Königliche Verschwörung - Rhys Bowen - E-Book
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Königliche Verschwörung E-Book

Rhys Bowen

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Beschreibung

Mit königlichem Blut braucht man großen Mut – ein neuer Fall für Lady Georgie
Der neue Cosy-Krimi von Bestsellerautorin Rhys Bowen

London, 1932: Lady Victoria Georgiana Charlotte Eugenie, kurz Lady Georgie, wird von Scotland Yard in ihre Heimat Schottland geschickt. Auf dem Weg zu ihrem Familiensitz Castle Rannoch erhält sie einen streng geheimen Auftrag: Jemand aus den höchsten Adelskreisen hat es auf den Kronprinzen abgesehen und als Tochter des Dukes liegt es nun an Georgie, unbemerkt Nachforschungen anzustellen.
Zuhause angekommen, gestaltet sich diese Aufgabe jedoch leider schwieriger als gedacht, denn die unausstehliche Wallis Simpson weilt auf dem Anwesen und scheint dem Kronprinzen den Kopf verdreht zu haben – ganz zum Missfallen der Königin. Nun muss Georgie nicht nur einen Verschwörer in den eigenen Reihen suchen, sondern auch einen Weg finden, um die schrecklichen Amerikaner wieder loszuwerden. Und dann taucht noch dazu Darcy auf, der irgendwie in die Sache verwickelt zu sein scheint …

Erste Leserstimmen
„Unterhaltsam, spannend und einfach nur großartig!“
„Lady Georgie ermittelt wieder mit einem Augenzwinkern und jeder Menge Sympathie“
„ein wunderbarer Wohlfühlkrimi zum Wegschmökern“
„gelungene Fortsetzung – mein Lieblingsband der Reihe“
„wieder ein kurzweiliger und lustiger Cosy Crime von Rhys Bowen

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Seitenzahl: 467

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Über dieses E-Book

London, 1932: Lady Victoria Georgiana Charlotte Eugenie, kurz Lady Georgie, wird von Scotland Yard in ihre Heimat Schottland geschickt. Auf dem Weg zu ihrem Familiensitz Castle Rannoch erhält sie einen streng geheimen Auftrag: Jemand aus den höchsten Adelskreisen hat es auf den Kronprinzen abgesehen und als Tochter des Dukes liegt es nun an Georgie, unbemerkt Nachforschungen anzustellen. Zuhause angekommen, gestaltet sich diese Aufgabe jedoch leider schwieriger als gedacht, denn die unausstehliche Wallis Simpson weilt auf dem Anwesen und scheint dem Kronprinzen den Kopf verdreht zu haben – ganz zum Missfallen der Königin. Nun muss Georgie nicht nur einen Verschwörer in den eigenen Reihen suchen, sondern auch einen Weg finden, um die schrecklichen Amerikaner wieder loszuwerden. Und dann taucht noch dazu Darcy auf, der irgendwie in die Sache verwickelt zu sein scheint …

Impressum

Deutsche Erstausgabe Oktober 2019

Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-813-1 Hörbuch-ISBN: 978-3-96817-259-0

Copyright © Juli 2009 by Janet Quin-Harkin. Alle Rechte vorbehalten. Titel des englischen Originals: Royal Flush

Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin. c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Übersetzt von: Sarah Schemske Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © brebca stock.adobe.com: © Raftel, © Vectorpocket, © Sam Strickler, © Nataliia K, © LouieLea, © Aul Zitzke und © Veronika Korrektorat: Dorothee Scheuch

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Königliche Verschwörung

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Königliche Verschwörung
Rhys Bowen
ISBN: 978-3-96817-259-0
Das Hörbuch wird gesprochen von Arlett Drexler.
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Dieses Buch ist Merion Webster Sauer und ihrem Sohn Lee gewidmet, die vorübergehend in den Adelsstand erhoben wurden.

Mein Dank geht wie immer an John und Jane für ihre wunderbaren Einschätzungen und Verbesserungen und an Jackie Cantor und Meg Ruley, weil sie mein Schriftstellerleben so einfach, angenehm und lustig machen.

Kapitel 1

Rannoch House

Belgrave Square, London W.1.

12. August 1932

Meiner Meinung nach gab es auf der ganzen Welt keinen ungemütlicheren Ort als London während einer Hitzewelle. Wahrscheinlich sollte ich eines klarstellen: Ich gebe zu, dass ich noch nie mit Conrad den Kongo hinauf ins Herz der Finsternis gereist bin. Und ich habe noch nie die Sahara auf einem Kamel durchquert. Aber wenigstens waren die Leute, die sich in diese Gegenden wagten, darauf vorbereitet, dass es ungemütlich werden würde. In London wurde es selten auch nur annähernd warm, sodass wir davon immer völlig überrascht wurden. Dann ähnelte die U-Bahn dem berüchtigten Schwarzen Loch von Kalkutta: Man war mit dem Gesicht nur wenige Zoll von den ungewaschenen Achselhöhlen der Leute entfernt, die sich an den Haltegriffen festhielten. Der Gestank war überwältigend.

Ihr fragt euch vielleicht, ob Mitglieder der Königsfamilie häufig die U-Bahn nehmen. Die Antwort lautet natürlich nein. Meine Verwandten König George und Königin Mary, die alles immer sehr ernst nehmen, haben nur eine vage Vorstellung davon, was eine U-Bahn ist. Natürlich bin ich nur die Vierunddreißigste in der Thronfolge und wahrscheinlich das einzige Mitglied meiner Familie, das in diesem Augenblick mittellos ist und versucht, sich allein und ohne Bedienstete in London durchzuschlagen. Also lasst mich meine Wenigkeit vorstellen, bevor wir fortfahren. Mein ganzer Name lautet Lady Victoria Georgiana Charlotte Eugenie von Glen Garry und Rannoch. Meine Großmutter war die unattraktivste von Königin Victorias vielen Töchtern, wenn man nach den frühen Fotografien geht, die ich von ihr gesehen habe. Aber schaut nicht fast jeder auf diesen alten Bildern griesgrämig drein? Jedenfalls erhielt sie keine Anträge von Kaisern oder Königen, also wurde sie mit einem schottischen Duke verheiratet und verbrachte ihre Tage im abgelegensten Winkel Schottlands auf Castle Rannoch, bis sie an zu viel frischer Luft und Langeweile starb.

Inzwischen ist mein Bruder Binky der neue Duke. Er ist auch mehr oder weniger mittellos, da unser Vater den letzten Rest unseres Familienvermögens im großen Börsencrash von ’29 verlor, bevor er sich im Moor die Kugel gab und Binky mit horrenden Erbschaftssteuern zurückließ. Wenigstens hat Binky das Anwesen mitsamt dem Bauernhof bekommen und kann nach Tradition des Landadels jagen, fischen und schießen, also nagt er nicht gerade am Hungertuch. Ich hingegen habe in letzter Zeit von Baked Beans, Toast und Tee gelebt. Mir wurde nichts beigebracht außer passablem Französisch und der Fähigkeit, ein Buch auf dem Kopf zu balancieren, und ich weiß, wo man einen Bischof am Dinnertisch platziert. Das reicht kaum aus, um einen potenziellen Arbeitgeber zu überzeugen, selbst wenn es in meinen Kreisen nicht verpönt wäre, einer gewöhnlichen Tätigkeit nachzugehen. Ich habe es einmal versucht – an der Kosmetiktheke bei Harrods. Ich habe ganze vier Stunden durchgehalten.

Und natürlich steckt England mitten in einer Wirtschaftskrise. Man muss sich nur eine beliebige Straßenecke ansehen, an der diese tragischen Gestalten stehen und Schilder hochhalten, auf denen steht nehme jede Arbeit an, um zu wissen, dass die meisten Menschen finstere Zeiten durchmachen. Nicht so der Großteil meiner gesellschaftlichen Schicht. Für die meisten von ihnen geht das Leben unverändert weiter, mit Jachtausflügen auf dem Mittelmeer und ausschweifenden Partys. Sie wissen vermutlich nicht einmal, wie schlecht es um das Land bestellt ist.

Jetzt wisst ihr also, warum kein Bentley und kein Chauffeur vor Rannoch House stehen, dem Stadthaus meiner Familie am Londoner Belgrave Square, und warum ich mir nur selten ein Taxi leisten kann. Ich versuche aber normalerweise die U-Bahn zu vermeiden. Für ein Mädchen vom Lande wie mich ist es beängstigend, in dieses dunkle Loch hinabzusteigen – und erst recht, seit ich beinahe von einem Mann, der mich umbringen wollte, vor einen Zug gestoßen worden wäre.

