Kinderärztin Dr. Martens Staffel 2 – Arztroman - Britta Frey - E-Book

Kinderärztin Dr. Martens Staffel 2 – Arztroman E-Book

Britta Frey

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Beschreibung

Als ihr Mann Rüdiger sie verlässt, bricht für Roxanne eine Welt zusammen. In ihrem Schmerz ist sie nahezu handlungsunfähig und vernachlässigt sich und ihre 8-jährige Tochter Jennifer. Da holt ihr Vater, Alfred Konrads, sie zu sich nach Hause und versucht, sie wieder aufzubauen. Jennifer vermisst ihren Vater und leidet sehr unter den neuen Verhältnissen, die sie sich nicht erklären kann... E-Book 1: Angst um Jasmin E-Book 2: Alles Glück für meinen Jungen E-Book 3: Die Idylle trügt E-Book 4: Ein Kind sehnt sich nach Wärme E-Book 5: Tanja sucht den Regenbogen E-Book 6: Gib nicht auf, Isabell! E-Book 7: Zwei wie Pech und Schwefel E-Book 8: Blumen für Dr. Hanna Martens E-Book 9: Heike soll wieder glücklich werden E-Book 10: Hänschen im Glück

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Inhalt

Angst um Jasmin

Alles Glück für meinen Jungen

Die Idylle trügt

Ein Kind sehnt sich nach Wärme

Tanja sucht den Regenbogen

Gib nicht auf, Isabell!

Zwei wie Pech und Schwefel

Blumen für Dr. Hanna Martens

Heike soll wieder glücklich werden

Hänschen im Glück

Kinderärztin Dr. Martens – Staffel 2–

E-Book 11-20

Britta Frey

Angst um Jasmin

Wenn sie nur wieder gesund wird

Roman von Frey, Britta

»Fritz, was ist los mit dir? Du stocherst in deinem Essen herum als wären es Sägespäne.«

»Ich weiß auch nicht, Mutter. Ich hab ein bißchen Bauchweh.« Als er aber Mutters besorgtes Gesicht sah, sagte er schnell: »So schlimm ist es auch wieder nicht, es zwickt nur ein wenig.«

»Hast du vielleicht unreife Äpfel gegessen?«

Zögernd sagte Fritz: »Nein. Aber ich war mit Vater doch in Celle, da hab ich eine große Portion Eis vertilgt.«

Wie jede Mutter machte sich Helmi Trummert doch Sorgen um ihr Kind. Sie überlegte, ob sie nicht gleich den Doktor rufen sollte. Ihr Mann Kurt war noch am Spätnachmittag zu einem Kunden gerufen worden, dessen Fernsehapparat streikte. Hoffentlich kam er bald zurück.

»Du legst dich am besten gleich ins Bett, Fritz. Ich mache dir einen Pfefferminztee, den trinkst du ganz langsam, dann geht es dir bald wieder besser.«

Fritz stand sofort auf, ging ins Bad und putzte sich die Zähne. Den Brechreiz, den er verspürte, unterdrückte er mit Mühe. Als er im Bett lag, fröstelte es ihn plötzlich, obwohl es ein warmer Augusttag war.

Er war für seine sieben Jahre groß und kräftig. Bisher war er nie krank gewesen. Mal einen Schnupfen, sonst nichts. Fritz, der vor dem Einschlafen immer gern noch ein wenig las, fühlte sich so apathisch, daß er sich gleich auf die Seite drehte, um schlafen zu können. Doch plötzlich spürte er einen stechenden Schmerz im Unterleib. Erschrocken dachte er, das wird doch nicht der Blinddarm sein?

Langsam drehte er sich wieder auf den Rücken und tastete vorsichtig seinen Bauch ab.

Mutter kam ins Zimmer. »Hier ist der Tee, Fritz. Trink ihn ganz langsam mit kleinen Schlucken. Du wirst sehen, er renkt deinen Magen wieder ein.«

»Du hast sicher recht, Mutter.«

»Ich sehe noch einmal nach dir, bevor ich ins Bett gehe.« Sie beugte sich zu ihm herab und gab ihm, wie jeden Abend, einen Kuß auf die Wange.

»Versuch zu schlafen, mein Fritzchen.«

Als sie die Treppe nach unten ging, dachte sie: Hoffentlich kommt Heinz bald zurück, aber wie ich ihn kenne, trinkt er im Heidekrug noch ein Bier – und wenn er noch ein paar Sportsfreunde trifft, wird es bestimmt später.

Seufzend nahm sie die Mohrrüben und das Gulasch vom Herd. Sie hoffte sehr, daß ihr Mann doch bald nach Hause kam.

Helmi Trummert holte ihr Strickzeug aus dem Handarbeitskorb und machte es sich auf der Bank im Garten bequem. Doch heute klapperten ihre Nadeln nicht so eifrig wie sonst hin und her, dafür war sie zu unruhig. Um Heinz machte sie sich keine Gedanken, er war ein zuverlässiger und fleißiger Mann. Doch Fritz war heute trotz seiner Sonnenbräune ziemlich blaß. Nie hatte er ihnen Kummer oder Sorgen gemacht. Er war der Beste in der Schule – und er freute sich schon, daß er bald in die zweite Klasse kam. »Ich will doch einmal Arzt werden«, hatte er der Mutter anvertraut.

Helmi, schalt sie sich, du machst dir unnötige Sorgen. Morgen ist Fritz wieder munter und wohlauf.

Die untergehende Sonne verzauberte den Garten. Die Rosen dufteten berauschend, und die Margeriten hatten einen rosigen Schimmer. Wie ruhig und still es hier ist, dachte sie zufrieden. Ein paar Vögel zwitscherten leise ihr Abendlied, und eine Amsel hüpfte noch recht munter im Rasen umher und pickte eifrig.

Doch ihre innere Unruhe ließ Helmi wieder aufstehen und ins Haus gehen. Die Schlafräume lagen im ersten Stock. Leise ging sie nach oben und öffnete die Tür ihres Fritzchens. Er hatte den Tee zur Hälfte ausgetrunken. Sein Schlaf war unruhig, die Decke hing halb auf dem Boden. Sie berührte seine Stirn, sie war schweißnaß. Er hat Fieber, dachte sie und ging ins Bad, das Thermometer zu holen.

Als sie zurückkam, war er wach. Er lächelte sie an, doch es war ein aufgesetztes Lächeln. »Sind die Magenschmerzen weg?« wollte sie gleich wissen.

»Ja – aber nun tut der Bauch weh«, sagte er leise.

Sie gab ihm das Fieberthermometer und wartete fünf Minuten. »Siebenunddreißigfünf«, las sie halblaut.

»Vielleicht ist es nur eine Blinddarmreizung«, sagte Fritz leise. Er wollte die Mutter nicht beunruhigen.

»Ich rufe doch Dr. Jacobsen an.«

Fritz protestierte schwach. Morgen wollten die Eltern mit ihm nach Walsrode fahren, ins Vogelparadies. Und darauf hatte er sich schon so lange gefreut.

»Also gut«, sagte die Mutter, »ich schau in einer Stunde noch mal nach dir. Und wenn du noch Schmerzen hast, rufe ich den Doktor.«

»Ja, Mutti«, sagte Fritz. Er sagte ihr aber nicht, daß es im Bauch doch ganz schön zwickte.

Helmi Trummert hörte, daß ihr Mann die Haustür aufsperrte.

»Ich bin wieder da!« rief er, »wo seid ihr zwei?«

Helmi ging die Treppe nach unten.

»Entschuldige, daß ich so spät komme. Hoffentlich habt ihr schon gegessen?«

»Ja, haben wir. Das heißt nur ich, denn Fritz geht es nicht besonders. Er klagte über Magenschmerzen, und jetzt hat er Bauchweh.«

»Wahrscheinlich ist das Eis schuld, das er am Nachmittag gegessen hat.«

»Vielleicht… Aber könnte es nicht auch der Blinddarm sein?«

»Was du immer gleich denkst.«

Während er das warmgemachte Essen, das ihm vorzüglich schmeckte, verzehrte, saß Helmi schweigend neben ihm.

»Frau, mach kein so kummervolles Gesicht. Ich habe heute abend noch ein sehr gutes Geschäft gemacht.«

Was interessiert mich jetzt dein Geschäft, dachte sie, ich mache mir Sorgen um Fritz.

Er schob den Teller zurück, umarmte Helmi und sagte: »Wie immer hat es mir ganz hervorragend geschmeckt.«

»Danke!« sagte sie nur. »Komm mit zu Fritz und schau ihn dir an. Ich werde Dr. Jacobsen anrufen, auch wenn es Fritz nicht paßt.« Sie sagte noch: »Gegessen hat er gar nichts.«

»Wie lange hat der Junge schon Schmerzen?«

»Ich weiß nicht. Er ging gleich in sein Zimmer, als ihr aus Celle zurück gekommen seid.«

Sie fanden ihren Sohn zähneklappernd im Bett liegen.

»Was ist denn los mit dir?« fragte sein Vater erschrocken. Die Mutter lief nach unten, nahm den Telefonhörer hoch und wählte die Nummer Dr. Jacobsens. Sie bat um Entschuldigung, weil es schon so spät war, doch er möge sofort kommen. Sie fürchte, Fritz habe eine Blinddarmentzündung.

Es dauerte keine Viertelstunde, und der Doktor untersuchte Fritz. Als er fest auf seinen rechten Unterbauch drückte, schrie Fritz plötzlich: »Oh das tut schrecklich weh!« Sein kleines Gesicht verzog sich vor Schmerz.

»Sei ehrlich, Junge, seit wann hast du diese Schmerzen?« Dr. Jacobsen sah Fritz sehr ernst an.

