Kleiner König Kalle Wirsch - Tilde Michels - E-Book + Hörbuch

Kleiner König Kalle Wirsch E-Book und Hörbuch

Tilde Michels

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Beschreibung

Der kleine König Kalle Wirsch muss sein Reich gegen den bösen Zoppo Trump behaupten. Zum Glück bekommt er Hilfe von Max und Jenny, die ihm in sein märchenhaftes Reich unter der Erde folgen. Eine fantasievolle Troll-Geschichte und ein unvergessliches Abenteuer à la Hobbit für kleine Leser und Fantasten.  

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Seitenzahl: 143

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Zeit:3 Std. 10 min

Sprecher:Wolfgang Völz

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Neuausgabe 2022

(8. Gesamtauflage)

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 1985

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Veronika Preisler

Satz: Sandra Hacke

Druck: CPI books GmbH, Leck

E-Book Konvertierung: Newgen publishing

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-82751-8

ISBN 978-3-451-71636-2

Inhalt

Eine seltsame Verwandlung

Wer erlöst Kalle Wirsch?

Einiges über die Erdmännchen

Wie man verdoppelt wird

Die Schattenquelle

Geheime Nachricht in der Weißen Grotte

Am See der Finsternis

Der wunderliche Kohlen-Juke

Der Wächter am Rubinberg

Echokugeln und Irrwege

Am Goldfluss

Hitze, Angst und die zänkischen Vulkaniden

Der schreckliche Murrumesch

Die Reise im Feuerwurm

Kampf in der Wiwogitrumu-Burg

Heimkehr

EINE SELTSAME VERWANDLUNG

Durch alle Höhlen und Erdgänge hallte Zoppos Aufruf, und in kurzer Zeit wussten sämtliche Erdmännchen davon.

„Zoppo Trump will gegen Kalle Wirsch kämpfen. – Habt ihr’s gehört? Zoppo hat es gewagt, König Kalle zu fordern.“

Das war ein Ereignis, das alle erregte. Zoppo Trump, der sich selbst „der Starke“ nannte, wollte mit Kalle Wirsch um die Königswürde kämpfen!

Alle wussten, dass der Erdmännchenkönig noch nie im Wettstreit besiegt worden war. Seit ewigen Zeiten regierte er das unterirdische Reich. Er war König der fünf Erdmännchenvölker: der Wirsche, Wolde, Gilche, Trumpe und Murke.

Zoppo gehörte zum Volk der Trumpe. Er galt als hinterlistig und feige. Alle wunderten sich über seine plötzliche Kühnheit.

„Er wagt es!“, riefen sie erstaunt.

Zoppo Trump hockte indessen in einem Felsloch und rieb sich die Hände; denn er hatte einen heimtückischen Plan ausgebrütet.

Es gab ein altes Erdmännchengesetz, wonach jeder, der den König im Wettstreit besiegte, selbst König werden konnte.

Und das wollte Zoppo. Er wollte Macht, er wollte Kalle Wirsch absetzen.

Aber er fürchtete den Wettkampf. Deshalb hatte er lange und gründlich darüber nachgesonnen, ob es keinen anderen

Weg gäbe, um dieses Ziel zu erreichen. Und er hatte ihn gefunden! Jetzt hockte er im Felsloch und rieb sich die Hände: Er hatte nämlich das alte Gesetzbuch über den Königskampf hervorgewühlt und Seite um Seite darin studiert. Dabei war er auf einen kleinen Satz gestoßen, der ihm die Idee zu seinem bösen Plan eingab. Dieser Satz lautete: „… es sei denn, der König käme nicht.“

Jetzt wusste Zoppo Trump, was er tun musste.

Zuerst forderte er Kalle Wirsch zum Wettstreit, wie das Gesetz es verlangte. Zur gleichen Zeit aber rief er eine geheime Verschwörung zusammen. Dazu gehörten vier Trumpe und eine Ratte mit roten Augen. Die Ratte war

Zoppo treu ergeben und schnüffelte überall für ihn herum.

