Klaus Heer, was ist guter Sex? - Barbara Lukesch - E-Book

Klaus Heer, was ist guter Sex? E-Book

Barbara Lukesch

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Beschreibung

Was verpassen wir, wenn wir beim Sex verstummen? Welche fixen Ideen rings um das Bett sollten wir unbedingt vergessen? Sind getrennte Schlafzimmer Sexkiller? Warum ist es himmlisch, mit offenen Augen zu küssen? Was ist guter Sex? - Fragen, mit denen die Autorin Barbara Lukesch den Paartherapeuten Klaus Heer in stundenlangen Gesprächen konfrontiert hat. Entstanden ist ein Buch, das ebenso gescheit wie witzig und ebenso praxisorientiert wie theoretisch fundiert ist. Wer sich darauf einlässt, erfährt viel über sexuelle Fantasien, Missverständnisse und Irrtümer in der Sexualität, über das Fremdgehen und auch darüber, wie es in langjährigen Partnerschaften nachhaltig sexuell prickeln kann. Die Texte regen dazu an, hartnäckiges Schweigen in der Partnerschaft endlich zu brechen und neue erotische Wege einzuschlagen. Barbara Lukesch, die sich in vielen journalistischen Arbeiten mit Sexualität auseinandergesetzt hat, war Klaus Heer - wie er sagt - "eine wunderbare Sparringpartnerin, sie hat nicht lockergelassen und mich herausgefordert. Und zwar aufs Beste."

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Seitenzahl: 230

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Klaus Heer, was ist guter Sex?

Barbara Lukesch

Klaus Heer, was istguter Sex?

Gespräche über das bestealler Themen

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.

© 2009 Wörterseh Verlag, Gockhausen

Lektorat: Claudia Bislin, ZürichKorrektorat: Andrea Leuthold, ZürichUmschlaggestaltung: Thomas Jarzina, HolzkirchenUmschlagmotiv: © Images.com/CorbisLayout, Satz und herstellerische Betreuung: Rolf Schöner, Buchherstellung, AarauDruck und Bindung: CPI books, Ulm

Print ISBN 978-3-03763-010-5E-Book ISBN 978-3-03763-522-3

www.woerterseh.ch

 

 

 

Für René, meinen Mann

 

 

»Liebe ist die Antwort, aber während man auf die Antwort wartet, entstehen durch Sex einige hübsche Fragen.«

Woody Allen

Inhalt

Vorwort

Reden und Totschweigen

Fantasie

Mythen und Märchen

Mann und Frau

Sex und Geschäft

Treu und untreu

Reden und Lieben

Fallstricke

Was ist guter Sex?

Paar und Beratung

Nachwort

Vorwort

Sexualität ist ein Thema, das mich in meiner journalistischen Arbeit seit vielen Jahren beschäftigt. Dabei hatte ich wiederholt mit dem Berner Paartherapeuten Klaus Heer zu tun. Das ist nicht überraschend, gibt es doch hierzulande keinen anderen Experten, der sich so geistreich, originell, anschaulich und unverblümt über die körperliche Liebe äußert wie er. Jedes Gespräch mit ihm machte Spaß. Nicht zuletzt, weil sein Verhältnis zu den Medien ein unkompliziertes, offenes und interessiertes ist. So kam mir eines Tages die Idee, mit ihm ein Interview zu führen, so lang und ausführlich, dass es nur zwischen zwei Buchdeckeln Platz hat. Erst wollte er nicht. Zögerte, räumte sich Bedenkzeit ein. Dann schlug er vor, einen Austausch per E-Mail zu versuchen. Ich wusste, dass er den direkten Kontakt mit Medienschaffenden scheut. Bisher hatten wir alle Interviews telefonisch geführt. Telefonieren war auch diesmal das Minimum, auf dem ich bestand. Nachdem ich alles an Überredungskunst aufgeboten hatte, sagte er zu, wollte aber eine erste Gesprächsrunde ausdrücklich als »Probelauf« deklariert haben. Warum nicht? Wir wählten das Thema »Reden über Sex«. Eine glückliche Fügung, denn Klaus Heer genoss Heimvorteil, schließlich hatte er dazu ein ganzes Buch, »WonneWorte«, geschrieben und schöpfte aus dem Vollen. Unser Projekt nahm Gestalt an. Schon bald diskutierten wir über die weiteren Themen, die wir in unseren Gesprächen behandeln wollten, formulierten sogar eine Art Vertrag, der unsere Zusammenarbeit regelte, und beschlossen, erst dann auf die Suche nach einem Verlag zu gehen, wenn unser Manuskript vorlag. Wir wollten keinen Zeitdruck.

