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Beschreibung

Ein psychopathischer Serienkiller und sein brutaler Helfer machen den Westen der USA unsicher. Scheinbar wahllos ermorden sie Menschen, offenbar um ihren Opfern bestialische Killing Lessons zu erteilen. Als sie in den verschneiten Bergen von Colorado erneut zuschlagen, ist dies bereits ihr siebtes Opfer. Ein zehnjähriges Mädchen kann mit knapper Not entkommen und findet Zuflucht bei einem alten Schriftsteller, der sich in eine einsame Hütte im Wald zurückgezogen hat. Beiden ist klar, dass die Täter sie früher oder später aufspüren werden. Detective Valerie Hart vom San Francisco Police Department ist auf den Fall angesetzt. Und sie hat nur eine Chance: Sie muss die Handschrift des Killers lesen lernen ...

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Ähnliche


Saul Black

Killing Lessons

Thriller

Aus dem Englischen von Christine Gaspard

Knaur e-books

Über dieses Buch

Ein psychopathischer Serienkiller und sein brutaler Helfer machen den Westen der USA unsicher. Scheinbar wahllos ermorden sie Menschen, offenbar um ihren Opfern bestialische KILLING LESSONS zu erteilen. Als sie in den verschneiten Bergen von Colorado erneut zuschlagen, ist dies bereits ihr siebtes Opfer.

Ein zehnjähriges Mädchen kann mit knapper Not entkommen und findet Zuflucht bei einem alten Schriftsteller, der sich in eine einsame Hütte im Wald zurückgezogen hat. Beiden ist klar, dass die Täter sie früher oder später aufspüren werden.

Inhaltsübersicht

1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. Kapitel43. Kapitel44. Kapitel45. Kapitel46. Kapitel47. Kapitel48. Kapitel49. Kapitel50. Kapitel51. Kapitel52. Kapitel53. Kapitel54. Kapitel55. Kapitel56. Kapitel57. Kapitel58. Kapitel59. Kapitel60. Kapitel61. Kapitel62. Kapitel63. Kapitel64. Kapitel65. Kapitel66. Kapitel67. Kapitel68. Kapitel69. Kapitel70. Kapitel71. Kapitel72. Kapitel73. Kapitel74. Kapitel75. Kapitel76. Kapitel77. Kapitel78. Kapitel79. Kapitel80. Kapitel81. Kapitel82. Kapitel83. Kapitel84. Kapitel85. Kapitel86. Kapitel87. Kapitel88. Kapitel89. Kapitel90. Kapitel91. Kapitel92. Kapitel93. Kapitel94. Kapitel95. Kapitel96. Kapitel97. KapitelDank
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1

Im gleichen Augenblick, in dem Rowena Cooper aus ihrer warmen, von Keksduft erfüllten Küche trat und die beiden Männer bei der Hintertür im Hausflur stehen sah, während der schmelzende Schnee von den Rändern ihrer Stiefel troff, wusste sie genau, was dies war: ganz allein ihre Schuld. All die Jahre, in denen sie Türen und Fenster nicht abgeschlossen hatte, den Zündschlüssel stecken gelassen, nicht daran geglaubt, dass etwas in dieser Art jemals passieren würde, sich sicher gefühlt hatte – es war eine einzige Lüge gewesen, und sie war dumm genug gewesen, sie sich selbst zu erzählen. Schlimmer noch, sie war dumm genug gewesen, sich die Lüge auch noch zu glauben. Das ganze Leben konnte sich als ein einziges Warten auf die Offenbarung der eigenen gigantischen Dummheit entpuppen. Denn jetzt stand sie hier im Hausflur, eine Meile von den nächsten Nachbarn und drei Meilen von der Stadt entfernt (Ellinson, Colorado, Einwohnerzahl: 697), mit einem dreizehnjährigen Sohn im Stockwerk über ihr und einer zehnjährigen Tochter vorn auf der Veranda und zwei Männern im Flur, von denen einer ein Gewehr hatte und der andere eine lange Klinge, bei deren Anblick ihr selbst im plötzlichen jähen Absturz dieses Augenblicks das Wort »Machete« einfiel, obwohl dies das erste Mal war, dass sie eine zu sehen bekam – außer im Film. Durch die offene Tür hinter den beiden sah sie dichten Schnee eilig herabfallen, auch jetzt am späten Nachmittag noch, ein hübsches Bild gegen den dunklen Bogen des Waldes. Es war fünf Tage vor Weihnachten.

Sie war sich auf beinah überwältigende Weise der Nähe ihrer Kinder bewusst. Josh, der oben mit Kopfhörern auf seinem ungemachten Bett lag. Nell in ihrer roten North-Face-Jacke, die dem Schnee beim Fallen zusah und sich versonnen durch den Reese’s Peanut Butter Cup arbeitete, den sie sich keine zehn Minuten zuvor erhandelt hatte. Es war, als verbände ein unsichtbarer Nerv die beiden mit ihr, ihrem Nabel, ihrem Schoß, ihrer Seele. Am Morgen hatte Nell gesagt: »Dieser Typ, Steven Tyler – der sieht aus wie ein Pavian.« Sie traf solche Feststellungen aus heiterem Himmel. Später, nach dem Frühstück, hatte Rowena gehört, wie Josh zu Nell sagte: »Hey, guck mal. Das ist dein Hirn.« »Das« dürfte, wie Rowena wusste, so etwas wie Cornflakes oder ein Popel gewesen sein. Es war ein permanenter Wettbewerb zwischen den beiden – sie fanden kleine oder unappetitliche Objekte, die sie dann zum Gehirn des jeweils anderen erklärten. Es ging ihr durch den Kopf, was für ein Geschenk es war, dass ihre Kinder einander nicht nur liebten, sondern sich klammheimlich auch mochten.

Ihr ging durch den Kopf, wie viele große Gaben ihr Leben bereithielt – während ihr Körper leer wurde und der Raum rings um sie her auf sie eindrang wie ein Schwarm Fliegen, und sie spürte, wie ihr trockener Mund sich öffnete und ein Schrei aufstieg –

nicht schreien –

wenn Josh keinen Lärm macht und Nell draußen –

vielleicht bloß Vergewaltigung, o Gott –

was sie auch immer –

das Gewehr –

Das Gewehr war in dem Schrank unter der Treppe eingeschlossen, und der Schlüssel hing an dem Bund in ihrer Handtasche, und die Handtasche stand auf dem Schlafzimmerfußboden, und der Schlafzimmerfußboden war sehr, sehr weit entfernt.

Du musst das hier einfach bloß überstehen. Was auch immer es braucht, um –

Aber der Größere der beiden Männer tat drei Schritte vorwärts, und es kam Rowena vor wie in Zeitlupe (sie hatte Zeit, abgestandenen Schweiß und nasses Leder und ungewaschenes Haar zu riechen, die kleinen dunklen Augen in dem großen Kopf zu sehen und die Poren rings um die Nase), als er den Gewehrkolben hob und ihn ihr ins Gesicht stieß.

 

Josh Cooper lag nicht auf dem Bett, aber er hatte in der Tat Kopfhörer auf. Er saß an seinem Schreibtisch, die Squier Strat (gebraucht, eBay, zweihundertfünfundzwanzig Dollar, er hatte die fünfzig Dollar opfern müssen, die seine Großmutter ihm vor drei Monaten als Geburtstagsgeschenk geschickt hatte, damit Mom zustimmte) an den winzigen Übungsverstärker angeschlossen, und arbeitete sich durch ein YouTube-Tutorial – »How To Play Led Zeppelin’s ›The Rain Song‹« –, während er zugleich versuchte, nicht an den Pornoclip zu denken, den er vor drei Tagen bei Mike Wainwright gesehen hatte. Zwei Frauen, eine ältere Rothaarige mit grünem Lidschatten und eine sehr junge Blonde, die aussah wie Sarah Michelle Gellar, leckten einander mit mechanischen Bewegungen die Muschi. »Lesbenneunundsechzig«, hatte Mike knapp gesagt. »Als Nächstes kommt die Arsch-an-Arsch-Szene.« Josh hatte nicht die leiseste Ahnung, was er sich unter »Arsch-an-Arsch« vorzustellen hatte, aber mit hämmernder Scham wusste er, was es auch war, er wollte es sehen. Mike Wainwright war ein Jahr älter als er und wusste über Sex Bescheid, und seine Eltern waren so windelweich und unentschlossen, dass sie es bisher nicht geschafft hatten, auf seinem PC eine Kindersicherung zu installieren. Im Gegensatz zu Joshs Mom, die das zur Bedingung gemacht hatte, bevor er überhaupt einen PC bekam.

Bei der Erinnerung an die beiden Frauen wurde er hart. Was genau das war, was er mit Hilfe des Gitarrentutorials hatte vermeiden wollen. Er wollte nicht abspritzen müssen. Die Empfindungen, die sich hinterher einstellten, deprimierten ihn. Eine Schwere und Leere in Händen und Gesicht, die seine Stimmung abstürzen ließen und dazu führten, dass er Nell und seine Mom anblaffte.

Er zwang seine Aufmerksamkeit zurück zu »The Rain Song«. Zunächst war er aus dem Stück nicht schlau geworden, aber dann hatte das Netz ihm verraten, dass die Gitarrensaiten anders als sonst gestimmt werden mussten. Nachdem er das getan hatte (D-G-C-G-C-D), hatte sich ihm die ganze Angelegenheit erschlossen. Im Intro gab es ein paar komplizierte Griffe, aber das war Übungssache. Noch eine Woche, und er würde das Ding meistern.