Die Trumpe blickten so verwegen drein, dass man ihnen jede Schandtat zutraute.

Diese fünf weihte Zoppo in seinen Plan gegen Kalle Wirsch ein.

„Versteht ihr?“, rief er. „Begreift ihr? Kapiert ihr? Er darf nicht kommen! Er darf nicht erscheinen! Er muss beim Treffen aller Erdmännchenvölker“ – er schnippte mit den Fingern – „futsch sein.“

Die Trumpe nickten eifrig mit den Köpfen.

„Und der Kampf?“, fragte die Ratte.

„Findet nicht statt“, erklärte Zoppo. „Oder hast du schon mal gesehen, wie einer mit einem König gekämpft hat, der“ – wieder schnippte er mit den Fingern – „futsch war?“ Die Ratte pfiff schrill vor Vergnügen, und die vier Trumpe schlugen Zoppo begeistert auf die Schultern.

Zoppo aber schüttelte ihre derben Fäuste ab und sagte hochmütig: „Gewöhnt euch bessere Manieren an. Bald werde ich euer König sein.“

Dann winkte er ihnen, sich in einen Halbkreis um ihn zu setzen, und sagte: „Kalle Wirsch muss sich jetzt zur Wanderung in die Erdmännchenburg rüsten.“

„Weil er glaubt, er muss dort mit dir kämpfen.“

„Weil du ihn gefordert hast.“

„Weil du so mutig bist.“

„So stark, so kühn, so verwegen!“, riefen die vier Trumpe dazwischen.

„Kich-ch-ch“, zischte die Ratte und peitschte vor Vergnügen mit ihrem langen Schwanz heftig um sich.

„Zurzeit“, fuhr Zoppo fort, „befindet sich Kalle Wirsch mit seinem Stammvolk, den Wirschen, in der Nähe der roten Marmorfelsen. Ihr kennt das Gebiet. Kommende Nacht ist Neumond. Da versammeln sich die Wirsche auf dem Hügel bei den Marmorfelsen, um gemeinsam die Wanderung zur

Wiwogitrumu-Burg anzutreten. So weit ist alles klar – oder?“

„Alles klar“, bestätigten die Trumpe untertänig.

„Und jetzt hört genau zu“, fuhr Zoppo fort. „Jetzt erkläre ich euch, welche Aufgabe ich euch zugedacht habe: Dicht an diesem Hügel steht ein altes Haus. Seine Rückwand ist an die glatten, senkrecht abfallenden Marmorfelsen angebaut. Das Haus lehnt also am Hang. Von oben seht ihr nur das Dach, das an den Hügel stößt. – Es ist ein Leichtes, von dort aus auf dieses Dach zu gelangen.“

„Häuser und Dächer sind unangenehm“, warf einer der Trumpe ein, aber Zoppo wischte den Einwand mit einer Handbewegung fort.

„Ein Leichtes“, wiederholte er. „Auf diesem Dach befindet sich ein Schornstein, durch den jemand, der hineinfällt, in die Behausung eines Menschen gerät.“

„In Menschenhäuser zu fallen ist unangenehm“, „höchst unangenehm“, „äußerst unangenehm“, murmelten die Trumpe.

„Ich habe nicht gesagt, dass ihr hineinfallen sollt, ich habe gesagt, dass jemand hineinfällt.

„Und dieser Jemand …“, kreischte die Ratte.

„Und dieser Jemand …“, grölten die Trumpe; sie hatten jetzt begriffen, um was es ging. „Und dieser Jemand heißt Kall…“

„Psst, nicht so laut“, unterbrach sie Zoppo Trump. „Euch also habe ich für die ehrenvolle Aufgabe ausersehen, Kalle Wirsch heimlich beiseitezuschaffen und …“ Den Rest seines schändlichen Plans tuschelte er jedem einzeln ins Ohr, aber er ist ja nicht schwer zu erraten.

