinen der Sklaven überhaupt wahr, aber damit konnte Redjin leben. Ihr Bruder allerdings, Sereyvin, ging gar nicht, fand Redjin; wann immer er den sah, stellten sich ihm die Nackenhaare auf – vor allem, da er Haar- und Augenfarbe je nach Stimmung wechselte.

Er beschloss, sich den Tag nicht mit Gedanken an Halbgötter und ihre finstere Aura zu verderben, wandte den Blick vom Schloss ab und der Weide zu. Er setzte sich auf einen großen flechtenüberwucherten Stein, schaute den Pferden zu und fragte sich, ob Khassid wusste, wie seine Bestrafung aussah.

Außerdem beschloss er, sich öfter so bestrafen zu lassen.

Als sich die Sonne dem Horizont zuneigte, ging er zurück zur Hütte und erklomm den kleinen Heuboden. Er warf einige Armvoll Heu hinaus, raffte es auf eine Schubkarre zusammen und begab sich damit hinaus auf die Weide. Dort verteilte er das Heu auf zwei Haufen, um die sich die Stuten sofort scharten, denn das späte Gras schmeckte längst nicht so gut wie das getrocknete Sommergras. Redjin sah ein Weilchen zu, um sicherzugehen, dass keine Keilereien losgingen; dann ging er zurück zur Hütte und entzündete dort die Laterne.

Er vergewisserte sich, dass der nagelbewehrte Knüppel neben der Tür an der Wand lehnte, falls sich ein unerwünschtes Tier blicken lassen sollte; dann aß er etwas, trank heißes Wasser, fachte den Kamin ordentlich an und schloss die Fensterläden.

Das Feuer knackte leise im Kamin, ansonsten war es still und schummerig im Laternenlicht. Draußen ging kein Lüftchen. Redjin spürte, wie ihm die Augen zufielen, und stand auf, um ein wenig auf- und abzugehen. Schließlich musste er noch einmal hinaus zu den Pferden. Khassid sollte ihm nicht vorwerfen können, seine Aufgabe nicht gewissenhaft zu erfüllen. Außerdem traute Redjin dem Hauptmann durchaus zu, dass er noch auf einen Kontrollbesuch vorbeisah, und er war nicht auf weiteren Ärger erpicht.

Als sich die Finsternis draußen nicht mehr nach Nachmittag, sondern nach Abend anfühlte, nahm Redjin die Laterne und öffnete die Tür gerade so weit, dass er sich hindurchquetschen konnte, ohne allzu viel Kälte in die Hütte zu lassen.

Das gefrorene Gras knirschte unter seinen Sohlen. Die Laterne warf kaum genug Licht, um Redjins Hand zu erleuchten, geschweige denn den Boden. Er stolperte durch die Finsternis, immer dem erinnerten Weg nach, bis ihn die Geräusche der Pferde leiteten.

Die Stuten hatten sich unter einen Vorsprung des Hangs zurückgezogen und schauten ihm neugierig und müde entgegen, als das Funzellicht in ihren Augen reflektierte. Redjin zählte sie durch, war zufrieden und ging zurück zur Hütte.

Er warf noch einmal Holz auf das Feuer, sortierte die Decken und das Bärenfell, die als Bettzeug auf dem Strohsack bereitlagen, löschte die Laterne und machte es sich vor dem Feuer gemütlich.

Eigentlich war es schade, jetzt einzuschlafen. So einen schönen Abend hatte er seit seiner Kindheit nicht mehr gehabt. Aber mit etwas Glück kamen noch weitere Abende, und außerdem nahm ihm die Müdigkeit die Entscheidung ab, schnappte sich ihn und zog ihn mit sich fort.

 

 

Er wusste nicht, was ihn geweckt hatte. Die Hütte war dunkel, nur ein schwaches Glimmen vom Kamin half ihm bei der Orientierung.

Dann wusste er, warum er wach war: Ein grelles Quietschen durchdrang von draußen die Hüttenwand.

Die Pferde!

Schneller, als er denken konnte, war Redjin an der Tür, die Hand griff von selbst nach der Nagelkeule, schon war er ohne Lampe in der Finsternis und rannte den ängstlichen Geräuschen entgegen.

Der Mond blinzelte zwischen den Wolken hervor und zauberte Schemen aufs Gras. Die Stuten rannten nervös auf und ab, er konnte sie nicht wirklich zählen, aber ihm schien, als würde mindestens eine fehlen. Eines der Pferde bemerkte ihn, schnoberte ängstlich an seiner Hand, ließ sich streicheln und ein wenig beruhigen, während die Wolken die Welt wieder in Finsternis tauchten.

Die Stute zuckte zurück, und da spürte Redjin bereits die Bewegung neben sich, ein Lufthauch mit beißendem Raubtiergeruch. Er warf sich zu Boden, während das Pferd mit einem großen Satz lossprang und davonrannte; nur knapp entging es dem Angreifer. Redjin rollte sich herum, kam auf die Füße, bückte sich und tastete nach der Nagelkeule. Hufgetrappel und ängstliche Schreie der Pferde tosten unsichtbar im Finstern über die Weide. Endlich fanden seine Finger festes Holz. Er lief den Hetzgeräuschen entgegen, der Knüppel rutschte in seiner schweißfeuchten Hand, er hörte sich keuchen. Hoffentlich waren es Wölfe. Redjin wollte nicht einmal darüber nachdenken, was eine Gruppe von Pferden noch so in Panik versetzen konnte, wenn es keine Wölfe waren. Aber die Geräusche von Wölfen kannte er – und was immer auf der Weide war, machte keine Geräusche.

Die Wolken gaben endlich wieder den Mond frei, gerade rechtzeitig, denn so sah Redjin die panische Pferdestampede auf sich zukommen und konnte ausweichen. Die Hufe trommelten an ihm vorbei. Hinter den Pferden rannten zwei Schemen, geduckt und geschmeidig.

Viel zu groß für Wölfe.

Redjin packte die Nagelkeule fester, obwohl ihm die Hände so stark zitterten, dass er sich beinahe selbst damit schlug.

