King of Envy - Ana Huang - E-Book

King of Envy E-Book

Ana Huang

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Beschreibung

Er hat alles, was er jemals wollte — nur sie ist unerreichbar für ihn

Gefährlich, mächtig, verschlossen — Vuk Markovic ist bekannt für sein schroffes Verhalten und seine Schweigsamkeit. Der Billionaire mit den Narben hat kein Verlangen nach Beziehungen und vertraut nur sehr wenigen Menschen in seinem nächsten Umfeld. Die einzige Ausnahme ist sie: Ayana Kidane, Supermodel, die Schöne zu seinem Biest, das Objekt seiner Begierde. Schon seit er sie das erste Mal gesehen hat, wollte er sie, doch nun ist Ayana mit seinem besten Freund verlobt — und Vuk ist nur der Trauzeuge. Aber je näher die Hochzeit rückt, desto stärker ist er zwischen Verlangen und Loyalität hin- und hergerissen. Und riskiert schließlich alles, um Ayana für sich zu gewinnen ...

»Niemand verwebt Tropes so fantastisch wie Ana Huang. Ich liebe ihre komplexen Charaktere.« SERIESous Book Reviews

Band 5 der KINGS-OF-SIN-Reihe von TIKTOK-Sensation und SPIEGEL-Bestseller-Autorin Ana Huang

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Seitenzahl: 772

Veröffentlichungsjahr: 2025

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Leser:innenhinweis

Anmerkung der Autorin

Playlist

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Bonusszene

Danksagung

Die Autorin

Die Bücher von Ana Huang bei LYX

Impressum

ANA HUANG

KING OF ENVY

Roman

Ins Deutsche übertragen von Patricia Woitynek

ZU DIESEM BUCH

Auf den ersten Blick hat Ayana Kidane das perfekte Leben. Ihre Modelkarriere hat Fahrt aufgenommen, und sie ist mit einem von New Yorks begehrtesten Junggesellen verlobt. Was die Öffentlichkeit nicht weiß: Ihre Beziehung ist nicht echt, sondern nur ein geschäftlicher Deal. Jordan braucht eine Ehefrau, um sein Erbe antreten zu können, und Ayana erhält genug Geld, um sich aus dem Knebelvertrag ihrer Agentur freizukaufen. Vorzutäuschen, dass sie verliebt ist, sollte das Einfachste der Welt sein – bis sie sich immer mehr zu dem Trauzeugen ihres zukünftigen Ehemannes hingezogen fühlt. Vuk Markovich ist gefährlich, mächtig und verschlossen. Der erfolgreiche Geschäftsmann ist bekannt für sein schroffes Verhalten und seine Schweigsamkeit. Und so einschüchternd er sein kann, so fasziniert ist sie von dem geheimnisvollen Mann mit den Narben. Doch während die Hochzeit immer näher rückt, ist er der Einzige, der ihr Sicherheit schenkt und mit dem sie Zeit verbringen will – bis seine dunkle Vergangenheit sie einholt und nicht nur ihre wachsenden Gefühle, sondern auch ihr Leben in Gefahr bringt …

Dieses Buch ist allen gewidmet, die eine Vorliebe für unkontrollierbare Romanhelden haben.

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

ANMERKUNG DER AUTORIN

Die serbische Schreibweise und Aussprache von Vuks Nachnamen lautet Marković.

Aber da er seinen Nachnamen niemals selbst ausspricht, habe ich mich für die Schreibweise Markovic entschieden, weil Englisch sprechende Personen dazu neigen, die englische Aussprache zu nutzen, die sich vom Original unterscheidet. Diese wurde auch in der deutschen Ausgabe übernommen.

PLAYLIST

»Moth To A Flame« – Swedish House Mafia feat. The Weeknd

»Battle Scars« – Lupe Fiasco feat. Guy Sebastian

»Fashion« – Sandra Resendes

»You Right« – Doja Cat feat. The Weeknd

»Young and Beautiful« – Lana del Rey

»Tearin’ Up My Heart« – *NSYNC

»Baby (Acoustic)« – Clean Bandit feat. Marina and Luis Fonsi

»Obsessed« – Zandros feat. Limi

»Who Do You Want« – Ex Habit

»I’m Yours« – Isabel LaRosa

»Lose Control« – Teddy Swims

»Believer« – Imagine Dragons

»Undiscovered« – Laura Welsh

»I Got You« – Bebe Rexha

»Way Down We Go« – Kaleo

»Let the World Burn« – Chris Grey

1

AYANA

»Gratuliere. Die eine Hälfte der Anwesenden würde dich am liebsten umbringen, und die andere wäre gern du.« Mein Verlobter küsste mich auf die Wange. »Das nenne ich eine reife Leistung.«

»Ich bin nicht sicher, ob ich mir darauf etwas einbilden sollte«, raunte ich ihm zu und lächelte unbeirrt weiter. Schließlich wurden wir beobachtet. »Besonders nicht auf den zweiten Teil.«

»Das solltest du unbedingt. Die Gästeliste liest sich wie ein Who’s who der Modewelt. Bei diesen Leuten Neid zu erregen erfordert ein besonderes Talent. Freu dich darüber, MOTY.«

Ich lachte auf. »Du bist auf diesen Titel stolzer als ich, so viel steht fest.«

Es war mittlerweile acht Monate her, seit man mich zum Model of the Year – kurz: MOTY – gekürt hatte, und Jordan ließ noch immer keine Gelegenheit aus, auf die prestigeträchtige Auszeichnung anzuspielen.

»Was soll ich sagen? Er beweist, dass ich ein gutes Auge habe.« Jordan zwinkerte mir zu. »Ich weiß noch, wie Hank allen von dem ›Gesicht des Jahrhunderts‹ erzählt hat, das er zufällig auf einer Collegeparty in D. C. entdeckt hatte. Und jetzt sieh dich an.«

Bei der Erwähnung meines Agenten geriet mein Lächeln ins Wanken, aber ich fing mich schnell wieder. »Keine Ahnung, ob er sich wirklich so ausgedrückt hat, aber das hier ist definitiv besser als ein nach Schweiß müffelndes Studentenwohnheim.«

Ich trank einen Schluck Champagner und ließ meinen Blick über den zauberhaften Dachgarten schweifen, den Jordan für diese spätsommerliche Cocktailparty gemietet hatte. Wir beide waren die Gastgeber dieses Events zu Ehren des ikonischen Luxuskaufhauses Jacob Ford, welches Jordans Großvater vor mehr als fünfzig Jahren gegründet hatte.

Indem Jordan, der CEO des Unternehmens, mich vor vier Jahren zu dessen Markenbotschafterin ernannte, hatte er mir zu meinem großen Durchbruch als Model verholfen. Die groß angelegte und überaus erfolgreiche Kampagne hatte mir mehr Türen geöffnet als sämtliche Castings und kleineren Bookings in den zwei Jahren davor. Jordan und Jacob Ford verdankte ich meine Karriere.

Der Alkohol floss in Strömen, die Sonne schien vom blauen Himmel, und ein Teil der Gäste starrte uns an – manche tuschelten hinter vorgehaltener Hand, manche taten es weniger diskret. Jordan hatte recht. Einigen von ihnen war anzusehen, dass sie mich am liebsten umbringen wollten.

Das Modelgeschäft war gnadenlos. Mein Aufstieg zum Ruhm in Kombination damit, dass ich die Verlobte eines der begehrtesten Junggesellen New Yorks war, machte mich in der Branche nicht gerade beliebt. Ich hatte hier nur wenige Freunde, von echten ganz zu schweigen.

Das ließ sich nicht ändern, trotzdem vermisste ich manchmal das Leben jenseits des Scheinwerferlichts.

»Oh-oh.« Jordan straffte die Schultern. »Ein Sturm zieht auf. Mach dich bereit, sonst bläst er dich weg.«

Mein kurzer Anflug von Melancholie zerplatzte wie die Bläschen in meinem Glas. Ich unterdrückte ein weiteres Lachen, befolgte Jordans Rat und wappnete mich für die Begegnung mit seiner Großmutter.

Orla, die Ehrfurcht gebietende Matriarchin der Fords und Hauptanteilseignerin der Firma, war niemand, über den man sich amüsierte. Von ihrem Anwesen in Rhode Island aus regierte diese willensstarke Frau nicht nur die Familie, sondern sie wusste sich aus einer Entfernung von mehr als dreihundert Kilometern auch halb Manhattan gefügig zu machen.

»Ihr zwei seid die Gastgeber dieser Party, nicht wahr?«, fragte sie, als sie auf uns zukam. Die Vierundachtzigjährige, die ein geblümtes Kostüm und wie üblich ihre mit Diamanten und Smaragden besetzte Halskette trug, war eine elegante Erscheinung. Aber aus der Nähe bemerkte ich, dass sie erschöpft aussah. Ihre Wangen waren eingesunken, und ihre Hände zitterten leicht.

Dennoch war ihre Haltung aufrecht und würdevoll, während sie mit zusammengekniffenen Augen auf unsere Antwort wartete.

»Ja, Großmutter«, bestätigte Jordan, von dem jede Leichtigkeit abgefallen war.

»Warum drückt ihr euch dann kichernd wie Schulkinder hier in der Ecke herum, anstatt euch um eure Gäste zu kümmern?« Orla schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Dante und Vivian Russo sind hier. Stella Alonso ist hier. Ihr beide seid jetzt verlobt. Für partnerschaftliche Aktivitäten ist später immer noch reichlich Zeit.«

Der wissende Ton, mit dem sie das sagte, trieb mir eine verlegene Röte ins Gesicht. Jordan stellte seinen Drink auf einem Tisch ab und eilte davon. Ich wollte ihm folgen, aber seine Großmutter hielt mich davon ab, indem sie die Hand auf meinen Unterarm legte.