Aber heute hatte ich keine Wahl. In Central London war es so unerträglich stickig, dass ich beschlossen hatte, meinen Großvater zu besuchen, der in den Ausläufern von London in Essex lebt, und deswegen musste ich die District Line nehmen. Oh, und ich schätze, ich sollte klarstellen, dass ich nicht meinen Großvater, den schottischen Duke meine, dessen Geist der Legende nach noch immer auf den Schlossmauern unseres Familiensitzes Castle Rannoch im schottischen Perthshire Dudelsack spielt. Ich spreche von meinem bürgerlichen Großvater, der außerhalb von London in einem bescheidenen Reihenhaus mit Gartenzwergen im Vorgarten lebt. Ihr müsst wissen, dass meine Mutter die Tochter eines Londoner Polizisten ist und Schauspielerin war. Sie ist außerdem berüchtigt dafür, es nie lange an einem Ort auszuhalten. Sie verließ meinen Vater, als ich erst zwei Jahre alt war, und hangelte sich von einem argentinischen Polospieler über einen Rennfahrer aus Monte Carlo bis zu einem texanischen Ölmillionär. Ihre Romanzen gingen wirklich um die ganze Welt, wohingegen ihre Tochter noch nie eine Romanze hatte.

Nachdem sie sich aus dem Staub gemacht hatte, wuchs ich auf Castle Rannoch auf. Ich wurde während meiner Jugend gut von der mütterlichen Seite meiner Familie abgeschirmt, also habe ich meinen Großvater erst vor kurzem kennengelernt und um ehrlich zu sein habe ich ihn sofort ins Herz geschlossen. Er ist die einzige Person auf der ganzen Welt, bei der ich ich selbst sein kann. Es fühlt sich so an, als hätte ich endlich eine richtige Familie!

Zu meiner großen Enttäuschung war mein Großvater nicht zu Hause. Auch die Witwe von nebenan, mit der ihn eine enge Freundschaft verband, war nicht da. Wenn Großvater ein Telefon besäße, hätte ich mir die Reise sparen können. Aber im tiefsten Essex hatte man noch keine Ahnung von Kommunikation über das Telefon. Ich stand in Großvaters Vorgarten, die Gartenzwerge starrten mich missbilligend an und ich hatte keine Ahnung, was ich als nächstes tun sollte, als ein älterer Mann mit einem betagten Hund an der Leine vorbeiging. Er sah mich an, dann schüttelte er den Kopf.

„Er is’ nich’ da, Schätzchen. Er is’ fort.“

„Fort? Wohin?“, fragte ich alarmiert, während mir Bilder von Krankenhäusern oder Schlimmerem im Kopf herumspukten. Um Großvaters Gesundheit war es in letzter Zeit nicht allzu rosig bestellt gewesen.

„Clacton runter.“

Ich hatte weder eine Ahnung, was ein Clacton war, noch, wie man ihn herunterkam. „Clacton runter?“, wiederholte ich hoffnungsvoll.

Er nickte. „Jep. Ausflug des Arbeiterclubs. Im Kremser. Die nebenan ist mitgekommen.“ Und er zwinkerte mir vielsagend zu. Ich seufzte erleichtert. Ein Ausflug in einer Kutsche. Wahrscheinlich zur Küste. Also hatte selbst mein Großvater es geschafft, der Hitze zu entkommen. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Zug zurück in die Stadt zu nehmen. Alle meine Freunde hatten London verlassen, um ihre Landsitze, ihre Jachten oder das Festland aufzusuchen. Und hier war ich, in einem Abteil voller schwitzender Leiber, überhitzt und zunehmend verzweifelt.

„Was mache ich hier?“, fragte ich mich. Ich besaß keine besonderen Fähigkeiten, keine Aussicht auf eine Anstellung und keine Ahnung, was ich nun tun sollte. Niemand mit Vernunft und Geld verbrachte den August in London. Und was Darcy anging, den wilden Sohn eines irischen Adligen, den ich für meinen Freund hielt … Ich hatte nichts von ihm gehört, seit er wieder einmal verschwunden war, angeblich, um sich zu Hause in Irland von seiner Schussverletzung zu erholen. Das mochte stimmen oder auch nicht. Bei Darcy konnte man nie wissen.

Natürlich könnte ich nach Schottland heimkehren, sagte ich mir, während die Luft in der U-Bahn drückend heiß wurde. Die Erinnerung an den kalten Wind, der über den Loch fegte, und die ebenso kalten Luftzüge in den Korridoren von Castle Rannoch führte mich in Versuchung, während ich die Rolltreppe der U-Bahn-Station St. James’ hinauffuhr und vergeblich versuchte, die Schweißperlen, die mir übers Gesicht liefen, wegzutupfen. Und ja, ich weiß, dass Ladys niemals schwitzen, aber irgendetwas lief mir in Strömen übers Gesicht.

Ich war kurz davor, nach Hause zum Belgrave Square zu eilen, meinen Koffer zu packen und den nächsten Zug nach Edinburgh zu nehmen, als ich mir wieder ins Gedächtnis rief, warum ich überhaupt erst mein Zuhause verlassen hatte. Die Antwort lautete Fig, meine Schwägerin und die gegenwärtige Duchess – geizig, voreingenommen und einfach unausstehlich. Fig hatte unmissverständlich klargemacht, dass ich eine Belastung für sie war und auf Castle Rannoch nicht länger willkommen war und dass sie nicht wollte, dass ich ihnen das Essen wegaß. Wenn ich also die Wahl hatte, entweder die Hitze und Einsamkeit in London oder Fig zu ertragen, gewann die Hitze.

Nur noch zwei Wochen, sagte ich mir, als ich durch den Hyde Park nach Hause ging. In zwei Wochen war ich in Schottland eingeladen, nicht auf meinem Familiensitz, sondern auf Balmoral. Der König und die Königin waren bereits auf ihrem schottischen Schloss, nur wenige Meilen von unserem entfernt, rechtzeitig zum „ruhmreichen Zwölften“, der den Beginn der Jagdsaison markiert. Dort würden sie bleiben und einen Monat lang Jagd auf alles machen, was Fell oder Federn besaß. Sie erwarteten, dass ihre zahlreichen Verwandten anreisten und zumindest eine Weile blieben. Die meisten versuchten, sich dem zu entziehen: Sie fanden die Dudelsackklänge im Morgengrauen, den Wind, der durch den Kamin jaulte, die Highland-Tänze und die Schottentapete unerträglich. Ich war das alles gewohnt. Es war genau wie auf Castle Rannoch.

Die Aussicht auf die gute, frische Luft der Highlands in nicht allzu ferner Zukunft munterte mich auf und ich ging vorsichtig an den Körpern im Green Park vorbei. Es sah aus wie nach einer besonders üblen Schlacht – überall lagen halbnackte Leiber. Tatsächlich waren es Londoner Büroangestellte, die das Wetter ausnutzten und sich mit entblößten Oberkörpern sonnten. Ein erschreckender Anblick – ihre Haut war weiß-rot gestreift, je nachdem, welche Teile der Sonne ausgesetzt gewesen waren. Ich hatte den Park zur Hälfte durchquert, als sich die Leiber zu bewegen begannen. Ich bemerkte, dass die Sonne verschwunden war und genau in dem Moment, als ich aufsah, erklang ein unheilverkündendes Donnergrollen.

Schnell verdunkelte sich der Himmel, als Gewitterwolken aufzogen. Die Sonnenanbeter zogen eilig ihre Hemden an und suchten Schutz. Ich begann ebenfalls mich zu beeilen. Allerdings nicht schnell genug. Ohne Warnung öffnete der Himmel seine Schleusen und es schüttete in Strömen. Mädchen liefen schreiend in den Schutz der Bäume, was wahrscheinlich unklug war, da das Donnergrollen näherkam. Ich war bereits bis auf die Haut durchnässt und es waren nur wenige Minuten bis nach Hause. Also rannte ich los und als ich die Stufen zum Rannoch House hinauftaumelte, klebte mein Haar an meinem Gesicht und mein Sommerkleid schmiegte sich unzüchtig an meinen Körper.

Meine Stimmung, die bereits gedrückt gewesen war, hatte nun ihren Tiefpunkt erreicht. Was würde noch alles schiefgehen? Ich war voller Hoffnung und Aufregung nach London gekommen und nichts lief wie geplant. Dann erhaschte ich einen Blick auf mein Spiegelbild in dem großen Spiegel im Flur und fuhr entsetzt zurück. „Schau dich nur an!“, rief ich laut. „Du siehst aus wie eine nasse Katze. Wenn dich jetzt die Königin sehen könnte.“ Dann fing ich an zu lachen. Ich lachte den ganzen Weg nach oben ins Badezimmer, wo ich ein langes Bad nahm. Als ich mich abgetrocknet hatte, fühlte ich mich wieder ziemlich normal. Und ich würde nicht noch einen tristen Abend allein im Rannoch House verbringen, wo mir nur das Radio Gesellschaft leistete. Irgendjemand außer mir musste in London sein. Und natürlich kam mir sofort Belinda in den Sinn. Sie gehörte zu den Menschen, die nie lang an einem Ort blieben. Als ich sie zuletzt gesehen hatte, war sie auf dem Sprung zu einer Villa in Italien gewesen, aber es bestand eine geringe Chance, dass sie der Italiener überdrüssig geworden und zurückgekommen war.