Die Interviews fanden allesamt am Telefon statt. Dauer: jeweils rund zwei Stunden. Sprache: Hochdeutsch. Anzahl: zwei Dutzend. Zeitrahmen: zwei Jahre.

Ende Dezember 2008 drängte sich dann die Frage auf, welchem Verlag wir unser Manuskript anbieten sollten. Nachdem Gabriella Baumann-von Arx vom Wörterseh Verlag bereits das Buch »Starke Worte – 50 Persönlichkeiten über den Satz ihres Lebens« herausgegeben hatte, das ich 2008 gemeinsam mit Balz Spörri realisiert hatte, schlug ich sie Heer als Verlegerin vor. Er willigte ein, sie sagte zu, und ich freute mich auf eine weitere Zusammenarbeit mit ihr.

Nun liegt »Klaus Heer, was ist guter Sex?« in Buchform vor. Vorausgegangen ist eine intensive, inspirierende Zeit der Auseinandersetzung mit dem »besten aller Themen«. Zu Gesicht bekommen werde ich meinen Gesprächspartner wohl frühestens an der Buchvernissage. Ich freu mich drauf.

Barbara Lukesch, im Sommer 2009

Reden und Totschweigen

Warum das Reden über die gemeinsame Sexualitätfast genauso lustvoll ist wie der Sex selbst.Was passiert, wenn Paare verstummen, und wie es gelingt,wieder miteinander ins Gespräch zu kommen.Ein Aufruf für die Bewässerung der Steppe.

Klaus Heer, warum müssen Paare miteinander über ihre Sexualität reden?

Klaus Heer: Sie müssen gar nichts! Aber Paare müssen wissen: Eine stumme Sexualität verkümmert. Ich bin so gut wie sicher, dass man Sexualität nicht über längere Zeit am Leben erhalten kann, wenn man stumm ist und sich nicht austauscht. Das können nur Tiere, Menschen nicht. Für sie ist Reden Pflicht. Sexualität selber ist entbehrlich, sie ist ein Luxus, ein Geschenk des Lebens, aber keine tragende Säule einer Beziehung.

Wie bitte?

Man braucht Sex eigentlich nur, um sich fortzupflanzen. Sonst ist er wunderbar überflüssig. Kein Mensch braucht ihn unbedingt. Ich kenne Paare, die keinen Sex mehr haben und wirklich glücklich miteinander sind. Aber die meisten Menschen halten Sex ja für einen unentbehrlichen Teil ihrer Beziehung: Er gehört unbedingt dazu. Doch wenn dem so ist, dann müssten sie ihn auch konsequent pflegen, indem sie über ihre Sexualität reden. Sonst knickt diese Säule ein.

Wann müssen Paare mit dem Reden beginnen?

Nach durchschnittlich neunzig Tagen merken fast alle, dass die strahlende Anfangszeit zu Ende geht und dass der Sex mehr und mehr eintrübt. Sie realisieren, dass etwas getan werden muss, damit Lust und Begehren nicht bröckeln. Das ist ein Schock, auf den viele Paare mit Gefühlen wie Hilflosigkeit und Angst reagieren. Diese Angst führt zu Sprachlosigkeit. Dabei wäre es so wichtig, die Staus und Stockungen der Sexualität, die sich leider schnell einstellen, zu benennen. Werden sie verschwiegen, haben sie die Tendenz, das sexuelle Glück langsam zu ersticken.

Je länger Paare schweigen, umso schwieriger dürfte es sein, eines Tages doch noch miteinander ins Gespräch zu kommen.

Es baut sich eine regelrechte Schwellenangst auf, die bedrohliche Ausmaße annehmen kann. Ich hatte kürzlich ein Paar in meiner Praxis, das seit 28 Jahren verheiratet ist. Der Mann hatte das Bedürfnis, die sexuelle Beziehung zu seiner Frau zu verbessern, ihre Sexualität wieder zum Glänzen zu bringen. Da sagte die Frau, sie müsse ihm gestehen, dass sie noch nie freiwillig mit ihm geschlafen habe. Was für eine Bombe für den Mann! Er war am Boden zerstört. Er hatte keine Ahnung gehabt, weil seine Frau ihre Lustlosigkeit aus Angst vor seiner Reaktion die vielen Jahre versteckt hatte. Es ist ja eigentlich eine Realität: Die Sexualität des Mannes passt nicht automatisch zu derjenigen der Frau und umgekehrt, das stellt sich schon ziemlich früh in der Paargeschichte heraus. Nun ist es die anspruchsvolle Aufgabe eines jeden Paares, mit diesem Unterschied zurechtzukommen. Nein, nicht zurechtzukommen! Besser, diesen Unterschied zu entdecken und nutzbar zu machen. Und wie, um Himmels willen, soll das gehen, wenn die beiden nicht zusammen reden?