»Warte noch einen Moment, Liebes.« Sie betrachtete mich von oben bis unten. »Du siehst bezaubernd aus.«

»Danke sehr«, entgegnete ich mit einem erfreuten Lächeln. Komplimente hatten bei Orla Seltenheitswert, umso mehr bedeuteten mir ihre Worte.

Ich trug ein luftiges safrangelbes Minikleid aus der hauseigenen Jacob-Ford-Kollektion. Meine geglätteten Haare fielen mir in seidigen Wellen über die Schultern, und auf meinen schwindelerregend hohen High Heels überragte ich Jordan, der knapp ein Meter fünfundachtzig groß war, um mehrere Zentimeter. Sie hatten absurd viel gekostet, waren aber so hinreißend, dass ich nicht hatte widerstehen können.

Für irgendetwas hatte jeder Mensch eine Schwäche. Bei mir waren es Schuhe und Parfüms. Außerdem strickte ich gern, allerdings waren die Resultate so unansehnlich, dass ich bisher noch kaum jemandem von diesem Hobby erzählt hatte.

»Ich wollte gern mit dir sprechen, weil wir uns leider nicht sehr oft persönlich sehen«, erklärte Orla. »Soweit ich weiß, seid Jordan und du inzwischen seit knapp eineinhalb Jahren verlobt, aber ich …« Sie stockte und holte geräuschvoll Luft.

Beinahe hätte ich sie gefragt, ob alles okay sei, aber sie bekam sich augenblicklich wieder unter Kontrolle.

»Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, dich angemessen in der Familie willkommen zu heißen.« Sie ergriff meine Hand. »Jahrelang dachte ich, Jordan würde niemals die richtige Partnerin finden, nachdem keine seiner Beziehungen länger als ein paar Wochen hielt. Er ist mein einziges Enkelkind, und meine Besorgnis war groß, dass es sich womöglich um irgendein Goldgräber-Flittchen von der Straße handelte, als es ihm endlich ernst zu sein schien. Aber stattdessen warst du es, und das macht mich überglücklich.« Orla tätschelte meine Hand. »Ihr seid ein wunderschönes Paar, und ich weiß, dass er bei dir gut aufgehoben ist.« Es klang aufrichtig und gleichzeitig ein wenig traurig.

Ich überging ihre Wortwahl – die Frau war immerhin schon über achtzig – und kaschierte meine Verwirrung mit einem weiteren Lächeln.

Orla neigte nicht zu Sentimentalität, und sie hatte mich schon vor über einem Jahr auf unserer Verlobungsfeier willkommen geheißen. War ihr das entfallen?

»Danke für deine lieben Worte, Orla. Du warst immer so freundlich zu mir, seit Jordan und ich unsere Verlobung bekannt gegeben haben. Und ich, äh, kann es kaum erwarten, ein Teil der Familie zu werden.«

Falls sie meinen kleinen verbalen Hänger bemerkt hatte, kommentierte sie ihn jedenfalls nicht. »Ich hatte das Bedürfnis, dir das persönlich zu sagen, Liebes, und wollte mich nicht darauf verlassen, dass meine Tochter das übernimmt. Das Einzige, was sie kann, ist, mein Geld auszugeben und sich einen entsetzlichen Liebhaber nach dem anderen zu nehmen.« Sie blickte zur Seite. »Oh, da ist Buffy Darlington. Entschuldige mich, aber ich muss ihr unbedingt Hallo sagen.«

Orla drückte ein letztes Mal meine Hand und ging davon.

Ich blinzelte. Was zur Hölle war das denn gerade gewesen?

»Du wirkst irgendwie geschockt«, meinte Jordan, der kaum, dass seine Großmutter verschwunden war, wie aus dem Nichts wieder neben mir auftauchte. Er liebte und fürchtete sie gleichermaßen. »Was hat sie gesagt? Hat sie dich wegen deiner hohen Absätze kritisiert? Im Sinne von: Es gehört sich nicht, dass die Frau größer ist als der Mann, bla bla bla? Du weißt ja, wie pingelig sie bei Äußerlichkeiten ist.«

»Tja, das lässt sich in meinem Fall schwer vermeiden, da ich sogar in flachen Schuhen ein Meter achtundsiebzig messe«, antwortete ich. »Und nein, sie hat kein Wort über meine Absätze verloren.« Ich gab ihm eine kurze Zusammenfassung unseres Gesprächs. »Ich möchte dich nicht beunruhigen, aber ist mit ihr alles in Ordnung? Sie sieht ungewöhnlich blass aus, und ihre Hände zittern.«

Jordan runzelte die Stirn. »Ich bin sicher, ihr fehlt nichts. Sie hatte letzte Woche die Grippe und ist vermutlich noch nicht ganz wieder auf dem Damm. Natürlich hat sie es sich trotzdem nicht nehmen lassen, anlässlich der Party herzufliegen. Sie nutzt jeden Anlass, um mit ihrem Unternehmen und unserer Heirat anzugeben.« Er leerte den Scotch in seinem Glas in einem Zug. »Apropos. Vergiss nicht, dass wir uns am Freitag mit Vuk zum Abendessen treffen, um über die Hochzeit zu sprechen. Ich habe einen Tisch in diesem neuen Bistro im West Village reserviert.«

Mir wurde flau im Magen.

Vuk Markovic war Jordans Mitbewohner am College gewesen und würde sein Trauzeuge sein. Ich kannte ihn nicht gut, aber unsere bisherigen Begegnungen waren nicht gerade von Herzlichkeit geprägt gewesen. Tatsächlich war ich überzeugt davon, dass er mich nicht ausstehen konnte.

Keine Ahnung, warum. Ich war ihm gegenüber immer freundlich und entgegenkommend, und ich hatte mich nie von den Gerüchten beeinflussen lassen, denen zufolge der mächtige CEO des größten Spirituosenimperiums der Welt in dubiose Geschäfte verwickelt war.

Jordan war einer der anständigsten Menschen, die ich kannte. Wir hatten uns auf Anhieb verstanden, als ich für die Jacob-Ford-Kampagne zu arbeiten begann, und waren seither ein Herz und eine Seele. Ganz bestimmt würde er niemanden bitten, sein Trauzeuge zu sein, der keine blütenweiße Weste hatte.

»Freitag im Village. Alles klar«, sagte ich. »Es überrascht mich ein bisschen, dass er heute nicht hier ist.«

»Mich nicht. Vuk hasst Partys. Die absolute Hölle für ihn wäre eine Galaveranstaltung mit Livemusik.«

»Für seine Verhältnisse hat er sich dieses Jahr auf recht vielen Events blicken lassen«, entgegnete ich lachend. »Das wurde sogar in dem Artikel über ihn erwähnt, der letzten Monat in der Mode de Vie erschienen ist.«

»Das stimmt, trotzdem würde ich nicht darauf setzen, dass ihm das zur Gewohnheit wird. Vuk tut, was für sein Geschäft nötig ist, und fertig. Und eine Cocktailparty auf einer Dachterrasse gehört nicht dazu.« Jordan fluchte. »Scheiße. Meine Großmutter erdolcht mich mit Blicken. Ich muss mich dringend mit irgendeiner ›wichtigen‹ Person unterhalten, bevor sie mich mit einem Eispickel attackiert. Es ist wohl besser, wenn wir beide uns für den restlichen Abend aus dem Weg gehen. Sonst beschuldigt sie uns noch, unseren Pflichten als Gastgeber nicht nachzukommen.«

»Ich werde deinem Beispiel folgen. Viel Glück, Soldat«, sagte ich, und wir mussten uns beide ein Grinsen verkneifen. »Wir sehen uns später.«

Jordan salutierte scherzhaft mit zwei Fingern, bevor er in der Menge verschwand. Ich nahm einen letzten Schluck von meinem Champagner, dann steuerte ich auf Stella Alonso und ihren Ehemann zu.

Auf dem Weg zu ihnen kam ich an Orla vorbei. In meinem Kopf hallte noch das Echo ihrer Worte wider.

Ihr seid ein wunderschönes Paar, und ich weiß, dass er bei dir gut aufgehoben ist.

Ich war gerührt, dass sie mich so einschätzte. Viele fanden sie Furcht einflößend – was sie auch sein konnte –, aber privat war sie warmherziger, als die meisten ahnten.

Ich erwiderte ihr Lächeln und ignorierte die Schuldgefühle, die sich in mir regten.

Orlas Anerkennung errungen zu haben war eine beachtliche Leistung, allerdings bezweifelte ich, dass sie weiterhin so begeistert wäre, wenn sie die Wahrheit herausfände. Nämlich, dass Jordans und meine Verlobung eine einzige Mogelpackung war.

2

AYANA

Wie verabredet fand ich mich Freitagabend in dem mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Bistro im West Village ein. Das Essen war köstlich, nur konnte ich es kaum genießen, weil der Mann, der mir gegenübersaß, eine tiefe Abneigung gegen mich hegte.

Natürlich sprach er das nicht offen aus. Aber seine Feindseligkeit strahlte in Wellen von ihm ab, und ich musste meine ganze Willenskraft aufbieten, um seiner finsteren Miene ohne mit der Wimper zu zucken standzuhalten.

Ich trank einen Schluck Wasser und versuchte, jeden Blickkontakt mit Vuk zu vermeiden, während Jordan neben mir wie ein Wasserfall über unsere bevorstehende Eheschließung sprach.

»Dank Katrakis konnten wir uns die Burg in Irland als Location sichern«, sagte er gerade und war sich der angespannten Atmosphäre am Tisch offensichtlich nicht bewusst. »Wir planen mit siebenhundert Gästen und fünf Tagen auf dem Land. Danach folgt die äthiopische Zeremonie in den Staaten. Es wird die Hochzeit des Jahres, und wir können es gar nicht erwarten. Nicht wahr, Liebling?«

»Absolut.« Ich lächelte.

