Kings & Thieves (Band 3) - Die Göttin des Zorns - Sophie Kim - E-Book

Kings & Thieves (Band 3) - Die Göttin des Zorns E-Book

Sophie Kim

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Beschreibung

Ein Faden aus Hass und Liebe Noch immer kann König Rui nicht fassen, was passiert ist: Die Prophezeiung hat Linas Körper eingenommen. Seitdem führt sie als selbsternannte Göttin des Zorns Krieg gegen die Drei Königreiche. An ihrer Seite: die Furcht einflößenden Imugi. Die echte Lina ist dagegen gefangen in ihrem eigenen Kopf. Nur Rui kann sie durch den Faden des Schicksals erreichen. Aber können sie eine Prophezeiung überhaupt stoppen? Und wenn ja, zu welchem Preis? Das mitreißende Finale der Romantasy-Trilogie Im fulminanten Abschluss von Sophie Kims Romantasy-Reihe dreht sich alles um Schicksal, Liebe, Vergebung und die Folgen von Rache und Machtgier. Voller koreanischer Mythologie, die in eine spannende Fantasywelt entführt! - Band 3 der packenden Romantasy-Trilogie von Dein SPIEGEL-Bestsellerautorin Sophie Kim - Basierend auf koreanischen Sagen und voller mystischer Wesen wie den Riesenschlangen Imugi, einer Gumiho (einer neunschwänzigen Füchsin), Dokkaebi und Götter - Mit einer prickelnden und berührenden Romance - Über Rache, Macht und Vergebung, aber auch über Liebe, Familie (Found Family) und Schicksal - Erzählt aus mehreren Perspektiven, mit spannenden Nebenhandlungen und mitreißenden Liebesgeschichten - Erstauflage mit opulentem Farbschnitt

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Seitenzahl: 688

Veröffentlichungsjahr: 2025

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INHALT

Anmerkung der Autorin

VorspielDie Gefangene – Klein und zerbrochen …

Teil 1   Eine aufgestiegene Königin

Kapitel 1Die Prophezeiung – Bald werden sich …

Kapitel 2Rui – Der Herrscher der …

Kapitel 3Die Gefangene – Du hast sie …

Kapitel 4Die Prophezeiung – Die Nacht bricht …

Kapitel 5Die Gefangene – Ich habe es …

Kapitel 6Rui – Schwerter, geschmiedet in …

Kapitel 7Die Prophezeiung – Ich verspüre große …

Kapitel 8Die Prophezeiung – Seocheonkkotbat, ein weitläufiger …

Kapitel 9Iseul – Auf dem Schlachtfeld …

Kapitel 10Die Prophezeiung – Raus mit der …

Kapitel 11Die Gefangene – Ich schaue durch …

Kapitel 12Rui – Er läuft langsam …

Kapitel 13Die Gefangene – Meine Finger verkrampfen …

Kapitel 14Rui – Wyusans Hauptstadt Sanyeongto …

Kapitel 15Iseul – Song Iseul ist …

Kapitel 16Die Prophezeiung – Ich lehne an …

Kapitel 17Die Gefangene – Er kommt und …

ZwischenspielChan – Wut ist ein …

Kapitel 18Die Prophezeiung – Dörfer zu zerstören, …

Kapitel 19Die Gefangene – Steh auf, Shin …

Kapitel 20Die Prophezeiung – Die Klinge schneidet …

Kapitel 21Rui – Rui stößt den …

Kapitel 22Iseul – Iseul hat sich …

Kapitel 23Die Prophezeiung – Ich bin es …

Kapitel 24Die Gefangene – Yeomra.

Kapitel 25Die Gefangene – Hier, erkläre ich …

Teil 2   Die Gefangene Der Prophezeiung

ZwischenspielKang – Allein in seiner …

Kapitel 26Rui – Der Herrscher der …

Kapitel 27Die Prophezeiung – Sie greifen mit …

Kapitel 28Rui – Der Herrscher der …

Kapitel 29Iseul – Hör endlich auf …

Kapitel 30Die Gefangene – Ich weiß nicht, …

Kapitel 31Iseul – Zerr mich nicht …

Kapitel 32Die Prophezeiung – Auf dem westlichen …

Zwischenspiel – Der geflügelte Junge …

Kapitel 33Rui – Der Herrscher der …

Kapitel 34Die Gefangene – Der kalte Metallschlüssel …

Kapitel 35Die Prophezeiung – Nein?«, lese ich …

Kapitel 36Iseul – Drei Tage. …

Kapitel 37Die Gefangene – Auf der nächsten …

Kapitel 38Die Prophezeiung – Der vierte Tag …

Zwischenspiel – Alle spüren es, …

Teil 3   Der Zorn der Götter

Kapitel 39Die Prophezeiung – drei Tage später …

Kapitel 40Die Gefangene – Ich bin nicht …

Kapitel 41Rui – In den Gärten …

Kapitel 42Die Gefangene – Gameunjangs Schlüssel ist …

Kapitel 43Die Gefangene – Unser Kuss ist …

Kapitel 44Die Prophezeiung – Ich wette, du …

Kapitel 45Iseul – Als Ijun stirbt, …

ZwischenspielKang – Rui ist verschwunden …

Kapitel 46Iseul – Als sie spürt, …

Kapitel 47Die Prophezeiung – Ich sitze auf …

Kapitel 48Die Gefangene – Der Dalgyal Gwisin …

Kapitel 49Iseul – Iseul ist nicht …

Kapitel 50Rui – Ruis Herz verkrampft …

Kapitel 51Die Gefangene – Diesmal lege ich …

Kapitel 52Die Prophezeiung – Bei Sonnenaufgang brechen …

Kapitel 53Rui – Ruis Gedanken überschlagen …

Kapitel 54Die Prophezeiung – Obwohl meine und …

Kapitel 55Iseul – Mitten in der …

Kapitel 56Die Gefangene – Draußen beginnt der …

Kapitel 57Die Prophezeiung – Als Die Wasserschläuche …

Kapitel 58Die Gefangene – Das Chogajip erscheint, …

Kapitel 59Die Prophezeiung – Ich falle auf …

Zwischenspiel – In den Schattenschächten …

Kapitel 60Die Gefangene – Die Prophezeiung hat …

Kapitel 61Die Prophezeiung – Sie bewegt sich …

Kapitel 62Rui – Der Herrscher der …

Kapitel 63Die Gefangene – Sie ist nicht …

Kapitel 64Die Prophezeiung – Die Gefangene ist …

Teil 4   Zu Hause in der Halle

Zwischenspiel – Macht.

Kapitel 65Die Gefangene – Eine dunkle, pulsierende …

Kapitel 66Shin Lina – Mein Herz ist …

Zwischenspiel – Yeomra, der Gott …

Kapitel 67Lina – Ich stehe auf …

ZwischenspielKang – Am Himmel genießen …

Kapitel 68Lina – Der skelettartige Thron …

Zwischenspiel – Im Reich der …

Kapitel 69Iseul – Die Toten leben. …

ZwischenspielKang – Jeong Kang sitzt …

Zwischenspiel – In allen Drei …

Kapitel 70Lina, Göttin des Todes – Schließlich kommen sie …

Danksagung

Content Note

Dieses Buch widme ich meinem Vater,der mich ermutigt hat, noch einen Versuch zu starten, um für »Kings & Thieves – Die Letzte der Sturmkrallen« einen Verlag zu finden.

Hier sind wir nun, Jahre später, am Ende einer Reihe, die ich am Anfang nie für möglich gehalten hätte.

Danke, Papa. Ich hab dich lieb.

 

 

 

Liebe Leser*innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr am Ende des Buchs eine Content Note.

Achtung: Diese enthält Spoiler für die gesamte Geschichte!

Wir wünschen euch das bestmögliche Lesevergnügen.

Eure Sophie Kim und das Loewe-Team

ANMERKUNG DER AUTORIN

Liebe Leser*innen,

inzwischen wisst ihr sicherlich, was euch erwartet. Aber lasst mich noch ein letztes Mal darauf hinweisen.

Die koreanische Mythologie, die ich in diesem Buch verarbeitet habe, habe ich für meine Zwecke kreativ umgedeutet. Deshalb solltet ihr sie nicht als zuverlässige Einführung in die traditionellen Erzählungen meiner Ahnen betrachten.

So, das sollte schon alles abdecken, denke ich.

Willkommen in der Welt – und im Krieg – der Drei Königreiche.

Viel Spaß beim Lesen

Sophie Kim

VORSPIEL

DIE GEFANGENE

Klein und zerbrochen liegt sie auf dem harten, gefrorenen Boden – als hätte man sie einfach weggeworfen.

Ihr Herz ist gebrochen, ihre Seele zerschmettert, ihr Licht erloschen.

Die Gefangene dachte eigentlich, sie sei Leid gewohnt. Dachte, sie kenne sich aus mit den unbarmherzigen Klingen der Höllenqualen.

Wie töricht sie doch war. Das waren keine Höllenqualen. Es war stets nur Schmerz.

Schmerz ist, wenn man hilflos in einem Palast steht, ein roter Fluss die Stiefel umspielt und niedergemetzelte Leichen um einen herum liegen.

Höllenqualen dagegen sind, wenn ein Mädchen zu Boden fällt.

Höllenqualen sind, wenn ihre Haare rote Bänder wie eine Schleppe mit sich ziehen.

Höllenqualen sind, wenn eine große Schwester schreit.

Acht Jahre alt. Acht Jahre alt mit einer Zahnlücke und glänzenden Augen. Acht Jahre alt und tot.

In der Zelle schluchzt die Gefangene, bis ihr übel wird. Sie merkt schon gar nicht mehr, dass sie weint. Weinen ist wie Atmen für sie geworden. Ein Leben ohne Tränen gibt es nicht. Ein Leben ohne Tränen kann es für sie nie wieder geben.

