Feuer des Verderbens - Gloria von Felseneck - E-Book

Feuer des Verderbens E-Book

Gloria von Felseneck

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Beschreibung

Die neue historisch verbrämte, romantische Abenteuerserie um das spannende, ruhelose Leben des großen Piraten Klaus Störtebeker gründet auf einem geschichtlichen Fundament. Er war der berüchtigtste Pirat am Wendepunkt des 14. zum 15. Jahrhundert. Leben, Lieben und Abenteuer des sagenumwobenen Piraten werden hautnah geschildert. Gleich der erste Roman liefert eine Erklärung, wie es den attraktiven Jungbauern aus Wismar auf die Meere verschlagen konnte, wie er seinen Kumpan Goedeke Michel kennenlernte und erste atemberaubende romantische Augenblicke erlebte. Sein Leben ist eine wahre Fundgrube zur Legende gewordener abenteuerlicher Geschichten. In der Kneipe »Zum blauen Walfisch« am Hamburger Hafen ging es hoch her. Betrunkene Matrosen grölten, die Würfel klapperten auf den Tischen. Der feiste Wirt hinterm Tresen schaute zufrieden drein. Seine Schankdirnen kamen kaum nach mit dem Einschenken. Sie trugen recht kurze Röcke und hatten alle ordentlich etwas in der Bluse. Sie schafften es, bis zu zwölf Krüge schäumenden Biers gleichzeitig zu balancieren. Zwei Spielleute mit einer Harmonika und einer Fidel versuchten vergeblich, den Lärm zu übertönen. Es war Herbst geworden, das Laub färbte sich schon an den Bäumen. Bald würden die Herbststürme losbrechen, und dann getrauten sich nur noch wenige Schiffe in die gefährliche Nordsee hinaus. Der Steuermann Rykmer Dethlefsen von der Kogge »König Konrad« saß in der Ecke, ein Glas Rotwein vor sich, von dem er nur wenig trank. Mißbilligend schaute er dem ausgelassenen Treiben in der Schenke zu, besonders dem der Matrosen, die zu seinem Schiff gehörten. »Du bist mir verantwortlich, daß zur Nachtwache um fünf Glasen alle an Bord sind«, sagte er zu dem Bootsmann, der bei ihm am Tisch saß und sich über die Gesellschaft nicht freute. Er wollte es aber mit dem Steuermann nicht verderben. »Und wehe, es ist einer besoffen. Dann lasse ich ihn kielholen, bis ihm das Wasser aus den Ohren herauskommt. – Verstanden?« »Ja, Herr Steuermann, zu Befehl, Herr Steuermann«, antwortete der Bootsmann sofort. Was für ein Stockfisch, dachte er, doch das sagte er nicht. Das war eine halbe Stunde nach zehn Uhr abends, zur ersten Nachtwache, und reichlich früh für die durstigen Matrosenkehlen. Die »König

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Klaus Störtebeker – 7 –

Feuer des Verderbens

Gloria von Felseneck

In der Kneipe »Zum blauen Walfisch« am Hamburger Hafen ging es hoch her. Betrunkene Matrosen grölten, die Würfel klapperten auf den Tischen. Der feiste Wirt hinterm Tresen schaute zufrieden drein. Seine Schankdirnen kamen kaum nach mit dem Einschenken.

Sie trugen recht kurze Röcke und hatten alle ordentlich etwas in der Bluse. Sie schafften es, bis zu zwölf Krüge schäumenden Biers gleichzeitig zu balancieren.

Zwei Spielleute mit einer Harmonika und einer Fidel versuchten vergeblich, den Lärm zu übertönen. Es war Herbst geworden, das Laub färbte sich schon an den Bäumen. Bald würden die Herbststürme losbrechen, und dann getrauten sich nur noch wenige Schiffe in die gefährliche Nordsee hinaus.

Der Steuermann Rykmer Dethlefsen von der Kogge »König Konrad« saß in der Ecke, ein Glas Rotwein vor sich, von dem er nur wenig trank. Mißbilligend schaute er dem ausgelassenen Treiben in der Schenke zu, besonders dem der Matrosen, die zu seinem Schiff gehörten.

