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Kommissar Kirsch kommt ganz schön ins Schwitzen, denn es geschieht am ersten Tag auf dem Polizeikommissariat in Offenburg ein Mord an einem Professor aus Basel. Bei seinen Ermittlungen stößt er auf viele Geheimnisse und auch auf Viren, denn gerade findet ein Virologen-Kongress bei der Messe statt. Kirschs graue Zellen arbeiten. Top, die Wette gilt.
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Seitenzahl: 401
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Der Schwarzwaldkrimi: Kirsch und die venezianischen Verhältnisse – Tod am Senatorre
Ursula S. Hass
Copyright: © 2024 Ursula S. Hass
Druck: epubli
www.epubli.de
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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, die über den Rahmen des Zitatrechtes bei korrekter vollständiger Quellenangabe hinausgeht, ist honorarpflichtig und bedarf der schriftlichen Genehmigung des Autors.
Die Personen und die Handlung des vorliegenden Krimis sowie die Namen und Dialoge sind sämtlich erfunden. Ähnlichkeiten mit Personen, Namen und Orten wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.
Ursula S. Hass
Kommissar Kirsch hat gerade seinen Urlaub mit seiner Frau Moni in Venedig verbracht und schon steht der Umzug in das Polizeipräsidium nach Offenburg an. Im Stillen denkt der Kommissar noch ein bisschen an Venedig, seine letzte Reise, und vor allem an Donna Leons Buch und ihren Commissario Brunetti. Wie dieser venezianische Commissario würde er auch gerne so gelassen auftreten, vor allem Bürgermeister Wohlgemuth gegenüber, hat dieser ihm doch genügend Steine bei seinen Ermittlungen in den Weg gelegt. Aber da stehen ihm sein Dickschädel und sein impulsives Temperament im Weg, was auch seine Frau Moni immer wieder betont.
Mit Brunettis Assistent, Sergente Vianello, hat allerdings Eugen, sein Assistent, schon allein von der Statur her, keine Ähnlichkeit, hängt Kirsch weiter seinen venezianischen Gedanken nach. Moni hatte ihm zu Weihnachten dann noch einen zweiten Kriminal-Roman von Donna Leon geschenkt und seither lässt ihm dieser fiktive Commissario Brunetti keine Ruhe mehr. Als hätte Kirsch keine eigenen kniffligen Kriminalfälle zu lösen. Es ist diese Nonchalance, die ihm an Brunetti so gefällt und so übt er schon fleißig zuhause am Spiegel die Bewegungen des Commissario nach, der allerdings von kleinerer Statur als er selbst ist. Dabei hat ihn Moni einmal überrascht, was Kirsch gar nicht recht war, und sie hat noch spitzbübisch gesagt: „Wenn du so wie Commissario Brunetti aussehen willst, dann musst du abnehmen?“ Das hat ihn allerdings etwas gekränkt, weil ihm Moni so unverblümt den Spiegel vorgehalten hat.
Seither achtet er jedoch mehr auf seine Figur, auf sein Essen und auch der Spätburgunder am Abend sowie seine gewissen kulinarischen Genüsse will er eindämmen. Das hat er zumindest schon an Silvester prophezeit, was seine Frau Moni aber bisher ignorierte. Schließlich kennt sie ja ihren Mann am besten und seine besonderen kulinarischen Vorlieben wird er nie ablegen, da ist sich Moni sicher.
Schon beim Einzug ins Polizeipräsidium in Offenburg mit den beiden Assistenten, Helen und Eugen, geschieht ein Mord am neuen „Münsterspitz“, auch „Senatorre“ genannt. Gefunden wurde die Leiche eines Professors aus Basel, René Hämmerli. Dieser Professor hat an einem Virologen-Kongress bei der Messe Offenburg teilgenommen. Eine neue Variante des Virus „Covid24 Plus“ grassiert gerade wieder am Oberrhein. Außerdem muss Kirsch auch noch mit einem Verein, der sich „Querdenker pro Gesundheit“ nennt, vorlieb nehmen. Sie schießen zwar nur mit Worten und nicht mit Patronen, doch auch hier gibt es Geheimnisse. Und der neue Fall hat wieder viele Tücken, denn das Verschwinden eines weiteren Professors macht Kirsch ebenfalls Kopfzerbrechen. Wie immer unterstützen ihn bei seinen Ermittlungen auch bereits bekannte Protagonisten aus früheren Fällen, wie die Schauspielerin Bella Weigand, die wichtige Aussagen zu Protokoll gibt und ein ebenfalls alter Bekannter, der Reporter Jan Schwarz, sowie die Journalistin Eva Zorn. Sie lassen den Kommissar nicht im Stich. Beäugt von Kriminalrat Lemmer und vom neuen Polizeipräsident Walter Nobel aus Offenburg will Kirsch diesen besonderen „Senatorre-Fall“, auch mit Bravour lösen, aber die Hürden sind sehr hoch. Ob Kriminalrat Lemmer dem Kommissar Kirsch wohlgesonnen ist, steht auch noch auf einem anderen Blatt. Weshalb setzt er seinen Neffen, Hubert Stadel, auf Kirsch an?
Auch seine Frau Moni ist wieder gefordert, denn aufgrund der Venedig-Reise, will Kirsch nun lieber „Saltimbocca à la Romana“ als Wiener Schnitzel und Kartoffelsalat. Aber Moni hat schon eine Idee, wie sie wieder Kirsch beim Essen auf Trab bringen kann, denn dieses ewig „venezianische Getue“ findet sie einfach albern. Sie wird einfach eine neue Reise buchen, vielleicht nach Wien und somit Kirsch wieder seine geliebten Wiener Schnitzel schmackhaft machen. Aber zuerst nimmt sie sich noch eine Auszeit. Und dann muss Kirsch seinen mysteriösen Covid24 Plus-Fall fast im Alleingang lösen.
Viel Spaß beim Lesen!
Den Umzug von der Polizeidienststelle in Wiesenbach zum Polizeipräsidium Offenburg hatte sich Kommissar Kirsch eigentlich ganz easy vorgestellt. So hatte er es zumindest seiner Frau Moni schon bei Kartoffelsalat und Wiener Würstchen erklärt.
Immer wieder schob er seinen Teller auf dem Tisch mit dem Kartoffelsalat und den Wienerle hin und her, dass Moni schon ganz nervös und ungeduldig wurde, weil sie befürchtete, dass die ‚Wienerle‘ mitsamt dem Kartoffelsalat und der Soße auf dem weißen Tischtuch landen würden. Missbilligend schaute sie deshalb Kirsch von der Seite her an. Doch der verzog keine Miene, denn die ‚Wienerle‘ waren für den Kommissar symbolisch das neue Polizeipräsidium von Offenburg und der wieder ausgezeichnete Kartoffelsalat leider nur das Kommissariat von Wiesenbach.
Mittels der vier Essiggürkchen, die Moni noch in einer Schale angerichtet hatte, präsentierte er dann Moni den Weg von zu Hause nach Offenburg ins Polizeipräsidium. Moni konnte allerdings mit dieser symbolischen Beschreibung nicht viel anfangen. Schließlich kannte sie ihren Mann, der immer eigensinnig auf seinem Standpunkt bestehen bleibt und dabei auch gerne den Überblick über seine kniffligen Fälle verliert. Aber sie spürte schon, dass dem Kommissar der Weggang von der Polizeidienststelle in Wiesenbach zum Polizeipräsidium in Offenburg nicht leicht fiel.
Ein bisschen Wehmut fühlte Kirsch selbst, als er die kleinen, grünen Essiggürkchen betrachtete, die da nichtsahnend vor ihm auf dem Teller lagen und Moni den Weg aufzeigen sollten in sein neues Revier, das doch mehrere Kilometer von Wiesenbach entfernt war. Doch Kirsch wäre nicht Kirsch, wenn er nicht immer einen Ausweg und eine Lösung aus seinen unberechenbaren und manchmal auch skurrilen Kriminalfällen gefunden hätte.