Heute wird Shin Lina neunzehn Jahre alt. Sie ist in ihrem eigenen Kopf gefangen und wartet verzweifelt auf das Ende.

TEIL 1 EINE AUFGESTIEGENE KÖNIGIN

Mit ihrem letzten AtemzugSteigt eine Königin empor.Aus Staub und FinsternisBringt sie die aufgehende Sonne hervor.Verlasst den Pfad der SchlachtUnd folgt ihr zu Rache und Macht.Eure Suche findet nun endlich Ruh’,Denn vom Boden erhebt euch die ersehnte Yeouiju.Und die Tochter des Gifts herrscht über alle,Bis sie Yeomra folgt in die ureigene Halle.

KAPITEL 1

DIE PROPHEZEIUNG

Bald werden sich mir alle beugen.

Bei dem Gedanken muss ich lächeln, während meine Soldaten über die Yaepak-Berge marschieren, wo ewiger Winter herrscht. In anderen Ländern des Östlichen Kontinents bricht der Herbst mit frischerem Wetter gerade erst an. Doch auf dem Rücken von Sonagi schlägt mir eisiger Wind entgegen. Meine Imugi gleiten durch den Schnee, lautlos, anmutig und tödlich. Wir reiten der Erfüllung entgegen, dem Zeitalter der Drachen und der Zerstörung.

Vor drei Monaten habe ich das Erste Königreich, Sunpo, erobert. Eigentlich dachte ich, dass inzwischen alle Drei Königreiche mir gehören würden. Doch die Scharmützel mit den Dokkaebi haben mehr Zeit gekostet als erwartet. Haneul Ruis Armee hat verzweifelt versucht, meine Soldaten daran zu hindern, den Fluss Habaek zu überqueren und diese Berge zu erreichen.

Haneul. Mein Lächeln wird zu einer hasserfüllten Grimasse, als ich an den Dokkaebi denke, mit dem ich seelenverwoben bin. Mein größter Feind. Er ist ein Betrüger.

Ein Lügner.

Er ist schuld, dass meine Schwester tot ist. Dabei hätte ich sie gut gebrauchen können. Sie hätte den großen Namen der Shin weitergetragen. Doch jetzt weilt sie in Jeoseung, und selbst wenn ich das Reich betrete und ungeduldig ihren Namen rufe, zeigt sie sich nie am anderen Ende der Brücke.

Äußerst ärgerlich. Denn es durchkreuzt meine Pläne.

Haneuls Spielchen stehen mir bis zum Hals. Erst verschuldet er den Tod meiner Schwester und dann versenkt er meine Schiffe.

Ein Geobukseon, das Im Yejin, meine Schiffsbauerin, für mich gebaut hat, wurde während einer der Flussblockaden zerstört. Lästig. Die Söldner und Assassinen aus Sunpo, die ich notgedrungen mitgenommen habe, weil ich sie für meine Eroberung von Wyusan brauche, wären fast ertrunken. Sie haben hilflos im Wasser herumgeplanscht wie Kinder. Am liebsten hätte ich sie absaufen lassen. Aber ihre Schwäche wird mir später noch nützen. Also habe ich meinen Wasserschlangen, den Imugi, widerwillig befohlen, sie zum zweiten Schiff zu tragen, das um die Bergkette herumfährt.

Sie marschieren nicht mit uns zusammen, denn ich habe Pläne für sie und dafür müssen sie am Leben bleiben. Die Dokkaebi haben es nur auf mich abgesehen. Es gab schon vier Gefechte hier in diesen Bergen. Das Schiff interessiert sie scheinbar nicht. Es nimmt den weiteren Weg drumherum in Richtung Wildnis von Wyusan, die unser Ziel ist.

Am Ende der Reise werden die Menschen ihre Aufgabe erfüllen. Sie wissen, wie viel Glück sie haben. Wenn sie in Sunpo geblieben wären, müssten sie jetzt meine Schlangen fürchten. Ich lasse nur so viele am Leben, dass ich genügend Anhänger habe. Denn die jungen Imugi, die nicht mit in den Krieg ziehen, sind hungrig. Sie wachsen ja noch.

Song Iseul reitet zu meiner Rechten auf dem geschmeidigen Uloe, einem der Erstgeborenen von Sonagi. Eine männliche Imugi von unglaublicher Stärke und Schnelligkeit und mit der gleichen glitzernden blaugrünen Färbung wie alle seiner Art. Die Gumiho hat die Augen zusammengekniffen, um sie vor dem gleißenden Schnee zu schützen. Wie ich sitzt sie in einem schwarzen Sattel auf dem breiten Hals ihrer Schlange. Ihr helles Haar wird vom Wind gepeitscht, während wir die felsigen Höhen erklimmen. Die Gumiho hat ihre große Axt auf den Rücken geschnallt und unter ihrem Umhang trägt sie einen schwarzen Tarnanzug, genau wie ich. Ich habe ihn für sie anfertigen lassen. Denn sie ist meine persönliche Leibwächterin und muss daher behandelt werden wie eine Waffe. Sie muss poliert sein und glänzen. Bis zur Perfektion geschliffen.

Bang Bomin reitet zu meiner Linken. Der bekannte Halji-Händler ist der einzige weitere von meinen Verbündeten, die ich vor drei Monaten in Sunpo um mich geschart habe, den ich auf diese Reise mitgenommen habe. Die Gefälligkeiten, die er als Bezahlung einfordert, sind nützlich, und da er mir Informationen über die anderen beiden Königreiche des Östlichen Kontinents beschafft, hat er es sich verdient, neben mir zu reiten. Aber wenn er nicht aufhört, diese albernen orangefarbenen Zylinder zu tragen, bringe ich ihn um, sobald er seinen Zweck erfüllt hat und die Drei Königreiche mir gehören. Ich hasse diese Zylinder.

Wyusan und Bonseyo wissen, dass wir kommen. Aber sie halten sich noch bedeckt. Bomins Quelle in Wyusan sagt, dass Königin Moon erst abwarten will, ob die Dokkaebi mich hier in den Bergen besiegen. Und die Herrscherdynastie in Bonseyo ist mit internen Streitigkeiten beschäftigt und unterschätzt meine Macht. Wahrscheinlich geht sie davon aus, dass Wyusan mich aufhalten wird. Dabei werden beide Königreiche fallen.

Und ich werde diejenige sein, die sie zu Fall bringt.

Sonagi bewegt sich geschmeidig unter mir, doch plötzlich verkrampft sich mein Körper. Da ist es wieder. Dieses Ziehen in der Brust, das mir inzwischen so vertraut geworden ist. Indem ich blinzele, kann ich den roten Faden des Schicksals vor meinen Augen sichtbar machen. Das widerliche Ding tritt aus meiner Brust, wirbelt durch die schneeverwehte Luft und zieht sich bis zu einem etwa fünfzehn Meter vor mir liegenden Punkt, wo nichts zu sehen ist. Noch nicht.

Reizend, denke ich wütend.

Mein Geist streift Sonagis Bewusstsein und es ist, als würde ich eine Mauer aus Schuppen berühren. Er kommt.

Sonagi bleibt stehen. Sie bewegt den Kopf vor und zurück und lässt die Zunge aus ihrem Maul schnellen, um die Witterung aufzunehmen. »Du hassst recht«, brummt die Mutter der Imugi in der Doppelzüngigensprache.

»Halt«, zische ich in ihrer Sprache den anderen zu, die sofort gehorchen. Der Wind trägt meinen Befehl zu den hundert Schlangen hinter mir.

»Erwartet uns dort der Hinterhalt von heute?«, fragt Iseul. Die Gumiho scheint das nicht sehr zu beunruhigen. Sie wirkt sogar fast, als würde sie sich darauf freuen. Schließlich ist sie ein gewalttätiges Wesen. Und offenbar trägt sie den Dokkaebi immer noch nach, dass diese vor fünfzig Jahren die Fuchsjagd nicht verhindert haben. Aber Iseuls Motive sind mir ehrlich gesagt egal. Solange sie diejenigen umbringt, die sie umbringen soll. Und bisher hat sie das vorbildlich erledigt.

»Ja«, antworte ich und lasse meine Schuppen hervortreten. Schneller als der Flügelschlag eines Schmetterlings breiten sie sich auf meiner Haut aus, verkrusten die Ränder meines Gesichts, bevor sie meinen Hals und mein Herz bedecken und sich auf meinen Armen zeigen. Eine diamantharte Rüstung zum Schutz gegen das Blutvergießen, das die teuflische Armee von Gyeulcheon plant. »Haltet euch bereit«, zische ich, als um uns herum die Luft explodiert.

Schattentunnel erscheinen aus dem Nichts wie Spritzer schwarzer Tinte auf weißem Papier. Aus den Portalen springen Dokkaebi in Kampfausrüstung, die im Sonnenlicht glitzert. Ihr wildes Kampfgeschrei hallt über die Berggipfel und tut mir in den Ohren weh. Ärgerlich verziehe ich das Gesicht und gebe Bomin ein Zeichen, in Deckung zu gehen. Der Halji-Händler leistet mir nun einmal gute Dienste, auch wenn seine Hutwahl fragwürdig ist. Ich darf ihn nicht im Kampf verlieren. Seine Imugi, Beongae, gleitet zu einer Felsformation, wo er sich hinter dem eisverkrusteten Stein versteckt.

Es werden immer mehr Dokkaebi, Hunderte, und ich verfluche Haneul erneut dafür, dass er seinen Soldaten das Wongun-Elixier verabreicht hat und gewöhnlichen Dokkaebi damit ermöglicht, sich durch Portale zu bewegen. Diese … Entwicklung kommt mir höchst ungelegen, denn kaum ein Tag vergeht, an dem wir nicht durch solch einen blutigen Zusammenstoß aufgehalten werden.