Ich suchte das am wenigsten zerknitterte meiner Sommerkleider heraus (ich habe schon seit einer Weile kein Dienstmädchen mehr, das meine Kleider bügelt, und selbst wenig Ahnung vom Bügeln), versteckte mein nasses Haar unter einem sittsamen Glockenhut und machte mich auf den Weg zu Belindas umgebautem Cottage, das früher zu den Stallungen eines Herrenhauses gehört hatte und sich im nahegelegenen Knightsbridge befand. Anders als ich hatte Belinda eine Erbschaft erhalten, als sie einundzwanzig geworden war. Damit konnte sie sich ein niedliches kleines Cottage kaufen und ein Dienstmädchen einstellen. Außerdem lagen ihre Lebenshaltungskosten nahezu bei Null, wenn man bedachte, wie viel Zeit sie in den Häusern anderer Leute verbrachte, von den Betten anderer Leute ganz zu schweigen.

Das Gewitter war vorübergezogen und hatte die Abendluft ein wenig abgekühlt, aber es war noch immer schwül. Ich suchte mir einen Weg an den Pfützen vorbei und ging den Taxis aus dem Weg, die durch das Wasser in den Straßen pflügten. Ich stand am Eingang der ehemaligen Stallungen, als ich ein lautes, donnerndes Geräusch hinter mir vernahm. Ich nahm wahr, dass eine geschmeidige dunkle Silhouette auf mich zuraste und hatte gerade genug Zeit, mich zur Seite zu werfen, als ein Motorrad vorbeischoss. Es fuhr durch die riesige Pfütze, die sich am Eingang gesammelt hatte, und spritzte mich von oben bis unten mit schlammigem Wasser voll.

„Was soll das!“ Ich versuchte, mit meinem Rufen das Dröhnen des Motors zu übertönen, als das Motorrad ohne langsamer zu werden die Auffahrt entlangfuhr. Ich rannte kochend vor Wut hinterher und nahm mir nicht die Zeit, um darüber nachzudenken, ob die Motorradfahrer vielleicht Bankräuber oder Einbrecher auf der Flucht vor der Polizei waren. Das Motorrad kam auf halber Strecke die Auffahrt entlang schlitternd zum Stehen und zwei Männer in Lederjacken, Lederhelmen und Schutzbrillen schickten sich an abzusteigen.

„Was zum Teufel glaubt ihr, was ihr tut?“, rief ich forsch, während ich mich ihnen näherte. Meine Wut machte mich noch immer blind für die Tatsache, dass ich allein in einer Seitenstraße mit zwei eindeutig asozialen Gestalten war. „Schaut euch nur an, was ihr getan habt. Ich bin ganz durchnässt.“

„Ja, du scheinst eine Spur nass geworden zu sein“, sagte der erste Fahrer und brach zu meinem großen Ärger in Gelächter aus.

„Das ist nicht komisch!“, fuhr ich ihn an. „Du hast ein gutes Kleid ruiniert, und was meinen Hut angeht …“

Die Person, die auf dem Sozius gesessen hatte, stieg ab und schnallte ihren Helm auf. „Natürlich ist es nicht komisch, Paolo.“ Die Stimme war weiblich. Sie zog ihren Helm und ihre Schutzbrille mit einer schwungvollen Bewegung ab und schüttelte ihr glattes, dunkles Haar, das zu einem Bubikopf geschnitten war.

„Belinda!“, rief ich aus.

Kapitel 2

Belinda Warburton-Stokes Cottage

Knightsbridge, London W.1.

12. August 1932

Belindas Augen weiteten sich, als sie mich erkannte. „Georgie! Oh, du meine Güte, du armes Ding. Schau dich nur an. Paolo, du hast meine beste Freundin beinahe ertränkt.“

Der andere Motorradfahrer hatte nun seinerseits den Helm abgesetzt und stellte sich als absolut atemberaubender Mann von lateinamerikanischem Aussehen heraus. Er hatte blitzende dunkle Augen und volles glänzendschwarzes Haar. „Tut mir wirklich leid“, sagte er. „Ich habe dich im Schatten nicht gesehen, musst du wissen. Und wir sind ziemlich schnell gefahren.“ Er sprach mit einem ausgeprägten Akzent, der irgendwann mit einer englischen Schulbildung in Berührung gekommen war.

„Paolo liebt alles, was rasant ist“, sagte Belinda und sah ihn bewundernd an. Mir ging durch den Kopf, dass sie diesem Kriterium wahrscheinlich entsprach. Rasant und ungehemmt, das passte genau auf Belinda.

„Wir kommen gerade von Brooklands“, fuhr sie fort. „Paolo hat sich im Rennfahren geübt. Und er besitzt auch ein Flugzeug. Er hat mir versprochen, mich mitzunehmen.“

„Du solltest mich vorstellen, Belinda“, sagte Paolo, „und dann musst du deine Freundin hereinbitten, ihr einen Drink geben, um ihre Nerven zu beruhigen, und sie ein wenig saubermachen.“

„Natürlich, Liebling“, sagte Belinda. „Georgie, das ist Paolo.“

Paolo richtete seine dunklen, eindrucksvollen Augen auf mich. „Georgie? Ist das nicht ein Jungenname?“

„Es ist die Kurzform von Georgiana“, sagte ich.

„Oh, nun gut, ich schätze, ich sollte euch besser formell bekanntmachen“, sagte Belinda. „Darf ich Graf Paolo di Marola e Martini vorstellen. Paolo, das ist meine beste Freundin, Lady Georgiana von Glen Garry und Rannoch.“

Paolo richtete seinen umwerfenden Blick wieder auf mich. „Du bist Binkys Schwester?“, fragte er.

„Die bin ich. Woher kennst du Binky?“

„Wir sind ein grauenvolles Jahr lang gemeinsam zur Schule gegangen“, sagte Paolo. „Mein Vater wollte aus mir einen zivilisierten englischen Gentleman machen. Er hatte keinen Erfolg. Ich habe es gehasst. Diese ganzen kalten Bäder und handgreiflichen Rugbyspiele. Zum Glück hat man mich gebeten, die Schule zu verlassen, weil ich den Dienstmädchen in den Hintern gekniffen habe.“

„Ja, das klingt ganz nach dir“, sagte Belinda. Sie öffnete ihre Eingangstür und bedeutete uns, hineinzugehen. „Florrie“, rief sie. „Du musst sofort ein Bad einlassen.“ Sie drehte sich um und begutachtete mich. „Ich würde dich bitten, dich zu setzen, aber ehrlich gesagt, würdest du mein Sofa ruinieren. Aber du kannst ihr einen Drink mischen, Paolo. Einen richtig starken.“

„Ich fürchte, ich muss wieder los, cara mia“, sagte Paolo. „Ich werde euch zwei Mädchen alleinlassen, damit ihr tratschen könnt. Aber heute Abend gehen wir tanzen, sì? Oder ich nehme dich mit ins Crockford’s für ein bisschen Glücksspiel und dann in einen Nachtclub, wenn du magst.“

„Ich würde liebend gern zusagen“, sagte Belinda, „aber leider bin ich heute Abend beschäftigt.“

„Unsinn“, sagte Paolo. „Wer auch immer es ist, ruf die Person an und sag, deine verloren geglaubte Cousine ist gerade in der Stadt oder deine Schwester hat ein Kind zur Welt gebracht oder du hast die Masern bekommen.“

„Ich muss zugeben, dass es sehr verlockend klingt“, sagte Belinda. „Aber ich kann jetzt wirklich keinen Rückzieher machen. Der Arme wäre am Boden zerstört.“

„Ein anderer Mann?“, wollte Paolo mit blitzenden Augen wissen.

„Lass dir deswegen keine grauen Haare wachsen“, sagte Belinda.

„Graue Haare? Was haben meine Haare damit zu tun?“

Belinda kicherte. „Es ist eine Redensart, Liebling. Es bedeutet, dass du dich nicht unnötig aufregen sollst.“

„Diese englischen Ausdrücke sind so albern“, sagte Paolo. „Warum sollte ich mich nicht aufregen, wenn du ein Rendezvous mit einem anderen Mann hast?“

„Mach dich nicht lächerlich. Natürlich habe ich kein Rendezvous mit einem anderen Mann“, sagte Belinda. „Ich tue meinem Bruder einen Gefallen und treffe einen alten Amerikaner, der eines seiner Rennpferde kaufen will.“

„Und das könntest du nicht für mich absagen?“ Paolo kam ihr gefährlich nahe und ließ seine Fingerspitzen über ihre Wange gleiten. Ich konnte sehen, wie ihr Widerstand bröckelte.

„Nein, ich kann meinen Bruder nicht im Stich lassen“, sagte Belinda.

„Ich bin am Boden zerstört“, stöhnte Paolo. „Mein Herz ist gebrochen. Soll ich etwa glauben, dass du mich gar nicht liebst?“

Ich fragte mich, warum Männer so etwas nie zu mir sagten.