 

Nell Cooper war nicht auf der Veranda. Sie stand im tiefen Schnee am Waldrand und beobachtete einen Maultierhirsch, keine sechs Meter von ihr entfernt. Ein erwachsenes Weibchen. Mit großen schwarzen Augen und den langen Wimpern, die so künstlich aussahen. Näher als bis auf sechs Meter kam man nicht heran. Nell hatte dieses Exemplar schon seit ein paar Wochen angefüttert, ihm die Kerngehäuse ihrer Äpfel aufgehoben und Hände voll Nüsse und Rosinen hingeworfen, die sie aus dem Backzutatenfach ihrer Mutter stahl. Das Tier kannte sie. Sie hatte ihm keinen Namen gegeben. Sie sprach auch nicht mit ihm. Sie zog die stille Vertrautheit dieser Begegnungen vor.

Sie zog die Handschuhe aus und griff in die Tasche nach dem halb gegessenen Apfel. Das Armband, das ihre Mutter ihr zum zehnten Geburtstag im Mai geschenkt hatte, reflektierte das Schneelicht. Ein silbernes Kettchen mit einem Hasen aus dünnem Gold daran, im Profil, rennend. Es hatte ihrer Urgroßmutter gehört, dann ihrer Großmutter, dann ihrer Mutter; jetzt gehörte es ihr. Rowenas Vorfahren mütterlicherseits stammten aus Rumänien. Die Familienlegende erzählte, tief in der Vergangenheit habe es da einmal so etwas wie Hexerei gegeben, und der Hase sei ein Schutz auf Reisen, für eine glückliche Fahrt. Nell hatte ihn immer geliebt. Es war eine ihrer frühesten Erinnerungen, wie sie ihn am Handgelenk ihrer Mutter angestupst hatte, das Blinken im Sonnenlicht. Der Hase führte ein fernes Eigenleben, obwohl sein Auge nur ein mandelförmiges Loch im Gold war. Ganz unerwartet war ihre Mom am Abend ihres Geburtstages, lange nachdem alle anderen Geschenke ausgepackt waren, zu ihr ins Zimmer gekommen und hatte ihr das Armband um das linke Handgelenk geschlossen. »Du bist jetzt alt genug dafür«, hatte sie gesagt. »Ich habe die Kette kürzen lassen. Trag es am linken Arm, damit es dir beim Zeichnen nicht in die Quere kommt. Und nicht in der Schule, okay? Ich möchte nicht, dass du es verlierst. Spar es für Wochenenden und Feiertage auf.« Der Stich von Liebe und Kummer, den sie empfunden hatte, als ihre Mutter dies sagte – »du bist alt genug« –, hatte Nell überrascht. Es hatte ihre Mutter alt wirken lassen. Und allein. Es hatte ihnen beiden plötzlich und schmerzlich das Fehlen von Nells Vater ins Gedächtnis gerufen. Der Augenblick hatte Nell mit Zärtlichkeit für ihre Mutter erfüllt, dem plötzlichen fürchterlichen Begreifen, dass Mom all die normalen Dinge – sie und Josh zur Schule fahren, einkaufen, das Abendessen machen – mit einer Art einsamer Tapferkeit tun musste, weil Nells Vater nicht mehr da war.

Auch jetzt machte der Gedanke daran sie traurig. Sie beschloss, im Haus mehr zu helfen. Sie würde ihr Bestes tun, Dinge erledigen, ohne dass man sie eigens auffordern musste.

Die Hirschkuh tat ein paar anmutige Schritte, beschnupperte die Stelle, wo Nells Apfelrest gelandet war – und hob den Kopf, schlagartig aufmerksam; die übergroßen Ohren (diese Ohren waren der Grund, warum die Tiere Maultierhirsche hießen) zuckten mit einem Flattern wie bei den Flügeln eines Vogels. Was das Tier auch gehört hatte, Nell hatte es nicht mitbekommen. Für sie war der Wald eine große, weiche, schweigende Präsenz. (Eine neutrale Präsenz. Manche Dinge waren auf deiner Seite, manche Dinge waren gegen dich, manche Dinge waren keins von beiden. »Das Wort dafür ist neutral«, hatte Josh ihr erklärt. »Und überhaupt – Dinge sind einfach Dinge. Sie haben keine Empfindungen. Sie wissen nicht mal, dass es dich gibt.«

Josh hatte in jüngerer Zeit angefangen, ihr mit solchem Zeug zu kommen, obwohl Nell keine Sekunde lang glaubte, dass er es wirklich ernst meinte. Ein Teil von ihm entfernte sich von ihr. Oder vielmehr, er zwang einen Teil von sich, sich von ihr zu entfernen. Ihre Mom hatte gesagt: »Hab einfach Geduld mit ihm, Liebes. Das ist die Pubertät. Noch ein paar Jahre, und du bist wahrscheinlich noch schlimmer.«) Die Hirschkuh war noch immer unruhig, lauschte angespannt. Nell fragte sich, ob es Mystery Guy in der Blockhütte auf der anderen Seite der Schlucht war.

Mystery Guys wirklicher Name, so hatte der örtliche Klatsch ermittelt, lautete Angelo Greer. Er war vor einer Woche aufgetaucht und in die verfallende Hütte jenseits der Brücke gezogen, eine Meile ostwärts vom Haus der Coopers. Es hatte deshalb Streit mit Sheriff Hurley gegeben, der sagte, es sei ihm vollkommen egal, ob die Hütte Mr. Greer gehörte oder nicht (er hatte sie Jahre zuvor beim Tod seines Vaters geerbt), Mr. Greer würde unter keinen Umständen mit einem Auto über die Brücke fahren. Die Brücke war baufällig. Seit zwei Jahren war sie gesperrt. Ihre Reparatur war nicht gerade ein drängendes Anliegen, denn die Hütte war auf der anderen Seite der Schlucht das einzige Gebäude im Umkreis von zwanzig Meilen und stand seit langem leer. Der Verkehr, der den Loop River überquerte, nutzte die Brücke weiter im Süden, die zum Highway 40 führte. Am Ende hatte Mr. Greer sein Auto zum westlichen Ende der Brücke gefahren und seine Vorräte zu Fuß hinübergeschleift. Auch das sollte er nicht tun, hatte Sheriff Hurley gesagt, aber dabei war es geblieben. Nell hatte Mr. Greer nie gesehen. Sie und Josh waren in der Schule gewesen, als er an ihrem Haus vorbeigefahren war, aber es konnte nicht mehr lang dauern, und er würde zur Stadt zurückkehren müssen. Ihre Mom hatte gesagt, es gebe nicht einmal ein Telefon in der Hütte. Als Jenny Pinker vergangene Woche vorbeigekommen war, hatte Nell sie sagen hören: »Was zum Teufel treibt er eigentlich da draußen?« Worauf Rowena geantwortet hatte: »Weiß der Himmel. Er geht am Stock. Ich habe keine Ahnung, wie er klarkommen will. Vielleicht ist er da draußen, weil er Gott sucht oder so was.«

Nell suchte ihre Taschen ab, aber die Nüsse und Rosinen waren verbraucht. Die Hirschkuh sprang davon.

Im Haus explodierte ein Gewehrschuss.

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2

Nell rannte.

Sagte sich, dass es kein Gewehrschuss gewesen war.

Wusste, es war einer.

Der Boden war ein rissiger Eisfluss, gegen dessen Strömung sie ankämpfte. Ihr Gesicht war übervoll, ihre Hände zum Platzen gefüllt mit Blut. Die Luft hatte etwas Geschäftiges, als sei sie voller flüsternder Partikel. Die Einzelheiten waren überdeutlich und drängend: das leise Knirschen des Schnees, der Duft frisch gebackener Kekse aus der Küche, ein komplizierter Astknoten in der Maserung der Eichendielen, das dunkle Rostrot von Joshs Converse-Tretern neben der Wohnzimmertür; das Licht fiel durch die Schnürlöcher.

Ihre Mutter lag am Fuß der Treppe auf der Seite. Blut hatte sich rings um sie ausgebreitet, juwelendunkel mit einem weichen Schimmer. Ihr Rock war hochgeschoben, und ihr Slip hing an ihrem linken Knöchel. Ihr Haar war ganz falsch. Ihre Augen waren offen.

Nell kam sich aufgetrieben und schwebend vor. Dies war ein Traum, aus dem sie sich befreien musste. Wenn man sich unter Wasser nach oben stieß, hielt man auf dem Weg durch die Schwere den Atem an, bis man auf das lichte Versprechen der Wasseroberfläche und dann auf süße Luft stieß. Aber sie trat und trat, und es gab keine Oberfläche, nichts, in das hinein sie aufwachen konnte. Nur die Erkenntnis, dass die Welt dies ihr ganzes Leben lang geplant hatte und dass alles andere nur ein Trick gewesen war, um sie abzulenken. Das Haus, das immer ihr Freund gewesen war, war hilflos. Das Haus konnte nur zusehen, in schmerzlichem Entsetzen.

