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Wie konnte dem 48 1/2 -fachen Massenmörder Siggi Maier die Flucht aus dem Hochsicherheitstrakt der Justizvollzugsanstalt gelingen? Hatte er Helfershelfer? Die Anstaltspsychiaterin? War Frau Doktor Susanne (Susi) Neubauer in den Ausbruch verwickelt? Die Polizei steht vor einem Rätsel, alle Spuren laufen ins Leere. Wo verbirgt sich der Mörder? Was plant er, wann wird er wieder zuschlagen? Die Zeit drängt, ein Wettlauf mit dem Tod beginnt. Können die beiden Kommissare Müller und Metzger Siggi Maier rechtzeitig zur Strecke bringen? Werden sie weitere Morde verhindern? Elli Melder, die attraktive Reporterin sieht sich unvermittelt in das Geschehen verstrickt. Was für eine einzigartige Chance für die ehrgeizige Journalistin. Es könnte die Story ihres Lebens werden, Pulitzer-Preis verdächtig. Mit Herrn Biel, Direktor der Justizvollzugsanstalt, nimmt sie die Sache mit Verve in die Hand, gemeinsam beginnen sie die Jagd nach Siggi Maier. Wird Edeltraut, Ellis Mutter, Amateurkriminalistin und Canasta-Profi, den entscheidenden Tipp zur Ergreifung liefern? Immer enger scheint sich die Schlinge um Siggi Maier zu ziehen. Oder ist alles nur ein brillant ausgeklügelter Plan des Psychopathen? Lockt der Massenmörder in einem perfiden Verwirrspiel alle zum Haus der Kräuterkundigen Holly, um in einem furiosen Finale Rache zu nehmen an Gott und der Welt?
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Seitenzahl: 592
Veröffentlichungsjahr: 2017
Wie konnte dem 48 1/2 -fachen Massenmörder Siggi Maier die Flucht aus dem Hochsicherheitstrakt der Justizvollzugsanstalt gelingen? Hatte er Helfershelfer? Die Anstaltspsychiaterin? War Frau Doktor Susanne (Susi) Neubauer in den Ausbruch verwickelt?
Die Polizei steht vor einem Rätsel, alle Spuren laufen ins Leere. Wo verbirgt sich der Mörder? Was plant er, wann wird er wieder zuschlagen? Die Zeit drängt, ein Wettlauf mit dem Tod beginnt. Können die beiden Kommissare Müller und Metzger Siggi Maier rechtzeitig zur Strecke bringen? Werden sie weitere Morde verhindern?
Elli Melder, die attraktive Reporterin sieht sich unvermittelt in das Geschehen verstrickt. Was für eine einzigartige Chance für die ehrgeizige Journalistin. Es könnte die Story ihres Lebens werden, Pulitzer-Preis verdächtig. Mit Herrn Biel, Direktor der Justizvollzugsanstalt, nimmt sie die Sache mit Verve in die Hand, gemeinsam beginnen sie die Jagd nach Siggi Maier. Wird Edeltraut, Ellis Mutter, Amateurkriminalistin und Canasta-Profi, den entscheidenden Tipp zur Ergreifung liefern?
Immer enger scheint sich die Schlinge um Siggi Maier zu ziehen. Oder ist alles nur ein brillant ausgeklügelter Plan des Psychopathen? Lockt der Massenmörder in einem perfiden Verwirrspiel alle zum Haus der Kräuterkundigen Holly, um in einem furiosen Finale Rache zu nehmen an Gott und der Welt?
Ein Elli Melder Roman
von Uli Korb
Impressum
© 2017 Uli Korb
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback 978-3-7345-9664-3
Hardcover 978-3-7345-9665-0
e-Book 978-3-7345-9666-7
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
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Umschlagabbildung: AXL, Shutterstock
Satire ist ein Spiegel, in dem der Betrachter üblicherweise jedes andere Gesicht entdeckt, nur nicht sein eigenes.
Jonathan Swift
„Ich bin nicht dafür bekannt, dass ich Kreide fresse, um eine angenehmere Stimme oder eine angenehmere Diktion vorzutäuschen, sondern ich bin dafür bekannt, dass ich sage, was ich denke, und dass ich auch das denke, was ich sage.“
Franz Josef Strauß
"Humor sollte immer dabei sein, auch bei Problemen."
Helge Schneider
"Lächeln ist die eleganteste Art, einem Gegner die Zähne zu zeigen."
Werner Finck
„Sie haben sie wegen einem Nusseis umgebracht?”
Ungläubiges Entsetzen schwingt in meiner Stimme mit. Ich sitze hier jetzt eine knappe Stunde und Siegfried Maier, sagen sie Siggi zu mir, erzählt mir selig lächelnd Dinge, die einem das Herz schockfrosten.
Siggi Maier ist ein Massenmörder.
Ich, das bin ich. Elli Melder. Ich werde in naher Zukunft den Pulitzerpreis gewinnen.
Ich bin eine aufstrebende, ehrgeizige Reporterin. Angestellt und komplett unterfordert bei einer traurigen Provinzgazette, deren Chefredakteur es sich eingebildet hat und es eine tolle Idee fand, ausgerechnet mich in die nahe- und idyllisch gelegene, trotzdem verrufene und mit geisteskranken Schwerstverbrechern vollgepfropfte Justizvollzugsanstalt zu schicken, um einen dort wohnhaften, ultimativ durchgeknallten Schwerstverbrecher zu interviewen. Besagten Siggi Maier.
„Wegen einem Nusseis!” wiederhole ich kopfschüttelnd.
Siggi Maier schaut mich interessiert an. Als wäre ich eine unentdeckte Spezies. Unentdeckt, aber zu doofen Fragen im Stande. Auch im legeren Sträflingsanzug, nicht le dernier cri, aber praktisch, wirkt er elegant und keineswegs unscheinbar. Er wirkt nicht so, wie unsereiner sich gemeinhin Massenmörder vorstellt. Nicht unscheinbar und unauffällig wie Heckenschützen oder Amokläufer, die eben was gegen die Bevölkerungsexplosion unternommen haben. Nicht wie der „der war immer nett Typ”, der einem die Türe aufhält und der Oma die volle Einkaufstüte in den 24sten Stock hochschleppt. So harmlos wirkt Siggi Maier nicht. Siggi Maier hat nach seiner Ergreifung, stolz und ob seiner Leistung ergriffen, zugegeben, 48 ½ Menschen umgebracht zu haben. Nicht festgelegt auf Geschlecht, Rasse, Aussehen, Alter, Herkunft oder sexuelle Präferenzen. Siggi Maier hat wahllos liebe Mitmenschen ins Jenseits expediert. Aus Gaudi, hat er zu Protokoll gegeben.
„Mit dem Nusseis hat die Gaudi angefangen”, lächelt er. „Die dumme Gans wollte mich nicht schlecken lassen.”
„Das war ein Kind, das Mädchen war doch erst vier”, wende ich kläglich ein.
„Ja und, ich war auch ein Kind, erst sieben!”, kommt prompt und eingeschnappt die Antwort.
„Ja dann”, krächze ich. Mehr fällt mir nicht ein. Mehr bringe ich nicht raus.
„Elli”, meinte er, „was wollen unsere Leser? Sex and Crime, wollen unsere Leser.” Der Chefredakteur hat die Angewohnheit, seine Fragen immer gleich selbst zu beantworten. Was vieles erleichtert. Was er oft übersieht ist die Tatsache, dass die Leser seiner „Zeitung”, wenn überhaupt, dann nur den eingelegten Prospekten und den darin enthaltenen unglaublichen Sonderangeboten der verschiedenen Discounter und Baumärkte ihre werte Aufmerksamkeit schenken. Lidl, Netto, Aldi versus Hornbach, OBI und Hagebau. Sex and Crime, geht's noch?
