Komödie im Hause Kellermann - Leni Behrendt - E-Book

Komödie im Hause Kellermann E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Auf der kleinen Anhöhe erstreckt sich die Brauerei Hellermann. Wie ein Wahrzeichen erhebt sie sich über der mittelgroßen Stadt, breit und wuchtig wie eine trutzige Feste. Die Gebäude aus mächtigen Steinen zusammengefügt, scheinen wie für die Ewigkeit gebaut. Daher hat ihnen der Brand, der vor zwei Jahren da oben gewütet hatte, äußerlich nichts anhaben können. Abseits steht das Wohnhaus in einem herrlichen Park. Hell leuchten seine weißen Mauern durch das Grün der alten Bäume und scheinen den Besucher, dessen Blick emporgeht zu dem prächtigen Besitz, gastlich zu grüßen. Es war an einem wunderschönen Maitag, als ein fünfjähriger Knabe die sehr gepflegten Parkwege entlangstürmte. Kreuz und quer tappten die drallen Beinchen dahin, und der Ruf: »Manja, wo bist du?« drang zornig über die frischen Lippen, bis der ungeduldige Schreier die Gesuchte endlich entdeckte. Er eilte so stürmisch auf sie zu, daß die Hängematte, in der sie ruhte, einen solchen Schwung bekam, daß sie sich fast überschlagen hätte. »Bist du denn ganz von Sinnen –?« schalt die Erschrockene, als das Gleichgewicht wiederhergestellt war. »Wenn ich nun herausgefallen wäre und mir Arm und Bein gebrochen hätte!« »Hast ja nicht –«, war die seelenruhige Antwort des strammen Bürschchens, das die scharfe Zurechtweisung nicht weiter erschütterte, weil es wahrscheinlich an dergleichen gewöhnt war. »Hast du nicht gehört, wie ich dich gerufen habe?« »Natürlich –!« »Und warum meldest du dich denn nicht?«

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Leni Behrendt Bestseller – 46 –Komödie im Hause Kellermann

Leni Behrendt

Auf der kleinen Anhöhe erstreckt sich die Brauerei Hellermann. Wie ein Wahrzeichen erhebt sie sich über der mittelgroßen Stadt, breit und wuchtig wie eine trutzige Feste.

Die Gebäude aus mächtigen Steinen zusammengefügt, scheinen wie für die Ewigkeit gebaut. Daher hat ihnen der Brand, der vor zwei Jahren da oben gewütet hatte, äußerlich nichts anhaben können.

Abseits steht das Wohnhaus in einem herrlichen Park. Hell leuchten seine weißen Mauern durch das Grün der alten Bäume und scheinen den Besucher, dessen Blick emporgeht zu dem prächtigen Besitz, gastlich zu grüßen.

*

Es war an einem wunderschönen Maitag, als ein fünfjähriger Knabe die sehr gepflegten Parkwege entlangstürmte. Kreuz und quer tappten die drallen Beinchen dahin, und der Ruf: »Manja, wo bist du?« drang zornig über die frischen Lippen, bis der ungeduldige Schreier die Gesuchte endlich entdeckte.

Er eilte so stürmisch auf sie zu, daß die Hängematte, in der sie ruhte, einen solchen Schwung bekam, daß sie sich fast überschlagen hätte.

»Bist du denn ganz von Sinnen –?« schalt die Erschrockene, als das Gleichgewicht wiederhergestellt war. »Wenn ich nun herausgefallen wäre und mir Arm und Bein gebrochen hätte!«

»Hast ja nicht –«, war die seelenruhige Antwort des strammen Bürschchens, das die scharfe Zurechtweisung nicht weiter erschütterte, weil es wahrscheinlich an dergleichen gewöhnt war. »Hast du nicht gehört, wie ich dich gerufen habe?«

»Natürlich –!«

»Und warum meldest du dich denn nicht?«

»Weil ich mal eine einzige Stunde vor dir Ruhe haben möchte.«

»Pöööh –«, tat der Kleine ordentlich verächtlich und griff dabei in die offene Konfitürenschachtel, die an der Seite der Ruhenden stand, was ihm einen derben Klaps auf die Finger eintrug.