Es ist gelinde gesagt irritierend. Aber meine Armee weiß, was zu tun ist. Flink springt Iseul aus dem Sattel und schwingt ihre Respekt einflößende Axt, während Uloe sich hoch aufrichtet und faucht. Dabei spuckt er tödliches grünes Gift – sorgsam darauf bedacht, Iseul nicht zu treffen – und zwei Dokkaebi gehen schreiend zu Boden. Genau wie Haneuls Freundin Hana vor drei Monaten, als meine Imugi sie im Palast von Sunpo gebissen haben. Kurz darauf ist sie gestorben. Seitdem trachtet ihr Geliebter mir nach dem Leben. Aber das kümmert mich nicht. Auch Kim Chan wird sterben, genau wie diese beiden hier.

Die Krieger sind direkt auf mich zugestürmt. Das tun sie immer. Es ist beinahe komisch. Jeder versucht, mich als Erster zu erreichen, obwohl ihr Herrscher deutlich gemacht hat, dass ich ihm gehöre. In jedem Kampf bisher hat er sein Dokkaebifeuer auf mich gerichtet, als wolle er das schwache, wehleidige Mädchen in meinem Geist befreien, bevor er zum tödlichen Schlag ausholt. Dabei weiß er längst, dass es sinnlos ist. Seine Strategie hat vielleicht einmal funktioniert, aber das ist jetzt vorbei. Seine Mühen sind vergeblich, himmlisches Feuer hin oder her.

Denn sie wird nicht hervorkommen, selbst wenn sie könnte. Und Haneul ist klar: Er kann mich nur aufhalten, indem er mich umbringt. Zweifellos will er jedoch, dass dies so schmerzlos wie möglich geschieht, weil er noch immer Gefühle für das Mädchen hegt, das einst diesen Körper bewohnt hat. Den Gefallen werde ich ihm nicht tun, wenn ich ihn töte. Sein Tod wird qualvoll und langsam sein.

Über uns grollt der Donner. Sonagi beschwört einen Sturm für mich herauf. Einen Sturm aus Frost und Blitzen. Schwere Regenfälle haben schon zuvor Dokkaebifeuer für mich gelöscht, und heute wird der Schneeregen es ausreichend schwächen, sodass ich nicht verletzt werde. Denn die Flammen, die direkt aus dem himmlischen Königreich Okhwang stammen, sind eine der wenigen Waffen, die mir wirklich etwas anhaben können. Und obwohl sie die Verwandlung, die sich Haneul so sehnlich wünscht, nicht hervorrufen können, können sie mir Haut und Schuppen versengen.

Mein Blick verfinstert sich, als das Ziehen in meiner Brust stärker wird. Während der Kampf in vollem Gange ist und ich höre, wie Schwerter auf Schuppen einschlagen, entsteht keine zwölf Schritte von mir entfernt ein weiterer Schattentunnel. Sonagi faucht wild und angewidert und ihr langer Körper spannt sich an, als der Herrscher der Dokkaebi auf das vereiste Schlachtfeld stürmt, hoch zu Ross auf seiner weißen Stute Duri.

Gleichzeitig wird der Schicksalsfaden, der uns verbindet, nun gänzlich sichtbar; ein glitzerndes scharlachrotes Band aus Hass.

Ich verenge die Augen, als ich zu meinem großen Unmut erkenne, dass die Stute Flügel besitzt. Ein Chollima. Ich erinnere mich daran, wie wütend ich an dem Tag war, als ich Duri zum ersten Mal gesehen habe. In Gyeulcheon, als ich noch schwach war und nicht die, die ich heute bin, bin ich sogar auf ihr geritten. Damals hatte sie keine Flügel, aber jetzt wird mir klar, dass ihre weißgefiederten Schwingen nur verborgen waren.

Haneul hat so viel vor mir verheimlicht.

Hat mir so viele Lügen erzählt.

Seine Augen glühen mit blauem Dokkaebifeuer, als Duris Hufe auf dem vereisten Boden knirschen und er sie mit verbissenem Kiefer über die Leichen der beiden Krieger treibt. Unter dem schwarzen Helm wird sein kurzes, gewelltes Haar vom kalten Wind umhergewirbelt. Seine Rüstung soll wohl der Einschüchterung dienen, aber mich macht sie nur unendlich zornig. Er trägt einen dunkelgrünen Plattenharnisch, der über seinen einfachen schwarzen Gewändern zusammengehalten wird, um Schultern und Oberkörper zu schützen. In seiner Schärpe steckt das Schwert, das er nie benutzt. Stattdessen lässt er mich lieber sein vermaledeites Feuer spüren.

Sein Schwert interessiert mich daher nicht. Stattdessen starre ich auf den Harnisch, dessen Platten er kürzlich aus den Schuppen von einer meiner gefallenen Imugi geschmiedet hat. Sie ist bisher die Einzige, die getötet wurde. Die Dokkaebi haben sich vor drei Tagen in diesen Bergen über sie hergemacht und die Schuppen von ihrem Kadaver gerissen, weil sie wissen, was für einen starken Schutz sie bieten. Nun trägt Haneul sie, der langsam näher kommt. Der Kampflärm rückt in den Hintergrund, und es ist fast, als wären wir beide auf unseren Reittieren die Einzigen auf dieser vereisten Ebene. Ich spüre, wie seine Gefühle mich von außen bombardieren: Trauer, Wut, Schuld. Und ich weiß, dass er auch meine spürt: Abscheu und Entschlossenheit.

Wieder ertönt ein Donnergrollen, Regen ergießt sich aus den grauen Wolken und wird zu Graupel und Schnee, als er auf die Bergluft trifft. »Sei gegrüßt, mein Ehemann«, säusele ich, während ein Blitz den Himmel zerreißt. Sonagi zischt Duri drohend an, die wiehert, mit ihren Flügeln schlägt und vom Boden abhebt, damit ihr Reiter auf uns herabblicken kann.

»Prophezeiung«, sagt Haneul und seine Stimme ist fast so eiskalt wie der Schneeregen, der auf uns niederprasselt.

Ich lächele. Er nennt mich nicht »Lina«. Das tut er nie. Offenbar will er nicht begreifen, dass ich gewissermaßen Shin Lina bin. Für ihn bin ich bloß die Prophezeiung, die die Imugi in Yong verwandeln und ihr Land zurückfordern wird. Aber es geht viel tiefer. Ich bin nicht das feige Mädchen mit dem naiven Wunsch, Abbitte zu leisten. Das habe ich auf ewig in meinem Kopf eingesperrt. »Dokkaebi, spricht man etwa so mit seiner Frau?«, flöte ich.

Durch unsere Verbindung strömt scharfer Schmerz wie ein Blitz. Schmerz und Sehnsucht. Ich weiß, dass Haneul an unsere Hochzeit denkt. Doch die war ohnehin nur vorgetäuscht. Ein alberner Schachzug, um zu verhindern, dass sich mein Schicksal erfüllt. Ich lache und stelle sicher, dass die harten, glitzernden Schuppen meine lebenswichtigen Organe schützen. Dann fahre ich die Schuppenklingen aus. Scharf und glänzend treten sie oben aus meinen Handgelenken aus. Sonagi faucht, als ich mich auf den Sattel stelle und zu dem Chollima und dem Dokkaebi emporblicke.

Haneuls Körper spannt sich an, als ahne er, was ich vorhabe.

Blutdurst überkommt mich und ich springe grinsend in die Luft, während das himmelblaue Dokkaebifeuer zwischen Haneuls Händen knistert. Als ich einen von Duris Hufen zu fassen bekomme, schreit er zornig auf, und das Chollima tritt panisch um sich und schlägt dabei wild mit den Flügeln. Mit großer Befriedigung sehe ich, wie Haneul nach unten stürzt. Er rollt sich auf dem Boden ab und kommt wieder auf die Füße. Schnee klebt an seiner Rüstung und er flucht heftig.

Ich gebe das Chollima frei und lasse mich die drei Meter auf die Erde fallen. Bei der Landung spüre ich einen stechenden Schmerz im linken Bein von meiner alten Verletzung, beachte ihn jedoch nicht weiter. Haneul atmet schwer und verengt die Augen. Der rote Faden zwischen uns, der noch immer sichtbar ist, spannt sich, als ich einen Schritt vortrete.

»Ich rate dir aufzugeben«, sage ich mit genau dem Lächeln, das ihm mehr wehtut als alles andere. Es ist ein kaltes, grausames Lächeln, das seine Liebe verspottet. Daran mussten sich meine Lippen erst gewöhnen. Denn als sie diesen Körper noch bewohnt hat, hat dieses Gesicht nie so gelächelt. »Sie kommt nicht zurück, ganz gleich, wie sehr du dich bemühst. Und ich bin nicht sie.«

»Halt den Mund«, fährt mich der Herrscher an. Als ob ermir Befehle erteilen könnte. Seine Stimme wird rau. »Du bist ein Parasit, ein Blutegel unter ihrer Haut.«

Der Schneeregen wird stärker. Ein gewöhnliches Feuer wäre in diesem Sturm längst erloschen, aber das von Haneul ist anders. Dennoch ist die Flamme zwischen seinen Fingern schwächer als sonst. Ich betrachte sie wachsam, lecke mir über die Lippen und gehe einen weiteren Schritt auf ihn zu. Meine nächsten Worte schnellen durch die Luft wie eine Peitsche und der Herrscher zuckt getroffen zurück.

»Ich liebe dich nicht, Dokkaebi. Ich liebe Stürme, die am Himmel wüten, und Blut, das im Boden versickert. Ich liebe den Kuss meiner Klinge an einem Hals, aber nicht den Kuss deiner Lippen. Ich liebe Krieg und Zerstörung. Ich liebe Furcht, Feuer und Zorn. Aber dich liebe ich nicht.«

Es ist herrlich zu spüren, wie ihn meine Worte quälen. Zu sehen, wie er erbleicht, als hätte ihn gerade ein Schwert durchbohrt.

»Halt den Mund«, wiederholt er, aber jetzt klingt seine Stimme heiser und brüchig.

