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Für ihre Lügen wird er ihr das Wertvollste nehmen ...
Harrison Brooks und Norrie Richardson hatten eine perfekte Woche. Doch dann trennte das Schicksal sie, und erst als Norrie verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wird, erfährt Harrison, dass er der Vater eines Sohnes ist. Eine Familie war nie das, was Harrison wollte, doch er merkt schnell, dass er Norrie und ihr gemeinsames Kind nicht wieder gehen lassen will. Er kämpft mit allen Mitteln darum, seine Familie zu behalten, auch wenn das bedeutet Norrie zu einer Ehe zu zwingen, indem er ihr androht, ihr das Wichtigste zu nehmen ...
»Ich liebe diesen sexy Billionaire Grump!« Goodreads
Band 2 einer neuen Reihe rund um die Inhaber eines exklusiven Clubs von Bestseller-Autorin L. Knight
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Zu diesem Buch
Prolog
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Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von L. Knight bei LYX
Leseprobe
Impressum
L. KNIGHT
Kings of Ruin
THE CONSEQUENCE
Roman
Ins Deutsche übertragen von Ralf Schmitz
Harrison Brooks und Norrie Richardson hatten vor einem Jahr eine perfekte Woche. Doch dann trennten sich ihre Wege, wenn sie einander auch nie vergessen konnten. Erst als Norrie von einem Auto angefahren und verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wird, erfährt Harrison, dass er der Vater eines kleinen Sohnes ist. Eine Familie war nie das, was der Billionaire wollte, doch er merkt schnell, dass er Norrie und ihr gemeinsames Kind nicht wieder gehen lassen will. Harrison kämpft mit allen Mitteln darum, seine Familie zu behalten, auch wenn das bedeutet Norrie zu einer Ehe zu zwingen, indem er ihr androht, ihr das Wichtigste zu nehmen: ihren gemeinsamen Sohn …
»Ich sage dir, ich brauche verdammt noch mal keine Pause. Mir geht es prima.« Ich liege auf dem Sofa in unserem gemeinsamen Büro im Club Ruin, als Beck sich mit einer Blutdruckmanschette über mich beugt. Ich funkle zuerst ihn und dann Audrey an. Was mir jedoch nichts bringt. Audrey hat weder vor mir noch vor sonst irgendwem Angst. Weshalb wir auch so reibungslos zusammenarbeiten. Sie ist eine Naturgewalt, was auch gut so ist, da sie mit vier Arschgeigen wie uns einen Club betreibt.
»Es geht dir eindeutig nicht ›prima‹, sonst wärst du nicht beinah hinter der Bar zusammengeklappt.«
Es wird mir zu eng in meiner Haut, als alle mich anstarren, und ich kämpfe gegen den Drang an, mich unter ihren Blicken zu winden. Ich hasse es, im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zu stehen. »Ich bin einfach zu schnell aufgestanden.«
»Wenn du es sagst. Wo hast du noch gleich deinen Abschluss in Medizin gemacht?« Beck sieht mich mit einer frech hochgezogenen Braue an, und ich seufze über seinen Versuch, witzig zu sein.
Als er sich anschickt, mir auf die Beine zu helfen, schiebe ich seine Hand verärgert beiseite. »Ich schaff das schon.« Resigniert schüttelt er den Kopf über meine Sturheit. »Musst du nicht irgendwelche Herzoperationen durchführen, anstatt mir hier auf die Eier zu gehen?«
Mit einem Grinsen steckt er die Blutdruckmanschette wieder in seine Tasche, während ich meinen Hemdsärmel über den Arm hinabstreife. Beck Goldsmith ist einer der begabtesten Herzchirurgen auf der ganzen Welt und wegen seines Alters und seiner Fähigkeiten auch einer der begehrtesten. Falls ich jemals im Leben einen Chirurgen benötigen sollte, würde ich ihn jedem anderen vorziehen. Er ist ein Genie, aber ich würde lieber eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung über mich ergehen lassen, als das zuzugeben.
»Nee, heute ist mein freier Tag.«
»Du nimmst dir nie einen freien Tag.«
Beck legt mir einen Arm um die Schulter. »Du kannst von Glück sagen, mein Freund, dass ich heute eine Ausnahme gemacht habe.«
»Kommt mir gar nicht wie Glück vor.« Ich weiß, ich benehme mich wie ein Arsch, aber ich kann es nicht ausstehen, mich schwach zu fühlen.«
»Hier, trink das.«
Audrey hält mir ein Glas Wasser hin, und ich verdrehe die Augen über ihr Getue, nehme ihr das Glas jedoch ab und trinke es halb leer, bevor ich es ihr wieder in die Hand drücke. Ich kann es nicht fassen, dass ich beinah in Ohnmacht gefallen wäre.
»Du solltest dich mal für ein Blutbild und ein paar Tests blicken lassen, aber nach meiner persönlichen und ärztlichen Einschätzung bist du einfach überarbeitet.«
Ich reiße entsetzt die Augen auf. »Burn-out? Das ist was für reiche, alte Vollidioten, die gegen die Zeit anrennen und mit uns Jüngeren mithalten wollen, indem sie Weiber vögeln, die halb so alt sind wie sie selbst.«
»Eigentlich kommt so etwas in unserer Altersklasse gar nicht so selten vor, vor allem unter Leistungsträgern.«
»Also, dann bin ich jetzt wieder startklar?«
Ich kann nicht behaupten, nicht erleichtert zu sein. Hinter dem Tresen um ein Haar wie ein Sack Zement zu Boden zu gehen war keine Erfahrung, die ich so bald wiederholen möchte.
»Wenn du mit ›startklar‹ eine Woche Auszeit meinst, dann ja.«
Ich schüttele schon den Kopf, noch ehe er den Satz beendet hat. »Kommt gar nicht infrage. Ich habe hier alle Hände voll zu tun.«
Audrey verschränkt die Arme vor der Brust, schiebt ihre Hüfte vor und stampft mit dem Absatz ihrer Tausend-Dollar-Pumps auf. Mit diesem Blick hat sie schon gestandene Männer eingeschüchtert, überdies verfügt sie über die Durchschlagkraft, ihrem Blick den nötigen Nachdruck zu verleihen. Eine kampflustige Audrey ist ein Anblick, den man nicht so schnell vergisst. Als wir damals mit der Renovierung des Clubs begannen, hat sie einmal einem Auftragnehmer, der glaubte, sie mundtot machen zu können, so die Meinung gegeigt, dass er heulend zur Tür hinausrannte. Und als sie ihm versprach, noch das Leben seiner Enkelkinder zu ruinieren, hat er die Flucht ergriffen und gelobt, es niemals wieder zu tun. Danach ist er nie wieder aufgetaucht, sodass ich das Durcheinander beheben musste, aber hinter anderen herzuräumen ist hier sowieso meine Aufgabe.
»Das war keine Bitte, Harrison.«
Ich liebe Audrey, das tue ich wirklich, so wie ich alle meine Freunde hier im Club liebe, und auch wenn sie, nach dem Namen des Clubs, den wir gemeinsam betreiben, die »Kings of Ruin« genannt werden, wären sie doch jederzeit bereit, für mich in den Tod gehen, so wie ich für sie. Was nicht bedeutet, dass sie nicht manchmal Mordlust in mir wecken würden. Wenn man fünf willensstarke, ichbezogene, ehrgeizige Individuen zusammensteckt, werden sie sich früher oder später die Köpfe einschlagen. »Für so was fehlt mir die Zeit.«
»Dann verschaff sie dir. Denn als dein Freund und verdammt noch mal bester Arzt, den die Welt je gesehen hat, sage ich dir, wenn du es nicht tust, bist du auf dem besten Weg, vorzeitig den Löffel abzugeben.«
»Und was ist mit meiner Mom? Ich kann sie nicht einfach allein lassen.« Ich schaue zweimal pro Woche nach ihr und kümmere mich darum, dass sie ihre Zeitschriften und Medikamente hat, und kaufe ihr all die Dinge ein, die sie online nicht bestellen kann.