Bei der Vorstellung, eine knappe Woche mit so vielen Menschen zu verbringen, die ich kaum kannte, verspürte ich den Drang, mich unter einem Stein zu verkriechen und zu sterben. Und bei den siebenhundert waren die Hunderte von Gästen noch nicht mal miteingerechnet, die meine Eltern zu dem Empfang einladen würden, den sie für uns in D. C. planten.

Aber mir blieb nichts anderes übrig, als die begeisterte Braut in spe zu mimen. Das war Teil unseres Deals. Jordan brauchte eine Ehefrau, um sein Erbe zu sichern. Ich benötigte Geld, um mich aus dem Knebelvertrag herauszukaufen, den mein jüngeres, naives Ich unterschrieben hatte, um meine Familie zu unterstützen.

Fünf Millionen Dollar im Voraus für fünf Jahre meines Lebens und noch mal denselben Betrag als Bonus, sobald Jordan sein Erbe angetreten hätte. Die Vereinbarung war für beide Seiten sehr vorteilhaft.

Warum wurde mir dann jedes Mal, wenn ich an die Hochzeit dachte, flau im Magen?

»Fast jeder auf der Liste hat inzwischen zugesagt«, übertönte Jordans Stimme den Geräuschpegel im Restaurant. »Ach, und danke übrigens, dass du den Junggesellenabschied organisierst. Ich weiß ja, dass Partys nicht gerade dein Lieblingszeitvertreib sind.«

Vuk schwieg.

Wie immer.

Schließlich riskierte ich doch einen Blick zu dem reglosen, fast zwei Meter großen Muskelberg, der mich sogar im Sitzen überragte.

Vuk Markovic war nicht nur der CEO von Markovic Holdings und der Vorstandsvorsitzende des Valhalla Clubs, sondern auch der einschüchterndste Mensch, den ich kannte.

Sein strenger Mund und die brutale Narbe, die sein ansonsten hinreißendes Gesicht in zwei Hälften teilte, verliehen ihm eine latent gefährliche Ausstrahlung, aber es waren seine blauen Augen, die mir jedes Mal wieder eine Gänsehaut verursachten.

Kalt. Teilnahmslos. So hell, dass sie beinahe farblos wirkten.

Sie taxierten mich für einen kurzen Moment, bevor sie sich wieder auf Jordan richteten und Vuk ihm mit ein paar knappen Handbewegungen antwortete.

Ich hatte auf der Highschool die Gebärdensprache erlernt, nachdem meine Tante ihr Gehör verloren hatte, darum verstand ich ihn mühelos.

Das zählt zu meinen Aufgaben als dein Trauzeuge.

Nicht gerade eine enthusiastische Aussage, andererseits gab es vermutlich kaum etwas, das Vuk in Begeisterung versetzen konnte. Der Mann war ein Eisblock.

»Trotzdem bin ich dir dankbar dafür«, entgegnete Jordan. »Wir beide sind das.«

Er fasste nach meiner Hand und drückte sie. Ich zwang mich zu einem weiteren künstlichen Lächeln.

Wir mussten den Anschein wahren, als wären wir ein ganz normales, schwer verliebtes Paar, das bald in den Hafen der Ehe einlaufen würde.

In Vuks Kiefer zuckte ein Nerv.

Erneut schaute er zu mir, und mich überlief abermals ein Frösteln.

Jordan und ich hatten niemandem von unserer Übereinkunft erzählt. Das wäre zu riskant. Es hingen viele Millionen daran, dass wir unsere Beziehung als echt verkauften, und ich brauchte das Geld, sosehr ich es auch hasste, meine Familie zu täuschen.

Aber manchmal sah Vuk mich mit einem Ausdruck an, als wüsste er …

Das Klingeln eines Handys lenkte mich von meinen Gedanken ab.

Jordan schnitt eine Grimasse. »Da muss ich leider rangehen.« Er ließ meine Hand los und stand auf. »Bin gleich zurück. Und für mich kein Dessert, falls die Bedienung fragt. Okay, Schatz?«

»Ja, klar.« Ich hoffte, dass meine Antwort ungezwungen rüberkam. Wenn wir unter uns waren, gingen wir ganz locker miteinander um. Aber in Gegenwart anderer schlich sich oft eine gewisse Befangenheit in unsere Kommunikation, weil wir die Welt davon überzeugen mussten, dass wir ein glückliches Paar waren.

Kaum, dass Jordan weg war, trat erneut Stille ein.

»Also, was hast du für die Party geplant?«, fragte ich und wünschte mir nicht zum ersten Mal, Jordan hätte jemanden weniger Beängstigenden zu seinem Trauzeugen auserkoren. »Strip-Poker? Lapdances? Du kannst es mir ruhig sagen. Ich werde nicht eingeschnappt sein.«

Eigentlich wollte ich nicht über die Hochzeit reden, aber mir fiel kein anderes gemeinsames Thema ein.

Vuk musterte mich kühl, eine Hand um sein Glas geschlossen, die andere auf dem Tisch. Wir kannten uns seit über einem Jahr, aber noch nie hatte er eine Unterhaltung mit mir initiiert, und ich bezweifelte, dass er heute damit anfangen würde.

Na schön. Offensichtlich hatte er ebenso wenig Lust, sich mit der Hochzeit zu befassen.

Ich unterdrückte ein Seufzen und stocherte lustlos in meinem Salat, als eine dreiköpfige Familie an unserem Tisch vorbeikam. Die Tochter, die ich auf sieben oder acht schätzte, blieb stehen und starrte Vuk mit offenem Mund an.

»Mom, Dad, guckt euch mal sein Gesicht an.« Da sie kaum einen halben Meter entfernt war, konnten wir jedes Wort klar und deutlich verstehen, obwohl sie flüsterte. »Was ist damit passiert?«

»Nicht starren«, ermahnte ihr Vater sie. »Das ist unhöflich.«

»Aber diese Narben sind gruselig!«

»Emily!« Die Mutter wies sie mit einem strengen Blick zurecht, bevor sie sich mit verlegener Miene uns zuwandte. »Es tut mir schrecklich leid. Sie ist …« Der Rest ihrer Entschuldigung wurde von lautem Gelächter an einem der anderen Tische verschluckt.

Sie nahm ihre Tochter an der Schulter und schob sie hastig aus dem Bistro. Der Vater folgte ihnen, wobei er sorgsam darauf achtete, Vuk nicht anzusehen.

Erst jetzt merkte ich, dass der Griff meiner Gabel in meine Handfläche drückte, weil ich sie so fest umklammerte. Nur mit Mühe gelang es mir, meine Finger zu lockern.

Vuk hingegen zeigte überhaupt keine Reaktion. Wäre nicht dieser kaum erkennbare verkniffene Zug um seinen Mund gewesen, hätte ich angenommen, dass er das Mädchen gar nicht gehört hatte.

Wie sehr musste er an schockierte Blicke und Getuschel gewöhnt sein, um so gelassen zu bleiben?

Mein Ärger flaute ab, als sich Mitgefühl in mir regte. Das Schweigen dehnte sich aus, während ich überlegte, ob ich die Sache ansprechen sollte oder was ich sonst sagen könnte.

Neben seiner markanten Narbe hatte Vuk zudem Brandwunden am Hals, die aus dem Kragen seines Hemds hervorschauten. Obwohl sie weniger offensichtlich waren, würde auch hier der Durchschnittsbürger zweimal hinsehen.

Aber das kleine Mädchen hatte unrecht. Seine Narben waren nicht gruselig, sondern einfach ein Teil von ihm. Andere Menschen hatten Sommersprossen oder Leberflecke.

Vuk presste die Lippen aufeinander. Wenn dich mein Äußeres derart abschreckt, können wir dieses Treffen gern beenden. Seine Bewegungen waren scharf und präzise wie ein Glasschneider. Ich möchte schließlich nicht, dass dir noch der Appetit vergeht.

Mir stieg die Schamröte in die Wangen, weil er mich dabei erwischt hatte, wie auch ich ihn unverhohlen anstarrte. Gleichzeitig ging mir seine Einschätzung meines Charakters gewaltig gegen den Strich.

Hielt er mich wirklich für so respektlos und oberflächlich, dass ich ihn während eines Abendessens für sein Aussehen verurteilen würde?

»Ich habe dich nicht wegen deines Äußeren angeschaut«, erklärte ich. »Du sitzt mir direkt gegenüber. Da ist es nur natürlich, dass meine Augen dir zugewandt sind. Ich war noch nicht mal mit meinen Gedanken bei dir.«

Das war eine glatte Lüge, aber ich würde ihm ganz sicher nicht erzählen, was mir tatsächlich durch den Kopf gegangen war. Meine Intuition sagte mir, dass Vuk Mitleid noch mehr hasste als schlechtes Benehmen.

Er hob minimal eine Braue.

»In Wahrheit habe ich an … Irland gedacht.« Ich reckte das Kinn vor. »Weil ich mich unglaublich darauf freue.«

Vuk wirkte wenig beeindruckt. Du warst früher schon dort.

Ich runzelte überrascht die Stirn. »Woher weißt du das?«

Bevor ich entdeckt worden war und beschlossen hatte, mich ganz auf meine Modelkarriere zu konzentrieren, hatte ich einen Sommer an der Howard University in Dublin studiert. Das war zwar kein Geheimnis, aber auch nicht allgemein bekannt.

Von Jordan, teilte Vuk mir nach einer kurzen Pause mit.

Seltsam. Ich erinnerte mich nicht, es Jordan gegenüber erwähnt zu haben, aber das musste nichts heißen. Die letzten anderthalb Jahre waren so schnell verflogen, dass ich kaum noch wusste, wie mein Leben ausgesehen hatte, bevor ich Jordans Vorschlag zugestimmt hatte, eine Scheinehe mit ihm einzugehen.