So kam es, dass Kalle Wirsch in der Neumondnacht, während sich die Wirsche bei den roten Marmorfelsen versammelten, von fünf dunklen Gestalten gepackt, aufs Dach geschleppt und in den Kamin gestoßen wurde.

Alles ging blitzschnell. Keiner der Wirsche hatte etwas von dem Überfall bemerkt, keiner hatte Kalles Hilferuf vernommen. Sie wuselten umher und sprachen aufgeregt über den bevorstehenden Kampf und von ihrer Wanderung in die Erdmännchenburg.

Die Verschwörer auf dem Dach beobachteten sie mit hämischem Grinsen.

Dann rutschten die Trumpe vorsichtig die Schindeln hinab und verschwanden in einer Felsspalte, um Zoppo von dem geglückten Anschlag zu berichten. Die Ratte blieb allein zurück. Sie wollte auskundschaften, ob alles so lief, wie sie es geplant hatten.

Indessen sauste Kalle Wirsch kopfüber durch den dunklen Kamin. Die Sinne schwanden ihm, er spürte noch einen dumpfen Aufprall und dann wusste er nichts mehr von sich.

Er wusste nicht, dass er in die Werkstatt eines alten Töpfermeisters gefallen war, der Gartenzwerge aus Ton anfertigte. Er lag bewusstlos auf dem Rost des Kamins, als der Meister am nächsten Morgen in die Werkstatt trat. Zum Glück hörte er auch nicht, was dieser bei seinem Anblick sagte, denn das hätte ihn bitter beleidigt. Der Töpfer sagte nämlich:

„Nanu, was haben wir denn da für eine Missgestalt?“

Ganz gewiss hätte jedes Kind erkannt, dass Kalle Wirsch keine Missgestalt war, sondern dass er mit seinem dicken Zottelkopf und dem zierlichen Körper nach etwas Besonderem aussah. Der alte Töpfer jedoch erkannte das nicht.

Er hatte in seinem Leben schon zu viele bunte Gartenzwerge aus Ton gemacht, alle mit roten Zipfelmützen, grünen Gärtnerschürzen und Krausbärten. Dabei hatte er den Blick für das Besondere verloren.

„Hm, hm, hm“, brummelte er, „da hat mein Lehrling ja ganz miserabel gearbeitet. So einen scheußlichen Gartenzwerg kauft mir kein Mensch ab.“

Er griff nach Kalle und drückte und knetete mit seinen großen Händen an ihm herum.

Vielleicht könnte man ihn ein bisschen verbessern, überlegte er. Ganz hart ist er noch nicht geworden.

Der Töpfer nahm einen Batzen Ton, klatschte ihn dem bewusstlosen Kalle ins Gesicht, formte eine Gartenzwergnase, Gartenzwergbäckchen und einen Gartenzwergbart. Dann schmierte er ihm Ton über den ganzen Körper und setzte ihm zum Schluss eine Zipfelmütze auf. Hinterher stellte er ihn zum Trocknen auf.

Kalle Wirsch merkte nichts von der Veränderung, die mit ihm vorgegangen war. Der Sturz durch den Kamin war so heftig gewesen, dass er nicht einmal zu sich kam, als ihn der Töpfer mit Glasurfarbe bestrich und zum Brennen in den Ofen schob. Rundherum eingebacken in eine feste Tonmasse, kam Kalle aus dem Ofen. Dann wurde er in Holzwolle verpackt und in einen Laden zum Verkauf gebracht.

Im Schaufenster, wo er mit vielen anderen Tonzwergen ausgestellt wurde, erwachte er endlich aus seiner tiefen Ohnmacht. Er schlug die Augen auf – und das war das Einzige, was er konnte. Sonst war er stocksteif und unbeweglich; nur die Augen hatte ihm der Töpfer nicht zugeschmiert.

Kalle Wirsch versuchte, mit der Hand an seinen Kopf zu fassen, aber die Hand rührte sich nicht von der Stelle.