Sein Hieb mit dem Knüppel traf eines der Wesen seitlich am Kopf; es gab ein schnarchendes Geräusch von sich und stürzte. Sein Gefährte hielt abrupt an, vergaß die Hetzjagd und widmete sich dem unerwarteten Angreifer. Grün funkelnde Augen sprangen auf Redjin zu, er schwang seine Keule, spürte heißen Atem und den sengenden Schmerz von Zähnen in seiner linken Schulter, trat und krallte und schlug, biss seinen Angreifer ins fellige Gesicht unterhalb des glühenden Auges, wusste nicht, ob die Schmerzensschreie seine oder die der Bestie waren.

Dann wurde alles weich und dunkel.

 

 

„Wie sieht’s aus?“, fragte Khassid, kaum dass er das Krankenquartier des Palastes betreten und den Hofarzt erblickt hatte.

„Der Bursche ist noch im Traumland, Hauptmann. War auch besser so, der hat sich ordentlich Dreck in die Wunde gesteckt, da musste ich ziemlich drin rumwühlen, bevor wir den Kram zunähen konnten. Mal gucken, ob er nochmal aufwacht.“

Khassid nickte, schluckte trocken und ging zu Redjins Bett.

Die linke Schulter, der Oberarm und Teile der Brust waren dick bandagiert. Darunter, das hatte Khassid in der Nacht gesehen, verbargen sich grausame Biss- und Reißwunden. Er sah den blutüberströmten Jungen immer noch vor sich, so wie ihn der Wachtrupp mitgebracht hatte. Alarmiert vom Geschrei der Pferde von der nahen Weide war die Nachtwache augenblicklich losgeritten und gerade noch rechtzeitig gekommen, um die Bestie von ihrem Opfer zu vertreiben. Als sie Redjin erreichten, war er bewusstlos, doch seine Hand hielt immer noch die Nagelkeule umklammert. Eine zweite Bestie hatte man am Morgen mit zertrümmertem Schädel auf der Weide gefunden, die Spuren erzählten, wie das Tier mitten im Sprung getroffen und augenblicklich tot zusammengebrochen war. Ein sauberer, präziser Schlag.

Wahnsinn für einen einzelnen Burschen mit nichts als einer Nagelkeule.

Khassid hatte sich das tote Biest angeschaut, eine monströse Kreatur, ein wenig an eine Schneekatze erinnernd, doch weitaus größer und mit unglaublich großen Zähnen. Es war ein Wunder, dass Redjin überhaupt noch lebte; ein Prankenschlag hätte ihm sicher den Schädel zertrümmert.

Zwei der Stuten hatten die Bestien gerissen, eine weitere war so schwer verletzt, dass die Soldaten sie noch in der Nacht vom Leid erlöst hatten. Der Rest der Herde war vom Schreck gezeichnet, aber bis auf kleine Abschürfungen und verstauchte Fesseln gesund.

Dank Redjin.

Khassid fühlte heftiges Schuldgefühl in sich nagen, als er den bewusstlosen Jungen betrachtete. Unter den Augen waren tiefe, dunkle Ringe. Die Haut sah fahl und leblos aus, so dass Khassid unwillkürlich Redjins Wange berührte, um sicherzugehen, dass er nicht schon tot war. Er fühlte sich beängstigend kühl an.

„Hat ordentlich Blut verloren“, meinte der Hofarzt. „Dazu braucht’s keine Schlagader, wenn so viel Gewebe verletzt wird. Wenn er nicht bald aufwacht und sich stärkt, wird das glaub ich nix mit ihm. Schade drum.“

„Ja.“ Khassid schluckte abermals trocken. Sein Mund war wie ausgedörrt.

Was hatte ihn bloß dazu getrieben, den Jungen im heraufziehenden Winter alleine als Pferdewache auf die Weide zu schicken? Vor zwei Wintern waren doch schon einmal Bestien durchs Land gezogen, hatten schwere Schäden unter den Herden angerichtet und die Bauern terrorisiert, bis die Herrin Heylin eines Nachts losgezogen war. Drei frische Felle hatte sie am Morgen mitgebracht. Heute schmückten sie den Thron ihres göttlichen Vaters, der sie hin und wieder anschaute, mit der Hand durch das weiche Fell fuhr und seine Tochter stolz anlächelte.

Für eine Halbgöttin waren die Bestien aufregende Gegner. Für einen Sklaven waren sie ein Todesurteil.

Eine kleine Stimme wollte Khassid beruhigen, ihn daran erinnern, dass seit Heylins Jagd keine dieser Bestien gesichtet worden war. Die pflichtbewusste Stimme in Khassids Kopf konterte sofort, dass er als Hauptmann mit einer Rückkehr hätte rechnen müssen. Er war für Redjin verantwortlich. Er hätte ihn bestrafen sollen, ohne ihn in eine Zwischenmahlzeit für Alptraumwesen zu verwandeln.

Er sah sich nach dem Hofarzt um, doch der hatte gerade das Krankenzimmer verlassen.

Gut.

Sacht neigte er sich Redjin zu. „Es tut mir leid“, wisperte er, kaum mehr als ein Atemhauch, damit ihn niemand hören konnte. „Ich wollte das nicht. Es tut mir wirklich leid.“

Redjin regte sich nicht, aber Khassid fühlte sich ein wenig besser. Mit zwei Fingern strich er über die fahle Stirn und fragte sich, ob er die blauen Augen, die er vor kurzem noch verflucht hatte, je wiedersehen würde.

Dann stand er auf.

Es gab viel zu tun. Der Hauptmann der Wache konnte es sich nicht leisten, am Krankenbett eines Sklaven auszuharren, ganz gleich, wie schuldig er sich fühlte.

 

 

In der Finsternis des frühen Abends kehrte Khassid ins Krankenquartier zurück. Der Tag war unerfreulich gewesen; Rügen wegen seiner Leichtsinnigkeit und Nachlässigkeit gepaart mit der Planung von Erkundungstrupps, Wachkoordination und Analyse der Spuren der letzten Nacht. Sein Vater hatte ihn wegen der toten Stuten hart geschimpft. Am meisten ärgerte Khassid sich darüber, dass diese Schimpfe ihn immer noch ärgern konnte, obwohl er in seinem Alter und in seiner Position wirklich nicht mehr jemand war, mit dem man einfach mal schimpfen konnte. Er war doch kein dummes Kind mehr! Als ob sein Vater nicht auch manchmal Fehler machte! Aber mit dem schimpfte niemand, nicht einmal der Herr.