»Du bist mir verantwortlich, daß zur Nachtwache um fünf Glasen alle an Bord sind«, sagte er zu dem Bootsmann, der bei ihm am Tisch saß und sich über die Gesellschaft nicht freute. Er wollte es aber mit dem Steuermann nicht verderben. »Und wehe, es ist einer besoffen. Dann lasse ich ihn kielholen, bis ihm das Wasser aus den Ohren herauskommt. – Verstanden?«

»Ja, Herr Steuermann, zu Befehl, Herr Steuermann«, antwortete der Bootsmann sofort.

Was für ein Stockfisch, dachte er, doch das sagte er nicht. Das war eine halbe Stunde nach zehn Uhr abends, zur ersten Nachtwache, und reichlich früh für die durstigen Matrosenkehlen. Die »König Konrad« sollte um vier Uhr früh mit der Ebbe auslaufen. Der Bootsmann widersprach aber nicht.

Zwischen den Zechern, die von verschiedenen Schiffen stammten, saß ein Hüne mit grauem Bart. Er hatte eine schwarze Klappe über dem linken Auge. Er schien nicht recht dazuzugehören und beteiligte sich nicht an den groben Scherzen der Matrosen, die gern die Schankmägde in den Hintern kniffen oder ihnen darauf klatschten.

Öfter verirrte sich eine Matrosenhand auch mal unter den Rock oder an den Busen einer Schankdirne. Dann gab es ein großes Gejohle, wenn sie sich, was nicht immer geschah, handgreiflich zur Wehr setzte und dem Frechen eine schallende Ohrfeige verpaßte.

Der Abend war noch früh, obwohl es draußen schon dunkel wurde. Es hatte bereits ein paar Schlägereien gegeben oder den Ansatz zu solchen. Dann stiftete der Wirt aber jeweils mit einem Bleiknüppel Frieden, mit dem er kompromißlos dreinhaute.

Oder der derbe Schankknecht, ein Mann von der Kraft und Intelligenz eines Ochsen, setzte die Streithähne vor die Tür. Es roch nach Schweiß, Bier und nach Essen in der Hafenkneipe.

Rykmer Dethlefsen mochte sich das lose Treiben bald nicht mehr ansehen, denn er war ein sehr sittenstrenger Mann, der sich wenig und anderen gar nichts gönnte. Noch einmal ermahnte er den Bootsmann, dafür zu sorgen, daß die Matrosen der »König Konrad« nicht zu sehr über die Stränge schlugen.

»Ich komme in einer Stunde wieder«, sagte er, weil er dem Bootsmann nicht so recht traute. »Dann gehen wir alle zusammen an Bord. Sorg dafür, daß unsere Leute nicht zuviel trinken.«

»Ja, Herr Steuermann, zu Befehl, Herr Steuermann.«

Rutsch mir doch den Buckel herunter, dachte der Bootsmann – du bist wirklich ein Spielverderber. Wochenlang sind wir dann wieder auf See, und du gönnst uns nicht einmal einen ordentlichen Abschiedstrunk und eine gute Feier.

Rykmer Dethlefsen ging hinaus. Ehe er jedoch einen Imbißstand aufsuchte, wie er es vorhatte, ging er zum Abtritt hinter dem Haus. Dethlefsen war außer ein Spaßverderber und übertrieben sittenstreng auch noch geizig – am Imbißstand war das Essen billiger.

Ihm fiel nicht auf, daß der Graubart unmittelbar nach ihm die Schenke verlassen hatte. Es war dunstig und kalt draußen, es nieselte, und es war ungemütlich. Von der Elbe her zogen Nebel und Dunst durch die Stadt, die im Jahr 1392 nur sehr spärlich erleuchtet war. Eine Straßenbeleuchtung gab es überhaupt nicht.

Vor den Kneipen hingen Laternen. Aus den Häusern schimmerte Licht und fielen Lichtbahnen. Der Nachtwächter und die Stadtwache waren schon unterwegs. Im Hafen lagen zahlreiche Koggen vor Anker, denn Hamburg war eine der größten und wichtigsten Städte der Hanse.