Die nackten Beine ihrer Mutter machten langsame Bewegungen in dem Blut, als würde sie Rad fahren. Nell wollte sie bedecken. Es war fürchterlich, das bleiche Fleisch der Hinterbacken und das feine Gekritzel der Krampfadern am linken Oberschenkel so aufgedeckt zu sehen, hier im Flur. Ihr Mund formte: Mommy … Mommy … Mommy …, aber es kam kein Geräusch, nur rauher Atem, ein massives Objekt, zu groß für ihre Kehle. Ihre Mutter blinzelte. Bewegte die Hand durch das Blut und hob den Finger an die Lippen. Pssst. Die Geste hinterließ einen senkrechten roten Fleck, wie der Lippenstift einer Geisha.

»Mommy!«

»Lauf«, flüsterte ihre Mutter. »Sie sind noch da.«

Die Augen ihrer Mutter schlossen sich flatternd. Dies erinnerte Nell an all die Gelegenheiten, bei denen sie Schmetterlingsküsse ausgetauscht hatten – die Wimpern an der Wange der anderen.

»Mommy!«

Die Augen ihrer Mutter öffneten sich wieder.

»Lauf zu Jenny. Ich komme zurecht, aber du musst hier weg.«

Von oben kam das Geräusch verschobener Möbel.

»Jetzt!«, zischte ihre Mutter. Sie klang erbost. »Lauf jetzt! Schnell!«

Etwas bewegte sich viel dichter bei ihnen. Im Wohnzimmer.

Ihre Mutter packte sie am Handgelenk und fauchte: »Du gehst jetzt augenblicklich, Nell. Ich mein’s ernst. Tu’s, oder ich werde wütend. Geh. Jetzt!«

Als Nell sich rückwärts von ihrer Mutter entfernte, war es, als risse eine dünne Haut, die sie miteinander verbunden hatte. Sie blieb immer wieder stehen. Eine wüste Leere hatte sich ihrer Knöchel und Knie und Handgelenke bemächtigt. Sie konnte nicht schlucken. Aber je weiter sie sich entfernte, desto nachdrücklicher nickte ihre Mutter, ja, ja, weiter, Baby, immer weiter.

Sie hatte es die ganze Strecke zur Hintertür geschafft, als der Mann aus der Wohnzimmertür trat.

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3

Er hatte kupferrotes Haar, fettige Locken, die bis hinunter zu seinem spärlichen Bart reichten. Blassblaue Augen, bei denen Nell Zielscheiben fürs Bogenschießen einfielen. Sein Gesicht war feucht, und die Hände mit den schmutzigen Fingernägeln sahen aus, als seien sie zu schnell aufgetaut. Dunkle, schmierige Jeans und eine schwarze Steppjacke mit einem Riss auf Brusthöhe, durch den man das weiche graue Futter sah. Seine Füße mussten stinken, dachte Nell. Er sah angespannt und aufgeregt aus.

»Hey, Fotze«, sagte er lächelnd zu Rowena. »Wie geht’s dir so?«

Dann drehte er sich um und sah Nell.

Der Augenblick dauerte sehr lang an.

Als Nell sich bewegte, fiel ihr ein, wie die Hirschkuh in den Wald davongesprungen war. Ihr Kopf hatte sich ruckartig nach rechts gedreht, als habe jemand an einem unsichtbaren Zügel gerissen; dann hatte sie sich herumgeworfen, als sei der Rest ihres Körpers eine Spur langsamer und müsse aufholen. Genau so fühlte sie sich jetzt, als sie sich umdrehte und losrannte – als habe ihr Wille einen kleinen, unerträglichen Vorsprung vor ihr gewonnen und mühe sich, ihren Körper mit sich zu ziehen.

Der Raum um sie her war schwer, er war etwas, durch das sie waten musste. Einmal hatte sie in den Ferien auf den Zehenspitzen im Meer gestanden, am Strand von Delaware, das flaschengrüne Wasser bis zum Kinn, und Josh hatte gerufen: »O Gott, Nell, ein Hai! Genau hinter dir! Schnell!« und obwohl sie sich sicher gewesen war, dass es ein Scherz war – oder doch beinahe sicher –, war da die Tortur des schweren Wassers gewesen, weich und gerissen, das sich gegen sie stemmte, sie ausbremste, im Bund mit dem Hai.

Josh.

Mom.

Ich komme zurecht, aber du musst hier weg.

Ich komme.

Zurecht.

»Zurecht« bedeutete später, morgen, Weihnachten, Tage und Wochen und Jahre, Frühstück in der unaufgeräumten Küche, der Geruch von Toast und Kaffee, Fernsehen am Abend, Fahrten in die Stadt, Jenny, die vorbeikam, der Duft der Handcreme ihrer Mutter, Unterhaltungen wie die, die sie in letzter Zeit manchmal geführt hatten und bei denen sie fast wie von Frau zu Frau sprachen …

In ihrem Rücken krachte etwas. Sie sah sich um, ins Haus hinein.

Der rothaarige Mann stand vom Fußboden des Flurs auf, lachte, sagte: »Scheiße, was soll das, Fotze?« Dann schüttelte er das linke Bein, um Rowenas Hand von seinem Knöchel zu lösen. Etwas in Nell wusste, dies hatte ihre Mutter die letzte Kraft gekostet. Es war auch ihre eigene letzte Kraft gewesen. Und doch trieb etwas sie an, aus ihrer Erschöpfung heraus, und ihre Beine bewegten sich, berührten kaum den festen Schnee, den sie und Josh auf dem Weg zum Wald heruntergetreten hatten.

Sie rannte.

Es schien ihr unmöglich zu sein, sie war so leer. Die leiseste Brise würde sie in die Luft heben wie ein abgefallenes Blatt.

Aber sie rannte. Sie hatte zwanzig Meter Vorsprung vor ihm.

Fotze.

Das Wort war dunkel und verklebt vor Dreck. Sie hatte es im Leben vielleicht zweimal gehört, sie wusste nicht mehr wann.

Wie geht’s dir so? Das Lächeln, mit dem er es gesagt hatte, bedeutete, dass nichts ihn von dem abhalten würde, was er vorhatte. Er würde es nur noch häufiger machen.

Sie wollte zu ihrer Mutter zurückkehren. Sie wollte stehen bleiben, sich umdrehen, zu dem Mann sagen: Ist mir egal, was passiert, lass mich einfach die Beine von meiner Mutter zudecken und sie in die Arme nehmen. Das ist alles, was ich will. Dann kannst du mich umbringen. Die Sehnsucht, stehen zu bleiben, war stark. Die Art, wie die Lider ihrer Mutter sich geschlossen und wieder geöffnet hatten, als sei dies etwas Schwieriges, auf das sie sich sehr sorgsam konzentrieren musste. Es bedeutete … Es bedeutete …

Das zischende Reiben seiner Arme an der Steppjacke, das Hämmern und Quieken seiner Stiefel im Schnee. Er war dicht hinter ihr. Die zwanzig Meter Vorsprung waren verbraucht. Wie albern, sich einzubilden, dass sie ihn abhängen konnte. Die langen Beine und die Erwachsenenkraft. Zum ersten Mal dachte sie: Du wirst deine Mutter nie wiedersehen. Oder Josh. Ihre eigene Stimme wiederholte dies in ihrem Kopf, du wirst deine Mutter nie wiedersehen, dazwischen das »Hey, Fotze« des Mannes und die Stimme ihrer Mutter, die ein Gedicht zitierte: Anheimelnd, dunkel, tief die Wälder, die ich traf,/Doch noch nicht eingelöst, was ich versprach,/Und Meilen, Meilen noch vorm Schlaf …

Sie wusste, sie sollte sich nicht umsehen, aber sie konnte nicht anders.

Er war beinahe in Reichweite, seine roten Hände waren bereits ausgestreckt. Sie sah seinen offenen Mund im kupferroten Bart, kleine Zähne, tabakfleckig, die hellblauen Augen, wie die einer Ziege, die scharfe Nase mit langen entzündeten Nasenlöchern. Er sah aus, als denke er an etwas anderes. Nicht an sie. Er sah besorgt aus.

Der Blick nach hinten rächte sich. Sie stolperte, spürte, wie der Boden die Spitze ihres linken Stiefels festhielt, streckte die Arme nach vorn, um den Sturz abzufangen.

Seine Fingerspitzen streiften die Kapuze ihrer Jacke.

Aber er hatte sich zu weit vorgebeugt.

Sie hielt sich – eben noch – auf den schwachen Beinen, und er stürzte hinter ihr, schwer, mit einem Grunzen und einem gezischten »Scheiße«.

Die Augen ihrer Mutter sagten: Weiter, Liebes, nur immer weiter.

Nie wieder. Das ferne Leben des goldenen Hasen ihrem eigenen plötzlich ganz nahe.

Dinge sind einfach Dinge. Sie haben keine Empfindungen. Sie wissen nicht mal, dass es dich gibt.

Nell hörte sich schluchzen. Wärme blühte in ihrer Hose auf, und ihr wurde klar, dass sie sich eingenässt hatte.

Aber sie hatte den Waldrand erreicht, und das Nachmittagslicht war beinahe fort.