Mit einem aufgetürmten Karton, in dem sich seine Privatsachen befanden, stürmte er anderntags aus dem Wiesenbacher Kommissariat. Auf keinen Fall wollte er mit Bürgermeister Wohlgemuth zusammentreffen. Seine beiden Assistenten waren inzwischen auch schon im Offenburger Polizeipräsidium angekommen und hatten bereits die Räumlichkeiten inspiziert. So begeistert, wie sie anfangs waren, als sie von Kirschs und ihrer Versetzung von Wiesenbach nach Offenburg erfahren hatten, waren beide nicht mehr. Vor allem gefielen ihnen die Räume nicht, denn die Aussicht, die sie in Wiesenbach genossen hatten, mit dieser konnte Offenburg auf keinen Fall aufwarten. Ziemlich am Ende eines dunklen Ganges befanden sich die beiden Zimmer, eines für den Kommissar und eines für die Assistenten. Von beiden Zimmern aus, konnten sie auch nur auf den Hof des Polizeipräsidiums blicken, der ziemlich kahl und karg war, nur ein paar Polizeiautos standen herum. Da war die Aussicht in Wiesenbach auf die Hauptstraße natürlich viel lebendiger, wie die beiden fanden.
Zuerst meckerte Helen über die triste Aussicht, und auch Eugen machte ein betrübtes Gesicht, denn irgendwie vermisste er jetzt schon die Bäckerei Hutter aus Wiesenbach und die leckeren Brezeln. Eugen hatte wieder einmal großen Hunger, obwohl man es ihm nicht ansah, dass er gerne beim Essen zulangte, so schmal wie ein Handtuch er nun einmal war mit seinem Rotschopf.
„Woher bekommen wir nur unsere Croissants und die Brezeln für unsere morgendlichen Besprechungen her?“, murrte Eugen leise.
„Und woher erfahren wir die wichtigen Neuigkeiten, wenn nicht mal eine Bäckerei hier ansässig ist und dem Kommissar werden auch die leckeren, frischen Brezeln fehlen.“
Helen besänftigte Eugen, denn einen mürrischen Kommissar konnte sie gerade noch verkraften, aber einen mürrisch dreinblickenden Eugen nicht.
„Nicht weit von uns entfernt, gibt es eine Bäckerei“, meinte Helen und schickte den aufmüpfigen Eugen gleich los, alles auszukundschaften.
„Du kannst schon Croissants und Brezeln mitbringen, denn wie ich den Kommissar kenne, will er auch gleich seinen Kaffee bei seinem Eintreffen haben“, sprach Helen und gab Eugen einen Schubs, damit er sich aufmachen sollte.
Die Kaffeemaschine wurde auch schon in Gang gesetzt, denn schließlich kannte nicht nur Moni ihren Kommissar Kirsch, Pardon Commissario, sondern auch Helen. Sie wusste, dass der Kommissar gleich reinstürmen würde und vor lauter Aufregung würde sein Schnauzer wieder zu wackeln anfangen.
Eine Kaffeemaschine gab es im Kommissariat, aber kein Kaffeegeschirr. Helen schüttelte nur den Kopf und so hatte sie vor, gleich noch mal nach Wiesenbach zu fahren und das alte Kaffeegeschirr, das sie eigentlich den Nachfolgern überlassen wollte, zu holen. Kurz schaute Helen noch zu Eugen, weil sie eigentlich seine Zustimmung erwartete. Aber Eugen war, wie immer, etwas abwesend und auch der Schubs von Helen hatte nicht viel genützt.
Er stierte nur aus dem Fenster, als sei da unten die Hölle los. Doch dann nickte Eugen mit dem Kopf, denn er hatte verstanden, dass er eine Bäckerei suchen sollte. Helen schaute ihm ungläubig nach, denn so kannte sie ihren Kollegen gar nicht. Irgendwas beschäftigt ihn, überlegte sie und verschwand auch aus der Tür, um nach Wiesenbach zu fahren und das Kaffeegeschirr zu holen.
Kirsch stürmte ins Zimmer und krachend mit großem Lärm fiel auch die Tür ins Schloss und fast wäre der ganze Karton auch noch auf den Boden geknallt. Nur einen Augenblick dachte er an Brunetti, der sicherlich mit italienischer Grandezza die Zimmertür geöffnet hätte.
„Gibt es schon Kaffee?“, rief er polternd in den Raum, erhielt jedoch keine Antwort.
„Wo sind sie denn geblieben, meine Assistenten, Helen und Eugen?“, meckerte Kirsch, denn ohne Assistenten fühlte er sich richtig hilflos in diesem neuen Gemäuer.
„Bin kurz in Wiesenbach!“, las er laut vor, denn Helen hatte doch noch einen Zettel für ihn hinterlassen.
Eugen holt Brötchen, las er dann still auf einem zweiten Zettel.
Dann nahm Kirsch in seinem Sessel Platz, den er eigens von Wiesenbach ins Polizeirevier Offenburg transportieren ließ. Sein Schreibtisch sah merkwürdig aufgeräumt aus, was wahrscheinlich Helen zu verdanken war. Es gab allerdings drei Häufchen, auf einem Stapel lagen neue Mitteilungen, auf einem anderen Ermittlungsakten alter Fälle, die noch nicht archiviert waren oder auch noch nicht abgeschlossen waren. Auf dem dritten lag ein Schreiben des neuen Polizeipräsidenten Nobel, der ebenfalls wie Kirsch, Helen und Eugen, im Polizeikommissariat neu angekommen war.
Kirschs Schreibtisch stand mitten im Zimmer. Diesen hatte jedoch der Bauhof von Wiesenbach nach Offenburg gebracht. Bürgermeister Wohlgemuth hatte aus einer Laune heraus, Kirsch zugesagt, dass der Bauhof den Schreibtisch nach Offenburg transportieren würde und Kirsch hatte, um auch den Bürgermeister ein bisschen zu ärgern, ihn immer wieder an sein Versprechen erinnert.
Einen neuen Computer hatte Kirsch auch schon erhalten, obwohl er mit Computern immer noch auf Kriegsfuß stand. Selten schaute er mal rein und Mails interessierten ihn eigentlich nicht, was wiederum Helen auf den ‚Wecker‘ ging. Auch da stellte Kirsch eine Gemeinsamkeit mit seinem italienischen Kollegen, Brunetti, her, was er auch schon Moni brühwarm erzählt hatte.
Moni schüttelte nur mit dem Kopf, denn sie verstand nicht, wie Kirsch, sich so in diese fiktiven Geschichten der Autorin Donna Leon hineinsteigern konnte. Und nur aufgrund der venezianischen Krimigeschichten, die ja auch im Fernsehen zu sehen waren, hatte sich Kirsch bereiterklärt, mit ihr nach Venedig zu reisen.
Venedig sehen und sterben, hatte das nicht schon Goethe gesagt, überlegte Moni. Aber da lag sie komplett falsch, denn dieses Zitat hatte Goethe für Neapel auserwählt. Kurzum hatte Moni gleich die Reise gebucht und Kirsch war auch sofort einverstanden, wobei er bei sonstigen Reisen immer mal rebellierte und einfach nur mit Murren der Reise zustimmte.
„Na, Eugen, wie gefällt es dir hier in Offenburg im Polizeipräsidium?“, wandte sich Kirsch an seinen Assistenten, der mit einer Tüte frischer Croissants und Brezeln, die einen wunderbaren Duft verströmten, ins Zimmer wackelte.
„So toll ist es hier auch nicht!“, antwortete Eugen auf Kirschs Frage und blieb weiter einsilbig.