»Benimm dich gefälligst? Mach, daß du zu deinem Fräulein kommst und belästige mich nicht. Ich bin doch schließlich nicht dein Kindermädchen. Wo steckt das Fräulein überhaupt?«

»Hat keine Zeit für mich, weil sie deine Strümpfe stopft. Sie sagt, ich soll zu dir gehen und dich ärgern, damit du wenigstens etwas zu tun hast.«

Dabei griff er schon wieder in die Schachtel, worauf er einen noch derberen Schlag auf die kleine braune Faust bekam. Trotzig zog sich die Stirn zusammen, und die leuchtendblauen Augen blitzten zornig die Angreiferin an. Dann trat der gerissene kleine Kerl einige Schritte rückwärts; um aus Reichweite zu gelangen – und dann streckte sich das rote Zünglein heraus so lang es nur war. Schadenfroh sah er dabei in das Gesicht der Dame, das vor Ärger rot anlief. Er mußte wohl ihr Phlegma kennen, da er so ruhig stehen blieb. Mußte wissen, daß sie dieser Entgleisung wegen noch lange nicht ihren behaglichen Platz verlassen würde, um den kleinen Sünder zu bestrafen.

Das erwartete sie jedoch von dem Mann, der den Parkweg entlang auf sie zukam. Eine kraftstrotzende Erscheinung von eiserner Gesundheit, sehnig und breitschultrig wie ein Hüne.

Anscheinend hatte er die Rüpelei des Jungen bemerkt; denn die nervige Hand griff in den blonden Haarschopf, ihn leicht beutelnd, wobei ein Lachen in seinen Augen aufblitzte. Es klang auch eher amüsiert als verweisend, als er sagte: »Wohlerzogen kann ich es beim besten Willen nicht nennen, was ich soeben bemerken mußte, Bürschlein. Benimmt sich denn ein kleiner Kavalier einer Dame gegenüber so vorbei?«

Frank Hellermann der Vater – Frank Detlev Hellermann der Sohn – beide sahen sich mit dem gleichen spitzbübischen Lächeln in die gleichen blitzenden Augen. Ein spitzbübisches Lächeln lag auch auf dem rosigen Knabenmund, als er die Worte formte. »Die Manja ist ja auch keine Dame, Paps!«

Das ließ die hochblondgebleichte Schönheit so ungestüm hochfahren, daß die Hängematte zum zweiten Male beängstigend zu pendeln begann, dem Vater und Sohn seelenruhig zusahen. Als die Matte dann nur noch leise schaukelte, kam es klagend von den rotgefärbten Lippen: »Ach, Frank, der Junge wird von Tag zu Tag rüpelhafter –«

»Soso –«, schaute der Vater aus seiner stattlichen Höhe auf seine verkleinerte Ausgabe herab. »Gerade nicht angenehm für mich, was ich da von dir hören muß, Butz. Was hat dich dazu veranlaßt, der Tante die Zunge zu zeigen?«

»Ooch – Paps – ich wollte mir nur Konfitüren aus der Schachtel nehmen – und da schlug sie mich. Schau mal, meine Hand ist noch ganz rot.«

Treuherzig hielt er dem Vater seine Bubenfaust hin, die an Reinlichkeit zu wünschen übrig ließ. Tatsächlich brannte darauf ein roter Fleck.

»Weiter hast du nichts getan?«

»Nööö – ich hab sie bloß noch gestört.«

Ein herzliches Lachen brach aus der Brust des Mannes, in das der kleine Tunichtgut freudestrahlend einfiel.

So lachten Vater und Sohn ein fröhliches Duett, der Vater voll und warm, der Sohn hell und klingend.

»Frank, es ist unverantwortlich, wie sehr du den Jungen verziehst. Du wirst es noch einmal bereuen –«

»Ach was –«, unterbrach er sie immer noch lachend. »Halte hier keine Kassandrareden. Hättest du ihm die Bonbons freiwillig gegeben, dann hättest du dich nicht zu ärgern brauchen.«

»So –! Und wer hat denn die Plage, wenn er sich den Magen verdirbt und die ganze Nacht jammert? Du doch nicht.«

»Wäre auch noch schöner! Wozu bist du denn da.«

Und diesmal war es die große Männerhand, die in die Schachtel griff und die reiche Beute augenzwinkernd in die Patschen tat, die sich kunstgerecht zu einer Schale formten.