„Elli, der Termin steht, Montag, 9.00 Uhr, vor Hofgang und Mittagessen. Ein extrem verabscheuungswürdiges Exemplar der Gattung Mörder ist ausgesucht und zur Kooperation mit dir, respektive unserer Zeitung, bereit. Bereit, bereitwillig alle deine Fragen zu beantworten und dich in die dunkelsten Abgründe seiner Seele zu entführen.” Der Chefredakteur hat die Angewohnheit, seine Anordnungen immer knapp, allgemeinverständlich und so zu formulieren, dass zum Luftholen, geschweige denn für irgendwelche Einwände, kein Spielraum bleibt. Was vieles erleichtert. „Genießen sie ihr Wochenende, unternehmen sie was Nettes, was Romantisches, lesen sie einen Liebesroman, schauen sie den „Bergdoktor“, verlustieren sie sich mit einem edlen Ritter in der Kuschelkiste, bevor sie sich am Montag die Kehrseite des Lebens antun. Und jetzt fallen sie mir nicht um den Hals und bedanken sie sich nicht überschwänglich, sie sind es doch, die den Pulitzerpreis gewinnen will.” Der Chefredakteur hat die Angewohnheit, einen so schnell aus seinem Büro zu quasseln, dass einem die hochgeistigen Schlagfertigkeiten erst draußen auf dem Flur durch den Kopf schießen. Was vieles erleichtert.
Viel schlauer als noch vor fünf Minuten bin ich jetzt aber auch nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass ich in zwei Tagen im Knast erscheinen und die Zeit bis zum Mittagessen mit einem verabscheuungswürdigen Menschwesen der Gattung Mörder verbringen soll. Vielleicht Händchen haltend. Ich hasse den Chefredakteur und seine Angewohnheit, seinen Mitarbeitern, aktuell mir, das Wochenende zu versauen. Hilft aber nichts, wer den Pulitzer will, muss leiden. Leiden heißt recherchieren.
Und im Sumpf des Verbrechens recherchieren heißt, nach Dienstschluss in der Redaktion nicht ab ins Wochenendvergnügen, sondern heim und sich mit einem Humpen gekühltem Soave am Schreibtisch platzieren. Von Massenmördern weiß ich null, nada, niente. Meine letzte exklusive Nervenkitzelstory war die Geschichte des Landrats, der bei der Eröffnung eines Radlwegs von einer Selbstmordattentäterin heimgesucht wurde. Einer Biene. Die Biene verstarb stachellos noch am Tatort. Der herbeigeraste Notarzt konnte nur noch ihren Tod feststellen und ihr Leichnam wurde von einem derben Polizeistiefel dem Muster des Asphalts angepasst. Der Landrat wurde mit dem Hubschrauber in die städtische Universitätsklinik geflogen und nach Aussage des Professors Chefarzt befindet er sich außer Lebensgefahr. Nach angemessener Rekonvaleszenz und Kühlung der Einstichstelle wird er sich wieder unerschrocken seinen Amtsgeschäften für Volk und Vaterland widmen und sich bei weiteren wichtigen Eröffnungen mit anschließendem Sektempfang den Durst löschen und am Buffet den Wanst vollschlagen. Um weitere terroristische Anschläge auf lokale Polithelden zu verhindern, wird der Radlweg ab sofort für Bienen gesperrt.
Mit Massenmördern habe ich keinerlei Erfahrung? Massenmördern bin ich bis dato tunlichst aus dem Weg gegangen. Ich muss meine Mutter anrufen. Wie spät ist es? 19.25 Uhr MEZ. Das passt, Mama schläft um diese Zeit nicht. Da macht sie sich nicht einmal bettfertig. Sie macht sich fernsehkrimitauglich. „Ohne Krimi geht die Mimi nicht ins Bett”. Bill Ramsey, 1962. Was für ein Chartbreaker. Damals natürlich nicht Charts, sondern die „10 der Woche” im Bayerischen Rundfunk, Freitag abends um 18.00 Uhr. Pflichttermin! Kein Gekreische von langhaarigen Liverpoolern, die wollten erst 1964 your hand holden. Musik noch fest in deutscher Hand. Deutsche Schlagerherrlichkeit. Der alte Seebär Freddy mit „Junge, komm bald wieder”, der Unschuldsbolzen Peggy March schmalzt „Mit siebzehn hat man noch Träume”, die nudeldicke Trude Herr versichert wenig glaubhaft „Ich will keine Schokolade”, die seetüchtige Lolita singt „Mein Schiff heißt Heimweh”, der feuchte blonde Teenagertraum Heidi Brühl schwindelt „Wir wollen niemals auseinandergeh'n” und Caterina Valente und Silvio Francesco reizen die Grenzen der Sittsamkeit und des guten Anstands mit ihrem „Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strand Bikini” aus. Sehr gewagt.
Woher ich mich mit altdeutschem Liedgut so gut auskenne? Eines der Highlights meiner rasenden Reporterlaufbahn. Der Bericht über die Ü60-Schaumparty in der örtlichen Bierschwemme, auch Kurhaus genannt oder, im Volksmund, Hin und Mit. Da ging die Post ab, da sind die Ü60er dermaßen ausgerastet, dass die Polizei einschreiten musste. Zu ersten Tumulten kam es, weil viele im Schaum ihre Haarteile, Brillen, Rollatoren und Gangstöcke verloren hatten. Dann auch die Gebisse, die ihnen beim Mitgröhlen der refrainschwangeren Schlagertexte aus dem Mund fielen. Und finde mal dein Gebiss, wenn du bis zum Hals im Schaum stehst.
Aber ich wollte ja Mama anrufen. Mama kennt sich aus in der Welt des Verbrechens. Nach 67 Jahren intensiven Krimikonsums, literarisch und televisionell, ist ihr kein Abgrund der verbrecherischen Seele fremd. Mit „Emil und die Detektive” und „Isar 12” begann alles. Im Buchformat angesagt sind momentan Schwedenkrimis, Islandkrimis, Norwegenkrimis, Lapplandkrimis, ober- und niederbayerische Krimis, fränkische Krimis, allgäuerische Krimis und und und und. Kein Stückchen Erde auf dieser Welt, und sei es noch so trostlos und gottverlassen, dass es nicht doch von pervertierten Mördern beackert würde. Im TV „Mord mit Aussicht”, „Bella Block”, „Notruf Hafenkante”, SoKos bis zum Erbrechen und so weiter und so weiter. Frauen ermitteln, fette Pfaffen ermitteln, fette Anwälte ermitteln, fette Kommissare ermitteln, Kommissare mit Alkoholproblem ermitteln, Kommissare mit Alzheimer ermitteln, gemischtrassige/gemischtgeschlechtliche Duos ermitteln, Gerichtsmediziner/innen ermitteln, Kommissare mit Kötern ermitteln, Dorfpolizisten ermitteln, Hausfrauen ermitteln, Omas ermitteln, Ex-Polizisten ermitteln, Privatdetektive ermitteln. Endlos die Liste. Keine humanoide Lebensform, die nicht in einen Krimi gequetscht werden könnte. Und natürlich, Tusch und humptata humptata tschingderassabumm, Tatort, Tatort, Tatort, Tatort, Tatort, Tatort, Tatort, Tatort, Tatort. Die müssen ja auch alle noch jeden Sonntag um 20.15 Uhr inhaltlich vollgestopft werden mit abartig durchgeknallten Psychomonstern jeglicher Couleur: Terroristen, Anarchisten, Bigamisten, Schleuser, Raubmörder, Rufmörder, Menschenhändler, Islamisten, Schnorrer, Hausfriedensbrecher, Geiselnehmer, Fremdgeher, Falschspieler, Geldfälscher, Schwarzseher, Raubkopierer, Onanisten, Kannibalen, Landesverräter, Schwarzfahrer, Bullenschweine, Hausbesetzer, Tierquäler, Fahnenflüchtige, Müslifresser, Fahrerflüchtige, Drogensüchtige, Nymphomaninnen, Ehebrecher, Schwule, Umweltsünder, Alkoholiker, Erpresser, Nazis, Kinderschänder, Vergewaltiger, Exhibitionisten, Pornographen, Politiker, Hochstapler, Inzestler, Brandstifter, Steuerbetrüger, Transvestiten, BILDleser, Erbschleicher, Veganer, Analverkehrer, Saboteure, Hehler, Falschparker, Nasenpopler, Landstreicher, Punker et cetera. Wenn du dir die volle Breitseite über Jahrzehnte reinziehst, da bleibt zwangsläufig einiges hängen, da wirst du zum Experten, da sieht jeder verbeamtete pensionserwartende Kriminaler alt aus gegen dich. Gegen Mama selbstredend.
Ich wähle. Beim zweiten Läuten hebt sie ab: „Meine Tochter Elli. Schön, dass du auch mal wieder anrufst. Es gibt dich noch, wie beruhigend. Und dass du eine Mutter hast, ist dir jetzt um halb acht eingefallen. Brauchst du Geld?” Mama, wie sie leibt und lebt. Ich liebe sie.