„Was ist mit mir los?“, dachte Kalle. Er konnte zuerst nur mit großer Mühe denken, und wenn er ein paar Worte gedacht hatte, klappten ihm die Augen wieder zu vor Erschöpfung.

„Wo bin ich?“, versuchte er zu ergründen. Aber noch bevor er sich Antwort verschaffen konnte, senkten sich die Nebel der Müdigkeit über ihn.

Nach einer Weile hatte er sich so weit erholt, dass er seine Augen länger offen halten konnte. Er rollte sie nach rechts und nach links. Überall erblickte er komische kleine Gestalten mit Bärten, grünen Schürzen und roten Zipfelmützen. Einige hielten Pfeifchen im Mund, andere hatten Laternen oder Schubkarren. Wieder andere angelten, obwohl Kalle nirgends Wasser sah. – Eine merkwürdige Versammlung war das!

„Wie ulkig die aussehen“, dachte Kalle, „ganz anders als ich.“ Wieso anders? Woher wusste er, dass er anders aussah? Wie sah er denn eigentlich aus und wer war er überhaupt?

Kalle Wirsch rätselte und grübelte, aber da war etwas in seinem Kopf wie eine Nebelwand, die er nicht durchstoßen konnte.

Er hatte vergessen, dass er Kalle hieß, und er wusste nicht mehr, dass er ein König war.

„Vielleicht sehe ich doch so aus wie die andern“, überlegte er, „so scheußlich bunt gelackt.“

Wenn er nur den Kopf wenden und sich betrachten könnte! Aber der Kopf saß fest wie Gusseisen. Um sich Gewissheit zu verschaffen, äugte Kalle an sich herunter; er verdrehte die Augen und schielte nach allen Richtungen. Was er jedoch an sich erspähte, machte ihn völlig mutlos: Er hatte also auch eine glänzende Knollennase, einen Krausbart und eine giftgrüne Schürze. Die rote Zipfelmütze konnte er natürlich nicht sehen, aber er zweifelte nicht daran, dass auch auf seinem Kopf so ein lächerliches Ding thronte.

Es schien also keinen Unterschied zu geben zwischen ihm und den komischen Kerlen da. Und doch wusste er ganz genau, dass er nicht zu ihnen gehörte.

Was war nur los mit ihm? – Wer war er?

Traurig starrte Kalle durch die Schaufensterscheibe auf die Straße. Menschen hasteten vorüber. Menschen hatte er früher schon gesehen, die erkannte er wieder.

Auf der Straßenseite gegenüber befand sich eine Gaststube, in der man Bier und belegte Brote kaufen konnte. KALTES BÜFETT stand in bunter Leuchtschrift darüber. Die Buchstaben gingen an und aus, an und aus, immer einer nach dem andern.

K-A-L-T-E-S B-Ü-F-E-T-T

K

K-A

K-A-L

Kalle!, durchzuckte es ihn. Kalle Wirsch! – Das war er. Das war sein Name. Darüber konnte kein Zweifel bestehen. T-E-S B-Ü-F-E-T-T schrieb die Leuchtschrift weiter, und dann begann sie von vorn: K-A-L …

„Kalle“, flüsterte der kleine König. Er klammerte sich an diese einzige Erinnerung, die ihm aus dem Bereich hinter der Nebelwand gekommen war.

„Kalle, Kalle Wirsch“, wiederholte er immer und immer wieder, als müsse es gelingen, mit diesem Namen noch mehr hervorzuziehen aus dem Nebel. Aber mehr wollte nicht kommen.

Kalle rollte die Augen zu seinem rechten Nachbarn. Es war ein Pausback, der seinen Mund zu einem breiten Lachen verzog. „Hoffentlich grinse ich nicht auch so von einem Ohr zum andern“, dachte Kalle. „Das sieht doch zu dumm aus, wenn einer immerzu ohne Grund lacht.“

Vielleicht konnte er aber doch etwas erfahren von diesem Pausback. Der sah so fröhlich aus, der wusste sicher ganz genau, wer er war und was es bedeutete, dass sie alle in diesem Schaufenster standen.