Mit Reden ginge es?

(Zögernd.) Sagen wir es so: Das Erkennen, dass man gemeinsam dabei ist, etwas zu entdecken und zu entwickeln und zu verändern, tut jeder Beziehung gut. Das ist es, was eine Beziehung am Leben erhält. Unabhängig davon, was sich letztlich an gemeinsamer Sexualität ergibt.

Ist es nicht merkwürdig, dass wir im privaten Rahmen oft große Mühe haben, über unsere Sexualität zu reden?

Merkwürdig finde ich vor allem, dass wir außerhalb der eigenen vier Wände so geschwätzig sind …

… da können wir nicht genug über Sex reden …

… und nicht genug hören und nicht genug sehen. Aber sobald wir zu zweit sind, allein mit dem Menschen, den wir lieben, bleiben uns die Worte vor lauter Angst im Hals stecken. Zu sagen »Ich habe vorhin beim Sex an meinen Exmann denken müssen und konnte einfach nichts dagegen machen« oder »Du stinkst«, ist wirklich nicht einfach. Interessanterweise wird es nicht nur schwierig, wenn beim Sex mit unseren Liebsten Probleme auftauchen. Es fällt uns beinahe ebenso schwer, einander die erfreulichen Dinge zu sagen, das zu benennen, was uns scharf macht und erotisch antörnt. Es erstaunt mich immer wieder, dass das öffentlich allgegenwärtige Thema Nummer eins nicht in unsere Schlafzimmer Einzug hält.

Was stellt sich uns in den Weg?

Die Schamangst. Wir schämen uns, uns voreinander zu entblößen und als der gesehen zu werden, der wir wirklich sind. Wir haben Angst davor, die Unterschiede, die zwischen uns und unserer Partnerin oder unserem Partner bestehen, sichtbar werden zu lassen. Stattdessen hängen wir der naiven Idee an, dass unsere Sexualität einfach funktioniert, wortlos und spontan, wenn wir möglichst gleich sind und wenn das, was wir im Bett miteinander möchten, übereinstimmt. Dabei ist es ja schon fast das Aus für jede Sexualität, wenn wir uns dermaßen verkrampft um diese vermeintliche Gleichheit bemühen.

Unsere Ideale zielen tatsächlich auf Harmonie und Übereinstimmung. Wir sollen einander stets gleichzeitig erregen, beider Erregung ist dann gut, wenn sie parallel zunimmt. Und am gleichzeitigen Orgasmus, dem Inbegriff himmlisch-symbiotischer Verschmelzung, halten wir auch immer noch fest.

Das ist die ausgeklügeltste Zirkuskunst, die niemand beherrscht.

Auch nicht in den Tagen größter Verliebtheit?

Auch da nicht. Aber in dieser Zeit sind wir noch bereit, Störendes geflissentlich zu übersehen, Mickriges zu schönen. Das gehört zu dem besonderen Aufwand, den Verliebte in ihrer ersten goldenen Zeit betreiben. Außerdem sind sie blind vor Glück und sehen vieles gar nicht oder nicht so genau. Wobei – so blind sind sie auch wieder nicht, sie sehen schon vieles, schauen Störendes aber einfach weg. Man kann nämlich etwas Queres auch wegschauen, transitiv, im Sinn von wegschaufeln.

Sie aber plädieren dafür, hinzuschauen, ganz genau hinzuschauen, und die Unterschiede wahrzunehmen und zu benennen.

Wir können die Dynamik der Unterschiede mit jener eines Hochdruckkraftwerks in den Bergen vergleichen, das aus einem großen Druckgefälle Energie produziert: Der Stausee ist weit oben, das Kraftwerk tausend Meter weiter unten im Tal. Unsere sexuelle Energie und Lust kommt zu einem großen Teil aus dem Gefälle, das sich aus den Unterschieden zwischen zwei Menschen ergibt. Gemeint ist das Wahrnehmen und Akzeptieren aller Arten von Unterschieden zwischen zwei Menschen in einer Paarbeziehung.

Von Unterschieden, Andersartigkeit und Abgrenzung schreiben aber die Dichter nicht, die die himmlische Macht der Liebe und Sexualität beschwören.