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4

Er war immer noch hinter ihr. Sie hörte das leise Rascheln der Kiefern, an denen er vorbeirannte. Der Wald war nicht vor Entsetzen erstarrt, wie das Haus es gewesen war. Dem Haus hatten die Geschehnisse etwas bedeutet, aber hier wurden sie kaum zur Kenntnis genommen. Der Geruch nach altem Holz und unberührtem Schnee hatte Nell immer an Narnia erinnert, an den Kleiderschrank, der in das magische verschneite Königreich führte. Er erinnerte sie auch jetzt daran, trotz allem. Ihr Geist war voll von all diesen nutzlosen Gedanken, während er um das Gesicht ihrer Mutter kreiste und die Art, wie sie so langsam geblinzelt hatte, und den Blick in ihren Augen, den Nell noch nie zuvor gesehen hatte, ein Eingeständnis, dass es etwas gab, das sie nicht tun konnte, dass dies etwas war, das sie nicht in Ordnung bringen konnte.

Deine Jacke ist rot, Spatzenhirn, sagte Josh in ihren Gedanken. Rot. Mach’s ihm doch nicht so leicht.

Sie ging hinter einer Douglastanne in die Hocke und zog die Jacke aus. Schwarzer Wollpullover drunter. Die Kälte packte sie augenblicklich und mit bösartigem Entzücken. Das Futter der Jacke war marineblau. Die intelligente Lösung – die Josh-Lösung – wäre gewesen, das Futter nach außen zu drehen und die Jacke wieder anzuziehen. Sie begann damit, aber ihre Hände waren zu schwach, weit entfernte Dinge, zu denen sie jede Verbindung verloren hatte. Das Herz des Hasen war jetzt zu ihrem eigenen geworden, winzig, hämmerte Furcht in ihren Puls hinein.

Sie hörte ihn fluchen: »Himmelherrgottscheiße.«

Zu nah. Erst weiter weg, dann zieh sie wieder an.

Sie rannte wieder. Es war dunkler geworden. Irgendwo unter dem Schnee war der Waldweg, aber sie hatte keine Ahnung, ob sie sich auf ihm befand. Die egoistischen Bäume gaben ihr keinen Hinweis. Und dann waren da ihre Fußabdrücke. Wo sie auch hinrannte, er würde Bescheid wissen. Zumindest so lange, bis das letzte Licht fort war. Wie lange noch? Minuten. Sie sagte sich, dass sie nur noch ein paar Minuten lang weiterlaufen musste.

»Komm her, du kleiner Scheißer«, befahl seine Stimme. Sie konnte nicht sagen, wo er war. Die Bäume und der Schnee drückten alle Geräusche zusammen, so wie im Tonstudio von Amys Dad. Sollte sie irgendwo hinaufklettern? (Sie konnte auf alles und jedes klettern. »Nell, Liebes, ich wünschte, du würdest aufhören, überall raufzuklettern«, hatte ihre Mutter gesagt. Nell hatte geantwortet: »Ich falle nicht runter.« Worauf ihre Mutter erwidert hatte: »Ich habe keine Angst, dass du runterfällst. Ich habe Angst, du könntest Affengene haben.«) Sollte sie klettern? Nein, die Fußspur würde abbrechen, und er würde Bescheid wissen: Hier bin ich! Hier oben! Sie stolperte weiter. Stieß auf festeren Schnee. Die Beine gaben unter ihr nach. Ihre Handflächen brannten, als sie auf dem Boden aufschlugen. Sie stand wieder auf. Rannte.

Der Boden fiel ab, urplötzlich. Hier und da brach schwarzer Fels durch den Schnee. Das Gelände zwang sie hangabwärts. Manche der Schneewehen reichten ihr übers Knie. Ihre Muskeln loderten. Es kam ihr vor, als sei es lang her, seit sie ihn gehört hatte. Sie hatte jedes Gefühl für die Richtung verloren. Der Atem versengte ihr die Lungen. Sie kämpfte sich wieder in die Jacke. Es war jetzt dunkel genug, dass das Rot nicht mehr auffiel.

Ein Zweig brach. Sie sah auf.

Er war es.

Zehn Meter oberhalb und links von ihr. Er hatte sie gesehen.

»Bleib da!«, bellte er. »Scheiße, hör auf wegzurennen. Herrgott, du kleines …«

Etwas rollte unter seinem Fuß davon, und er fiel. Der Hang schleuderte ihn auf sie zu. Er konnte sich nicht mehr fangen.

Nell kam es vor, als habe sie sich nur umgedreht und drei sinnlose Schritte getan, als sie ihn aufschreien hörte. Aber dieses Mal sah sie sich nicht um. Sie spürte nur, wie ihre Muskeln rissen und wie jeder Atemzug brannte. Steine verdrehten ihr die Knöchel. Zweige stachen sie in die ungeschützten Hände und ins Gesicht. Etwas kratzte über ihr Auge, ein perfides kleines scharfes Ding in all der Unklarheit. Die einzige Gewissheit war, dass seine Hände sie jetzt jeden Moment packen würden. Jeden Moment. Jeden Moment.

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5

Im Obergeschoss des Hauses sah Xander King zu, wie der Junge auf dem Fußboden starb, und setzte sich dann auf den kleinen Drehstuhl vor dem Schreibtisch. Die Welt war zum Leben erwacht, so wie sie es immer tat, aber etwas daran war nicht richtig. Dies war ein Fehler gewesen, und es war Paulies Schuld. Paulie ging ihm auf die Nerven. Paulie würde alles ruinieren. Es war eigentlich absolut lächerlich, wie lange er jetzt schon zugelassen hatte, dass Paulie mit ihm abhing. Paulie würde verschwinden müssen.

Xander war erleichtert, dies geklärt zu haben, es mit Sicherheit zu wissen, trotz des ganzen Ärgers, der Arbeit, die es mit sich bringen würde, der Ablenkung. Alles, was man mit Sicherheit wusste, bedeutete eine Befreiung.

Der kühle Geruch frischer Wandfarbe umspielte ihn aus dem leeren Zimmer gegenüber. (Er hatte versonnen eine Runde durch das obere Stockwerk gemacht: das Schlafzimmer der Frau mit seinem Geruch nach sauberer Bettwäsche und Kosmetik; ein Zimmer, das voller ordentlich in Kästen verstauter Dinge war – Vinylschallplatten, Packpapierumschläge, eine Nähmaschine; ein Bad, auf dessen Porzellan und Fliesen das Tageslicht verblasste – und das halb gestrichene letzte Zimmer, klein, mit einem Schrank und einer Kommode unter Abdeckplanen. Eine Farbrolle, eine Wanne, Pinsel in einem Glas mit Terpentin, eine Stehleiter. Es hatte ihn an Mama Jean erinnert, oben auf der Stehleiter im Wohnzimmer des alten Hauses, in ihrem sauer riechenden Männeroverall, das Gesicht weiß gesprenkelt.)

Der Fernseher des Jungen lief bei abgeschaltetem Ton. The Big Bang Theory. Wieder so eine Sendung wie Friends – zu viele grelle Farben. Xander fand die Fernbedienung auf dem Schreibtisch und klickte sich durch die Sender in der Hoffnung, Real Housewives of Beverly Hills zu finden. Oder Real Housewives of New York. Oder Real Housewives of Orange County. Es gab eine Menge Sendungen, die ihn ansprachen. Millionnaire Matchmaker, Keeping Up with the Kardashians, America’s Next Top Model. The Apprentice. Aber heute hatte er kein Glück. Sein Körper war reif. Er spielte ein bisschen mit sich, sah auf den aufgerissenen Bauch des toten Jungen hinunter und sah wieder fort, spürte, wie das Gefühl üppiger Reife in seinen Gliedmaßen kam und ging, als sei da ein Regler in seinem Inneren, den er nach Belieben hoch- und wieder herunterdrehen konnte.

Die Gitarre des Jungen war mit den Saiten nach unten auf dem Teppich gelandet. Ein Teppich mit indianischem Muster. Was Xander an etwas erinnerte, das er gehört hatte: Die weißen Siedler hatten den Indianern Decken gegeben, die voller Krankheitskeime waren, in der Hoffnung, sie würden alle krank werden und sterben. Es gab gewisse Tatsachen, mit denen er vertraut war. Gewisse Tatsachen, die einen Sinn ergaben auf eine Art, wie viele andere Dinge es nicht taten. So viele andere Dinge schienen nicht nur ohne Sinn, sie laugten ihn aus. Er kämpfte ständig gegen die Erschöpfung an.

Die Erinnerung an die infizierten Decken löste ein Jucken in seinem Bart aus. Ein Bart. Er hatte sich seit vier Tagen nicht rasiert. Seine Gewohnheiten waren aus dem Gleis geraten. Die Batterie in seinem Rasierer hatte aufgegeben. Das Gute an einem batteriebetriebenen Rasierer war, man konnte das Rasieren ohne Spiegel erledigen.

Er dachte an die Frau im Erdgeschoss. Er würde bald zu ihr hinuntergehen, aber im Augenblick war es ein gutes Gefühl, einfach hier zu sitzen und die Üppigkeit zu genießen. Es war wundervoll zu wissen, dass er zu ihr hinuntergehen konnte, wann immer er es wollte. Es war wundervoll zu wissen, dass sie sich nicht von der Stelle bewegen würde. Er selbst konnte überall hingehen und alles tun, aber alles, was sie tun wollte, hing von ihm ab. Sein Gesicht und seine Hände hatten die füllige Wärme, die sowohl Ungeduld als auch alle Zeit der Welt bedeutete.