»Herrlich –!« jubelte der kleine Schlingel entzückt. »So viel hätte ich ja gar nicht stibitzen können, weil meine Hand viel kleiner ist –«

Wieder lachten sie ihr so von Herzen kommendes Lachen.

»Nun aber hopp, Bursche, trolle dich!«

Diesem Befehl wurde nur zu gern Folge geleistet. Denn die Augen der Dame, die die verhaltene Wut ihrer Besitzerin widerspiegelten, begannen ihm unbequem zu werden. Während er davonhüpfte, steckte er die Bonbons achtlos in die Taschen seiner weißen Hose.

»Nun sieh dir das bloß an, Frank! Die Dinger weichen doch auf und hinterlassen arge Flecke. Wer soll die beschmierten Hosen nun wieder waschen?«

»Du wahrscheinlich nicht.«

»Das fehlte auch gerade noch! Ich bin doch hier keine Dienstmagd!«

Es war ein sehr ironischer Blick, der die üppige Gestalt streifte. Und ebenso ironisch klang es, als er sagte: »Eine solche Persönlichkeit dürfte es sich nun wirklich nicht herausnehmen, am Vormittag faul in der Hängematte zu liegen und Bonbons zu naschen. Sei hübsch vorsichtig damit; denn deine Figur ist bereits mehr als – vollschlank.«

»Stört dich das etwa?« fragte sie giftig.

»Mich? Keine Spur. Wenn es dir Spaß macht, dann nasche ruhig weiter. Es soll ja Männer geben, die – rosige Fettheit an der Frau lieben.«

Als er es gefährlich in Manjas Augen aufblitzen sah, wandte er sich schmunzelnd ab und schritt rasch die Parkwege entlang dem Hause zu. Dort begab er sich nach dem Kinderzimmer, wo er in der Tür stehenblieb und Zeuge folgender Unterhaltung wurde, die ein ältliches Fräulein mit dem Jungen führte: »Bengel, du klebst ja förmlich vor Schokolade! Woher hast du die wieder gestohlen?«

»Ich habe sie nicht gestohlen –!« verteidigte der Knabe sich empört. »Paps hat sie mir gegeben.«

»Der könnte auch etwas anderes tun, als deine ewigen Rüpeleien noch mit Süßigkeiten zu belohnen. Einen Anzug aus Sackleinen müßtest du tragen, das wäre für dich Ferkel angebracht. Nicht weiße elegante Sachen wie ein Prinz.«

Ärgerlich ging sie daran, dem Jungen die Kleider auszuziehen. Und als sie gar noch die aufgeweichten Schokoladenbonbons in den Taschen der Hose entdeckte, da schlug die knochige Hand derb in das rosige Kindergesicht. Keinen Laut gab der kleine Kerl von sich, nur seine braune Faust drohte zu der Widersacherin hin. In den Augen zuckte es trotzig auf.

»Das laß gefälligst bleiben – du, du Abscheuliche! Sonst sage ich es doch noch einmal meinem Paps, daß du mich immer so gemein haust –!«

»Bengel, wenn du petzt –!«

Schon folgte die zweite Ohrfeige, die den Jungen zurücktaumeln ließ – und das wurde dem wütenden Fräulein zum Verhängnis. Erschrocken fuhr sie herum bei der Stimme, die drohend aufpeitschte.

»Das hat er nicht mehr nötig, Fräulein. Und Sie werden es nicht mehr nötig haben, sich über ihn zu ärgern, weil Sie in dieser Minute entlassen sind. Wischen Sie Ihre Hände ab, an wem Sie wollen, aber nie mehr an dem Gesicht meines Sohnes, verstanden?«

Schreckensbleich starrte die dürre Person in das zorngerötete Gesicht des Mannes, in die Augen, in denen es nur so wetterleuchtete. In feiger Angst weinte sie auf: »Ich – ich habe doch nichts Böses getan –«