„Geld brauche ich immer und woher weißt du, dass ich es bin? Ich lasse doch meine Nummer unterdrücken.”
„Papa schläft während der Sportschau immer ein und mein Mann für gewisse gewissenlose Stunden ist in der Abendschule, auf Fortbildung! Sagt er. Wer sonst außer dir sollte mich also anrufen und um Geld anbetteln? Wenn ich daran denke, was du deine Eltern gekostet hast. Auf was wir alles verzichtet haben. Wir haben es ja immer gerne gegeben, aber es war schon viel. Wenn ich an die Kreuzfahrten denke, die Papa und ich jetzt machen könnten, gerade jetzt, wo wir die Zeit hätten, wo wir uns nicht krumm und bucklig schinden müssen für die Tochter, dass sie studieren kann, dass was Vorzeigbares aus ihr wird und dass sie immer eine warme Mahlzeit und was zum Anziehen hat und ...”
Ich lege den Hörer zur Seite und hole mir aus dem Kühlschrank noch einen Schluck Wein. Das dauert jetzt und ich werde nichts hören, was ich nicht schon x-mal gehört hätte.
„Elli, hallo Elli, bist du noch dran?”
„Ja Mama, bin noch da, ich hab’ mir nur schnell eine Küchenrolle geholt, ich muss meine Tränen aufwischen.”
„Mach’ nur deine Witze”, muffelt Mama in den Hörer. „Was gibt es denn?”
„Mama, du bist doch Expertin bei Mördern, oder? Nenne mir doch mal ein paar ausgesuchte Scheusale, aber nicht aus dem Fernsehen, sondern aus Echtleben.”
„Mach’ mir nicht Angst, Elli. Hast du einen Mörder kennengelernt? Elli, hast du dich verliebt? Elli, das führt zu nichts. Früher oder später fängt man den, sperrt ihn ein, Isolationshaft, Ernährungsumstellung auf Wasser, Brot und Psychopharmaka. Elli, hör’ auf deine Mutter, such’ dir einen netten, gutaussehenden, gebildeten, kinderliebenden, vermögenden jungen Mann aus gutem Hause, aber lass’ die Finger von Mördern.”
„Ist für die Arbeit, Mama, für eine Reportage”, beruhige ich sie.
„Na dann, das ist was anderes. Gott, hast du mich erschreckt. Wie geht es eigentlich deinem Gynäkologen?”
„Mama, nicht, bitte. Mörder, bitte.” Ich habe jetzt echt keinen Bock, über meinen Gynäkologen zu reden.
„Aber dein Freund ist doch Gynäkologe. Frau Penzel vom dritten Stock meint, ein Gynäkologe ist eine gute Partie. Müllmänner im öffentlichen Dienst sind auch eine gute Partie, oder wenn du einen Kiosk mit Ausschanklizenz hast in einer S-Bahn-Station oder am Baumarkt. Aber Gynäkologen sind eindeutig besser. Gynäkologen braucht man immer, sagt die Penzel. Sie ja nicht mehr, die Penzel, der alte Feger. Die Penzel beim Gynäkologen, das würde der gefallen, sich die Brust abtatschen lassen beim Gynäkologen, also echt. Was anderes will ich mir gar nicht vorstellen. Ausgerechnet die Penzel.”
„Mama! Mörder!”, lasse ich nicht locker.
Erst sagt sie nichts, dann flötet sie in den Hörer: „Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir, mit dem kleinen Hackebeilchen, macht er Schabefleisch aus dir. Aus den Augen macht er Sülze, aus dem Hintern macht er Speck, aus den Därmen macht er Würste und den Rest, den schmeißt er weg.“Fritz Haarmann, den kennst du bestimmt, Elli. Den kennt jeder. Der hat in den Zwanzigerjahren mindestens 24 Männer getötet. Erst hatte er Sex mit ihnen, vermutlich ungeschützt. Damals gab es noch kein AIDS, das war also nicht gefährlich. Nach dem Sex biss er ihnen die Kehle durch, zum Schluss verwurstete er seine Opfer. Immer hübsch in dieser Reihenfolge. Haarmann hat nämlich mit Fleischkonserven gehandelt, weißt du, und da haben die Bullen spekuliert, dass in den Fleischkonserven ... denk dir den Rest, mir ist das zu eklig. Haarmann hat dies stets bestritten, konnte aber auch keine nachprüfbare Quelle für das von ihm verkaufte Fleisch benennen. Bekannt ist aber, dass seine Nachbarin ein Restaurant besaß und von ihm Fleisch kaufte. Bekannt ist auch, dass kein Fall publik wurde, wo sich ein Gast über das Fleisch am Teller beschwert hat oder Bauchweh bekam. Na ja, das stand sicher auch nicht auf der Speisekarte, dass das Wiener Schnitzel nicht vom Kalb, sondern von einem jungen Mann kam.”
„Mama, wart’ mal kurz.” Ich gehe zum Kühlschrank, um mir Soave Nachschub zu organisieren. Durst ja, Wurstbrot nein. Da werde ich in Zukunft vorsichtiger sein. Metzger meines Vertrauens und so. „Bin wieder da, Mama, du kannst weitererzählen. Sicher hast du noch mehr Schauergeschichten auf Lager.”
Mama lässt sich nicht lange betteln. „Der Frauenmörder Heinrich Pommerenke, das muss in den Sechzigern gewesen sein. Einer meiner Favoriten. Pommerenke mordete, vergewaltigte, raubte. Der hat sich ein echt starkes Ding geleistet. Ultimativ durchgeknallt und kaltschnäuzig. In einem Zug mit Ziel Italien erstach er eine 21-jährige und warf sie während der Fahrt aus dem Fenster. Er zog die Notbremse, stieg aus, ging zu der bewusstlosen Frau und verging sich an ihr. Anschließend schlitzte er ihr die Kehle auf. Dann zog er sich die Hosen hoch und stieg wieder in den Zug ein. Bestimmt hat er sich auch noch über die Verspätung des Zuges schriftlich beschwert, aber das ist Spekulation von mir.”
Mama erzählt das alles ganz entspannt. Andere kriegen schon das Zittern, wenn sie erzählen, dass ihnen beim Stricken eine Masche auf den Boden gefallen ist. Mama nicht. Die muss kaum Luft holen, während die Grausligkeiten nur so aus ihr raussprudeln, glücklich, dass sie endlich ihr profundes Wissen mit jemandem teilen kann. Und weiter geht’s.
„Der S-Bahn-Mörder Paul Ogorzow, immerhin liebevoller Vater von zwei Kindern. Müssen rechte Nervensägen gewesen sein und seine Frau war sicher auch nicht die Wucht. Wie dem auch sei, Entschuldigung ist das keine und wurde später in der Verhandlung auch nicht als strafmindernd angesehen. 31 Frauen hat Ogorzow vergewaltigt, acht davon hat er getötet. Fünf von ihnen warf er aus fahrenden S-Bahn-Zügen. In Berlin war das. Meist setzte er sich als Schaffner verkleidet neben seine ahnungslosen Opfer. Er schlug sie bewusstlos und fiel dann über sie her. Als Motiv gab er Hass auf Frauen und die Faszination am Töten an. Dieser Knallkopf.” Mama hat sich warm geredet.
So langsam beschleicht mich das Gefühl, dass ich zukünftig besser zu Hause bleiben und S-Bahnen und Züge meiden sollte. Das Leben da draußen vor der Tür scheint nicht ganz so ungefährlich zu sein, wie ich gemeinhin meinte. Eher ein Tummelplatz für blutrünstige Psychopathen. Gut aussehen tue ich auch noch. Verdammt!
Mama bemerkt meine Nöte nicht. Unbeirrt fährt sie fort.