»Ich werde nach ihr sehen; wenn du an einem Herzanfall verstirbst, wirst du ihr überhaupt keine Hilfe mehr sein, also hör auf meinen Rat. Mach verdammt noch mal Urlaub, bevor ich dir einen Tritt in den Hintern verpasse.«
Meine Lippen zucken über Becks Arroganz, aber ich bin viel zu erschüttert von seinen Worten, um darüber zu grinsen. Meine Mutter und ich sind schon seit ewigen Zeiten auf uns alleine gestellt, und sie verlässt sich ganz auf mich. Vor allem, was ihre Agoraphobie und diverse andere Zustände angeht, die sie blockieren und die sie kaum alleine bewältigen kann. Ich stehe in ihrer Schuld, weil sie es mit mir ausgehalten hat und bei mir geblieben ist, als mein Vater uns vor vielen Jahren verlassen hat, ohne auch nur einen einzigen Blick zurückzuwerfen. Wenn all das bedeutet, dass ich mich eine Woche lang zu Tode langweilen muss, dann sei es drum. »Na schön, aber nur eine Woche, keine Sekunde länger.«
Beck klopft mir auf die Schulter. »Braver Junge.«
Ich grummele mir dazu irgendwas in den Bart, weil ich es hasse, dass er recht hat, und werfe den beiden vernichtende Blicke zu, während sie sich über mein Elend amüsieren.
»Die Arbeit im Club können wir mal eine Woche unter uns aufteilen. Ich rufe Lincoln und Ryker an und gebe ihnen Bescheid.«
Audrey verschwindet in einer Chanel-Wolke, die Verkörperung von Klasse und Eleganz. Beck lehnt sich auf dem Sofa zurück, zu dem ich nach meinem Kopfsprung Richtung Fußboden gestolpert bin. Wenn er nicht gerade operiert oder medizinische Fachzeitschriften liest, studiert Beck nur so zum Spaß die Gesetzbücher. Sein Gehirn scheint niemals abschalten zu wollen, es sei denn, er ist hier und mischt den Club auf.
Unser Club gilt gemeinhin als normal. Für eine Handvoll Menschen, die wissen, was hier wirklich abgeht, ist er eine Art Zuflucht. Diese Mitglieder sind auf der Suche nach mehr, und wir bieten ihnen mehr, in einer sicheren Umgebung.
Im Erdgeschoss befindet sich ein ganz normaler Nachtclub, wo die Gäste tanzen, trinken, Dampf ablassen und eine heiße Nummer für die Nacht abschleppen wollen. Alles ist vom Feinsten, und nur eine auserwählte Klientel ziert unsere geheiligte Tanzfläche. Die Angestellten tragen schwarze Jeans oder Röcke und schwarze Club-Ruin-T-Shirts.
Im ersten Stock befindet sich der VIP-Bereich mit Tisch-Service; die Jungs und Mädels, die dort arbeiten, sind mit dem Aussehen von Models gesegnet und vollkommen anders ausstaffiert. Ihre Uniform ist gewagter: schwarze Hosen und nackter Oberkörper mit schwarzer Fliege für die Männer, während die Frauen schwarze Minikleider tragen, die so viel zeigen, wie sie verbergen.
Und zuletzt die berüchtigte zweite Etage.
Als Audrey mit der Idee eines Sexclubs nur für Mitglieder im zweiten Stock zu mir kam, war ich zuerst geschockt. Audrey ist ebenso wenig prüde wie ich, andererseits hegt keiner von uns beiden besondere Vorlieben in diese Richtung. Beck und Linc teilen sich bisweilen gerne eine Frau oder lassen sich auf Gruppensex ein, und Beck hat nie einen Hehl draus gemacht, dass er gleichermaßen auf Männer und Frauen steht, aber das würde ich nicht als besondere Vorliebe, sondern höchstens als leichte Abweichung vom Mainstream bezeichnen.
Dennoch hatte mich ihre Argumentation überzeugt. Warum sollten sich die Leute wegen irgendetwas schämen, solange es im wechselseitigen Einverständnis geschieht, und warum sollten wir aus dem Bedürfnis nach Privatsphäre und Verschwiegenheit kein Kapital schlagen? Den dringenden Wunsch, unser Privatleben nicht in irgendeinem Schmierblatt breitgetreten zu sehen, konnten wir schließlich alle verstehen.
Ich habe meine erste Million mit achtzehn an der Börse gemacht, meine Begabung für Mathematik und mein analytischer Verstand hatten sich für mich und meine Mutter als Geschenk des Himmels erwiesen. Lincoln und Audrey waren Cousin und Cousine und Teil der berühmten Kennedy-Familie, Beck war ein Goldsmith und ein aufstrebender Herzspezialist mit einer grenzenlosen Karriere vor Augen, und Ryker Cabot hatte alle Grenzen hinter sich gelassen, als er die inzwischen größte Social-Media-Plattform des Planeten ins Leben rief. So wurden wir, was wir heute sind, ein Club mit einer Fülle von Mitgliedern auf der obersten Etage, von Schauspielern über Senatoren bis zu Sportstars.
Dass wir alle so großen Wert auf Privatheit legen, ist ein weiterer Grund für unseren Erfolg. Was sich wirklich hinter unserem Club verbirgt, ist, trotz zahlloser Gerüchte, nur in gewissen Kreisen bekannt. Die Verschwiegenheitserklärungen, die unser Personal wie unsere Mitglieder unterschreiben müssen, sorgen dafür, dass unser Geheimnis gewahrt wird und das Geld nur so reinkommt.
»Hier, ruf da mal an. Ein Kollege war letzten Sommer dort und meinte, das wäre der perfekte Ort, um mal auszuspannen.«
Ich schüttele meine Gedanken ab und nehme die Karte, auf der ich das Logo einer kleinen Hütte und die Worte »Pine Grove Lodges« erblicke. »Wie kommt es, dass du die zufällig dabeihast?«
»Weil er dachte, ich könnte selbst eine Auszeit gebrauchen.«
»Und, hast du dir eine genommen?«
»Nee, das ist nichts für mich.«
»Wie kommst du darauf, es könnte was für mich sein?«
»Weil du die Natur und den ganzen Scheiß geliebt hast, als wir auf dem College waren.«
Er hat recht. Ich liebe es, in der freien Natur zu sein, oder wenigstens war es früher so. Jetzt kann ich mich nicht mal erinnern, wann ich das letzte Mal im Park spazieren, geschweige denn wandern war. Aber die Vorstellung weckt die Sehnsucht in mir, aus der Stadt rauszukommen und nachts die Sterne zu sehen, die Stille ringsum zu spüren und endlich wieder atmen zu können. »Danke, ich rufe an.«
Beck nickt und überlässt mich meinen Gedanken. Normalerweise fühle ich mich am wohlsten, wenn ich daheim an meinem Schreibtisch sitze und Papierkram erledige, doch nun kommt es mir so vor, als würde sich mir eine Schlinge um den Hals ziehen und mich ersticken. Ich muss hier raus, bevor ich keine andere Wahl mehr habe und ich die Menschen enttäusche, die mir am meisten bedeuten.
Also greife ich nach meinem Handy, wähle die Nummer und warte darauf, dass jemand rangeht.