Dethlefsen stellte sich also an den Abtritt und erleichterte seine Blase, wobei er zufrieden seufzte. Das Bezahlen seines Weins hatte er dem Bootsmann überlassen, was er gerne tat.

Als er sich umdrehte, um den Abort zu verlassen, sah er den Grauhaarigen vor der Tür stehen. Er wollte an ihm vorbei.

»Einen Augenblick, Steuermann«, sagte da dieser auf Plattdeutsch zu ihm, wobei man hörte, daß er kein gebürtiger Hamburger war.

»Was willst du, Bursche? Faß mich nicht an.«

Als der Hüne ihn nicht losließ, riß sich der Steuermann frei und zog ein Dolchmesser unter dem Wams hervor.

»Bist du ein Wegelagerer? Verschwinde, oder ich schlitze dich auf.«

Doch da packte eine eiserne Faust die Hand des Steuermanns, der kein Schwächling war, und quetschte sie derart zusammen, daß er den Dolch mit einem Schmerzensschrei fallen ließ. Dann krachte ihm die Linke des Hünen ans Kinn, daß ihm Hören und Sehen verging. Den nächsten harten Schlag spürte er schon nicht mehr richtig.

Der Hüne hielt ihn fest, damit er nicht niedersank, und schaute sich um. Die Szene war unbeobachtet geblieben. Da warf sich der Hüne den bewußtlosen Steuermann über die Schulter, als ob dieser ein Lumpenbündel sei, und verdrückte sich mit seiner Last um die Ecke.

Er ging durch die Hinterhöfe und klopfte an eine Hintertür. Bald öffnete ihm eine stark geschminkte Dirne, die man bei Licht besser nicht zu genau angeschaut hätte.

»Da habe ich ihn, Grete. Es läuft wie besprochen.«

»Komm rein.«

Die Hafendirne arbeitete in einem festen Haus und führte den Hünen mit seiner Last in ihr Zimmer. Dort legte er den Bewußtlosen in ihr Bett.

»Los, hol den Branntwein.«

Die Hafendirne Grete gehorchte. Sie wurde gut entlohnt, der Grauhaarige, dessen Namen sie nicht kannte, hatte ihr alles erklärt. Sie flößte Dethlefsen den Branntwein ein, nachdem sie ihn geholt hatte, als er wieder erwachte. Der Grauhaarige hielt ihn fest.

Dann stieß er ihm einen Trichter in den Mund, und eine Ladung Wein und ein Krug Bier kamen hinterher. Den Rest von dem obergärigen Bier trank der Grauhaarige selbst. Er seufzte zufrieden, als er den leeren Humpen absetzte.

Rykmer Dethlefsen war bald sinnlos betrunken, etwas, was ihm im ganzen Leben noch nie passiert war. Vielleicht war er der einzige Seemann auf der Welt überhaupt, der bis dato noch nie einen Rausch gehabt hatte. Das holte er nun gründlich nach.

»Flöße ihm weiter ein, Grete, daß er nicht zu sich kommt«, verlangte der Grauhaarige.

»Und wenn er mein Bett beschmutzt?«

»Du erhältst genug Geld dafür. An seinem Geldbeutel kannst du dich schadlos halten. Doch laß ihm ein paar Dukaten darin, damit man dich nicht letztendlich des Diebstahls bezichtigt.«

Damit verabschiedete sich der Grauhaarige und -bärtige und war froh, aus dem nach Schnaps und den unsauberen Gerüchen der schmuddligen Hafendirne stinkenden Raum und dem ganzen Haus zu entkommen. In dem Bordell herrschte ein mittelmäßig reges Treiben. Man hörte im Gang Schritte, Männer- und Frauenstimmen.

Der Grauhaarige zog, als er ging, den Schlapphut tief ins Gesicht.

»Willst du mir nicht deinen Namen sagen?« fragte die Dirne Grete, als sie ihn zum Hinterausgang hinausließ.

»Nenne mich Niemand. Sag einfach, du hast Niemand gesehen.«

Grete brauchte eine Weile, bis sie kapierte, daß dies ein passender Scherz war. Der Hüne verschwand in der Dunkelheit und im Nebel. Kopfschüttelnd kehrte Grete zu ihrem unfreiwilligen Logiergast zurück.