„Elli, du darfst nicht denken, dass nur in Deutschland so Typen rumlaufen. Pass’ mal auf, Elli. Luis Alfredo Garavito Cubillos, auch La Bestia oder El Loco genannt, kennst du den? Den kennst du nicht, da brauch’ ich nicht zu fragen. Ein kolumbianischer Serienmörder, der es auf die stolze Zahl von mindestens 138 Jungen, überwiegend im Alter zwischen 8 und 13 Jahren, gebracht hat. Was sagst du dazu. 138! Das musst du dir mal auf der Zunge zergehen lassen. 138! Wie sie ihn dann endlich erwischt haben – alles wie gehabt! Garavito Cubillos Heulsuse Jammerlappen. Furchtbare Kindheit. Aufgewachsen in einer Atmosphäre der Gewalt. Ist von seinem Vater wiederholt geschlagen und misshandelt worden. So ein Schmarr’n. Da wärst du auch eine Serienmörderin. Weißt du noch, wie Papa dir einmal eine geklebt hat? Du hast ihm im falschen Moment eine patzige Antwort gegeben. Aber deswegen bist du doch keine Serienmörderin geworden. Wegen Alkoholismus und seelischen Erkrankungen ist Cubillos später in Behandlung gewesen. Suizidgefährdet war er auch noch. Na und? Ich fang’ gleich an zu heulen, der arme Kerl. Fakt ist, Garavito Cubillos war homosexuell, pädophil und ein dreckiger Sadist. Unter Alkoholeinfluss fesselte, folterte und vergewaltigte er Kinder, schnitt ihnen anschließend die Kehle durch und enthauptete sie. 138! Das musst du erst mal nachmachen.”
Muss ich nicht, ich muss Mama bremsen. Ich will ja heute und die nächsten Jahre traumlos schlafen und Kinder will ich auch mal. Aber Mama lässt nicht locker.
„Elli, ganz kurz noch, du brauchst das doch für deine Reportage, aber ich muss gleich auflegen, in zwei Minuten kommt im Zweiten „Helen Dorn: Gefahr im Verzug.” Aber für Alexander Jurjewitsch Pitschuschkin, genannt „Der Schachbrettmörder” oder auch „Der Irre vom Bitza-Park”, ist gerade noch Zeit. Über seine erste Tat meinte Pitschuschkin: „Der erste Mord ist wie das erste Mal verliebt sein – unvergesslich.” Pitschuschkin gab zu Protokoll, er habe 64 Menschen töten wollen – so viele Felder hat ein Schachbrett. Nach jedem Mord hat er immer das nächste Feld auf seinem Schachbrett mit einer Zahl versehen. Auf die Frage, was er getan hätte, wenn er die Zahl 64 erreicht hätte, antwortete Pitschuschkin, er hätte ein neues Brett gekauft. Super oder, der Kerl, so schlagfertig. Seine favorisierte Zielgruppe waren ältere und behinderte Menschen, eher Ungefährliche. Obdachlose, Alleinstehende, sozial Schwache oder Alkoholkranke, Leute, die keiner vermisst, wenn die weg sind. Er erschlug sie meistens mit einem Hammer. Einige seiner Opfer schmiss er zum Ertrinken in die Kanalisation. Aber das war ihm nicht brutal genug. Da ließ er sich was einfallen. Um sicherzugehen, dass seine Opfer wirklich tot waren, rammte er ihnen eine Wodkaflasche, die Marke war ihm egal, in die klaffende Wunde im Kopf. Natürlich eine leere Wodkaflasche. Verschwender von Spirituosen war Pitschuschkin nicht. Da konnte man ihm nichts vorwerfen. Pitschuschkin gab unter anderem an, dass sein Ziel gewesen sei, die Opferzahl des Serienmörders Andrei Chikatilo zu übertrumpfen und der bekannteste und gefürchtetste Serienmörder Russlands zu werden. Er sagte, dass ein Leben ohne Morde für ihn wie ein Leben ohne Nahrung wäre. Ohne würde er verhungern. Aber jetzt fängt Helen Dorn an, du kannst ja später noch mal anrufen, wenn du noch Infos brauchst. Schönen Abend noch und schlaf’ gut.”
Mama hat einfach aufgelegt und ich sitze hier und bibbere.
Mama wird sich in aller Gemütsruhe nach Mord und Gemetzel im TV einen Tee aufbrühen. Vermutlich Kamille. Mama wird nicht von grausigen Träumen heimgesucht werden. Mama wird schlafen wie ein Stein und nach Kamille duften.
Mit Kamillentee habe ich nichts am Hut. Ich hole mir noch mehr Wein aus dem Kühlschrank. Schlafen werde ich nicht können. Danke, Mama. Aber wenn ich ordentlich Wein in mich reinschütte, dann werde ich hoffentlich irgendwann ohnmächtig. Und nach Wein stinken. Prost!
Matricaria chamomilla ; Korbblütler (Asteraceae) Echte Kamille
Das einjährige Kraut wird zwischen 20 und 50 Zentimeter hoch und treibt einen reichverzweigten Stängel aus. Die länglichen wechselständigen Blätter sind zwei- bis dreifach gefiedert. Das Blütenköpfchen besteht außen aus weißen Zungenblüten und in der Mitte aus dicht gedrängten gelben Röhrenblüten, der Blütenboden ist innen hohl.Alle Pflanzenteile besitzen einen starken, charakteristischen Geruch.Die Pflanze wächst auf Äckern, Brachland und Schuttplätzen und blüht von Mai bis September. Die Blüten enthalten bis zu 1,5 Prozent ätherisches Öl mit α-Bisabolol und Matricin, Flavonoide und Cumarine. Wird das ätherische Öl aus den Blüten gewonnen, bildet sich die Substanz Chamazulen, das dem Öl seine tiefblaue Farbe verleiht. Die Pflanze hat antientzündliche, antibakterielle und krampflösende Eigenschaften
Wie eine kleine Sonne sehen die Blütenköpfchen aus, was Wunder, dass die Kamille schon den alten Germanen als heilig galt und ihrem Lichtgott Baldur geweiht wurde. Am Johannistage gepflückt, war ihre Heilkraft so groß, dass es schon genügte, sie neben einen Kranken zu legen, um ihm neue Lebenskraft zu verleihen. Vielleicht etwas übertrieben, aber an der Wirkung zweifelt bis heute niemand. 1987 wurde sie vom Verband Deutscher Drogisten zur ersten „Arzneipflanze des Jahres“ gekürt. Denndie Kamille ist ein echtesMulti-Talent und deshalb in den unterschiedlichsten medizinalen Produkten wie Salben, Extrakten, Badezusätzen, Ölen oder Tees zu finden.Dieätherischen Öle der Kamille hemmen Entzündungen, fördern die Wundheilung, lösen Krämpfe und töten Bakterien und Pilze ab.Galen und Asklepios besprechen den Kamillentee höchst löblich, nach Dioskurides sind Bäder und Umschläge ein Mittel gegen Kopfweh, Blähungen, Leber-, Nieren- und Blasenleiden. Pfarrer Kneipp und die Kräuterpäpste des Mittelalters empfehlen Kamille bei Atemwegserkrankungen und Erkältungen. Ein wahrer Tausendsassa unter den Heilpflanzen.
“En Köppsche Kamilletee hölp besser wie zehent Döktersch”
Kamille beruhigt alles, vor allem ein überstrapaziertes Nervenkostüm, auf dem insbesondere Ehemänner und Töchter rumtrampeln, die sich nur wenig um die Sorgen und Nöte einer Hausfrau und Mutter scheren. Wie gut, dass es für unsere Edeltraud den abendlichen Tee aus echten Blüten gibt, bekömmlich, aromatisch und mit ein bisschen Honig fast kalorienfrei zu genießen. Und wenn es ganz schlimm kommt, kann man sich dem Rest der Welt durch ein Dampfbad entziehen: Handtuch über den Kopf und die ätherischen Öle einatmen – schon ist die Welt wieder in Ordnung.
Mühsam ringe ich um Fassung. Ich höre mir gerade an, wie mir ein nicht unattraktiver Serienmörder erzählt, dass er die Nachbarstochter, die kleine Elfi, umgebracht hat. Bester Laune, ohne jegliche Verunsicherung, Gewissensbisse Fehlanzeige. So wie andere voller Scham und tiefster Reue erzählen, dass sie dem Deppen von der ersten Bank, dem blöden Streber, die Luft aus dem Reifen gelassen haben. Dass sie dem Kinderdrangsalierer namens Hausmeister in den Tank seines Rasentraktors gepinkelt haben. Dass sie mit dem Pausengeld von Mama keine kraftspendende Milch, sondern eine koffein- und zuckerhaltige braune Brause gekauft haben. Dass sie beim Beichten den Pfarrer mit Lügengeschichten von Doktorspielen an den Rand eines Herzinfarkts gebracht haben. Das erzählen die und im gleichen Atemzug versprechen sie hoch und heilig, dass sie das nie mehr tun werden, weil das so gemein ist und sie nicht in die Hölle kommen wollen.