Aber nichtsdestotrotz – es war nicht ganz richtig so. Zu viele Dinge waren in jüngster Zeit nicht richtig gewesen. Es gab eine Methode, zu tun, was getan werden musste, und in letzter Zeit hatte er sie aus den Augen verloren. Die Fotze in Reno zum Beispiel. Auch das war Paulies Schuld gewesen. Er musste Paulie ganz entschieden loswerden.

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6

Die Welt hielt inne, und Nell flog durch sie hindurch. Eine Nicht-Stille, wie wenn man in der Badewanne den Kopf unter Wasser zieht, die laute persönliche Stille im Inneren des eigenen Körpers. Sie rannte durch die Dunkelheit und wusste bei jedem Schritt, dass sie keinen weiteren Schritt mehr tun konnte. Es war, als hätten seine Hände sie bereits gepackt, und doch rannte sie noch immer. Wie konnte sie noch laufen, wenn er sie bereits hatte? Vielleicht hatte er sie hochgehoben, und sie strampelte in der leeren Luft. Wie die nackten Beine ihrer Mutter, die langsam im Blut kreisten. Im Blut ihrer Mutter. Das sie verließ. Sich auf dem Fußboden ausbreitete. So viel Blut. Wenn Blut herauskam, floss es nicht wieder hinein. Nie wieder. Du wirst deine Mutter nie …

Die Bäume waren zu Ende. Eine tiefere Kälte kam aus der Schlucht herauf, reine Luft und das Rauschen des Flusses weit unter ihr. Der Schnee fiel jetzt schneller, in einem vom Wind getriebenen Winkel. Die Brücke war fünfzehn Meter weiter links. Was bedeutete, dass sie jetzt eine halbe Meile von zu Hause entfernt und in die falsche Richtung gerannt war. Aber sie konnte nicht umkehren. Wenn sie ans Umkehren dachte, sah sie nur ein einziges Bild: von ihm, wie er plötzlich hinter einem Baum hervorkam, und dann der warme Aufprall, mit dem sie geradewegs in ihn hineinrannte, die Arme, die sich schnell um sie schlossen. Hab dich. Sie konnte hören, wie er das sagte.

Sie rannte bis zur Brücke. Es war unglaublich, aber ein Auto war wenige Meter vor ihr geparkt.

Wessen Auto? Leer?

Sie blieb stehen. Sein Auto? Mit jemand anderem darin?

Sie spähte durch den fallenden Schnee.

Im Auto war niemand. Konnte sie sich unter ihm verstecken? Nein. Dumm. Erster Ort, an dem er nachsehen würde.

Sie blickte die Kante der Schlucht entlang. Niemand.

Sie hatte keine Zeit. Lauf.

Sie rannte zum Kopf der Brücke.

Ein rotes Schild mit weißen Buchstaben:

BRÜCKE GESPERRT

GEFAHR

BETRETEN VERBOTEN

Rostige Metallstreben, in die Wände der Schlucht getrieben. Hölzerne Schwellen, an deren Wackeln sie sich erinnerte von den wenigen Gelegenheiten, als ihre Mutter mit dem Jeep über die Brücke gefahren war. Eine Meile weiter westlich, das wusste sie, verengte sich die Schlucht auf kaum sechs Meter, bevor sie wieder breiter wurde. Im letzten Jahr hatte ein Eissturm eine Douglastanne quer über die Engstelle stürzen lassen. Teenager bewiesen ihren Mut, indem sie über den Baum auf die andere Seite und dann wieder zurück krochen. Man musste hinüber und wieder zurück. Das war der entscheidende Punkt. Josh und sein Freund Mike Wainwright hatten einen ganzen Vormittag lang versucht, den Mut aufzubringen. Einander herausgefordert und provoziert. Am Ende hatte es keiner von ihnen getan. Siebzig Meter. Die dunkle Luft der Schlucht war bereit. Der Fluss unten wartete.

Sie schob sich um das Schild herum. Ihre nassen Jeans waren zwischen ihren Beinen inzwischen eisig geworden. Die Falten scheuerten auf der Haut. Ihre Füße fühlten sich wund an. Der Schnee reichte ihr hier bis über die Knie. Wie weit zur anderen Seite? Im Jeep waren es Sekunden. Sie schien eine Ewigkeit zu waten. Unsichtbare Gewichte hingen an ihren Oberschenkeln.

Auf halber Strecke musste sie stehen bleiben und ausruhen. Sie wünschte sich, sie könnte sich hinlegen. In dem schräg einfallenden Schnee konnte sie kaum eine Armlänge weit sehen. Die Entfernung zwischen ihr und ihrer Mutter und Josh riss an ihren Eingeweiden. Immer wieder hatte sie die Vorstellung, es sei Morgen, das graue Tageslicht und die Wärme der Küche, ihre Mom, die sich nach ihr umdreht, als sie hereinkommt, und sagt: Wo warst du, Nell? Ich bin fast verrückt geworden …

Sie zwang sich zum Weitergehen. Drei Schritte. Zehn. Zwanzig. Dreißig. Das Ende der Brücke. Die Rückseite eines Eisenschildes, das gleiche wie auf der anderen Seite, nahm sie an. Ein zerrissener Stacheldraht war zwischen den Geländern gespannt, die Spule baumelte über der Leere der Schlucht.

»Verdammtes Aas«, knurrte die Stimme des Mannes. Es hörte sich an, als sei er nur noch Zentimeter von ihr entfernt. Sie drehte sich um. Er war bei dem BRÜCKE-GESPERRT-Schild, hatte Mühe, an ihm vorbeizukommen. Es kam ihr unmöglich vor, dass sie in der Lage sein würde, ihre Beine noch einmal in Bewegung zu setzen.

Sie stolperte nach vorn. Zwei weitere Schritte. Drei. Sie war beinahe da.

Etwas veranlasste sie, stehen zu bleiben.

Bis auf das Flüstern des fallenden Schnees und den vertrauten Lärm ihres eigenen Atems war alles still. Aber es war, als hätte sie etwas gehört.

Als das eigentliche Geräusch dann kam, löschte es alles andere aus ihrem Geist.

Und als die Welt unter ihr in den Abgrund stürzte, verspürte ein kleiner Teil von ihr eine seltsame Erleichterung.

Dieser Teil – ihre Seele vielleicht – flog auf wie ein Funke, in dem Gedanken, dass es jetzt wenigstens vorbei war, dass sie wenigstens hingehen würde, wo auch immer ihre Mom hingegangen war. Auf eine unbestimmte Art glaubte sie an einen Himmel. Wo gute Menschen hinkamen, wenn sie starben. Einen Ort, wo man auf den Wolken gehen konnte und wo es weiße Treppen gab und Gärten und Gott – obwohl sie immer das Gefühl gehabt hatte, ihr würde es wahrscheinlich lieber sein zu wissen, dass er irgendwo dort war, als ihn persönlich zu treffen. Manchmal hatte sie sich gefragt, ob sie ein guter Mensch war, aber als es jetzt so weit war, hatte sie keine Angst.

Weit entfernt hörte sie ein schürfendes Geräusch – Metall auf Fels.

Überall ringsum schlugen die Düsternis und der Schnee Purzelbäume, langsame Purzelbäume.

Dann kam etwas mit betäubender Geschwindigkeit nach oben gestürzt und traf sie ins Gesicht.

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7

Es war immer noch dunkel, als Nell die Augen öffnete, doch sie hatte keine Ahnung, wie lang sie bewusstlos gewesen war. Ihr erster verwirrter Gedanke war, dass sie im Bett lag und dass die Decke nass und eiskalt war. Dann wurde ihr Blickfeld klar. Nicht die Decke. Schnee. Acht, zehn Zentimeter dick, auf ihr. Es schneite immer noch.

Als habe sie nur darauf gewartet, dass Nell es mitbekam, stürzte die Kälte auf sie ein, packte jedes einzelne Molekül und sagte: Du erfrierst. Du frierst gerade zu Tode.

Sie arbeitete sich auf einen Ellbogen hoch. Zu schnell. Die Welt begann sich zu drehen. Der weiche Abgrund des Himmels und die ragende Wand der Schlucht wirbelten wie Kleidungsstücke im Trockner. Sie wälzte sich auf die Seite und erbrach sich, und danach lag sie einfach da, lange Zeit, wie es ihr vorkam, obwohl ihr Körper nicht nur schauderte, sondern von Zeit zu Zeit auch zuckte, als traktierte jemand sie mit einem elektrischen Viehtreiber. Durch die Kälte hindurch spürte sie zwei verschiedene Schmerzen, einen im rechten Fuß, einen im Schädel. Sie pochten gemeinsam und im Takt ihres Pulses. Beide waren übel, aber sie wusste, sie waren jetzt nicht so schlimm, wie sie bald sein würden. Es war, als teilten sie ihr dies mit, voller Vorfreude – dass sie gerade erst angefangen hatten.

Es kam nicht drauf an. Es kam auf nichts von all dem an. Ich werde meine Mutter nie wiedersehen. Es erinnerte sie an eine Begebenheit, als sie noch sehr klein gewesen war und ihre Mutter in einem Kaufhaus verloren hatte. Schlagartig all die unbekannten Erwachsenen und beängstigend hohen Dinge, die Panik, das blanke Entsetzen ihres Daseins, in der Welt, allein. Die Welt hatte vor ihr verborgen, wie furchterregend sie war – bis zu diesem Moment. Eine halbe Minute später, als Rowena Nell wiedergefunden hatte, hatte die Welt sich wieder zurückgezogen, aber es zu vergessen war unmöglich. Und jetzt war es alles wieder da.