»Niemand hat ihn gebracht«, murmelte sie. »Niemand war da. Aber Niemand bezahlt mich so gut wie Niemand, hahaha.«

Sie ahnte nicht, daß der Mann, den sie als Niemand kannte, kein anderer als Klaus Störtebeker war, in einer Maskerade, und daß sein Tun einen bestimmten Plan verfolgte. Störtebeker war sehr zufrieden. Er begab sich zu dem Gasthaus, wo er sich unter dem Namen Bartolt Maertens einquartiert hatte, und legte sich dort ins Bett.

Er war überzeugt, daß man ihn bald holen würde.

*

Der Bootsmann Hein Lützen war erstaunt und erfreut, als sein Steuermann nach einer Stunde nicht im »Blauen Walfisch« erschien. Er dachte, daß man dann getrost noch etwas feiern könnte, denn Rykmer Dethlefsen würde schon früh genug erscheinen. Er kam aber nicht. Es wurde Mitternacht und darüber hinaus.

Erst als es Zeit war, an Bord zu gehen, zog Lützen mit der Mannschaft los. Sie tappten, alle nicht mehr ganz nüchtern, zum Hafen, wo ihr Käpten – Gandervoort hieß er – sie schon ungeduldig an Bord der Kogge »König Konrad« erwartete.

Die Positionslaternen leuchteten. Auf zwei anderen Schiffen, die ebenfalls auslaufen wollten, wurden schon die Segel gesetzt.

»Wo bleibt ihr denn, beim blutigen Klabautermann?« schimpfte Gandervoort, ein rotgesichtiger, stiernackiger Mann, der an Bord eigensinnig und mit harter Hand dirigierte. »Und wo ist der Steuermann?«

»Ist er denn nicht an Bord?« fragte Hein Lützen.

»Würde ich dich das fragen, wenn er hier wäre, du Schafskopf?« polterte Gandervoort. »Wann hast du ihn zuletzt gesehen?«

Der Bootsmann erklärte es seinem Kapitän, der sofort seine Trillerpfeife nahm und laut blies, als könnte er damit den Steuermann herbeilocken. Kapitän Rasmus Gandervoort erbleichte. Er mußte auslaufen, sein Reeder riß ihm sonst den Kopf ab, im übertragenen Sinn jedenfalls.

Und ohne Steuermann war Gandervoort aufgeschmissen.

»Was machen wir nur, was machen wir nur?« fragte er und rannte auf Deck hin und her, als ob er Ameisen in der Hose hätte. »Dem Steuermann muß etwas zugestoßen sein. – Was soll ich nur tun?«

Hein Lützen überlegte.

»Da war doch einer, der hier an Bord nach Arbeit fragte… Bertolt oder so ähnlich hieß er. Martin mit Nachnamen.«

»Nein, Bartolt Maertens«, sagte der Käpten, der ein gutes Namensgedächtnis hatte. »Er wollte unbedingt anheuern, und er sagte, er hätte ein Steuermannspatent. Und die Erlaubnis der Hanse.«

Auf den Hanseschiffen konnte nicht jedermann Steuermann sein. Es gab Regelungen und Vorschriften, wie bei den Zünften auch. Maertens war nicht genommen worden, weil Kapitän Gandervoort seine Mannschaft vollzählig hatte, obwohl er sich erboten hatte, auch einfache Matrosenarbeit zu verrichten.

Er hatte jedoch hinterlassen, wo er zu erreichen sei »für den Fall, daß etwas sich ändern sollte«.

Das fiel dem Käpten jetzt ein.

»Los, schick den Schiffsjungen, Bootsmann, aber fix. Er soll Bartolt Maertens herholen, wir haben eine Heuer für ihn – sogar als Steuermann. Und er soll sich beeilen, wir müssen auslaufen.«

Der Schiffsjunge flitzte los wie ein geölter Blitz. Kurz darauf erschien er mit »Bartolt Maertens«, den er aus dem Gasthof geholt hatte und der erstaunlich schnell fertig gewesen war. Bald darauf lief die »König Konrad« mit geschwellten Segeln aus. Bartolt Maertens stand am Steuer, und Kapitän Gandervoort stellte zufrieden fest, daß er anscheinend einen sehr guten Griff mit ihm gemacht hatte.