Überall um uns herum sterben Dokkaebi und die Imugi haben ihren Spaß. Sonagi macht jenen den Garaus, die ihrem Herrscher zu Hilfe eilen wollen. Gerade steht sie dem weißhaarigen Chan gegenüber, der mit solch einem Hass meinen Namen brüllt, dass ich mir ein Kichern nicht verkneifen kann. Der Wind trägt Iseuls hämisches Lachen zu mir, als ihre Axt schmatzend auf lebendiges Fleisch trifft.

»Lass mich dich töten«, murmele ich und verharre einen Augenblick. Ich bin Haneul inzwischen so nahe, dass der Faden zwischen uns nur noch die Länge eines Jikdos hat. »Vielleicht lasse ich die anderen dann am Leben. Lass mich dich töten, Ehemann. Ich werde es über die Maßen genießen. Die Farbe deines Blutes ist so wunderschön.«

Eine Welle der Wut rauscht unsere Verbindung entlang. »Du«, stößt der Dokkaebi zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Du bist abscheulich.«

Mein Lächeln verschwindet und mit hasserfülltem Fauchen stürze ich mich auf ihn. Meine Schuppenklingen sind auf seine Halsschlagader gerichtet. Haneul wirbelt herum, schneller als das Auge sehen kann, und weicht meinem Angriff aus, während Schneeklumpen zu allen Seiten davonfliegen.

Diesen Tanz veranstalten wir fast jeden Tag, immer mit demselben Ergebnis: Bevor ich ihn töten kann, zieht er sich zurück. Das ist frustrierend, aber es spielt keine Rolle. Ich werde trotzdem gewinnen. Haneuls Soldaten sind hervorragende Kämpfer, gegen mich – eine Prophezeiung – haben sie jedoch keine Chance. Prophezeiungen erfüllen sich immer. Das weiß er genau und trotzdem kämpft er weiter. Ich habe keine Ahnung, was er mit seiner hirnverbrannten Torheit bezwecken will.

Aber das muss ich auch nicht. Ich muss ihn nur töten.

Blaues Feuer schießt auf mich zu, wird jedoch durch den Schneeregen gebremst. Es ist nicht so schnell wie sonst und auch nicht so strahlend blau. Ich weiche aus und das Feuer zieht sich in Haneuls Handflächen zurück. Der Dokkaebi keucht und seine Brust hebt und senkt sich schwer. Es tut ihm weh, gegen den Körper zu kämpfen, der einst mein schwächeres Ich beherbergt hat. Wie ich sie hasse! Sie hat mich so lange in ihrem Geist gefangen gehalten, und selbst als ich mich aus der Tiefe hervorgekämpft habe, hat sie sich erbittert gegen mich gewehrt. Aber nun ist sie still. Ich höre keinen Ton mehr von meinem schwächeren Ich und gehe davon aus, dass das auch so bleiben wird.

Der rote Faden des Schicksals leuchtet, als Haneul eine neue Welle Dokkaebifeuer heraufbeschwört. Diesmal ist sie größer und die Imugi, die sich in unserer nächsten Nähe befinden, zischen vor Schmerz auf, als das Feuer mich einschließt und dabei ihre Schuppen versengt. Eine Sekunde lang verspüre ich einen Anflug von Unruhe, denn es kann mich ernsthaft verletzen. Aber der Graupelschauer der Imugi fällt unermüdlich auf das Feuer hinab und öffnet eine Lücke inmitten der flackernden blauen Flammen. Ich hechte in die Freiheit auf Haneul zu. Stöhnend schlage ich auf dem kalten, harten Boden auf, hake aber sogleich meinen Fuß um seinen Knöchel und bringe ihn dadurch ins Wanken. Er ist stark, aber gegen die Göttin des Zorns kommt er nicht an.

In Sunpo werden mir zu Ehren bereits Tempel errichtet und meine Anhänger sagen meinen Namen mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Angst. Shin Lina. Shin Lina. Die Göttin. Bald werde ich Tempel in jedem Königreich haben und meine Yong werden über den Himmel ziehen. Die Welt wird so sein, wie sie schon vor Jahrhunderten hätte sein sollen. Im Besitz ihrer wahren Bewohner, den alten Drachen, die die Länder, aus denen sie mit Gewalt vertrieben wurden, endlich zurückerobert haben werden.

Ich springe auf die Beine. Der rote Faden zwischen Haneul und mir windet und kräuselt sich. Er lässt sich nicht fassen, und das ist wirklich schade. Bereits mehrmals habe ich vergeblich versucht, ihn mit meinen Schuppenklingen zu zertrennen. Es gefällt mir nicht, mit diesem Dokkaebi verbunden zu sein, wenn auch nur als Todfeinde. Es gefällt mir nicht, dass er mich überall finden kann, ganz gleich, was ich tue. Mein einziger Trost ist, dass ich ihn ebenso jederzeit finden kann. Selbst in seinen Träumen.

Ich liebe es, ihn in seinen Albträumen heimzusuchen. Dort habe ich ihn seit Kriegsbeginn schon hundertfach getötet.

Ein weißer Blitz zischt durch den Himmel und reißt eine Schneise in die herabfallenden, feuchten Schneeflocken. Mit schmalen Lippen sehe ich mich um. Dieser Kampf ist ermüdend. Ich strecke meinen Geist nach der uralten Mutter der Imugi aus und befehlige Sonagi über das Schlachtfeld hinweg zu mir, indem ich meine geistige Hand auf ihr kaltes, glattes Bewusstsein lege. Sie hat sich inzwischen tief ins Getümmel gestürzt, zerfetzt die feindlichen Soldaten mit ihren giftigen Fängen und lässt deren goldenes Blut auf den weißen Schnee spritzen. Auf meinen Befehl hin dreht sie sich um und schlängelt zu mir zurück. Ich könnte auch andere Imugi rufen, aber mit keiner bin ich so eng verbunden wie mit Sonagi. Wir beide sind wie Blitz und Donner. Wo die eine zuschlägt, folgt die andere auf dem Fuß. Sie ist immer bei mir.

»Ich komme, meine Tochter«, versichert sie mir und hält bloß kurz inne, um einen Dokkaebikrieger mit Gift zu bespucken, der sich ihr in den Weg stellt. Der von ihr erzeugte Wind trägt ihre Stimme über den Kriegslärm zu mir. »Hab keine Angssst.«

Haneul knirscht mit den Zähnen und ein Dokkaebifeuerball brennt zwischen seinen Handflächen. Seine silbernen Augen finden meine und ich fühle die Tiefe seines Schmerzes. Höchst irritierend. Seine Trauer lenkt mich ab, während sein Arm ausholt. Der Feuerball fliegt schneller durch die Luft, als die Augen von Sterblichen folgen könnten. Zum Glück bin ich keine Sterbliche.

Ich ducke mich zwar weg, aber die Flammen lecken über meinen Tarnanzug und ich fluche leise. Dem Material kann Feuer zwar nichts anhaben, aber gegen Haneuls wird es nicht lange bestehen, auch wenn dieses schwach ist. Ich muss mich im Schnee rollen, um die Flammen zu löschen. In dem Moment kommt Sonagi bei mir an. Sie senkt ihren riesigen Kopf, damit ich den Sattel erreichen kann, der auf ihrem Hals sitzt. In einer fließenden Bewegung ergreife ich die herabhängenden schwarzen Lederriemen, stoße mich ab und drehe mich in der Luft, um auf die Mutter der Imugi zu steigen. Sie richtet sich zu ihrer vollen Größe auf und wir beide überragen Haneul, der sich nun mindestens sechs Meter unter mir befindet.

Der Dokkaebi zieht ein mürrisches Gesicht und pfeift laut. Sein Chollima eilt an seine Seite, die Mähne triefend nass vom Schnee. Außer Atem steigt der Dokkaebiherrscher auf das geflügelte Tier. Dessen weiß gefiederte Flügel beginnen zu schlagen und die beiden erheben sich in die Luft. Haneuls Frust nagt von außen an mir und ich starre ihn mit gebleckten Zähnen an. Als er eine derbe Geste in meine Richtung macht, greife ich nach den Riemen, an denen ich mich hochgezogen habe.

Daran sind unter dem Sattel ein Bogen und ein Köcher mit eisernen Pfeilen befestigt, deren Spitzen in Imugigift getaucht wurden, das selbst für Dokkaebi tödlich ist. Ich spanne einen Pfeil ein und ziele.

Haneul stößt einen Ruf aus und zieht Duri zur Seite. Der Pfeil zischt an ihnen vorbei.

Ich verziehe das Gesicht.

Als das Pferd um uns herumfliegt, dreht Sonagi sich mit. Ich schieße den nächsten Pfeil ab und bin sicher, dass ich diesmal treffe. Haneuls silberne Augen weiten sich. Dann lässt sich der Dokkaebi aus dem Sattel fallen, während der Pfeil die Luft dort durchbohrt, wo kurz vorher sein Hals war. Jetzt hält er sich am Steigbügel fest und hängt von Duri herab. Meine Imugi schauen mit erwartungsvoll aufgerissenen Mäulern zu ihm hoch. Duri wiehert ängstlich und fliegt höher, aber ich sehe, dass Haneul sich nicht mehr lange halten kann. Endlich. Heute wird er sterben. Heute wird der Stachel in meinem Fleisch entfernt.

Ich kneife ein Auge zu und ziele sorgfältig mit dem Pfeil. Durch unsere Verbindung hindurch spüre ich Haneuls Panik. Er sieht auf seine Soldaten hinab und beobachtet, wie Iseul als schneefarbener neunschwänziger Fuchs seinen Kriegern die Kehle herausreißt. Und er sieht, wie sein Oberbefehlshaber Chan in blinder Raserei um sich schlägt und seine eigene stark blutende Wunde an der Seite nicht bemerkt, aus der goldenes Götterblut rinnt.