„Weißt du was, mir kommt gerade ein genialer Einfall.“ Belinda wirbelte herum, um mich anzusehen. „Georgie könnte anstelle von mir hingehen, nicht wahr, Schätzchen?“

„Oh ja“, sagte ich bitter. „Ich bin ganz bestimmt dafür angezogen, amerikanische Besucher zu unterhalten.“

„Es ist erst um acht Uhr dreißig, Schätzchen“, sagte Belinda, „und du kannst hier baden und dich an meinem Kleiderschrank bedienen. Mein Dienstmädchen wird dir beim Anziehen helfen, nicht wahr, Florrie?“ Sie drehte sich zu dem Dienstmädchen um, das am Fuß der Treppe wartete.

Niemand wartete darauf, dass es antwortete.

„Wunderbar“, sagte Paolo und klatschte in die Hände. „Dann wünsche ich euch Ladys arrivederci und werde dich um neun Uhr abholen, cara mia.“

„Nicht mit dem Motorrad, Paolo“, sagte Belinda. „Ich weigere mich, in meinen Ausgehklamotten auf dem Sozius zu hocken.“

„Motten? Du willst Motten mitnehmen?“

„Klamotten, Liebling. Ein anderes Wort für Kleider.“

„Englisch ist so eine alberne Sprache“, wiederholte Paolo. Er verbeugte sich vor mir. „Arrivederci. Auf bald, Lady Georgiana.“ Dann war er weg.

„Belinda“, sagte ich, als sie sich mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht zu mir umdrehte. „Du hast Nerven. Worüber soll ich mich mit diesem Gast aus Amerika unterhalten? Ich kenne mich kaum mit Rennpferden aus und er wird dich erwarten.“

„Sei nicht albern, Schätzchen.“ Belinda legte mir beruhigend eine Hand auf den Arm und führte mich in Richtung der Treppe. „Er ist eigentlich nicht hier, um Rennpferde zu kaufen. Er macht in Öl oder so. Ich habe ihn letzte Nacht im Crockford’s getroffen und aus einer Laune heraus zugestimmt, mit ihm zum Dinner zu gehen, weil das arme Lämmchen geschäftlich in der Stadt ist und es hasst, allein zu dinieren. Aber das konnte ich Paolo natürlich nicht erzählen. Er ist rasend eifersüchtig.“

„Also habe ich jetzt einen fremden Amerikaner am Hals, der enttäuscht sein wird, dass ich nicht du bin und vermutlich mehr als nur ein Dinner erwartet.“

„Natürlich nicht.“ Wir hatten das Badezimmer erreicht, aus dem Dampfschwaden drangen. „Er ist aus dem mittleren Westen und das einzige, was wahrscheinlich passieren wird, ist, dass du dich zu Tode langweilen wirst. Er wird schwer beeindruckt sein, wenn er erfährt, dass er mit der Cousine des Königs speist. Und du bekommst ein herrliches Dinner und guten Wein. Ich tue dir in Wahrheit einen Gefallen.“

Ich lachte. „Belinda, wann hast du jemals jemandem einen Gefallen getan? Du bist eine der besten Manipulatorinnen der Welt.“

„Vermutlich hast du recht.“ Sie seufzte. „Aber wirst du es für mich tun?“ Sie zerrte mich fast die letzten Stufen hoch.

Ich seufzte. „Ich schätze schon. Was habe ich zu verlieren?“

„Ich weiß nicht, was hast du zu verlieren?“ Sie sah mich fragend an. Ich errötete. „Sag mir nicht, dass du es noch nicht getan hast! Georgiana, du bringst mich zur Verzweiflung. Das letzte Mal, als ich dich und Darcy gesehen habe, habt ihr einen sehr vertrauten Eindruck gemacht.“

„Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, dachte ich ebenfalls, dass wir sehr vertraut wären“, sagte ich, während sich eine dunkle Wolke der Verzweiflung über mir zusammenbraute. „Aber da lag er noch im Krankenhaus, erinnerst du dich? Er war geschwächt und erholte sich von einer Schusswunde. Sobald er aus dem Krankenhaus kam, fuhr er nach Hause nach Irland und seitdem habe ich nichts von ihm gesehen. Nicht einmal eine Postkarte.“

„Ich glaube nicht, dass er der Typ fürs Postkartenschreiben ist“, sagte Belinda. „Mach dir keine Sorgen, er taucht wieder auf, Unkraut vergeht nicht, wie das Sprichwort besagt. Darcy ist ein ebensolcher Opportunist wie ich. Er hat wahrscheinlich jemanden gefunden, der ihn auf eine Jacht an der französischen Riviera eingeladen hat.“

Ich kaute an meiner Lippe, eine schlechte Gewohnheit, die mir meine Gouvernante, Miss MacAlister, auszutreiben versucht hatte. Es war ihr nie ganz gelungen. „Das Problem ist, dass ich bald oben in Schottland sein muss. Das bedeutet, dass ich ihn den ganzen Sommer lang nicht sehen werde.“

„Du hättest bei der ersten Gelegenheit mit ihm ins Bett springen sollen“, sagte Belinda. „Männer wie Darcy warten nicht ewig.“

„Ich weiß“, sagte ich. „Es ist die Erziehung von Castle Rannoch. All die Vorfahren, die sich ehrenhaft verhalten haben. Ich muss immer an Robert Bruce Rannoch denken, der sich in der Schlacht bei Culloden behauptete und allein kämpfte, bis er in Stücke gehackt wurde.“

„Ich sehe nicht, was das mit dem Verlust deiner Jungfräulichkeit zu tun hat, Schätzchen.“

„Pflichtgefühl, schätze ich. Eine Rannoch scheut nie vor ihrer Pflicht zurück.“

„Und du denkst, es ist deine Pflicht, entweder als Jungfrau in die Ehe zu gehen oder zu sterben, nicht wahr?“

„Eigentlich nicht“, sagte ich. „Ehrlich gesagt klingt es ziemlich albern, wenn du es so sagst. Ich hatte nur dieses Bild von meiner Mutter im Kopf, die ihr ganzes Leben lang von einem Bett ins nächste hüpft, und ich wollte nicht so enden.“

„Aber denk an all den Spaß, den sie dabei hatte. Und diese wunderschönen Kleider, die sie dadurch angehäuft hat.“

„So bin ich nicht“, sagte ich. „Ich fürchte, ich schlage nach meiner Urgroßmutter, Königin Victoria. Ich will den Mann finden, den ich lieben und heiraten kann. Und die Kleider sind mir ziemlich egal.“

„Das sehe ich.“ Belinda beäugte mich kritisch. Sie drehte sich zu ihrem Dienstmädchen um, das geduldig mit den Armen voller Handtücher dastand. „Hilf Lady Georgiana aus diesen ekelhaften nassen Sachen, Florrie. Und dann bring sie weg, wasch sie und bring ihr einen Bademantel.“

Ich ließ mich ausziehen und setzte mich dann in die Badewanne, während Belinda sich auf dem Wannenrand niederließ.

„Also, was hältst du von Paolo?“, wollte sie wissen. „Ist er nicht göttlich?“

„Ausgesprochen göttlich. Hast du ihn in Italien kennengelernt?“

„Er kam zu der Villa, in der ich mich aufhielt“ – sie legte eine dramatische Pause ein – „mit seiner Verlobten.“

„Seiner Verlobten? Belinda, wie konntest du nur?“

„Mach dir keine Sorgen, Liebes. Dort drüben ist es nicht so wie hier. Sie sind katholisch, musst du wissen. Er ist schon seit mindestens zehn Jahren mit diesem Mädchen verlobt. Sie ist sehr anständig und verbringt die Hälfte ihrer Zeit auf den Knien und betet den Rosenkranz herunter, aber seine Familie ist glücklich darüber, dass er irgendwann eine solche Person heiraten wird. In der Zwischenzeit …“ Sie warf mir ein durchtriebenes Lächeln zu.