Nell richtete sich ein zweites Mal auf dem Ellbogen auf und sah nach unten. Sie lag auf einem schmalen Vorsprung, der etwa fünf Meter unter der oberen Kante aus der Wand der Schlucht hervorragte. Wäre sie nur zwanzig Zentimeter weiter gerollt, dann wäre sie gefallen, siebzig Meter tief hinunter zu dem dunkelgrünen Fluss und seinen verstreuten Felsen. Auf der anderen Seite hing die Brücke mit verdrehten Streben herab, baumelte lächerlich an einem ihrer riesigen Bolzen.

Die Kette mit dem goldenen Hasen war gerissen. Er lag jetzt neben ihr im Schnee, zwischen Sprenkeln von Blut. Du bist alt genug jetzt. Der Hase markierte die Stelle, bis zu der sie gefallen war. Noch ein paar Zentimeter mehr, und sie wäre jetzt tot. Sie stellte sich vor, dass er sie eine bestimmte, vorgegebene Anzahl von Malen retten konnte. Dies war ein solches Mal gewesen. Sie fragte sich, wie viele ihr noch blieben. Sehr behutsam schloss sie die Finger um den Hasen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie ihn in die Jackentasche manövriert hatte. Sicherheit auf Reisen, eine glückliche Fahrt.

Zentimeter um Zentimeter richtete sie sich auf die Knie auf. Der Schmerz in ihrem Fuß begann die Lautstärke hochzudrehen. Sie biss die Zähne zusammen. Ihr Kopf wurde groß und massiv und heiß, dann kalt und brüchig. Ihre Kopfhaut schrumpfte. Sie konnte nicht aufhören zu schaudern. Sie spürte den Abgrund hinter sich wie ein Gewicht, das ihren Rücken nach hinten zog. »Ich wünschte, du würdest aufhören, überall raufzuklettern. Ich habe Angst, du könntest Affengene haben.« Als ihre Mutter Gene, »genes«, sagte, hatte Nell sich Affenjeans vorgestellt (Schimpansen in kleinen Levi’s), bis Josh die Augen verdreht und es ihr erklärt hatte. Ganz verstanden hatte sie es auch dann noch nicht.

Die Wand der Schlucht war schwarzer, gefrorener Fels mit weißen Adern dort, wo der Schnee haften geblieben war. Nicht ganz senkrecht. Nicht ganz senkrecht, aber trotzdem.

Ich komme zurecht, aber du musst hier weg.

Sie griff nach oben, nach dem ersten geeigneten Vorsprung. Ihre Finger waren taub. Hitze flutete ihr ins Gesicht. Und als sie aufzustehen versuchte, begann der Schmerz in ihrem Fuß zu brüllen.

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8

Paulie Stokes litt Höllenqualen. Sein Sturz hatte ihn mit seinem gesamten Körpergewicht gegen etwas geschleudert, das sich als ein halbmeterhoher, halb unter Schnee verborgener Baumstumpf herausstellte. Sein angewinkeltes linkes Knie war hart dagegengeschlagen, und jetzt, wieder in Sichtweite des Hauses, war der Schmerz so übel geworden, dass er zu fürchten begann, es sei gebrochen.

Er hatte gedacht, sie wäre tot.

Er hatte vielleicht eine Viertelstunde lang dort gestanden. Bis ihr Kopf sich gehoben hatte. Er hatte zugesehen, wie ihr Körper sich zu orientieren begann. Er hatte zugesehen, wie das kleine Miststück zu klettern begann. Zu klettern, Herrgott noch mal.

Xander durfte es nicht erfahren.

Xander konnte und durfte es nicht wissen.

Was, wie Paulie wusste, eine irrwitzige Entscheidung war – aber er hatte sie getroffen. Es gab eine Menge Entscheidungen, die er auf diese Weise traf, in dem Gefühl, dass die Sache, die sie verhindern sollten, nicht zu verhindern war. Er tat dies mit einer Mischung aus Unbekümmertheit, Angst und Faszination. Er lebte ein gewichtsloses, angstvolles, faszinierendes Leben einen Schritt seitlich von Xander. Aber je länger er in Xanders Nähe blieb, desto kleiner und weniger verlässlich wurde dieses Leben.

Und so sagte er sich jetzt in einer Art Endlostraum, dass Xander nichts von dem Mädchen wissen durfte, aber Xander würde es herausfinden, und Xander durfte es nicht wissen, und es war nur eine Frage der Zeit, wann Xander es herausfand, und er würde es ihm nicht sagen, und dann zerstob die Traumschleife wie eine Feuerwerksrakete im Nachthimmel, und er tat einige weitere höllisch schmerzende Schritte, die keinen Raum ließen für irgendetwas außer den gegabelten Blitzen in seinem zerschmetterten Knie, bis die Traumschleife trotzdem wieder begann und Xander es nicht wissen durfte und Xander es mit Sicherheit herausfinden würde und er es ihm nicht sagen würde, und es würde alles in Ordnung sein, und es würde nicht in Ordnung sein.

»Scheiße, wo warst du denn?«, fragte ihn Xander, als er ins Wohnzimmer hinkte. »Was ist los mit dir?«

Die hölzernen Jalousien waren heruntergelassen, und zwei Tischlampen brannten. Sie lieferten ein sanftes, buttriges Licht. Das Zimmer hatte etwas Freundliches, von den cordbezogenen Sofas zu den herumliegenden DVDs mit Kinderfilmen und dem dicken Teppich vor dem Kamin mit seinem Muster aus Quadraten und Rechtecken in verschiedenen Brauntönen.

Die Frau lag auf dem Rücken auf dem Fußboden, so, wie Xander sie hereingezerrt hatte. Ihr hellblauer Slip lag in der Nähe, blutgefleckt. Sie war noch am Leben. Ihr Mund bewegte sich, aber es kam kein Geräusch heraus. Die Vorstellung, was aus ihm werden würde, wenn Xander ihn verließ, bäumte sich urplötzlich in Paulie auf, ein Gefühl wie in dem Traum von der Flutwelle, den er als Kind immer wieder gehabt hatte; in ihm stand er auf einer sonnigen Bohlenpromenade am Strand und leckte ein Eis, das Meer im Rücken, und plötzlich wurde der Himmel finster, und dann drehte er sich um und sah eine dreihundert Meter hohe Wand aus dunklem Wasser auf sich zukommen, durchsetzt mit Haien und Schiffswracks. Zugleich nahm er die Hilflosigkeit der Frau wahr, die verebbende Kraft ihrer nackten Glieder, und es erfüllte ihn, als sei es eine Art von Nahrung, als strömten wundervolle Proteine in ihn hinein.

»Ich hab gedacht, ich hätte jemanden gesehen da draußen«, sagte er. »Aber es war ein Hirsch. Und das blöde Bein hab ich mir verletzt dabei, ich muss das verbinden oder irgend so was.«

»Ein Hirsch?«

Paulie hatte auf seinem stolpernden Rückweg durch die Bäume tatsächlich einen Hirsch gesehen.

»Du hättest sie nicht alleinlassen sollen«, sagte Xander.

»Die hätte sich nicht vom Fleck bewegt.«

»Das kannst du nicht wissen. Das ist dein Problem, du denkst nicht nach. Nicht vom Fleck bewegt, Scheiße, Frauen stemmen Lastwagen hoch, wenn ihre Kinder drunterliegen. Du denkst nicht nach. Ich hab’s dir schon oft gesagt.«

»Okay, okay. Scheiße, Mann, und wenn da wirklich jemand gewesen wäre? Dann würdest du jetzt danke sagen.« Paulie musste den Blick abwenden, als er es aussprach. Xander sah einen an, und die Lügen fielen einfach auseinander. Die Schmerzen in seinem Knie waren ein Segen, weil sie alles andere kurzschlossen.

»Geh dein Bein verbinden«, sagte Xander. »Komm nicht wieder hier rein, bevor ich’s sage. Und, Herrgott noch mal, mach die Hintertür zu, ja?«

Als Paulie hinausgehumpelt war, tat Xander ein paar Schritte zu der auf dem Fußboden liegenden Frau hin. Das Gefühl von Unstimmigkeit, das Gefühl, nicht zu haben, was er brauchte, damit dies richtig lief, war immer noch da, aber es wurde unwichtiger angesichts der hämmernden Fülle seines Körpers und der prickelnden Lebendigkeit der Welt. Ob es den Dingen nun passte oder nicht, jede Kleinigkeit in diesem Zimmer teilte ihm mit, dass das Leben dieser Frau, wie es bis zu diesem Moment auch immer gewesen sein mochte, jetzt vollkommen in seinen Händen lag. Seine eigene kontrollierte Ungeduld war ihm ein tiefes Vergnügen. Es war, als hielte man ein Pferd zurück, von dem man wusste, dass es immer gewinnen würde, ganz gleich, wer die Konkurrenz war. Sie hatte etwas Heiteres an sich, diese Gewissheit von Macht, die Gewissheit des Sieges. Ein Augenblick des Gleichgewichts zwischen Einhalten und Gehenlassen. Man musste warten auf diesen Augenblick und ihn dann so lang wie möglich festhalten, denn die Kapitulation war der süßeste Moment von allen, von einer Süße, die durch jede Zelle ging und jede Bewegung vollkommen machte, die bewirkte, dass alles an einem vollkommen war von den Fingerabdrücken bis zu den Wimpern, und der größte Teil der Erschöpfung fiel ganz einfach ab wie ein verrotteter Zügel, und man war frei.