»Ich habe sie schon seit heute früh, aber nicht so arg. Ich dachte – ich dachte, ich wollte doch mit Vater nach Celle…«

»Ich muß dich sofort in die Klinik einweisen. Du hast eine akute Blinddarmentzündung.« In Gedanken setzte er hinzu: Hoffentlich ist es noch kein Durchbruch, sonst sehe ich nur wenig Chancen für dich.

*

Soeben kamen Hanna und Kay von einem Spaziergang in der Heide zurück, als sie das Martinshorn des Krankenwagens hörten und ihn schon in die Einfahrt der Klinik einbiegen sahen.

»Schwesterherz, ich glaube, aus unserer Schachpartie heute abend wird nichts werden«, sagte Kay.

»Dann findet der Kampf eben morgen statt«, konterte Hanna.

Sie beschleunigten ihre Schritte und kamen dazu, als der diensthabende Arzt, Dr. Camillo Olegra, aus der Klinik kam und die Pfleger anwies, den avisierten Jungen in die Notaufnahme zu bringen.

»Gut, daß Sie zurück sind, Dr. Martens. Die Einweisung ist von Dr. Ja­cobsen – akuter Blinddarm.«

»Lassen Sie alle Werte feststellen, Blutanalyse und das übliche.«

»Selbstverständlich, Chef. Der Operationsraum ist schon hergerichtet.«

Kay wandte sich an Hanna: »Du assistierst mir?«

»Na klar! In zehn Minuten bin ich bereit.«

Dr. Olegra sagte noch: »OP-Schwester Christina habe ich schon verständigt, auch Dr. Dornbach.«

»Gut, dann sehen wir uns in wenigen Minuten im OP.«

Das eingespielte Team wußte, was notwendig war.

Fritz, der nun eilig in den Aufnahmeraum gebracht wurde, verspürte keine Angst. Er glaubte, das alles nur zu träumen. Wenn ich einmal Arzt bin, dachte er, werde ich allen kranken Menschen helfen. Er fühlte sich irgendwie im Mittelpunkt, und die Schmerzen im Bauch waren eigenartigerweise auch weg. Er wurde gepickt, ausgezogen, auf ein fahrbares Bett gehoben, dann schlief er ein.

Im Operationssaal warf der Scheinwerfer sein grelles Licht auf den nackten Knabenkörper. Alle Werte waren notiert worden und Blutkonserven bereitgestellt. Während die Anästhesistin, Frau Dr. Martina Dirksen, die Narkose vorbereitete, pinselte der Pfleger Harms den Unterbauch des Kindes mit Jod ein.

Das Ärzteteam, drei Ärzte und zwei Schwestern, alle in sterile grüne Kittel gekleidet, mit Kappen und Mundschutz, umstanden den schmalen Operationstisch. Sie arbeiteten schweigsam. Nur kurze Befehle klangen auf.

»Skalpell – Klemme – Tupfer.«

Dr. Hanna Martens wußte meistens schon im voraus, was ihr Bruder für Instrumente brauchte. Eile war geboten, denn der Appendix (Blinddarm) drohte durchzubrechen.

Kay warf seiner Schwester einen bedeutsamen Blick zu. Sie wußte, was er bedeutete. Eine Stunde später hätte der Kleine wenig Chance gehabt zu überleben, dann wäre der Bauchraum voll Eiter gewesen.

Ab und zu tupfte Oberschwester Elli den Schweiß von der Stirn des Chefs.

Dr. Kay Martens arbeitete sehr konzentriert und behutsam, damit er den Wurmfortsatz ohne Komplikationen entfernen konnte. Die Operation, sonst reine Routine, dauerte diesmal lange, doch sie gelang. Der Kleine würde es schaffen und in zwei Wochen wieder gesund sein.

Alle atmeten auf, als die Wunde vernäht und der Kreislauf des Kindes stabil war. Behutsam wurde er wieder auf das fahrbare Bett gelegt und in den Intensivraum gefahren. Schwester Laurie übernahm die Nachtwache.

Mit angstvollen Herzen saßen die Eltern des Kleinen im Warteraum. Während Heinz von Zeit zu Zeit auf seine Uhr sah, denn die Minuten schlichen nur so dahin, betete Helmi still: »Bitte, Gott, gib dem Doktor eine sichere Hand, damit unser Sohn leben darf. Er ist doch unser Sonnenschein.«

Und auf eine wunderbare Weise fand Helmi neue Kraft und Zuversicht. »Unser Fritz wird wieder gesund – ich spüre es«, sagte sie zu ihrem Mann.

Er nahm sie in die Arme und drückte sie an sich. »Mein Leben wäre ohne euch zwei so leer.«

Wenige Minuten später kam Dr. Kay Martens in den Warteraum. Er lächelte das Ehepaar an, als er sagte: »Alles ging gut. Aber höchste Zeit war es schon.«

Voller Dankbarkeit drückten Herr und Frau Trummert die Hand des Arztes.

»Morgen früh schon können Sie Ihren Fritz besuchen«, sagte er noch, als er ein paar Tränen über die Wangen der jungen Frau rinnen sah.

Kay Martens war mit seiner Arbeit zufrieden – und er war stolz, so ein gutes Ärzteteam zu haben. Daß seine Schwester mit ihm so vorzüglich zusammenarbeitete, darüber war er glücklich. Insgeheim aber hatte er manchmal Angst, sie könnte sich verlieben und eines Tages heiraten und von hier fortziehen. Hanna war nicht nur sehr tüchtig, sie war auch bildschön. Ihre großen blauen Augen in dem ovalen Gesicht, das von blonden Haaren umrahmt wurde, und ihre schlanke Figur ließen manches Männerherz höher schlagen. Und Hanna besaß Witz und Charme. Jetzt war sie achtundzwanzig, wie lange würde sie noch seine Partnerin sein?

Er war so in Gedanken versunken gewesen, daß er vergessen hatte, mit Hanna noch einmal in alle Krankenzimmer zu gehen.

Er wollte die Treppe wieder runter, da kam ihm Hanna entgegen. »Kay, ich habe schon die Visite bei unseren Kindern gemacht. Es ist alles in bester Ordnung. Auch der kleine Fritz schläft ruhig. Schwester Laurie wird uns Bescheid geben, wenn irgend etwas sein sollte.«

»Danke, Hanna! Du bist einmalig.« Er fühlte nun doch, wie müde er war.

»Möchtest du noch eine Kleinigkeit essen, Brüderchen?« frage Hanna. »Ich hätte schon noch Appetit auf ein – ja auf was? – Vielleicht ein Lachsbrot und ein Gläschen Bier?«

»Du Verführerin…«, sagte er lachend und war doch froh, den Abend noch gemütlich beenden zu können.

*

Als die Morgensonne durch die Spitzenvorhänge in Hanna Martens’ Schlafzimmer goldene Kringel auf die Bettdecke malte, wurde sie wach. Sie stand auf, öffnete das Fenster weit und freute sich über den herrlich blauen Himmel. Das Vogelgezwitscher, das aus dem Park zu ihr drang, zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen.

Der Blick auf den Wecker, der auf dem Nachttisch stand, zeigte ihr, daß es erst Viertel vor sechs war. Sie dehnte und streckte sich, machte Atemübungen und ihre morgendliche Gymnastik. Hanna fühlte sich rundum wohl. Sie war mit ihrem Leben zufrieden. Kay und sie hatten ihren Wunsch verwirklichen können. Die Kinderklinik war im weiten Umkreis bekannt und geschätzt. Schon vielen Kindern hatten sie helfen können, wieder gesund zu werden, und es war ein sehr gutes Gefühl, wenn die glücklichen Eltern sich bedankten.

Kay und Hanna gingen erst in die Intensivstation, um nach dem kleinen Fritz zu sehen, dem am Abend vorher der entzündete Blinddarm entfernt worden war.

Schwester Laurie, die in der Nacht bei ihm geblieben war, berichtete, daß der Junge vor einer Stunde wach geworden war und gleich was zu essen wollte.

»Ein gutes Zeichen«, meinte Kay und ging an das Bett des Kindes. »Guten Morgen, kleiner Mann. Wie fühlst du dich denn?«

»Danke, gut. Nur ich habe großen Hunger.« Dann sagte er noch: »Muß ich in diesem komischen Zimmer bleiben? Die vielen Dinger – ich meine die Apparate, brauche ich sie denn?«

»Nein, du brauchst sie nicht. Und du kommst auch bald in ein schönes Zimmer, nur zu Essen bekommst du noch nichts.«

Als er das enttäuschte Gesicht des Kindes sah, sagte er: »Heute morgen darfst du etwas Tee trinken und mittags bekommst du eine gute Suppe. Einverstanden?«

»Ja, Doktor. Doch ich möchte Sie noch was fragen. Darf ich?«

Hanna, die in dem Krankenblatt die Aufzeichnungen gelesen hatte, kam nun ans Bett und gab dem Kind die Hand. »Ich bin auch Ärztin, und du darfst mich alles fragen. Was möchtest du denn wissen?«

Fritz überlegte kurz, dann sagte er: »Ich will einmal ein Doktor werden, dann darf ich meinem Onkel Peter in seiner Praxis helfen.«

»Bis dahin hast du aber noch viel Zeit«, sagte Kay Martens.

»Das schon. Aber ich will jetzt schon so viel wissen. Die Schwester, die vorhin da war, hat mich ausgelacht, als ich sie fragte, ob ich einmal den Schnitt an meinem Bauch sehen dürfte.«

Hanna und Kay sahen sich verblüfft an. »Heute noch nicht, Fritz. In ein paar Tagen sicher«, sagte der Arzt.

