Ich will immer für dich da sein - Britta Frey - E-Book

Ich will immer für dich da sein E-Book

Britta Frey

5,0

Beschreibung

Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Die Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! Ein sanfter Schleier lag noch über der frühmorgendlichen Heide, als Barbara Honert die Haustür öffnete und ins Freie hinaustrat. Das elegante Köfferchen in ihrer Hand wog leicht, denn der Besuch bei Mutter und Söhnchen war wieder einmal kurz gewesen – zu kurz, wie sie nun an deren Gesichtern ablas. »Mami, warum fliegst du nach Rom?« fragte Daniel und rieb sich die verschlafenen Augen, während er zu seiner Mutter hochblinzelte. »Ich fliege heute nicht nach Rom, Dani«, sagte Barbara Honert, und ihre gepflegte Hand legte sich einen Moment auf den blonden Lockenkopf ihres kleinen Sohnes, »ich fliege nach New York, und das ist ein bißchen weiter.« »Und warum fliegst du nach Ne…, und warum fliegst du dahin?« Daniels Augen versuchten einen Halt zu finden an der kühlen beruflichen Eleganz eines Kostüms, das in der korrekten Uniformierung der Stewardessen nur schwer eine Beziehung zuließ. Barbara Honert stellte das Köfferchen nun doch noch einmal ab und nahm ihren Sohn, der in seinem verrutschten Schlafanzug neben seiner Omi stand, auf die Arme. »Schau, Mami verdient damit ihr Geld – das verstehst du doch?« Ihr Lächeln, bereits wieder auf den beruflichen Tag gerichtet, war schon etwas fern und flüchtig. Daniels Augen waren sehr blau und sehr fragend, denn er sollte etwas verstehen, was über seine vier Lebensjahre hinausging. Aber Omi sagte immer, daß er ein kluger Junge sei, und unbewußt ahnte er, daß kluge Jungen keine dummen Fragen stellten. Also nickte er und sah seiner hübschen Mutter in das perfekt geschminkte Gesicht. »Na, siehst du«, sagte Barbara Honert, und ihre Stimme klang zufrieden. Sie küßte den Kleinen rasch auf seine roten Schlafbäckchen, bevor sie ihn auf den Boden zurückstellte. Und während sie nun eilig das Köfferchen wieder aufnahm, mahnte sie: »Sei bitte lieb und mach der Omi keine Sorgen…« Daniel nickte und griff automatisch nach der Hand Else Honerts, während er seiner Mutter nachsah, die jetzt unverzüglich in ihren Wagen stieg, um ihn auf die Landstraße zurückrollen zu lassen. Von dort hob sich ihre Hand noch einmal winkend zu den beiden Personen hin, die unter der Tür des kleinen Heidehauses standen, bevor das lange Band der Landstraße sie mit rascher Fahrt aufnahm.

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Kinderärztin Dr. Martens Classic – 6 –

Ich will immer für dich da sein

… denn jetzt bin ich dein Vater

Britta Frey

Ein sanfter Schleier lag noch über der frühmorgendlichen Heide, als Barbara Honert die Haustür öffnete und ins Freie hinaustrat. Das elegante Köfferchen in ihrer Hand wog leicht, denn der Besuch bei Mutter und Söhnchen war wieder einmal kurz gewesen – zu kurz, wie sie nun an deren Gesichtern ablas.

»Mami, warum fliegst du nach Rom?« fragte Daniel und rieb sich die verschlafenen Augen, während er zu seiner Mutter hochblinzelte.

»Ich fliege heute nicht nach Rom, Dani«, sagte Barbara Honert, und ihre gepflegte Hand legte sich einen Moment auf den blonden Lockenkopf ihres kleinen Sohnes, »ich fliege nach New York, und das ist ein bißchen weiter.«

»Und warum fliegst du nach Ne…, und warum fliegst du dahin?« Daniels Augen versuchten einen Halt zu finden an der kühlen beruflichen Eleganz eines Kostüms, das in der korrekten Uniformierung der Stewardessen nur schwer eine Beziehung zuließ.