Das stimmt. Aber ich glaube, dass diese viel beschworenen himmlischen Gefühle dem entsprechen, was ich die gelungene Akzeptanz unserer Unterschiede nenne. Wenn ich den Mut habe, konkret zu sehen und genau zu hören, wer der andere ist und was er will, mich vor dem anderen mit meinen Wünschen und Fantasien zu zeigen, wenn wir beide also unerschrocken unseren Unterschieden ins Auge sehen, entsteht tatsächlich so ein Glitzern, das man sehr wohl als himmlische Harmonie bezeichnen kann. Wir halten es in diesen Momenten aus, dass wir getrennte Wesen sind, deren Bindeglied der gemeinsame Wille ist, einander so zu sehen, wie wir wirklich sind. Und wir fangen an, genau das zu genießen.

Das klingt anspruchsvoll. Da leugnen wir doch lieber die Unterschiede, indem wir weiterhin schweigen.

Reden differenziert tatsächlich und schafft Distanz. Eine Distanz, die Intimität schafft. Man darf das aber nicht verwechseln mit Einsamkeit, Entzweiung und Kälte. Das tun leider viele. Wenn wir gegenüber unserem Partner oder unserer Partnerin Distanz wahrnehmen, empfinden wir bald einmal Kälte. Das will niemand. Darum sagen wir dann lieber nichts, obwohl unsere Lust darauf angewiesen ist, dass wir feststellen: Ja, du bist anders. Erzähl mir, wie und wer du denn eigentlich bist!

Damit zerstören wir aber die Illusion, dass wir einander kraft unserer Liebe blind verstehen und die Wünsche des anderen einfach so herausspüren. Wer Worte nötig hat, stellt seine Liebe infrage.

Falsch verstandene, harmoniesüchtige Liebe ist wohl tatsächlich die zwiespältigste Feindin der Sexualität. Sie ist der Wolf im Schafspelz, der uns mit Idealbildern wie jenem vom blinden Verstehen verunsichert und unter Druck setzt. Sexualität lebt nicht allein von Verständnis und Einklang; sie lebt auch von den unvermeidlichen Unterschieden und den Spannungen, die sich aus diesen Unterschieden ergeben. Wir müssen die vielen und oft abgrundtiefen Unterschiede kennen und lieben lernen. Wie schaffen wir das? Indem wir einander überhaupt einmal erzählen, wer wir sind und was uns sexuell antörnt und befriedigt. Dass er zum Beispiel sagt: »So, wie du mich gestern Abend berührt hast, war es erfüllend und beglückend für mich.« Sie: »Aha, wow, so einer bist du!« Er: »Das hat eine Fantasie bei mir ausgelöst, die ich noch nie hatte.« Sie: »Spannend. Erzähl weiter! Welche Fantasie denn?« Dann fängt es an, zu kribbeln und zu glitzern, und wir haben dank dem Charme des Unterschieds viel mehr Paradies, als wenn wir deckungsgleich wären.

Um so locker ins Gespräch zu kommen, muss man aber erst mal seine Hemmungen ablegen.

Ich stelle mir die Hemmungen, bei Tageslicht das zur Sprache zu bringen, was man am Vorabend im Bett erlebt hat, wie einen Gletscher vor. Je mehr ich zu sagen wage, umso mehr schmilzt der Gletscher und macht Gletschermilch. Die Gletschermilch ist in meiner Metapher die Lust. Wer miteinander redet, bleibt flüssig und kann einen Zugang zu seiner Lust finden. Mit der Lust kommt er in Fluss. Verstummen produziert trockene Steppe im Kopf. Und im Bett.

Wer über die gemeinsame Sexualität redet, holt sie gewissermaßen auf den realen Boden herunter. Dadurch wird sie zu einer Beschäftigung, die man genauso angeht und zu optimieren versucht wie beispielsweise das gemeinsame Tennisspiel.

Der Vergleich gefällt mir. Tennis spielt man ja auch meistens zu zweit. Allein gegen die Wand zu spielen, kann zwar auch gut sein. Das wäre dann Masturbieren. Aber es macht mehr Spaß, zu zweit zu spielen. Beim Tennis ist uns allen klar, dass es noch attraktiver wird, wenn wir besprechen, was wir verbessern könnten, und das dann ausprobieren, immer wieder. Es braucht Training, und genau das bräuchte auch unsere Paarsexualität.

Das klingt sehr nüchtern.

Umso besser. Es gibt nichts Destruktiveres als die hochgezüchteten Harmoniefantasien, das Mediengeschwafel vom Sex als heiliger Himmelsmacht. Sex findet nicht im Himmel statt, sondern auf der Matratze oder auf dem Teppich, das sind gute Orte, um zwei Körper miteinander in Kontakt zu bringen. Unsere Körper sind ja gewöhnlich keine makellosen Engelsleiber. Und dennoch können wir hienieden mit ihnen Beglückendes erleben.