Er ahnte ja nicht, daß er sich Klaus Störteker an Bord geholt hatte und ihm sein Schiff anvertraute.

*

Rykmer Dethlefsen erwachte erst gegen Mittag aus seinem Schlaf. Sein Schädel dröhnte wie eine Kalbfelltrommel, und er brauchte eine Weile, um sich zu besinnen. Die Wasseruhr zeigte ihm, wie spät es war. Da zog er sich schleunigst an. Als er in seinen Geldbeutel schaute, traf ihn fast der Schlag – da waren gerade noch ein paar Groschen drin.

Der Steuermann war allein. Wie er feststellte, hatte man ihm sogar die Stiefel gestohlen. Nur mit den Fußlappen an den Füßen lief er auf den Korridor und schlug Lärm. Der Hurenwirt, dem das Haus gehörte, erschien. Hinter ihm standen zwei stämmige Kerle, und er war selber groß, kräftig, beleibt und mit brutalem Gesicht.

»Was willst du?« knurrte er Dethlefsen an. »Was soll dieser Lärm?«

Ein paar Dirnen schauten aus ihren Zimmern, hielten sich jedoch aus der Sache heraus.

»Wo bin ich, wie komme ich denn hierher?« fragte Rykmer Dethlefsen, dem fast der Schädel platzte und der einen Geschmack wie von alten Fußlappen im Mund hatte. »Ich habe mein Schiff verpaßt, es ist ausgelaufen.«

»Was geht mich dein Schiff an?« fragte der Hausbesitzer. »Mit deinen Füßen bist du hereingekommen, wie sonst wohl? Das ist ein ehrenwertes Haus, hier hat alles seine Ordnung.«

»Aber… Ich kann mich an nichts erinnern. Ich weiß nur noch, daß ich den ›Blauen Walfisch‹ verlassen habe. Dann war da ein Mann… Weiter weiß ich von nichts, bis ich hier erwachte.«

Störtebekers Schläge hatten den Kopf des Steuermanns durcheinandergebracht und eine Erinnerungslücke erzeugt, wie sie bei Gehirnerschütterungen vorkam.

»Du bist nicht der Erste, dem nach einem Vollrausch ein paar Stunden fehlen«, sagte der Hausbesitzer. »Das Saufen geht auf den Verstand, laß dir das eine Lehre sein.«

»Aber… wo ist denn mein Geld?«

»Was weiß ich denn, wo du es vertrunken oder verspielt hast oder in welcher Spelunke du es dir stehlen ließest? Bei mir wird nicht gestohlen, das ist ein ehrliches Haus, meine Mädchen sind anständig.«

Rykmer Dethlefsen verstand die Welt nicht. Als dann die keineswegs mehr junge Dirne Grete erschien und behauptete, er wäre betrunken zu ihr gekommen, habe sie dann beschlafen – »Mit einiger Mühe, aber es ging noch«, log sie frech, und er habe Branntwein und Bier verlangt und weiter gezecht, wußte Dethlefsen nicht mehr, was er von sich denken sollte.

So etwas war ihm in seiner ganzen Seefahrerlaufbahn noch nie passiert. Als er nach seinem Geld fragte, sein Geldbeutel war prall gefüllt gewesen, zuckten der Hausbesitzer, seine Knechte und die Dirne Grete nur mit den Schultern.

»Bist du nicht alt genug, um selbst auf dein Geld aufpassen zu können, du Saufbold?« fragte der grobe Hauswirt. Ein freundliches Gemüt konnte man für seinen Job nicht gebrauchen. »Scher dich fort, du hast deinen Rausch ausgeschlafen, was wir dir aus Gnade und Barmherzigkeit gestatteten und was sonst nicht üblich ist.«

»Aber wo sind meine Stiefel?« zeterte Dethlefsen. Undeutlich kam ihm eine Erinnerung. »Der Einäugige mit dem grauen Bart muß sie mir genommen haben.«

»Ich kenne keinen Einäugigen«, brummte der Hurenwirt. »Ich hab’ deine Stiefel nicht. – Pack dich, oder ich rufe die Stadtgarde. – Diese Quartalssäufer, furchtbar ist es mit denen. Nichts als Scherereien hat man damit.«

»Ich bin der Steuermann der ›König Konrad‹«, versuchte Dethlefsen aufzutrumpfen.