„Guten Tag“, begann Kalle die Unterhaltung.

Es waren die ersten Worte, die er seit seiner Verwandlung laut sprach, und er wunderte sich, wie dumpf seine Stimme klang. Wie aus einer Gießkanne. Er spürte auch etwas Festes vor dem Mund, das ihn hinderte, die Lippen richtig zu bewegen.

„Wenn mein Mund ebenso steif gelackt ist wie meine Nase, dann ist das kein Wunder“, dachte er.

Der Pausback hatte Kalles Gruß nicht erwidert, trotzdem versuchte es Kalle noch einmal. „Wären Sie bitte so freundlich, mir zu erklären, wer Sie sind?“, fragte er.

Der Pausbäckige blieb stumm.

„Sagen Sie doch etwas“, bat Kalle, „irgendetwas.“

Als aber wieder keine Antwort kam, begriff Kalle, dass dieser Zipfelmützenkerl überhaupt nicht reden konnte. Er bestand aus einer ganz und gar leblosen Masse. Jetzt hatte Kalle die Gewissheit, dass er wirklich etwas anderes war – aber was?

Während er wieder in tiefe Grübelei versank, hörte er das Klingeln einer Glocke, eine Tür ging auf, und dann vernahm er menschliche Stimmen. „Bitte sehr, hier“, sagte jemand, „wenn ihr euch einen aussuchen wollt. Wir haben eine große Auswahl an Gartenzwergen.“

Dann wurde Kalle Wirsch gepackt und mit einigen anderen auf einen Tisch gestellt. Also Gartenzwerge waren das, soviel wusste er jetzt wenigstens.

Von dem Tisch aus konnte er den ganzen Laden überblicken. Er sah die Verkäuferin und zwei Kinder, die gekommen waren, um einen Gartenzwerg zu kaufen. Es waren ein Junge und ein Mädchen, und sie gefielen Kalle auf den ersten Blick.

„Hoffentlich kaufen sie mich“, wünschte er. „Ich muss unbedingt hier raus.“

Die Kinder betrachteten alle Zwerge sehr genau.

„Den da vielleicht?“, meinte das Mädchen und nahm den kleinsten vom Tisch.

„Lieber einen größeren“, sagte der Junge.

„Den mit der Laterne?“

„Der ist zu dick.“

„Und der mit dem Schubkarren?“

Der Junge prüfte den Zwerg mit dem Schubkarren eingehend und erklärte dann: „Der ist in Ordnung, Jenny, den nehmen wir.“

„Vorbei“, dachte Kalle niedergeschlagen, „vorbei, sie nehmen einen anderen.“

Flehentlich sah er zu dem Mädchen Jenny hinüber. Er traf ihren Blick, und da weiteten sich ihre Augen vor Erstaunen.

„Schau doch nur den an, Max“, sagte sie zu ihrem Bruder.

„Der sieht aus wie lebendig. Er hat ganz traurige Augen.“

„Unsere Gartenzwerge sind nicht traurig“, widersprach die Verkäuferin. „Wir haben nur lustige Gartenzwerge. Echt nach der Natur.“

Bei diesem Gerede schnaubte Kalle Wirsch ärgerlich unter seinem Tongehäuse. Die musste ja wissen, wie Zwerge nach der Natur aussehen!

„Da hat was gegrunzt“, sagte das Mädchen.

„Ich habe nicht gegrunzt“, verteidigte sich die Verkäuferin, obwohl niemand behauptet hatte, sie sei es gewesen.

„Vielleicht war es einer von Ihren Gartenzwergen“, meinte Max.

Die Verkäuferin schüttelte energisch den Kopf. „Unsere Gartenzwerge grunzen nicht.“

„Das ist aber schade“, sagte Max. „Wenn der da zum Beispiel grunzen könnte, dann hätten wir ihn sofort genommen.“ Dabei deutete er auf Kalle Wirsch.