Aber Siggi Maier sitzt seelenruhig vor mir, die Hände in Handschellen sichtbar am Tisch, den Vollzugsbeamten in Schlagdistanz schlagbereit hinter sich. Ich kann nicht anders, ich beneide Siggi um seinen Seelenfrieden. Der schläft nicht schlecht. Warum auch. Er hat 48 ½ Menschen umgebracht, was soll's?
„Und der halbe Mensch, wie soll ich das verstehen?”, frage ich.
„Das ist die Elfi, die zählt nur halb, die war doch erst vier. Ganz zählt erst ab 10 Jahren. Das kann einem die Statistik ganz schön versauen, wenn einer nur Kinder umbringt. Das nur am Rande. Aber die Elfi hat es dicke verdient, die war schon mit vier ein verzogenes, gemeines Miststück. Frage nicht, was aus der geworden wäre, wenn ich mich nicht um dieses Problem gekümmert hätte. Im Grunde hätte es für die Elfi doppelte Punktzahl geben müssen, für dieses kleine Luder. Aber kein Polizist kommt auf die Idee, verständnisvoll nachzuhaken: „War bestimmt ein schreckliches Kind, die Elfi, so eine Nerventöterin. Die mussten sie zum Wohle der Allgemeinheit umbringen, Herr Maier, oder? Wenn er überhauptsiesagt. Meistens sagen diedu Drecksackoder, alternativ,du perverses Schwein. Sage ich vielleichtdu Bullenschwein? Sage ich nicht, ich habe Erziehung genossen.”
„Aber war es denn so schlimm, dass die Elfi sie nicht an ihrem Nusseis hat schlecken lassen?”, wage ich einzuwerfen.
„Pfeif’ auf das Nusseis, das hab’ ich nur so gesagt. Das ist mir gerade so eingefallen. Fakt ist, die Elfi war ideal, um mit dem Morden anzufangen”.
„Ach so”, nicke ich. „Es hätte also auch ein Erdbeereis sein können, ein offener Schnürsenkel, eine Zahnlücke oder Elfis Bobbycar in einer falschen Farbe?”
„Bleibe mir mit deiner kläglichen Ironie vom Hals, du blöde Schlampe”, faucht Siggi Maier und beugt sich bedrohlich nach vorne. Seine genossene Erziehung hat er schnell ad acta gelegt.
Dem Vollzugsbeamten läuft das Wasser im Mund zusammen. Seine Figur strafft sich. Ein Gummiknüppel und ein Elektroschocker materialisieren sich in seinen Fäusten. Seine Augen leuchten begeistert auf und signalisieren mir: „Nicht aufhören jetzt, Lady, provoziere ihn weiter. Gönne mir das Vergnügen, dieses Schwein windelweich zu prügeln.”
Aber Siggi Maier hat sich sofort wieder im Griff. „Entschuldigen sie bitte”, meint er, „ich vergesse meine vorbildliche Kinderstube. Die Isolationshaft, die zerrt an den Nerven.”
Ich nicke verständnisvoll, der Vollzugsbeamte schaut mich vorwurfsvoll an, ich habe ihm den Tag gründlich vermiest. „Also ...”
„Also da waren meine Gedanken”, fährt Siggi Maier gelassen fort. „All’ diese Gedanken, dass ich ein böser Bube bin. Dass ich auf der Welt bin, um Böses zu tun.”
Die Nacht war hart. Der Morgen nach der Nacht war sehr hart. Da war die Nacht vor dem Morgen nichts dagegen. Zu viel getrunken, Soave literweise, selber schuld. Schlecht geträumt dank Mamas grausigen Horrorgeschichten. Das konnte nicht gutgehen. Ich stehe vor dem Waschbecken und versuche, mit der Zahnbürste meinen Mund zu treffen. Da drin hat sich ein Geschmack häuslich eingerichtet, ein Geschmack nach alten Tennissocken, nach Brackwasser in einem fauligen Tümpel, nach einem Stamperl Achselschweiß, nach Männerumkleidekabine. Zur besseren Orientierung, irgendwo muss mein Mund doch sein, blicke ich in den Spiegel und staune nicht schlecht. Wer ist das denn? Wie kommt die fremde Frau in meinen Spiegel. Ich bin das nicht. Versteckte Kamera? Eine Frau ja, aber eine alte Frau, stiert mich glasig dumpf an, das Gesicht runzlig wie ein zerknitterter Boskop, Augenringe und Tränensäcke zum Abwinken. Was ist denn mit der los? Hat die die letzte Woche durchgesoffen? Na ja, wenigstens hat sie sich in aller Frühe vor das Waschbecken geschleppt und versucht sich in Körperhygiene. Versucht zu retten, was zu retten ist.
„Elli, Elli”, schimpfe ich los. „Du solltest den Soave weglassen und deine Mutter nicht mehr anrufen.” Los jetzt. Der Kater kam nicht von alleine, den heißt es jetzt vom Hof jagen. Und der alte faltige Boskop sollte gegen einen knackig frischen straffen Granny Smith ausgetauscht werden. Möglichst schnell, denn der Gynäkologe hat sich angesagt. Mein Gynäkologe. Nicht im Sinne von mein Gynäkologe wie mein Hausarzt, sondern mein Gynäkologe wie mein Freund.
„Elli”, fordere ich mich auf, „jetzt wird kalt geduscht!”
Ich rede oft mit mir selber, das klingt verrückt und Freunde meinen, ich sollte mir zum Kommunizieren wenigstens ein Haustier anschaffen. Wenn schon keinen Hund, dann einen Vogel oder ein Meerschwein. Ein putziges Minipferd wie das aus der Werbung, das wäre super. Mit dem könnte ich reden: „Wie wär's mit einem kleinen Ausritt, Minipferd?” Und die Minipferdeäpfel, die das winzige Hottehüh in der Wohnung fallen lässt, mit denen könnte ich die Geranien am Balkon düngen. Sagen meine besorgten Freunde. Ich habe aber keine Geranien, ich hasse Geranien. Deswegen brauche ich kein Pferd, das Dünger kackt.
Ich rede auch nicht ständig mit mir, wenn, dann sind das meistens kurze, energische Befehle. „Jetzt kalt duschen, Elli!” Das Paradebeispiel. Ich dusche doch nicht kalt, wenn ich nicht den ausdrücklichen Befehl dazu bekomme. Das macht keiner, der noch alle Fünfe beisammen hat. Oder: „Schling’ nicht so, Elli!” Der Klassiker unter den Befehlen, wenn es Spaghetti gibt und ich kein Halten mehr kenne. Spaghetti mit Tomatensoße, Bolognese, Carbonara, total egal, ein ordentlicher Klacks Butter darauf und dann weg damit und den Teller noch ausgeschleckt.
Ich befolge meinen Befehl und dusche kalt, fast kalt, eher lauwarm, warm. Ich dusche warm, aber so, dass es sich wie kalt anfühlt. Ich muss doch nicht jedem Befehl blind Folge leisten, wo komme ich denn da hin. Das ist gelebter Widerstand vor mir selber.
Nach der Dusche stehe ich nackig vor dem Spiegel. Bestandsaufnahme. Ich sehe nichts. Der Spiegel ist beschlagen. Der beschlägt immer, wenn ich kaltwarm dusche. Aber ich muss mich nicht sehen, ich weiß, dass ich blendend aussehe und eine gute Figur habe. Objektiv gesehen habe ich eine 1A Figur, rein subjektiv eine Vier-Sterne-Superior Superfigur. Alles, wie es sein soll. Alles so, dass es Männerherzen höher schlagen lässt. Vom Scheitel bis zur Sohle auf der Skala von 1 - 10 eine 9,99. Dieses 0,1 auch nur, weil es sonst heißt, ich bin eingebildet. Bin ich nicht, ich sehe nun mal aus, wie ich aussehe.