Ich fühlte mich ziemlich merkwürdig, wie ich im heißen Wasser lag, während Belinda auf dem Wannenrand hockte, aber sie erweckte den Anschein, als sei das völlig normal. „Das ist wie in alten Zeiten, nicht wahr, Schätzchen?“, bemerkte sie. „Erinnerst du dich an die Gespräche, die wir in der Schule im Badezimmer hatten?“

Ich lächelte. „Ich erinnere mich. Es war der einzige Ort, an dem man uns nicht belauschen konnte.“

„Also, was hast du in letzter Zeit getrieben?“, fragte sie. „Wie läuft dein Putzfrauenbetrieb?“

„Es ist kein Putzfrauenbetrieb, Belinda. Es ist eine Haushaltshilfenagentur. Ich bereite Londoner Häuser für die Ankunft ihrer Besitzer vor. Und ich putze keine Böden oder so etwas.“

„Und die Verwandten im Palace haben es immer noch nicht herausgefunden?“

„Nein, Gott sei Dank. Aber um deine erste Frage zu beantworten: Es läuft überhaupt nicht. Ich habe seit Wochen keinen Auftrag bekommen.“

„Tja, das ist logisch, oder?“ Belinda streckte ihre langen Beine aus. „Niemand kommt im Sommer nach London. Jeder, der fliehen kann, tut es.“

Ich nickte. „Ich habe das Gefühl, dass ich die einzige Person bin, die noch hier ist. Sogar mein Großvater hat einen Ausflug nach Clacton-on-Sea gemacht.“

„Und wie hast du bisher überlebt?“

„Nicht besonders gut“, sagte ich. „Für mich heißt es ausschließlich Tee und Toast. Ich muss bald etwas ändern, sonst werde ich mich in die Schlangen vor den Suppenküchen einreihen.“

„Unsinn, Liebes. Du könntest dich auf beliebig viele Landhäuser einladen lassen, wenn du wolltest. Du bist vermutlich die heiratsfähigste alte Jungfer im ganzen Land, weißt du.“

„Ich bin nicht so mit den Leuten bekannt, wie du es bist, Belinda. Und ich wüsste nicht, wie ich mich selbst bei jemandem nach Hause einlade.“

„Ich kann das Einladen übernehmen, wenn du magst.“

Ich lächelte ihr zu. „Eigentlich lasse ich mich nicht gern von anderen Leuten aushalten.“

„Tja, du könntest immer noch nach Castle Rannoch zurück.“

„Das habe ich in Erwägung gezogen, was zeigt, wie verzweifelt ich mich gefühlt habe. Aber wenn ich die Wahl zwischen Fig und dem Hungertod hätte, würde der Hunger gewinnen, glaube ich.“

Sie sah mich besorgt an. „Meine arme, liebe Georgie: keine Arbeit, keine Freunde, kein Sex. Kein Wunder, dass du betrübt aussiehst. Wir müssen dich aufheitern. Heute Abend wirst du natürlich ein ordentliches Mahl bekommen und morgen kannst du mit mir nach Croydon kommen.“

„Croydon? Das soll mich aufheitern?“

„Der Aerodrome, Schätzchen. Ich werde Paolos neues Flugzeug anschauen. Vielleicht nimmt er uns sogar mit nach oben.“

Nachdem ich gesehen hatte, wie rücksichtslos Paolo Motorrad fuhr, war ich nicht allzu wild darauf, in seinem Flugzeug zu fliegen, aber ich brachte ein Lächeln zustande. „Famos“, sagte ich. Wenigstens wäre es besser als zu Hause herumzusitzen.

Kapitel 3

Rannoch House

13. August 1932

Wetter noch immer schwül.

Um zehn Uhr am nächsten Morgen tauchte Belinda vor meiner Tür auf, frisch und umwerfend in weißen Leinenhosen und einer schwarz-weiß gestreiften Bluse. Das Ensemble wurde von einem kecken kleinen Pillbox-Hut abgerundet. Man hätte nie erraten, dass sie vermutlich die ganze Nacht unterwegs gewesen war.

„Bereit?“, fragte sie und musterte mein Sommerkleid und den Glockenhut, von dem der Schlamm größtenteils entfernt worden war. „Bist du sicher, dass dein Aufzug passend ist, um kopfüber zu fliegen?“

„Ich glaube, das Kopfüber-Fliegen überlasse ich dir“, sagte ich, „und ich besitze keine Hosen, abgesehen von denen die ich zu Hause auf dem Anwesen trage, und die riechen nach Pferd.“

„Wir müssen etwas mit deiner Ausstattung anstellen, Schätzchen.“ Sie versuchte, die Falten in meinem Baumwollrock zu glätten. „Wie schade, dass deine Mutter so zierlich ist, sonst könntest du alle ihre abgelegten Kleider tragen.“

„Sie hat mir schon mehrmals angeboten, mir Kleider zu kaufen, aber du kennst meine Mutter. Sie vergisst es ständig und ist schneller wieder fort, als man schauen kann. Außerdem glaube ich nicht, dass ich mich dabei wohlfühlen würde, Geld anzunehmen, das von ihrem deutschen Freund kommt.“

„Sie ist also immer noch mit ihrem stämmigen Industriellen zusammen?“

„Nach dem was ich zuletzt gehört habe. Aber das ist einen Monat her. Wer weiß.“

Belinda kicherte. Ich schloss die Eingangstür und folgte ihr zu einem wartenden Taxi.

„Also, erzähl, ich will alles von gestern Abend erfahren“, sagte sie, als das Taxi losfuhr. „Wie war dein Dinner mit Mr. Hamburger?“

„Schlossberger“, verbesserte ich. „Hiram Schlossberger aus Kansas City. Es lief genau so, wie du vorhergesagt hast. Er war über die Maßen beeindruckt von meinen königlichen Verbindungen und nannte mich ständig „Eure Hoheit“, obwohl ich ihm gesagt habe, dass ich nur „Mylady“ bin und dass wir nicht so formell sein müssen. Eigentlich war er wirklich ein Schatz, aber ich fürchte, es war ziemlich langweilig. Er hat mir Schnappschüsse von seiner Frau und seinen Kindern gezeigt, von seinem Hund und sogar von den Kühen auf seiner Ranch.“

„Aber du hast eine ordentliche Mahlzeit herausgeschlagen?“

„Köstlich. Obwohl Mr. Schlossberger nicht zufrieden damit war. Er verschmähte die Gänseleberpastete und die Hummercremesuppe und sagte, dass er einfach ein ordentliches Steak wolle. Dann hat er sich über die Größe des Steaks beschwert. Anscheinend isst er zu Hause Steaks, die so groß sind, dass sie über den Tellerrand hängen.“

„Lieber Himmel, das ist ja eine halbe Kuh. Aber du hattest richtigen Schampus, oder?“

Ich schüttelte den Kopf. „Er trinkt nicht. Prohibition, du weißt schon.“

„Wie lächerlich. Jeder weiß, dass es die Prohibition gibt, aber sie trinken trotzdem alle. Außer ihm, wie es scheint. Was hast du dann getrunken?“

Ich verzog das Gesicht. „Limonade. Er hat sie für uns beide bestellt.“

Belinda berührte meinen Arm. „Meine Liebe, es tut mir so leid. Das nächste Mal, wenn ich dir einen meiner Männer aufdränge, stelle ich sicher, dass er keine Limonade trinkt.“

„Das nächste Mal?“, fragte ich. „Machst du so etwas öfter?“

„Oh, absolut, Schätzchen. Wie soll man sonst ab und zu an eine ordentliche Mahlzeit kommen? Und man tut sogar etwas für das Gemeinwohl. Diese armen Männer kommen geschäftlich nach London und kennen niemanden, also sind sie erfreut, mit einer jungen Frau der Gesellschaft gesehen zu werden, die ihnen beibringen kann, wie man sich benimmt. Dein Mr. Hamburger wird jahrelang mit dir angeben, da bin ich mir sicher.“

Wir stiegen an der Victoria Station aus unserem Taxi und schon bald fuhr unser Zug schnaufend und dampfend durch die tristeren Viertel Südlondons Richtung Croydon. Belinda gab eine lange Beschreibung der Villa in Italien zum Besten. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, während ich aus dem Fenster auf die bemitleidenswerten kleinen Gärten starrte, über die Wäscheleinen gespannt waren. Denn in meinem Kopf entspann sich eine Idee. All diese Männer, die Belinda erwähnt hatte, die geschäftlich allein in London waren und ohne Begleitung essen mussten. Was, wenn ich eine Agentur gründete, um jeden von ihnen mit einer charmanten Dinnerbegleitung von tadelloser gesellschaftlicher Stellung zu versorgen – mit anderen Worten mit meiner Wenigkeit. Es wäre besser als Häuser zu putzen und würde wenigstens die schlimmste Armut abwehren. Im besten Fall würde es sich als äußerst erfolgreich erweisen und ich könnte mir eine ordentliche Garderobe leisten und mich häufiger unter Menschen mischen.

***

Ich war noch nie im Aerodrome von Croydon gewesen und war von dem geschäftigen Treiben und den brandneuen Gebäuden überrascht. Als unser Taxi über eine schattige Straße darauf zuhielt, röhrte ein großer Doppeldecker über unsere Köpfe hinweg und setzte auf der Landebahn auf. Ich hatte noch nie aus der Nähe gesehen, wie ein richtiges Passagierflugzeug landete, und es war ein beeindruckender Anblick, als der große Vogel den Asphalt berührte, ein paar Mal auf und ab sprang und dann als erdgebundene Maschine weiterrollte. Mir kam es außerordentlich vor, dass etwas so Großes und Schwerfälliges tatsächlich fliegen konnte.

Während wir zu der neuen weißen Abfertigungshalle im Art-Déco-Stil hinübergingen, kam die Passagiermaschine mit wirbelnden Rotoren dröhnend auf uns zu und verursachte einen Mordslärm. Ich hielt inne, um zuzuschauen, wie eine Treppe herangerollt wurde und die Passagiere einer nach dem anderen ausstiegen.

„Das ist eine Imperial Airways Heracles, gerade aus Paris eingetroffen“, meinte jemand hinter mir.