»Entschuldigen Sie, wenn ich anderer Ansicht bin. Doch wir wollen über Ansichten nicht weiter diskutieren, denn für mich steht es fest, daß Sie nicht die richtige Betreuerin für meinen Sohn sind. Lassen Sie sich im Büro das Gehalt für einen Monat auszahlen, meinetwegen das Verpflegungsgeld noch dazu. Dann packen Sie schleunigst Ihre Sachen, in einer Stunde steht der Wagen vor der Tür, der Sie zum Bahnhof bringen wird.«

Das war hart und scharf gesagt, daß die sonst so impertinente Angestellte nicht zu widersprechen wagte. Außerdem wollte sie versuchen, ihre behagliche Stellung zu halten. Daher tat sie recht demütig, als sie bat: »Herr Hellermann, wollen Sie es nicht noch einmal mit mir versuchen? Ich versprechen Ihnen –«

»Nichts da –«, schnitt er ihr kurz das Wort ab. »Ihren Versprechungen kann ich keinen Glauben mehr schenken. Zweimal haben Sie, als ich Sie dabei erwischte, wie Sie meinen Sohn derb züchtigten, beteuert, daß Sie sich bessern würden. Beide Male haben Sie Ihr Versprechen nicht gehalten, jetzt ist meine Geduld zu Ende. Sie sollten sich schämen, ein Kind, über das das Mutterauge nicht wachen kann, so brutal zu behandeln! Und nun gehen Sie, bevor ich mich zu etwas hinreißen lasse, das Ihnen nicht angenehm sein dürfte.«

Unwillkürlich bedeckte die bejahrte Maid ihr Gesicht mit den Händen. Und da sie nun einsah, daß keine noch so flehentlichen Bitten den ungehaltenen Mann erweichen würden, ließ sie ihrer Frechheit freien Lauf.

Doch vorsichtshalber trat sie erst einige Schritte rückwärts, dann lachte sie höhnisch auf.

»Ihr Sohn, mein Herr, ist ein äußerst rüpelhafter Bengel, dem jeden Tag die Peitsche fehlt. Ich hielt es schon längst unter meiner Würde, so eine Range zu betreuen.«

»Dann werden Sie es wahrscheinlich auch unter Ihrer Würde halten, sich Gehalt und Verpflegungsgeld, das ich Ihnen gewähren wollte, anzunehmen«, unterbrach er sie gelassen. »Denn Frechheit dem Brotgeber gegenüber, darf nicht noch extra belohnt werden. Und nun zum letzten Mal, rrausss –!«

Dieses eine Wort, zwischen den Zähnen hervorgestoßen, ließ die dreiste Person denn doch vor Schreck erblassen. Immer noch rückwärts tretend, als fürchte sie, hinterrücks angegriffen zu werden, tat sie die letzten Schritte zur Tür – und raste dann davon, als gälte es ihr Leben. Das sah so komisch aus, daß Vater und Sohn schallend lachten.

*

So fand sie Manja, die gleich darauf das Zimmer betrat. Mit schmerzverzogenem Gesicht rieb sie ihre Stirn, auf der sich eine Beule bildete.

»Was habt ihr denn eigentlich?« fragte sie mißmutig. »Ihr lacht hier wie toll, und das Fräulein rast wie blind den Korridor entlang, so daß sie mich, nachdem sie ihren Kopf gegen den meinen stieß, fast über den Haufen gerannt hätte.«

»Vielleicht hatte das impertinente Fräulein allen Grund, so schnell wie möglich aus meiner Nähe zu kommen«, entgegnete der Mann immer noch lachend. »Verdient hat sie ganz gewiß die unverschämten Ohrfeigen, die sie dem Jungen versetzte, nur weil sein Anzug befleckt war.«

»Mein Himmel, davon wird der Bengel nicht alle werden. Wenn du ihn nicht züchtigst, dann müssen es eben andere tun.«

»Eine sonderbare Auffassung hast du«, entgegnete Frank Hellermann scharf. »Ich jedenfalls wünsche nicht, daß mein Sohn von euch Weibsleuten hier als Prügelknabe angesehen wird. Wehe dem, den ich noch einmal bei Tätlichkeiten dem Kinde gegenüber erwische! Der fliegt unbarmherzig aus dem Hause, so wie das Fräulein soeben geflogen ist. Merke auch du dir das, Manja.«