»Aber du mußt uns versprechen, daß du ruhig im Bett liegen bleibst«, mischte sich Hanna ein, »denn es könnte gefährlich werden, wenn die Wunde aufbrechen würde.«

»Das verstehe ich. Keine Sorge, ich bleibe schon liegen.«

»Dann ist es ja gut. Hast du noch eine Frage?«

»Ja, Herr Doktor. Wissen Sie, wann meine Eltern mich besuchen?«

»Ich denke, daß sie bald hier eintreffen, deshalb wirst du jetzt gleich von Schwester Laurie und der Oberschwester Elli in einem fahrbaren Bett abgeholt werden und in ein schönes Zimmer gebracht. Zufrieden?«

»Danke, Herr Doktor. – Dürfen mir meine Eltern was zum Lesen mitbringen?«

»Die ersten zwei Tage solltest du versuchen, viel zu schlafen, damit du schnell wieder gesund bist.«

»Ja, ich verstehe schon«, erwiderte ein wenig altklug der Kleine.

Als die Geschwister den Raum verlassen hatten, sahen sie sich an. »Weißt du, wie alt dieser Junge ist?« fragte Hanna den Bruder.

»Ja, siebeneinhalb. Es ist kaum zu glauben, mit welchen Fragen sich dieser kleine Kerl schon beschäftigt.«

Als gegen neun Uhr Heinz und Helmi Trummert kamen, hatte das Geschwisterpaar mit seinem Team die Visite gerade beendet. Hanna ging lächelnd auf die beiden zu und begrüßte sie freundlich. Unter ihrem weißen Kittel sah das hellblaue Kleid hervor, es war ein schöner Kontrast.

»Wie geht es unserem Fritz? Dürfen wir ihn schon besuchen?« fragte Helmi und sah die junge Ärztin erwartungsvoll an.

»Es geht ihm ganz gut. Er fragte schon, wann er was zu essen bekäme.«

Heinz Trummert lachte, dann sagte er: »Das ist immer ein gutes Zeichen.«

Dr. Hanna Martens sagte ihnen nun, daß Fritz ein sehr aufgeweckter Junge sei und erzählt habe, daß er einmal Arzt werden würde.

Fritzchens Mutter seufzte ein wenig, als sie erwiderte: »Wir waren Pfingsten bei meinem Bruder Peter in Hannover – er ist Arzt – seitdem sagt Fritz: Ich will Doktor werden, wenn ich groß bin.«

Heinz Trummert meinte: »Fritz ist ganz geschickt, er hat schon manches Kätzchen und auch ein Vögelchen verarztet.«

Die Ärztin lächelte und meinte: »Früh übt sich, wer ein Meister werden will…« Sie begleitete nun die Eltern zu dem Zimmer, in dem der Junge lag. Sie fragte noch: »Hat Fritz keine Geschwister?«

»Leider nicht, Frau Doktor«, erwiderte Helmi Trummert. »Wir haben erst nach zehn Ehejahren unser Kind bekommen. Fritz ist unser ganzes Glück.«

»Aber Fritz hat ein paar nette Schulfreunde, und die Tochter unseres Nachbarn mag er auch sehr gern«, fügte Heinz Trummert hinzu. Die Ärztin sollte nicht denken, daß Fritz viel allein wäre.

»Ich finde das sehr gut, wenn ein Kind Freunde hat«, sagte die Ärztin. »So, wir sind schon da.« Sie öffnete die Tür zu dem Krankenzimmer, in dem drei Betten standen. Im Bett am Fenster lag Fritz, die zwei anderen waren leer.

»Im Moment sind wir nicht voll belegt«, erklärte Hanna Martens, »aber das ändert sich leider oft schnell.«

Als Fritz die Eltern sah, strahlte er übers ganze Gesicht. »Wie schön, daß ihr schon da seid«, sagte er froh.

Die Mutter beugte sich zu ihm herab und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Sie fand, er sah sehr blaß und schmal aus, doch sie sagte: »Ich bin so froh, mein Kleiner, daß du alles gut überstanden hast.«

»Ist doch klar, Mutti. Alles ist bestens. Auch die Ärzte und Schwestern.«

Der Vater drückte ihm die Hand. Er fragte: »Hast du noch Schmerzen?«

»Na ja, ein bißchen tut es schon noch weh, aber das ist doch selbstverständlich.«

Dr. Hanna Martens verabschiedete sich von den Eltern und sagte: »Der erste Besuch sollte nicht so lange bleiben. Fritz braucht noch viel Schlaf.«

»Wir verstehen, Frau Doktor. Und vielen Dank auch«, sagte Heinz Trummert.

»Dann auf Wiedersehen, ihr drei«, verabschiedete sich die Ärztin.

Heinz holte seiner Frau einen Sessel ans Bett, die nun die Hand ihres Kindes nahm. Und Fritz schlief… Das Ehepaar lächelte sich an. Helmi blieb noch eine Weile sitzen, während ihr Mann sich umsah. Das Zimmer war sehr nett eingerichtet. An den Fensterscheiben waren aus durchsichtigem bunten Papier Blumen aufgeklebt, und an den unifarbenen Tapeten hingen verschiedene Märchenfiguren.

Vorsichtig löste nun die Mutter ihre Hand von der ihres Kindes und strich ihm sanft über das lockige blonde Haar. »Schlaf dich gesund, mein Kleiner«, sagte sie kaum hörbar. Leise gingen sie aus dem Zimmer.

Heinz wollte seine Frau nach Hause fahren, doch sie meinte: »Ich möchte gern mit zu dir in die Firma. Daheim fällt mir sonst die Decke auf den Kopf.«

»Das verstehe ich. Du könntest dann Frau Herzog helfen, die gestern angekommenen Staubsauger auszuzeichnen.«

Heinz Trummert hatte ein gutgehendes Elektrogeschäft mit ein paar Angestellten. Er hoffte zwar, daß sein Sohn Fritz einmal die Firma übernehmen würde, doch bis dahin war noch viel Zeit.

Als sie am Nachmittag ihren Sohn besuchten, war das Bett neben ihm belegt. Ein kleiner Junge mit wuscheligem schwarzen Haar lag mit eingegipstem Fuß, der hochgelagert war, in den Kissen. Er war am Vormittag vom Rad gefallen, als er über den Bordstein fahren wollte.

Fritz legte den Finger auf den Mund, damit die Eltern leise sprachen, denn Heiko, so hieß der Kleine, schlief gerade.

»Wie geht’s dir, mein Liebling«, flüsterte die Mutter.

»Ganz gut. Ich bekam auch schon eine Suppe«, flüsterte er zurück. »Das ist Heiko, er ist vom Fahrrad gefallen.«

Der Vater drückte Fritz die Hand und sagte: »Du siehst schon wieder fast gesund aus.« Auch er bemühte sich, ganz leise zu reden, als er noch sagte: »Mutter bleibt noch hier, ich muß ins Geschäft zurück.«

Fritz nickte nur. Dann sagte er kaum hörbar zu seiner Mutter: »Ich kenne Heiko – sein Bruder Michel ist bei mir in der Schule. – Herr Dr. Martens hat gesagt: ›Fritz, du paßt ein bißchen auf den Kleinen auf. Du klingelst der Schwester, wenn er was braucht.‹«

»Na, der Doktor hat ja großes Vertrauen zu dir«, sagte die Mutter und lächelte.

»Ich habe ihm doch gesagt, daß ich einmal Arzt werden will.«

»Das Leise-Sprechen strengt sehr an, wir sind jetzt ein wenig still, sonst wecken wir ihn doch noch auf.« Die Mutter holte nun aus ihrer Tasche ein kleines Päckchen und gab es Fritz.

Behutsam machte er es auf, um jedes Geräusch zu vermeiden. Als er auf der Schachtel sah, daß ein Landrover abgebildet war, den man mit Legosteinen zusammenbauen konnte, strahlte er über das ganze Gesicht. »Danke, Mutti! Den habe ich mir schon lange gewünscht.« Er hatte impulsiv laut gesprochen und sah nun erschrocken rüber in das Nachbarbett. Doch Heiko schlief weiter.

»Versprich mir, Fritz, daß du mit dem Basteln erst anfängst, wenn es dir wieder bessergeht.« Als er nickte, küßte sie ihn auf die Nasenspitze. »Bis morgen!«

*

»Lisa, wie lange bleibst du in Lindau?« fragte die fünfjährige Jasmin ihr Kindermädchen.

»Vier Wochen. Genauso lange, wie du mit deinem Vati Urlaub in der Heide machst.«

»Es wäre aber viel schöner, wenn du mit uns fahren würdest«, sagte Jasmin und machte einen Schmollmund.

Lisa setzte sich auf das Bett, auf dem Jasmins geöffneter Koffer stand, in dem schon einige Sachen lagen. Sie zog das Mädchen an sich und streichelte ihren blonden Lockenkopf. »Du mußt nicht traurig sein. Weißt du, Herzchen, meine Mutter freut sich auch sehr, wenn ich sie wieder einmal besuche.«

Die großen blauen Augen des Kindes sahen Lisa, die sie schon seit vier Jahren betreute, nun sehr ernst an. »Ich hab dich schon einmal gefragt, ob du meine Mami werden willst. Du weißt doch, wie sehr ich dich liebhab?«

Lisa atmete tief durch, bevor sie antwortete: »Jasmin, ich liebe dich auch sehr, aber deine Mami kann ich nicht werden.«

»Warum nicht?« bohrte das Kind weiter und legte die Ärmchen um Lisas Hals. »Und wenn ich dich ganz lieb bitte?«

Die Frage des Kindes verwirrte Lisa sehr.