Barbara Honert stellte das Köfferchen nun doch noch einmal ab und nahm ihren Sohn, der in seinem verrutschten Schlafanzug neben seiner Omi stand, auf die Arme.

»Schau, Mami verdient damit ihr Geld – das verstehst du doch?« Ihr Lächeln, bereits wieder auf den beruflichen Tag gerichtet, war schon etwas fern und flüchtig.

Daniels Augen waren sehr blau und sehr fragend, denn er sollte etwas verstehen, was über seine vier Lebensjahre hinausging. Aber Omi sagte immer, daß er ein kluger Junge sei, und unbewußt ahnte er, daß kluge Jungen keine dummen Fragen stellten. Also nickte er und sah seiner hübschen Mutter in das perfekt geschminkte Gesicht.

»Na, siehst du«, sagte Barbara Honert, und ihre Stimme klang zufrieden. Sie küßte den Kleinen rasch auf seine roten Schlafbäckchen, bevor sie ihn auf den Boden zurückstellte. Und während sie nun eilig das Köfferchen wieder aufnahm, mahnte sie: »Sei bitte lieb und mach der Omi keine Sorgen…«

Daniel nickte und griff automatisch nach der Hand Else Honerts, während er seiner Mutter nachsah, die jetzt unverzüglich in ihren Wagen stieg, um ihn auf die Landstraße zurückrollen zu lassen. Von dort hob sich ihre Hand noch einmal winkend zu den beiden Personen hin, die unter der Tür des kleinen Heidehauses standen, bevor das lange Band der Landstraße sie mit rascher Fahrt aufnahm.

Else Honert schaute dem Wagen mit der Nachdenklichkeit nach, die sie immer überkam, wenn ihre Tochter nach einem ihrer kurzen und oft überraschenden Besuche wieder zum Hamburger Flughafen zurückeilte, um als Stewardeß eines der Flugzeuge zu besteigen, zu deren jeweiliger Crew sie gehörte.

»Gehen wir frühstücken«, sagte sie etwas ratlos resigniert und wandte sich ins Haus zurück, ihre Hand hielt die Hand ihres kleinen Enkels.

»Und was machen wir danach?« fragte Daniel und machte mit dieser Frage den langen Tag deutlich, der vor ihnen lag.

Else Honert seufzte. Sie war über sechzig Jahre alt und spürte diese Jahre oft auch als anstrengende Tatsache gerade durch die Lebendigkeit ihres Großsohnes. Er hielt sie in Atem, und diese Atemlosigkeit, die er ihr tagaus, tagein verschaffte, hatte sie die Grenzen schon oft ahnen lassen, an der ihre Kraft für die Anstrengung nicht mehr ausreichen würde.

»Ich möchte ein Honigbrötchen!« unterbrach Daniel ihre Gedanken und lief ihr in die Küche voraus.

»Wir werden dich erst einmal waschen und anziehen«, sagte sie und versuchte ihrer Stimme einen bestimmten Ton zu geben.

»Och, Omi, warum denn?« Daniel zog ein langes Gesicht. »Bei Mami muß ich mich auch nicht erst anziehen.«

»Das sind Ausnahmen, die wir aber nicht für jeden Tag einreißen lassen«, mahnte sie. »Als ich ein kleines Kind war, mußte ich mich auch immer zum Frühstück anziehen.«

»Als du ein kleines Kind warst?« Daniel erkletterte den Stuhl und stützte die Ärmchen auf den Küchentisch auf, und indem er den Kopf in die Hände nahm, sah er sie aus großen Augen an. Die Vorstellung, daß seine Omi einmal ein kleines Kind gewesen sein sollte, war etwas ganz Unvorstellbares, und man sah es ihm an.

»Ist das lange her?« forschte er daher erst einmal und sah sie aufmerksam von der Seite an.