Nun ist der Augenblick gekommen, an dem sich Haneul meist mit seiner Armee zurückzieht, um am nächsten Tag mit frischer Kraft wieder anzugreifen. Unsere Blicke treffen sich, als die Luft um ihn herum zu schwirren beginnt und sich sein Schattentunnel langsam aufbaut.

»RÜCKZUG!«, brüllt er. »RÜCKZUG!«

Er ist ja so berechenbar.

Ich lasse den Pfeil durch die Luft sirren. Diesmal wird er sein Ziel nicht verfehlen und ich lächele. Endlich. Nach so vielen Kämpfen und Angriffen habe ich endlich …

Doch kurz bevor mein Pfeil seine Rüstung durchdringen und sich tief in sein Herz bohren kann, verschwindet Haneul mit Duri durch das Portal.

Ich stoße einen Fluch aus, während mein Pfeil schließlich auf dem felsigen Grund zerschellt, wo Haneuls Soldaten seinem Beispiel folgen und ihre Verwundeten durch die dunklen Portale schleppen. Allein Chan bleibt auf dem Schlachtfeld, brüllt seine Wut weiter heraus und tritt Iseul entgegen, die ihm die Wunde beigebracht hat. Ihre scharfen Zähne und Klauen blitzen auf. Mit grimmiger Befriedigung beobachte ich, wie sich die Imugi um den letzten Dokkaebi sammeln. Als Chan dann einsieht, dass er eher selbst getötet wird, bevor er die Gelegenheit hat, an mich heranzukommen, stolpert er rückwärts in das Portal, das er herbeigerufen hat. Durch den Schneeregen wirft er mir einen letzten hasserfüllten Blick zu, der gleichsam ein Versprechen ist: Für Hanas Tod werde ich bezahlen.

Darauf kann er lange warten und ich bedenke ihn mit einem spöttischen Grinsen. Der Kummer, der aus seinen smaragdgrünen Augen spricht und ihn innerlich zerfrisst, erfüllt mich mit großer Genugtuung. Dann schließen sich die Schatten um ihn herum.

Einen Augenblick später sind die Dokkaebi verschwunden und haben nur ihre Toten zurückgelassen.

Ich streichele Sonagis Kopf, während der Sturm nachlässt. Iseul verwandelt sich zurück in ihre menschliche Gestalt und kommt grinsend auf Sonagi und mich zu. Ihr helles, fast weißes Haar ist von goldenem Blut durchtränkt und sie leckt sich die Lippen, als sie durch die Menge der Imugi hindurchschreitet, die sich vor ihr teilt. Sie himmeln die Gumiho an, und obwohl diese sie nicht ganz verstehen kann, bis auf ein Säuseln hier und ein Wispern dort, hat Iseul eine besondere Verbindung zu Uloe, der Schlange, auf der sie reitet.

»Ach«, sagt Iseul und tippt Uloe mit ihrem blutigen Finger neckisch zwischen die aufgeblähten, geschuppten Nüstern. »Das hat einen Heidenspaß gemacht, findet ihr nicht? Und der Schneesturm ist euch wieder einmal sehr gut gelungen.«

»Danke«, zischt Sonagi stolz. Nur die Mutter der Imugi besitzt eine Haube, ähnlich der der Kobra, und bei den Worten der Gumiho schwillt sie geschmeichelt an. So viel versteht Iseul von der Doppelzüngigensprache, dass sie Sonagi als Antwort zuzwinkert und Uloe besteigt.

Da kommt Bomin auf seiner Imugi Beongae aus dem Versteck und wirkt etwas mitgenommen. »Nein«, keucht der Halji-Händler und wühlt in den Taschen seiner edlen lavendelfarbenen Gewänder nach einer Zigarette. »Nein, das hat überhaupt keinen Spaß gemacht. Genauer gesagt fand ich es grauenvoll, und zwar von Anfang bis Ende.« Der dünne, drahtige Mann schlottert am ganzen Körper, so wie er es immer nach diesen Hinterhalten tut.

Beongaes goldene Augen funkeln. »Mein Reiter issst ein Feigling«, verrät die Schlange mir. »Er hat sogar geweint. Esss war sehr amüsant, Königin.«

Bang Bomin mag ein Feigling sein und der Anblick seines Hutes löst in mir jedes Mal Gewaltfantasien aus, aber er ist schlau. Einige Menschen in Sunpo waren nicht mit meiner Herrschaft einverstanden, nachdem sie die Prophezeiung gehört hatten. Aber mit denen haben wir schnell abgerechnet. Bomin weiß genau, wie wertvoll sein Bündnis mit mir ist.

Während er mit zitternden Händen seine Halji-Zigarette anzündet, juckt es mich im Hals. Mit großem Verdruss erinnere ich mich wieder einmal an die Schwäche dieses Körpers, der dieser banalen Droge verfallen ist. »Bomin«, rufe ich ihm zu und mache eine ungeduldige Geste. Ich habe keine Zeit, diese Sucht zu bekämpfen. Mein schwächeres Ich war töricht, weil es versucht hat, ihr zu widerstehen. Der Händler wirft mir die Zigarette zu und ich stecke sie zwischen die Lippen und nehme einen tiefen Zug.

Iseul hebt meinen Umhang vom Boden auf, den ich irgendwann während des Angriffs verloren habe, und reicht ihn mir mit einem verschmitzten Lächeln. »Und? Reiten wir weiter?«, fragt sie mit glänzenden Augen. Zum Glück stammt dieser Glanz nicht mehr von ihren Tränen. Nachdem der Heilerjunge Ryu Seojin sie sitzen gelassen und sein Bündnis mit mir gebrochen hatte, hat sie wochenlang geheult. Das hat mich wahnsinnig gemacht, denn er ist ein wertloses Stück Dreck, und ich verstehe nicht, was sie an ihm findet. Bomin hat mir von Gerüchten berichtet, dass Seojin mit den Dokkaebi gesehen wurde. Vielleicht ist er jetzt ein Heiler-Lehrling bei Jeong Kang und hilft, die verwundeten Dokkaebi zu versorgen. Mich kümmert das nicht sonderlich. Wenn er zu ihnen übergelaufen ist, wird er sterben, und das wäre dann für alle das Beste. Iseul habe ich nichts davon erzählt. Sie braucht es nicht zu wissen. Ebenso wenig wie sie wissen muss, dass ich nicht die Lina bin, die sie einmal gekannt hat. Unnötige Komplikationen will ich möglichst vermeiden.

Iseul schaut mich erwartungsvoll an und ich lächele, mit demselben Lächeln, das Haneul so hasst. Ich liebe das Gefühl dabei auf meinen Lippen, denn ich weiß, wie sehr er es verabscheut. Und ich hoffe, dass er durch unsere Verbindung meine Zufriedenheit über diesen weiteren gewonnenen Kampf spüren kann.

Und das tut er offenbar, denn ich fühle seine Wut aufflackern. Mein Grinsen wird breiter.

»Weiter geht’s«, sage ich leise und der Wind trägt meine vom Rauch heisere Stimme über die Berggipfel in Richtung Wyusan davon.

KAPITEL 2

RUI

Der Herrscher der Dokkaebi fällt im Thronsaal auf die Knie und der Kummer schnürt ihm die Kehle zu.

Jeden Tag nagt die Qual aufs Neue an seinem Inneren. Nach jedem Kampf kann er kaum atmen, denn seine Lunge versagt ihm den Dienst, während die Welt um ihn herum in Flammen aufgeht. Röchelnd hält er sich den Hals und zittert so stark, dass er sich beinahe auf dem glänzenden schwarzen Fußboden erbricht. Tränen der Verzweiflung quellen hinter seinen Augenlidern hervor. Er drückt seine Stirn auf den kühlen Stein und konzentriert sich auf das Gefühl der Kälte. Er braucht Hilfe und er braucht Trost, doch diesen Anfall muss er allein durchstehen. Es geht nicht anders.

Denn was würden sie sagen, wenn sie ihn so sehen würden? Was würden sie denken? Seine Soldaten und seine Untertanen. Ein König darf in Kriegszeiten keine Schwäche zeigen. Und so zittert Rui vor seinem verdammten Thron aus schwarzen Dornen wie Espenlaub, während seine Streitkräfte nach Gyeulcheon zurückkehren und sich in der Festhalle sammeln, die in einen Krankensaal umfunktioniert wurde. Er versucht, sich zusammenzureißen und das Wetter in seinem Nischenreich unter Kontrolle zu bringen, das immerzu zwischen Sonnenschein und Sturm wechselt, während Adrenalin durch seine Adern rast und ihn fast ersticken lässt.

Nur langsam beruhigt sich Rui und tut schließlich einen tiefen Atemzug, reißt sich den Helm vom Kopf und fährt sich mit der Hand durch das schweißnasse Haar. Mühsam erhebt er sich. An der Decke über ihm fliegen Yong mit rubinroten Schuppen zwischen verstreuten leuchtenden Monden hindurch. Rui starrt sie an, die wahren Yong aus einer anderen Epoche, ausgelöscht vom Lauf der Zeit – die Wesen, deren bösartiges Abbild die Imugi werden wollen. Rui ballt die Fäuste. Die alten Yong waren gutmütig. Doch ihre messerscharfen Krallen, ihre langen Fangzähne und ihre Fähigkeit, durch die Luft und über den Himmel zu fliegen …

Prophezeiungen kann man nicht aufhalten, aber bei den Göttern … er muss es wenigstens versuchen.

Es wäre ehrlos, in dem Wissen zu sterben, dass er nicht alles in seiner gewaltigen Macht Stehende getan hat, um die Drei Königreiche vor dem Zorn der Prophezeiung zu bewahren. Und er weiß, dass die Armee seiner Dokkaebi genauso denkt. Der unerschütterliche Glaube, dass es besser ist, als scharfe Klinge im Kampf zu sterben denn als stumpfes, rostiges Schwert, ist Teil ihrer Kultur. Zwar hat Rui diesen Glauben bisher mit Füßen getreten – und vielleicht sogar einen unehrenhaften Tod provoziert, indem er eine sterbliche Amsalja beauftragt hat, ihn innerhalb von vierzehn Tagen zu töten –, doch inzwischen versteht er ihn, auch wenn er wünschte, es wäre nicht so.