Kirsch wunderte sich zwar über Eugen, aber er hatte anderes zu tun, als sich um seinen einsilbigen Assistenten zu kümmern, der einfach nie in Trab kam.
„Hoffentlich kommt Helen bald, denn ich habe Kaffeedurst!“, meckerte Kirsch schon und Eugen schlich mit seiner Tüte in das Assistentenzimmer. Die üble Laune des Kommissars wollte er auch nicht über sich ergehen lassen.
Kirsch war über seinen neuen Wirkungsort auch noch nicht glücklich, aber das wollte er Eugen nicht auf die Nase binden, denn er selbst war es ja, der sich nach Offenburg versetzen ließ, um dem täglichen Ärger mit Bürgermeister Wohlgemuth zu entkommen. Gerade nach den letzten Fällen war das Verhältnis zwischen ihm und dem Bürgermeister auch nicht besser geworden, überlegte Kirsch.
Auch noch so eine Gemeinsamkeit mit Brunetti, dachte er weiter, denn der hatte ja auch immer mit Patta, dem Vice-Questore, Ärger. Doch Brunetti löste es einfach auf brillante Weise, indem er dem Vice-Questore einfach Recht gab bis dieser einsah, dass doch Brunetti Recht hatte und der Vice-Questore kleinmütig beigab. Doch soweit war es bei Kommissar Kirsch und Bürgermeister Wohlgemuth nie gekommen.
Kirschs Zimmer war kahl, nur der Schreibtisch und der große Schreibtischstuhl standen im Raum. Für viel mehr gab es aber auch keinen Platz, sah Kirsch ein und er vermutete, dass es wahrscheinlich früher eine Abstellkammer war, die man nun für ihn hergerichtet hatte.
„Ich glaube, ich muss mir noch eine Zimmerlinde anschaffen, etwas Grünes“, murmelte Kirsch und schaute sich im Zimmer weiter um. Auch der Blick in den Hof des Polizeipräsidiums begeisterte ihn nicht. Da sah er dann Helens kleines Auto herankommen.
Ganz in der Nähe des Polizeipräsidiums hatte Eugen eine Bäckerei gefunden, die leckere Croissants und auch Brezeln und frische Pizzastücke im Angebot hatte. Das beruhigte Eugen fürs Erste, denn somit war sein Mittagsmahl gerettet. Eugen war sehr sparsam. Der Kommissar hatte ihn deshalb schon oft gehänselt. Somit konnte er das teure Benzin für nach Hause sparen und hier essen, freute sich Eugen, der noch bei seinen Eltern auf einem Bauernhof wohnt und dort auch immer mal wieder aushelfen muss. Seinem Sportclub hielt er auch weiterhin die Treue, obwohl er aufgrund seiner vielen Überstunden, die Kirsch immer wieder durch seine skurrilen Fälle den beiden Assistenten aufbrummte, gar nicht so oft Kontakt zu den Sportkameraden halten konnte. Kirsch verlangte schließlich einiges von seinen Assistenten, vor allem ihre Anwesenheit und nicht nur Brötchen und Brezeln holen, wie seine Sportkameraden Eugen immer mal wieder schmunzelnd unter die Nase rieben.
Helen war inzwischen wieder eingetroffen und hatte das Geschirr mit dem schönen Zeller Hahn- und Henne-Dekor aus der Polizeidienstelle in Wiesenbach geholt, denn schließlich hatten der Kommissar, Eugen und auch sie selbst für das Geschirr Geld zusammengelegt. Es einfach den dortigen Kollegen zu überlassen und neues in Offenburg zu kaufen, das würde auch nicht dem sparsamen Kommissar Kirsch gefallen.
Die neue Kaffeemaschine funktionierte einwandfrei und auch das Offenburger Trinkwasser brachte zumindest einen ebenso wunderbar duftenden Kaffee zustande, wie das Wasser in Wiesenbach. Der Duft des frisch gebrühten Kaffees zog mit märchenhafter Geschwindigkeit durch die Gänge des Polizeipräsidiums. Und so hatte es auch neue Besucher angezogen.
Denn als alle drei den ersten Kaffee und die frischen Brezeln und Croissants genossen, klopfte es merklich an der Tür. Kirsch war nicht gerade entzückt, denn bei seinem morgendlichen Kaffee-Ritual war er nicht gerne gestört.
Kirsch hatte sich auf das Klopfen nicht gerührt, nur ein kurzes Räuspern kam aus seinem Mund. HHelen und Eugen zuckten zusammen, denn plötzlich klopfte es ein zweites Mal und diesmal schon merklich lauter.
„Herein!“, rief Kirsch unwirsch aus. Als sich aber die Tür auf sein Rufen öffnete, da wäre ihm fast die Kaffeetasse aus der Hand gefallen, die er gerade zu seinem Mund führen wollte.
Denn hereinspazierten Bürgermeister Wohlgemuth und mit ihm im Schlepptau der neue Polizeipräsident, Walter Nobel. Wahrscheinlich ist der neue Polizeipräsident, dieser Herr Nobel, wieder ein Parteifreund von Wohlgemuth?, überlegte Kirsch kurz, weil er sich gewundert hatte, dass die beiden zusammen ankamen.
Kirsch stellte seine Kaffeetasse ab, stand abrupt von seinem Sessel auf und begrüßte überschwänglich den neuen Polizeipräsidenten und dann auch Bürgermeister Wohlgemuth.
„Dass Sie mich heute schon im Präsidium aufsuchen, an meinem ersten Arbeitstag, das ist aber wirklich sehr nett von Ihnen, Herr Bürgermeister, vermissen Sie mich schon?“, wandte sich Kirsch mit einem etwas seltsam freudigen, aber auch spitzfindigen Unterton, an den Bürgermeister. Irgendwie freute es ihn doch, den Bürgermeister zu sehen. Es war halt etwas Vertrautes, das der Bürgermeister ausstrahlte. Obwohl sich beide immer gerne, aber nur mit Worten, beharkt hatten, fand Kirsch es nett, dass der Bürgermeister schon seine Aufwartung machte. Nur jeden Tag wollte er ihn hier nicht sehen.
„Gell, Herr Kirsch, da staunen Sie!“, begrüßte ihn der Bürgermeister ebenfalls freudig gestimmt.
„Ich habe eigentlich meinen lieben Freund Walter Nobel aufgesucht, der heute übrigens auch seinen ersten Arbeitstag hier im Präsidium hat und dazu wollte ich ihm einen guten Start wünschen und Ihnen natürlich auch, Herr Kirsch.“
Auch wenn es Bürgermeister Wohlgemuth nicht zugeben würde, Kirsch fehlte ihm jetzt schon. Aber dies würde niemals über seine Lippen kommen. Im Grunde seines Herzens war er jedoch froh, dass nun sein schöner Wohn-ort Wiesenbach nicht mehr in den Schlagzeilen der Kriminalstatistik auftauchen würde, da Kirsch nun in Offenburg seine skurrilen Mordfälle zu lösen hatte.
„Kommissar Kirsch zog die Morde einfach nur so an, wie das Licht die Motten!“, bemerkte Wohlgemuth leise zum Polizeipräsidenten, der allerdings über die Worte des Bürgermeisters etwas säuerlich dreinblickte. Da Nobel vorher in der Nähe von Stuttgart tätig war, hatte er von den seltsamen und mysteriösen Mordfällen des Kommissars Kirsch nicht viel mitbekommen.
Doch der neue Polizeipräsident war ein Gentleman und so reagierte er auf die Aussage von Bürgermeister Wohlgemuth gar nicht. Kirsch hatte aber vernommen, was Wohlgemuth dem Polizeipräsidenten ins Ohr geflüstert hatte.
„Trinken Sie eine Tasse Kaffee mit uns?“, lud Kirsch die beiden ein, denn alle standen etwas betreten und unbeholfen im kleinen Zimmer des Kommissars.