Khassid seufzte, schob die Gedanken beiseite und betrat den schummerigen Raum.

Außer Redjin lagen hier nur zwei Diener mit schweren Erkältungen, und die lagen gleich neben der Tür in ihren Betten und unterhielten sich schniefend und hustend. Redjins Bett war am anderen Ende des Krankenzimmers unter dem Fenster, damit er zu seinen Verletzungen nicht auch noch einen Schnupfen bekam. Außerdem hielt der Arzt es für gut, wenn er tagsüber zumindest ein wenig Licht abbekam.

„Ist er aufgewacht?“, fragte Khassid.

Der Arzt sah auf; er saß im Laternenlicht an einem Tisch und köchelte mit einem kleinen Spirituskocher etwas aus Kräutern und mysteriösen Substanzen zusammen. „Nö.“

Khassid trat näher. „Und wie sieht es aus?“

„Wenn er nicht bald aufwacht, war’s das“, gab der Arzt zurück und widmete sich wieder seiner Brauerei. „Er müsste dringend etwas trinken, damit er das verlorene Blut ersetzt.“

„Und man kann nichts tun, um ihn aufzuwecken?“

„Ihn mit Wasser übergießen?“ Der Arzt kicherte in sein Kännchen hinein. „Nee, Hauptmann. Man kann ihn dann und wann ermutigen, aber wenn’s nicht geht, dann geht es nicht.“

Khassid sah zum Bett unterm Fenster. Kein Licht stand auf dem Tischchen daneben; Redjin war kaum noch als Schemen unter der Decke zu erkennen.

„Ihr könnt’s ja versuchen, Hauptmann.“ Der Arzt deutete hinter seinen Rücken, wo in einem Regal reichlich Kerzen und Laternen lagen.

„Habt Ihr es denn versucht?“

„Vorhin ein paar Mal. Ich habe viel zu tun. Ist doch nur ein Stallsklave.“

Ja, dachte Khassid, aber einer, den ich auf dem Gewissen habe. Er griff nach einer Kerze, und sein Kopf dachte ungebeten weiter: Einer, den ich nicht verlieren will. Seine Hände hantierten mit Kerze und Laterne, ließen letztere beinahe fallen, dass er stumm mit ihnen schimpfte und sich hinterher darüber ärgerte, dass er jetzt schon selbst mit sich schimpfte, als sei er sein Vater. Endlich gab die Laterne Licht von sich. Er ging zu Redjin hinüber und stellte die Laterne auf den kleinen Tisch neben eine Wasserschale und einen Becher mit kaltem Kräutersud, dann setzte er sich auf die Bettkante.

Das Licht war freundlich zu Redjins Gesicht und ließ es rosiger wirken als tagsüber, aber das täuschte. Zumindest fühlte sich die Haut noch genauso klamm an. Aber zuckten Redjins Augenlider nicht ein wenig, als Khassid seine Wange berührte?

Vielleicht nur eine Täuschung.

Vielleicht auch nicht.

Vorsichtig zog Khassid die Bettdecke etwas hinunter, die dem Jungen bis ans Kinn reichte, und kontrollierte die Verbände. Sie waren makellos. Die Blutungen hatten also wohl aufgehört.

„Wann habt Ihr die Verbände gewechselt?“ Er erschrak über seine eigene Stimme, weil sie so laut klang. Aber der Arzt saß ja schließlich auch etliche Meter hinter ihm.

„In der Dämmerung, also am frühen Nachmittag. Die Wunden sehen eigentlich ganz gut aus. Muss nur noch aufwachen, dann kann er im Frühling wieder arbeiten wie gewohnt.“

Khassid war nicht davon überzeugt, dass Redjin sich darüber freuen würde.

Im unteren Fach des Tischchens lagen einige sauber zusammengefaltete Lappen. Er nahm den obersten, tauchte ihn in die Wasserschale und betupfte vorsichtig Redjins Gesicht. Diesmal war er überzeugt, dass die Augenlider zuckten, als der Stoff sie berührte.

„Redjin? Kannst du mich hören?“

Wieso klangen solche besorgten Fragen eigentlich immer so lächerlich?

Er zog die Decke etwas weiter hinab und griff nach Redjins rechter Hand, die neben seinem Körper lag. Der linke Arm war angewinkelt mit den Bandagen über dem Bauch fixiert, da der Hofarzt die ausgekugelte Schulter eingerenkt hatte und das Gelenk nun fixiert werden musste. Vorsichtig drückte er Redjins Finger. „Mach doch keinen Mist, Junge“, murmelte er und kam sich fast noch lächerlicher vor. „Wach schon auf.“

In einer Geschichte hätte Redjin jetzt seine Finger gedrückt. Im Krankenzimmer des Palastes geschah leider gar nichts. Redjins Finger blieben kühl und regungslos. Trotzdem wollte Khassid seine Hand fast nicht loslassen. Schließlich tat er es doch, deckte ihn vorsichtig wieder zu und ging mit der Lampe zum Tisch des Hofarztes zurück. Dort blies er sie aus und ging an den immer noch leise plaudernden Schniefnasen vorbei nach draußen.

Wunden

Zuerst biss das Sonnenlicht Redjin in die Augen, dann bohrte sich der Schmerz in Schulter und Arm. Als er dann endlich in die Helligkeit zwinkerte, schob sich ein Schatten über ihn. Nach einem Moment erkannte er Khassid.

Das nun auch noch.

Er registrierte verspätet, dass der Hauptmann etwas sagte, aber irgendwie hörten seine Ohren zwar die Worte, konnten damit aber nichts anfangen. Der Geruch nach warmen Kräutern schob sich in seine Nase. Erst jetzt merkte er, wie trocken sich sein Mund anfühlte. Dann war die Flüssigkeit schon an seinen Lippen, und der Becher war leer, ohne dass Redjin bewusst war, dass er geschluckt hatte.

„Mehr?“, fragte Khassid.

Redjin wollte antworten, aber sein Hals war zu trocken zum Krächzen, und zum Nicken war er zu müde. Außerdem hielt Khassid seinen Kopf fest. Blödmann. Ach so, klar, damit er besser trinken konnte. Na gut.

Den zweiten Becher leerte er so schnell wie den ersten. Erst den dritten schmeckte er wirklich, und nachdem er auch diesen ausgetrunken hatte, ließ er sich gerne von Khassid zurück auf das Kopfkissen betten.