So wie es aussieht, wird der Tod sie bald alle holen.

Die Frage ist nur, wie sie sich ihm stellen wollen.

Wie Feiglinge?

Oder wie Krieger?

Rui schließt die Augen und versucht, sich zu sammeln. Zitternd setzt er die Maske auf, die mittlerweile zu seinem zweiten Gesicht geworden ist.

Kalt. Gleichgültig. Selbstbewusst. Diese Maske wurde aus Angst gefertigt, sie wurde aus Notwendigkeit und Schwäche geformt. Denn mehr ist es nicht, nur eine Maske. Hinter ihren harten Kanten ist Rui so gebrochen, wie es nur ein Dokkaebi sein kann: unendlich, ewig und durch und durch, bis in die Tiefen seiner unsterblichen Seele.

Schwer atmend tut er, was er jetzt immer nach diesen Angriffen tut. Während ihm der Schweiß den Rücken hinunterrinnt, ruft er den roten Schicksalsfaden vor sein geistiges Auge. Dieser erscheint in tintenschwarzer Dunkelheit und entrollt sich zu einem Punkt in weiter Ferne. In dieser leeren Gedankenwelt schließt Rui die Finger um den glitzernden Faden. Hier hat er Substanz, fühlt sich wie ein echtes Band an. Mit zusammengebissenen Zähnen beginnt Rui, ihn entlangzulaufen, und seine Füße bewegen sich durch das Nichts, immer weiter. Immer weiter. Während er läuft, schlägt sein Herz voller vergeblicher Hoffnung gegen seine Rippen, denn am anderen Ende des Fadens findet er nur sie.

Die Prophezeiung.

Das Bild ist wie ein Wasserfarbklecks in der Dunkelheit: der bläuliche, eisverkrustete Berg, auf dem die Prophezeiung steht; wirbelnder Schnee; ihre bereits wieder langen pechschwarzen Haarsträhnen, die aus dem stramm geflochtenen Zopf entwichen sind. Nach Ruis Angriff im Palast von Sunpo sind sie mit unmenschlicher Geschwindigkeit nachgewachsen. Von der halb verbrannten, kahlköpfigen Frau in der Nacht des Blutmondes ist nichts mehr zu sehen. Ihre Augen leuchten golden über der Narbe in Form einer Träne. Die Pupillen sind schlitzförmig und teilen sie wie schwarze Dolche genau in der Mitte … So anders als das warme Braun von einst.

In ihren goldenen Tiefen lebt nichts Menschliches mehr, keinerlei Empathie.

Der rote Faden führt direkt zu der Prophezeiung hin und Rui weiß, dass er mit nur einem Schritt bei ihr wäre. Er könnte sich jederzeit bemerkbar machen und ihr Worte zuflüstern, die sie durch ihre Verbindung hören würde.

Sie spricht mit jemandem und ihre roten Lippen sind zu diesem steifen Grinsen verzogen, dieser widerwärtigen Fratze auf Linas Gesicht. Eine Welle der Wut spült über ihn hinweg und er wendet sich ab. Es ist nicht die Prophezeiung, die er am Ende des roten Fadens zu finden hofft. Nein.

Es ist seine Frau, seine Seelenverwobene, nach der er sucht. Shin Lina, mit ihrem ansteckenden Lachen und ihrer wilden Entschlossenheit. Shin Lina, seine kleine Diebin, seine Amsalja, die er mit jeder Faser seines blutenden Herzens liebt. Shin Lina, die zusammen mit Eunbi gestorben ist …

Rui schließt krampfhaft die Augen und umfasst den Faden so fest, dass sich seine Nägel in die Handflächen bohren und rote Halbmonde zurücklassen, als sich die Erinnerung an jenen schicksalhaften Abend in sein Bewusstsein drängt.

Es hätte nicht so ablaufen sollen. Später in der Nacht hat Kang, vor Schock kreidebleich, in Gyeulcheon vor ihm gekniet und bei seinem Leben geschworen, dass er diesen Ausgang nicht insgeheim geplant hat. Eunbis Anwesenheit – gepaart mit dem Dokkaebifeuer – sollte Lina lediglich den Fängen der Prophezeiung entreißen. Rui wird jetzt noch übel, wenn er daran denkt, wie er Kang am Kragen gepackt und ihn so heftig geschüttelt hat, dass dieser nicht mehr geradeaus schauen konnte. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und er hätte seinen Freund, seinen Bruder, wenn auch nicht im Blute, umgebracht.

Die ganze Zeit hat Kang keinen Finger gerührt, um sich zu schützen. Dann, als Ruis blaue Flammen kalt wie Eis zu knistern begannen, hat Kang die Augen geschlossen und genickt. Schicksalsergeben.

Einst hat er Rui erzählt, dass er stets zu seinen Fehlern stehen würde. Und er hat in dieser Nacht Wort gehalten.

Aber Rui konnte es nicht tun. Er hat Kangs Kragen losgelassen und seinen Berater mit einem tiefen Seufzer weggestoßen. Dann stand er nur da, mit herunterhängenden Armen und zuckenden Händen. Die restliche Nacht hat er schließlich die grausamen, kalten Sterne angeschrien, die an dem Himmel leuchteten, den er selbst erschaffen hat.

Am nächsten Morgen ist er durch den Palast zu Hanas Schlafzimmer getaumelt und vor ihrem Sterbebett auf die Knie gefallen, ergriffen vom schlimmsten Kummer, den man sich vorstellen kann: wenn man weiß, dass der Tod unausweichlich bevorsteht.

Hanas Zimmer – das sonst so unordentlich war, weil immer Hunderte von schönen Hanboks herumlagen, als hätte sie Dutzende anprobiert, ehe sie sich für einen entschied – war ungewöhnlich aufgeräumt. Es roch nach Kernseife und Lauge, was aber den Fäulnisgestank von Krankheit und eiternden Wunden nicht ganz überdecken konnte. Die Dokkaebi lag unter ihrer Bettdecke. Ihre Haut war fahl und kränklich und auf ihrer Stirn haben sich Schweißperlen gesammelt. Ihre Lippen, die sonst immer in modischen Farben geschminkt waren, waren trocken und rissig. Und als sie ihre Augen schwerfällig öffnete und ihr Blick auf ihn fiel, war er stumpf und von Schmerz gezeichnet.

»Rui?«, hat sie geröchelt. Ihre Stimme klang nicht mehr rauchig und sinnlich, sondern brüchig und schwach. Neben ihr im Bett lag Chan, der daraufhin aus seinem leichten Schlaf hochgeschreckt ist. Die smaragdgrünen Augen seines Generals erinnerten Rui an zersplittertes Glas: scharf und gebrochen.

Wenn Augen wirklich die Fenster zur Seele sind, dann waren seine eingeschlagen und irreparabel beschädigt.

Es ging alles so schnell. Wenige Sekunden nachdem die Prophezeiung Manpasikjeok entzweigebrochen hatte, schrie Hana auf und stürzte nach dem giftigen Biss einer Imugi zu Boden. Die Schlange hatte ihre Zähne so tief in ihre Seite geschlagen, dass Kang es trotz seiner verzweifelten Versuche nur bedingt schaffte, die Blutung zu stillen. Gegen das Gift, das durch Park Hanas Adern floss, hatte er ohnehin kein Gegenmittel.

Und Hana hat sich mit aller Macht dagegen gewehrt, dass man ihr das Wongun-Elixier einflößte. Lina ist schließlich ebenfalls durch den Biss einer Imugi vergiftet worden, und nachdem sie den Wongunbeerensaft getrunken hatte, hat sie sich … verändert. Auf monströse Weise. Zwar wäre das Hana wohl nicht passiert, da in ihrem Fall keine jahrhundertealte Prophezeiung nur auf den richtigen Moment wartete, aber seine Freundin ließ sich nicht überzeugen.

Sie wollte eher sterben, als wie Lina zu werden.

Und tief in seinem Inneren wusste Rui, dass das Wongun-Elixier Hana ohnehin nicht hätte heilen können. Als Angehörige seines inneren Zirkels war sie bereits eine Gaksi Dokkaebi und das Elixier verleiht lediglich gewöhnlichen Dokkaebi die Gaksi-Fähigkeit der Teleportation. Deshalb war Hana nicht mehr zu helfen. Nicht in diesem Stadium.

Genau das war der springende Punkt.

»Rui?«, hat seine Freundin wiederholt. »Bist du das?«

»Hana«, antwortete er mit rauer Stimme, und es war, als würde ihr Name eine Wunde in seinen Rachen reißen. Doch viel mehr gab es nicht zu sagen. Sie alle wussten, was bevorstand. »Vergib mir.«

Da hat die alte Rachsucht in Hanas Augen aufgeblitzt. »Deine Entschuldigung kannst du dir sparen, Rui«, entgegnete sie barsch, und sie hätte eiskalt und schneidend geklungen, wenn ihr mittendrin nicht die Stimme versagt hätte. »Ich habe dich gewarnt. Ich habe dir ausdrücklich gesagt, du sollst sie töten. Das hast du jetzt davon.« Sie zog einen Mundwinkel nach oben. »Es werden noch mehr sterben wie ich. Viel mehr. Das Reich der Sterblichen wird bald in Blut versinken. Ich bin die Erste, aber ich werde nicht die Letzte sein.«

Rui hat seine zitternden Lippen zusammengepresst. Ja, Hana hatte ihn gedrängt, seine geliebte Lina zu töten, und er hatte ihr Missgunst und Gehässigkeit unterstellt. In diesem Moment fragte er sich jedoch, ob es nicht eher Mitleid gewesen war.