»Was?«, sagte er zu der Frau, während er auf die Knie ging und das Ohr an ihren Mund legte. »Was sagst du da?«

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9

Rowena Cooper war in die Bewusstlosigkeit hinein- und wieder aus ihr herausgeglitten. Sie erinnerte sich, am Fuß der Treppe aufgewacht zu sein und festgestellt zu haben, dass sie durchweicht und schwer war. Ein fürchterliches verspätetes Begreifen, dass sie von ihrem eigenen Blut durchweicht und schwer war. Der Gewehrkolben hatte sie getroffen wie ein Meteor. Jene letzten Gedankenfragmente: dass sie Josh finden würden; wenn nur Nell sie hörte und floh; dass Nell nicht flüchten würde, dass sie hereinkommen, sehen, schreien würde – und dann würden sie auch sie haben.

Dann Schwärze.

Den Gewehrschuss hatte sie nicht gehört. Sie wusste es nicht.

Aber als sie wieder an die Oberfläche gekommen war, herrschte oben eine unbewegte Stille. Ein totes Wissen hatte den Platz ihres Sohnes eingenommen.

Dann Nell, plötzlich ganz nah, sie roch nach Schnee und Wald, das kleine Gesicht, das wie ein Brandmal auf Rowenas Herz war. Die beängstigende Energie, die es sie gekostet hatte, Nell zum Fortlaufen zu bewegen. Lauf. Zu sagen, sie würde ärgerlich werden, wenn Nell es nicht tat, und im Gesicht ihrer Tochter zu sehen, dass das Kind wusste, der Ärger war vorgeschoben, er verbarg etwas viel Schlimmeres. Es war wie eine Abmachung zwischen ihnen. Die Stärke ihrer Tochter in diesem Augenblick hatte Rowena innerlich zerrissen vor Liebe und Stolz.

Das letzte Bild, nachdem der rothaarige Mann sich vom Boden aufgerappelt hatte: der Anblick, wie er ihr nachrannte, auf die dunkle Linie des Waldes zu. Lauf weiter, Baby, nicht stehen bleiben. Versteck dich, versteck dich zwischen den schützenden Bäumen.

Sie war wieder ins Nichts gesunken, und als sie zurückkehrte, wurde sie an den Knöcheln über den Flur und durch die Wohnzimmertür gezogen. Der leberartige Gestank ihres Blutes mischte sich mit dem Duft des Weihnachtsbaums und dem Wachsgeruch von Geschenkpapier. Sie fror und hatte Durst. (Es ging ihr durch den Kopf, wie lang es doch her war, seit sie auf dem Fußboden gelegen hatte. Wenn man ein Kind war, gehörte der Fußboden zum normalen Ausblick. Dann vergaß man, wie es dort unten aussah, die Scheuerleisten und die geheimen Räume unter dem Sofa mit den verlorenen Gegenständen und Staubflocken.) Sie konnte den Kamin sehen, das Feuerholz, das Josh zuvor aufgeschichtet hatte, bereit zum Anzünden. Nur um die Weihnachtszeit wurde der Kamin jemals angezündet. Es war eins der Rituale, derer Josh sich wenige Jahre zuvor angenommen hatte mit erster, scheuer Männlichkeit. Zum ersten Mal hatte er es getan, ohne darum gebeten worden zu sein. Rowena hatte das leere Zimmer betreten und die Scheite gesehen und dort gestanden und mit den Tränen gekämpft. Ihr Ehemann, Peter, war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als Nell erst zwei gewesen war, Josh fünf. All die Male, als sie gefürchtet hatte, sie allein würde für ihre Kinder nicht genug sein können. Und dann der stille Akt der Kompensation durch ihren Sohn. Eine Woge von Zärtlichkeit und Trauer hatte sie umfangen in diesem Augenblick.

Die Wirklichkeit ihres Sterbens wurde ihr durch das Frieren und den Durst bewusst. Die unendliche Traurigkeit dieser Tatsache. Ihre Zeit, die auslief wie die letzten Sandkörner einer Sanduhr. Verrann. Verrann. Bilder aus ihrer Vergangenheit detonierten: Kindheit in Denver, die Parkettböden und der verwilderte Garten des kleinen Hauses; wie ihr Vater ihr den Hobbit vorgelesen hatte, als sie krank war; der Rausch der ersten Wochen am College in Austin; die Gewissheit, als sie Peter getroffen hatte, die glückliche, sinnliche Hemmungslosigkeit jenes ersten Jahres, Liebe und Lust wie ein irrwitziges Vermögen, das sie geerbt hatten; die freudige Erregung, als sie ihm mitgeteilt hatte, dass sie schwanger war, und das erstaunliche, beiläufige Wissen, dass er es ebenso wollte wie sie, dass dies wirklich und wahrhaftig ihr Leben war, das hier Gestalt annahm; Joshs Geburt, Nell, die chaotischen, alltäglichen, zu wenig gewürdigten Geschenke eines Familienlebens. Dann der Unfall, das zerfetzte Leben, das Akzeptieren, Schritt für Schritt. Die dumpfe Annehmlichkeit der Versicherungssumme und die Rückkehr nach Colorado. Das letzte Haus an der Straße. Ein friedlicher Winkel, in dem die Kinder aufwachsen und die Wunden heilen konnten.

Sie spürte, wie das Bild von der Zukunft sich vor ihr entfaltete – Josh und Nell wuchsen heran, College und Liebesgeschichten und Häuser und wiederum Kinder, Telefongespräche und der Kummer ihrer Abwesenheit und der Friede, wenn sie die Arme um sie legte bei ihrem Nachhausekommen, die Dinge, die sie selbst noch wollte (vielleicht wieder einen Mann, wie ihr Körper ihr in jüngster Zeit mitgeteilt hatte; genug war genug, hatte er gesagt, sie war erst einundvierzig), und bei all dem die Welt als selbstverständlich vorausgesetzt, eine Welt des Sonnenlichts und der roten Blätter auf dem Waldboden und des atemberaubenden ersten Luftzugs vom Meer her – sie spürte, wie all das sich auflöste in Leere, Sinnlosigkeit; ein Verlust, für den sie in sich keinen Raum aufbrachte. Flüchtig erschien ein seltsames Bild von Nells halb gestrichenem Zimmer vor ihrem inneren Auge. Nell hatte die letzten Nächte bei ihr geschlafen, während die Renovierung des Zimmers im Schneckentempo vorankam. Sie würde nie abgeschlossen werden. Es war süß gewesen, ihrer Tochter in der Nacht so nahe zu sein. Sie wollte sich von ihren Kindern verabschieden. Mehr als alles andere wollte sie sie sehen und riechen und hören und halten, ein letztes Mal. Und während der ganzen Zeit kam und ging die Dunkelheit, und mit ihr sehr unbestimmt eine verwirrte Überlegung, ob auf der anderen Seite etwas war und ob sie nach all dem grausigen Kummer Peter wiedersehen würde?

»Was?«, fragte der Mann, das Gesicht dicht vor ihrem. »Was sagst du da?«

Aber eine Blutblase bildete sich zwischen ihren Lippen und platzte. Sie sah die Lampe in der Mitte der Decke, das Glitzern des goldenen Lamettas, spürte, wie die Kälte zu Wärme wurde, während sich ein Bild herausbildete – von Nell, die durch die Schatten im Schnee rannte.

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10

Detective Valerie Hart, San Francisco Homicide, achtunddreißig Jahre alt, wusste genau, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Den vorerst letzten in einer ganzen Reihe von Fehlern, die keine zwei Stunden zuvor damit begonnen hatte, dass sie den Typen – Callum – im warmen Licht der Cocktailbar angelächelt hatte. Er hatte zurückgelächelt, allerdings mit einem Ausdruck selbstgefälliger Überheblichkeit, angesichts derer sie bereits wusste, dass nichts Gutes dabei herauskommen würde.

Während der kurzen Unterhaltung war es nicht besser geworden. Er arbeitete »im Banksektor, aber reden wir nicht drüber, das will doch keiner hören«. Auch nicht im Taxi, als er einen Anruf ignorierte, von dem sie beide wussten, dass er von einer Frau war, und ebenfalls nicht, als er die Wohnungstür hinter ihnen schloss, verfolgte, wie sie ein paar Schritte in den Raum hinein tat, und sagte: »Herrgott, mit dem Arsch gewinnst du jede Diskussion.« Valerie wusste, er hatte es schon unzählige Male gesagt. Und meinte es in ihrem Fall nicht einmal ernst. Sie wusste genau, was sie in seinen Augen war: ein One-Night-Downgrade. Eine Frau, älter als er selbst, die sich auf alles einlassen würde, was er im Bett tun wollte, weil sie dankbar war, überhaupt mit jemandem im Bett zu sein.

Die Wohnung bestätigte ihr den Fehler nur noch zusätzlich. Sie lag im Ashton Complex am Candlestick Park und hatte einen raumhohen Panoramablick auf die Bucht. Valerie kannte das Gebäude. Zwei Schlafzimmer hier kosteten rund vier Millionen Dollar. Es war nicht weiter überraschend, dass die Inneneinrichtung – was irgendein Mietdesigner sich unter Minimalismus (Glas und Stahl) plus Spaßfaktor (Kuhfell auf dem Boden) vorstellte – der Welt mitteilte: Hier lebt ein reiches Arschloch.