„Wir haben uns Sorgen um dich gemacht“, sagte der Hauptmann und beäugte ihn kritisch. „Ich dachte schon, du willst gar nicht mehr aufwachen.“

Redjin lag nun wieder genau im Sonnenstrahl und zwinkerte, um Khassid überhaupt zu erkennen. „Lang?“, quetschte er hervor.

„Jetzt ist es Mittag. Der Angriff war vorgestern Nacht.“

Redjin schluckte. Anderthalb Tage bewusstlos? Das war knapp gewesen, soviel wusste er über Heilkunde.

„Die Wunden sehen gut aus, sagt der Arzt, und gebrochen ist auch nichts. Wenn sich nichts entzündet, wird das wieder.“

Redjin räusperte sich und winselte daraufhin wegen der Erschütterung seiner Schulter.

„Die Kräuter werden die Schmerzen gleich etwas lindern“, beruhigte ihn Khassid. „Sie müssen nur erst anfangen zu wirken. Sag Bescheid, wenn du mehr willst. Du hast viel Blut verloren und musst viel trinken.“

„Wo bin ich hier?“, wisperte Redjin, um nicht durch Worte seine Schulter wieder in Unruhe zu versetzen.

„Im Krankenquartier des Palastes. Wir konnten dich ja schlecht auf den Heuboden tragen, oder?“, fügte Khassid amüsiert hinzu, als Redjin ihn verblüfft anstarrte. „Außerdem ist der Stall ja wohl auch kein Platz für jemanden mit schweren Wunden, bei dem Staub und Dreck, der da ständig herumfliegt.“

Während Redjin versuchte, sich damit abzufinden, dass ihn die Degradierung zum Pferdehüter in den Palast befördert hatte, erzählte Khassid in allen Einzelheiten, wie man ihn gefunden und gerettet hatte, dass die meisten Pferde seinetwegen noch lebten und dass er einer der Bestien eigenhändig den Schädel zertrümmert hatte. Redjin verarbeitete all dies ziemlich langsam, doch als er fertig war, war er von sich selbst ziemlich angetan. Eine Bestie zermatscht? Die Pferde gerettet? Das war doch mal was, selbst wenn die Pferde blöd waren. Die Bestien waren jedenfalls entschieden blöder.

„Der Herr erforscht gerade, wo die Bestien herkommen“, erklärte Khassid. „Sie scheinen wirklich aus dem Alptraumland zu stammen. Ich hoffe, er findet einen Weg, ihnen den Zugang zu unserer Welt zu verwehren. Aber das muss dich nicht kümmern – du musst erst einmal gesund werden. Und außerdem werde ich nie wieder einzelne Stallburschen als Hüter abkommandieren, für den Fall, dass so etwas nochmal passiert.“

Redjin erinnerte sich an den ruhigen Moment auf der Weide und spürte Bedauern. Nie wieder alleine fern vom Stall? Und das sollte ihn nicht kümmern?

„Dein Einsatz wird natürlich angemessen gewürdigt werden, sobald es dir besser geht. Und ich hoffe sehr, dass dies ein Wendepunkt in deinem Leben sein wird.“

Redjin hätte gerne mitten in Khassids gönnerhaftes Lächeln geschlagen, aber allein der Gedanke daran bereitete ihm Schmerzen in der Schulter.

„Du hast bewiesen, dass du mehr kannst, als ständig aus Prinzip gegen jede Order zu handeln. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir in Zukunft besser miteinander auskämen.“

Redjin schwieg regungslos. Khassid klopfte ihm aufmunternd aufs Bein und stand auf.

„Die Pflicht ruft. Ich schaue morgen wieder nach dir.“

Bitte nicht, dachte Redjin. Der Hauptmann benahm sich wirklich merkwürdig – als hätte er Redjin als neues Haustier adoptiert. Eine gruselige Vorstellung. Er schloss die Augen und lauschte Khassids Bewegungen. Nach einigen Schritten blieb er stehen.

Stille.

Redjin öffnete die Augen. Khassids stand etwa fünf Meter von seinem Bett entfernt und sah ihn an. Sein Gesicht, sonst so eine geübte Maske aus Pflichtbewusstsein, sah ungewöhnlich bewegt aus.

„Ich“, sagte Khassid, räusperte sich und fing dann neu an: „Es tut mir leid. Ich bin froh, dass du noch lebst.“

Hastig wandte er sich ab und war mit militärischem Schritt davonmarschiert, bevor Redjins müdes Gehirn überhaupt verstanden hatte, was Khassid da gerade gesagt hatte.

Und als Redjin es verstanden hatte, wusste er immer noch nichts damit anzufangen.

 

 

Als der Hofarzt am nächsten Morgen Redjins Verbände abnahm und die Wunden kontrollierte, wünschte sich Redjin sehnlichst, in Ohnmacht zu fallen. Leider gelang es ihm nicht, so dass er die Schmerzen aushalten musste. Endlich war der Arzt fertig, seine Helfer betteten Redjin relativ sanft auf sein Lager und ließen ihn erst einmal in Ruhe.

Bei Aufgang der Sonne am späten Vormittag kam Khassid hinzu, setzte sich wie am Tag zuvor auf die Bettkante und musterte Redjin kritisch.

„Was habe ich denn jetzt angestellt?“, krächzte Redjin.

„Angestellt? Nichts. Ich wollte nur schauen, wie es dir geht.“

„Genau so, als hätte eine Bestie an mir geknabbert.“

„Frech bist du immerhin schon wieder, also kann es so schlimm nicht sein. Hast du Durst?“

Redjin nickte widerstrebend. Khassid griff nach dem Becher mit kaltem Kräutersud, steckte den Strohhalm hinein und hielt Redjins Kopf, damit dieser die Flüssigkeit aufsaugen konnte.

Hoffentlich ging das nicht lange so. Redjin gefiel es überhaupt nicht, dass er gefüttert wurde wie ein Kleinkind, und dann auch noch von Khassid. Ausgerechnet Khassid.

„Wie lange muss ich hierbleiben?“, fragte er daher, als er noch einen weiteren Becher geleert hatte.