Er wurde ausgelacht.

»Ei, die ist heute früh mit der Ebbe ausgelaufen und schwimmt wohl schon auf der Nordsee. Ob mit oder ohne Steuermann.«

»Aber… ich werde an Bord gebraucht. Ich bin unentbehrlich. Das kann Kapitän Gandervoort doch nicht machen…«

»Er kann, und er hat«, brummte der Hurenwirt. »Und du – raus mit dir! Mach es mit deinem Reeder aus, wenn du wirklich der Steuermann vom ›König Konrad‹ bist, daß du nicht rechtzeitig zum Auslaufen an Bord warst.«

Siedend heiß fiel Dethlefsen ein, daß er sich bei seinem Reeder rechtfertigen mußte. Er wollte auch nicht, daß die Stadtwache geholt wurde, was ihm sehr peinlich gewesen wäre. Schließlich hatte er bei der Hanse durchaus einen Namen, den er sich nicht verderben wollte, und in einem Hurenhaus aufgegriffen zu werden, ohne Stiefel und ohne Geld – die paar Groschen zählten nicht – nach einem schweren Besäufnis, das würde seinem Ruf sehr schaden.

Er drückte sich also hinaus, schlich nur mit den Fußlappen an den Stiefeln durch die Straßen und Gassen und konnte den Tag nicht genießen. Er vermied es, erkannt zu werden – jeder kannte ihn nicht, aber es gab schon welche – und mied öffentliche Straßen und Plätze.

Schließlich faßte er sich doch ein Herz, nachdem er an einem Fischstand einen sauren Hering und eingelegte Gurken gegen seinen Kater verzehrt hatte. Am Brunnen trank er dann Wasser und tauchte den Brummschädel hinein.

Danach ging es ihm ein wenig besser. Angstvoll und mit trüben Gedanken schlich er sich zum Kontor seines Reeders, der natürlich am Hafen lag. Er trat in die Schreibstube, wo die Federfuchser, die Kontorschreiber, an ihren Stehpulten standen, dicke Wälzer von Aktenbüchern beschrieben und die Korrespondenz erledigten.

Der Arbeitstag dauerte zwölf Stunden, das ging sechs Tage die Woche. Die Kontoristen hatten da nichts zu lachen. Der Kontorvorsteher, ein Glatzkopf mit grauen Haarbüscheln an der Kopfseite, war der einzige, der hier saß, und zwar an einem erhöhten Platz, von dem aus er jeden einzelnen im Auge hatte.

Unheildrohend schaute er den armen Dethlefsen über seine flaschenbodendicken Brillengläser an – die Brille war ein sehr seltenes

Exemplar, auf venetianische Art geschliffen. Er deutete mit der Gänsefeder auf ihn, als ob er ihn aufspießen wollte.

»Da seid Ihr ja. Daß Ihr euch überhaupt noch hierher getraut, Dethlefsen. Kapitän Gandervoort schickte Nachricht, daß Ihr beim Auslaufen des Schiffes gefehlt hättet. Zum Glück fand er einen anderen Steuermann. – Der Reeder ist sehr zornig auf Euch, und ich hoffe für Euch, daß Ihr einen triftigen Grund habt.«

»Ich will mit dem Herrn Brookenziep selbst sprechen, Kontormeister.«

»Da müßt Ihr Euch eine Weile gedulden. Er hat dringenden geschäftlichen Besuch und verhandelt in seinem Arbeitszimmer mit wichtigen Persönlichkeiten. – Setzt Euch da in die Ecke. – Wie seht ihr denn aus, tsk, tsk, tsk.«

Dethlefsen setzte sich nieder und saß wie auf glühenden Kohlen. Nach einer Weile wurde er in das Büro des Reeders und Kaufherrn Hinrich Adam Brookenziep gerufen, eines strengen Herrn Mitte Vierzig, der schon eisgrau war und keine Fisimatenten duldete.