Es wirkte alles sehr glamourös und unwahrscheinlich. Ich versuchte mir vorzustellen, diese kleine Kapsel zu betreten und über den Erdball, über die Wolken gewirbelt zu werden. Meine einzigen Ausflüge ins Ausland hatte ich in einem ungemütlichen Zug über den Kanal in die Schweiz zurückgelegt.

„Das Wetter sieht nicht allzu vielversprechend aus, was meinst du?“, sagte Belinda, die die Stechmücken verscheuchte, die vor unseren Gesichtern tanzten. „Es sieht wieder nach Donner aus.“

In der Tat fühlte es sich extrem schwül und ungemütlich an. „Wo sollen wir Paolo treffen?“, fragte ich.

„Er müsste drüben bei den Hangars sein.“ Belinda ging in Richtung des heruntergekommeneren Teils des Flughafens los, auf dem verstreute Hütten und größere Gebäude standen, die tatsächlich Flugzeuge beherbergten. Wir fanden Paolo neben einem glänzenden neuen Flugzeug, das unglaublich fragil aussah, und ich war erleichtert, als er uns mit den Worten begrüßte: „Tut mir leid wegen des Wetters. Heute Nachmittag heben wir leider nicht ab. Die Jungs vom Wetterdienst haben uns vor einem weiteren Sturm gewarnt.“

„Oh, wie schade, nachdem wir den ganzen Weg hergekommen sind“, sagte Belinda. „Und ich habe mich so darauf gefreut.“

„Es würde dir nicht gefallen, wie ein Cocktail durchgeschüttelt zu werden, cara mia, und außerdem würdest du nichts sehen, wenn wir durch die Wolken fliegen, und du könntest vom Blitz getroffen werden.“

„Wenn das so ist“ – Belinda schmollte noch immer – „solltest du uns lieber zu einem schönen Lunch einladen, um die Enttäuschung wiedergutzumachen. Wir sterben vor Hunger.“

„Es gibt ein Restaurant im Passagierterminal“, sagte Paolo. „Ich kann nicht für die Qualität der Speisen garantieren, aber man kann beim Essen den Flugzeugen zuschauen, die von überall auf der Welt einfliegen. Es ist ein spektakulärer Anblick.“

„Also gut. Ich schätze, das wird genügen müssen.“ Belinda hakte sich erst bei ihm und dann bei mir unter. „Komm mit, Georgie. Wir lassen ihn dafür büßen, dass er kein besseres Wetter arrangiert hat, was?“

„Aber ich kann das britische Wetter nicht kontrollieren“, beschwerte sich Paolo. „Wären wir in Italien, könnte ich euch gutes Wetter garantieren. In England regnet es ständig.“

„Nicht immer. Vor zwei Tagen hast du dich darüber beschwert, dass es zu heiß und sonnig ist“, sagte Belinda.

Wir durchquerten das funkelnde neue Gebäude und unsere Absätze klapperten auf dem Marmorboden. Ich schaute fasziniert nach oben zu der Wandmalerei, die die verschiedenen Zeitzonen der Erde zeigte. In Australien war es bereits Nacht. Ich spürte ein wehmütiges Ziehen. So viel von der Welt wartete darauf, entdeckt zu werden und ich war nur bis in die Schweiz gekommen – wo es überall sicher und sauber war.

Das Mittagessen war erstaunlich gut, es gab feines Schollenfilet und danach Erdbeeren mit Sahne. Als wir bei einem Kaffee verweilten, schaute ich andächtig aus dem Fenster und versuchte zu ignorieren, wie Belinda und Paolo auf höchst erotische Weise abwechselnd Bissen von einer Erdbeere nahmen. Ich hatte bemerkt, dass sich die Gewitterwolken zu einer großen dunklen Front zusammenballten, also überraschte mich der erste Donnerschlag nicht, der direkt über unseren Köpfen ertönte. Die Leute, die auf dem Asphalt gestanden hatten, eilten schutzsuchend davon, als der Regen einsetzte. Chauffeure breiteten hastig Planen über die offenen Autos.

„Tja, das bedeutet keine Flüge mehr für heute“, sagte Paolo. „Ich hoffe, es hört auf, bevor ich zurück nach London fahren muss. Es macht einfach keinen Spaß, im Regen Motorrad zu fahren.“

„Du könntest vom Blitz getroffen werden“, sagte Belinda. „Ich dachte, du liebst die Gefahr.“

„Gefahr, sì. Durchnässt werden, nein.“

„Du wirst dein Motorrad hierlassen und mit uns den Zug zurück nehmen müssen“, sagte Belinda.

„Aber ich kann das Haus, in dem ich wohne, nicht ohne mein Motorrad erreichen“, sagte er. „Wo soll ich die Nacht verbringen, was meinst du?“

Natürlich kannte er die Antwort genau.

„Lass mich nachdenken“, sagte Belinda.

Ich drehte mich weg und wünschte mir, nicht wieder das fünfte Rad am Wagen zu sein. Dann rief jemand: „Schaut! Da ist ein Flugzeug, das zu landen versucht.“

Ich spähte durch den strömenden Regen und meinte, einen schwärzeren Fleck in den dunklen Wolken zu erkennen.

„Er muss verrückt sein, wenn er versucht, bei diesem Wetter zu landen“, sagte jemand anderes. „Er wird sich umbringen.“

Wir konnten sehen, wie die kleine Maschine hin und her hüpfte, im einen Moment in den Wolken verschwand und im nächsten wieder auftauchte. Dann flog es in eine massive schwarze Wolkenbank. Ein Blitz leuchtete auf. Donner grollte. Von dem Flugzeug war nichts zu erkennen. Plötzlich ging ein Jubelschrei durch die Menge. Das kleine Flugzeug durchstieß die Wolke nur wenige Fuß über der Landebahn und setzte auf, wobei es eine spritzende Wasserfontäne hinter sich herzog.

Alle strömten aus dem Restaurant. Wir folgten, mitgerissen von der Aufregung, und blieben unter dem Vordach stehen, während die kleine Maschine auf uns zukam. Es war ein Doppeldecker, kaum größer als ein Kinderspielzeug.

„Das ist eine Gipsy Moth“, sagte Paolo. „Offene Pilotenkabine, müsst ihr wissen. Ich glaube nicht, dass ich mutig genug wäre, eine Moth in einem solchen Sturm zu landen.“

Das Flugzeug hielt an. Der Pilot schwang sich aus dem hinteren Cockpit und stieg unter Applaus und Jubelrufen herunter. Dann nahm er seinen Helm ab und die Menge schnappte nach Luft. Der Pilot war eine Frau mit auffallend rotem Haar.

„Es ist Ronny!“, rief Paolo aus und bahnte sich einen Weg durch die Menge.

„Ronny? Sieht mir nach einer Frau aus“, sagte ich.

„Veronica Padgett, Schätzchen.“ Belinda folgte Paolo durch die Menge. „Du weißt schon, die berühmte Fliegerin. Sie hat vor kurzem den Solo-Rekord von London nach Kapstadt aufgestellt.“

Die Pilotin machte sich nun auf den Weg in das Gebäude und nahm freundlich die Jubelrufe und Glückwünsche entgegen, während sie sich durch die Menge bewegte.

„Ronny, gut gemacht“, rief Paolo, als sie an uns vorbeikam.

Sie sah auf, erkannte ihn und schenkte ihm ein breites Lächeln. „Hallöchen Paolo. Wetten, das würdest du nicht schaffen?“

„Niemand, der bei Verstand ist, hätte das versucht, Ronny. Du bist völlig verrückt, weißt du das?“

Sie lachte. Ihr Lachen war tief und wohlklingend. „Gut möglich. Das habe ich mir während der letzten halben Stunde selbst viele Male gesagt.“

„Woher bist du gekommen?“, fragte Paolo.

„Nicht weit weg. Nur von Frankreich herüber. Ich wusste, dass ich wahrscheinlich nicht hätte abheben sollen, aber ich wollte eine Party heute Abend nicht verpassen. Aber das Ganze war verdammt übel. Konnte in Frankreich die verfluchten Eisenbahnschienen nicht sehen, über dem Kanal lag Nebel und dann bin ich in diese Schlechtwetterfront geflogen. Hat überall geschüttet. Wäre fast mein Mittagessen wieder losgeworden und mein Kompass hat verrückt gespielt. Keine Ahnung, wo die verdammte Landebahn war. Meine Güte, hat das Spaß gemacht.“

Ich sah sie bewundernd an. Ihr Gesicht strahlte geradezu vor Begeisterung.

„Kommt, lasst uns aus diesem höllischen Wetter verschwinden“, sagte sie und schlug den Kragen ihrer Pilotenjacke hoch, während ein weiterer Donnerschlag über unseren Köpfen dröhnte und der Wind über den Aerodrome peitschte. Als wir ihr nacheinander folgten, klopfte Belinda Paolo auf die Schulter. „Hast du vor, uns einander vorzustellen, oder behältst du sie ganz für dich?“, fragte sie.