Es war eine ungewöhnlich lange Verlobungszeit, aber ich würde immerhin den Erben des Jacob-Ford-Imperiums heiraten. Man erwartete eine Hochzeit im großen Stil von uns, und die ließ sich nicht von heute auf morgen planen.

Die Trauung würde kommenden Februar, also in sechs Monaten stattfinden. Danach würde ich meine ersten fünf Millionen erhalten und endlich meine Agentur verlassen können.

Sie hatte mir schon zu viel von meinem Geld und meiner Seele gestohlen. Wenn ich ihr noch mehr davon opfern müsste, bliebe nichts mehr von mir übrig.

»Wirst du jemanden zur Hochzeit mitbringen?«, fragte ich.

Obwohl Vuk als einflussreicher CEO stets im Licht der Öffentlichkeit stand, lebte er sehr zurückgezogen.

Mir war bekannt, dass er ursprünglich aus Serbien stammte und seine Eltern mit ihm nach Amerika ausgewandert waren, als er zehn war. Er hatte auf der Thayer Chemietechnik studiert und sich während der letzten beiden Unijahre mit Jordan ein Zimmer geteilt.

Manche nannten ihn den Serben, weil er seinen richtigen Namen angeblich verabscheute. Allerdings hatte ich den Verdacht, dass das bloß ein Gerücht war, denn er beschwerte sich nie, wenn Jordan ihn mit Vuk ansprach.

Das war alles, was ich über ihn wusste.

Im Internet fanden sich keinerlei Informationen über sein Privatleben, und merkwürdigerweise war ich neugierig, wie es um sein Liebesleben stand.

Ich hatte ihn nie in Begleitung einer Frau gesehen, aber er war reich, ungebunden und mächtig. Damit vereinte er für die Hälfte der weiblichen Einwohnerschaft Manhattans die Heilige Dreifaltigkeit in sich. Ganz bestimmt traf er sich mit Frauen, selbst wenn es vielleicht nur oberflächliche Bekanntschaften waren.

Über sein Gesicht flackerte eine Regung, die ich nicht deuten konnte. Möglicherweise.

»Das ist keine richtige Antwort.«

Hätte ich eine andere, würde ich sie dir geben.

Ich funkelte ihn an. »Verschafft es dir einen Kick, unausstehlich zu sein, oder bist du es von Natur aus?«

Beides.

Mir entwich ein frustriertes Seufzen.

Vuks Lippen zuckten. Bei jedem anderen hätte ich es für den Anflug eines Lächelns gehalten, aber die Vorstellung, dass Vuk Markovic überhaupt dazu imstande sein könnte, war so weit hergeholt, dass ich es mir gewiss nur einbildete.

Ich wollte gerade zu einem mit Sicherheit unglaublich originellen Konter ansetzen, als Jordan zurückkam. Ich war so sehr auf mein Gespräch mit Vuk konzentriert gewesen, dass ich nicht mal gemerkt hatte, wie er sich dem Tisch näherte.

»Entschuldigt bitte«, sagte Jordan atemlos und nahm wieder Platz. »Das Telefonat hat sich länger hingezogen als erwartet.«

»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte ich mich.

»Nicht wirklich.« Seine Stimme klang angespannt. »Es ging um meine Großmutter. Du hattest recht. Sie fühlt sich nicht wohl. Ich muss sie morgen in Rhode Island besuchen.«

Orla war nach der Party am Dienstag auf ihr Anwesen in Newport zurückgekehrt.

»Was heißt das?«, hakte ich besorgt nach.

»Ich bin mir nicht sicher. Ihre Assistentin sagte nur, dass ich keine Zeit verlieren sollte.«

Das verhieß nichts Gutes.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Zwar stand ich Jordans Familie nicht besonders nahe, trotzdem wollte ich natürlich nicht, dass seiner Großmutter etwas passierte.

Sie war der Grund für unseren Deal. Nachdem sie es leid geworden war, darauf zu warten, dass ihr einziges Enkelkind endlich sesshaft wurde, hatte sie Jordan vorletztes Jahr ein Ultimatum gestellt. Dieses besagte, dass er innerhalb der nächsten vierundzwanzig Monate verheiratet sein und das mindestens fünf Jahre bleiben musste. Andernfalls würde sie das gesamte Familienvermögen wohltätigen Zwecken spenden.

Und damit waren hundertzwanzig Millionen gemeint.

Unnötig zu erwähnen, dass Jordan nur wenige Tage später mit seinem Vorschlag an mich herangetreten war. Ich hatte mich einverstanden erklärt, und hier waren wir nun.

Ich muss sie morgen in Rhode Island besuchen.

Plötzlich traf mich die Erkenntnis, was das bedeutete. »Heißt das …?«

»Ich werde es nicht zu der Tortenverkostung schaffen«, vollendete er meinen Gedanken in entschuldigendem Ton. »Es tut mir so leid. Ich weiß, wie schwer es war, diesen Termin zu ergattern.«

Eigentlich hatten wir geplant, morgen nach Kalifornien zu fliegen und uns mit Sammy Yu zu treffen, dessen Hochzeitstorten für gewisse Kreise zu einem Statussymbol geworden waren. Paare im ganzen Land warteten Monate auf eine Audienz bei ihm und reisten von weither an, um ihn zu treffen.

»Nein, schon gut.« Ich schüttelte den Kopf. »Wir werden ihn verschieben. Deine Familie geht vor.«

»Ich bezweifle, dass wir vor der Hochzeit noch einen neuen Termin bekommen. Außerdem ist die Zeit ohnehin schon knapp, und meine Mutter wird ausrasten, wenn wir auf dem Empfang keine Sammy-Yu-Torte präsentieren.« Jordan rieb sich mit der Hand übers Gesicht. »Dummerweise besteht sie darauf, dass wir mit dem Jet nach Rhode Island fliegen, was bedeutet, dass du ihn nicht benutzen kannst. Außerdem will ich nicht, dass du die Verkostung allein machen musst. Wenn ich doch nur eine Lösung …« Sein Blick wanderte zur anderen Seite des Tischs.

Mein Magen krampfte sich vor Grauen zusammen. Bitte nicht.

»Ich weiß, dass das viel verlangt ist, Vuk, aber würde es dir etwas ausmachen, morgen mit Ayana nach San Francisco zu fliegen?« Ein flehender Ton schwang in Jordans Stimme mit. »Dein Jet ist hier in New York, oder? Es wäre nur übers Wochenende, und du hättest was gut bei mir.«

Tapfer warf ich Vuk einen Blick zu.

Er sah aus wie eine steinerne Statue. Seine Lippen bildeten einen grimmigen Strich, während er Jordan anstarrte, als hätte dieser ihn gebeten, sich die Haut abzuziehen und daraus einen Teppich für mich zu machen.

Autsch. Dass er mich nicht mochte, war nichts Neues, aber musste er derart entsetzt wirken bei dem Gedanken, mich nach Kalifornien zu begleiten?

»Bitte. Es gibt niemanden sonst, dem ich Ayana anvertrauen würde, und du weißt ja, wie meine Mutter ist«, fuhr Jordan fort. »Sie wird es mir ewig vorhalten, wenn wir diese verdammte Torte nicht bekommen.«

Sie kann meinen Jet nehmen. Vuk schaute mich nicht an, während er antwortete. Es ist nicht nötig, dass ich mitfliege.

Mir sträubten sich die Nackenhaare. Einerseits wusste ich sein Angebot zu schätzen, andererseits gefiel es mir gar nicht, dass die beiden über mich redeten, als wäre ich nicht anwesend.

»Ich brauche keinen Privatjet«, sagte ich. »Ich buche einfach einen Linienflug, so wie jeder normale Mensch.«

»Das wäre doch viel zu kompliziert«, argumentierte Jordan. »Du musst Montagmorgen zurück sein, und wegen dieses IT-Ausfalls wurden etliche Flüge gestrichen.« Er wendet sich erneut an Vuk. »Zwei Tage, mehr nicht. Du kennst meine kulinarischen Vorlieben, darum kannst du bei der Verkostung für mich einspringen, und zudem fliegt Ayana nicht gern allein.«

Ich verzog das Gesicht. Meine Flugangst war kein streng gehütetes Geheimnis, trotzdem erschien mir diese Information zu persönlich, um sie Vuk anzuvertrauen.

Jede Information war zu persönlich für ihn.

Vuk machte ein finsteres Gesicht. Auf einmal wirkte er nicht nur verärgert, sondern regelrecht zornig.

Insgeheim hoffte ich, dass er ablehnen würde. Natürlich wäre es verlockender, mit einem Privatjet zu fliegen, anstatt ein Beruhigungsmittel einzuwerfen und mich in eine ausgebuchte Maschine zu quetschen. Aber Vuk und ich waren noch nie allein miteinander gewesen.

Sogar hier, in einem der angesagtesten Lokale der Stadt und umgeben von Dutzenden anderer Gäste schien er den ganzen Sauerstoff im Raum in sich aufzusaugen. Seine Präsenz war wie ein schwarzes Loch – kraftvoll, unentrinnbar und so überwältigend, dass alles andere dagegen verblasste.

Meinetwegen. Seine Miene war eisig. Ich begleite sie. Aber nur dieses Wochenende.

»Fantastisch.« Jordans Erleichterung war offensichtlich. »Ich bin dir echt dankbar, Mann.« Er fasste erneut nach meiner Hand. »Ist das nicht wundervoll, Liebling?«

»Großartig.« Ich lächelte so breit, dass meine Wangen wehtaten.

Wäre ich kein Model, sondern Schauspielerin, würde man mich auf der Stelle feuern. Zum Glück bemerkte Vuk meinen armseligen Versuch, Begeisterung zu heucheln, nicht. Denn dazu hätte er mich erst mal wahrnehmen müssen.