»Hallo, Pine Grove Lodges, was kann ich für Sie tun?«
Die Stimme klingt übertrieben beflissen und freundlich, und ich verdrehe derartig die Augen, dass es an ein Wunder grenzt, dass sie mir nicht verkehrt herum im Kopf stecken bleiben. »Gibt es bei Ihnen diese Woche noch eine freie Hütte?«
»Ich schaue mal nach.«
Ich höre jemanden herumkramen, dann klappert etwas, die Person am anderen Ende der Leitung flucht, und die Verbindung bricht ab. Ich schaue mit großen Augen auf mein Handy. Was zum Henker war das denn?
Da klingelt das Handy in meiner Hand, und ich sage: »Hallo?«
»Hey, entschuldigen Sie, ich wollte ein Blech mit Cookies balancieren, aber dann hat die verfluchte Katze ein Glas umgestoßen, und ich hab versucht, es festzuhalten, und dabei ist das Telefon auf den Boden geflogen.«
Ich muss unwillkürlich grinsen. Diese Frau ist offenbar eine heillose Chaotin, was ich aus irgendeinem Grund amüsant finde. »Kein Grund zur Sorge. Ich hab es mir sowieso anders überlegt.«
»Oh nein, sagen Sie das nicht. Ich habe nachgesehen und kann Ihnen mitteilen, dass die Hütte Nummer sechs nach einer Stornierung in der Woche frei geworden ist. Irgend so ein hohes Tier aus der Stadt wollte mit seiner Geliebten herkommen, aber dann hat man ihn mit heruntergelassenen Hosen erwischt, weshalb das Ganze dann abgeblasen wurde.«
Abermals merke ich, wie sich in meinem Gesicht ein Grinsen breitmacht, während die Frau weiter in mein Ohr plappert, als wären wir nicht Fremde, sondern beste Freunde. Würde sie hier arbeiten, hätten wir sie am ersten Tag gefeuert. Ich toleriere keinerlei Inkompetenz, dennoch kann ich nicht leugnen, dass ich irgendwie fasziniert von ihr bin. »Das ist nicht der Punkt.«
»Gut, dann buche ich Hütte sechs für Sie. Die ist ein bisschen weiter weg vom Haupthaus als die anderen, geht aber auf den See, und nachts haben Sie von dort den atemberaubendsten Blick in den Sternenhimmel.«
Es scheint, als könnte sie meine Gedanken lesen und würde jetzt alles auffahren, womit sie mich ködern kann. Aus irgendeinem Grund höre ich mich zustimmen, und ehe ich weiß, wie mir geschieht, beende ich das Gespräch mit der Zusicherung, sie bald persönlich zu sehen.
Ich habe die Vorstellung, eine Woche fort zu sein, gehasst, und ich glaube immer noch nicht, dass ich es eine ganze Woche dort aushalten werde, aber vielleicht tun mir ein, zwei Tage in der Wildnis der Catskills ja gut, ehe es mich wieder nach der heimischen Betriebsamkeit verlangt. Ich stecke meinen Laptop ein, da ich mir vorstelle, dort oben zu arbeiten, und fahre dann nach Hause, um ein paar Sachen zu packen. Audrey schreibt mir und verspricht, sich während meiner Abwesenheit um meine Mutter zu kümmern. Als auch diese letzte Hürde aus dem Weg geräumt ist, mache ich mich auf den Weg und trete die zweieinhalbstündige Reise an.
Ich fahre sehr gerne, habe aber nicht oft Gelegenheit dazu. In der Stadt gehe ich zu Fuß oder nehme einen Abholdienst in Anspruch. Allein der Gedanke, die Fahrt zu genießen, macht mich ruhiger, als könnte ich ein wenig tiefer durchatmen.
Ich wünschte, ich könnte mich wie die anderen im Club entspannen und auf die jeden Tag rund um die Uhr zur Verfügung stehenden Vergnügungen zurückgreifen, aber das kann ich nicht. Es macht mir Spaß, den Club zu leiten, das verleiht meinem Leben einen Sinn, und ich beherrsche meinen Job, aber ich vermische niemals Geschäft und Vergnügen. Damit kommt der Club als Jagdrevier für mich nicht infrage.
Linc hält mich für verrückt, aber ich will mich einfach nicht mit einer Frau herumschlagen müssen, der ich um keinen Preis zugestehen will, dass sie mir verdirbt, was ich dort aufgebaut habe. Frauen behaupten stets, sich mit einer Nacht oder einer flüchtigen Affäre zufriedenzugeben, doch aus bitterer Erfahrung weiß ich, dass sie offenbar immer ihre eigenen Interessen verfolgen. Und mehr wollen, als ich ihnen zu geben bereit bin. Aber ich habe kein Interesse daran, mit einer Frau sesshaft zu werden und eine Familie zu gründen. Das hält die Zukunft einfach nicht für mich bereit.
Als die Landschaft wechselt, fällt mir wieder die Frau am Telefon ein. Sie war eine Katastrophe, aber immerhin freundlich. Ich stelle sie mir häuslich vor mit Kindern, die um ihre Beine wuseln, und einem Ehegatten, den sie anbetet – ein wenig übergewichtig, aber alles in allem ganz niedlich. Der Gedanke löst eine Beklemmung in meiner Brust aus, und eine Sekunde lang gerate ich in Panik, weil ich glaube, den Herzanfall zu erleiden, vor dem Beck mich gewarnt hat.
Ich massiere mir die Brust, als ich um die letzte Kurve biege und die Hütten in Sicht kommen. Angesichts der großartigen Aussicht, die sich mir bietet, lasse ich die angehaltene Luft aus meinen Lungen entweichen. Vor dem Hintergrund der Wälder und Berge beherrscht ein umwerfendes großes Holzhaus die Szenerie. Da der Frühling gerade erst begonnen hat, ist noch Schnee auf den höchsten Gipfeln zu sehen, und sofort juckt es mich in den Fingern, die Gegend da draußen näher zu erkunden.
Ich halte an und nehme mir die Zeit, die Umgebung genauer zu studieren. Zwei Fußwege führen vom Haupthaus aus in unterschiedliche Richtungen, und ich stelle mir vor, dass dieser Ort mir während meines Aufenthalts hier unvergessene Eindrücke bescheren wird.
Dann steige ich aus und fülle meine Lungen zum ersten Mal mit Gebirgsluft. Ich schließe die Augen und hebe das Gesicht der Sonne entgegen, die vom Nachmittagshimmel hell und warm auf meine Haut herabscheint. Alles hier ist vollkommen. Frische Luft, der Geruch nach freier Natur, und meilenweit nichts als die Geräusche der Natur.
»Hinreißend, nicht?«
Ich reiße die Augen auf, als eine Stimme neben mir den friedlichen Moment zerstört, und schaue in tiefbraune Augen, wie ich sie nie zuvor in meinem Leben gesehen habe. Mit plötzlich trockenem Mund betrachte ich eine Frau, deren Bild jedes Magazin des Planeten zieren sollte. Lange Wimpern verdecken die tiefbraunen Augen, als sie zu mir hochblinzelt. Ihr Lächeln ist breit und einladend. Zwei Grübchen, eines in jeder Wange, werden sichtbar, und mein Blick wird von ihren vollen, roten Lippen angezogen, die sich bewegen, als sie spricht.
Nie in meinen neunundzwanzig Lebensjahren habe ich eine solche Anziehungskraft gespürt. Sie ist atemberaubend schön auf die Art des Mädchens von nebenan. Gesund und unschuldig, doch wenn sie lächelt, bleibt die Welt stehen. Mein Körper reagiert sofort, mein Schwanz reckt sich, und ich frage mich, ob herzukommen womöglich die beste Idee war, die Beck jemals hatte.