Eugen und Helen hatten die Szene beobachtet, geschwiegen und nur kurz an ihrer Tasse genippt. Nicht mal ein Croissant oder eine Brezel hatten sie sich genehmigt, aus Angst, dass die Brezel gar noch auf den Boden fallen und somit ein Geräusch verursachen würde. Diese Totenstille im Raum, nachdem alle nur herumstanden und schwiegen, war den beiden verdächtig. Als jedoch Helen und Eugen gerade zum Sprechen ansetzen wollten, läutete das Telefon und Helen nahm schnell den Hörer in die Hand, denn sie war froh über jede Ablenkung und sei es sogar eine Mordmeldung.
„Was ist Helen?“, fragte Kirsch leise, denn er hatte die großen und erschrockenen Augen seiner Assistentin bemerkt.
„Was ist los, Helen?“, wiederholte er nochmals seine Worte, als Helen immer noch nicht reagierte.
„Es gibt eine Leiche!“, sagte sie ebenso leise und gab, ohne Worte, den Hörer an den Kommissar ab.
„Was, wieso, eine Leiche?“, entgegnete Kirsch und schaute bestürzt zu Helen. Fast tonlos stammelte er die Worte, die keiner der Anwesenden richtig verstanden hatte und nahm dann endlich den Hörer in die Hand, der von Helens Hand fast lautlos zum Kommissar geglitten war.
Wohlgemuth und Nobel verharrten still im Zimmer und beide schauten mit entsetzten Mienen zum Kommissar, der noch immer kein Wort hervorbrachte.
„Es gibt eine Leiche, wo?“, sagte der Polizeipräsident dann mit gefasster Stimme, denn diese Worte hatte er gerade noch von Kirsch vernommen. Erst einen Tag im Amt und schon wird eine Leiche gemeldet, da konnte der Polizeipräsident auch nur säuerlich reagieren.
„Habe ich es Ihnen nicht gesagt, der Kommissar zieht die Leichen geradezu magisch an“, kam es leise wieder von Wohlgemuths Lippen.
„Am Münsterspitz, eigentlich heißt der Turm ‚Senatorre‘, das ist italienisch“, erwähnte Kirsch nur kurz, wobei der Polizeipräsident nickte, denn er verstand natürlich schon italienisch.
Dann legte Kirsch den Telefonhörer abrupt auf. Umständlich setzte er sich auf seinen Stuhl und trank einen Schluck Kaffee, denn in seinem Mund fühlte er einen schalen Geruch. Zerstreut nahm er auch eine Brezel in die Hand und fing zu kauen an, als wäre nicht gerade ein Mord gemeldet worden. Sprechen konnte er nicht. Was sollte er auch den beiden Herren sagen, die wie die Ölgötzen stumm auf ihren Sitzen saßen. Er war ja über diese Meldung genauso bestürzt wie alle im Raum.
Doch als der Polizeipräsident ihn aufmunternd ansah, fing er etwas abgehackt zu sprechen an. Mühsam kamen die Worte über seine Lippen.
„Es geschah ein Mord am Münsterspitz! Das ist ein neuer Turm in Wiesenbach, er heißt eigentlich ‚Senatorre‘. Er ist in Anlehnung an die beiden historischen Türme der beiden Münster aus Straßburg und Freiburg von einem italienischen Architekten entworfen worden und steht erst seit Kurzem in den Wiesenbacher Reben“, betonte Kirsch und sah den Bürgermeister und den Polizeipräsidenten etwas vorwurfsvoll an, als läge es an den beiden, dass er nun schon wieder einen Mordfall zu bearbeiten hatte.
„Sag ich es nicht, Walter, der Kommissar zieht die Leichen nur so an!“, entgegnete Wohlgemuth nochmals ärgerlich zum Polizeipräsidenten, der nur nickte, doch nicht weiter darauf einging.
„Dann verabschieden wir uns jetzt vom Kommissar, Herr Bürgermeister“, erwiderte Nobel, ebenfalls leise, „denn Kommissar Kirsch hat nun wieder Arbeit und wir müssen ihn da in jeder Hinsicht unterstützen.“
Kirsch schluckte heftig und rutschte auf seinem Schreibtischsessel hin und her. Dann sprang er aber mit einem Ruck in die Höhe, dass fast der Sessel umgefallen wäre, und das Geschirr auf dem Schreibtisch heftig klirrte. Er verabschiedete sich von Wohlgemuth und Nobel, die beide fluchtartig das Zimmer verließen.
Helen und Eugen sahen wie Kirsch innerlich kochte. Helfen konnten sie ihm nicht. Helen fing dann auch an ihrer Brezel zu knabbern an. Und dieses Geräusch, dieses Knabbern, beruhigte Kirsch auf eigentümliche Weise. Es war so ein gleichmütiges Geräusch, das immer mit jedem Bissen wiederkehrte. Er konnte direkt das Salz auf der Brezel knirschen hören, denn Helen zelebrierte geradezu mit langsamen Bissen das Kauen dieser Brezel.
Danach räusperte sich Kirsch, trank noch einen Schluck Kaffee und vertilgte ebenfalls den Rest seiner Brezel, die er vor lauter Aufregung in tausend Stücke geteilt hatte. Stück für Stück wanderte dann aber in Kirschs Mund und genüsslich fing er auch zu kauen an.
Wie die Kühe auf der Weide, die Wiederkäuer, dachte Eugen und schaute den beiden fasziniert zu.
„Komm, Eugen, wir wollen keine Zeit verlieren und fahren jetzt sofort zum Münsterspitz! Schauen wir mal, wer dort als Leiche liegt. Das hatte mir die Dame am Telefon nicht mitgeteilt und ich habe vor lauter Verzweiflung auch gar nicht danach gefragt. Diese Frau hat immer nur wieder ins Telefon geschrien: „Es gibt eine Leiche am Münsterspitz!“
Doch zunächst tranken sie noch ihren Kaffee aus und stärkten sich mit einer weiteren Brezel und einem Croissant.
„Mein zweites Frühstück lass ich mir jetzt nicht vermiesen, heute an meinem ersten Arbeitstag in Offenburg, auch wenn es jetzt schon wieder eine Leiche gibt!“, äußerte sich Kirsch und holte sich noch eine Brezel.
Eugen stopfte sich auch noch eine in seine Manteltasche. Bei Kirsch wusste man nie genau wo man landen würde und womöglich würde es dann auch noch kein Mittagessen geben, überlegte er und sehnsüchtig dachte er an die herrlichen Pizzastücke in der Bäckerei in der Rammersweirer Straße.
Helen schaute ihnen gedankenverloren nach.
Helen blieb alleine zurück und räumte erst mal auf, bevor sie die Post holte und noch Ordnung in den beiden Zimmern machte.
So hatte sich Helen den ersten Tag im Offenburger Polizeipräsidium wahrlich auch nicht vorgestellt.
Kirsch und Eugen fuhren langsam die Straße entlang, die zum Senatorre führte, der sich majestätisch in der weiten Rebenlandschaft erhob. Schon allein der schmale Fußweg hoch, erinnerte Kirsch an südliche Gefilde, an die Toskana mit ihren Türmen, die sich seinerzeit nur die reichen Bewohner im 13. und 14. Jahrhundert in San Gimignano, aber auch anderswo, bauten.
Und da hatte der Kommissar schon wieder Venedig in seinen Gedanken. Allerdings fehlten hier auf dem Weg die Kanäle, die sich malerisch durch die Lagunenstadt ziehen. Kirsch sah den Canale Grande vor sich, der sich wie ein großes S durch Venedig schlängelt und auch das Haus von Brunetti tauchte vor seinem inneren Auge auf. Doch jeden Tag aufpassen müssen, dass man nicht in einem dieser Kanäle landet, gefiel Kirsch auch nicht.