Durch Jordans Rückkehr schien ein Schalter bei Vuk umgelegt worden zu sein. Eben noch hatten wir zumindest gewissermaßen miteinander kommuniziert, doch jetzt ignorierte er mich wieder komplett.

Aber damit konnte ich leben. Lieber ein stummer Reisegefährte als einer, der Grenzen nicht respektierte.

Abgesehen davon ging es nur um eine Tortenverkostung und nicht um den Einkauf von Brautdessous.

Zwei Flüge und ein Wochenende in Kalifornien. Das reinste Kinderspiel.

Ich griff nach meinem Wasserglas, und dabei funkelte mein protziger Verlobungsring im Licht. Er entsprach überhaupt nicht meinem Stil, aber Jordan hatte »dem schönen Schein zuliebe« auf diesem Modell bestanden.

Vuk betrachtete den Diamanten mit zusammengekniffenen Augen, bevor er seinen Blick auf mein Gesicht richtete.

Abermals breitete sich eine Gänsehaut auf meinen Armen aus.

Ein Kinderspiel. Schon klar. Ich trank einen Schluck. Das Wasser schmeckte nach Metall.

3

AYANA

Die gute Nachricht: Vuk hatte mich auf dem Flug nach San Francisco nicht kaltgemacht.

Die schlechte: Es blieben immer noch achtundzwanzig Stunden übrig, und es gab keine Garantie dafür, dass seine Mordlust nicht doch noch irgendwann zwischen der Tortenverkostung und unserer Rückreise die Oberhand gewinnen würde.

Wegen eines Staus in Kombination mit einem unvorhergesehenen Sturm waren wir nicht pünktlich in New York gestartet und entsprechend verspätet gelandet. Da wir keine Zeit hatten, um vor unserem Termin mit Sammy Yu in unserem Hotel einzuchecken, machte ich mich im Bad des Privatjets frisch.

Ich trug Feuchtigkeitscreme auf, zog meinen Lippenstift nach und tauschte meine flachen Schuhe gegen ein Paar hochhackige Louboutins.

Ein schwarzer Rolls-Royce erwartete uns bereits auf dem Rollfeld, als Vuk und ich das Flugzeug verließen.

Ich stieg als Erste ein, und Vuk gesellte sich zu mir. Wobei das vielleicht etwas zu viel gesagt war angesichts der Tatsache, dass er so viel Abstand zu mir hielt wie nur irgend möglich. Er quetschte sich so dicht an die Tür auf seiner Seite des Wagens, als wollte er mit ihr verschmelzen.

»Ich habe keine ansteckende Krankheit und verspreche, dass ich dich nicht beißen werde«, erklärte ich ihm. »Du kannst ganz normal neben mir sitzen.«

Keine Antwort.

Nicht wirklich überraschend. Vuk hatte mir einen flüchtigen Blick zugeworfen, als ich am Flughafen aufgetaucht war, und mich seither konsequent ignoriert.

Kurz spielte ich mit dem Gedanken, ihn anzufassen, um festzustellen, ob er schmelzen würde wie die böse Hexe des Westens. Aber da ich gern in einem Stück bei der Verkostung auftauchen wollte, holte ich stattdessen mein Handy heraus.

Mein Plan, die neuesten Posts auf meinem Lieblings-Parfümblog zu checken, wurde durchkreuzt, als ein Name auf dem Display aufleuchtete.

Vier Buchstaben, die sofortige Übelkeit bei mir auslösten.

»Hi, Hank«, meldete ich mich mit gesenkter, gleichmütig klingender Stimme und wandte Vuk den Rücken zu. Er konnte mich zwar immer noch hören, aber diese Illusion von Privatsphäre war in jenem Moment mein einziger Trost.

Jedes Mal, wenn ich mit meinem Agenten sprach, kribbelte mein ganzer Körper vor Unbehagen. Nicht zu fassen, dass ich früher geglaubt hatte, er stünde auf meiner Seite.

Es zählte zu den schwierigsten Aspekten des Erwachsenwerdens, wenn man realisieren musste, dass Menschen, denen man vertraute, nicht vertrauenswürdig waren.

»Hallo, Ayana«, begrüßte Hank mich in schmierigem Ton. »Bist du gut in Kalifornien angekommen?«

»Ja. Wir sind gerade auf dem Weg zu Sammy Yu.«

»Ausgezeichnet. Wie ich höre, wirst du von Vuk Markovic begleitet?«

Meine Schultern verspannten sich. Ich hatte Hank nicht erzählt, dass Vuk für Jordan einspringen würde, aber natürlich hatte er davon erfahren. Unerklärlicherweise wusste er immer alles.

Das machte mich so paranoid, dass ich mein Apartment und meine technischen Geräte vor ein paar Monaten auf Wanzen überprüft hatte. Ohne Erfolg, und das beunruhigte mich fast noch mehr, als wenn ich fündig geworden wäre.

»Ja, er war so freundlich, mich in seinem Jet herzufliegen, nachdem Jordan es zeitlich nicht einrichten konnte.« Ich fragte ihn nicht, woher er die Information hatte.

»Wie großzügig von ihm.« Eine Tür fiel ins Schloss, gefolgt von dem Geräusch einer Kaffeemaschine, die im Hintergrund zu brummen anfing. »Nun, ich hasse es, dich am Wochenende zu stören …«

Nur mit Mühe konnte ich mir ein lautes Schnauben verkneifen.

Er hatte nie Skrupel, mich zu stören – egal wobei. Einmal hatte er mich inmitten eines Zahnarzttermins genötigt, zu einem kurzfristig anberaumten Casting in der Innenstadt zu hetzen.

»Aber ich muss sichergehen, dass du rechtzeitig zu dem Shooting am Montagmorgen zurück bist.« Sonst kannst du was erleben. Hank schwieg kurz, damit ich die unausgesprochene Drohung zwischen den Zeilen sacken lassen konnte, ehe er fortfuhr. »Delamonte Cosmetics ist ein wichtiger Kunde. Die Agentur wäre sehr verärgert, wenn du diese Kampagne gefährdest, erst recht in Anbetracht deiner aktuellen Nebenbeschäftigung.«

Ich bohrte meine Fingernägel in den Ledersitz. Hank spielte auf die Vorbereitungen für meine Hochzeit an.

Er und die Chefin der Agentur waren nicht begeistert gewesen, als ich ihnen von meiner Verlobung erzählt hatte, aber erst seit die Organisation der Feierlichkeiten diesen Monat Fahrt aufgenommen hatte und nun den Großteil meiner Zeit beanspruchte, saßen die beiden mir unentwegt im Nacken deswegen.

»Ich habe bisher noch nie eine Kampagne in Gefahr gebracht«, verteidigte ich mich. »Und keine Sorge, ich werde Montagfrüh zurück sein.«

»Gut. Weil wir andernfalls gezwungen wären, die entgangenen Einnahmen von deinem nächsten Gehaltsscheck abzuziehen und dir außerdem die verlorene Zeit sowie den Arbeitsaufwand in Rechnung zu stellen.«

Wut stieg in mir hoch. Ich drängte sie zurück, bevor eine Salve von Flüchen aus mir herausbrechen konnte, die einen Trucker erröten lassen würde.

»Verstanden«, antwortete ich in ruhigem, gefasstem Ton, sorgsam darauf bedacht, mir meine Panik nicht anmerken zu lassen.

Hank legte auf, und ich holte tief Luft, bevor ich den verkrampften Griff um mein Handy löste und es in meine Handtasche warf.

Er hatte nicht angerufen, weil er befürchtete, ich könnte das Shooting versäumen, sondern um mich an seine Macht über mich zu erinnern und daran, dass ich wegen eines dämlichen Vertrags, den ich als ahnungslose Neunzehnjährige unterschrieben hatte, an ihn gebunden war.

Mein Zorn schlug mir auf den Magen, sodass mir fast schwindelig vor Übelkeit wurde.

Nur noch sechs Monate.

So lange musste ich Hank weiterhin ertragen, ehe ich aus meinem Vertrag aussteigen und mich für immer aus seinen Klauen und denen der Agentur befreien konnte.

Das wollte ich schon seit Jahren, aber es war immer unmöglich gewesen, bis sich mir dank der Abmachung mit Jordan die Chance dazu geboten hatte.

Ich atmete noch einmal tief durch, um mich zu sammeln, als ich bemerkte, dass Vuk mich anstarrte. Meine Wangen wurden heiß.

War das dein Agent?

Natürlich hatte er meinen Teil der Unterhaltung hören können, aber sein unerwartetes Bedürfnis, sich mit mir zu unterhalten, überraschte mich so sehr, dass ich einen Moment brauchte, um zu antworten.

»Ja. Es ging um ein bevorstehendes Fotoshooting.«

Du hast aufgewühlt geklungen.

Zuerst beginnt er ein Gespräch mit mir, und nun machte er sich auch noch Gedanken um meine emotionale Verfassung?

Beinahe hätte ich mich im Wagen nach versteckten Kameras umgesehen, weil mir jemand einen Streich spielen wollte. Aber Vuk war der Letzte, der sich zu so etwas herablassen würde.

»Das wäre zu viel gesagt«, entgegnete ich ausweichend. »Ich bin nur ein bisschen gestresst wegen des ganzen Trubels.« Ich schenkte ihm das Lächeln, das mir den hart umkämpften Vertrag mit Delamonte Cosmetics eingebracht hatte. »Was ist mit dir? Wie laufen deine Geschäfte so?«

Nicht gerade das originellste Thema, aber ein anderes fiel mir auf die Schnelle nicht ein.

Was hat er zu dir gesagt?

So viel zu meinem Ablenkungsmanöver.