Robert Fischer, der Vater Jasmins, stand hinter der offenen Tür des Kinderzimmers, als er die Frage seiner Tochter hörte. Es war sonst nicht seine Art, an offenen Türen zu lauschen, doch jetzt war er gespannt, was Lisa sagen würde. Als er ihre Antwort hörte, vergaß er, was er im Kinderzimmer wollte.

Lisa sagte: »Schau, mein Kleines, dein Vati und ich müßten heiraten, und das können wir nur, wenn wir uns auch lieben.«

»Papi liebt dich, das hat er mir gesagt, als ich ihn fragte. Lisa, liebst du Papi auch?«

»Ja, ich liebe deinen Vater auch. Aber du darfst ihm das niemals sagen.«

»Warum? Das verstehe ich nicht.«

Robert Fischer wartete nicht mehr auf die Antwort Lisas. Er ging in sein Arbeitszimmer, setzte sich an seinen Schreibtisch und dachte über sein Leben nach. In einer großen Werbeagentur in Hannover hatte er eine gutbezahlte Stelle als Grafiker. Er liebte seine Arbeit und in seiner Freizeit malte er gern Landschaftsbilder und auch Porträts.

Vor einer Woche hatte er seinen dreiunddreißigsten Geburtstag gehabt, den er mit den Kollegen feierte. Seine Frau Monika, die Mutter Jasmins, war vor vier Jahren bei einem Reitunfall tödlich verunglückt. Seitdem war das Kind sein ganzes Glück. Und Glück hatte er auch, als er auf ein Inserat Lisa Keller als Kinderschwester für seine damals einjährige Tochter einstellte. Vier Jahre war Lisa nun im Haus und er hatte nie bemerkt, daß sie für ihn mehr empfand als nur Sympathie.

Und plötzlich war er sich seiner Gefühle auch nicht ganz sicher. Liebte er Lisa? Wahrscheinlich, denn er freute sich jeden Morgen, wenn er in das Eßzimmer kam und sie ihn lächelnd begrüßte. Sie umsorgte ihn und das Kind wunderbar. Als die Zugehfrau einmal krank war, übernahm sie ganz selbstverständlich auch die Putzarbeiten.

Liebe – was ist Liebe eigentlich? fragte er sich nun. Vor seiner Heirat mit Monika hatte er ein Mädchen geliebt, das ihn zurückgewiesen hatte, als er sie bat, seine Frau zu werden. Er war tief verletzt gewesen und todunglücklich. Ihre Karriere war ihr wichtiger gewesen als seine Liebe.

Monika? Hatte er Monika richtig geliebt? War es nicht nur Begehren gewesen? Denn sie war wunderschön und aufregend. Seit ihrem Tod hatte er keine Frau mehr im Arm gehalten. Er sah nun gedanklich Lisa vor sich. Ihre schwarzen halblangen Haare umrahmten ihr schönes, klares Gesicht sieht. Die großen braunen Augen blickten immer freundlich. Nie hatte er Lisa unbeherrscht gesehen. Sie war mittelgroß und schlank, aber das Wichtigste war, sie liebte Jasmin von ganzem Herzen. Er hätte sich für sein Kind keine bessere Mutter vorstellen können. Ob es stimmte, was sie gesagt hatte, daß sie ihn auch liebte?

Eigentlich konnte er sich ein Leben ohne Lisa gar nicht mehr vorstellen. Vier Jahre kannten sie sich schon, und sie hatte Jasmin nicht nur vorbildlich, nein liebevoll betreut.

Robert, sagte er sich, du lebst mit einer bezaubernden Frau im selben Haus – und du hast bisher nicht erkannt, daß diese Frau dein Schicksal ist.

Nun fiel ihm auch ein, daß Lisa abends nie wegging, obwohl sie doch erst fünfundzwanzig war. Sie hatte auch keinen Freund, der ihr schrieb oder zu dem sie ging. Vielleicht war in Lindau einer, dem sie treu war und mit dem sie die vier Wochen verbrachte? Dieser Gedanke beunruhigte ihn. Er mußte wissen, ob sie jemanden liebte – und gleich wollte er es wissen, deshalb ging er in das Zimmer seiner Tochter zurück.

Jasmin hatte er in der Küche mit Frau Wasner, der Zugehfrau, sprechen gehört. Doch was sollte er Lisa sagen? Auf einmal klopfte sein Herz schneller. Wäre es nicht besser, er würde sich alles noch einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen, bevor er sie fragte, ob sie seine Frau werden wollte, wie es auch Jasmin wünschte? Quatsch! dachte er. Sie merkt doch sonst gleich, daß ich ihr Gespräch belauscht habe.

Aber nun stand er schon vor ihr. Sie war gerade dabei, einen Anorak Jasmins zusammenzulegen und in den Koffer zu tun. Sie sah ihn lächelnd an. »Ich lege auch ein paar warme Sachen mit in den Koffer, denn man kann ja nie wissen…«

»Ich wollte Sie schon lange etwas fragen, Lisa.« Als sie ihn erwartungsvoll ansah, wußte er plötzlich nicht weiter. Am liebsten hätte er sie jetzt in die Arme genommen und gesagt: Lisa, werde meine Frau. Aber das war ja unmöglich… Vielleicht würde sie ihn auslachen, oder noch schlimmer, gleich fristlos kündigen…

»Herr Fischer, ist irgendwas an mir, weil Sie mich so eigenartig ansehen?«

»Nein, nein, Lisa. Ich wollte Sie nur fragen, ob es Ihnen bei uns auch gefällt. Manchmal habe ich Angst, Sie könnten aus ihrem Urlaub nicht zurückkommen. Sicher werden Sie Ihren Freund eines Tages heiraten?« O Gott, was rede ich nur für einen Unsinn, dachte er.

»Ich habe keinen Freund – und ich bin sehr gern bei Jasmin und Ihnen«, sagte sie, dabei stieg ihr die Röte ins Gesicht.

Seine grauen Augen sahen sie nun durchdringend an, als er sagte: »Nach dem Urlaub müssen wir uns einmal miteinander unterhalten, wie es mit uns weitergehen soll. Sind Sie damit einverstanden?«

»Könnten wir nicht gleich…?« Das Klingeln des Telefons in seinem Arbeitszimmer unterbrach ihre schicksalhafte Unterhaltung. Es war die Autowerkstatt Kühnlein. Der Mechaniker meldete, daß sein Wagen fertig sei und abgeholt werden kann.

»Ja, ich bin in zehn Minuten bei Ihnen.« Er legte den Hörer auf die Gabel und wußte, daß er viel zu durcheinander war, um mit Lisa das Gespräch fortzusetzen. Er mußte auch noch seinen Koffer packen, ein paar Telefongespräche tätigen und noch manches andere. Ich bin feige, dachte er, was wird sie nur von mir denken? Aber ihre Worte klangen in ihm nach: Ich habe keinen Freund und ich bin gern bei Jasmin und Ihnen. – Doch wie schnell kann sich das ändern in den vier Wochen? Lisa war nicht nur bildschön, sie war auch reizvoll… Warum nur hatte er sie so lange unbeachtet gelassen? Hatte er kein Selbstvertrauen mehr, weil seine erste Liebe ihn nicht heiraten wollte? Und Monika, Jasmins Mutter, war eigentlich die treibende Kraft, sie wollte ihn heiraten. Monika sah mit ihren blonden Haaren und den blauen Augen wie ein Engel aus, doch ihr Temperament und ihre Leidenschaft rissen ihn mit. Seine Jugendliebe verblaßte neben dieser faszinierenden Frau.

Auf dem Weg in die Autowerkstatt hatte er diese Gedanken, doch er schob sie beiseite, als Herr Kühnlein ihm entgegenkam.

»Ihr Auto ist wieder wie neu, Herr Fischer«, sagte er gleich nach der Begrüßung. »Und ich habe im Radio gehört, daß das Wetter so herrlich bleiben wird.«

»Das wäre natürlich schön. Ich könnte dann mit meiner Kleinen viel unternehmen.« Er rechnete noch mit Herrn Kühnlein ab und fuhr mit seinem blauen BMW nach Hause.

Beim Abendessen vermied er es, Lisa anzusehen. Auch sie war ruhiger als sonst. Nur Jasmin hatte viele Fragen.

»Papi, werden wir auch Schafe sehen? Und eine Kutschfahrt machen?«

»Sicher, mein Kind – und du wirst die Heide in voller Blüte sehen. Wie ein riesiger Teppich blüht um diese Zeit das Heidekraut, das viele tausende erikafarbene Blüten hat.«

»Hast du auch deinen Fotoapparat mit eingepackt?« Sie wandte sich an Lisa: »Wir werden dir dann die schönsten Bilder schicken. Du schreibst uns doch auch?« wollte sie noch wissen.

»Natürlich. Dein Vater gab mir ja eure Adresse«, sagte Lisa.

Robert sagte noch, daß er auch seine Malutensilien mitnehmen würde. »Im Auto ist Platz genug«, sagte er zu Lisa, denn es war ausgemacht, daß er sie am anderen Morgen nach Hannover zum Bahnhof bringen würde. Er konnte dann mit Jasmin gleich weiter fahren, und gegen Mittag würden sie schon in Ögela sein.

Er hatte bei der Familie Fritz und Berta Sundermann, die einen großen Bauernhof bewirtschaften, für sich und Jasmin zwei nebeneinanderliegende Zimmer bestellt. Und erst heute abend kam ihm der Gedanke, daß es wunderschön wäre, wenn Lisa mit dabei wäre.