Vielleicht ist das Reden über die eigene Sexualität ja auch deshalb so verpönt, weil es deutlich macht, dass man die eigene Lust so raffiniert wie möglich befriedigt haben möchte. Das ist alles andere als bescheiden, das ist gierig …

… egoistisch …!

… und entlarvt das Begehren, dass wir nicht nur Sex haben wollen, sondern auch noch wollen, dass er gut ist.

Die meisten Menschen, die man fragt, wie denn ihr Sex sei, sagen: Zu selten! Zu wenig. Oder: Zu viel. Sie geben rein quantitative Auskünfte, die Qualität ist gar kein Thema. Auch in meiner Praxis erlebe ich es ständig, dass es den Paaren an Worten fehlt, um die Qualität ihrer sexuellen Erfahrungen zu beschreiben. Dann bitte ich sie, ihre Sexualität auf einer Skala von sechs, sehr guter Sex, bis eins, miserabler Sex, einzustufen. Das fällt den meisten nicht leicht. Noch mehr Mühe haben sie, wenn sie einschätzen sollen, welche Note ihr Partner oder ihre Partnerin wohl der gemeinsamen Sexualität geben wird. Da liegen fast alle daneben. Männer vermuten meist, ihre Frau benote den gemeinsamen Sex höher, als sie es tatsächlich tut. Bei den Frauen ist es genau umgekehrt: Sie nehmen an, dass die Einschätzung des Mannes tiefer sei, als sie es in Wirklichkeit ist. Es ist interessant, wie unbeholfen wir reagieren, wenn wir die Qualität unserer Sexualität präzis beschreiben sollen.

Daran ist doch auch die Sexualwissenschaft schuld, die am liebsten Koitusfrequenzen misst und die Botschaft aussendet: Egal, wie der Sex ist, Hauptsache, man macht es zweimal pro Woche.

Vielleicht liefert die Sexualwissenschaft aber auch nur das, was die Leute hören und sagen wollen: Wie oft? Man will eine Durchschnittszahl, an der man sich messen und vergleichen kann. Dann weiß man im besten Fall, dass man der Norm entspricht, also normal ist.

Wie beginnt man ein Gespräch über die Qualität?

Ich glaube, es führt kein Weg daran vorbei, dass man einfach mal sagt: »Mir gefällt das, was wir miteinander im Bett machen, nicht mehr. Nicht mehr so wie früher. Ich möchte einen neuen Anfang machen. Möchtest du wissen, was ich gern mit dir zusammen ändern möchte?«

Das klingt ziemlich direkt.

Man kann auch eine Softvariante wählen. Die Frau, der es immer zu schnell geht im Bett, könnte ihrem Mann sagen: »Du, gestern Abend, da hast du mich länger und ausgiebiger berührt als sonst, das war himmlisch.« So bringt sie ihn auf eine viel sanftere Art auf die Spur, als wenn sie sagen würde: »Du überfährst mich jedes Mal, du Egoist, und lässt mich stehen, ich fühle mich dabei wie bestellt und nicht abgeholt.«

Wie gelingt es Paaren, die überhaupt keinen Sex mehr haben, das Gespräch zu eröffnen?

Wenn der Ofen kalt ist, ist es schwierig, ihn wieder in Gang zu bringen. Neues Feuer zu machen, ist nicht einfach. Häufig haben wir ja den Betrieb eingestellt, weil unsere Beziehung heruntergewirtschaftet ist. Dann herrschen arktische Temperaturen, und es würde überhaupt nichts bringen, jetzt von einem sexuellen Neuanfang zu reden. Da muss man zuerst etwas fürs Klima tun.

Eine Klimakonferenz einberufen?

(Lacht.) Exakt! Und dabei geht man am besten davon aus, dass man für den anderen eine Zumutung ist, zeitweise jedenfalls. Das Gespräch könnte man dann so eröffnen: »Wir habens ja in letzter Zeit nicht so gut miteinander. Sag mir doch bitte, was für dich schwierig ist mit mir.« Eine solche Einladung wirkt Wunder – vorausgesetzt, dass man dann die Antwort auch wirklich hören will.

Sollen auch Paare, die trotz sexueller Abstinenz glücklich miteinander sind, über ihren Umgang mit Sexualität reden?

Solche Paare könnten sich darüber verständigen, was es für ihre Beziehung heißt, dass sie keinen Sex mehr haben. Sie hätten die Chance, sich bewusst zu machen, dass es zwischen ihnen andere Bindeglieder gibt, die sie zusammenhalten, und welche das konkret sind.

Sehen Sie keine Gefahr, dass man die gemeinsame Sexualität auch zerreden kann?