»Er wollte mich nur an einen Termin am Montag erinnern.« Ich würde mein sorgfältig gehütetes dunkles Geheimnis nicht ausgerechnet Vuk anvertrauen. Nicht einmal Jordan wusste, wie schlimm die Dinge zwischen Hank und mir wirklich standen. »Warum interessiert dich das überhaupt so brennend? Erzähl mir nicht, dass du auf der Suche nach einem Agenten bist.«

Eigentlich wollte ich ihn nur ein bisschen aufziehen, aber seine Miene wurde noch finsterer.

Er heißt Hank Carson, richtig?

Ich nickte und war insgeheim verblüfft darüber, dass er den Namen kannte, obwohl Vuk nichts mit der Modebranche zu tun hatte.

Sein Gesichtsausdruck wurde kalt und verschlossen, etwas Dunkles flackerte in seinen Augen auf.

Ein Frösteln überlief mich, während sich gleichzeitig ein warmes Gefühl in meinem Bauch ausbreitete. Ich schlug ein Bein über das andere und stellte sie gleich darauf wieder nebeneinander. Es hatte fast den Anschein, als wollte Vuk Hank an den Kragen. Etwa wegen mir?

Nein, das konnte nicht sein. Er mochte mich noch nicht mal.

Trotzdem verursachte mir die Vorstellung ein seltsames Flattern in der Brust.

Weil dich seit deinem Umzug nach New York niemand mehr beschützt hat. Zumindest nicht, ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten.

Es war völlig ausgeschlossen, dass Vuk mir gegenüber einen Beschützerinstinkt entwickelte. Ich musste an Wahnvorstellungen leiden, wenn ich etwas anderes glaubte.

Trotzdem gab es in der pulsierenden Stille diese eine Sekunde, in der ich dachte, dass er vielleicht …

Irgendwo hupte ein Auto. Vuks Kiefermuskel zuckte, er lehnte sich zurück und zog sein Handy heraus, als wäre nichts vorgefallen. Aber schließlich war ja auch nichts vorgefallen.

Er hatte sich lediglich den Namen meines Agenten bestätigen lassen. Mehr nicht.

Ich wandte den Kopf zum Fenster und starrte nach draußen, während wir uns im Schneckentempo durch den Verkehr kämpften. Allmählich normalisierte sich mein Herzschlag, und die Welt kam wieder ins Lot.

Trotzdem spürte ich die restliche Fahrt immer noch dieses warme Gefühl in meinem Bauch.

Wir erreichten die Konditorei pünktlich auf die Minute. Eine Mitarbeiterin nahm uns in Empfang und führte uns in den hinteren Bereich, wo bereits ein Büfett mit verschiedenen Torten, Tee und Kaffee auf uns wartete.

»Herzlich willkommen«, begrüßte Sammy Yu uns lächelnd. Er war ein großer, attraktiver Mann mit kurzen dunklen Haaren, markantem Kinn und einer lässigen Ausstrahlung. »Sie müssen Ayana und Jordan sein. Es freut mich, Sie beide kennenzulernen.«

»Die Freude ist ganz meinerseits.« Ich schüttelte ihm die Hand. »Bei Jordan gab es leider einen familiären Notfall, deshalb konnte er nicht mitkommen. Sein Trauzeuge Vuk vertritt ihn.«

Vuk nickte ihm höflich zu.

Sammy hob erstaunt die Brauen.

Anscheinend war es eher ungewöhnlich, dass ein Dritter diese wichtige Aufgabe übernahm, aber Sammy war Profi genug, dies nicht zu kommentieren.

Wir setzten uns, die Assistentin servierte Champagner, dann verbrachten wir die nächste Stunde damit, die Proben zu verkosten.

Sammy hatte basierend auf Jordans und meinen Vorlieben, die wir ihm im Vorfeld schriftlich mitgeteilt hatten, sechs Geschmacksrichtungen kreiert.

Jede einzelne davon war eine Offenbarung.

Kein Wunder, dass die Leute für Sammys Kunstwerke weite Strecken in Kauf nahmen. Ich hatte Angst gehabt, dass er womöglich überbewertet wurde, aber der Hype um ihn war absolut begründet.

»Sobald Sie sich für eine Sorte entschieden haben, besprechen wir das Design, und ich schicke Ihnen nächste Woche einige Entwürfe. Haben Sie schon einen Favoriten?«

»Ich liebe sie alle, aber tatsächlich tendiere ich zu der da.« Ich zeigte auf die Himbeer-Mandel-Torte. »Was meinst du, Vuk?«

Er hatte jeweils einen einzigen Bissen probiert und sich bisher in keiner Weise geäußert.

Die würdest du wählen?

Ich runzelte die Stirn. »Magst du sie nicht?«

Es ist nicht relevant, was ich mag. Er sah mich scharf an. Jordan hasst Mandeln.

Mist. Er hatte recht.

Jordans Aversion gegen Mandeln war mir völlig entfallen, dabei hätte ich als seine Verlobte daran denken müssen.

Aber warum zur Hölle hatte er das nicht vorab angegeben?

»Ja, das stimmt. Offensichtlich hat Jordan vergessen, das in seinem Fragebogen zu erwähnen.« Ich versuchte, die peinliche Situation mit einem Lachen zu überspielen. »Wir haben sie direkt nach der Met Gala ausgefüllt, obwohl wir total erschöpft waren. Ich hätte mich heute daran erinnern müssen, aber mein Hirn ist noch ganz vernebelt vom Flug. Sie wissen ja, wie das ist.«

Vuk musterte mich mit argwöhnischer Miene.

Mein Puls rauschte wild durch meine Adern.

Alles ist gut. Er weiß es nicht. Was ist schon dabei, dass ich nicht an Jordans Abneigung gegen Mandeln gedacht habe? Das war nur ein kleiner Fauxpas. Es ist schließlich nicht so, als hätte ich seinen Ring in den Müll geworfen.

Und selbst wenn Vuk das mit unserer Vereinbarung herausfände, würde er nicht zu Jordans Großmutter laufen und seinen besten Freund verpetzen … Es sei denn, er verabscheute mich so sehr, dass er darin eine willkommene Gelegenheit sähe, unsere Verlobung platzen zu lassen.

Bei jeder anderen Person hätte ich diese Idee als absurd abgetan.

Aber Vuk Markovic traute ich praktisch alles zu.

Nach einem langen Moment angespannten Schweigens richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Sammy.

Anstatt Erleichterung zu verspüren, wurde mir nur noch mulmiger zumute. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass Vuk meinen Schnitzer in einem geistigen Ordner abspeicherte, den er eigens für mich angelegt hatte.

Sammy schaute sichtlich verwirrt zwischen uns hin und her. Taktvoll wie er war, überging er meine letzten Worte und sagte stattdessen: »Also keine Mandeln. Ich werde es mir notieren. Haben Sie noch einen Favoriten?«

»Sogar zwei. Die Torte auf Haselnussbasis mit Schokoladenbuttercreme und außerdem die mit Rosenwasser- und Earl-Grey-Aroma.« Letztere entsprach mehr meinem persönlichen Geschmack, aber ich wollte diese Entscheidung nicht allein fällen. Erneut versuchte ich, Vuk einzubeziehen. »Welche magst du lieber?«

Das ist unerheblich. Ich bin nicht der Bräutigam.

Ich verlor nicht oft die Beherrschung. Meine Eltern hatten mir beigebracht, niemals in der Öffentlichkeit aus der Rolle zu fallen, und ich ging Konflikten nach Möglichkeit aus dem Weg.

Aber Vuk führte sich auf wie ein Arschloch, und nach dem siebenstündigen Flug, dem Anruf von Hank und so viel Zucker, dass ich wahrscheinlich in der Zeit hier Karies bekommen hatte, hatte ich die Nase gestrichen voll von seinem passiv-aggressiven Verhalten.

Um Sammy nicht in Verlegenheit zu bringen, antwortete ich Vuk in Gebärdensprache.

Das ist mir bewusst. Du sollst mir lediglich sagen, welche von beiden Jordan bevorzugen würde. Meine Hände wirbelten wie Klingen durch die Luft. Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du dir die Zeit genommen hast, mich zu begleiten. Aber deine mangelnde Kooperation führt zu nichts. Du bist freiwillig mitgekommen. Also benimm dich jetzt wie ein normaler Mensch, und triff verdammt noch mal eine Entscheidung, oder verschwinde. Ich finde allein ins Hotel.

Sammys Blick sprang unablässig zwischen uns hin und her. Es war so still, dass ich hören konnte, wie seine Mitarbeiterin im Empfangsbereich auf einer Tastatur herumtippte.

Klack-klack-klack.

Mein Herz klopfte im Gleichtakt mit ihren Anschlägen. Würde Vuk jetzt davonstürmen und mich in Kalifornien zurücklassen? Aber tatsächlich wirkte er beinahe amüsiert.

Ohne den Blick von mir abzuwenden, wies er mit dem Kinn auf die Earl-Grey-Torte.

Die passt besser zu dir. Und Jordan wird es letztlich egal sein.

Woher wusste er …

Unwichtig. Die Chance, dass er meinen Favoriten herauspicken würde, hatte bei fünfzig zu fünfzig gelegen. Es hatte also rein gar nichts zu bedeuten.

»Wir haben uns für die zweite Option entschieden.« Ich strich meinen Rock glatt und lächelte Sammy an. Vermutlich bereute der arme Mann es schon jetzt, uns als Kunden angenommen zu haben.

»Perfekt. Ich werde die Details vorne mit Vera ausarbeiten. Bitte genießen Sie unterdessen das Büfett.« Er deutete mit der Hand zu den restlichen Kuchen. »Ich bringe gleich noch mehr Champagner, damit Sie gebührend feiern können.«

Diese Schimpftirade hältst du schon eine ganze Weile zurück, bemerkte Vuk, nachdem Sammy das Zimmer verlassen hatte.