*

Lisas Herz pochte noch immer heftig gegen die Rippen, als sie sich langsam in dem Sitz zurücklehnte. Robert Fischer hatte sie geküßt und seine Worte klangen in ihr noch nach: Am liebsten würde ich dich mitnehmen.

Seit vier Jahren betreute sie seine Jasmin – und vom ersten Augenblick an hatte sie das Kind in ihr Herz geschlossen. Die Liebe zu Robert erwachte erst nach zwei Jahren, in ihr. Sie hatte vor vier Jahren in Lindau damals wohnte sie noch bei ihrer Mutter – eine große Enttäuschung erlebt. Der Mann, den sie liebte, hatte ihr die beste Freundin weggenommen. Die Mutter hatte Verständnis dafür, daß sie ihre Stelle als Kindergärtnerin aufgab, und ein glücklicher Zufall spielte ihr die Hannoversche Zeitung in die Hände, wo sie die Anzeige las, daß ein Kindermädchen gesucht würde.

Sie bewarb sich, legte Zeugnisse und ein Bild bei – und sie wurde zu einem Vorstellungsgespräch gebeten. Robert Fischer fand sie geeignet und sympathisch. Als er sah, wie sie mit Jasmin sprach und diese ihr gleich die Ärmchen entgegenstreckte, wußte er, daß Lisa die Richtige für seine Kleine war.

Vor vier Jahren war das gewesen, dachte Lisa. Und nach zwei Jahren entdeckte sie, daß sie den Mann liebte, dessen Kind sie betreute und von ganzem Herzen zugetan war.

Und heute hatte sie zum erstenmal gespürt, daß er sie vermissen würde. Ihre große Angst, daß er wieder heiraten würde und Jasmin eine neue Mami bekäme und sie nicht mehr gebraucht würde, konnte sie diese Angst nun vergessen?

Lisa war froh, allein im Abteil zu sitzen. Robert hatte nicht nur die Fahrkarte für die Erste Klasse gekauft und bezahlt, sondern auch einen Fensterplatz reservieren lassen. Auch mit den Koffern mußte sie sich nicht abplagen, die hatte er vorher schon aufgegeben, wie immer, wenn sie zu ihrer Mutter fuhr.

Sie nahm das Foto aus ihrer Handtasche, das sie immer bei sich trug. Als Mutter zu Besuch war, hatte sie es am Maschsee aufgenommen. Es zeigte Robert, der lächelte, und sie, die den Arm um Jasmin gelegt hatte, denn sie saß zwischen ihnen.

Mutter schrieb, als sie ihr das Bild schickte: Ich habe das Foto rahmen lassen, es steht nun auf meiner Kommode. Man könnte meinen, Ihr wärt eine glückliche Familie. Ich weiß, Lisa, daß Du diesen Mann liebst, und ich hoffe von Herzen, daß Ihr zueinanderfindet.

Mutter, dachte Lisa nun, hoffentlich werden deine und meine Wünsche wahr. Schon jetzt hatte sie Sehnsucht nach Jasmin und Robert – und war noch nicht einmal eine Stunde von ihnen weg. Herr Fischer – in Gedanken nannte sie ihn immer Robert – hatte versprochen, sie heute abend anzurufen, ob sie gut angekommen sei. Auch sie würde dann wissen, daß er und Jasmin ihr Urlaubsziel erreicht hatten.

In Göttingen stieg ein älteres Ehepaar zu, das Lisa nun gegenüber saß. Es stellte sich heraus, daß die beiden zu ihrem Sohn nach Lindau fuhren, der in drei Tagen heiraten würde.

Lisa, die eine gute Zuhörerin war, ließ den Redeschwall der beiden über sich ergehen. Die Zeit verging dabei sehr schnell, aber sie war dann doch froh, als der Zug im Bahnhof einlief und ihre Mutter sie umarmte.

»Ich bin so glücklich, dich endlich für ein paar Wochen zu haben.«

»Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Mutter.«

»Weißt du, mein Kind, ich hatte schon ein wenig Angst, du würdest mit in die Heide fahren.«

Lisa dachte: Vielleicht im nächsten Jahr, aber sie sagte: »Ich habe dir doch versprochen zu kommen.«

Als abends Robert anrief, klopfte ihr Herz bis zum Hals. »Lisa, wir vermissen dich jetzt schon«, sagte er. »Bei uns ist alles bestens. – Jasmin will noch mit dir sprechen.«

»Lisa…«, hörte sie die helle Stimme des Kindes. »Könntest du nicht doch ein paar Tage zu uns kommen? Wir wohnen in einem schönen Haus, und viele, viele Tiere gibt es. Auch schöne, gute Ponys. – Vati will noch einmal mit dir reden.«

»Ja, Herr Fischer?« sagte sie und schluckte, weil ihr Herzklopfen nicht nachlassen wollte.

»Jasmin hat dich was gefragt. Wäre deine Mutter böse, wenn du die letzte Woche zu uns kommen würdest?«

»Ich weiß nicht. Ich werde mit ihr darüber sprechen.«

»Wie ich deine Mutter kenne, hat sie ein Herz für zwei einsame Menschen in der Heide, die zwar wunderschön, aber auch sehr groß ist.«

Lisa mußte nun lachen, aber es war ein glückliches Lachen.

»Ich rufe bald wieder an«, versprach Robert und wünschte noch eine schöne Zeit. Liebe Grüße an ihre Mutter vergaß er natürlich nicht.

*

In der Kinderklinik Birkenhain waren Dr. Kay Martens und seine Schwester Hanna Martens gerade bei der Visite, als ein Telefonanruf für Hanna kam.

Frau Kirchner war am Apparat. Sie bat die Ärztin, so bald wie möglich zu kommen, denn ihre Tochter Angela habe hohes Fieber.

»Ich bin in einer Viertelstunde bei Ihnen, Frau Kirchner«, versprach Hanna. Sie sagte ihrem Bruder Bescheid, nahm ihre Arzttasche aus ihrem Sprechzimmer und ging zum Parkplatz, wo ihr Wagen stand. Sie kannte die Adresse – Heideweg 5 – denn sie betreute die beiden Mädchen von Frau Kirchner schon lange.

Marga Kirchner mußte ihre dreijährige Erika und die zehnjährige Angela allein großziehen, denn ihr Mann hatte sie vor zwei Jahren verlassen. Von morgens acht Uhr bis nachmittags vier arbeitete sie in der Bäckerei in Ögela. Der Unterhalt, den ihr Mann bezahlte, war nicht besonders hoch, er reichte gerade für das Nötigste. Aber die Kinder brauchten auch Kleidung, und die Schuhe waren besonders teuer.

Erika hatte seit ein paar Tagen Schnupfen, der aber schon im Abklingen war. Seit gestern abend klagte nun auch Angela über Kopfweh und Halsschmerzen. Auch ihr Husten hörte sich gar nicht gut an. Marga Kirchner wollte an diesem Tag deshalb nicht in die Bäckerei gehen, aber Angela sagte: »Mami, du kannst unbesorgt zur Arbeit. Ich passe schon auf Erika auf. Ich fühle mich heute schon wieder ein wenig besser.«

»Stimmt das wirklich, Angela?« Als die Zehnjährige nickte, ging die Mutter doch zu ihrer Arbeitsstelle. Die ersten Stunden machte sie sauber, dann half sie im Laden mit. Sie bekam immer Brot und Brötchen, und auch oft ein paar Stücke Kuchen, worüber sich die Kinder freuten.

Doch den ganzen Tag war die Mutter etwas unruhig Sie fragte sich, ob Angela ihre Unpäßlichkeit nicht heruntergespielt hatte.

Und so war es auch. Angela fühlte sich sehr schlapp und müde. Sie war froh, daß Erika im Garten mit ihrer kleinen Freundin Petra spielte, die schon sechs war, so konnte sie sich ein wenig auf die Couch legen, denn ihr war ab und zu schlecht. Der Husten quälte sie, auch schien sie Fieber zu haben.

Immer wieder sah sie auf die Uhr, ob Mami nicht bald heimkäme. Doch die Zeiger der Uhr schlichen nur so dahin. Plötzlich verschwamm alles vor­ ihren Augen, der Boden hob und senkte sich, sie bekam kaum noch Luft. »Du mußt stark bleiben«, sagte sie vor sich hin. »Mami verläßt sich auf dich.«

Nur mit Mühe wärmte sie die Suppe für Erika auf. Sie konnte keinen Bissen runterbringen, und als Erika sie fragte: »Spielst du ein bißchen mit mir Ball?« erwiderte sie nur: »Heute nicht, meine Kleine. Morgen…«

»Petra kommt nach dem Essen wieder, hat sie mir versprochen. Wir sind ganz leise«, sagte Erika und lief wieder in den Garten.

Angela wollte noch die Teller spülen, doch auf einmal fühlte sie sich so schwach, und der Teller fiel ihr aus der Hand. Als sie sich bücken wollte, wurde ihr schwarz vor den Augen und sie fiel in ein bodenloses Nichts.

Hier fand sie ihre Mutter. Frau Bernd, die Bäckersfrau, hatte ihre Unruhe gespürt und sie früher heimgeschickt. Verständnisvoll hatte sie noch gesagt: »Wenn Sie morgen nicht kommen können, rufen Sie an, Frau Kirchner. Und gute Besserung für ihre zwei Mädchen.«

Als die Mutter im Garten ihre Kleine spielen sah, war sie froh, als diese sagte: »Mami, mir geht es gut. Angela spült das Geschirr.«

Doch als sie Angela am Boden liegen sah, fuhr ihr der Schreck in die Glieder. »Kind, was ist mit dir?« fragte sie angstvoll. Behutsam hob sie das Mädchen hoch und legte es im Wohnzimmer auf die Couch, denn die Schlafzimmer waren im oberen Stock. Sie merkte sofort, daß Angela hohes Fieber hatte, denn ihr Atem ging schnell und die Stirn war heiß.