Diese Befürchtung äußern vor allem Leute, die überhaupt noch nicht mit dem Reden begonnen haben. Ich habe in meiner Praxis selten Paare gesehen, die ihre Sexualität zerreden. Es mag unter meinen Berufskollegen, unter Psychologen und Sozialarbeiterinnen, die privat in einer Beziehung leben, Einzelne geben, die ihre Gefühle von sich fernhalten, indem sie dauernd darüber reden. Aber das ist nicht die erste Gefahr für die meisten anderen Menschen. Nein, die große Gefahr ist, dass man verbal gar nicht erst in Fahrt kommt.

Was dürfen Paare von einem Gespräch über ihre Sexualität denn erwarten?

Nichts Geringeres als das länger- und langfristige Überleben der Sexualität. Das Gespräch über unsere Sexualität ist die Blutzirkulation in unserem gemeinsamen erotischen Organismus. Im Grunde genommen dürften wir niemals miteinander Sex haben, ohne das, was wir erlebt haben, hinterher mit Worten, mit Wonneworten, zu feiern.

Feiern?

Ja, feiern! Mir ist aufgefallen, dass viele Paare bei »über Sex reden« reflexartig an »Sexprobleme wälzen« denken und auch aus diesem Grunde lieber schweigen. Doch wenn das Reden über Sex nicht fast genauso lustvoll ist wie der Sex selbst, läuft etwas schief. Darum ist Feiern das richtige Wort. Da kann man einander konkret sagen, was richtig schön und erregend war beim letzten Mal. Es gibt immer kleine Glanzpunkte, die man einander erzählen kann. Man muss nur hinschauen. Und diese Glanzpunkte, die wollen gefeiert werden.

Und wie feiert man sie?

Außerhalb des Bettes, bekleidet und in aufrechter Position. Es kann während eines Spaziergangs am Sonntagnachmittag sein oder wenn wir abends gemeinsam eine Runde mit dem Hund drehen oder nach dem Essen, wenn wir noch am Tisch sitzen bleiben. So wird die Sexualität besser in unser Leben eingebettet und fristet nicht so ein abgespaltenes Spätabends-Dasein.

Thema eines Gesprächs über Sexualität könnte ja auch die Planung und Verabredung künftiger sexueller Begegnungen sein.

Die verabredete Sexualität hat einen großen Stellenwert für ein gestandenes Paar. Damit machen wir deutlich, dass wir Sex als Spiel begreifen, das einen Spieltermin, ein Spielfeld und Spielregeln braucht. Wer sich da verständigen will, ist natürlich auf Sprache angewiesen. Sonst funktioniert es nicht.

Dieser Vorschlag wird aber wieder eine Reihe von Kritikern auf den Plan rufen, die einwenden: Geplante Sexualität? Das ist das Ende der Leidenschaft.

Nein, ist sie nicht, sie könnte im Gegenteil den Neustart der körperlichen Liebe bringen. Paare, die sich am Montag, Dienstag oder Sonntag zu einer bestimmten Zeit für ein Sex-Date verabreden, haben eindeutig eine größere Chance, die Wärme, ja sogar die Hitze ihres sexuellen Ofens zu bewahren und zu entwickeln, als jene, die alles dem launischen Zufall, der Gunst der Stunde oder der Atmosphäre überlassen. Je länger ein Paar zusammen ist, umso dringender wird es, sich für eine sexuelle Begegnung zu verabreden. Man vereinbart, dass man sich dann und dann dafür Zeit nimmt – mitsamt einem Eintrag in die beiden Agenden. Was nicht in der Agenda steht, ist erfahrungsgemäß nicht wichtig. Dafür gibt es keinen Platz im reißenden Alltagsstrom. Man muss das sexuelle Paarterritorium fast mit Gewalt freischaufeln und freihalten, sonst wächst es einfach zu. Gerade in der reproduktiven Phase, wenn die Kinder klein sind und wir beruflich im Zenit stehen, braucht der gemeinsame Sex Organisation. Das mag auf den ersten Blick ernüchternd wirken. Aber wer das eine Zeit lang praktiziert hat, wird entdecken, dass sich da auch ein Vorfreudepotenzial verbirgt, das Wunder wirken kann. Tausende von Fremdgängerpaaren kennen nichts anderes als verabredeten Sex und platzen fast vor Vorfreude, so schön ist es, sich innerlich auf das geplante Treffen einzustellen.

Zurück zum Reden und Schweigen über Sex. Sie sprachen davon, dass man seine sexuellen Highlights feiern könnte. Das scheint vergleichsweise leicht zu sein.