Khassid lachte und stellte den Becher weg. „Gestern noch fast tot und heute schon auf der Türschwelle. So schlimmes Heimweh nach dem Stall?“

Blödmann. Redjin verkniff sich eine Antwort.

„Du wirst noch einige Zeit im Bett bleiben müssen.“ Khassid griff nach dem Trockenfisch und bot ihn Redjin an. Er neigte ablehnend den Kopf leicht zur Seite; sein Magen fühlte sich absolut noch nicht wohl bei dem Gedanken an feste Nahrung. Khassid zuckte mit den Achseln und begann, an dem Fischfetzen zu knabbern.

Von der Tür her erklang heftiges Husten. Die beiden Erkälteten hatten Verstärkung bekommen, nun waren schon fünf Betten belegt, und die Neuankömmlinge waren schwächlich und still wegen ihres hohen Fiebers. Der Hofarzt war ziemlich mit ihnen beschäftigt und schien froh, dass sich Khassid um Redjin kümmerte und er bei den Rotznasen bleiben konnte. Redjin hoffte, dass er sich nicht ansteckte. Er wollte nicht einmal daran denken, wie es wäre, mit seinen Verletzungen zu husten.

Khassid schien seine Gedanken zu lesen und schaute zur Geschäftigkeit bei den Fieberkranken hinüber. „Eine lästige Epidemie. Und das gerade jetzt, wo wir jeden Mann wegen der Bestien brauchen.“

„Ich dachte, das sind Diener.“

„Die zwei von gestern. Die drei Neuen sind alles meine Wachen.“ Khassid grinste breit. „Ach, ich hätte es ja beinahe vergessen – die Herrin Heylin hat das Biest erwischt, das dich beinahe zerfleischt hätte. Ein Pfeil genau ins Genick und dann Kopf ab. Schade, dass du ein Stallsklave bist, sonst könntest du ihn dir ansehen, wenn du wieder laufen kannst. Er wird jetzt präpariert und dann in der Eingangshalle aufgehängt.“

„Nett. Denke ich.“ Redjin war das Biest ehrlich egal. Keiner konnte aus seiner Haut heraus. Bestien blieben dumme Biester, Hauptmänner blieben dumme Wachen, Sklaven blieben dumme Handlanger, und Redjin blieb ein Seemann. Egal, was andere hier von ihm dachten.

„Ich – na, ich lass dich lieber alleine“, unterbrach Khassid seine Gedanken. „Du brauchst viel Ruhe. Und versuch doch mal, ob du später etwas essen kannst. Ich schaue am Abend noch einmal nach dir.“

„Das braucht Ihr nicht.“

„Will ich aber.“

„Warum?“

Die schlichte Frage schien Khassid völlig aus dem Konzept zu bringen. Überrascht sah Redjin, dass er erst blass, dann rot wurde. „Ich – ich fühle mich eben schuldig. Was ist daran so schwer zu verstehen?“

„Nichts, Hauptmann, nur –“

„Dann verstehen wir uns ja.“ Khassid stand auf. „Bis später, Junge.“

Redjin sah ihm nach und schüttelte innerlich den Kopf. Jetzt hätte er gerne Valjanth um sich. Der war immer für etwas fassungsloses Lästern zu haben.

Vielleicht hatte Khassid ja auch schon die Grippe.

 

 

Die nächsten Tage zeigten, dass Redjin überleben würde. Er begann wieder zu essen, wenn auch erstmal nur in kleinen Happen, aber immerhin. Die Farbe kehrte langsam in sein Gesicht zurück, die Ringe unter den Augen wurden blasser. Außerdem hatte er sichtlich zunehmend Mühe, still und artig zu bleiben, und biss sich mehr als einmal bei Khassids Besuchen auf die Lippen, um eine Antwort im Mund zu behalten. Khassid war zufrieden. Ein frecher Redjin war ein genesender Redjin.

Was Khassid viel mehr Sorgen bereitete, war die grassierende Grippe. Seine Wachen wurden dezimiert, und auch sein Vater stöhnte bei der Planung der Palastdienste. Und das Krankenzimmer füllte sich immer weiter.

„Ach, Hauptmann?“, sprach ihn der Hofarzt an, als er nach einem Besuch bei Redjin gerade zu seiner Arbeit zurückkehren wollte. „Kleines Wörtchen?“

„Was gibt’s?“

„Ihr scheint ja hübsch besorgt um den hübschen Helden zu sein, da dachte ich, er sollte besser nicht an der Grippe eingehen.“

„Drückt Euch klarer aus.“ Khassid versuchte zu ignorieren, dass ihm das Blut is Gesicht schoss.

Der Hofarzt grinste impertinent bei der Antwort. „Die Stallnase rappelt sich, aber die Grippe breitet sich rund um ihn aus. Wenn er sie nicht kriegen soll, muss er hier raus.“

„Wohin denn?“

„Deswegen rede ich ja mit Euch. Dafür bin ich nicht zuständig. Ich sag’s ja nur.“

„Ja, schon gut, ich kümmere mich drum. Bis später.“

Während Khassid versuchte, die Bestien-Patrouillen und die gewöhnlichen Wachen irgendwie aus den Restbeständen seiner Mannschaft zusammenzukratzen, zermarterte er sich das Gehirn wegen Redjin. Raus aus dem Krankenlager. Der Hofarzt war ja witzig. Wohin denn? Er konnte doch schlecht einem Stallsklaven ein Genesungszimmer im Palast organisieren. In den Stall konnte er ihn aber auch nicht zurückschicken, der Dreck würde ihn ebenso sicher umbringen wie die Grippe. Khassid starrte an die Wand, grunzte vor sich hin und verbreitete schlechte Laune.

„Was ist eigentlich los, Hauptmann?“, fragte ihn Tharvak, der gerade vom Wachdienst am Tor hereinkam. Drei Finger dick lag der Schnee auf seinen Schultern und auf dem Filzhut. Er schüttelte die weiße Masse ab und bugsierte Mantel und Hut vorsichtig zum Kamin, wo er sie über die dort gespannten Schnüre verteilte.

„Sorgen“, brummelte Khassid und kaute auf seinem Finger herum.