Hitze schoss mir ins Gesicht. »Du bist einfach so … so …«

Unkooperativ? Er meinte es eindeutig spöttisch.

Ich blitzte ihn an, aber meine schnippische Antwort erstarb mir auf den Lippen, als er den Arm ausstreckte und mit dem Daumen über meine Wange strich.

Ich erstarrte.

Vuk hatte mich nie zuvor angefasst. Er hat mir noch nicht mal die Hand geschüttelt bei unserer ersten Begegnung.

Meine Muskeln spannten sich reflexartig an. Ich war hin- und hergerissen zwischen dem Impuls zurückzuweichen und dem Bedürfnis, mich in seine Hand hineinzuschmiegen.

Sie war rau und kräftig, und zugleich war seine Berührung erstaunlich sanft, als sein Daumen über meinen Mundwinkel glitt.

Dann zog er die Hand zurück, und Sauerstoff strömte in meine Lungen, als hätte ich Stunden und nicht nur Sekunden die Luft angehalten.

Unbewusst tastete ich nach der Stelle, die er berührt hatte und die sich noch immer warm anfühlte.

Vuks Lippen wurden schmal. Er wischte seine Hand an einer Serviette ab, knüllte sie zusammen und warf sie in einen Abfalleimer. Dann griff er nach einer frischen, zog einen Stift hervor und kritzelte etwas darauf.

Er schob sie mit kühler Miene vor mich hin.

Du hattest Glasur an der Wange.

Natürlich. Was sonst?

Mein Dekolleté und meine Wangen fingen an zu glühen. Was war heute bloß los mit mir? Warum interpretierte ich in jede unserer Interaktionen mehr hinein, als sie bedeuteten?

Zum Glück kam in diesem Moment Sammy zurück und ersparte mir eine Antwort.

Vuk und ich lehnten beide dankend ab, als er uns Champagner nachschenken wollte. Fünfzehn Minuten später waren sämtliche Bestellformalitäten erledigt, und wir machten uns am frühen Abend auf den Weg zu unserem Hotel.

Theoretisch hätten wir direkt nach New York zurückfliegen können, aber es schien vernünftiger, die Nacht in San Francisco zu verbringen, anstatt in weniger als vierundzwanzig Stunden zweimal von Küste zu Küste zu jetten.

Ich verlangte meinem Körper während der Fashion Week und verrückter Fotoshootings genug ab, darum versuchte ich, ihm Ruhe zu gönnen, wann immer ich konnte.

»Willkommen im Winchester, Ms Kidane und Mr Ford«, flötete die Dame am Empfang, als wir eincheckten. Ich hatte ihr meinen Ausweis gegeben, dabei aber zu erwähnen vergessen, dass nicht Jordan mein Begleiter war. Weder Vuk noch ich verbesserten sie. »Wie ich sehe, werden Sie in unserer Regal Suite übernachten, die schon für Sie bereit ist. Hier sind Ihre Schlüssel. Die Aufzüge befinden sich am Ende des Flurs auf der linken Seite. Sollten Sie irgendetwas benötigen, wählen Sie einfach die Null für die Rezeption. Wir stehen Ihnen jederzeit zur Verfügung.«

Ich atmete tief ein. Scheiße.

Um den Schein aufrechtzuerhalten, hatten Jordan und ich eine Suite mit nur einem Schlafzimmer reserviert, und ich hatte nicht daran gedacht, die Buchung entsprechend zu ändern, nachdem Vuk für ihn eingesprungen war.

Er wurde stocksteif neben mir.

»Verzeihung, leider hat sich bei uns kurzfristig eine Planänderung ergeben. Ich hätte das sofort ansprechen sollen, aber es war ein furchtbar langer Tag.« Ich schaute sie zerknirscht an. »Wir würden gern noch eine zweite Suite zusätzlich nehmen. Weil, nun ja … wir schlafen lieber getrennt.«

Ihr Lächeln verblasste. »Es tut mir schrecklich leid, aber wir sind komplett ausgebucht. Riley K. gibt dieses Wochenende ein Konzert in der Stadt, daher sind im ganzen Umkreis keine Hotelzimmer mehr verfügbar. Aber …« Ihre Miene hellte sich wieder auf. »Die Regal Suite ist mit einem Zustellbett ausgestattet. Wäre Ihnen damit geholfen?«

Vuk ballte auf dem Empfangstresen die Hände zu Fäusten.

Ich schluckte schwer. Hoffentlich stellte er sich nicht gerade vor, mich zu erwürgen, nur weil wir uns ein Schlafzimmer würden teilen müssen.

»Miss?«, hakte die Rezeptionistin nach.

»Ähm.« Ich schaute zu Vuk. Ein Anruf von ihm würde genügen, um uns irgendwo eine passende Unterkunft zu besorgen. Er könnte auf der Stelle dieses ganze Hotel kaufen, wenn ihm der Sinn danach stünde. Aber er schlug nichts dergleichen vor, und ich wollte ihn nicht darum bitten. »Ja, damit ist uns sehr geholfen.«

Wie sich herausstellte, verfügte unsere auf der obersten Etage gelegene Suite über einen Wohnraum, ein Esszimmer, ein marmorgetäfeltes Bad und ein Schlafzimmer, in dem sich tatsächlich ein Beistellbett befand – ein ziemlich schmales und sehr klapprig wirkendes Beistellbett.

Um ehrlich zu sein, würde es wahrscheinlich trotzdem jedem anderen Menschen genug Platz bieten – außer Vuk. Der Mann war fast zwei Meter groß und wog mindestens hundert Kilo. Er könnte das Ding mit seinen bloßen Händen zermalmen.

»Ich denke nicht, dass du da draufpassen wirst. Darum nimm du ruhig das richtige Bett«, bot ich ihm an.

Kommt nicht infrage.

Na schön. Ich würde mich deswegen nicht mit ihm streiten.

Einerseits tat er mir leid, andererseits liebte ich seidene Kissenbezüge und luxuriöse Boxspringbetten. Daran war nichts Verwerfliches.

Ich packte gerade meine Kosmetikartikel aus und überlegte, was ich beim Zimmerservice bestellen sollte, als das Unvermeidliche passierte.

Vuk warf seine Reisetasche auf das Beistellbett und setzte sich dazu.

Der Rahmen ächzte unheilvoll, und bevor einer von uns beiden reagieren konnte, brach das Teil in sich zusammen.

4

VUK

Ich war schon gefoltert worden. Messerstiche, Verbrennungen, Fesseln – ich hatte alles überlebt.

Aber das hier? Das war wirklich Folter, zur Hölle, und nur ich allein war schuld daran.

Missmutig starrte ich auf meinen Laptop und versuchte, mich auf die Ausführungen meines Sicherheitschefs zu konzentrieren anstatt auf die geschlossene Badezimmertür.

Von meinem Platz im Wohnzimmer aus hatte ich sie direkt im Blick – genau wie den mit zarter Seide und Spitze gefüllten Koffer im Schlafzimmer. Fast schien es, als hätte Ayana ihn absichtlich offen gelassen, nur um mich zu quälen.

Ich hörte, wie die Dusche angestellt wurde und das Wasser zu laufen begann.

Mein Kiefermuskel zuckte.

»… unsere Vorsichtsmaßnahmen verschärfen«, unterbrach Seans Stimme für einen Moment meine Grübelei.

Ich hätte nie einwilligen dürfen, Ayana nach San Francisco zu begleiten. Es war schon schlimm genug, ihr in einem öffentlichen Umfeld zu begegnen, doch jetzt mussten wir uns nicht nur ein Zimmer teilen, sondern außerdem im selben verdammten Bett schlafen.

Da das Winchester restlos ausgebucht war, gab es noch nicht mal ein Ersatzzustellbett.

Hätte ich mich doch bloß rechtzeitig um ein Hotel gekümmert.

Hätte ich doch bloß nicht den gierigen, egoistischen Teil von mir, der törichterweise ihre Nähe suchte, die Oberhand gewinnen lassen.

Hätte, hätte, hätte.

»Ich wollte nichts sagen, bevor es bestätigt ist, aber wir haben einen Hinweis auf die Person gefunden, die das Feuer im Vault gelegt hat.«

Seans Worte rissen mich endlich aus meiner Versunkenheit. Mein Puls beschleunigte sich, ich setzte mich gerade hin. Der Brand war das Einzige, das meine unentwegt um Ayana kreisenden Gedanken ablenken konnte, und Sean hatte jetzt meine volle Aufmerksamkeit.

»Wir sind auf Fasern eines Kleidungsstücks gestoßen, das keinem der Handwerker oder registrierten Besucher auf der Baustelle zugeordnet werden kann«, fuhr Sean fort. Der ehemalige Elitesoldat war einer der Topmitarbeiter bei Harper Security gewesen, bevor ich ihn vor fünf Jahren als Leiter meines Sicherheitsteams angeheuert hatte. Ich schätzte seine direkte, unverblümte Art. »Wegen des Zustands des Tatorts und der bürokratischen Hürden brauchten wir eine Weile, um sämtliche Beweise zu sichten. Unsere Jungs haben die Fasern erst heute Morgen entdeckt.«

Ich tippte eine Antwort. Wenn wir uns nicht persönlich treffen konnten, kommunizierten wir per Videochat über ein verschlüsseltes Netzwerk.

Irgendwelche DNA-Spuren?

»Nein. Allerdings haben wir dieses Foto aufgestöbert, das eine Person aufgenommen hat, die sich ungefähr zum Zeitpunkt des Feuers in dem Bereich aufgehalten hat.«

Es erschien auf meinem Bildschirm. Darauf war eine junge blonde Frau in einem Northwestern-Sweatshirt zu sehen, die in die Kamera grinste. Ich tippte auf eine Touristin, aber mein Interesse galt nicht ihr, sondern dem Mann im Hintergrund.