Rasch lief sie die Treppe nach oben und holte aus dem Badezimmer das Thermometer. Als sie zurückkam, öffnete Angela ein wenig die Augen. Sie versuchte zu lächeln.

»Was ist mit dir, mein Kind?Tut dir was weh?«

»Alles, Mami. Laß mich nur schlafen«, flüsterte sie.

Die Mutter wußte, ihr Mädchen war ernstlich krank. Sie ging zum Telefon und wählte die Nummer der Kinderklinik. Ihre Hände zitterten so, daß sie kaum den Hörer halten konnte. Sie verlangte sofort Frau Dr. Hanna Martens, als die Aufnahmeschwester sich meldete.

Es dauerte keine Minute, und sie hörte die sympathische Stimme der Ärztin, die schon seit Jahren ihre beiden Kinder betreute. »Frau Kirchner, was gibt es denn? Ist was mit Erika?«

»Nein, Frau Doktor. Angela hat hohes Fieber. Ich fand sie in der Küche bewußtlos, als ich heimkam.«

»Ich bin in wenigen Minuten da«, hörte Frau Kirchner erleichtert.

Sie ging wieder zu Angela, nahm das Thermometer hoch und sah erschrocken, daß es vierzigzwei anzeigte. Mit Ungeduld wartete sie nun auf die Ärztin. Als sie hörte, daß diese ihr Auto vor der Haustür parkte, ging sie ihr entgegen.

»Ich bin so froh, daß Sie gleich kommen konnten, Frau Doktor. Angela hat über vierzig Fieber.«

Die Ärztin nahm ihre Tasche aus dem Wagen und folgte der aufgeregten Mutter ins Haus. Im Wohnzimmer, das einfach, aber gemütlich eingerichtet war, lag das kranke Kind.

»Hallo, Angela«, begrüßte sie das Mädchen, das sie mit fieberglänzenden Augen ansah. »Du machst ja Sachen, an so einem herrlichen Tag krank zu sein, da wüßte ich doch was Besseres.«

Als Angela etwas sagen wollte, legte sie ihr den Finger auf den Mund. »Mußt nicht reden, Kleines. Bald wirst du wieder gesund sein, und dann werden wir zwei uns ausführlich unterhalten. Wir mögen uns doch, stimmt’s?«

Das Mädchen nickte nur.

Dr. Martens nahm ihr Stethoskop und einen Holzspatel aus ihrer Arzttasche und sah als erstes Angela in den Hals. Sie wandte sich an Frau Kirchner, die mit angstvollen Augen dabeistand. »Die Mandeln sind leicht gerötet, aber nicht eitrig. – Nun helfen Sie mir bitte, Angelas Kleid auszuziehen, damit ich sie abhören kann.«

Nach dieser Untersuchung war die Miene der Ärztin ernst. »Frau Kirchner, Angela hat eine Lungenentzündung. Es wird am besten sein, wenn wir sie in unsere Klinik bringen.«

»Mein Gott, muß das sein?«

»Ja. Glauben Sie mir, wir werden alles tun, damit Angela bald wieder gesund wird. Sie haben doch Vertrauen zu uns?«

»Natürlich…«

In diesem Moment stürmte Erika ins Zimmer. »Mami, ich möchte…« Als sie die Ärztin sah, verstummte sie plötzlich, dann sagte sie artig: »Guten Tag, Frau Doktor! Ist Angela sehr krank?« Sie lehnte sich an ihre Mutter, als sie hörte, daß die Schwester in die Klinik sollte.

Apathisch ließ Angela alles über sich ergehen, als der Krankenwagen sie abholte.

Natürlich wäre die Mutter gern mitgefahren, doch sie konnte ihre Dreijährige nicht allein lassen.

»Heute abend können Sie Angela schon kurz besuchen«, sagte die Ärztin. »Und wenn Sie niemanden für Erika haben, bringen Sie sie mit, die Aufnahmeschwester beschäftigt sich schon mit ihr.«

»Danke, Frau Doktor. Ich bin überzeugt, daß Sie alles für meine Angela tun. Sie wissen ja, meine zwei Kinder sind mein ganzes Glück.«

»Das weiß ich, Frau Kirchner. Also dann bis heute abend!«

»Bis heute abend«, erwiderte sie leise.

*

Dr. Hanna Martens kam gleich nach dem Krankenwagen in der Klinik an. Als sie ihr Auto auf dem gewohnten Parkplatz abgestellt hatte, eilte sie ins Ärztezimmer und zog sich um.

Man hatte Angela schon in ein Krankenzimmer gebracht. Hannas Bruder Kay wartete bereits auf sie. Hanna berichtete ihm nun ihre Diagnose.

»Ich muß dir jetzt ein kleines bißchen weh tun, Angela«, sagte sie zu dem Kind, »denn wir brauchen ein wenig Blut, um es im Labor analysieren zu lassen.«

Das Mädchen nickte nur. Während die Ärztin mit einen alkoholgetränkten Wattebausch die Armvene abtupfte, die sie durch ein festes Band gestaut hatte, und etwas Blut in das sterile Glasröhrchen rinnen ließ, stand die Oberschwester Elli schon bereit. Sofort lief sie ins Labor und nahm die Blutanalyse selbst vor.

»Wir geben am besten gleich Antibiotikum.« Hanna sah ihren Bruder an.

»Du hast recht, Hanna. Penicillin ist das beste Heilmittel.«

Als abends die Mutter Angelas kam – Erika konnte solange bei der Nachbarin bleiben –, merkte sie, daß ihr Kind schon gleichmäßiger atmete. Es fühlte sich auch nicht mehr so heiß an. Ganz sanft nahm sie die Hand ihrer Tochter in ihre.

»Schön, daß du da bist, Mami«, sagte Angela leise. »Mir geht es schon etwas besser. Schmerzen habe ich keine mehr.«

Marga Kirchner atmete befreit auf. »Es war schon richtig, daß die Frau Doktor dich gleich hier eingewiesen hat.«

»Ja, alle sind sehr nett hier. Besonders die Oberschwester Elli. Eine Nachtschwester war auch schon da. Sie heißt Jenny, genau wie meine Babypuppe.«

»Liebling, du solltest noch nicht so viel sprechen. Es strengt dich sicher zu sehr an«, mahnte die Mutter. »Um Erika mußt du dich auch nicht sorgen. Frau Bernd hat mir Urlaub gegeben. Ich darf zu Hause bleiben, bis du wieder ganz gesund bist. Ist das nicht nett von Frau Bernd?«

»Ja, sie ist überhaupt eine gute Frau.«

»Morgen früh komm ich wieder, meine Große. Erika darf aber nicht mit ins Zimmer, sie muß bei der Schwester in der Aufnahme bleiben.«

»Gib ihr ein Küßchen von mir, Ma­mi«, sagte Angela und gähnte herzhaft.

»Schlaf dich gesund, mein Herzchen. Du weißt, wie sehr ich dich liebe?«

»Ich dich auch, Mami.« Angela schloß die Augen, und tiefe Atemzüge verrieten, daß sie fest schlief.

Die Mutter übergab der Nachtschwester Jenny noch drei Schlafanzüge und Waschzeug. Sie fand die Schwester auch sehr nett, und sie nahm sich vor, ihr morgen früh einen Strauß Blumen aus ihrem Garten mitzubringen.

*

Das große Gebäude des zu der Kinderklinik umgebauten Birkenschlöß­chens bot ein friedliches Bild. Es lag mit seinen Anbauten in einem großen Park. Durch ein hohes schmiedeeisernes Tor führte die Auffahrt an bunten Blumenrabatten und blühenden Büschen vorbei direkt zum Schloß. Unter den alten Bäumen standen vereinzelt weiße Bänke, die vom Klinikpersonal in ihrer Freizeit gern genutzt wurden.

Dr. Hanna Martens erwachte an diesem Morgen sehr früh. Das Vogelgezwitscher, das aus den hohen Bäumen in ihr offenes Fenster drang, ließ sie auch nicht wieder einschlafen. Dämmerung drang ins Zimmer, dem ein rosiger Schein folgte.

Hanna stand auf, dehnte und streckte sich, dann trat sie ans Fenster. Sie schob den weißen Spitzenvorhang zur Seite und öffnete das Fenster weit. Tief atmete sie die kühle Morgenluft ein.

Plötzlich fröstelte sie, deshalb schloß sie das Fenster. Sie schlüpfte in ihren seidenen Morgenmantel und setzte sich in ihren Schaukelstuhl.

Obwohl es erst fünf Uhr war, stellte sie sich unter die Dusche, wusch ihre Haare, föhnte sie und zog sich fertig an. Die blonden Haare fielen lockig auf die Schultern. Ihre blauen Augen blitzten aber heute nicht so fröhlich wie sonst. Wenn ich nur wüßte, was mit mir nicht stimmt? überlegte sie.

Die Nacht in der Klinik war ruhig verlaufen. Das bedeutete, daß alle kranken Kinder im Haus auf dem Weg der Besserung sind. Auch Angela, die zehnjährige, würde die Lungenentzündung überstehen. Und Fritz, dem vor zwei Tagen der Blinddarm entfernt wurde, fühlte sich sehr gut.

Wie immer hatte sie mit Kay am gestrigen Abend eine Kurzvisite bei den Kindern gemacht. Es gab keinerlei Grund zu ihrer Unruhe.

Laß die Dinge doch erst an dich herankommen, bevor du dir jetzt schon unnötige Gedanken machst, sagte sie sich. Doch immer wieder grübelte sie über ihren nächtlichen Traum nach, denn ein ungutes Gefühl verließ sie den ganzen Tag nicht.