Else Honert nickte. »Ja, sehr lange.«

»Was ist sehr lange?«

»Sehr lange ist, wenn man graues Haar bekommt, nicht mehr so schnell laufen kann – und es hier und da mal etwas weh tut.«

»Mit tut hier und da auch mal etwas weh«, wiederholte er teilnehmend ihre Worte und griff dann nach einem Brötchen.

Else Honert mußte lachen. »Das ist bei dir ganz etwas anderes.«

Daniel verstand das nun wieder überhaupt nicht und biß erst einmal in das Brötchen.

Else Honert seufzte und ließ für heute den Schlendrian noch mal durchgehen. Sie setzte sich zu dem Kleinen an den Küchentisch, nahm ihm das trockene Brötchen aus der Hand und bestrich es mit Butter und Honig.

Der kleine Enkel war ihre Freude, aber diese Freude konnte sie nicht ohne Zukunftsangst genießen. Und immer wenn ihre Tochter in die Weit hinausflog, kamen die Gedanken und setzten ihr zu.

Ob Barbara bedacht hatte, was es hieß, ein Kind allein großziehen zu wollen, ohne Vater und nur mit Hilfe ihrer Mutter, die nicht mehr die Jüngste war?

Daniel hatte einen Vater – und hatte doch keinen Vater! Er hatte ihn nie gesehen – und würde ihn wohl auch nie sehen! Ein verheirateter Mann, den ihre Tochter sich lediglich als Traummann für die Zeugung ihres Wunschkindes ausgeguckt hatte!

Schlimm genug, das Ganze, fand Else Honert, zumal es so bewußt geschehen war. Was waren das für Zeiten? Die alte Dame verstand die Welt nicht mehr. Ihre Tochter hatte ein Kind gewollt, aber keinen Ehemann! Freiheit nannte sie das, und Else Honert fragte sich, auf wessen Kosten so ein Denken ging.

Manchmal sah sie die Kinder im Dorf an, die an der Hand ihrer Väter gingen, und ein Gefühl von traurigen Verzicht beschlich sie, wenn sie an den kleinen Enkel dachte. Ihm würde einmal diese Erfahrung fehlen, die männliche Bezugsperson, die seiner normalen Entwicklung gutgetan hätte.

»Omi, ich möchte eine Milch!« rief Daniel und schreckte sie aus ihren Gedanken auf.

Und während sie ihm die Milch holte, fragte er erneut: »Und was machen wir nachher?«

»Wir gehen für das Mittagessen einkaufen.«

»Und dann?«

»Dann wirst du etwas spielen, während ich die Mahlzeit zubereite.« Die Tatsache, daß sie ihn hier auf dem Lande auch einmal eine Weile unbeaufsichtigt lassen konnte, war eine große Erleichterung. Aus dem Grunde war sie auch vor einem Jahr in die Heide hinausgezogen, da ihr die weite stille Landschaft für die gesunde Entwicklung des Kindes geeigneter schien als die laute verschmutzte Großstadt.

Für ihre Tochter war diese Entfernung von Hamburg zwar eine zusätzliche Anstrengung, wenn sie während ihrer meist kurzen Aufenthalte zwischen den Flügen erst so weit hinausfahren mußte, aber in diesem Fall hatte Else Honert sich im Interesse des Kindes durchgesetzt.

Das kleine Häuschen in der Heide gehörte ihr ohnehin und stellte somit keine zusätzliche finanzielle Belastung dar.

»Und wenn wir zu Mittag gegessen haben?« fragte Daniel und wollte die Planung des Tages so sicher vor sich sehen wie das Brötchen, das er gerade aß.

»Wir unternehmen einen Spaziergang in die Heide hinaus – einverstanden?«

Er nickte und schlürfte hingebungsvoll seine Milch, während der kurze Besuch seiner jungen hübschen Mami schon wieder so weit aus seinen Gedanken verschwunden war, als hätte er nie stattgefunden.

*

Die Wärme des Nachmittags brütete über der friedlichen Heide, trug in der flirrenden Luft das tausendfache Summen der Bienen an die beiden Spaziergänger heran.