Ob sie vielmehr versucht hatte, Lina ihr grausames Schicksal zu ersparen.

Ob sie Rui davor bewahren wollte, mitanzusehen, wie das Mädchen, das er liebt, von innen heraus von einem Parasiten zerfressen wird.

Hana hat ihre Hand ausgestreckt und die seine ergriffen. Mit der anderen umfasste sie die Hand ihres Geliebten. »Rächt mich«, zischte sie. Ihre schwarzen Locken haben an ihrem sommersprossigen Hals geklebt und ihr weißes Nachthemd war schweißgetränkt. »Schwört es.«

Und als Chan mit gebrochener Stimme seinen Schwur ablegte, hat sie ihn nicht angesehen, sondern ihren Blick, der auf einmal klar und voller Wut war, auf Rui – ihren König – gerichtet.

»Ich schwöre es«, krächzte Rui und senkte den Kopf. »Ich schwöre, ich werde alles tun, um die Prophezeiung aufzuhalten.«

Und um Lina zu rächen, hat er im Geiste hinzugefügt. Denn Shin Lina ist ebenso ein Opfer des heimtückischen Parasiten wie Hana.

»Gut«, stieß Hana hervor und für einen Moment war Rui wieder der junge Kronprinz, der von der Tochter eines Bediensteten beim Spielen herumkommandiert wurde. Er hat sie aus gutem Grund damals in seinen inneren Kreis aufgenommen. Selbst in diesem Moment nun, als sie mühsam und zitternd Atem holte, konnte er das Feuer in ihr sehen. Gierig und brennend.

Bis es verlosch.

Erschöpft ist Hana zurück in die Kissen gesunken.

Danach hat sie kein Wort mehr gesprochen.

Zwei Nächte später hat das Imugigift ihren Körper besiegt und Park Hana starb. Mit ihrem letzten Atemzug hat sie einen fürchterlichen Schrei ausgestoßen und ist dann verstummt, ihre dunklen Augen weit aufgerissen und leer.

In derselben Nacht mussten Rui und Kang einen brüllenden Chan festhalten und ruhigstellen, als er versuchte, durch einen Schattentunnel nach Sunpo zu gelangen, um Lina auf der Stelle umzubringen. Sie hatten gerade erst Hana verloren. Einen weiteren Freund zu verlieren, hätten sie nicht verkraftet.

Noch immer in der Gedankenwelt schlägt Rui die Augen wieder auf und schluckt schwer, während er versucht, das Bild der Prophezeiung zu umgehen. Er weiß, dass es töricht ist zu hoffen, seine Lina sei noch irgendwo hier drin. Sie ist so gut wie tot, aber Rui kann das nicht hinnehmen. Daher sucht er weiter nach ihr und fleht den roten Faden an, ihn zu seiner Liebsten zu führen. Doch er bringt ihn jedes Mal nur zur Prophezeiung.

So lange hofft Rui schon, dass Lina sich hier befindet und er sie lediglich zu finden braucht. Doch als er in seinen Körper im Thronsaal zurückkehrt, muss er sich mit einem Anflug von Übelkeit eingestehen, dass sie – falls sie noch existiert – wahrscheinlich zu gut versteckt ist. Von einem dichten Schleier verborgen, hinter dem sie niemals mehr hervortreten wird. Noch versucht er, sie auf diese Weise oder durch sein Dokkaebifeuer auf dem Schlachtfeld hervorzulocken, aber tief im Inneren weiß Rui, dass seine Lina für immer fort ist.

Und er weiß auch, dass er derjenige sein muss, der ihren Körper tötet.

Denn wenn er es nicht tut, wird Chan es tun. Chan, den die Trauer um den Verstand bringt und der danach lechzt, seinen Schwur zu erfüllen und Hana zu rächen. Sein Oberster Befehlshaber, der die Prophezeiung wie ein Stück Fleisch zerteilen will. Um Linas willen wird Rui das nicht zulassen. Dieser Körper hat einst ihr gehört. Deshalb muss es schmerzlos sein. Und schnell. Um des Mädchens willen, das er geliebt hat und noch immer liebt.

Auch sie verdient einen ehrenvollen Tod.

»Kleine Diebin«, flüstert Rui mit dem Kopf in den Händen. »Es tut mir leid. Es tut mir so leid.«

Als Rui den Ballsaal betritt, fällt sein Blick sofort auf seinen Obersten Befehlshaber. Chan hat die Zähne zusammengebissen, während Kang seine stark blutende Wunde an der Seite näht, und starrt Rui an, der so tut, als würde er es nicht bemerken. Leider ist Chans kriegswütiger Blick schwer zu ignorieren. Er durchbohrt ihn wie ein scharfes Messer, als Rui schweren Herzens zwischen den Feldbetten hindurchläuft, auf denen die Verwundeten liegen. Derweil eilen die Dokkaebibediensteten, die sich grundlegende medizinische Kenntnisse aneignen mussten, mit gehetzter Miene von einem zum anderen.

Bei Dokkaebi heilen Wunden normalerweise schnell. Doch wenn diese mit Imugigift verseucht sind, dauert es länger und kann zum Tod führen. So wie bei Hana. Die Soldaten mit tieferen Wunden werden auch in zwei Nächten tot sein. Vielleicht sogar eher. Rui bemüht sich, sich nichts anmerken zu lassen, als er an Ryu Seojin vorbeigeht. Der Menschenjunge – der Bruder eines alten Gangmitglieds der Sturmkrallen – hat sich rasch zu einem der besten Heiler in der Dokkaebiarmee entwickelt. Sie können von Glück sagen, ihn zu haben. Sonst wäre die Zahl ihrer Toten weitaus höher.

Rui nähert sich Chan, der jedes Mal scharf einatmet, wenn Kang seine Wunde berührt. Der Herrscher verkneift sich eine Grimasse, als sein Oberster Befehlshaber einen Schmerzensschrei ausstößt, und betrachtet die Verletzung an dessen Seite. Trotz des vielen Blutes ist er erleichtert. Es ist nicht so schlimm, wie Rui befürchtet hat. Die Krallen der Gumiho haben sich zwar in sein Fleisch gesenkt, sind aber nicht bis zum Knochen vorgedrungen.

Heutzutage muss man schon für kleine Dinge dankbar sein.

Dank Kangs Behandlung und der Selbstheilungskräfte der Dokkaebi wird Chan morgen wieder aufs Schlachtfeld zurückkehren können. Rui bleibt am Fußende des Feldbettes stehen und sieht Kang mit zusammengekniffenen Augen bei der Arbeit zu.

»Halt still«, befiehlt er seinem Obersten Befehlshaber. Er spricht leise und fast sanft, trotzdem ist es ein königlicher Befehl, dem Folge geleistet werden muss. »Wenn du herumzappelst wie ein Fisch an der Angel, tut es nur noch mehr weh.«

Chan knurrt.

Rui seufzt.

Mit Chan zu sprechen, ist momentan so, als hätte man ein verwundetes, tollwütiges Tier vor sich. In einer Minute ist der General wortkarg und verschlossen und in der nächsten steigert er sich in eine wütende Redeflut hinein und zählt auf, was er Shin Lina alles antun wird, wenn er sie erwischt. Es ist anstrengend, aber nachvollziehbar. Sie beide haben ihre Geliebten verloren und leiden darunter.

»Das heilt von selbst«, brummt der Krieger und starrt alle um ihn herum herausfordernd an.

»Nur wenn du still sitzt«, warnt Kang, bevor er sich zu Rui umdreht. Als sich ihre Blicke treffen, fühlt es sich für Rui wie ein Schlag in die Magengrube an, so wie immer in letzter Zeit. Ihre Freundschaft hat arg gelitten.

Anscheinend ist das eine der Konsequenzen, wenn man seinem Freund nach dem Leben trachtet. Wer hätte das gedacht?

Rui presst seine Lippen rechtzeitig zusammen, bevor sich seine Mundwinkel zu einem kalten, freudlosen Lächeln heben können. Er nickt nur kurz, was ihn bereits große Überwindung kostet. Es schmerzt zu sehen, dass sein Berater dunkle Schatten unter den Augen hat und sein einst glänzendes kastanienbraunes Haar nun verfilzt und stumpf ist. Rui erlaubt sich keinen Riss in seiner Maske und wendet sich wieder Chan zu, weil er Kangs Blick nicht länger ertragen kann.

Was soll man auch sagen, nachdem man seinen Freund beinahe getötet hätte?

Was soll man sagen, wenn dieser sich nicht mal gewehrt hätte?

Von Ruis berühmter Redegewandtheit ist keine Spur. Ihm fehlen die Worte. Der weißhaarige General sitzt noch immer mit entblößter Brust auf dem Feldbett, während Kang seine Wunde weiter versorgt. Chan schaut Rui vorwurfsvoll an und der König ist sich der traurigen Tatsache bewusst, dass sein innerer Zirkel dezimiert und zerrüttet ist. Schuldzuweisungen und Verlust haben sie auseinandergerissen und unüberwindbare Gräben zwischen den drei verbliebenen Gaksi Dokkaebi des Hofstaates von Gyeulcheon geschaffen.

»Immer ziehen wir uns zurück«, murrt Chan, der es offenbar gar nicht erwarten kann weiterzukämpfen. »Wir müssen die Stellung halten. Diesen Krieg haben wir schon einmal ausgefochten und damals haben wir uns nie zurückgezogen.«

»Diesmal sind die Umstände anders«, antwortet Rui nüchtern und bemüht ruhig. »Jetzt haben wir es mit einer Prophezeiung zu tun. Jeder Rückzug hat Leben gerettet. Es wäre Wahnsinn, die Stellung zu halten, wenn wir niedergemetzelt werden.«

»Oder«, brummt Chan mit zusammengebissenen Zähnen, »du willst sie noch gar nicht töten. Du kämpfst nicht mit voller Kraft. Das weiß ich und meine Soldaten wissen es auch.«

Rui versteift sich und verengt die Augen. »Unsere Soldaten«, korrigiert er ihn eisig, doch insgeheim macht er sich Sorgen. Als General in Kriegszeiten hat Chan große Macht innerhalb der Armee. Sollte Rui im Kampf sterben, hat Kim Chan die alleinige Befehlsgewalt inne. Dazu ist es zwar bisher nicht gekommen, aber schon heute blicken sie ehrfürchtig zu ihrem Befehlshaber auf. Sie respektieren und verehren ihn, als Dokkaebi und als Soldat. Wenn Chan die Unzufriedenheit der Truppen schürt, muss Rui dagegen vorgehen. Gegen ihn vorgehen. Er sieht Chan fest an.