»Hi, ich bin Nora, wir haben telefoniert.«
Sie spricht leise, und ich vernehme einen leichten Südstaaten-Singsang, der mein Blut entfacht. »Sie sind Nora?«
Sie legt den Kopf schief. »Ja, wir haben miteinander gesprochen.«
Nun sieht sie mich an, als wäre ich schwer von Begriff, und spricht langsamer, sodass ich ihre vollen Lippen am liebsten küssen würde. Sie ist die heillose Chaotin vom Telefon, wenn auch ganz anders, als ich sie mir vorgestellt habe, und ich war noch nie so froh, mich geirrt zu haben. »Ich erinnere mich.« Mein Blick fällt auf ihre Rechte, und ich empfinde Erleichterung, als ich dort keinen Ehering entdecke; aber vielleicht hat sie den ja auch aus irgendeinem Grund abgenommen, jedenfalls muss ich das jetzt unbedingt erfragen. »Sind Sie verheiratet?«
Sie zieht die Brauen zusammen, und ich sehe Verwirrung auf ihrem Gesicht, gepaart mit einer gewissen Unsicherheit, vielleicht sogar Wachsamkeit. Als sie sich nach dem Haupthaus umsieht, frage ich mich, ob sie sich mit Fluchtgedanken trägt.
Braves Mädchen. Sie hat Angst vor mir, und das sollte sie auch. Ich sehe vielleicht aus wie ein netter Kerl, aber in Wahrheit bin ich der böse Wolf.
»Warum?«
Ich beuge mich vor. Der Duft von Vanille und Zimt schlägt mir entgegen, und ich verspüre den unwiderstehlichen Drang, sie gegen meinen Wagen zu drücken und ihren zarten Körper an meinem zu spüren. Meine Lippen berühren fast ihr Ohr, und ich sehe, wie sie erbebt, wie ihre Halsschlagader ungestüm pulsiert, und ich erschaure vor Verlangen. »Weil ich nicht mit verheirateten Frauen vögle.«
Ein Jahr später
»Schieb den Karton aus dem Weg, Eric, dann kommen wir mit dem Ding da durch.« Ich würde nicht gerade behaupten, dass ich praktisch veranlagt bin, und wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich jemanden hiermit beauftragt, doch seit Lincoln wieder mit Violet zusammengekommen ist, benimmt er sich wie ein anderer Mann. Wenn sie den Mond auf einem Silbertablett wollte, würde er sich krummlegen und dasselbe auch von allen anderen in seinem Umfeld verlangen, um ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Und da bin ich nun, an meinem freien Tag, und helfe dabei, Mobiliar in ihr neues Heim am Wasser zu schleppen.
Ein Gefühl von Sehnsucht macht sich in mir breit, ein Schmerz, der mit jedem Jahr deutlicher zutage tritt. Ich freue mich für meinen Freund, er hat sein Glück wahrlich verdient, und der Weg der beiden hierher war Gott weiß nicht leicht. Ich empfinde keine Eifersucht, es ist eher Neid auf das, was er gefunden hat. Und das vor allem, weil mir bewusst ist, dass dergleichen für mich nicht vorgesehen ist. Meine Gedanken wandern zurück zu der Frau, die diejenige welche hätte sein können, wenn das Schicksal einen anderen Weg für mich vorgesehen hätte. Doch ich schüttle die verstörenden Gedanken ab und konzentriere mich stattdessen auf das, was wir hier und heute auf die Beine stellen müssen.
Ich stelle das Gerät ab und sehe Eric an, wir grinsen beide, als er die Hand zum Abklatschen hebt. Eric ist Violets kleiner Bruder, ein großartiger Junge, für den jeder Tag eine Herausforderung ist, die es zu meistern gilt. »Gut gemacht, Kumpel.«
Ich seufze, als das Telefon in meiner Tasche klingelt. Man hat nicht wirklich einen freien Moment, wenn man einen Club wie unseren leitet. Aber ich würde es nicht anders wollen, denn es treibt mich an und hält mich in Schwung. Als ich eine unbekannte Nummer sehe, möchte ich lieber nicht rangehen, aber das ist angesichts der labilen Gesundheit meiner Mutter leider keine Option. »Hallo?«
»Spreche ich mit Mr Harrison Brooks?«
»Am Apparat.« Ich drehe mich zum Fenster und lege die Stirn in Falten.
»Ich bin Janice vom Riverdale General Hospital.«
Mein Rückgrat versteift sich, sämtliche Neuronen in meinem Hirn beginnen Fragen abzufeuern, doch ich beschränke mich auf eine einzige. »Geht es um meine Mutter?«
»Ähm, nein, ich glaube nicht, dass sie Ihre Mutter ist. Bei uns wurde eine Nora Richards eingeliefert, sie wurde von einem Auto angefahren.«
Bei dem Namen und den Erinnerungen, die er in mir wachruft, zieht sich mir der Magen zusammen, und sofort stürzt ein Ansturm von Gefühlen auf mich ein. Angst, Reue und Schuld ringen miteinander, am Ende gewinnt Verwirrung die Oberhand. »Geht es ihr gut?«
»Sie liegt zurzeit im künstlichen Koma, die Ärzte kümmern sich um ihre übrigen Verletzungen.«
»Großer Gott, das ist ja furchtbar.« Eine Welle der Besorgnis überkommt mich, denn ich kann mir die lebhafte, vitale Frau, die ich gekannt habe, unmöglich so angeschlagen vorstellen, und ich will es auch gar nicht. »Ich möchte nicht gefühllos erscheinen, aber wieso rufen Sie mich an? Müssten Sie nicht ihre Angehörigen verständigen?«
»Sie sind hier als Angehöriger aufgeführt, und, was noch wichtiger ist, als Angehöriger Ihres Sohnes.«
Sämtliche Luft entweicht meinen Lungen, alles um mich herum verdunkelt sich, als wäre ich gerade in einen Tunnel gefahren. Meine Welt verengt sich auf das, was die Frau soeben zu mir gesagt hat, und mein Verstand stemmt sich mit jeder Faser meines Seins dagegen. »Meines was?«, krächze ich und strecke die Hand nach der Wand aus, um mich daran abzustützen.
»Ihr Sohn ist hier bei uns. Er ist unverletzt, aber wir können ihn unmöglich hierbehalten. Wenn Sie ihn nicht abholen kommen, müssen wir das Jugendamt verständigen, damit er irgendwo untergebracht wird.«
»Nein, tun Sie das nicht. Ich bin schon unterwegs.«
Ich habe keine Ahnung, wovon sie spricht, oder ob das, was sie sagt, überhaupt stimmt, aber ich weiß, dass dieser Junge, wenn er wundersamerweise tatsächlich mein Sohn sein sollte, auf keinen Fall bei der verfluchten Fürsorge landen wird.
»Gut, dann bis gleich.«
Als ich das Gespräch beende, sehe ich Eric vor meinem Gesicht gestikulieren. Meine Hand verharrt mit dem Handy in der Luft, dann stecke ich es zurück in die Tasche.
»Alles gut, Harry?«
Ich gestatte nicht vielen Menschen, mich so zu nennen, aber er ist einer von ihnen. Die beiden anderen sind meine Mutter und die Frau im Krankenhaus. Meine Gedanken schwirren durch meinen Kopf wie Bienen, sodass ich keinen einzelnen zu fassen bekomme, und jeder ist schmerzhafter als der vorherige.