„Bei dem Schneefall kommen die Bestien auch nicht mehr, die werden zugeweht“, meinte Tharvak. „Lasst doch einfach die Patrouillen ausfallen.“

„Das wird dem Herrn nicht gefallen.“

„Soll der Herr doch patrouillieren.“

Khassid hob die Augenbrauen, doch Tharvak grinste nur und setzte sich zu ihm an den Tisch, um sich einen Becher Tee einzugießen. „Ach, kommt schon, Hauptmann. Der Herr hat doch Humor.“

„Ich aber nicht.“

„Ganz der Vater, ich weiß. Aber das sind doch nicht nur die Patrouillen, oder? Sagt schon – Familienstreit? Liebeskummer? Was ist los?“

„Schuldgefühle“, knurrte Khassid und nahm sich ein Stück Trockenfisch aus der Schale auf dem Tisch.

„Immer noch wegen dem Pferdejungen?“

„Mh.“

„Der rappelt sich doch wieder.“

„Nicht, wenn er sich im Krankenzimmer mit der Grippe ansteckt. Der Arzt will ihn raushaben, aber wohin?“

Tharvak zuckte mit den Schultern. „Packt ihn doch in die Notfallwohnung oben.“

Khassid starrte ihn an. Das Wachhaus hatte drei Etagen: im Keller das Verlies, im Erdgeschoss der große Raum, in dem sie gerade saßen, sowie Khassids Büro und einen kleinen Waschraum. Doch oben unterm Dach befanden sich zwei kleine Kammern, von denen eine als Schlaf-, die andere als Aufenthaltsraum gedacht war, wenn der Raum im Erdgeschoss unbenutzbar sein sollte. Khassid nutzte die kleine Wohnung manchmal im Winter, wenn er mit der Verwaltung viel zu tun hatte und nicht nur zum Schlafen durch die hüfthohen Schneewehen stapfen wollte. Er stand auf und klopfte Tharvak auf die Schulter. „Du bist ein Genie.“

„Ich weiß. Bis später, Hauptmann.“

„Nichts da mit später. Zieh dich an, du musst mir helfen, den Burschen hier herzutragen, bevor der Schnee noch höher wird.“

Tharvak seufzte, leerte den Becher und griff dann nach seiner feuchten Bekleidung auf den Schnüren vorm Feuer. „Ich und meine blöden Ideen.“

Umzug

„Hat Euch wer ins Gehirn geschissen, Hauptmann? Ich lasse mich nicht wegtragen!“ Redjin schnappte wie ein Hund mit den Zähnen in die Richtung des Offiziers, der nach dem Kissen unter seinem Kopf griff.

Rasch zog der Mann die Hand zurück. „Er ist Euch wirklich dankbar, Khassid.“

„Klappe halten, beide! Und du hältst still, Bursche. Wir haben die Wahl zwischen Grippe und Isolation im Wachhaus, und ich habe mich für die zweite Variante entschieden.“

„Ich mich aber nicht!“, fauchte Redjin.

„Deine Meinung interessiert nicht. Und jetzt brav sein, sonst lassen wir dich draußen in den Schnee fallen.“

Redjin schimpfte wie ein Rohrspatz, fluchte, jaulte und jammerte vor Schmerzen und schimpfte weiter, als die beiden Wachen ihn in zwei Laken wickelten und dann hochhoben. Er kam sich wie eine von Ameisen erbeutete Larve vor.

Die Kälte schmerzte in Redjins Gesicht, als er hinausgetragen wurde. Das Ruckeln der Schritte zog in die verletzte Schulter und raubte ihm den Atem. Er konnte nur hoffen, dass ihn die beiden Männer nicht zu weit tragen wollten. Es war ein Weilchen nach Mittag, die Dämmerung setzte ein und inszenierte den dicht herumwirbelnden Schnee wie Schleier vor den Lichtern, die aus Fensteröffnungen strömten.

Nach viel zu viel Ruckelei kamen sie in den Windschatten. Redjin erkannte die Rückseite des Wachhauses. Eine Wache stand dort vor einer Tür, öffnete sie für die beiden Männer und ihr menschliches Bündel. Steil ging es eine Treppe hinauf und Redjins schnaufende Träger ließen ihn einige Male versehentlich die Wand berühren, was jedes Mal glühende Nadeln durch Schulter und Arm jagte.

„Tut mir leid“, murmelte Khassid zerknirscht. Redjin hätte ihn gerne zum Verrecken auf einen Bergkamm geschickt, aber er bekam vor Schmerzen keine Luft zum Schimpfen und konnte nur wütend wimmern. Am Ende der Treppe tat sich ein kleiner Raum mit einem Fenster auf, von dort ging es durch eine weitere Tür.

Endlich war die Reise beendet. Redjin befand sich nun in einem winzigen Schlafraum mit einem schmalen, aber bequem aussehenden Bett. An der Wand darüber waren Regalbretter angebracht; in einem Standregal lagerten einige Tücher, Töpfe und anderes Zeug. Vorsichtig wurde Redjin auf das Bett gelegt, aus den Laken gewickelt und dann mit Hilfe von etlichen Kissen und Decken schmerzarm gelagert und warm eingemummelt. Die Wache, die Khassid beim Tragen geholfen hatte, verschwand durch die Tür. Khassid ging ihm hinterher und kehrte gleich darauf mit einem Holzschemel zurück, den er neben das Bett stellte. Dann setzte er sich.

„Geht’s?“, fragte er mitfühlend.

„Gnk.“ Redjin räusperte sich. Die wütenden Schmerzen ließen langsam nach, wurden wieder zu dem ständigen Puckern und Drücken, an das er sich gewöhnt hatte. „Wird schon.“

„Es musste wirklich sein.“

„Schon klar. Ich bin auch nicht auf Husten scharf.“

Khassid musterte ihn kritisch. Redjin kam sich vor wie ein defektes Rad an einem Wagen. Dann stand der Hauptmann auf. „Ich hole dir Vorräte. Wir werden dich hier oben versorgen, aber es kann immer sein, dass niemand Zeit hat – du sollst solange ja nicht Durst und Hunger haben. Ich komme bald wieder.“

Lasst Euch Zeit, hätte Redjin beinahe gesagt, hielt es aber mit etwas Anstrengung zurück. So richtig meinte er es nicht; schließlich war er durchaus an Vorräten interessiert und auch daran, dass ihn jemand versorgte – auch wenn ihm der Gedanke zuwider war, dass ihm nun wochenlang die Wachen beim Benutzen des Nachttopfes behilflich sein würden. Das war schon bei den Pflegern im Krankenzimmer äußerst unangenehm gewesen. Er beschloss, besser nicht darüber nachzudenken.