Sie hatte das Selfie im selben Moment geschossen, als er an ihr vorbeiging. Für das ungeübte Auge sah er aus wie irgendein x-beliebiger anderer Gast.

Aber auf mich wirkte er wie jemand, der etwas zu verbergen hatte. Die unscheinbare Kleidung, die entspannte, doch zugleich Wachsamkeit ausstrahlende Körperhaltung und die Art, wie er das Gesicht von den Überwachungskameras abwendete, wiesen deutlich darauf hin, dass es sich um einen Profi handelte.

Der Mann war ein circa ein Meter neunzig großer, muskulöser Weißer mit dunklen Haaren, die halb von einer schlichten blauen Cap verdeckt wurden. Er trug ein schwarzes T-Shirt ohne irgendwelche erkennbaren Logos.

Sean erriet meine Gedanken. »Die Fasern könnten definitiv von seinem Oberteil stammen. Wir haben das Überwachungsmaterial der umliegenden Geschäfte durchforstet, jedoch keine brauchbare Aufnahme von seinem Gesicht gefunden. Aber in Anbetracht des Zeitpunkts, seiner Kleidung und weiterer relevanter Faktoren deutet alles auf ihn als Täter hin.«

Ich betrachtete ein weiteres Mal das Foto und entdeckte etwas, das mir zuvor entgangen war: die Umrisse eines Tattoos, das unter einem Ärmel hervorlugte. Aufgrund der Entfernung war es zu unscharf, um das Motiv zu erkennen, aber ein Computerspezialist würde dieses Rätsel mühelos lösen.

Wieder schien Sean intuitiv zu wissen, was in meinem Kopf vorging. »Wir haben die Bildqualität digital verbessert und sind gerade dabei, die Tätowierung zu analysieren. Das Ganze gestaltet sich schwierig, da wir nur einen Ausschnitt sehen können, aber sobald wir die Details herausgearbeitet haben, lassen wir sie durch unsere Datenbank laufen.«

Gut. Findet so viel heraus, wie ihr könnt. Geld und Zeit spielen keine Rolle, antwortete ich.

Es war mir egal, wie lange es dauerte. Ich würde den Drecksack finden, der versucht hatte, mich umzubringen.

Ende letzten Jahres wäre ich während einer Begehung des mittlerweile berühmten Nachtclubs Vault, bei dem ich stiller Teilhaber bin, fast gestorben. Hätte Xavier Castillo, der Eigentümer, nicht sein Leben riskiert, um mich aus den Flammen zu retten, wäre ich darin umgekommen.

Den Behörden zufolge waren marode, falsch verlegte Leitungen die Brandursache, aber dass das Feuer ausgerechnet während meiner Anwesenheit ausgebrochen war, konnte kein Zufall sein.

Da ich generell nicht an Zufälle glaubte und außerdem der New Yorker Polizei nicht über den Weg traute, hatte ich meine eigenen Leute darauf angesetzt, den Brand zu untersuchen. Dass sie meinen Verdacht nie angezweifelt hatten, obwohl ihre Nachforschungen monatelang im Sande verlaufen waren, zeugte von ihrer Loyalität mir gegenüber.

Aber allmählich kamen wir der Sache näher. Das Tattoo war zwar nur ein kleiner Anhaltspunkt, doch mehr brauchte ich für den Anfang nicht.

Die Badezimmertür ging auf.

Ich beendete den Videoanruf ohne Verabschiedung und klappte meinen Laptop zu, bevor Ayana auch nur einen Fuß ins Schlafzimmer gesetzt hatte.

»Sorry, dass ich die Dusche so lange blockiert habe«, sagte sie. »Sie gehört jetzt ganz dir, falls du möchtest.«

Ich schaute sie an und biss die Zähne aufeinander, als Hitze wie eine Stichflamme durch meine Adern schoss.

Verdammt.

Sie trug einen goldfarbenen Seidenmorgenmantel, der bis über ihre Knie reichte, doch das änderte nichts daran, dass ihr Anblick mich wie ein Schlag in den Magen traf.

Ich konnte damit umgehen, sie in einem eleganten Abendkleid oder sogar in einem Badeanzug zu sehen. Aber nicht so wie jetzt – barfuß und ungeschminkt, ihre Haut noch feucht vom Duschen. Nur wenige Meter trennten uns voneinander, und es kostete mich meine ganze Selbstbeherrschung, auf Abstand zu bleiben.

Sie war die Verlobte meines besten Freunds. Es stand mir nicht zu, ihre schönen Lippen anzustarren oder der Spur der Wassertropfen, die ihren anmutig geschwungenen Hals hinabrannen und in ihrem Dekolleté verschwanden, mit meinem Blick zu folgen.

Andererseits hatte ich schon immer Dinge getan, zu denen ich kein Recht hatte. Und niemand hatte mich je daran gehindert.

Weil keiner es wagte.

Ich lehnte mich mit ausdrucksloser Miene zurück, während Ayana auf mich zutrat, um ihr Handy vom Tisch zu nehmen. Der Ärmel ihres Morgenmantels streifte mich, als sie danach griff. Die flüchtige Berührung durchfuhr mich wie ein Stromstoß, und ich verabscheute mich selbst nur noch mehr. Ich drehte den Kopf zur Seite, um ihren Duft nicht einzuatmen.

Manche Frauen hielten einem Parfüm die Treue, Ayana hingegen wechselte ihres je nach Stimmung. Doch in diesem Moment nahm ich nur eine Spur ihres nach Kokosnuss duftenden Shampoos und den natürlichen Geruch ihrer Haut wahr.

Den ich gleichermaßen liebte und hasste.

»Sorry«, sagte sie wieder. »Ich hatte mein Handy hier vergessen.«

Hör auf, dich zu entschuldigen.

Ihr Blick zuckte zu meinem Gesicht.

Zweimal innerhalb von zwei Minuten ist ein bisschen übertrieben, besonders da du nichts getan hast, für das du dich entschuldigen müsstest.

Ayanas gehemmte Höflichkeit gefiel mir nicht. Sie passte nicht zu ihr. Ich bevorzugte die Version von ihr, die mich in der Konditorei zurechtgewiesen hatte und mich jetzt anfunkelte, als könnte sie sich nicht entscheiden, ob sie mir zustimmen oder eine Ohrfeige verpassen sollte.

Zufriedenheit durchströmte mich. Das ist schon besser.

Natürlich hätte ich mich etwas weniger schroff ausdrücken können, aber es war besser, Ayana so gut es ging auf Distanz zu halten.

Warum musst du Montagfrüh zurück in New York sein?

Ich wechselte das Thema, um mich von ihrem Anblick abzulenken.

Dank ihrer langen Beine, der hohen Wangenknochen, der samtig schimmernden braunen Haut und der dunklen Augen, die sowohl Verspieltheit als auch Intelligenz ausstrahlten, würden sich die Leute selbst dann nach ihr umdrehen, wenn sie kein bekanntes Model wäre.

Aber neben ihrer Schönheit besaß sie andere Eigenschaften, die mich sogar noch mehr zu ihr hinzogen: die natürliche Grazie, mit der sie sich bewegte und die man nicht lernen konnte; ihr offenes, herzliches Lachen, das selbst die dunkelsten Schatten zu vertreiben vermochte; die Wärme, die sie ausstrahlte, so als wohnte ihr ein Feuer inne, das nur darauf wartete, richtig entfacht zu werden.

Ruhm hin oder her, Ayana Kidane war dafür geboren, der Welt Glanz zu verleihen.

»Wegen eines Fotoshootings für Delamonte Cosmetics.« Ohne etwas von meinem inneren Tumult zu ahnen, setzte sie sich mir gegenüber. Ihr mitternachtsschwarzes Haar fiel in üppigen Wellen über ihre Schultern, und ihre Haut schimmerte im gedämpften Licht des Raums. »Ich bin die neue Markenbotschafterin des Konzerns, und dies wird meine erste Kampagne für ihn. Es ist also eine große Sache.«

Groß genug, dass ihr Agent es für nötig hielt, Ayana an einem Samstag zu behelligen.

Ich hatte zwar nicht gehört, was er am Telefon zu ihr gesagt hatte, aber mir war weder die unterschwellige Anspannung in Ayanas Stimme entgangen noch die Tatsache, dass sie ihre Fingernägel in den Autositz gekrallt hatte.

Der Anruf hatte sie nicht nur gestresst, sondern regelrecht in Panik versetzt.

Hank Carson. Ich rief mir den Namen des Mannes ins Gedächtnis, bevor ich Ayana eine weitere Frage stellte.

Hast du schon als Kind von einer Modelkarriere geträumt?

»Nicht wirklich.« Sie fuhr gedankenverloren mit dem Finger über die Tischplatte. »Allerdings habe ich mich auch damals schon für Beautyprodukte und Mode begeistert. Ich war erst elf, als ich meine Eltern dazu überredete, die Vogue für mich zu abonnieren. Aber ich sah mich selbst nicht als zukünftiges Model. Ich wollte alles Mögliche werden. Kinderärztin. Psychologin. Dolmetscherin. Am Ende habe ich in Dublin Chemie und Medizin studiert, bevor die Freundin einer Freundin mich zu einer Party an der Thayer einlud, wo Hank mich entdeckte. Der Rest ist hinlänglich bekannt.«

Das alles wusste ich schon. Ich hatte jedes ihrer Interviews gesehen und jeden Zeitungsartikel über sie gelesen.

Trotzdem genoss ich es, diese Details von ihr selbst zu hören. Wenngleich in ihrer Stimme eine leichte Bitterkeit mitschwang, die verriet, dass in ihrer Geschichte mehr steckte, als sie preisgab.