Beim Frühstück fragte Kay: »Han­na, was ist mit dir? Du wirst doch nicht krank werden? Ich sehe doch, daß dein Lächeln heute nur aufgesetzt ist.«

»Ich hatte einen blöden Traum, Kay. Aber ich kann mich an ihn nicht mehr erinnern. Ich weiß nur, er war sehr bedrohlich.«

»Im Laufe des Tages wird er dir einfallen, Schwesterlein, dann lachst du über deine unnötigen Ängste.«

»Schön wär’s, Kay.«

»Dir macht doch deine Arbeit Freude – und du bist hier auch zufrieden?« Als sie nickte, meinte er noch: »Wir haben alles erreicht, was wir uns gewünscht haben. Und wir wissen auch, daß wir hier im weiten Umkreis bekannt und geschätzt sind.«

»Das weiß ich alles. Ich bin dafür sehr dankbar.«

»Vielleicht solltest du mal ein paar Tage ausspannen?«

»Du hättest auch einen Urlaub nötig, Kay. Aber leider können wir nicht zusammen wegfahren«, sagte Hanna nachdenklich.

»Das haben wir vorher gewußt. Also laß uns überlegen, wie wir für dich, wenigstens eine Woche, den Urlaub planen.«

»Ich wüßte nicht einmal, wohin ich fahren möchte.«

»Wir holen uns einfach ein paar Reiseprospekte – und du wirst schon was Passendes finden.«

»Meinst du?« sagte sie zweifelnd.

»Kollege Herbst kommt doch nächste Woche von seinem Urlaub zurück. Er könnte dich dann vertreten.«

Als Hanna ihren Bruder mit ge­rümpfter Nase ansah, lächelte er und sagte: »Was hast du nur gegen Alex Herbst? Er ist zwar keine Schönheit, doch er ist tüchtig und dynamisch – und auch zuverlässig.«

»Wenn du meinst. Aber reden wir in ein paar Tagen wieder darüber.«

War sie wirklich urlaubsreif? fragte sie sich. Zugegeben, Kay und sie hatten schon lange keine freien Tage mehr. Bis heute hatte sie auch gar nicht daran gedacht wegzufahren, denn sie empfand die Heide und die nähere Umgebung einfach wunderschön. Und mit Kays großem Wagen hatten sie beide schon sehr schöne Tagesfahrten gemacht.

Jetzt reiß dich zusammen, sagte sie sich, denn Launen kannst du dir als Ärztin wirklich nicht erlauben.

Und als sie in die Krankenzimmer ihrer kleinen Patienten kam, war ihr Lächeln nicht mehr aufgesetzt, es kam wieder vom Herzen.

Die Narbe sah sehr gut aus bei Fritz Trummert, und sie sagte es ihm. »Dann darf ich sie mir vielleicht heute schon ansehen, Frau Doktor?«

»Wenn du willst, aber nicht, wenn dir danach schlecht wird.«

»Was denken Sie von mir, Frau Doktor? Sie wissen doch, daß ich einmal Arzt werde, da darf ich doch nicht so zimperlich sein.«

»Entschuldige, das habe ich ganz vergessen, Fritz. Na, dann schau dir deine Narbe mal an.«

Fritz hob den Kopf ein wenig und nickte zufrieden.

»Es heilt ganz gut«, war die fachmännische Antwort des Jungen. »Frau Doktor, ich darf doch auch, wenn ich wieder gesund bin, das Labor besichtigen? Die technischen Geräte, besonders der Herzmonitor interessieren mich sehr.«

»Da mußt du Dr. Martens fragen. Aber ich bin sicher, er erlaubt es einem zukünftigen Kollegen.«

Fritz lachte, dann sagte er: »Ich kann schon wieder lachen, ohne daß es weh tut.«

»Du siehst, mein Bruder ist ein guter Chirurg.«

»Vielleicht kann ich einmal bei ihm meine Assistentenzeit…« Fritz sprach nicht weiter, denn Kay Martens hatte das Krankenzimmer betreten. Er hatte die letzten Worte mitbekommen.

»Fritz, du denkst ja schon weit voraus«, sagte er lächelnd. »Einige Jahre wird es aber noch dauern, ehe du studieren kannst.«

»Ja, ich weiß«, seufzte er. »Aber wünschen darf ich es mir jetzt schon, einmal ein guter Arzt zu werden.«

»Das ist klar«, sagte Kay Martens. »Und wenn man sich etwas von ganzem Herzen wünscht, dann geht es auch oft in Erfüllung.«

»Danke, Herr Doktor. Daran will ich glauben.«

Die beiden Ärzte wandten sich nun dem kleinen Heiko zu, der mit großen Augen dem Gespräch zugehört, aber nur wenig verstanden hatte. Auf die Frage des Doktors, ob er noch Schmerzen habe, sagte er nur: »Ein bißchen schockt mein Fuß noch.«

»Das wird von Tag zu Tag besser«, versprach der Arzt. »Du wirst sehen, bald kannst du wieder laufen.«

Als Kay und Hanna Martens das Zimmer verlassen hatten, sagte Fritz zu Heiko: »Vielleicht bekommst du bald einen Gehgips, dann darfst du wieder nach Hause.«

»Ja, ich möchte bald heim, nächste Woche habe ich doch Geburtstag. Und meine Mutter hat gesagt, daß ich ein paar Freunde einladen darf.«

»Frag die Frau Doktor und sag ihr das vom Geburtstag«, schlug Fritz vor.

»Ich möcht gern, daß du auch kommst, Fritz. Du bist immer so lustig.«

»Prima, ich komme gern. Ich kenne auch ein paar Spiele, da lachst du dich schief.«

Schwester Trude kam ins Zimmer. »Na, ihr zwei, habt ihr Appetit auf etwas Obst?« Als die Kinder nickten, gab sie Fritz eine Banane und Heiko einen schon zurechtgeschnittenen Apfel. Sie schüttelte ihnen noch die Kopfkissen zurecht und holte aus dem Nachtkasten von Fritz, auf seinen Wunsch, das Märchenbuch, weil er Heiko etwas vorlesen wollte.

»Schön, daß ihr zwei euch gut vertragt«, sagte Trude lächelnd.

»Wir könnten auch gar nicht miteinander raufen«, sagte Fritz, »weil wir noch nicht mal richtig stehen können. Aber wir werden’s auch nicht, wenn wir wieder gesund sind.«

»Das hör ich gern. Also dann weiterhin gute Besserung. Ich habe zwei Tage frei.«

»Schwester Trude«, sagte Fritz, »Sie sind immer so nett. Wir freuen uns, wenn Sie wieder da sind.«

»Das hör ich gern Fritz. Ihr beide seid auch besonders lieb.« Mit einem Lächeln verließ Trude das Krankenzimmer – und ausgerechnet Dr. Klaus Mettner kam ihr auf dem Flur entgegen.

Immer wenn sie dem gutaussehenden Neurologen begegnete, klopfte ihr Herz ein paar Takte schneller. Er war groß und schlank, sein rötliches Haar immer gut frisiert, und die Sommersprossen im Gesicht ließen ihn noch jünger als achtundzwanzig erscheinen.

Mit einem kurzen Gruß wollte sie an ihm vorbei, aber er blieb stehen und sagte: »Ich habe gar nicht gewußt, wie schön Sie sind, wenn Sie lächeln, Schwester Trude.«

Zarte Röte stieg ihr ins Gesicht, und das gefiel dem jungen Arzt ganz besonders.

»Die Oberschwester Elli hat mir gesagt, daß Sie ein paar Tage frei haben. Fahren Sie weg?«

»Nein – ich bleibe hier. Meine Freundin aus Hannover kommt mich besuchen.«

»Freundin…?« fragte er zweifelnd.

»Ich hab noch viel zu tun. Ich muß weiter«, sprudelte sie hervor und eilte den Flur entlang. Sie war sehr verwirrt.

Der Vormittag verging für das Ärzteteam mit der Visite und anschließend mit der üblichen Besprechung im Konferenzraum. Die Lungenentzündung Angelas war im Abklingen, doch sie sollte noch weiter mit Antibiotika behandelt werden.

Beruhigt konnten alle in den Speiseraum gehen und ihr Mittagessen einnehmen. Mareike Schriewers, die Küchenchefin, hatte mit ihrer Gehilfin wieder einmal ein wohlschmeckendes Essen zubereitet. Es gab Seezungenfilet, Kartoffelbrei und grünen Salat, als Nachtisch Vanilleeis mit heißen Himbeeren.

Hanna nahm gerade den ersten Löffel Eis, als das Telefon klingelte. Kollege Mettner, der in der Nähe des Apparates saß, hob ab.

»Frau Dr. Martens, Sie werden verlangt. Ein Notfall.«

Hanna stand auf und nahm den Hörer. Schwester Tina, die zur Zeit Telefondienst hatte, erklärte der Ärztin, daß sie schon einen Krankenwagen in die Birkenallee geschickt habe, weil die zweieinhalbjährige Tochter Petra der Familie Steiner von den giftigen Tollkirschen gegessen habe.

»Ich komme sofort in das Behandlungszimmer. Wahrscheinlich müssen wir dem Kind den Magen auspumpen.«

Kurz erklärte sie den Anwesenden, daß sie dringend gebraucht würde. Sie bat auch die Oberschwester Elli, mit ihr zu kommen, die ihr behilflich sein konnte.