Die blonden Haare, lockig, so Meg Ryan Style. Taille Neid erweckend, der Busen perfekt, das weiß ich auch ohne Bleistifttest. Genau richtig ist der, keine heavy hangers, auch keine kümmerlichen Mäusefäustchen. Der Po, knackig und rund, ein echter Hingucker. Die Beine, glatt, samtig, dellenfrei, super Beine, so ist es nun mal. Und ein Gesicht, in dem alles auf's Ergötzlichste zusammenspielt. Augen, Lächeln und Stimme werden zu einer Komposition, zu einem Gesamtkunstwerk, von dem man den Blick nicht lassen kann. Es ist ein Gesicht, das Männer ansehen und still werden. Andächtig. Ehrfürchtig. Das ist jetzt vielleicht etwas dick aufgetragen, aber es klingt gut.
Zusammengefasst, ich bin ein heißes Mädel, basta. Bis jetzt hat noch keiner weggeschaut.
Nun muss ich mich ranhalten, der Gynäkologe wird gleich auftauchen. Mein Freund. Jung, nett, gut aussehend, gebildet, vermögend. Ein Mamatraum aus richtig gutem Hause. Der Vater ein Schönheitschirurg mit Privatklinik. Stinkend vor Geld, um es mit der Stimme des Volkes zu sagen. Für den Sohn, Jean, war eine Karriere in eben dieser Schönheitsklinik vorgesehen. Wahrscheinlich deswegen auch der dusslige Name Jean. Ein Schönheitschirurg kann ja nicht Sepp heißen, wenn seine Kundinnen so exotische Namen wie Janine, Arjana, Darmelia, Xioleni oder Yasmina haben. Bei den Kunden, ja, es gibt genug Männer, nicht nur schwule Filmstars und noch schwulere Politiker, die sich zum Botox spritzen und Fett absaugen einfinden, gilt ein Claude oder ein Joshua schon als altbacken. Deswegen Jean. Das klingt nicht so nach Metzger oder Maurer wie Max. Wer würde sich von einem Max denn liften lassen? Keiner! Vielleicht eine/einer, die/den die Krankenkasse schickt, weil die/der wegen ihrer/seiner Hängelider gewaltige psychische Probleme hat. Aber die/der würde es in den Verschönerungstempel von Jeans Vater nicht weiter als bis zur Parkplatzschranke schaffen. Die Preise für’s Parken lesen, Rückwärtsgang reinhauen und nichts wie weg hier. So schlimm sind Hängelider, Hängebusen und Hängebäuche auch wieder nicht, dass man sich deswegen bis in die dritte Generation hinein verschuldet. Kassenpatienten ein No-Go.
Jean wollte aber nicht in Papas Fußstapfen treten, er wollte Gynäkologe werden. Und trotz der üblichen Familiendramen, inklusive eines ultimativen Erpresserischen „Ich enterbe dich!” des Vaters, hat mein Jean sein Ding durchgezogen und wurde Gynäkologe. Und weil er so gut aussieht und so begnadete zarte Hände hat, hat er heute eine eigene florierende Praxis, nur Privatpatientinnen, und die Janines, Arjanas, Darmelias, Xiolenis und Yasminas geben sich bei ihm die Klinke, hoffentlich nur die Klinke, in die Hand.
Es läutet Sturm. Das muss er sein. Ich wickle mir schnell ein Handtuch um, gehe zur Tür und schaue sicherheitshalber durch den Spion. Nicht, dass ich dem Postboten spärlich bekleidet die Tür aufmache und er das als Einladung auffasst. Aber es ist Jean, der darf und soll mich so sehen, und wenn er es als Einladung auffasst, hoffe ich, dass er sie annimmt.
Die Tür ist offen und Jean umarmt mich stürmisch. Mit der Ferse kickt er die Tür zu und mit seinen geschickten Händen kickt er das Handtuch weg.
„Wie kann ein einzelnes Frauchen nur so toll aussehen?”, strahlt er mich an. „Da hat Herr Gott seinen besten Tag gehabt, wie er dich gemacht hat.”
Ohhh der Jean, was ist das für ein Süßholzraspler. Nackig stehe ich vor ihm und versuche erst gar nicht, meine Blößen schamhaft zu verdecken. Ich habe nur zwei Hände. Zu wenige für alle meine Blößen, die Jean jetzt mustert, als sähe er weibliche Blößen zum ersten Mal. Nur zur Erinnerung, Jean ist Gynäkologe und den lieben langen Tag sieht er nichts anderes als weibliche Blößen. So wie ein Automechaniker den ganzen Tag in offene Motorhauben starrt und mit geschickten Fingern an schwer zugänglichen Teilen herumschraubt, starrt Jean den ganzen Tag zwischen offene Schenkel. Mit der Begeisterung eines Spätpubertierers stiert er auf meine nicht jugendfreien Teile, dass mir ganz anders wird. Ist deshalb seine Praxis immer so voll, klettern deswegen Janine, Arjana, Darmelia, Xioleni, Yasmina und all die anderen Jet Set Schönheiten so begeistert auf den gynäkologischen Untersuchungs- und Behandlungsstuhl und breiten ihre Ware aus, weil Jean diesen Blick bekommt, diesen Blick … Meine Phantasie schlägt wieder Purzelbäume.
„Elli!”, ermahne ich mich. „Reiß dich zusammen! Such’ dir einen Buchprüfer, einen Uhrmacher oder einen Glasbläser, wenn du mit einem Gynäkologen nicht klar kommst!” Recht habe ich.
Jeans Stimme bekommt jetzt diesen Unterton, diesen tiefen Ton, der bei Frauen ohne Umwege im Unterleib landet, dort zu vibrieren beginnt und für einen Temperaturanstieg sorgt: „Eigentlich hatte ich ja an ein gemeinsames Frühstück in einem netten Café gedacht und dann hatte ich vor, dir vorzuschlagen, dass wir den Rest des Tages … ” Die Pause ist bedeutungsschwanger und vielversprechend.
„Du willst mir sagen, dass wir besser auf das gemeinsame Frühstück in einem netten Café verzichten und statt dessen gleich den Rest des Tages im Bett verbringen, gemeinsam bei wildem einvernehmlichen Sex!”
Jean ist offensichtlich hellauf begeistert. Dass er nicht in die Hände klatscht und „Auf los geht’s los!” brüllt, ist seiner übermenschlichen Selbstbeherrschung zuzuschreiben. Aber wie ich mich umdrehe und nackten wackelnden Hinterns vor ihm her ins Schlafzimmer stolziere, gibt es kein Halten mehr. Auf los geht’s los.
Jean ist ein Naturtalent in Sachen Sex, zumindest was die Ausdauer angeht. Er weiß nicht immer, was er tut, aber er tut es immer wieder. Ganz ein Leistungssportler. Als hätte er den festen Stand und alles, was dazugehört, erfunden. Entspannt und voll befriedigt, so sagt Frau doch, liege ich nach Runde 1 in seinen Armen, gönne ihm eine Verschnaufpause, habe aber doch Hinterlistiges im Sinn. Ich bin ja auch nur eine ganz normale hinterlistige Frau.
„Jean”, hauche ich ihm ins Ohr, „mein Liebster, vorhin im Liebestaumel, hast du „Yasmina, ich komme” gestöhnt. Ich heiße aber Elli!” Das ist gemein von mir und auch nicht wahr, aber ich will ihn ein wenig triezen. Ich will, dass er sich theatralisch entschuldigt und zur Wiedergutmachung über mich herfällt. Der Tag ist noch lang und auf’s Frühstück zu verzichten – kein Problem!
Jean zuckt zusammen. Falsche Reaktion, ganz falsch. Ich zucke auch zusammen.
Aber Elli, das solltest du nun wirklich wissen: Wer mit dem Feuer spielt, kann sich leicht die Finger verbrennen. Was hast du denn erwartet?
Ich habe erwartet, dass er lacht unddu eifersüchtiges Dummerchensagt, oderLiebeslust schadet offensichtlich deinem Gehör?, oder sich dumm stellt und treuherzigschau mir in die Augen, Kleines, was soll ich gestöhnt haben?, sagt. Aber zusammenzucken geht gar nicht. Supergau. Für Jean. Für mich auch.