Sein Befehlshaber trauert. Das kann Rui gut verstehen, denn er selbst spürt, wie das nutzlose Organ in seiner Brust an jedem verdammten Tag unaufhörlich reißt, bricht und zerspringt. Aber wenn Chans Trauer um seine Geliebte ihre Erfolgsaussichten in diesem Krieg schmälert, wenn sie zu übereilten Entscheidungen und Handlungen führt, die sich nicht auf Strategie stützen, sondern von blinder Hast angetrieben werden, wird Rui nicht zögern, ihn zur Vernunft zu bringen. Wenn nötig muss er Chan ersetzen.

Aber noch ist es nicht so weit. Chan ist sein bester Krieger und wurde von seinem Vater, Kim Joonghoo, ausgebildet, einem ehrwürdigen Kämpfer, der in die Sagen und Legenden der Dokkaebi eingegangen ist. Rui lässt seinen Blick einen Moment länger auf Chan ruhen. Halte dich zurück, gibt er ihm mit zusammengekniffenen Lippen und strengem Blick zu verstehen.

Chan atmet scharf ein. »Na gut«, lenkt er schließlich ein. Doch Rui weiß, was er eigentlich sagen will: Das ist alles deine Schuld. Hana hat dich von Anfang an gewarnt, dass du dich nicht mit diesem Menschenmädchen einlassen sollst.

Rui ballt die Hände zu Fäusten und kann sich nur mit Mühe zurückhalten und daran erinnern, dass man einen Verwundeten nicht schlägt.

»Gut«, gibt Rui kurz angebunden zurück und wendet sich erneut an Kang. »Ich treffe mich heute Abend mit Königin Moon von Wyusan.« Rui hat die Kriegerkönigin über sein Kommen informiert. Seit die Prophezeiung Sunpo erobert hat, hat er mit Moon Nachrichten ausgetauscht. Doch auf sein Drängen, Wyusan für eine Invasion zu rüsten, reagierte Moon Dahee nur mit der Bemerkung, sie würde zwar ihre Armee bereithalten, doch sie hoffe, der Dokkaebi werde das »Schlangenmädchen« (wie sie Lina nennt) aufhalten, bevor es ihr Königreich erreicht.

Und selbst als Rui Kang zu ihr geschickt hat, um sie zu warnen, dass sich eine Prophezeiung immer erfüllt – und das sehr schnell, falls es niemanden gibt, der ehrenhaft genug ist, um sich ihr zumindest entgegenzustellen –, ließ Königin Moon sich nicht beirren. Sie war davon überzeugt, dass die Dokkaebi vorzeitig den Sieg davontragen würden, und verwies dabei auf eine alte Schlacht zwischen Sunpo und Wyusan, bei der die Armee von Sunpo auf dem Fluss Habaek und in den Yaepak-Bergen nach kurzer Zeit geschlagen war.

»Ich trete erst in diesen Krieg ein, wenn er mein Land erreicht«, hat Königin Moon wohl zu Kang gesagt.

Rui kann es Moon nicht übelnehmen, denn sie hat noch keine Vorstellung davon, welch zerstörerische Macht die Prophezeiung besitzt, selbst gegen die mächtigen Dokkaebi. Trotzdem hat er sich mehr als einmal in letzter Zeit gewünscht, dass Manpasikjeok nicht zerbrochen wäre. Und dass er Wyusans und Bonseyos sture Haltung beeinflussen könnte. Denn Bonseyo ist noch schlimmer als Wyusan und reagiert gar nicht auf die vielen Schreiben aus Gyeulcheon. Zu sehr ist die Jeon-Dynastie mit ihren eigenen Konflikten beschäftigt und damit, sich gegenseitig zu hintergehen und zu ermorden. Eine haarsträubende Dummheit! Ihr Königreich droht in einem Krieg zu fallen, den sie zugunsten ihrer Familienfehde ignorieren.

Oder sie haben ihren Untergang schon akzeptiert und lenken sich durch nichtige Streitereien nur ab. Er hat die Sterblichen noch nie verstanden und das wird wohl auch so bleiben.

Rui sollte auch den Jeons einen Besuch abstatten, aber im Augenblick hat Königin Moon Vorrang. Die Prophezeiung ist nicht mehr weit von Wyusan entfernt und Moons Streitkräfte sind zahlreicher und organisierter. Ehrlich gesagt zweifelt Rui daran, dass Bonseyo eine große Unterstützung sein kann. Das Reich ist instabil, sowohl nach innen als auch nach außen.

Jetzt, da die Prophezeiung schon fast die Wildnis von Wyusan erreicht hat, wird die Königin hoffentlich einsehen, dass sie sich mit Gyeulcheon gegen sie verbünden muss. Denn auch wenn Rui es ungern zugibt: Gyeulcheon braucht dringend Verstärkung, egal von wem. Das Gift der Imugi hat viele seiner Soldaten dahingerafft und die menschlichen Krieger würden zumindest für Ablenkung sorgen.

Rui schließt die Augen. Er hasst diesen Krieg, der ihn zwingt, so zu denken und menschliches Leben mit Ablenkung gleichzusetzen.

Kang betrachtet ihn wachsam. Der König spürt den prüfenden Blick, der seine Miene und seine gebeugten Schultern analysiert. Aber Rui ist auf einmal zu erschöpft, um zu verbergen, dass er etwas wackelig auf den Beinen ist, oder um die Müdigkeit zu verstecken, die sich auf seinem Gesicht abzeichnet. Er kann kaum schlafen, und der Grund dafür sind nicht nur der entsetzliche Krieg, das schreckliche Blutvergießen und die unkoordinierten Kämpfe.

Der Grund ist die Prophezeiung.

Und was sie mit Linas Körper getan hat, den sie auf die furchtbarste, grauenhafteste Weise missbraucht.

Dieser Krieg ist sinnlos.

Doch es ist nicht die Art der Dokkaebi, tatenlos zuzusehen, wie Imugi das menschliche Reich Iseung verwüsten. Es ist nicht seine Art. Inmitten der verwundeten und sterbenden Soldaten ruft Rui sich das wieder ins Gedächtnis.

»Soll ich dich zu Königin Moon begleiten?«, fragt Kang vorsichtig, als Rui die Augen wieder öffnet. Sein Berater verknotet gerade den letzten Faden an Chans Wunde, und kaum ist er fertig, steht Chan mit grimmiger Miene auf, nimmt sein Unterhemd an sich und drängt sich an Kang und Rui vorbei. Die beiden Dokkaebi sehen dem Obersten Befehlshaber hinterher, der aus dem Ballsaal stürmt, um sich mit den anderen Generälen und Obersten der Kavallerie zur täglichen Besprechung zu treffen. Chans ganzer Körper bebt vor aufgestauter Energie und Rui sieht ihm mit schmalen Lippen hinterher.

Diese Energie ist dunkel und gefährlich. Rui kennt sie nur zu gut, denn es ist dieselbe Energie, die die Prophezeiung umtreibt.

Das ist kein gutes Zeichen, denkt Rui mit schwerem Herzen.

»Rui?«, fragt Kang erneut. »Soll ich mit dir nach Wyusan kommen?«

»Nein«, antwortet der Herrscher leise, als die Ballsaaltüren zuschlagen. »Du wirst hier gebraucht.« Er ignoriert geflissentlich den Anflug von Kummer und Scham auf Kangs Gesicht. Bis vor Kurzem wäre es selbstverständlich gewesen, dass sein Berater an seiner Seite bleibt. »Behalte Chan im Auge und sorge dafür, dass er nicht … aus der Reihe tanzt.«

Kang neigt zustimmend den Kopf und gibt sich mit diesem kleinen Vertrauensbeweis von Rui offenbar zufrieden. Seine weisen Augen wirken leer und verbittert, reuevoll, mit tiefen Ringen darunter. Rui wendet den Blick ab, als Kang sagt: »Ich … Ja, das werde ich.«

Der König nickt und zögert einen Moment. Er ist kurz davor, Kangs Schulter zu drücken, wie er es früher stets beim Abschied getan hat.

Früher.

Doch stattdessen verschwindet Rui eine Sekunde später in einem Schattentunnel.

Und tief in seinem Inneren stirbt ein Stück von ihm.

KAPITEL 3

DIE GEFANGENE

Du hast sie umgebracht«, flüstert der Aglyeong und umfasst die Gitterstäbe meiner Zelle mit seinen schwulstigen Fingern. Die Ärmel seines weißen Hanbok sind voller alter Blutflecke. Wenn der Dämon Augen hätte, würden sie jetzt niederträchtig funkeln.

Doch der Aglyeong, der vor dem Käfig steht, hat kein Gesicht. Seine langen, strähnigen schwarzen Haare umrahmen ein weißes Oval, das so gesprungen und leer ist wie eine zerbrochene Eierschale. Er hat auch keinen Mund und trotzdem höre ich seine feuchten, krächzenden Worte. Er kichert in sich hinein und legt den Kopf schief, während er mich betrachtet. »Deine Fehler haben zum Tod deiner Schwester geführt. Nicht die Kugel, nicht die Pistole und nicht der Schütze. Du warst es, Lina. Du hast sie getötet.«