Der Verkäuferin begann die Sache zu dumm zu werden. Sie hatte keine Lust, sich von albernen Kindern alberne Sachen sagen zu lassen. Tonzwerge, die traurige Augen haben und grunzen – lächerlich!

Sie wollte jetzt so schnell wie möglich einen Zwerg verkaufen und diese Kinder loswerden. Deshalb sagte sie: „Vielleicht hat er wirklich gegrunzt. Man kann nie wissen, und überhaupt – so ein Gartenzwerg …“

Das Mädchen Jenny hörte gar nicht mehr auf das Geschwätz der Verkäuferin. Bei ihr stand es felsenfest, dass sie keinen andern haben wollte als den mit den traurigen Augen. Max war schließlich auch einverstanden. Sie zogen ihre Geldbörsen und legten die Ersparnisse zusammen. Es reichte sogar noch für eine Packung Kaugummi.

Sorgsam trugen sie den kleinen Kalle nach Hause in ihren Garten, und dort kamen seine wirren Gedanken zum ersten Mal ein wenig zur Ruhe.

„Max und Jenny“, sagte er leise. „Schöne Namen sind das.

Aber Kalle Wirsch ist auch ein schöner Name.“

Er hatte seinen Namen wiedergefunden, und das war doch ein großer Trost.

WER ERLÖST KALLE WIRSCH?

Als der Abend hereinbrach, blieb Kalle Wirsch allein im Garten zurück. Max und Jenny hatten ihn vor ihr eigenes kleines Beet gestellt; Zinnien und Löwenmäulchen blühten darauf.

Hier gefiel es dem kleinen Kalle viel besser als in dem Verkaufsladen. Der Geruch von feuchter Erde und Gestein kam ihm vertraut vor. Es erinnerte ihn an etwas ganz Bestimmtes.

„Kalle Wirsch – Erde – Gestein“, dachte er. Kalle spürte, dass er der Lösung seines Rätsels nahe war.

Und dann kam die Erkenntnis so plötzlich über ihn, dass er gewiss wieder ohnmächtig umgefallen wäre, wenn ihn das feste Tongehäuse nicht aufrecht gehalten hätte. Um ihn herum wimmelte und wurlte es nämlich mit einem Mal. Der ganze dämmrige Garten war erfüllt von kleinen erdbraunen Gestalten mit großen Wuschelköpfen.

„Das sind die Wirsche“, blitzte es in Kalle auf. „Das sind meine Wirsche!“

Nun endlich hatte er Klarheit. Und er erinnerte sich jetzt auch, dass ihn Zoppos Gesellen in einen Abgrund gestoßen hatten. Nur wie er in diesen Tonzwerg gekommen war, konnte er sich nicht erklären.

„Sie suchen mich überall“, dachte er. „Wir müssen aufbrechen, sonst kommen wir zu spät.“

Da waren Poggo, Akki, Immo, Gurru. Sie hasteten an ihm vorbei, keiner erkannte ihn in der Hülle des Gartenzwerges.

„Wo ist König Kalle? – Wo ist Kalle Wirsch?“, riefen sie.

„Peggo!“, schrie er. „Akki, Immo, Gurru!“

Aber es klang zu leise aus ihm heraus, sie beachteten ihn überhaupt nicht.

Kalle machte in seiner Verzweiflung gewaltige Anstrengungen, um sein Gehäuse zu sprengen. Er stemmte die Arme mit aller Gewalt zur Seite, er versuchte, die Beine zu spreizen, den ganzen Körper zu verdrehen – es war alles unnütz. Seine Kräfte kamen nicht auf gegen den hart gebrannten Ton.

„Sie müssen mich hören“, dachte Kalle. „Ich darf sie nicht fortgehen lassen.“

In höchster Not brüllte er: „Hierher! Alle Wirsche hierher zu mir! Der König ruft euch.“

Dumpf und wie von weit her klang es. Und dann noch einmal: „Der König ruft euch, her zu mir!“