Paolo lachte eine Spur nervös. „Entschuldige, ich hätte euch vorstellen sollen. Ronny, das sind meine Freunde Belinda Warburton-Stoke und Georgiana Rannoch. Mädels, das ist Ronny Padgett.“

Ich bemerkte, wie sich Ronnys Augen weiteten. „Rannoch? Bist du mit den Dukes von Rannoch verwandt?“

„Der letzte war mein Vater, der neue ist mein Bruder“, sagte ich.

„Du liebe Güte. Dann sind wir fast Nachbarn. Mein Familiensitz liegt am Dee, nicht allzu weit von euch entfernt.“

„Wirklich? Erstaunlich, dass wir uns noch nie über den Weg gelaufen sind.“

„Ich komme nicht oft dorthin“, sagte sie. „Für meinen Geschmack ist es dort verdammt noch mal viel zu ruhig. Und ich bin ein Stück älter als du. Als man mich ins Internat verfrachtete, bist du wahrscheinlich noch in Windeln herumgekrabbelt. Mit sechzehn bin ich endgültig von zu Hause ausgezogen. Wollte nichts damit zu tun haben, in die Gesellschaft eingeführt zu werden und dem ganzen Kram. Ich wurde mit Fernweh geboren, schätze ich. Bist du selbst oft dort oben?“

„In ein paar Wochen muss ich nach Schottland“, sagte ich. „Aber nicht nach Castle Rannoch, wenn ich es vermeiden kann. Es ist zurzeit nicht der belebteste Ort. Ich werde auf Balmoral zur Moorhuhnjagd erwartet.“

„All die armen, schutzlosen Vögel, die ermordet werden“, sagte Ronny. „Barbarisch, wenn man genauer darüber nachdenkt. Aber, Himmel, es macht Spaß, nicht wahr? Ich schätze, es muss uns im Blut liegen.“

„Das tut es bestimmt“, sagte ich. „Ich liebe es zu jagen, aber der arme Fuchs, der in Stücke gerissen wird, tut mir immer furchtbar leid. Ich bin keine besonders gute Schützin, also tun mir die Moorhühner nicht ganz so leid. Und sie sind schrecklich alberne Vögel.“

Ronny lachte wieder. „Das sind sie ganz sicher. Vielleicht werden wir uns irgendwann einmal über den Weg laufen. Wenn ich dort bin, kannst du mich besuchen und mit mir gemeinsam auf dem Anwesen jagen.“

Mir fiel auf, dass Belinda schmollte. Sie war es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen.

Sie zupfte an Paolos Ärmel. „Nach dem, was Ronny gerade geleistet hat, ist das Mindeste, was du tun kannst, sie mit Champagner zu feiern“, sagte sie.

„Belinda, manchmal glaube ich, dass du denkst, ich bin nur dafür da, dich mit Champagner und Kaviar zu versorgen“, sagte Paolo.

„Überhaupt nicht, du bist auch für andere Dinge gut.“ Sie warf ihm ihr Schlafzimmerlächeln zu.

Ich bemerkte den sehnsüchtigen Blick, den sie austauschten. Dann drehte er sich zu Ronny um. „Ich wurde angewiesen, dir Champagner auszugeben, wenn sie hier an der Bar eine ordentliche Flasche vorrätig haben. Bist du mit von der Partie?“

Sie sah sich um, dann lachte sie erneut. „Warum nicht? Man lebt schließlich nur einmal. Und ich habe noch nie nein zu einem ordentlichen Champagner gesagt.“ Sie schritt voran, durch die Menge und in die Haupthalle des Gebäudes hinein. „Ich schätze, ihr habt mein Dienstmädchen nicht gesehen, oder?“, fragte sie, während sie mit den Augen die Menge absuchte. „Schüchternes kleines Ding. Sieht aus, als würde sie denken, alle wollten ihr ans Leder. Ich habe ihr gesagt, dass sie mich hier treffen und das Kleid mitbringen soll, das ich heute Abend anziehen will. Sie sollte besser auftauchen, sonst bin ich aufgeschmissen. Ich kann nicht in diesen Kleidern zu einer Party gehen.“

Wir machten uns auf den Weg zur Bar, aber von dem Dienstmädchen war keine Spur zu sehen. „Wahrscheinlich wartet sie am Hangar auf mich, wo ich zum Glück den Wagen gelassen habe. Wenigstens wird er trocken sein.“

„Du hast also einen Wagen?“, fragte Paolo und sah sie interessiert an. „Besteht die Chance, dass du mich in die Stadt mitnimmst?“

„Entschuldige, altes Haus. Ich fahre ins hinterste Sussex. Kann dir nicht weiterhelfen.“

„Wie schade“, sagte Paolo. „Ich bin mit dem Motorrad hergekommen und verabscheue es, nass zu werden. Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als das verdammte Ding hierzulassen und den Zug zurück nach London zu nehmen.“

„Das muss sehr schlimm für dich sein“, sagte Belinda spitz.

Er legte einen Arm um ihre Schulter. „So habe ich es nicht gemeint, mi amore. Ich meinte nur, sobald ich in London bin, werde ich kein Transportmittel außer diesen schrecklichen Taxis haben, die langsamer herumkriechen als Käfer. Ich bin überzeugt, dass Ronny herrlich schnell fährt.“

„Das tue ich ganz bestimmt, altes Haus“, sagte sie mit einem erneuten Lachen.

Wir betraten gerade die Bar, als eine junge Frau rief: „Miss Padgett!“ und uns unter dem Gewicht eines riesigen Koffers wankend entgegenlief. Ihr Gesicht war rot angelaufen und sie sah eindeutig mitgenommen aus. „Oh, Miss Padgett, es tut mir so leid, dass ich zu spät bin“, sagte sie nach Luft schnappend. „Als ich auf halber Strecke zum Bahnhof war, fing es an zu donnern und ich musste mich unterstellen. Ich habe eine Todesangst vor Donner, wissen Sie. Ich hoffe, ich habe Ihnen keine Umstände gemacht.“

„Natürlich hast du das, verdammt noch mal“, sagte Ronny. „Du bist anscheinend niemals pünktlich. Aber du hast noch einmal Glück gehabt. Ich wurde aufgehalten, um Champagner zu trinken, also lauf zum Wagen vor und warte dort auf mich.“

„Zum Wagen?“

„Er steht im Hangar. Du weißt schon. Nummer 23? Du bist schon dort gewesen. Wo ich die Moth abstelle.“ Sie wandte sich uns zu. „Himmel, es ist, als würde man gegen eine Wand reden. Ich nehme an, du hast tüchtige Dienstmädchen, Lady Georgiana?“

„Bitte nenn mich Georgie, das tun alle“, sagte ich. „Und im Augenblick habe ich überhaupt keine Dienstboten. Ich bin erst vor kurzem nach London gezogen und ehrlich gesagt hause ich noch allein.“

„Brillante Idee“, sagte Ronny. „Siehst du, Mavis, Lady Georgiana ist die Tochter eines Dukes und sie kommt ohne Dienstboten zurecht. Also legst du besser einen Zahn zu, oder ich könnte es ihr gleichtun. Ein neues Zeitalter zieht nämlich auf.“

Paolo hatte sich mit dem Barkeeper beraten und ein befriedigendes Plopp ertönte, als der Korken von einer Flasche Bollinger flog.

„Nun geh schon“, sagte Ronny zu der leidgeplagten Mavis, die mich nun fasziniert anstarrte. „Nimm meinen Koffer und stell ihn in den Wagen, dann warte dort auf mich. Oh, und schau, ob du das Verdeck hochklappen kannst. Wir wollen nicht nass werden.“

Mavis versuchte zu knicksen und stolperte davon. Als sie ging, hallte Ronnys deutliche Stimme durch die marmorne Eingangshalle. „Ich würde sie sofort feuern, aber ehrlich gesagt weiß ich, dass ich Dinge wie waschen und bügeln zu ermüdend finden würde.“

Kapitel 4

Rannoch House

13., 14. und 15. August 1932

Nass.

„Also, was hältst du von Ronny?“, fragte Belinda mich auf dem Weg nach Hause.

„Interessant. Anders.“

„Sie ist eindeutig eine Klasse für sich, nicht wahr?“, sagte Belinda. „Mutig wie eine Löwin, aber es ist ihr egal, was sie sagt, oder wen sie beleidigt.“ Sie wandte sich an Paolo, der zusammengesunken am Fenster saß. „Mir ist aufgefallen, dass du ziemlich fasziniert von ihr warst.“

„Sie erstaunt und amüsiert mich“, sagte er, „aber was alles andere angeht, hat sie ungefähr so viel Sex-Appeal wie ein Teller Spaghetti Bolognese.“

„Ich weiß nicht recht, Spaghetti können ganz schön sexy sein, wenn man sie nackt isst.“ Belinda warf ihm einen äußerst provokanten Blick zu.