Die Wände neigten sich ihm schräg zu und liefen oben beinahe zusammen. Das einzige Fenster der Schlafkammer war klein und rund, fast wie ein Bullauge. Es war Redjin auf Anhieb sympathisch, auch wenn es durch ein Flechtgitter nichts als weißgraue Dämmerung und wirbelnden Schnee zeigte. Über ihm hielten dicke Holzbalken das Dach, das von starken Latten getragen wurde. Die Isolierung war vermutlich aus Heu, darüber dann die Strohbündel. Es war ein gut gebautes Haus, merkte Redjin; deutlich besser isoliert als der Heuboden über dem Stall.

Eigentlich war es auch gar nicht so schlimm, hier alleine zu liegen. Das Gehuste der Kranken hatte ihn kaum schlafen lassen. Hier würde ihn niemand stören.

Redjin schloss die Augen und lauschte. Draußen ging der Wind, er frischte auf und erzählte von seinem Weg über die See, von deren Wellen und Riffen, von Seehunden, Walen und Schiffen. Wenn Redjin sich richtig anstrengte, meinte er sogar, einen Hauch von Salz und Tang zu riechen. Aber wahrscheinlich bildete er sich das nur ein.

Durch die Holzdielen unter ihm drangen dumpfe Geräusche, Stimmen und Hantiererei. Dort musste die Wachstube sein.

Ob im Wohnraum nebenan wohl eine Feuerstelle war? Vermutlich. Wenn er wieder aufstehen konnte, würde er dort ein kleines Feuerchen haben können.

Oder auch nicht. Wenn er wieder aufstehen konnte, musste er in den Stall zurück.

Mist.

Die Treppe knarzte unter entschlossenen Schritten, die Tür ging, Schritte im Wohnraum, dann kam Khassid mit einem Tablett in den Händen zurück.

„So“, machte er und stellte es auf seinen Hocker. „Zuerst etwas zu trinken. Ich hole nachher von dem Kräutersud aus der Heilstube, aber für’s erste tut es auch normaler Tee. Hast du Durst?“

„Gerade nicht.“

„Na gut.“ Khassid füllte den Becher mit dampfendem Tee und stellte ihn neben Redjin auf das Regalbrett neben dem Bett. Redjin musste eingestehen, dass dies gut durchdacht war – mit seiner rechten Hand konnte er den Becher gut greifen, und wenn er sich auf die rechte Seite rollte, würde er mit einem Strohhalm auch alleine trinken können. Khassid platzierte einen Brotkanten neben dem Becher, daneben ein Stück Käse und eine Schale mit Trockenfisch.

„Für zwischendurch. Ich werde dafür sorgen, dass man sich gut um dich kümmert, wenn ich keine Zeit habe. Du bekommst das Essen der Wache, also morgens Getreidebrei mit Wurst, mittags Brot und irgendetwas dazu und abends Eintopf. Dazu den Tee, oder auch Wasser, wenn dir das lieber ist.“

„Tee ist gut. Wird ja irgendwann auch kalt.“

„In Ordnung. Ich werde die Wachhabenden instruieren, drei Mal pro Wachdienst nach dir zu schauen. Falls es etwas dringendes gibt, reicht es, wenn du kräftig auf den Boden klopfst – meinst du, du kannst das mit dem Hocker machen? Zwei oder dreimal hochheben und loslassen? Probier mal.“

„Geht schon so.“

„Probier es.“

Redjin seufzte. Gerade hatte er kaum Schmerzen, schon sollte er die Wunden wieder durchrütteln. Vorsichtig hob er den rechten Arm und tastete nach links. Er kam nicht einmal bis zu seiner eigenen Schulter, geschweige denn jenseits des Betts.

„Hm“, machte Khassid. „Moment, ich bin gleich wieder da.“ Husch war er zur Tür hinaus, husch kam er wieder hinein.

„Ein Stein? Wieso habt Ihr hier oben einen Stein?“

„Das ist nur ein Brocken Lava, den ich im Sommer von meinem Ausflug zu den Vulkanen im Norden mitgebracht habe.“ Khassid sah den mehr als faustgroßen Brocken nachdenklich an, drehte dann die Hand, öffnete sie und ließ den Brocken auf den Boden fallen, wo er gewaltig rumpelnd aufschlug.

Dumpfe Geräusche kamen aus der Wachstube, schnelle Schritte auf der Treppe, schon stand der Offizier, der Redjin mit hergetragen hatte, hinter Khassid. „Im Namen aller Schöpfer, Hauptmann, was ist denn hier los?“

„Ich habe nur Redjins Notfallsignal getestet. Offensichtlich funktioniert es.“ Khassid hob den Stein auf und legte ihn rechts neben Redjins Kopf. „Da. Schmeiß ihn einfach, wenn du jemanden brauchst. Nachtgeschirr ist unter dem Bett, und wenn sich jemand deswegen anstellt, grüß ihn schön von mir und erinnere ihn daran, dass das eine direkte Anweisung von mir ist.“

„Klar.“

„So schweigsam?“ Khassid sah richtig besorgt aus. „Ich glaube, wir lassen dich lieber in Ruhe, was? Schlaf ein bisschen. Ich schau in einer Stunde nach dir.“

„Kann’s kaum erwarten.“

Khassid grinste. „Schon besser. Bis dann.“

Die beiden Wachen polterten die Treppe hinab.

Redjin runzelte die Stirn, weil er den Kopf nicht schütteln wollte. Langsam machte er sich Sorgen um Khassid. Irgendwas war mit dem Hauptmann definitiv nicht in Ordnung.

 

 

Am Abend kehrte Khassid von seinen nun durch Redjin erweiterten Pflichten zurück in die Wohnung, die er mit seinem Vater, Haushofmeister Ekhad, im ersten Stock des Palastes bewohnte. Neben zwei Schlafzimmern und einem Waschraum standen ihnen hier ein Arbeitszimmer und vor allem ein großer Wohnraum mit einem Kochofen zur Verfügung. Wenn Khassid Zeit hatte, experimentierte er hier mit Zutaten, aber das kam leider viel zu selten vor. Ekhad schätzte den Ofen vor allem, weil er Essen warmhalten konnte. Oft ließ er sich schon mittags einen Topf aus der Küche bringen, und wenn Khassid abends hinzukam, aßen sie gemeinsam das völlig zerkochte und zu einer undefinierbaren Masse geschrumpelte Essen.