Sogar wenn ein Paar die Spielregel aufstellt, dass es sich jedes Mal nach dem gemeinsamen Sex erzählt, was schön war, jedes Mal, selbst dann wirkt die Gravitation in Richtung Schweigen, und es braucht eine große Anstrengung und eine bewusste Entscheidung, sich dagegenzustemmen. Aber Paare, die wirklich an Sex interessiert sind, werden diese Anstrengung auf sich nehmen. Ich glaube, wenn Sex nicht jeden Tag einmal Thema ist, verschwindet er aus unserem Leben, schneller, als uns lieb ist. Unser Paradiesgarten braucht Regenworte, die ihn zum Gedeihen und zum Blühen bringen.

Wer ist sprachbegabter – Männer oder Frauen?

Früher hätte ich sofort gesagt: die Frauen. Heute bin ich da nicht mehr so sicher. Das Internet hat sehr viel verändert. Es bietet Männern viele neue Gelegenheiten, sich persönlich zu äußern und damit auch Beziehungsthemen zu formulieren.

Aber Reden von Angesicht zu Angesicht ist für Männer offenbar immer noch schwierig.

Sagen wir es so: Wenn Männer den Eindruck haben, ihr Gegenüber höre ihnen zu, reden sie wie ein Buch. Das erlebe ich regelmäßig bei meiner Arbeit. In Gesprächen ist nämlich gar nicht das Reden das Wichtigste, sondern die Gewissheit, dass da jemand ist, den überhaupt interessiert, was ich zu sagen habe – selbst wenn es nicht angenehm oder schmeichelhaft ist.

Aber Frauen gelten doch als gute Zuhörerinnen.

Zu Unrecht. Im intimen Austausch, bei dem es um tief greifende, angestaute Probleme geht, sind Frauen keineswegs die besseren Zuhörerinnen. Da sind Männer genauso gut. Das heißt, in anspruchsvollen, schwierigen Gesprächen haben Männer und Frauen ungefähr gleich viel Mühe. Das ist für mich eine überwältigend klare Erfahrung.

Haben die Paare in Ihrer Praxis denn überhaupt die Worte, Wonneworte, wie Sie sie nennen, um über Intimes und Sexuelles reden zu können?

Ich selber habe Wonneworte immer parat, auf der Zunge sozusagen. Ich gehe voraus, nehme die beiden bei der Hand, und sie kommen hinter mir her. Das sind gute Momente. Dazu birgt das Thema, so schwierig und belastend es sein mag, auch viel Witz und unfreiwilligen Humor. Es tut gut, auch mal über die ganze Verklemmtheit zu lachen, die im 21. Jahrhundert immer noch in unseren Doppelbetten haust.

Wie ist eigentlich aus einem Bauernsohn ein sexuell so redebegabter Mann geworden?

Da haben mehrere Faktoren eine Rolle gespielt. Mein Vater war Bauer und hatte Tiere, die mich von klein auf interessiert haben. Ich glaube, meine Infektion hat im Stall stattgefunden. Es ist ein bisschen schambeladen, zugeben zu müssen, dass mein zentrales erotisches Thema, also das Herzstück meiner Erregbarkeit, ursprünglich mit Tieren zu tun hatte. Aber es ist so: Meine Sexualität ist im innersten Kern eine animalische. Da geht es also um irdischen, nicht um himmlischen Sex, und der ist bei mir ein nicht zu löschendes Feuer. Ein Feuer, das langsam in Glut übergegangen ist. Übrigens haben meine Eltern meiner Neugier einen Riegel geschoben. Der Riegel bestand aus Stummheit und zähem Schweigen. Bei uns zu Hause war katholisches Mittelalter mit rigorosen Verboten und einer streng gehüteten Doppelmoral. Doch das Verbot ist nun mal der Stein, aus dem man Feuer schlägt. Diese Mischung aus Animalischem und Verbotenem war zwar prekär für mich, aber auch sehr potent.

Reden über Sex ist noch mal etwas anderes. Haben Sie daheim Worte mitbekommen, die mit Sexuellem zu tun hatten?

Ja, die Wörter, die mit dem Tiersex zu tun haben, »stierig« und »decken« zum Beispiel. Ganz allgemein habe ich Sprache von Kind auf geliebt. Meine Aufsätze waren immer gut, ich schrieb gern und erschuf mir mit der Sprache eine Art Sprungbrett für eine erfüllende Zukunft. Inzwischen bin ich 66, hatte also viel Zeit, meine Redebegabung zu entwickeln. Im Laufe meiner Ausbildung machte ich natürlich auch selber eine Psychotherapie, die mir die Zunge gelöst hat. Als Therapeut kann ich ja nichts zum Fließen bringen, wenn ich selber verstopft bin. Ich sollte meinen Klienten eine Nasenlänge voraus sein, also etwas redseliger und weniger verängstigt als sie.