»Sieh, wie fleißig die Bienen sind!« sagte Else Honert und blieb einen Moment stehen, um ein wenig zu verschnaufen und auf den weiten blühenden Heideteppich zu zeigen. Sie lüftete ein wenig das Strohhütchen, welches die Sonne abhielt und das Licht von den Augen nahm.

»Ja«, sagte Daniel interessiert und ging vor einem der Heidekrautbüsche in die Hocke, um sich die Arbeit der Bienen genauer anzusehen. Seine Omi hatte ihm erzählt, wie die Bienen den Nektar sammelten und ihn dann in den Bienenstock trugen, der bei Imker Lüns im Garten stand. Dort arbeiteten sie an dem Honig, den er morgens auf seinem Brötchen aß.

Else Honerts Blicke schweiften über die stille Weite der Heidelandschaft, ihr teils flaches und auch wieder welliges Auf und Ab, das scheinbar kein Ende nahm. Sie war ein wenig erschöpft und schaute sich nach einem schattigen Plätzchen unter den vereinzelt stehenden Birken und Kiefern um.

»Was meinst du, wollen wir jetzt unser Picknick einlegen?« fragte sie und schaute auf den blonden Lockenkopf ihres Enkels hinab.

Daniel ließ augenblicklich von der Beobachtung der Bienen ab und nickte begeistert, während er sein lebhaftes Jungengesicht zu ihr emporhob.

»Schau, setzen wir uns dort drüben in den Schatten«, sagte sie und zeigte auf eine Birke, deren Zweige so ausladend waren, daß ein Verweilen unter ihr ein wenig Kühle verhieß.

Daniel, ein neues Ziel vor Augen, rannte los, während Else Honert einen Moment die Hand aufs Herz legte. Und bevor sie ihm nun langsam folgte, rief er bereits: »Komm, Omi, schnell! Hier sind auch Kaninchenlöcher!« Er lag bereits auf seinen braunen Knien, um einen Blick in die Tiefe der kleinen dunklen Höhlen zu erhaschen.

»Keine da!« stellte er kurz darauf enttäuscht fest, als auch sie herangekommen war. Das Herz machte ihr bei der Witterung zu schaffen, und als die leichte Decke unter der Birke einladend ausgebreitet lag, ließ sie sich erleichtert darauf nieder und streckte die Beine aus.

»Ich habe Durst, Omi«, sagte Daniel und setzte sich neben sie. Seine Aufmerksamkeit galt jetzt dem Leinenbeutel, der die Safttüten und Kuchenstückchen enthielt.

»Ja, ich auch«, lächelte sie, »jetzt werden wir uns erst einmal stärken.« Sie streichelte seine erhitzten Bäckchen und entnahm dann dem Beutel die Köstlichkeiten.

Daniel schien ganz dem Glück der Stunde hingegeben, während er genüßlich den Saft mit dem Strohhalm aus der Papptüte sog.

»Nicht so hastig«, mahnte sie, vernahm aber bereits die Geräusche, die besagten, daß die Tüte leer getrunken war.

»Wo sind die Kaninchen?« fragte er dann und behielt die kleinen Bodenlöcher im Auge.

»Sie werden so wie wir unterwegs sein und da draußen irgendwo ein Picknick halten.«

»Soll ich mal nach ihnen suchen?« Else Honert schüttelte den Kopf. »Jetzt iß erst einmal deinen Kuchen.«

»Was essen die Kaninchen?«

»Ich denke, Gras und Klee.« Else Honert nahm nach der Stärkung das Hütchen vom Kopf und legte sich ein wenig auf die Decke zurück.

Daniel tat es ihr erst nach, und sie lächelten einander zu. Dann sah er in den hohen blaßblauen Himmel, aber bis auf einige vorüberfliegende Vögel war da nicht viel zu sehen, und er richtete sich wieder auf.

Die Löcher im Boden waren da weitaus aufregender, und er fieberte dem Auftauchen eines Kaninchens entgegen. Ob er sich doch einmal nach ihnen umsah? Er schaute zu seiner Omi hin, und als er bemerkte, daß sie die Augen geschlossen hatte, hielt es ihn nicht länger auf der Decke, und er stand auf und ging leise davon.