Ich muss los, mich überkommt ein Gefühl der Dringlichkeit, in die sich eine beträchtliche Dosis Panik mischt. Das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, dreht mir den Magen um, was ich verabscheue. Ich verliere niemals die Kontrolle über mein Leben. Ich habe mit sechzehn aufgehört, das Schicksal über mich bestimmen zu lassen, und ich werde nicht zulassen, dass sich das Blatt jetzt wieder wendet.
Ich folge Lincs Stimme und finde ihn und Violet, die lachend gemeinsame Zukunftspläne schmieden.
Linc sieht mich an und erkennt sofort, dass etwas nicht stimmt. Wir sind schon so lange Freunde, dass er mich ebenso gut durchschaut wie ich ihn. Deshalb wusste ich auch bereits über Violet Bescheid, als die anderen noch keine Ahnung hatten.
Nun hebt er Violet mit einem Klaps auf den Hintern von seinem Schoß, was ich normalerweise zum Anlass genommen hätte, ihn zusammenzuscheißen, weil die beiden offenbar unfähig sind, die Finger voneinander zu lassen, doch in diesem Moment ist mein Verstand viel zu sehr mit Gedanken an Norrie und meinen Sohn beschäftigt.
Gott, habe ich wirklich einen Sohn, oder ist das alles bloß eine Lüge?
»Was gibt es?«
»Ich muss los.«
»Okay.«
Ich schlucke, die Worte stecken mir in der Kehle wie ein Kloß, der mich erstickt. »Ich habe einen Sohn.«
Linc macht große Augen, kommt näher und packt meinen Arm. »Was?«
»Ich habe eben einen Anruf bekommen, anscheinend wurde nach einem schweren Unfall eine Frau namens Nora Richards ins Krankenhaus eingeliefert, die mich als Vormund ihres Sohnes angegeben hat, der außerdem auch als mein Sohn erfasst wurde.«
»Himmel, wird sie durchkommen?«
»Ich habe keine Ahnung, aber ich muss da hin, ansonsten stecken die ihn in eine Pflegefamilie.«
Linc mustert mich argwöhnisch, und ich kann seine Skepsis verstehen. Reichtum macht einen zu einer Zielscheibe, so groß wie Texas, für einen Haufen Leute, die sich ein Stück vom Kuchen abschneiden wollen und denen es scheißegal ist, wem sie damit wehtun oder welche Lügen sie verbreiten müssen, um ihr Ziel zu erreichen.
»Kennst du die Frau denn?«
Ich fühle mich von den gemeinsam mit ihr verbrachten Tagen und Nächten heimgesucht, die nun aus den Tiefen meines Gedächtnisses, wohin ich sie verbannt hatte, wieder an die Oberfläche kommen. Als Erinnerungen an eine Zeit voller Liebe und Heiterkeit, die es eigentlich niemals hätte geben dürfen. »Ja.«
»Und kann es sein, dass sie die Wahrheit sagt?«
»Ja.«
»Dann fahr hin, aber nimm Beck mit. Er wird dir eine Hilfe bei dem medizinischen Fachchinesisch sein.«
Ich nicke und habe das Gefühl, dass der Nebel sich ein wenig lichtet, weil ein anderer die Kontrolle übernimmt, bis ich die Zügel wieder selbst in die Hand nehmen kann. »Ja, gute Idee.«
Wir gehen hinaus, und Linc winkt Beck herbei.
»Was? Wollt ihr Drückeberger etwa heim zu Mama?«
Linc funkelt Beck an, der meine Stimmung zu erfassen scheint, und seine Frotzelei weicht sofort einem besorgten Blick. »Was liegt an?«
»Ich bin eben verständigt worden, dass eine Frau, mit der ich letztes Jahr was hatte, nach einem schweren Unfall im Krankenhaus im Koma liegt.«
»Okay, soll ich dir ein Update über ihren Gesundheitszustand besorgen?«
»Ja, aber das ist noch nicht alles. Anscheinend war mein Sohn bei ihr, den ich jetzt zu mir nehmen soll.«
Beck weicht einen Schritt zurück und wölbt die Brauen. »Verdammt, du hast einen Sohn, und hast deinen besten Freunden nichts davon gesagt?«
Linc stupst ihn. »Er hat bis vor fünf Minuten selbst nichts davon gewusst, Arschloch.«
»Ach du Scheiße.«
»Ja, ach du Scheiße.«
»Okay, dann fahren wir jetzt besser. Ich begleite dich und sehe, ob ich irgendwelche bürokratischen Hindernisse aus dem Weg räumen kann.«
»Danke.«
»Warum macht ihr Jungs alle so ernste Gesichter?«
Lincs Mom Heather legt einen Arm um ihren Sohn und den anderen um mich, und ich nehme den Trost dankbar an, den sie mir unwissentlich spendet. Heather unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von meiner eigenen Mutter. Beide sind sie durch die Hölle gegangen, Heather erst kürzlich, doch im Unterschied zu meiner Mom, die ihr Leben davon bestimmen lässt, ist Heather erhobenen Hauptes aus dem Kampf hervorgegangen.
Während Beck nach dem Autoschlüssel greift, erklärt Linc ihr, was Sache ist.
»Ich komme mit euch.«
»Das müssen Sie aber nicht, Heather.«
»Unsinn, wenn Sie ein Kind mit nach Hause bringen, werden Sie Hilfe benötigen.«
Himmel, daran hatte ich nicht einmal gedacht. Ich habe keinen Schimmer, wie ich für ein Kleinkind sorgen soll, und wenn meine Rechenkünste mich nicht im Stich lassen, was eigentlich nie der Fall ist, ist der Kleine gerade mal drei Monate alt.
»Ja, gut, danke.«
Als ich neben Beck im Auto sitze, blende ich ihre leise Unterhaltung aus und konzentriere mich darauf, mich wieder in den Griff zu bekommen. Zuerst muss ich meinen Anwalt anrufen, und gleichzeitig einen Vaterschaftstest in die Wege leiten. Als das Krankenhaus in Sicht kommt, atme ich gegen den Stein auf meiner Brust an und steige dann aus. Beck hat auf dem Ärzteparkplatz direkt vor dem Eingang geparkt. Ich eile voran, in dem Wissen, dass Beck und Heather mir auf dem Fuß folgen. Dann stehe ich vorm Empfang mit der grauhaarigen Frau mit der Halbbrille dahinter.
»Ja?«
»Ich bin wegen meines Sohnes hier. Er wurde mit seiner Mutter eingeliefert.« Mein Gott, wie schwer es mir fällt, mir die Frau mit den bezauberndsten Grübchen und dem süßesten Lächeln als Mutter vorzustellen.
»Name?«
Ich nenne ihr den Namen, worauf sie mich in den ersten Stock schickt, wo ich die gleiche Prozedur über mich ergehen lasse.
»Beeilen Sie sich!«, blaffe ich vor lauter Ungeduld und Sorge.
Die Frau hier knirscht mit den Zähnen, nickt aber und lässt sich nicht auf den Streit ein, den ich provoziere. Ich benehme mich wie ein Arsch, aber die Situation entzieht sich meiner Kontrolle, was ich hasse, weil Kontrolle mein Leben im Gleichgewicht hält. Die kleinste Störung oder Abweichung kann dazu führen, dass die Hölle losbricht. Das beste Beispiel dafür: Ich gönne mir Ferien, und siehe, wohin mich das bringt. Ich stehe in einem Krankenhaus und warte darauf, meinem Sohn zu begegnen, von dessen Existenz ich bis dato nicht die geringste Ahnung hatte, weil seine Mutter ihn mir vorenthalten hat, bis es nicht mehr anders ging.