Dieser Senatorre in Wiesenbach zeigt ein Ambiente, er könnte direkt mit den alten Bauten in Venedig konkurrieren, überlegte Kirsch. Plötzlich war auch Kirschs Geruchssinn geweckt, denn Lavendel und Gewürzstämmchen säumten den Weg und, trotz der kargen Märzsonne, verspürte er eine würzige Luft an diesem schönen Fleckchen Erde.
Eugen bemerkte allerdings wenig von den Pflanzen, die rechts und links des Weges standen, denn er lief schweigend den Weg hinauf. Manchmal keuchte Kirsch ein bisschen, denn seine kulinarischen Genüsse hatten auch auf sein Körpergewicht Einfluss genommen. Sport betrieb der Kommissar schon lange nicht mehr. Es fehlte ihm einfach die Bewegung und die Zeit dazu, aber vor allem auch die Lust. Eugen hingegen hätte mit seiner schlanken Figur den Weg nach oben in einem Spurt durchlaufen können, doch er lief gedankenlos neben Kirsch her.
Oben am Turm angekommen, war auch schon die Spusi, die Spurensicherung da, denn Helen hatte schnell und kompetent, wie immer, gehandelt und die KT (Kriminaltechnik) gleich informiert. Der gesamte Turm war mit Granitsteinen gepflastert. Einige Blutspritzer auf den Platten sah der Kommissar sofort, als er oben angekommen war. Doch noch immer sah er keine Leiche.
„Die haben mich doch nicht umsonst heraufgeschickt?“, keuchte er.
„Wo ist denn die Leiche?“, rief er dann ganz außer Atem und ungeduldig zur Spusi hinüber, die immer noch mit der Spurensicherung beschäftigt war.
„Herr Kirsch, hier liegt sie doch!“, riefen die Kollegen der Spusi und deuteten auf die linke Seite des Turms. Eugen hatte auch diesen Weg gewählt und machte den Kommissar ebenfalls gleich auf den Leichenfund aufmerksam.
Kirsch drehte sich gewandt um seine eigene Achse, wie man es ihm eigentlich nicht zugetraut hätte. Doch gerade bei den korpulenteren Herren bemerkt man immer auch eine Gewandtheit, wie bei den Elefanten, die sich im Zirkus auch graziös drehen, dachte Eugen und lächelte ein bisschen. Dabei sah er auch einige Leute in den Reben, die immer näher kamen. Die Spusi hatte allerdings schon rund um den Turm und eingangs des Weges den Tatort mit rot-weißen Bändern abgesperrt. So konnte keiner der Winzer aus den Reben direkt an den Turm gelangen, außer er setzte die roten Bänder außer Kraft.
Endlich bemerkte auch Kirsch die Leiche. Es war ein Mann, der am Boden lag, mit dem Gesicht auf dem Boden. Anhand der Größe der Gestalt und auch der Kleidung konnte es sich nur um einen Mann handeln, dachte Kirsch sofort. Aber heutzutage weiß man ja nie so genau, ob es ein Mann oder eine Frau ist, bei all den Möglichkeiten, die es gibt. Da laufen auch Männer in Frauenkleidern rum, machte er sich so seine Gedanken. Und da fiel Kirsch auch wieder die Geschichte des Krimis von Donna Leon, „Venezianisches Fiasko“, ein, wo auch ein Mann als Frau verkleidet, das Mordopfer war.
Kirsch ging auf die am Boden liegende, von ihm und der Spusi, nun als Mann verifizierte Leiche, zu. Sein Gesicht konnte man nicht erkennen, es lag direkt auf den Bodenplatten des Senatorre. Anscheinend musste der Mann von einem Schuss aus einem Revolver von hinten getroffen worden sein, denn nur so konnte der Tote auch nach vorne auf seinen Körper und sein Gesicht gefallen sein. Zumindest erklärten es ihm auch die Kollegen von der KT. Kirsch beugte sich langsam zum Toten hinunter.
„Wir müssen ihn auf die Seite legen, damit wir nachsehen können, ob in seinem Jackett oder im Mantel sein Ausweis steckt“, warf Kirsch gleich ein. Das Wetter war in diesem Frühjahr noch sehr kalt und windig. Kirsch hatte seinen Mantel beim Weggehen vergessen und nur mit dem Jackett und einem Pullover darunter bekleidet, fror es ihn entsetzlich.
Lange aufhalten wollte sich Kirsch nicht an diesem kalten Tag am Tatort. Er griff daher schnell in die Manteltasche des Toten, und er entdeckte gleich eine Geldbörse, in der auch ein Ausweis steckte. Insofern überlegte Kirsch nur kurz und informierte Eugen, dass es sich hier nicht um einen Raubüberfall handeln würde, da die Geldbörse noch vorhanden war.
Der Tote war ein Professor Doktor René Hämmerli aus Basel, wie Kirsch anhand des Ausweises feststellte. Auch einen weiteren Ausweis hielt Kirsch noch in seinen Händen. Auf diesem war der Tote als Teilnehmer eines Virologen-Kongresses bei der Messe Offenburg registriert.
Kirsch reagierte etwas erschrocken, als er feststellte, dass der Tote ein Virologe war und es kam ihm gleich der Verein der Querdenker in den Sinn. Ob dieser Verein mit der Ermordung des Toten in Verbindung gebracht werden konnte, wusste Kirsch zu dieser Zeit aber nicht. Doch dass die Ermordung des Professors sicherlich viele Unannehmlichkeiten mit sich bringen würde, davon war er überzeugt.
„Ausgerechnet ein Virologe wird am Senatorre ermordet!“, rief Kirsch ziemlich aufgebracht zu Eugen, der auch noch herumlief und auf Spurensuche war.
Kirsch wusste, dass es noch gar nicht so lange her war, dass dieser Turm eingeweiht wurde. Immerhin wurde er mit Gottes Segen eingeweiht, überlegte er. Ein Mord, hier oben, passte ihm überhaupt nicht. Doch Kirschs bisherige Fälle und seine Ermittlungen hatten den Kommissar immer wieder mit merkwürdigen und skurrilen Morden und Tatorten konfrontiert. So ordnete er nur kurz an, dass der Tote in die Pathologie zu bringen war. Er wünschte, dass ihm ein schriftlicher Bericht zugestellt werden sollte, da die Pathologin noch auf der Autobahn aufgehalten wurde.
Eugen lief weiter gedankenverloren um den Senatorre herum und gab auf Kirschs Fragen keine Antwort. Er machte nur wieder sein berühmtes, nichtssagendes Pokergesicht, denn eigentlich wusste er auch nicht, weshalb sich Kirsch so über diesen Mordfall erregte.
„Eugen, sei doch nicht so begriffsstutzig!“, rief der Kommissar etwas beleidigt aus, weil Eugen nur etwas dumm aus der Wäsche schaute und nicht mal ein Sterbenswörtchen zu diesem Mordopfer verlauten ließ.
„Du kannst dir doch denken, was das für einen Rummel und auch Schlagzeilen mit sich bringen wird, wenn hier am Senatorre in Offenburg ein international anerkannter Virologe ermordet wird.“ Kirsch konnte sich wegen des einfältigen Gebarens von Eugen auch nicht mehr beruhigen.
„Da erscheint doch die internationale Presse, zumal noch immer diese unselige Corona-Pandemie nicht vergessen ist und gerade wieder auflodert, wie schon in der Zeitung stand.“
„Womöglich wurde dieser Virologe sogar von einem Querdenker ermordet, der sich mit den Pandemieregeln nicht zufrieden geben will, die immer noch beim Tragen des Mundschutzes herrschen?“, meckerte Kirsch weiter. Eugen verdrehte nur, wie üblich, seine Augen und schüttelte den Kopf und wiegelte ab.