Paolo lachte. „Belinda, du bist eindeutig das schamloseste Mädchen, das ich kenne. Angelina würde ein Dutzend Rosenkränze beten, wenn ihr so ein Gedanke auch nur in den Sinn käme.“

„Deswegen hat man mit mir mehr Spaß als mit Angelina“, sagte Belinda. „Komm schon, gib zu, dass du mehr Spaß hast, wenn du mit mir zusammen bist.“

„Natürlich habe ich das, aber ich glaube nicht, dass du für irgendjemanden eine passende Ehefrau abgeben würdest.“

Ich beobachtete die beiden, während der Zug schnaufend in Richtung Victoria fuhr. Belinda würde wie meine Mutter enden, die mit ausgelassener Zügellosigkeit von Bett zu Bett hüpfte, folgerte ich. Der Gedanke schien mir mehr Sorgen zu bereiten als ihr.

Sie brachten mich zum Rannoch House und verschwanden, vermutlich für eine sündhafte Nacht. Ich bekam ebenfalls nicht viel Schlaf. Selbst nach dem Gewitter war die Luft stickig und auch bei offenem Fenster war es zum Schlafen zu heiß. Ich lag wach, lauschte den Geräuschen der Stadt und dachte über Belinda und Paolo nach. Wie es wohl wäre, die Nacht in den Armen eines Mannes zu verbringen? Natürlich dachte ich dabei an einen ganz bestimmten Mann. Was tat er in diesem Moment? Erholte er sich wirklich noch bei seiner Familie in Irland oder war er an einem anderen Ort, mit jemand anderem? Bei Darcy konnte man nie wissen.

Als ich ihn zum ersten Mal traf, hielt ich ihn für einen wilden irischen Frauenhelden und Opportunisten, der sich mit seinem Charme und Einfallsreichtum durchschlug. Aber nun hatte ich ihn im Verdacht, mehr zu sein als das, was er mir erzählt hatte. Ich vermutete, dass er in Wahrheit eine Art Spion war. Ich konnte nicht sagen, für welche Seite, aber ganz sicher nicht für die Kommunisten. Er hatte eine Kugel riskiert, die ihn beinahe das Leben gekostet hätte, um den König und die Königin zu retten.

Ich wünschte nur, ich wüsste, wer er war. Ich wünschte, ich würde mich trauen, ihn zu Hause zu besuchen. Aber ich hatte Angst vor dem, was ich vorfinden könnte. Was Männer anging mangelte es mir wirklich an Selbstbewusstsein – vermutlich, weil ich bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr nur ein männliches Exemplar gekannt hatte: meinen Bruder.

Schließlich schlief ich ein und erwachte von dem Geräusch klirrender Flaschen und dem Pferd des Milchmanns. Über Nacht war die Luft abgekühlt und der süße Duft von Rosen und Geißblatt drang aus dem Garten in der Mitte des Platzes herauf. Ich stieg erfrischt und energiegeladen aus dem Bett, die düstere Stimmung des Vortages hatte sich zusammen mit der nächtlichen Luft verflüchtigt. Es liegt in meiner Natur, dass ich nie lange schlechte Laune habe. Und heute lag eine Aufgabe vor mir, die mich in naher Zukunft mit einem beträchtlichen Einkommen versorgen könnte.

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und formulierte eine Anzeige für die Times. Als ich fertig war, war ich sehr zufrieden damit und wollte sie Belinda zeigen. Aber ich wusste es besser, als sie vor elf Uhr morgens zu stören, und besonders, da sie vermutlich nicht allein war. Also schrieb ich die Anzeige ins Reine und brachte sie zum Büro der Times. Ich hatte den Eindruck, dass das Mädchen, das die Rechnung dafür ausstellte, mich merkwürdig ansah und fragte mich, ob sie mich erkannt hatte. Ab und zu tauche ich auf einer Fotografie im Tattler auf, da mich die Presse für eine heiratsfähige junge Frau mit guter Abstammung hält. (Sie haben keine Ahnung, in welchem Zustand die Bankkonten der Rannochs sind.)

„Sind Sie sicher, dass Sie das schreiben möchten, Miss?“, fragte sie.

„Ja, ganz sicher, danke.“

„Sehr wohl.“ Sie nahm mein Geld entgegen. „Das wird also in der morgigen Zeitung zum ersten Mal erscheinen und so lange laufen, bis Sie uns mitteilen, dass es eingestellt werden soll.“

„Das ist korrekt“, sagte ich. Sie starrte mir noch immer nach, als ich das Büro verließ.

Ich kam voller Vorfreude nach Hause und durchsuchte meinen Kleiderschrank nach Kleidungsstücken, die zum Ausgehen geeignet waren. Zum Glück hatte ich im Frühsommer eine volle Woche lang ein Dienstmädchen gehabt, das während dieser Zeit meine guten Sachen gewaschen und gebügelt hatte, also waren meine Abendkleider in weniger zerknittertem Zustand als meine Alltagsgarderobe. Ich saß vor dem Spiegel und experimentierte damit, mein Haar hochzustecken. (Desaster. Ich sah wie die Medusa aus.) Dann holte ich die Schere und schnippelte an den Spitzen herum, in der Hoffnung, es würde sich in die Art von glattem Bob verwandeln, den Belinda trug. Wieder war ich nicht allzu erfolgreich. Nun blieb mir nichts anderes übrig als abzuwarten.

Am nächsten Morgen eilte ich los, um die Times zu kaufen, sobald der Kiosk geöffnet hatte, und da war sie, auf der Titelseite inmitten der anderen Anzeigen. Geschäftlich allein in der Stadt? Lassen Sie Ihre Abendunterhaltung durch den Coronet Begleitdienst aufwerten. Unsere erstklassigen Mädchen sind ideale Gefährtinnen, um sich beim Dinner und Tanz zu schmücken. Ich hatte eine Telefonnummer angeben müssen und keine andere Wahl gehabt, als die Nummer von Rannoch House anzugeben. Ich hoffte nur, dass niemand sie erkannte und es Binky oder Fig weitererzählte. Aber andererseits, überlegte ich, tat ich nichts Falsches. Dieser Mr. Hiram Schlossberger hatte jede Minute meiner Gesellschaft an jenem Abend genossen. Warum also sollten andere Gentlemen nicht für diese Gunst bezahlen?

Die Idee war eindeutig nicht albern gewesen, denn an diesem Nachmittag erhielt ich meinen ersten Anruf. Der Mann hatte einen starken ländlichen nordenglischen Akzent, aber ich nahm es ihm nicht übel. Ich dachte an all die reichen Fabrikbesitzer, die Sätze sagten wie: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne.“ Obwohl seine Gesprächsthemen und seine Manieren ungehobelt wären, würde er gut bezahlen. Er fragte nach meinem Preis, was kein Mann von nobler Herkunft tun würde, und stotterte ein wenig, als ich ihm fünf Guineen nannte.

„Das is’ verdammt viel“, sagte er. „Hoffentlich is’ sie gut.“

„Die Allerbeste“, gab ich zurück. „Ein erstklassiges Mädchen aus guter Familie. Sie werden bezaubert von ihr sein.“

„Das will ich verflucht nochmal hoffen“, sagte er. „Sagen Sie ihr, sie soll sich im Rendezvous Club hinter dem Leicester Square mit mir treffen. Das ist in der Nähe meiner Unterkunft.“

„Sehr wohl“, sagte ich. „Und welche Uhrzeit soll ich ihr nennen?“

„Zehn Uhr?“

Ich legte den Hörer nieder. Um diese Uhrzeit würde es also kein Dinner sein. Und auch kein Theaterbesuch. Ein spätes Abendessen in einem Nachtclub vielleicht? Dann also Tanz, Pokern, ein Cabaret? Mein Herz klopfte wild vor Aufregung. Das war das Leben, das ich mir erträumt hatte – spätabends ausgehen, sich unter die jungen Leute mischen und im Morgengrauen nach Hause kommen.

Ich verbrachte eine lächerlich lange Zeit damit, mich herzurichten, nahm ein langes heißes Bad und versuchte sogar Make-up aufzutragen, etwas, das ich nie richtig gelernt hatte. Aber als ich in den Spiegel sah, war ich mit den sinnlichen roten Lippen zufrieden, obwohl das schwarze Mascara auf meinen Wimpern eigentlich nicht zu meinem rotblonden Haar und meinem Teint passte und das Cocktailkleid nicht so geschmeidig fiel, wie ich es wollte. Es war eines der Kleider, die mir die Frau des Wildhüters auf ihrer Nähmaschine für meine Debütantinnensaison geschneidert hatte. Es war eine Kopie von etwas, das ich in einer Zeitschrift bewundert hatte, aber aus irgendeinem Grund ließ mich die Kombination von Mrs. MacTavishs Nähkünsten und Taft nicht ganz so aussehen wie das von Stoff umschmeichelte Mädchen mit dem Zigarettenhalter in Harper’s Bazaar. Aber ich musste das Beste daraus machen und ich sah sauber und respektabel aus.

Mein Herz klopfte während der ganzen Taxifahrt wie wild. Wir fuhren an den hellen Lichtern des Leicester Square mit seinen Theaterschildern und aufgeregten Menschenmassen vorbei und hielten schließlich in einer dunklen Nebenstraße.

„Sind Sie sicher, dass das die richtige Adresse ist, Miss?“, fragte der Taxifahrer mit besorgter Stimme.