»Du hast das Fräulein entlassen?«

»Jawohl – und zwar fristlos. Diese Kreatur mag ja ganz nach deinem Wunsch gewesen sein, allein nach dem meinen war sie nicht. Nun ziehe den Jungen an, damit ich mit ihm bei Fräulein Kandt Staat machen kann. Aber beeile dich dabei.«

Dieser herrische Befehl ließ der Dame das Rot der Empö­rung in die Wangen steigen. Und vor Empörung zitterte auch ihre Stimme, als sie hervorstieß: »Ich verbitte mir diesen Ton! Anscheinend hast du vergessen, wen du vor dir hast.«

»O nein.« Er betrachtete sie mit zugekniffenen Augen, während ein ironisches Lächeln seinen Mund umspielte. »Wie könnte ich jemals vergessen, daß ich Fräulein Manja Trax vor mir habe. So eine außergewöhnliche Persönlichkeit darf mit gutem Recht auch eine außergewöhnliche Behandlung beanspruchen. Und nun dalli! Ich lasse anspannen und möchte auf den Jungen nicht warten.«

Damit ging er hinaus. Doch kaum, daß er aus der Tür war, ließ ein lauter Aufschrei des Kindes seinen Fuß stocken. Sofort machte er kehrt und kam gerade dazu, als Manja den Knaben bei den Schultern hielt und ihn brutal schüttelte. Dabei schrie sie krebsrot vor Zorn: »Du abscheulicher Bengel, dir gewöhne ich die Petzerei noch ab –! Wehe dir –«

Das Wort erstarb ihr im Munde, als Hellermann plötzlich vor ihr stand. Auch sie trat rückwärts, wie vorhin das unverschämte Kinderfräulein es getan hatte, als sie das harte Gesicht des Mannes sah, in dem die Augen wie blanke Kiesel blitzten. Allein das unerwartete Donnerwetter blieb aus. Was er sprach, klang so eiskalt, daß sie erschauerte.

»Du kannst deine Sachen packen, Manja. Wenn ich aus Zweilinden zurückkehre, dann möchte ich dich in meinem Hause nicht mehr sehen, das dir fortan verschlossen bleibt für alle Zeit.«

Ohne die Verstörte auch nur noch eines Blickes zu würdigen, drückte er dreimal auf den Klingelknopf, worauf die behäbige Wirtschafterin erschien. Ihre pfiffigen Äuglein schauten zuerst auf Manja, aus derem sonst so blühenden Antlitz alle Farbe gewichen war, dann auf den Herrn des Hauses, dessen Augen glitzerten wie bläuliches Eis, zuletzt auf das Kind, auf dessen Gesichtchen rote Flecken brannten – da wußte sie Bescheid.

»Sie haben mich gerufen, Herr Hellermann.«

»Ja, Mamsell. Ziehen Sie dem Jungen einen netten Anzug an, ich möchte mit ihm fortfahren.«

»Aber gern, Herr Hellermann«, beeilte sie sich zu versichern. »Komm, mein Jung­chen, wir wollen uns recht niedlich machen. Alle sollen staunen, was für ein reizendes Kindchen wir haben.«

Frank Detlev musterte mißtrauisch die Sprechende, bei der er an so übermäßige Freundlichkeit nicht gewöhnt war. Auch dem Vater kam diese Sprechweise übertrieben vor, weil der die betuliche Person, die es tatsächlich ehrlich meinte, mit dem Kinde zusammen noch nie gesehen hatte, da sie erst kurze Zeit in seinem Hause war.