Beck klopft mir auf den Arm. »Lass mich erst mal mit dem Doktor reden und schauen, ob ich herausfinden kann, was überhaupt los ist.«
Ich bedenke ihn mit einem hoffentlich zuversichtlichen Lächeln. »Danke. Das wäre gut.«
Ich hülle mich in meine Wut wie in einen Mantel, stemme mich gegen meine Befürchtungen und gehe den Gang hinunter. Heather bleibt etwas zurück, weil sie spürt, dass ich ein paar Minuten benötige, um mich zusammenzureißen.
»Heather, wäre es okay, wenn Sie uns Kaffee holen?« Ich mache Anstalten, ihr Geld zu geben, das sie jedoch zurückweist.
»Natürlich. Was immer Sie brauchen, ich kümmere mich darum.«
»Danke.«
Sie schenkt mir ein warmherziges Lächeln und sieht mich auf eine Weise an, wie nur eine Mutter es kann, dann geht sie zu den Aufzügen. Ich lehne mich an eine Wand mit einem Fenster hinter meinem Rücken, als ich bemerke, dass sich dahinter die Neurologische Intensivstation befindet, und schon kreisen meine Gedanken um die Frage, was das bedeuten könnte. Der Geruch von Desinfektionsmitteln schnürt mir die Kehle zu, und mir wird übel. Ich hasse Krankenhäuser, seit ich in meiner Kindheit zu viel Zeit in ihnen verbringen musste, allerdings war keines wie dieses gewesen. Psychiatrische Kliniken sind anders, aber das mit ihnen verbundene Gefühl ist das Gleiche; der Geruch, die Geräusche, all das macht mich krank.
Als die Tür neben mir aufgeht, werfe ich einen Blick auf das Fußende eines Bettes, das hindurchgeschoben wird. Krankenschwestern und Ärzte umringen den Menschen, der darin liegt, und ich richte mich abrupt aus meiner gekrümmten Haltung auf, als ich an einem zarten Handgelenk das vertraute Tattoo eines Schmetterlings erkenne.
»Norrie?« Ich bewege mich auf das Bett zu, das an mir vorbeigerollt wird, und bei dem Anblick, der sich mir bietet, bleibt mir vor Entsetzen die Luft weg. »Entschuldigung, ist das Nora Richards?«
Ich will mich an den Krankenschwestern vorbeidrücken, doch sie sind zu schnell für mich.
»Es tut mir leid, Sir, aber wir dürfen keine Informationen über Patienten erteilen.«
»Ich bin ihr nächster Verwandter.« Ich höre die Kälte in meiner Stimme, der Arzt, der den Tross begleitet, offenbar auch.
Mit einem Nicken bedeutet er den anderen weiterzugehen, doch mein Blick folgt der Gestalt im Krankenbett, deren Kopf größtenteils von Verbänden bedeckt ist. Der linke Arm ist eingegipst, mögliche weitere Verletzungen sind unter dem Laken nicht zu erkennen, doch was mir vor allem den Atem verschlägt, sind ihr Gesicht und der Beatmungsschlauch. Sie sieht schwach und gebrechlich aus, kein bisschen mehr wie die lebensprühende Frau, mit der ich im vergangenen Frühjahr eine Woche im Bett verbracht habe. Ich weiß nicht, was genau ihr fehlt, aber man wird sie hier bestimmt wieder hinkriegen. Und wenn ich dafür jedem einzelnen Mitarbeiter dieses Krankenhauses androhen muss, seinen oder ihren Ruf zu zerstören, Hauptsache, ich bekomme die Frau zurück, die ich einmal kannte.
»Mr …«
Der Doktor versucht meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und ich reiße meinen Blick von ihr los, als sie in ihrem Krankenbett um die Ecke geschoben wird. Ich beiße die Zähne zusammen, hebe den Blick zu dem Arzt, der sich strafft, als würde er die Veränderung in mir bemerken.
»Brooks. Sagen Sie mir, was mit ihr los ist.«
In dem Moment taucht Beck neben mir auf, und ein Blick auf den Arzt zeigt mir, dass der ihn sofort erkennt.
»Dr. Goldsmith, was tun Sie hier?«
»Ich glaube, Mr Brooks hat sich nach seiner Freundin erkundigt.«
Ich zucke zusammen, als ich höre, wie er sie meine »Freundin« nennt, nicht, weil es mir nicht gefallen würde, sondern weil ich einmal kurz davorstand, sie zu fragen, ob sie meine Freundin sein wolle, bevor ich wieder zur Besinnung kam und mir klar wurde, dass es mit uns niemals funktionieren würde, egal wie stark die Verbindung zwischen uns auch gewesen sein mochte. Also verließ ich sie, was ich seitdem bereut habe.
»Sagen Sie mir, was mit ihr los ist.«
»Ich bin Dr. George, der Neurologe, der Ms Richards behandelt. Sie hat einen gebrochenen Arm, zwei gebrochene Rippen, und Einblutungen in die Leber.«
Ich schnappe bei seiner Aufzählung nach Luft, spüre aber, dass er noch etwas zurückhält, und leider liege ich damit richtig.
»Aber das sind nicht ihre schlimmsten Verletzungen. Sie hat außerdem ein leichtes Schädelhirntrauma erlitten, wogegen wir Antikonvulsiva und Schmerzmittel verabreichen.«
Vor Angst und Verzweiflung balle ich die Fäuste, während er mich mit weiteren Fremdwörtern überschüttet. »Was zum Teufel hat das alles zu bedeuten?«
»Wie war ihr Wert auf der Glasgow-Koma-Skala?«
Beck hat in den Mediziner-Modus gewechselt, und womöglich ist es besser, wenn er die Fragen stellt und mir die Antworten verschafft, die ich brauche, denn ich bin gerade kurz davor, hier alles in Schutt und Asche zu legen.
»Am Unfallort elf, nach ihrer Einlieferung ist der Wert jedoch schnell auf acht gesunken.«
»Also ein Folgeschaden?«
»Ja, die Kernspintomografie hat eine kleinere Blutung und eine Schwellung ergeben.«
»Wird der Hirndruck überwacht?«
»Ja, wird gerade eingeleitet.«
»Und wie soll es weitergehen?«
»Beobachten und abwarten.«
Ich kann dem Wortwechsel nur begrenzt folgen und nehme mir vor, Beck zu befragen, sobald ich dazu in der Lage bin. »Wann können wir sie sehen?«
»Geben Sie uns eine Stunde, alles Notwendige durchzuführen, dann schicke ich eine Schwester nach Ihnen. Wie Sie wissen, Dr. Goldsmith, kann sich die Lage jederzeit ändern, aber wir halten Sie über alles, was geschieht, auf dem Laufenden.«
»Bitte tun Sie das.«
Als Dr. George sich zum Gehen wendet, halte ich ihn auf. »Wo ist mein Sohn?« Gott, ich kann immer noch nicht glauben, dass ich einen Sohn habe. Aber vielleicht stimmt das ja auch gar nicht. Vielleicht hat sie ja gelogen, und das Ganze ist bloß ein Versuch, mir Geld aus der Tasche zu ziehen. Mein Verstand wehrt sich dagegen, aber ich wäre ein Narr, diese Möglichkeit nicht in Erwägung zu ziehen.
»Tut mir leid, Ihr Sohn befindet sich in der Obhut unserer Kinderärztlichen Abteilung. Ich schicke Ihnen jemanden, der Sie zu ihm bringt.«
»Wurde er verletzt?«
»Nein, wie es aussieht, hat Ms Richards, als das Auto sie anfuhr, noch versucht, auszuweichen und sich zwischen das Auto und den Kinderwagen zu werfen, und ihn so vor größeren Verletzungen bewahrt.«
Mein Herz zieht sich zusammen, als ich höre, dass sie das für ihr Kind getan hat. Obwohl ich noch nicht einmal seinen Namen kenne, überkommt mich Erleichterung, die sofort in Wut umschlägt.