In diesem Augenblick fiel Kirsch auch wieder die bekannte Journalistin Eva Zorn vom Verlag ‚Augenblick mal‘ ein, die sicherlich wieder ihre unheimlichen Verschwörungstheorien in die Welt setzen würde.
„Hallo, Hallo!“, hörte Kirsch plötzlich eine aufgeregte Stimme.
„Hallo, Sie da!“, rief eine Person, die immer näher kam.
„Wer ruft denn da?“, wandte sich Kirsch an Eugen, der um den Turm herumlief und Ausschau nach dieser Person hielt.
Eine ältere Frau in einem blauen Wollmantel und einem Kopftuch, das die gleiche Farbe hatte wie ihr Mantel, kam näher. Mit einer Rebschere in der Hand fuchtelte sie nur so herum und rief immer wieder: „Hallo, Hallo!“
„Sind Sie vielleicht die Frau Hallo?“, machte sich Kirsch ein Späßchen mit der Frau, das jedoch bei der immer näher kommenden Frau gar nicht gut ankam.
„Nai, ich bin nit die Frau Hallo, ich möcht‘ nur eine Aussage mache!“, rief sie unwirsch aus.
„Das heißt allerdings nur, wenn Sie au daran interessiert sind!“
Als Kirsch das Wort Aussage hörte, war er in Windeseile bei ihr.
„Nur zu, machen Sie Ihre Aussage, gute Frau! Wie heißen Sie denn und wo wohnen Sie?“, wollte Kirsch umgehend von der Frau wissen, die jedoch etwas aufschreckte, als Kirsch sich ihr so ungestüm näherte.
„So ein Kerl, mit so einem Schnauzer im Gesicht, schnauzt mich so an!“, wetterte die Frau, die dann vor Kirsch, der sich ihr wie ein Riese in den Weg stellte, etwas zurückwich.
„Ich bin d’ Frau Litterscht aus Wiesenbach und wohn‘ au hier!“
„Ah, Sie heißen Litterst und wohnen hier!“, wiederholte Kirsch ihre Aussage etwas sarkastisch.
Der Frau wurde es jetzt aber doch zu bunt mit diesem merkwürdigen Mann oder Kommissar, denn schließlich wollte sie der Polizei behilflich sein und dann auch wieder ihrer Arbeit in den Reben nachgehen.
„Het der Kerl denn keine Maniere!“, murmelte sie leise vor sich hin.
„So viel Zeit, wie Sie, Herr Kommissar, hab ich nit!“, brachte sie ärgerlich hervor.
„Ich mach jetzt mei Aussage und dann geh‘ i widder!“, bemerkte sie spitz zu Kirsch, der über die Direktheit der Frau etwas erstaunt war, sie aber hilflos ansah, denn so burschikose Frauen liebte Kirsch gar nicht, sie waren ihm einfach nicht geheuer.
„Also, was haben Sie denn mitzuteilen?“, sprach Kirsch etwas besänftigend auf die Frau ein und schaute sie mit seinen unergründlichen Augen an, dass nun wiederum die Frau ängstlich zusammenzuckte und von Kirsch zurückwich.
„Ich glaub‘, ich war etwas zu heftig!“, gestand sie nun Kirsch, der sie immer noch so herausfordernd ansah.
„Ich hab‘ grad die Rebe gschnitte, des isch jetztert notwendig in dere Johreszitt‘ un dann hör‘ ich plötzlich, wie zwei Persone miteinander stritte. Die zwei habe sich richtig angschrien, dass es mir angst und bange wurd‘, un ich denkt hab, ob die zwei sich an dr Krage gehe werde. Dann hab‘ ich einen Schuss ghört, ä richtiger Knall war des, un dann lag eine Person am Bode und die andere Person rannte schnell davon. Das war dr Mann, der mit dem am Bode liegende Mann so laut gsproche het. Ob der verfolgt wurd‘, hab ich nit gsehn. Der Mann isch nach dem Knall zusamme zuckt und dann uf und dervon grannt. Also, der het wahrscheinlich nit gschosse, sondern ä andere Person, die isch, wie us dem Nichts, uftaucht und dann hab ich den Schuss ghört. Des kann i beschwöre, des hab i ganz genau gsehn.“
Nach dem großen Wortschwall im badischen Dialekt der Frau, brachte sie allerdings keinen weiteren Ton mehr heraus.
„Sie haben alles ganz genau gesehen und gehört, was Sie mir jetzt gesagt haben, zwar in Ihrem alemannischen Dialekt, aber ich habe alles verstanden. Wohin ist denn der Mann, der aus dem Nichts aufgetaucht war, verschwunden? Haben Sie das auch ganz genau gesehen, Frau Litterst?“, stellte Kirsch gleich seine weiteren Fragen.
„Nein, des kann ich nit sage. I hab‘ nämlig richtig Angst gkriegt und wollte zum Senatorre laufe, wisse Sie, bei uns heißt dr Senatorre au ‚Münsterspitz‘. Aber die andere Winzer in de Rebe habe mich davon abghalte.“
„Wieso denn?“, hörte Eugen, wie der Kommissar die alte Frau eindringlich befragte.
„Ja, die habe au Angst ghet, dass dr Mann wieder zruckkommt un uf uns alli schießt, weil wir doch Augezeuge ware“, bemerkte die Frau, nunmehr zitternd und leise lispelnd.
„Liebe Frau Litterst, Sie haben uns mit Ihrer Aussage sehr geholfen. Haben Sie heute Nachmittag Zeit ins Polizeipräsidium nach Offenburg zu kommen, damit wir Ihre Aussage schriftlich in einem Protokoll festhalten können? Meine Assistentin Helen wird sich Ihrer annehmen.“
Dr Kommissar schwätzt aber gschwolle daher, der isch glaub ich nit us unserer Gegend, dachte die Frau, die gerade ihre Aussage gegenüber dem Kommissar gemacht hatte. Doch dann schaute sie dem Kommissar direkt ins Gesicht. Sie hielt seinen unergründlichen Augen stand. Angst hatte sie keine vor diesen Augen und schon gar nicht vor Kirsch.
„Ich versuch’s, Herr Kommissar, ich komm‘ hin!“, entgegnete die Frau, die sich dann wieder an ihre Arbeit in den Reben aufmachte und sich vom Kommissar und Eugen verabschiedete.
Kirsch lief noch ein paar Schritte den Rebberg hinauf, Eugen trabte hinterher. Doch im Wald, oberhalb der Reben, war nichts zu erkennen und so machten sich die beiden wieder auf den Weg ins Polizeipräsidium. Den Ausweis des Professors hatte Kirsch mitgenommen und somit wurde auch sofort im Büro mit der Recherche begonnen.
Helen lief in den Büroräumen schon ziemlich aufgeregt hin und her, denn auch sie war nicht erfreut, dass schon bei ihrem Antritt im Offenburger Polizeipräsidium gleich ein Mord geschehen war.
Helen sollte sich auf Anordnung von Kirsch um die Personalien des toten Professors kümmern und auch möglichst herausfinden, wer der andere Begleiter des Professors war, denn es wurde noch ein weiterer Ausweis von einem Professor Hirsch aus Karlsruhe am Tatort gefunden, den die Spusi dann vorbei brachte.
„Außerdem kommt heute Nachmittag noch eine Frau Litterst aus Wiesenbach, die ihre Aussage zum Tathergang, den sie beobachtet hat, schriftlich bestätigen will“, teilte Kirsch der völlig verblüfften Helen mit. Denn so schnell war es bei den Ermittlungen der früheren Fälle von Kirsch noch nie zugegangen, dass direkt eine Tatzeugin vorhanden war.
„Eugen und ich fahren zur Messe und werden uns dort bei den Virologen umhören. Ein solch perfider Mord, direkt an meinem ersten Arbeitstag in Offenburg, das ist mir noch nie vorgekommen“, sagte Kirsch.