Ratlos sah er eine ganze Weile auf die Kaninchenbauten, bevor seine Augen die Tiere in der Weite der Heide zu entdecken versuchten.

Das flirrende Licht spiegelte ihm allerlei scheinbare Bewegungen vor, und er folgte schließlich diesen Verlockungen, wie ihnen nur ein kleiner Junge folgen kann, dessen abenteuerliche Entdeckerfreude keine Grenzen kannte.

So lief er von Punkt zu Punkt, und als nach einer Weile tatsächlich eines der Hoppeltiere aufsprang und in munteren Sätzen davonlief, kannte seine Aufregung keine Grenzen mehr, und er drang weiter und weiter in die Heide vor.

Zeit und Entfernung waren in seinem Alter unbekannte und schwer abschätzbare Dinge, und wenn er sich dann und wann umwandte, schien ihm immer die nächststehende Birke die zu sein, unter der seine Omi gerade schlief.

Das leuchtende Warnschild am steil abfallenden Abbruchrand einer Sandgrube erregte zwar seine Aufmerksamkeit, erfuhr aber nicht seine Deutung, da er noch nicht lesen konnte Das »Betreten verboten – Abräumgebiet!« erreichte ihn daher nicht als Warnung, sondern lediglich als eine hochstehende Tafel, weithin sichtbar und ganz und gar ungefährlich.

So lief er über diese Warnung hinaus und stand kurz darauf am brüchigen Rand der Grube, um aus der Höhe in eine unverhoffte Tiefe zu sehen, die sich in einem weiten auslaufenden Becken bis an den gegenüberliegenden Horizont zu erstrecken schien.

Das Ganze wäre nun gar nicht so interessant für Daniel gewesen, wenn nicht in der Tiefe des Abbaugebiets diese aufregend mächtigen Fördermaschinen gestanden hätten.

Aus schwindelnder Höhe erblickte er direkt unter sich einen Schaufelbagger, der so viel faszinierender als sein eigener kleiner Spielzeugbagger war, der bei Omi im Vorgarten lag, und mit dem er ihre Blumenbeete ruinierte.

Aber das mächtige Ungetüm dort unten stand still, und die anderen Fördergeräte ebenfalls, wie er aufmerksam registrierte – bis hin zu dem Lastwagen, der in der Entfernung schon klein wirkte.

Daniel sah eine ganze Weile ratlos erstaunt auf das stille weite Tal, auf die ruhenden Maschinen, denn mit dem Begriff »Wochenende« konnte er nichts anfangen.

Dann kehrten seine Blicke voller Faszination zu dem Bagger zurück.

Ob er sich das Ding einmal aus der Nähe ansah? Der Wunsch ließ seine Bäckchen rot werden vor Aufregung, als er das dachte und sich dem Abbruchrand bis zur äußersten Kante näherte. Und so wenig er in seinem Alter Entfernungen abzuschätzen vermochte, so wenig erkannte er die gefährliche Höhe, als er sich entschloß, hinunterzuklettern.

Ratlos versuchte er eine Weile unter den überhängenden Gras- und Heidekrautbüscheln die ideale Stelle zu finden, ließ dabei aber als Fixpunkt den mächtigen Bagger nicht aus den Augen.

Die Grasnarbe, auf die er schließlich seine kleinen Füße setzte, war gezackt abgerissen über bloßliegenden Erdreichschattierungen und brach in dem Moment weg, als sein ganzes Gewicht darauf stand.

Er fiel nicht nach hinten, was ihn vielleicht rutschend nach unten gebracht hätte, sondern stürzte kopfüber in die Tiefe.

Der mächte Schaufelbagger, zu dem er gewollt hatte, fing ihn schließlich auf und ließ ihn bis unter seinen mächtigen stählernen Panzer rollen, wo der kleine zerschundene Körper endlich zur Ruhe kam.