So schnell kann ich nicht mit meinen Wimpern klimpern, da ist Jean, mein Gynäkologe, aus dem Bett und verschwindet mit einemmuss mir ein Glas Wasser holen, magst du auch eins?Richtung Küche. Das ist das erste Mal, dass er nach enthemmten lustvollen Sex zur Tränke tappt. Das ist nicht normal. Normal ist: der raucht danach nicht, der trinkt danach nicht, der haut sich danach keine 10 Eier in die Pfanne, der dreht sich danach nicht um und schläft ein, der führt danach keine tiefschürfenden Gespräche, der rennt danach nicht gleich in die Dusche, der hockt sich danach nicht wieder in den Fernsehsessel und schaut weiter Sportschau, der bringt danach nicht den Müll runter, der telefoniert danach nicht mit seiner Mutter, der verschwindet danach nicht sofort zu wichtigen geschäftlichen Terminen. Danach ist für Jean eine kleine Pause zum Verschnaufen und danach kommt Runde 2 und nach Runde 2 kommt nach einer kurzen Verschnaufpause Runde 3. Danach sage ich: „Jetzt ist es genug.”
Aber danach ein Glas Wasser wollen? Wasser. Das ist mehr als seltsam, das ist verdächtig, sehr verdächtig.
Jean kommt zurück. Er tut so, als hätte er seinen Durst gelöscht. Ich weiß nicht, wie man tut, als hätte man seinen Durst gelöscht, aber Jean tut so. Das spüre ich.
„Yasmina”, sage ich und fühle mich schlecht.
„Nur einmal und das hat nichts mit uns zu tun”, sagt Jean und macht auf zerknirscht. Er sieht mich nicht an dabei. Er ist ganz grün im Gesicht. So wie es aussieht, ist ihm die Nummer mit Yasmina auf den Magen geschlagen. Armer Jean. Dreckskerl.
„Nur einmal”, lächele ich süffisant, „mit Yasmina. Dann ist es ja gut.”
„Ich bin auf der Welt, um Böses zu tun”, wiederholt Siggi Maier.
„Wie meinen sie das, böse Gedanken, Böses tun”, bitte ich um Aufklärung.
„Ganz früher, wie ich noch klein war, fing das an. Im Kindergarten.” Siggi Maier ballt die Fäuste, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten. „Im Kindergarten, da war ich vier. Böse Gedanken schwirrten in meinem kleinen vierjährigen Kopf herum wie angriffslustige Wespen. Schlag’ die anderen Kinder, mach’ ihnen ihre Basteleien kaputt, singe Lieder absichtlich falsch mit, lauter so gemeine Gedanken.”
„WOW! Das ist ja ungeheuerlich. Sie haben Stress mit anderen Hosenscheißern im Kindergarten und singen absichtlich falsch!” Ich lache sarkastisch. „Glauben sie den Unsinn wirklich, den sie mir da auftischen? Falsch singen im Kindergarten und als nächstes ein kleines Mädchen umbringen! Das ist ein weiter Weg von dem einen zum anderen. Ich glaube es nicht. So was habe ich ja noch nie gehört. Da würde es von Mördern wimmeln, wenn jeder, der falsch singt, einen umbringt”, fauche ich Siggi Maier an. Ich kann mich nicht zügeln. „Soll ich den Krampf in meiner Reportage schreiben: Liebe Leser, sie müssen wissen, der Mehrfachmörder (48 ½ Morde) hat im Kindergarten falsch gesungen, absichtlich, das erklärt doch alles, da muss man doch den Fall ganz neu aufrollen, da tun sich ja völlig neue Blickwinkel auf, das riecht nach Justizirrtum, der hat falsch gesungen, ja wenn das kein Grund ist, dass einer zum Mörder wird, was dann!”
Siggi Maier grinst mich kalt an. „Gut gebrüllt, Elli.” Er fixiert mich durchdringend mit seinen blauen Augen. „Mach’ dich nur lustig über mich. Aber Elli, hast du schon mal böse Gedanken gehabt, richtig böse Gedanken?”
Ich schüttle den Kopf.
„Elli, böse Gedanken, schlechte Gedanken, ich habe die immer. Die wünsche ich mir nicht, die kommen nicht ab und zu, die sind da oben drin, die spielen verrückt und quälen mich ohne Unterlass. Jetzt im Moment denke ich an deine Brüste, jetzt, während ich mit dir rede. Deine Brüste, sind die schlaff oder fest? Was hast du für Nippel, große, harte, kleine. Deine Muschi, deine Vagina unter deinem Slip, bist du rasiert, bist du schon feucht, macht dich das an, ohh, ich möchte meine Hand ausstrecken und deine Vagina anfassen, ich möchte meine Finger bei dir reinstecken, spürst du meine Finger, schließe deine Augen und stell’ dir meine Finger vor, in dir drin, Elli, spürst du sie.” Siggi Maier stöhnt genießerisch, was den Vollzugsbeamten wieder Hoffnung schöpfen lässt, seine Bereitschaft zu hartem Durchgreifen demonstrieren zu können.
Ich bin kurz irritiert, fange mich aber gleich wieder. „Ist das alles, was sie an bösen Gedanken zu bieten haben? Absichtlich falsch singen und ihre Finger in meiner, wie nannten sie es, Moment, ich schau’ mal in meinen Notizen, in meiner Vagina. Hauen mich nicht vom Hocker, ihre bösen Gedanken. Da sind sie sicher nicht der einzige Lebenslängliche hier im Bau, der gerne wieder mal die Finger in einer Vagina hätte. Ist ja auch eine tolle Aussicht, sich lebenslang in einer Zelle vor einer Vagina einen runterzuholen, die mit den Fingernägeln in die Wand gekratzt ist.” Jetzt bin ich in Fahrt. Der Vollzugsbeamte hält sich schon die Ohren zu. Wenn ich so weitermache, wird er mich elektroschocken, damit wegen meinem Gerede seine grundkatholische reinweiße Seele keinen Schaden nimmt.
Siggi Maier ist not amused. Seine blauen Augen bekommen einen frostigen Glanz. „Elli, du enttäuscht mich. Was für ein mieses Niveau. Was für eine Gossensprache. Elli, das ist nicht dein Stil. Wieso meinst du, mit mir derart vulgär reden zu können?”
„Na hören sie mal, wie hätten sie es denn gern”, kontere ich. „Sind sie ein Professor für Astrophysik oder haben sie für ihre 48 ½ Morde gerade den Friedensnobelpreis bekommen. Haben nicht sie meine Vagina auf’s Tablett gebracht? Wollten sie mir nicht ihre Finger in dieselbe stecken? Habe ich mich da verhört? Täuscht mich da mein Gedächtnis?”
„Elli, das war doch nicht ich. Das waren die bösen Gedanken, die lassen mich so abscheuliche Sachen sagen. Ich sage doch so was nicht.” Siggi Maier wirkt zerknirscht. Mit leiser Stimme fährt er fort: „Mein Kopf tut weh, die Gedanken schreien in meinem Kopf, geben keine Ruhe. Geh’ raus, schreien sie, vergewaltige Nonnen, geh’ mit einem Maschinengewehr ins Einkaufscenter und mähe alle nieder, die dir vor den Lauf kommen, geh’ raus und stoße Leute vor die U-Bahn, geh’ raus und hab’ Spaß. Nicht einmal wenn ich schlafe, habe ich Ruhe. Dann träume ich grausige Schandtaten. Andere zählen Schäfchen, ich erwürge, ertränke, pfähle, schlitze, erdolche, erschieße. Ein Blutbad folgt auf das andere, Leichen pflastern meinen Weg.”
„Sie waren 7 Jahre alt und haben „Bring’ die Elfi mit ihren vier Jahren um!” geträumt. Dann sind sie aufgewacht, haben einen warmen Kakao getrunken und ein Marmeladebrot gegessen, haben Mami und Papi ein Bussi gegeben, haben gesagtich gehe jetzt spielen, sind raus, haben sich ihr Spielzug für den Sandkasten zusammengesucht und dann haben sie die Elfi umgebracht. Ist das richtig?”
Siggi Maier schließt die Augen und erinnert sich. „Richtig”, sagt er. „Genau so war es!”
Ich bin auf dem Weg zu meinen Eltern. Immer wieder sonntags, kommt die Erinnerung. Das haben Cindy & Bert verbrochen. 1973 geschlagert. Da war ich noch nicht auf der Welt, noch nicht einmal geplant. Da waren Papa und Mama noch in der Pubertät, wenn meine Rechnung richtig ist. Damals, vor vielen vielen Jahren, gefühlt noch vor der Steinzeit, hat die Pubertät länger gedauert als heute. Damals hat die Pubertät gehörig Zeit gebraucht, da gab es auch kein Privatfernsehen, keinen Disneychannel und kein Internet, die dir durch diese schreckliche Lebensphase mit ihren seltsamen Nebenerscheinungen und Verwirrungen geholfen hat. Da waren Papa und Mama zwischen 15 und 18 Jahren, grob über den Daumen gepeilt. Da haben die vermutlich noch nicht mal gegenseitig an sich herumgefummelt. Petting war noch nicht erfunden. Da waren die Aufklärungsfilme von Oswald Kolle erst ab 18 Jahren freigegeben, weil unter 18 hatte es keinen zu interessieren, wo die Kinder herkommen und was eine/einer dafür anstellen muss. In dem Film haben die das Kamasutra mit Holzfiguren nachgespielt. Hammerscharf!