»Hören Sie, Mamsell, ich möchte Sie davon unterrichten, daß ich das Kinderfräulein fristlos entlassen habe, da sie meinen Sohn brutal züchtigte, nur weil sein Anzug Schokoladenflecke aufwies. Sollte es noch jemand im Hause wagen, sich an dem wehrlosen Kind zu vergreifen, dann setze ich ihm ohne Erbarmen gleichfalls den Stuhl vor die Tür. Sagen Sie das den Mädchen, die Ihnen unterstellt sind. Wenn mein Sohn ungezogen ist, dann soll das mir gemeldet werden. Dann werde ich urteilen, ob er Strafe verdient hat. Verstanden?«

»Sehr gut, Herr Hellermann – sehr gut sogar.« Sie knickste vor Eifer. »So was darf nicht einreißen, bei Gott nicht. Sich an so einem Bengelchen die Hände wischen, strafbar ist so was. Nicht wahr, mein Herzchen, ich habe dir doch noch nichts getan?«

»Du nicht, du bist sogar lieb zu mir«, bekannte der Knabe ehrlich. »Aber die anderen, die hauen mich oft. Wenn du nun schon einmal aufräumst, Paps, dann schmeiß auch noch die Ella raus und die Fanny, die wischen sich auch die Hände an mir. Nur die Gerda laß hier, die ist ganz in Ordnung«, riet er altklug, was dem Vater ein amüsiertes Lachen entlockte.

»Wir werden ihnen noch eine Frist geben, Butz. Wenn sie sich nicht bessern, dann sage es mir –«

»Aber, Paps, das wäre ja gepetzt«, unterbrach er ihn vorwurfsvoll, doch der Vater wink­te ab.

»Mitnichten, mein Sohn, petzen ist etwas ganz anderes. Den Untreschied mache ich dir ein andermal klar. Jetzt müssen wir machen, daß wir rechtzeitig zu Tante Dörthes Geburtstagskaffee kommen.«

»Fein, Paps.« Das Kind klatschte begeistert in die Händ­chen. »Darf ich auch mit meinem Wagen fahren und kutschieren?«

»Natürlich, mein Butzerlein. Laß dich brav von der Mamsell anziehen. Ich sorge indes dafür, daß angespannt wird.«

Als er sich zur Tür wandte, sah er Manja wie eine arme Sünderin davor stehen. Ihre flehenden Blicke gab er kalt zurück; öffnete die Tür, zeigte mit einer herrischen Handbewegung daraufhin, worauf sie sich dann endlich bequemte zu gehen. Fast tat sie ihm leid, als er die Schultern der Voranschreitenden vor Weinen zucken sah, doch er wollte und durfte kein falsches Mitleid aufkommen lassen.

Es kam nicht oft vor, daß er so energisch durchgriff. Denn er war ein Mensch, der Gemütlichkeit im Hause über alles liebte und daher jedem Ärger gern aus dem Wege ging.

*

Der gegenwärtige Besitzer der namhaften und traditionsreichen Brauerei, Frank Hellermann, war ein ausgesprochen schöner Mann. Dabei hatte er jedoch keine Playboyallüren an sich.

Er war ein tüchtiger Verwalter und Mehrer des ererbten Gu­tes. Doch Frank Hellermann – aus reichem Hause stammend und in sich gefestigt – war vernünftig genug, nicht zu arbeiten um der Arbeit willen, sondern um gut leben zu können

Das gute Leben und seinen eigenen Kopf, die liebte er allerdings über alles.

Aus diesem Grunde hatte der kraftstrotzende, wirklichkeitsnahe Frank Hellermann auch die überzarte, sensible Silvia Kandt zu seiner Gefährtin erwählt, was allen Unken beiderlei Geschlechts viel Stoff geliefert hatte.

Die Ehe der beiden grundverschiedenen Menschen aber war so harmonisch und glücklich verlaufen wie selten eine. Gutmütig ließ Frank die Schwärmereien seiner Gattin über sich ergehen.

Die Gutmütigkeit war ein Grundzug seines Charakters, was aber nicht ausschloß, daß er zuweilen von brutaler Härte war…

Sein Silphinchen, wie er die Frau oft zärtlich nannte, bekam davon allerdings nie etwas zu spüren. Ihr gegenüber war er stets von einer ritterlichen Nachsicht, liebte sie sehr und verwöhnte sie, wo er nur konnte. Seine entzückende Frau ging ihm über alles.