Doch die beiden, Helen und Eugen, schauten sich nur vielsagend an, denn Kirschs Morde waren immer perfide und skurril. Weshalb sollte es bei diesem Mord am Münsterspitz, sprich ‚Senatorre‘ anders sein?
Nur wenige Minuten später traf auch die Spusi im Präsidium ein. Nachdem Kirsch und Eugen den Tatort verlassen hatten, fand ein Mitarbeiter der Spusi noch einen Mantel im Wald, den wohl die beiden Kommissare vergessen hatten, wie der Spusi-Mitarbeiter spöttisch zu Kirsch bemerkte, als er den Mantel abgab. Allerdings war im Mantel weder ein Ausweis noch eine Adresse oder eine sonstige Mitteilung zu finden.
Kirsch reagierte, wie immer, wenn er es eilig hatte, heftig. Er vermutete gleich, dass sich womöglich noch ein weiterer Tathergang im Wäldchen, oberhalb der Reben und des Senatorres, abgespielt haben könnte.
„Soweit in das Wäldchen hinein, konnten wir nicht sehen, Eugen, deshalb haben wir beide wohl auch den Mantel nicht entdeckt!“, ärgerte sich Kirsch über seinen Fauxpas, nicht auch noch das Wäldchen inspiziert zu haben.
Nun musste Kirsch mal wieder mit dem Spott der Spusi leben, weil er mit seinen ausgezeichneten „Sperberaugen“ den Mantel nicht entdeckt hatte. Gleichzeitig tröstete er sich aber auch mit dem Gedanken, dass es ja Aufgabe der Spusi ist, alle Spuren zu sichern.
„Es war auch noch sehr kalt heute Morgen und die ganze Landschaft war in einen Frühnebel gehüllt“, brachte Kirsch, zwar zähneknirschend, aber entschuldigend hervor. Eugen interessierte sich gar nicht für Kirschs Äußerungen, er dachte viel mehr an seine Sportkameraden, die ihn auch immer hänselten. Deshalb machte er aber nicht so ein Theater wie Kirsch, der immer gleich beleidigt ist, wenn man ihn irgendwo bei einem Fehler erwischt, dachte er nur.
„Gut, dass die Spusi den Mantel gefunden hat, wobei man davon ausgehen kann, dass der Ausweis, den die Spusi abgegeben hat, wohl zu diesem Mantel gehört“, meinte Kirsch. Aber die Mantelaktion war vorläufig beendet.
„Meine Spürnase funktioniert noch, trotz der Kälte“, erwähnte Kirsch, und so ließ er Eugen auch gleich wissen, dass der Täter wohl über das Wäldchen, oberhalb der Reben, verschwunden war. Genauso war auch der zweite Mann, den diese Frau Litterst anscheinend gesehen haben will, verschwunden. Somit war für Kirsch klar, dass der eigentlich dritte Mann wohl den Schuss abgefeuert hatte.
Trotzdem beschäftigte sich Kirsch in Gedanken mit den beiden Mänteln, wobei der eine Mantel noch am Tatort gefunden wurde und sehr wahrscheinlich dem Toten gehörte und der zweite Mantel, der im Wäldchen gefunden wurde, einem Unbekannten zugeordnet werden müsste. Kirsch spürte schon ein Kribbeln in der Nase, was aber nicht von den Mänteln kam, sondern weil er seinen Mantel in der Eile vergessen hatte und es ihn am Tatort entsetzlich gefroren hat.
„Welcher Mantel gehört nun zum Opfer und welcher zum Täter?“, fragte er bei Eugen nach. Möglicherweise gibt es womöglich zwei Täter, überlegte Kirsch weiter. Das Opfer hatte ja noch halb seinen Mantel an. Sein Begleiter, der ins Wäldchen verschwunden ist und derjenige, der, laut dieser Frau Litterst, geschossen hat, waren jedoch zwei Personen. Einem musste dieser Mantel gehören, davon war Kirsch überzeugt. Doch auf Kirschs Theorien schwor Eugen nichts. Das sagte er dem Kommissar aber nicht.
Eugen erhielt daher den Auftrag, die beiden Mäntel zu fotografieren. Dann sollte die Fahrt an den Messeplatz beginnen, und Kirsch hoffte, dass er bei der Messe mehr über die beiden Virologen erfahren würde.
„Schau mal noch in den Taschen der Mäntel nach! Vielleicht gibt es doch noch einen Hinweis und wir oder die Spusi hat ihn übersehen?“
Im Mantel, den die Spusi gebracht hatte, fand Eugen doch noch einen zerknitterten Zettel, auf dem ein Name stand, allerdings war er fast unleserlich, und nur zwei Worte „Zug“ und „Mädchen“ zu erkennen. Im Mantel des Opfers gab es keinen weiteren Hinweis.
Auf dem Weg zur Messe dachte Kirsch immer wieder über die rätselhaften Mäntel nach. Er hoffte, dass er auch einen Mitarbeiter des ermordeten Virologen finden würde, der ihm mehr Informationen über den Ermordeten geben könnte. Eugen machte keine Anstalten auf Kirschs Vermutungen einzugehen, denn er wollte sich nicht an dessen Spekulationen beteiligen. Kirsch hatte immer jede Menge solcher Spekulationen auf Lager, die sich dann aber immer wieder im Nirgendwo auflösten.
In Kürze hatten sie auch das Messegelände erreicht und am Eingang angekommen, stand auch schon ein Mitarbeiter des Organisationsteams bereit, denn die fleißige Helen hatte gleich bei der Messe angerufen und die Veranstaltungsorganisation über das Auftauchen von Kommissar Kirsch und seinem Assistenten Eugen informiert. Vom Mord an diesem Professor Hämmerli aus Basel hatte sie allerdings nichts erwähnt, das war Kirschs Sache.
„Was haben Sie denn auf dem Herzen?“, wollte der Organisator des Virologen-Kongresses, ein Herr Oliver Böcklin, wissen. Mit der Polizei hatte er jetzt überhaupt nicht gerechnet, wobei gerade einen Tag vor dem Erscheinen des Kommissars wieder eine große Demonstration dieser Querdenker vor dem Messegelände stattgefunden hat und Oliver Böcklin darüber gar nicht entzückt war.
Kirsch fiel gleich auf, dass dieser Organisator sehr hektisch auf das Wort ‚Polizei‘ reagierte und auch seine Hände waren ständig in Bewegung. Wie er dem Kommissar mitteilte, hatte er auch alle Hände voll zu tun bei diesem Virologen-Kongress, denn er musste viele Workshops und Podiumsdiskussionen organisieren. Die Corona-Pandemie war noch immer in aller Munde und gerade wieder tauchten neue Mutanten des Virus auf. Somit waren die Virologen, ob national und international, an diesem Kongress und Austausch mit den Kollegen sehr interessiert.
„Viel, Herr Böcklin, habe ich auf dem Herzen, aber da können Sie mir sicherlich nicht bei allen Fragen helfen?“, reagierte Kirsch etwas säuerlich. Dieser Böcklin gefiel ihm gar nicht, er war ihm viel zu aufgeregt und hektisch.
Böcklin wandte sich abermals an den Kommissar und fragte nach, was denn die Polizei hierher geführt hat. „Waren es diese Querdenker?“, fiel er gleich dem Kommissar ins Wort, als dieser gerade ansetzen wollte, Böcklin auf den Mord hinzuweisen. Auch Böcklin hatte keinen Gefallen an diesem Kommissar Kirsch, denn nur zögerlich rückte er auch mit seinem Anliegen heraus. Außerdem gefiel es Böcklin nicht, dass die Polizei im Haus war. Das warf ein schlechtes Licht auf diesen Kongress und war für die Publicity gar nicht gut. Der gestrige Aufmarsch der Querdenker war Böcklin schon ein Dorn im Auge und nun rückte deswegen womöglich noch die Polizei und dieser entsetzliche Kommissar an. Deshalb wollte er Kirsch gleich abwimmeln. Doch da biss er bei Kirsch auf Granit, denn so leicht ließ dieser sich nicht abwimmeln.