»Was ist mit dem Fahrer? Wurde der verletzt? Hat die Polizei ihn festgenommen?«
Dr. George schürzt die Lippen. »Der Fahrer ist tot. Er hat am Steuer einen Herzinfarkt erlitten.«
Ich weiß nicht recht, ob ich Bedauern oder Zorn darüber empfinden soll, dass ich nun niemandem mehr die Schuld an diesem Albtraum geben kann. »Danke.«
Damit lasse ich Dr. George stehen und wende mich Beck zu, der mich in Erwartung einer emotionalen Reaktion, die ich ihm jedoch nicht zeigen will, genau ins Visier nimmt. »Und jetzt das Ganze noch mal für den Laien.«
»Setzen wir uns.« Er führt mich zu den Stühlen am Fenster, und ich setze mich, als Heather mit einem Tablett Kaffeebecher auf uns zukommt.
»Irgendwas Neues?«
»Wir haben eben mit dem Doktor gesprochen, Beck will mir gerade alles noch mal auseinandersetzen.« Ich nehme einen Becher, trinke einen Schluck von dem bitteren Gebräu und versuche, meine Gefühle, die in mir herumwirbeln, unter Kontrolle zu bringen.
»Also, am Unfallort war sie höchstwahrscheinlich noch bei Bewusstsein und hat gesprochen, weshalb ihr GKS, der Wert auf der Glasgow-Koma-Skala, so hoch war. Bei einem Schädelhirntrauma wird das Gehirn durchgeschüttelt wie Eis in einem Cocktailshaker, es prallt dabei gegen den Schädel, was einen sogenannten Folgeschaden verursachen kann, wozu es in diesem Fall offenbar gekommen ist.«
»Was ist mit den Antikonvulsiva? Hatte sie einen Krampfanfall?«
»Ich müsste ihre Krankenakte sehen, aber wahrscheinlich ist das nur eine Vorsichtsmaßnahme, meistens kommt es bei Patienten mit schweren Hirnverletzungen dazu.«
»Und was wird gegen die Blutung unternommen?«
»Gegen Hirnverletzungen unternimmt man am besten so wenig wie möglich. Man will ja nicht darin herumstochern, wenn es nicht unbedingt notwendig ist, weshalb ›beobachten und abwarten‹ eine gute Methode ist. Man wird einen kleinen Katheter in ihr Gehirn einführen, um den Hirndruck zu messen, was bedeutet, dass man schnell reagieren kann, falls der Druck ansteigen sollte.«
»Ist das zu erwarten?«
Beck zuckt mit den Schultern und atmet hörbar aus. »Hirnverletzungen sind für ihre Unberechenbarkeit berüchtigt. Aber sie wird engmaschig überwacht, und ich werde mit ein paar Freunden telefonieren, die auf so etwas spezialisiert sind, und sehen, ob ich die besten einfliegen lassen kann, aber Dr. George tut im Augenblick alles, was angebracht ist.«
»Und die Leberblutung?«
»Auch die wird beobachtet, aber vermutlich von allein heilen. Aber ich will nicht lügen, ihr steht noch ein langer Genesungsprozess bevor.«
»Sag mir ganz ehrlich, Beck, würdest du sie hierlassen oder lieber woandershin verlegen?«
»Wenn es nach mir ginge, würde ich sie ins West Mercy verlegen lassen, wo es ein Team von Spezialisten gibt, aber lass mich erst einmal mit ein paar Leuten reden und einige Anrufe machen.«
»Danke, und sag denen, es ist mir egal, was es kostet. Wenn es stimmt, was der Doktor sagte, hat Norrie meinem Sohn das Leben gerettet, womit ihr die beste Versorgung zusteht, die man für Geld bekommen kann.«
»Mr Brooks?«
Ich schaue auf und sehe mich einem Mann mit tätowierten Unterarmen gegenüber, der mit Dinosauriern bedruckte Krankenhauskleidung trägt.
»Ich bin Dr. McCaffery.« Er schüttelt mir die Hand.
»Sind Sie derjenige, der sich um meinen Sohn kümmert?«
»Ja. Issac ist wohlauf. Wir haben alle möglichen Tests durchgeführt, und er ist absolut unversehrt. Im Moment wickelt er meine Krankenschwestern um seine winzigen Finger.«
Issac. Sie hat ihn Isaac genannt.
Als ich seinen Namen höre, scheint plötzlich alles wirklich zu werden, und ein Gefühl der Dringlichkeit brennt mir auf den Nägeln. »Kann ich ihn sehen?«
»Ja, natürlich. Kommen Sie mit, ich bringe Sie zu ihm.«
Wir folgen ihm, und während Beck und Dr. McCaffery sich unterhalten, drückt Heather mir beruhigend den Arm.
»Alles wird gut.«
»Das hoffe ich.«
»Das wird es. Vertrauen Sie mir, eine Mutter weiß so etwas.«
Als wir die Kinderabteilung betreten, sehen wir eine Schar von Krankenschwestern, die aufgeregt um eine Kollegin in ihrer Mitte wuselt, die ein Baby im Arm hält.
Meinen Sohn!
In dem Moment ist es um mich geschehen und ich verliere mein Herz an ihn.
Ein Gefühl, so groß, dass mein Körper es nicht zu fassen vermag, erfüllt meine Brust. Ich strecke die Hände aus, und das Bündel überbordender Energie, das man mir in den Arm legt, stiehlt mir mein Herz. Als er mit großen, dunklen Augen zu mir aufschaut, erkenne ich seine Mutter, aber auch mich selbst in seinem winzigen, perfekten Gesicht.
Ich habe Liebe auf den ersten Blick immer für ein Klischee gehalten, jetzt aber begreife ich, dass es so etwas wirklich gibt, denn in diesem Augenblick weiß ich, dass ich für dieses kleine Menschenwesen mein Leben geben würde. Dass ich bis zum Tod für sein Wohlergehen kämpfen würde. In mir erwacht eine Liebe zum Leben, wie ich sie nie zuvor empfunden habe, und ich weiß, dass ich ihn nie mehr loslassen werde. Ich will der Vater sein, den er verdient, und der Mann, zu dem er aufblicken kann.
»Hallo Issac, ich bin dein Daddy.«
»Jetzt, da der Papierkram erledigt ist, können Sie Isaac mit nach Hause nehmen.«
Ich habe meinen Sohn, seit wir diese Abteilung betreten haben, kaum einen Moment aus den Augen gelassen, doch als die junge Krankenschwester ihn mir übergibt, gerate ich in Panik. Er liegt jetzt zugedeckt in einem Tragesitz und schläft tief und fest, mit geschürzten Lippen und langen Wimpern, die seine Wangen berühren.
Wie soll ich mich um ein Baby kümmern? Ich kenne mich mit Kindern nicht aus, und schon gar nicht mit so einem hilflosen Säugling, und doch übernehme ich ab jetzt die alleinige Verantwortung für seine sämtlichen Bedürfnisse.
»Harrison?«
Ich schaue Heather an, die ein Fels in der Brandung war und mir jetzt ermutigend zulächelt.
»Sie schaffen das.«
Ich schlucke das Gefühl, das in mir aufsteigt, hinunter, und wünsche mir abermals, meine eigene Mutter wäre mehr wie Heather. Doch sofort überkommt mich ein Gefühl von Scham. Meine Mutter ist krank, sie kann nichts dafür. Ich liebe sie und verdanke ihr viel, trotzdem fehlt es mir auch als Erwachsener noch, nicht einfach zu ihr gehen und sie um Hilfe bitten zu können.