Hier war sie nun, und schuld war einzig und allein sie selbst.

»Halt«, sagte sie, als er die Zunge aus ihrem Mund nahm, um Atem zu holen.

Sie lagen auf dem Bett, er auf ihr. Ihre Bluse war offen, und er hatte die Körbchen ihres BHs ungeschickt bis unter ihre Brüste gezogen. Er senkte den Kopf, nahm die linke Brustwarze in den Mund, ließ die Zunge über sie hinwegschnellen. Zwickte sie.

»Halt«, sagte Valerie.

Er ignorierte sie.

Und das ist jetzt eine der Arten, wie es passiert, dachte Valerie. Eine von unzähligen Arten.

»Halt«, sagte sie zum dritten Mal und lauter.

»Scheiße«, sagte er. »Was? Was ist denn?« Unverhohlene Ungeduld. Die zu Gereiztheit werden würde. Die zu Ärger werden würde.

Seine linke Hand lag unter ihrem Kopf, umfasste ihren Nacken. Seine Rechte steckte in dem V ihres geöffneten Reißverschlusses; die Finger ertasteten sie durch den Stoff des Slips hindurch. Herrgott noch mal, Euer Ehren, sie war nass. Ich meine, also wirklich.

Sie war nass. Noch von vorhin. Ein hinreichend großer Teil von ihr hatte dies gewollt, als sie anfingen. Nicht, weil sie sich irgendwelchen Illusionen hingegeben hätte. Genau genommen gerade deshalb, weil sie sich keinerlei Illusionen gemacht hatte. Wenn sie dieser Tage (seit Blasko) mit einem Mann ins Bett ging, dann musste es einer sein, an dem sie über das Körperliche hinaus keinerlei Interesse hatte. Dieser Tage (seit sie die Liebe abgetötet hatte) musste es jemand sein, den sie nicht mochte.

Aber jetzt war da kein hinreichend großer Teil mehr von ihr, der dies wollte. Jetzt war der größte Teil von ihr ganz einfach traurig. Obwohl sie sehr gut wusste, dass Traurigkeit in diesem Moment kein brauchbares Argument war.

Sie legte die Hand gegen seine Brust und drückte, nicht allzu hart, lediglich eine höfliche Mitteilung. »Du musst von mir runterkommen«, sagte sie.

»Na, zumindest zur Hälfte hast du recht«, sagte er. »Ich muss auf jeden Fall kommen.« Seine Hand drückte sich härter zwischen ihre Beine. »Ist schon okay, wenn du spielen willst«, meinte er. »Solange es nicht blutig wird.«

»Das ist es nicht«, sagte sie, während sie ihn ein zweites Mal wegschob. »Runter von mir.«

»Deine Muschi sagt was anderes«, erwiderte er.

List oder Gewalt. Das waren ihre Optionen. Argumente ganz sicher nicht. Er wog um die hundertsiebzig Pfund, schätzte sie, und die Eitelkeit trieb ihn drei-, viermal pro Woche ins Fitnessstudio. Ihr Polizeischultraining lag lange, lange zurück, und sie hatte die Workouts seit Wochen schleifen lassen, aber der Gedanke, sich mit Tricksereien unter ihm herauszuarbeiten, ermüdete sie. Hey, ich habe noch Koks in der Handtasche. Ziehen wir doch ein paar Lines. Er würde ihr nicht glauben. Er hatte ihren Stimmungsumschwung bemerkt. Bei der praktischen Ausbildung an der Polizeischule war jede Einheit Selbstverteidigung vom Mantra ihres Ausbilders begleitet worden: Du wirst überleben. Du wirst überleben. Du wirst überleben.

Leahs Auge Gabel Ballon die Schweinerei zwischen Shylas Beinen Yun-seos Leiche Flecken von Erde er hat allein angefangen zu flaches Grab Fluss aufhören –

Aufhören. Aufhören.

Ihre Handtasche war fünf Meter entfernt, auf der Armlehne des cremefarbenen Ledersofas, wo sie sie abgelegt hatte.

Dritte Option: List und Gewalt.

Sie ließ sich unter ihm erschlaffen. Sie hatte seit zwei Wochen eine Erkältung. Sie spürte das Pochen in den Nebenhöhlen.

»Das ist besser«, sagte er, während er sich mit der linken Hand abstützte, um sie besser zu sehen; die Rechte glitt unter den Rand ihres Slips. »Braves Mädchen.«

Sie schob das rechte Knie unter seins, fand Halt mit dem Absatz (die Schuhe hatte sie immer noch an) – und schlug ihm mit aller Kraft seitlich gegen den Hals.

Er war so fassungslos über den Schmerz, dass sie das rechte Bein kaum mit ganzer Kraft einsetzen musste, um ihn von sich zu schleudern, aber über solche Abwägungen war sie inzwischen hinaus. Es dauerte drei Sekunden, bis sie vom Bett herunter und bei ihrer Handtasche angekommen war.

Aber Vorsicht, hatte der Ausbilder zu ihnen allen gesagt. Mit einem Schlag gegen die Kehle kann man so einen Dreckskerl umbringen.

Dieser Dreckskerl war nicht tot. Er kniete auf dem Bett, umklammerte seinen Hals und schluckte, schluckte, schluckte.

»Scheiße, was zur Hölle …?«, keuchte er beim Anblick der Glock in ihrer Hand. »Was soll das?«

Valerie war eine Mischung aus Adrenalin und Leere. Sie schloss den Reißverschluss und brachte den BH wieder an Ort und Stelle.

»Herrgott, bist du« – Schlucken – »ein Cop?«

Valerie knöpfte sich die Bluse zu. Ihr Mantel lag auf dem Fußboden neben dem Sofa. »Halt einfach den Mund und bleib, wo du bist«, sagte sie ruhig. Ihr Gesicht war heiß. Sie spürte, wie die tage-, wochen-, monatelange Erschöpfung sich schwer über das Adrenalin legte, darauf wartete, dass seine Wirkung nachließ; dann würde sie hindurchkrachen wie das Meer durch Fensterglas.

»Hör zu«, sagte er, eine Hand erhoben, die Handfläche nach vorn, sein ganzer Körper damit beschäftigt, zu einem Bild fleischgewordener Unschuld zu werden, »wir haben doch einfach bloß« – Schlucken – »Ich meine, ich wollte ja nicht …«

»Es ist viel besser für dich, wenn du nicht redest«, sagte Valerie, während sie den Mantel anzog. Der Klang ihrer eigenen Stimme widerte sie an. Der Beweis dafür, dass dies kein Traum war, sondern eine reale Situation, in die sie sich selbst gebracht hatte.

Als sie fertig war, trat sie ein paar Schritte näher an das Bett heran, die Waffe direkt auf ihn gerichtet.

»Hey«, sagte er zitternd. »Hey, Herrgott noch mal, jetzt hör aber auf.« Schlucken. »Es tut mir leid. Mach jetzt nichts Verrücktes. Ich hab dir nichts getan. Ich hab dir nichts getan!«

»Was tut dir dann leid?«

Er schüttelte den Kopf. Unglauben. Wie hatte ihm das passieren können? Wie war es möglich, dass ihm das passierte?

Es gab eine Menge Dinge, die sie hätte sagen können. Laura Flynn, eine ihrer Kolleginnen, hatte vor kurzem erst gesagt: »Gebt jeder Frau eine Marke und eine Schusswaffe, dann könnt ihr sehen, wie die Zahl der Vergewaltigungen abnimmt.« Was Valerie am liebsten zu dem Mann auf dem Bett gesagt hätte, war: Und das ist die Art und Weise, wie es passiert.

Aber aus irgendeinem Grund erstarben ihr die Worte im Mund. Sie wollte einfach nur nach Hause gehen.

Die Waffe immer noch auf ihn gerichtet, ging sie rückwärts aus dem Schlafzimmer, drehte sich dann um und verließ die Wohnung, wobei sie die Tür hinter sich schloss.

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11

Sie wachte um halb fünf Uhr morgens nach einer Stunde und fünfunddreißig Minuten traumverseuchten Schlafs zum Klang von Lyrik auf. Was durchaus so gewollt war: Vor einer Weile hatte sie den Radiowecker auf einen digitalen Sender eingestellt, auf dem die ganze Nacht über Gedichte vorgelesen wurden. Gedichte ergaben keinen Sinn. Aber sie schenkten einem etwas. Dies war eine Wahrheit aus dem kleinen Vorrat von Wahrheiten, die sie entdeckt hatte. Ein jammervoll kleiner Vorrat. Wie die letzten kleinen Münzen eines Penners in einer Welt, in der man tausend Dollar pro Tag brauchte, wenn das Leben erträglich sein sollte.

»… Er muss/Erfüllt von Ödnis werden«, rezitierte die sanfte Männerstimme im Radio. »Banalen Plagen/Wie Liebe ausgesetzt, gerecht bei den Gerechten/Verworfen, wenn er’s muss, Und wenn er kann, am eignen Leib erdulden/Des Menschen ganze Unbill, Pein und Schulden.«

Valerie schaltete das Gerät aus. Des Menschen ganze Unbill. Am eignen Leib. Verworfen. Gerecht bei den Gerechten.