So lebten die beiden Menschen glücklich dahin, hocherfreut, als nach einjähriger Ehe der Stammhalter eintraf und sich ihm nach fast drei Jahren ein Brüderchen zugesellte. Da hätten die glücklichen Eltern mit keinem Menschen der Welt tauschen mögen. –

Bis dann das Schicksal beschloß, den von ihm bisher so Bevorzugten auch einmal einen Schlag zu versetzen – und zwar schlug es gleich so kräftig zu, daß es schon brutal zu nennen war. Das zweitgeborene Söhnchen starb ganz plötzlich im zartesten Kindesalter, und dieser Verlust ließ die zärtliche Mutter fast irrsinnig werden vor Schmerz.

Dazu kam noch, daß gerade an dem Tage, als das Kind bestattet worden war, in der Brauerei ein großer Brand ausbrach – und das gab der feinnervigen Frau den Rest.

Sie glaubte ihr Kind in den Flammen, jammerte und schrie, weil man sie nicht zur Brandstätte ließ, um ihren Liebling zu retten. Und als der Gatte, der sich an dem Rettungswerk beteiligt hatte, in sein Haus zurückkehrte, das von den Flammen verschont geblieben war, blieb ihm nichts anderes übrig, als die irregewordene Frau in eine Anstalt zu bringen.

Das war ein Schlag, der den glücksgewohnten Mann an den Rand der Verzweiflung brachte. Es peinigte ihn Tag und Nacht, daß sein vergöttertes Silphinchen in dem Nervensanatorium elendiglich dahinvegetieren mußte.

Ihm wollte fast das Herz brechen vor Jammer, wenn er sie besuchte und die rührende Geduld sah, mit der die Bedauernswerte alles über sich ergehen ließ.

Nur seiner Silvia helfen, darin gipfelte in den ersten Wochen und Monaten all sein Sinnen und Trachten, alles andere war ihm gleichgültig; sein Brauereibetrieb, sein Hausstand, selbst sein erstgeborenes Söhnchen, dem er bisher ein so zärtlicher Vater gewesen war. Daher war es ihm recht, als seine Base Manja Trax sich erbot, seinem Hause vorzustehen. Vertrauensvoll legte er alles in ihre Hände, selbst die Erziehung seines kleinen Knaben. Bemerkte erst gar nicht, wie raffiniert sie sich bemühte, den Mann, den sie mit allen Fasern ihres Seins für sich begehrte, in ihre Netze zu ziehen.

Seine Gedanken kreisten nur um Silvia, die er nie so heiß geliebt hatte wie jetzt, da sie ihm verloren war. Denn so sehr sich auch berühmte Ärzte um die Kranke bemühten, der unglückliche Mann mußte immer wieder hören, daß das Leiden der Frau unheilbar sei, oder es müßte ein Wunder geschehen. Nun, an Wunder glaubte der wirklichkeitsnahe Frank Hellermann nicht – und doch erhoffte er es.

Und diese ihm selbst unbewußte Hoffnung ließ ihn auch langsam wieder zum Leben zurückfinden. Denn um daran zugrunde zu gehen, was ihn so arg peinigte und quälte, dazu war er wohl zu robuster lebensbejahender Natur. Es kam die Zeit, wo sein dumpfes Dahinbrüten nachließ, wo sich langsam das Interesse für seine Umgebung zu regen begann. Und langsam bemerkte er auch das Bemühen der Base um seine Person. Doch darüber konnte er nur amüsiert lächeln. Wollte ihm diese aufreizende Schönheit gar seine feine liebreizende Silvia ersetzen? Schon der Gedanke allein war absurd. Vielleicht hätte sich sein Herz von der liebsten Frau langsam lösen können, wenn sie tot wäre. Doch solange sie lebte – und so erbärmlich noch dazu – so lange kam sein Herz nicht von ihr los, das so ganz mit heißem Mitleid für die Ärmste aller Armen erfüllt war.

Als er aus seinem Trübsinn erwachte, schaute er helleren Auges um sich und bemerkte dann auch, daß in seinem Betrieb vieles zu wünschen übrig ließ. Da hatte eben das wachsame Auge des Herrn gefehlt, was sich so mancher zunutze machte. Urplötzlich nahm deren behagliches Schmarotzertum ein Ende, als der Herr energisch durchgriff. Dasselbe geschah auch im Hause, wo die Angestellten ein herrliches Lotterleben führten. Frank kehrte es sozusagen mit eisernem Besen aus – und fast wäre auch Manja davon erfaßt worden. Er hielt ihr in schonungslosen Worten vor, wie sehr sie als Leiterin seines Hauses versagte, daß es unverantwortlich von ihr sei, einen Posten zu bekleiden, den sie nicht ausfüllen könnte. Er jedenfalls verzichte auf ihre weitere Hilfe.