Den blonden Lockenkopf gegen das Eisen gelehnt, blieb das Gesicht Daniels still, weich und wie schlafend – dem erträumten Ungetüm jetzt so nah und doch so fern…

*

Die Sonne stand tief, als Else Honert erwachte und eine Weile in den Himmel sah, bevor sie wußte, wo sie war.

Nun wandte sie den Kopf ein wenig zur Seite, aber der Platz neben ihr war leer. Etwas steif vom langen Liegen auf dem harten Boden richtete sie sich auf, griff automatisch nach dem Strohhut und setzte ihn gedankenlos auf die weißen Löckchen.

»Daniel!«

Der Ruf war nicht sehr laut, und Else Honert schaute suchend in alle Richtungen. Sie erkannte, das Licht hatte sich verändert, war jetzt nicht mehr flirrend, sondern ruhig und klar. Erst jetzt sah sie auf ihre Armbanduhr und erschrak.

»Oh, Daniel!« rief sie nun erschrocken und lief auf ein wenig zittrigen Beinen ratlos eine Weile im Kreis. Dabei strich sie den Rock glatt, wie Frauen es automatisch tun, und blickte suchend über die friedliche Landschaft. Wie konnte sie nur so lange schlafen!

Aber von ihrem Enkelsohn war weit und breit nichts zu sehen. Das Gelände war übersichtlich, und wenn er in der Nähe gewesen wäre, so hätte sie ihn sehen müssen.

Mit großer Anstrengung rief sie wiederholt seinen Namen, ohne daß ein Gegenruf sich einstellte – oder das leuchtend blonde Kind zwischen den Büschen aufgetaucht wäre.

Ratlos stand sie da in den letzten Sonnenstrahlen, die ein goldenes Licht über die friedliche Heide schickten. Dann bückte sie sich gedankenlos nach der Decke, nahm sie zusammen und griff nach dem Leinenbeutel.

Der Kirchturm und die ihn im kleinen Kreis umstehenden Häuser mit den roten Dächern kamen nur langsam näher, und als sie schließlich doch an der weißen Gartenpforte ihres Hauses lehnte, hielt sie sich erst einmal aufatmend fest, während ihre Augen das Kind bereits im Garten suchten.

Aber alles war beängstigend still, und voller Beklemmung trat sie den Rundgang an, der sie schließlich ratlos an die Pforte zurückkehren ließ.

Der winkende Gruß ihrer Nachbarin traf sie wie ein Rettungsanker, und sie lief auf die junge Frau zu.

»Guten Tag, Frau Honert!« rief Gerda Brennecke und kam an den Zaun. »Sie waren spazieren?«

Else Honert nickte, und ihre Stimme klang aufgeregt, als sie sofort fragte: »Haben Sie Daniel gesehen? Wir waren zusammen in der Heide, und ich bin auf der Decke eingeschlafen. Als ich erwachte, war er spurlos verschwunden…«

»Zurückgekommen ist er nicht, ich war im Garten und hätte ihn sehen müssen, Frau Honert.« Gerda Brennecke legte die Harke aus der Hand und kam nun auf den Weg hinaus. »Vielleicht hat er sich verlaufen!«

»O Gott!« stammelte Else Honert und tastete nach dem Zaun.

»Können Sie mir den Platz beschreiben, wo Sie Ihr Picknick abgehalten haben? Ich laufe rasch noch mal hinaus…«, bot Gerda Brennecke an.

»Nein, nein, ich komme mit!«

»Werden Sie es schaffen?« Die junge Frau hatte so ihre Bedenken, wenn sie die alte Dame anschaute.

»Ja, sicher, wenn ich mich nur ein wenig einhängen darf?« Sie sah Gerda Brennecke an. »Es wird ihm doch nichts passiert sein?«

»Aber, Frau Honert, was soll ihm in unserer gutmütigen Heide schon geschehen?« lachte die junge Frau, während sie bereits wieder den Weg entlangschritten, den die alte Dame gerade hinter sich gebracht hatte.