»Aber wenn ich ihm wehtue«, bricht meine Furcht aus mir heraus, und ich würde meine Worte am liebsten gleich wieder zurücknehmen. Es ist sonst nicht meine Art, anderen meine Schwäche zu zeigen. Ich habe die Zügel in der Hand, ich leite den Club mit absoluter Disziplin, niemals zeige ich der Welt meine hässliche Seite. Ich gelte allgemein als der »Nette«, als der von allen respektierte »Boss«, und so gefällt es mir auch.
Heathers Hand landet auf meinem Arm, als ich wieder meinen Sohn ansehe, der so friedlich daliegt und nicht weiß, in welchen Aufruhr er mein Leben durch seine bloße Existenz versetzt hat.
»Sie werden ihm nicht wehtun, Harrison.«
Ich recke das Kinn und gebe mich zuversichtlich. »Natürlich, ich komme schon zurecht.« Ich nehme den Tragesitz und wundere mich, wie wenig dieses kleine Bündel Leben wiegt, das mein Dasein von Grund auf verändert. Sein Arzt hat mich informiert, dass Isaac zu früh zur Welt kam und somit bereits vier Monate alt ist, nicht erst drei. Eine Million Fragen rasen durch meinen Kopf, und die Einzige, die sie beantworten könnte, liegt Stockwerke über uns und kämpft um ihr Leben.
»Ich will noch zu Norrie, bevor wir fahren.« Seit unserer Ankunft war ich mit Isaac beschäftigt, und offenbar hat es länger als erwartet gedauert, sie zu stabilisieren, also ist dies die erste Gelegenheit, die sich mir bietet. In Wahrheit würde ich lieber verschwinden, ohne mich noch einmal umzuschauen. Was Norrie angeht, streiten in meinem Inneren die unterschiedlichsten Gefühle miteinander: die Sorge, sie könnte sterben und mein Sohn würde ohne Mutter zurückbleiben, die Befürchtung, sie könnte sich nicht vollständig erholen und nie wieder die »heillose Chaotin« sein, in die ich mich so unsterblich verliebt habe, und unter allem schwelt der finstere, rasende Zorn darüber, dass sie mir mein Kind vorenthalten hat. Und an diesem Zorn halte ich mich jetzt fest und aktiviere ihn jedes Mal, wenn die Sorge die Oberhand gewinnen will.
An meiner anderen Seite legt Beck die Stirn in Falten. Diese beiden Menschen waren heute mein Fels in der Brandung, was ich ihnen niemals vergessen werde.
»Das Baby wirst du aber nicht auf die Intensivstation mitnehmen dürfen.«
Ich wende mich ihm mit funkelnden Augen zu. »Ist mir scheißegal, was ich hier darf oder nicht. Ich will, dass mein Sohn seine Mutter sieht, bevor wir fahren.«
Beck wirft resignierend die Hände in die Luft, da er weiß, dass man nicht vernünftig mit mir reden kann, wenn ich diesen Ton anschlage, schließlich ist er genauso.
»Schön, dann werde ich es mal möglich machen.«
Ich nicke, worauf er sich entfernt; mir ist klar, das wird mich eine saftige Summe Geld kosten, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass es das Richtige ist. Ich danke dem Personal, das sich so gut um Isaac gekümmert und mich eingewiesen hat, während wir in den letzten Stunden alles bis aufs i-Tüpfelchen durchgekaut haben.
»Wenn Sie wollen, können Sie heimfahren, Heather. Ich habe heute schon genug Ihrer Zeit beansprucht.«
»Sie haben mich davor bewahrt, meinem Sohn dabei zuzuschauen, wie er alle paar Minuten über seine Verlobte herfällt.«
Ihre Feststellung entlockt mir unwillkürlich ein Lachen. »Junge Liebe.«
»Es freut mich zutiefst, wie verliebt die beiden sind, aber keine Mutter wünscht sich, das alle fünf Minuten mit ansehen zu müssen.«
»Das glaube ich. Ich bin nur froh, dass meine Überraschung ein Sohn war. Ich will mir gar nicht ausmalen, welche zusätzlichen Dramen ein Mädchen in mein Leben gebracht hätte, oder die Zeit, die ich womöglich im Gefängnis hätte absitzen müssen, weil ich sie vor Männern wie mir bewahren wollte.«
»Na ja, dazu kann ich nichts sagen, nur dass mir über zwei Jungs mit den Jahren genug graue Haare gewachsen sind, aber ich weiß, dass Sie diesem kleinen Jungen bestimmt ein wundervoller Vater sein werden.«
Ihre Worte festigen den steinigen Untergrund meiner überraschenden Vaterschaft, und ich schaue Isaac an, als sich die Fahrstuhltüren zur neurologischen Station vor uns auftun. »Ich hoffe es.«
»Ich weiß es.« Sie tätschelt mir den Arm, wie sie es heute bereits so oft getan hat, als würde sie spüren, dass ich den Körperkontakt und die Ermutigung brauche. Nach außen strahle ich Selbstvertrauen aus, doch sie blickt hinter die Oberfläche. »Nun, warum fahre ich dann nicht zu Ihnen nach Hause und sorge dafür, dass alles bereit ist?«
Ich fürchte den Moment, in dem meine Haustür sich schließt und ich mich der ersten Nacht allein mit meinem Sohn stellen muss. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht?«
»Dann würde ich es Ihnen nicht anbieten, Harrison.«
»Na dann, vielen Dank, das wäre wunderbar.«
Ich gebe ihr meinen Reserveschlüssel und blicke ihr nach, bis sie sich noch einmal umdreht. »Hätte ich fast vergessen, Audrey war heute bei Ihrer Mutter und lässt ausrichten, dass es ihr gut geht.«
Himmel, meine Mutter hatte ich über alldem glatt vergessen. Was für ein beschissener Sohn macht so etwas? Wie soll ich ihr das jemals erklären, und würde es womöglich irgendetwas verändern? Keine Ahnung, wieso überhaupt Hoffnung in mir aufflackert. Ihre Krankheit ist in ihrem Verhalten inzwischen so tief verankert, dass ich nicht sagen kann, ob sie jemals wieder vor die Tür gehen wird, und sie scheint auch gar keine Besserung mehr zu wünschen, was meine Überlegungen müßig erscheinen lässt.
»Richten Sie Audrey meinen Dank aus.«
Heather winkt mir zum Abschied zu und macht sich auf den Weg.
»Fertig?«
Ich drehe mich zu Beck um, der hinter mich getreten ist, als mein Sohn sich in seinem Tragesitz regt und ein quengelndes Geräusch von sich gibt, das mich vor Panik erstarren lässt.
Beck nimmt den Tragesitz, hebt ihn hoch, um einen Blick hineinzuwerfen. »Niedlich.«
»Was war das für ein Geräusch, und wieso zappelt er so?«
»Er ist noch ein Baby, und die machen komische Geräusche, und wahrscheinlich hat er Blähungen. Entspann dich, Harrison, ihm geht es prima.«
»Du hast gut reden. Dein Leben wird schließlich nicht von so einem Baby komplett auf den Kopf gestellt.«
Beck betrachtet mich mit festem Blick. »Noch ist es nicht zu spät. Noch kannst du ihn von jemandem abholen lassen und einfach davonfahren. Zum jetzigen Zeitpunkt hast du nicht einmal den Beweis, dass er überhaupt dein Sohn ist.«