Ehe Manja sich noch verantworten konnte, war er gegangen, sie in ohnmächtiger Wut zurücklassend. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel war diese schonungslose Abrechnung über sie gekommen. Er sollte nur nicht glauben, daß sie sich ohne weiteres abschütteln ließ. Sie ging einfach nicht aus dem Hause – basta –!

Und sie brauchte es auch nicht; denn zu ihrer Genugtuung erkrankte sie leicht, tat jedoch so, als läge sie in den letzten Zügen. Hellermann ließ den Arzt kommen, der Bettruhe verordnete. Man müsse abwarten, wie sich die Krankheit entwickeln würde.

Nun, so ein Barbar war Frank Hellermann bestimmt nicht, um einen kranken Menschen aus dem Haus zu jagen. Manja frohlockte – und blieb. Blieb auch weiter, als die Unpäßlichkeit schon längst behoben war und sie wie das blühende Leben selber im Hause einherging. Nur mit der Selbständigkeit war es aus. Der Hausherr kümmerte sich fortan um das Hauswesen, soweit ihm Zeit dazu blieb und soweit er etwas davon verstand. Wenn auch keine ernstliche Lotterei mehr einreißen konnte, so geschah doch hinter seinem Rücken so manches, was in einem gutgeführten Haushalt nicht vorkommen durfte. Kam er durch Zufall dahinter, dann griff er scharf durch – doch so scharf wie heute war es schon lange nicht mehr geschehen…

Bis vor einem halben Jahr hatte sich der Mann um Frank Detlev keine Sorgen zu machen brauchen. Der war unter der Obhut der alten Liese, die schon Silvia als Kind betreut hatte, gut aufgehoben gewesen.

Erzogen hatte sie den Jungen, den sie wie einen Abgott liebte, allerdings nicht. Er bekam jeden Willen und wuchs daher zu einem kleinen Tunichtgut auf, dessen Manieren nicht gerade die besten waren. Allerdings war er so charmant dabei – daß man ihm nicht böse sein konnte – wenigstens der Vater nicht.

Er lachte in sich hinein, wenn ihm von den Weibsleuten im Hause entrüstet die Unarten des Jungen hinterbracht wurden.

Es fiel ihm gar nicht ein, sein Kind dafür zu strafen. Mochte er die Frauenzimmer nur in Atem halten, das konnte deren Trägheit überhaupt nichts scha­den.

Es war ein harter Verlust für den munteren kleinen Kerl, als seine gütige Betreuerin nach kurzer Krankheit starb. Zwar erbot sich Manja eifrig, Frank Detlevs Erziehung in die Hand zu nehmen, doch das lehnte der Vater kurz ab. Er nahm eine Erzieherin ins Haus, die der Junge, der seiner guten Liese in rührender Weise nachtrauerte, als Ersatz nicht dulden wollte und der würdigen Dame daher das Leben so schwer machte, so daß sie nach wenigen Wochen ihren schwierigen Posten aufgab.

Eine zweite Dame tat dergleichen; nur die robuste Person, die dann folgte, hielt länger stand. Und nur weil sie der Ansicht war, daß ein unerzogenes Kind empfindliche Schläge haben müßte – eine Ansicht, die auch Manja teilte und daher das schlagfertige Fräulein gewähren ließ.

Aber zwei waren damit nicht einverstanden: Frank Detlev selbst und sein Vater. Ersterer nahm die oft unverdienten Schläge in verbissenem Trotz hin. Petzen mochte er nicht, das ging gegen seine Jungenehre – aber er wehrte sich so gut er konnte. Instinktiv empfand er das, was ein erwachsener Mensch verstandesgemäß wahrnimmt, nämlich: Daß der Krug so lange zum Wasser geht, bis er bricht.