Böcklin schüttelte nur merklich seinen Kopf, denn Kirsch kam ihm selbst vor wie ein zerstreuter Professor. Mit denen hatte er bei diesem Kongress genug zu tun. Und noch so einen ‚Polizeiprofessor‘ konnte er jetzt bei seinen vielfältigen Aufgaben gar nicht brauchen. Deshalb beäugte er ihn von allen Seiten und zog nur merklich seine Lippen etwas hoch.
„Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ein Virologe, ein Professor Doktor René Hämmerli aus Basel, ermordet wurde“, begründete Kirsch endlich seine Anwesenheit.
Böcklin zuckte zusammen, denn ein Mord und dazu noch ein Virologe als Mordopfer, war ihm einfach zuwider. Kirschs unnachahmliche Art, so gefühllos ihm den Mord an Professor Hämmerli zu Gehör zu bringen, ohne Rücksicht auf sein Gegenüber, fand Böcklin mehr als erschreckend. Deshalb zog er seine Augenbrauen und auch seine Lippen wieder etwas geringschätzend hoch, weil er damit ausdrücken wollte, dass er sein Gegenüber nur als ein ‚Provinzkommissar‘ ansah. Schließlich war Böcklin selbst schon weit in der Welt herumgekommen.
„Ermordet, sagen Sie, wo und wann?“ Böcklin zuckte nur mit seinen Schultern und stand aufgeregt vor dem Kommissar. Auch seine Augenlider zuckten merkwürdig, was Kirsch auffiel. Das eine Lid des rechten Auges zuckte ziemlich stark und das linke Lid kniff der Organisator Böcklin immer wieder zusammen und blinzelte zu Kirsch. Kirsch faszinierte dieses Spiel mit den Augen. Er war verblüfft, denn das hatte er noch nie gesehen. Auch mit den Mundwinkeln zuckte der Organisator und presste dann aber seine Lippen fest zusammen. Kein Wort kam mehr über seine zusammengekniffenen Lippen.
Eugen schaute von einem zum anderen, weil Kirsch gar nicht mit Fragen nachlegte. Eugen fand, dass die beiden gut zueinander passten, wie sie sich gegenseitig beäugten und musste ein bisschen schmunzeln.
Der eine zuckt mit seinem Lid und der andere mit seinem Schnauzer, wo ist da der Unterschied?, ergötzte sich Eugen an den beiden und hätte am liebsten verbal eingegriffen. Aber der Kommissar war sehr eigen darin, wenn Eugen sich in sein Verhör einmischte, das wusste er nur zu gut. Deshalb beobachtete er lieber die beiden und hatte seinen Spaß daran, auch wenn es dabei um einen Mordfall ging.
Kirsch holte umständlich sein schwarzes Büchlein, in das er immer alle seine Notizen eintrug, hervor, ergriff seinen Kugelschreiber aus der Westentasche und schaute dann mit einem kritischen Blick auf den immer nervöser werdenden Böcklin.
Dieser Umstandskrämer, Kirsch!, dachte Eugen nur.
„Zu welchen Personen hatte dieser Professor Hämmerli Kontakt?“, rückte Kirsch endlich mit seiner ersten Frage heraus.
Böcklin antwortete ohne Umschweife, dass sich Professor Hämmerli und auch sein Freund, Professor Doktor Fridolin Hirsch aus Karlsruhe, schon sehr früh zum Kongress angemeldet hatten.
„Die beiden waren unzertrennlich, fast wie Zwillinge. Sie arbeiteten bzw. forschten auch beide zusammen“, teilte Böcklin, zwar etwas widerwillig, mit.
Kirsch notierte eifrig diese wichtige Information in seinem Büchlein, denn mit einem neumodischen Tablet wollte er sich nicht anfreunden, wobei Moni, seine Frau, ihn immer wieder dazu aufforderte.
Böcklin teilte ferner mit, dass Professor Hirsch in Karlsruhe sein Institut hat und Professor Hämmerli in Basel. Nur für einen Augenblick, riss Kirsch seine Augen auf, das aber bei Böcklin wiederum Irritationen hervorrief.
Bei Hämmerli hatte Kirsch ja schon die Basler Adresse in der Manteltasche gefunden. Dann sollte Eugen auch schon die fotografierten Mäntel Herrn Böcklin präsentieren. Doch mit den Mänteln konnte Böcklin nichts anfangen. Schließlich hatte er nicht ständig mit den Professoren und gar nicht mit deren Bekleidung, den Mänteln, zu tun, wie er ärgerlich mitteilte.
Wie aus der Pistole geschossen, hatte Kirsch noch die Frage nach den Mitarbeitern der beiden Virologen gestellt, die sich eventuell auch auf dem Messegelände aufhalten könnten.
„Professor Hirsch hat einen Mitarbeiter namens Chris Ehrlich, der auch hier anwesend ist und eine weitere Mitarbeiterin, eine Doro Redlich, die allerdings in Karlsruhe arbeitet, wo sich auch das Institut befindet. Sie war nicht angemeldet für den Kongress“, erfuhr Kirsch nun von Böcklin, was ihn aber wunderte, dass dieser Böcklin so gut über die Assistenten Bescheid wusste. Normalerweise stehen die Assistenten mehr im Hintergrund der Professoren.
Böcklin zeigte sich, nach den Anfangsschwierigkeiten, etwas charmanter, lächelte auch hin und wieder, denn inzwischen war seine Angst gegenüber dem Kommissar verflogen. Der kocht auch nur mit Wasser, dachte er.
Den Zeitpunkt, wann sich die Virologen angemeldet hatten, wollte Kirsch auch noch wissen, obwohl das eigentlich für den Mord an Hämmerli nicht von Belang war.
„Das war echt schwierig, da haben Sie vollkommen Recht, denn in der Pandemie konnte der Kongress nicht stattfinden. Wir mussten ihn mehrfach verlegen“, äußerte sich Böcklin etwas bedächtig, war aber auch gleichzeitig froh, dem Kommissar behilflich zu sein.
„Den Virologen war es wichtig, gemeinsam so schnell wie möglich, diesem Covid19-Virus auf die Spur zu kommen und Lösungen für die Bekämpfung, wie einen neuen Impfstoff, zu finden, zumal nun auch wieder ein neues bakterielles Virus aufgetreten ist“, entgegnete Böcklin und schaute eindringlich in die Runde, was wohl dem neuen, gefährlichen, bakteriellen Virus geschuldet war. Danach gab er sich gelassener, denn er wollte auch den Anschein erwecken, dass er nichts zu verbergen hatte.
„Wir haben diese große Pandemie mit dem Corona-Virus noch nicht restlos überstanden und nun kommt schon wieder eine neue Variante, eine Chovid24-Plus-Variante, und wir stehen wieder am Anfang. Immer wieder in der vergangenen Pandemie-Zeit mussten wir umdisponieren und dachten, dass wir jetzt das Virus einigermaßen durch die Impfungen gut im Griff hatten. Doch im letzten Herbst und Winter fing es wieder mit den Erkrankungen an, obwohl alle Personen mit drei Impfungen und mehr immun gegen das Virus sein sollten. Doch es gab immer wieder neue Mutanten oder alte kehrten zurück. Vor allem in den Grippezeiten gab es immer wieder Corona-Fälle und diese werden auch in Zukunft nicht aufhören. Somit muss weiter geforscht werden wie man auch die Rückkehr des Virus stoppen und ihm stetig entgegenwirken kann. Deshalb ist auch dieser Virologen-Kongress ins Leben gerufen worden“, antwortete Böcklin.