Warum haben Sie ausgerechnet Sexualität zu Ihrem beruflichen Thema gemacht?

Ich bin immer etwas irritiert, wenn man aus mir einen Therapeuten macht, der ausschließlich mit Sex in Verbindung gebracht wird, als hätte ich von allem anderen keine Ahnung.

Klaus Heer und Sex – das ist mindestens in der öffentlichen Wahrnehmung eins.

Ich kämpfe beharrlich, wenn auch nur halb entschlossen gegen dieses Image an. Ich schreibe zwar Bücher zum Thema und gebe auf Anfrage häufig Auskunft darüber in der Presse. Aber ich bin Paartherapeut, da kommt Sexualität bei vielen Beratungen unweigerlich auf den Tisch, meistens neben anderen Beziehungsaspekten. Die Sanierung der Sexualität ist oft Knochenarbeit. Oft noch härter als die Arbeit an der Beziehung. Da erwarten Leute von mir Hilfe, die mir so vorkommen, als wären sie nicht wirklich für die Sexualität geschaffen, also regelrecht erotisch unbegabt.

Gibt es sexuell unbegabte Menschen?

Ich sagte, manche Menschen kommen mir so vor. In Wirklichkeit ist nicht unterscheidbar, ob jemand sexuell unbegabt oder uninteressiert ist. Vielleicht ist er traumatisiert. Es fehlt schlicht die sexuelle Neugier, aus welchem Grund auch immer.

Wie wirkt das stundenlange Reden über Sexualität auf Sie? Stumpft es Sie ab oder törnt es Sie an?

Weder noch. Es animiert mich immer wieder neu, herauszufinden, welcher Schlüssel zur Lösung der sexuellen Probleme eines Paares passt und wie wir die erotischen Goldadern zutage fördern könnten. Antörnen im Sinne von sexuell stimulieren tut es mich nicht. Es ist mein Beruf. Den ich liebe.

Fantasie

Wie wir an den Kern unserer verborgenenhöchsten Erregbarkeit gelangen.Warum Frauen jahrhundertelang eigene Fantasienabgesprochen wurden und welche BilderMänner besonders heiß machen.Eine Wundertüte voll unzähmbarer Gedankenblitze.

Prinz Charles, wissen wir dank einem abgehörten Telefongespräch, offenbarte seiner geliebten Camilla einst eine ausgesprochen eigenwillige sexuelle Fantasie: Er wäre am liebsten der Tampon in ihrer Vagina. Eine ziemlich bizarre Vorstellung …

Klaus Heer: … die tatsächlich auf Außenstehende, aber auch auf die angesprochene Partnerin peinlich, fremd und unverständlich wirken kann. Dieses Bild vom Tampon ist sehr persönlich, ganz und gar individuell und hat viel mit der Erregbarkeit des Prinzen, möglicherweise sogar mit seinem zentralen erotischen Thema zu tun. Wir wissen nicht, wie Camilla darauf reagiert hat. Ich nehme aber an, dass Charles so sensibel und vertraut war mit seiner Geliebten, dass der Tamponvergleich anging. So konnte er mit dieser sexuellen Metapher seinen Wunsch nach größtmöglicher Nähe mutig und unverschämt ausdrücken. Intimität ist eben nichts für verzagte Leute.

Jenseits von Gut und Böse war doch der Umstand, dass man diese allerintimste Fantasie an die Öffentlichkeit gezerrt hat.

Primitiv war das, extrem abgeschmackt und verletzend. Interessanterweise hat diese Episode aber dem Prinzen nicht nachhaltig geschadet, geschweige denn der Beziehung der beiden. Vielleicht war hinter dem widerlichen Medienrummel doch spürbar, welche erotische Wucht in ungezügelten Bildern steckt.

Welche erotischen Themen entfachen die Lust der Mehrheit von uns Normalsterblichen?

Studien haben gezeigt, dass Partnertausch der Hit bei den Männern ist, gefolgt von Gruppensex-Träumen. Platz drei überrascht mich: Männerhirne liebäugeln mit Sexszenen, in denen sie mit anderen Männern erzwungenen Sex haben. Bei Frauen sieht es etwas anders aus. In ihren Fantasien schauen sie irgendwelchen Leuten beim Sex zu, vergnügen sich selbst mit einem anderen Mann, und an dritter Stelle sehen sie sich gern und genüsslich als Objekt einer Vergewaltigung – natürlich nur und ausschließlich in ihrer sexuellen Bilderwelt. Niemand, weder Frauen noch Männer, will leibhaftig zum Sex gezwungen werden.