Heute aber war noch kein Topf in Sicht. Khassid zog an der Tür die schneefleckigen Stiefel aus, ging auf Strümpfen durch den Raum und hängte seinen feuchten Mantel an den Haken neben den Ofen. Sein Vater saß auf der Bank vor dem Ofen, schnitzte an einem Holzpferd herum und sah nur kurz auf.

„Mistwetter“, brummelte Khassid.

„Winter“, gab Ekhad zurück.

„Trotzdem Mist. Wann gibt es denn Essen?“

„Ich habe gerade danach schicken lassen, es sollte bald gebracht werden.“

„Gut, ich könnte ein Pferd verdrücken.“

Ekhad hielt seinem Sohn das halbfertige Holzpferd entgegen, das dieser mit einer Grimasse dankend ablehnte. „Du bist spät dran“, bemerkte Ekhad dann. „Halten dich die Wachdienste so auf Trab?“

„Die ganzen Kranken.“

„Du musst besser delegieren, Junge.“

„Mach ich doch.“

„Offensichtlich nicht.“

„Ich musste noch nach dem Stallburschen sehen.“

„Nach wem?“

Khassid setzte sich neben seinem Vater auf die Ofenbank. „Dem Jungen, den ich mit den Pferden rausgeschickt hatte. Den die Bestien erwischt haben.“

„Ach so, der. Lebt also noch?“

„Ja, macht sich gut. Wir haben ihn jetzt über der Wachstube einquartiert, damit er sich nicht die Grippe holt.“

Ekhad schüttelte den Kopf. „So viel Aufwand wegen eines Sklaven.“

„Ich bin es ihm schuldig.“

„Du bist gar nichts schuldig. Er hat eine Strafaufgabe bekommen und sich dabei durch Tapferkeit halbwegs rehabilitiert. Punkt.“

Khassid öffnete die Ofentür und legte etwas Holz nach. „Hat immerhin eine Bestie getötet.“

„Hat er halt Glück gehabt. Kann auch einem Sklaven mal passieren.“ Ekhad stand auf und legte das Holzpferd auf den großen Tisch in der Mitte des Raumes. „Und jetzt genug von dem Burschen, mich interessiert vielmehr der Krankenstand.“

Geistesabwesend präsentierte Khassid seinen Report und dachte dabei an ein Paar blaue Augen. Zwischendrin öffnete sich die Wohnungstür. Ein etwa achtzehnjähriger Küchensklave mit aschblondem Wuschelkopf huschte hinein und stellte einen Topf still auf dem Ofen ab. Dann räusperte er sich schüchtern.

„Entschuldigt, Haushofmeister, aber der Herr möchte Euch sprechen“, teilte er mit, als Ekhad ihn gereizt ansah.

Ekhad unterdrückte ein Seufzen. „Fang schon ohne mich an, Khass.“

„Ist gut.“

Während Ekhad aus der Wohnung eilte, blieb der Küchenjunge am Ofen stehen. Als sich die Tür hinter Khassids Vater geschlossen hatte, warf der Sklave Khassid einen langen Blick und ein Lächeln zu. „Soll ich noch etwas bleiben, Hauptmann?“

Khassid, der sich gerade mit einer Kelle Eintopf in eine Schale füllte, sah nicht einmal auf. „Hm? Ach, nein, danke, Yutha, das wäre alles.“

Yutha zwinkerte verdutzt. „Na gut. Ich – ich komme dann nachher und räume den Topf weg.“

„Lass mal, wer weiß, wann Vater wiederkommt.“

„Aber ich –“

„Verschwinde einfach, in Ordnung?“

Yutha verzog das Gesicht zu einem Schmollen, durchschritt wortlos den Raum und verließ die Wohnung mit einem demonstrativen Türknall.

Khassid stöhnte innerlich. Kaum, dass man ein paar Mal mit einem Kerl schlief, hielt er sich schon für einen kleinen Fürsten.

Was hatte er eigentlich an Yutha gefunden? Khassid mümmelte nachdenklich seinen Eintopf. Hübsch war er zwar, ein rundes Gesicht mit einer Stupsnase, aber die Augen waren so komisch matschig graubraun. Außerdem war er immer schon ein wenig arrogant gewesen, deswegen war er Khassid überhaupt aufgefallen. Aber besonders liebenswürdig machte ihn das ja eher gerade nicht.

Nein, er hatte die Nase voll von Yutha. Er musste mal mit dem Küchenmeister reden, dass fortan jemand anders das Essen hochbringen sollte.

Immerhin war er im Bett gut gewesen, auch wenn er sich immer erst zierte, wenn es zur Sache ging. Das hinderte ihn nie daran, es immens zu genießen. Unter seiner Kleidung war er auch durchaus ansehnlich, befand Khassid und merkte erst nach einigen Momenten, dass das Bild von Haut und Muskeln vor seinen Augen gar nicht zu Yutha gehörte. Es war nämlich durchzogen von weißen Verbänden und gehörte zu Redjin.

Hastig stopfte er sich zur Ablenkung eine Löffel Eintopf in den Mund, verbrannte sich dabei die Zunge, spuckte alles zurück in seine Schale, fluchte und löschte mit kaltem Wasser aus der Karaffe auf dem Tisch.

Nach einer Weile kehrte Ekhad zurück, füllte sich seinerseits eine Schale mit Eintopf und setzte sich Khassid gegenüber an den Tisch. „Hast ihn weggeschickt“, grunzte er in sein Essen, ohne Khassid anzusehen.

„Mh.“

„Gut so.“

„Mh.“

„Du weißt ja, ich halte nichts von deinem … Zeitvertreib.“

„Jeder braucht mal Ablenkung.“ Khassid stand nervös auf, um seine Schale mit Wasser auszuspülen. Ablenkung war in der Tat genau das, was er und besonders sein Vater jetzt brauchten. Konnte der Herr nicht noch einmal nach ihm schicken?

„In deinem Alter sollte man langsam mal an Familie denken, nicht nur an Ablenkung“, kam die erwartete Antwort.