Im Behandlungszimmer richteten sie schon alles her – und als die Kleine mit hochrotem Gesicht von zwei Pflegern hereingefahren wurde, mußte sich die Oberschwester erst um die Mutter des Kindes kümmern, denn sie hatte eine Kreislaufschwäche. Zum Glück war Schwester Trude da, sie konnte der Ärztin helfen.

Beruhigend sprach Trude auf die kleine Petra ein, die ganz apathisch auf dem Behandlungstisch lag. Doch plötzlich begann sie wieder zu würgen, aber der kleine Magen schien schon leer zu sein.

»Trude, nehmen Sie das Kind in den Arm, ich werde dann behutsam, wenn der Brechreiz vorüber ist, den Magen auspumpen.«

Es war eine unangenehme Prozedur, die das Kind über sich ergehen lassen mußte. Doch es war bald vorbei. Das kleine Herz schlug wieder normal, die Röte im Gesicht verschwand.

»Nun muß ich dir noch ein klein wenig weh tun, Petra«, sagte Hanna Martens. »Aber du bist ja ein tapferes Mädchen«, lobte sie das Kind, als sie ihr aus der Armvene ein wenig Blut abgenommen hatte.

Hanna kannte das Kind. Es gehörte zu ihren kleinen Patienten, die sie ambulant behandelte.

»Wo ist meine Mami?« fragte nun Petra leise.

»Sie wartet draußen auf dich. Schwester Trude wird dich nun in ein schönes Zimmer bringen, dann kommt deine Mami zu dir.«

Petras Mutter ging es wieder besser. Die Oberschwester hatte ihr Kreislauftropfen gegeben und dann sehr ernst mit ihr gesprochen.

»Wußten Sie nicht, daß Tollkirschen giftig sind?«

»Ja… Wir haben keine im Garten. Überhaupt keinen Strauch, der dem Kind gefährlich werden könnte.«

»Wie ist es dann passiert, daß Petra von den Kirschen aß?«

»Petras Freundin Heike spielte mit ihr im Garten, dann fragten sie, ob sie im kleinen Wäldchen, das gleich hinter unserem Grundstück beginnt, Versteck spielen dürfen. Ich hab mir nichts dabei gedacht und es erlaubt. Ich wußte doch nicht, daß es da Tollkirschen gibt.« Schluchzend sprach Frau Steiner nun weiter: »Hoffentlich kann die Frau Doktor Petra wieder gesund machen.«

»Sie müssen auf Petra besser aufpassen. Und vor allen Dingen müssen sie ihr erklären, daß sie keine Kirschen, Beeren oder Blüten essen darf – nur was Sie ihr geben.«

»Das war mir eine große Lehre. Aber wer denkst denn an so was?« Sie fragte nun: »Darf ich jetzt zu Petra?«

»Ich sehe erst mal nach und gebe Ihnen Bescheid.« Trude fügte noch hinzu: »Einen oder zwei Tage wird Petra hierbleiben müssen, damit wir sicher sind, daß das giftige Atropin, das in der Tollkirsche vorhanden ist, ihr nicht mehr schadet.«

Als die Mutter ins Krankenzimmer kam, schlief Petra fest. Sie atmete ruhig und gleichmäßig.

Im Bett nebenan lag Hanni, ein blonder Wuschelkopf, der die Mandeln herausgenommen worden waren. Die Siebenjährige fragte leise: »Was ist mit Ihrer Tochter?«

»Sie hat von den giftigen Tollkirschen gegessen.«

»Oh…, wird sie wieder gesund?«

»Ja. In ein paar Tagen darf sie schon heim. Aber warum bist du hier?«

»Mir sind die Mandeln entfernt worden, weil ich oft Halsschmerzen hatte. Mir geht’s schon wieder gut, ich darf auch bald nach Hause. – Ich bin aber froh, daß ich nicht mehr allein hier liegen muß.«

Frau Steiner lächelte Hanni zu und sagte. »Ich komme später wieder.« Beruhigt ging sie heim, denn sie wußte ihr Kind in guten Händen.

Als sie nach ein paar Stunden wiederkam, brachte sie Petra ihre Lieblingspuppe Susi mit. Für Hanni hatte sie ein Märchenbüchlein.

»Vielen Dank«, sagte sie. »Nun kann ich Petra was vorlesen, wenn sie es will.«

Und Petra bedankte sich mit einem Küßchen für ihre Susi. »Ich muß aber vielleicht noch zwei Tage hierbleiben, Mami. Du bist doch nicht traurig deshalb?«

»Nein, mein Herzchen. Wichtig ist, die Frau Doktor macht dich ganz gesund.«

»Ja, ich bin nur noch so müde, aufstehen darf ich auch nicht.«

Die Mutter sah, daß Petra schon wieder eingeschlafen war. Sie gab ihr einen Kuß auf die Stirn und sagte leise: »Dein Schutzenglein hat dich vor Schlimmerem bewahrt.«

Am Abend, als ihr Mann aus Hamburg anrief, wo er geschäftlich zu tun hatte, berichtete sie ihm gleich von dem Geschehen.

Natürlich erschrak er sehr, doch als sie ihm versicherte, daß Petra bald wieder heim durfte, war er beruhigt.

*

Ein paar Tage schon war Robert Fischer mit seiner Tochter Jasmin bei der Familie Sundermann, die sie herzlich aufgenommen hatte. Sie hatten zwei schöne Zimmer mit einer Verbindungstür, die Jasmin auch ausnützte.

Schon am ersten Morgen dachte Robert genüßlich: Endlich einmal richtig ausschlafen können! Mit einem Blick auf den Wecker hatte er gesehen, daß es sechs Uhr war. Er schloß wieder die Augen und sah vor seinem geistigen Auge Lisa vor sich. Er sah ihr anmutiges Lächeln, ihre braunen großen Augen mit den langen Wimpern und ihr seidiges schwarzes Haar…

Plötzlich flüsterte ein feines Stimmchen in sein Ohr: »Papi, schläfst du noch?«

Ohne seine Antwort abzuwarten, hob Jasmin seine Bettdecke hoch und schlüpfte neben ihn.

»Darf ich mit meinem Teddy zu dir kommen?« fragte sie leise und kuschelte sich schon zärtlich an ihn.

Robert schmunzelte, weil sie erst fragte, nachdem sie schon bei ihm lag. »Natürlich darfst du, mein Kleines«, sagte er und drückte sie fest an sich.

Aufmerksam sah Jasmin ihn nun an. »Bist du traurig?« wollte sie wissen und legte ihm ihr Lieblingsbärchen an die Wange. »Teddy und ich werden dich trösten, Vatilein«, schmeichelte sie. Dabei schlang sie die Ärmchen um seinen Hals und küßte ihn auf die Nasenspitze.

Scherzend sagte er nun: »Ich bin noch ein wenig traurig. Ein Küßchen war zu wenig…«

Sofort küßte ihn Jasmin noch einmal, diesmal auf die Wange. »Huuuch«, meinte sie erschrocken, »du bist ja stachelig wie ein Igel.« Sie leckte die roten Lippen wie ein Kätzchen.

»Kunststück, ich bin ja noch nicht rasiert«, sagte er lachend. Mit betont tiefer Stimme sagte er nun: »Junge Damen sollten so früh am Morgen ältere Herren auch nicht im Bett überfallen.«

Jasmin jauchzte, denn so liebte sie ihren Papi besonders, wenn er mit ihr Spaß machte. Achtlos warf sie ihr geliebtes Bärchen aus dem Bett, denn nun begann das Tobi-Spiel, wie sie schon als Zweijährige gesagt hatte.

Robert zog nun die Bettdecke über seinen Kopf und brummte: »Ich bin ein großer Bär – ich mag mein Mädchen sehr…«

Jasmin warf sich nun auf ihn und kitzelte ihn so lange, bis er vor Lachen nicht mehr konnte und um Gnade flehte. Dann kam sie an die Reihe.

»So, nun ist Schluß, mein Prinzeßchen.« Er drückte sie nochmals kurz an sich, gab ihr einen kleinen Klaps auf den Po und meinte: »Was meinst du, wollen wir zwei heute eine Kutschfahrt durch die Heide machen?«

»Au fein«, jauchzte Jasmin. Doch plötzlich schob sie die Unterlippe vor.

»Was ist jetzt los?« wollte er gleich wissen.

»Ich bin traurig, weil Lisa nicht bei uns ist. Warum ist sie nicht mit uns gefahren? Im letzten Jahr war sie doch mit am Meer.«

»Damals war Lisas Mutter auch dabei. In diesem Jahr wollte Lisa nach Lindau, weil es ihrer Mutter nicht besonders gut geht. Die Reise hätte sie zu sehr angestrengt. Das verstehst du doch?«

»Versteh ich schon, Papi, aber es wäre halt noch schöner, denn ich habe Lisa sehr lieb.«

»Ich auch, mein Kleines. Vielleicht kann sie im nächsten Jahr mit uns fahren.« Dabei dachte er: Ich werde sie sofort fragen, wenn wir in vier Wochen wieder daheim sind, ob sie meine Frau werden will.

»Bis dahin ist es noch schrecklich lang…«, meinte Jasmin. Sie hob ihren kleinen Teddy hoch, drückte ihn an sich und ging ins nebenanliegende Badezimmer. Ihrem Vater rief sie noch zu: »Ich mach heute nur Katzenwäsche, denn ich habe doch gestern abend gebadet.«

»Aber Zähneputzen nicht vergessen, Kind.«

»Natürlich nicht…«, schallte es hinter der Tür.

Lisa hatte Jasmin gut erzogen, und sie war für ihre Jahre ganz schön selbständig. Sie zog sich allein an und aus, und sie aß am Eßtisch sehr manierlich. Trotzdem blieb sie das liebe Mädchen, ohne affektiert zu sein.