Gut, dass wenig später der erste Schulmädchen-Report ins Kino kam. Der war so erfolgreich, dass bis 1980 noch zwölf Fortsetzungen produziert wurden. Mit so schlafraubenden vielversprechenden Titeln wie „Was Eltern nicht für möglich halten”, „Was Eltern nicht mal ahnen”, „Was Eltern gern vertuschen möchten”, Was Eltern nie erfahren dürfen”, „Irgendwann fängt jede an”, „Probieren geht über studieren”, „Junge Mädchen brauchen Liebe”, „Vergiss beim Sex die Liebe nicht”. Die Verfilmungen, übersetzt in 38 Sprachen, gelten mit 100 Millionen Zuschauern als bisher erfolgreichste deutsche Kinoproduktion. Interessant ist auch, dass nach den Schulmädchen die Krankenschwestern, die Taxifahrerinnen, die Bademeister, die Lehrerinnen, die Nachbarinnen und, man glaubt es kaum, die Hausfrauen den Sex entdeckten.
Wie komme ich auf diesen alten Quatsch? Von Cindy & Bert zum Hausfrauenreport Teil 17. Elli, du bist nett neben der Kappe. Wen wundert das? Dieser Jean, dieser miese Kerl. Es mit einer treiben, die Yasmina heißt. Wie kann eine überhaupt Yasmina heißen? So heißen Damenbinden, fettarme Margarine oder ein Gift gegen Kartoffelkäfer.
Erst habe ich ihn rausgeschmissen, dann habe ich den restlichen Samstag damit verbracht, Rotz und Wasser zu heulen. Ich will diesen Mistkerl nie mehr sehen. Sein grässliches Ding soll ihm abfallen, wenn er es das nächste Mal in eine Yasmina oder sonst eine mit einem blöden Namen steckt. Abfaulen soll es ihm. Und seine Zunge soll er verschlucken, wenn er mir nochmals mitnur einmal und das hat nichts mit uns zu tunkommt. Verdammter Mistkerl.
Immer wieder sonntags? Ach ja, immer wieder mal sonntags fällt mir ein, dass ich meine Eltern besuchen könnte. Heute ist das ideal, das lenkt mich ab und nach circa zwei Minuten werde ich nicht mehr an Jean denken, weil ich mich über andere Sachen aufregen kann. Immer wieder mal sonntags ist das so.
Ich läute. Papa macht auf. Er steht im Mantel vor mir, ausgehfertig. „Ich habe schon gedacht, du kommst nicht mehr. War denn viel Verkehr. Jetzt brauchen wir auch nicht mehr Essen gehen. Den Mantel kann ich dann wieder ausziehen. Den brauche ich jetzt nicht mehr. Du weißt doch, dass wir um 12.00 Uhr essen. Das rentiert sich jetzt doch gar nicht mehr. Da warten wir gleich auf den Kaffee. Deine Mutter hat schon Kuchen aus der Kühltruhe genommen. Steht im Schlafzimmer auf der Fensterbank. Donauwellen. Und Bienenstich. Von du weißt schon, von der Bäckerei, die keine Konservierungsstoffe verwendet. Schmeckt ungewohnt, trotzdem nicht schlecht, kann man schon essen.”
Papa ist in Panik. Es ist zwei Minuten nach 12.00 Uhr. Für die meisten sind das nur zwei Minuten, für Papa ist das ein Drama, ein Weltuntergang. Bei Papa muss alles exakt nach Plan gehen, ohne Abweichung. Abweichungen führen direkt in die Katastrophe. Papa gehört zu den Menschen, die abends die Wetterkarte ansehen, Mistwetter murmeln, ins Schlafzimmer gehen und die Sachen für den nächsten Tag rauslegen. Die werden dann angezogen, egal, was für ein Wetter ist. Papa geht nach Liste vor. Unterhose, Unterhemd, Socken, Oberhemd, Hose usw. Die Reihenfolge hält er exakt ein, hakt die angezogenen Teile auf der Liste ab. Und wehe, da bleibt ein Teil übrig, zum Beispiel die Unterhose, dann ist das eindeutig Sabotage. Der Saboteur ist auch gleich ausgemacht, ein Ruf hallt durch die Wohnung: „Edeltraud, so heißt meine Mutter, was hast du mit meiner Liste gemacht?” Das klingt ziemlich schräg, aber wenn man weiß, dass Papa Bauvorschriften für Mikrochips schreibt, dann ist das nicht mehr schräg, sondern normal. Da ist die Eigenschaft „Erbsenzähler” im Jobprofil ein Muss.
Ich kenne Papa seit meiner Geburt und lasse mich nicht irritieren. „Wir werden das schon schaffen, Papa”, sage ich, drücke ihm ein Begrüßungsbussi auf die Backe und gehe an ihm vorbei in die Wohnung. Mama erwartet mich strengen Blickes.
„Wir haben schon gedacht, du kommst heute nicht mehr. Oder erst abends. Wo warst du denn so lange. Verkehr ist ja keiner. Warum hast du nicht angerufen. Essen gehen. So spät noch. Aber ich habe ja nichts gekocht. Wenn ich gewusst hätte, dass du so spät kommst, hätte ich gekocht. Putenschnitzel mit Blumenkohl und Kartoffeln. Helmut, du kannst den Mantel anlassen, ich habe ja nichts gekocht und bis zum Kaffee ist es zu lang. Das Kind hat bestimmt Hunger. Elli, du weißt, dass wir um 12.00 Uhr essen. Wieso kommst du so spät. Es gibt gleich Kaffee. Ich habe schon Kuchen aus der Kühltruhe genommen. Steht im Schlafzimmer auf der Fensterbank, Donauwellen. Und Bienenstich. Von du weißt schon, von der einen Bäckerei, die keine Konservierungsstoffe verwendet. Schmeckt ungewohnt, trotzdem nicht schlecht, kann man schon essen.”
Ich atme auf. Alles beim Alten, der ganz normale Wahnsinn. Aber optimal, ich habe keine Zeit an Jean zu denken. Meine ganze Konzentration verwende ich darauf, bei der nächsten Frage nicht auszuflippen und sie ganz ruhig und sachlich zu stellen: „Wo gehen wir denn hin zum Essen? Zum Alten Wirt?” Meine Mutter wird gleich sagen: „Ach was, zum Alten Wirt. Nein, da schmeckt es scheußlich. Da war ich einmal, da gehe ich nie wieder hin. So ein scheußliches Essen. Helmut, dir schmeckt es da auch nicht.”
Meine Mutter schaut mich entsetzt an und sagt: „Ach was, zum Alten Wirt. Nein, da schmeckt es scheußlich. Da war ich einmal, da gehe ich nie wieder hin. Helmut, dir schmeckt es da auch nicht.” Wobei dasHelmut, dir schmeckt es da auch nichteine Feststellung ist, an der nicht zu rütteln ist. Die ist betoniert. Helmuts Meinung zu diesem Thema wird nicht eingeholt.
Papa nickt nur.
Mama bestimmt, wo es hingeht. „Wir gehen zum „Löwenbräu“, da schmecken die Kroketten gut. Obwohl, beim letzten Mal waren die Kroketten nicht gut, matschig und zu wenig Soße. Also ich esse da nie wieder Kroketten. Bäh, da schüttelt's mich gleich. Die Hundertjährige ist da auch und isst da auch. Stell’ dir vor, jeden Tag ist die da und isst da. Die geht jeden Tag alleine hin, obwohl sie hundert Jahre oder noch älter ist. Zuerst isst sie die Tagessuppe und dann das andere. Helmut, du isst das Rahmschnitzel mit Nudeln, das schmeckt dir.” Mutter in Hochform und mit Entscheidungsbefugnis.
Papa nickt nur.
Ich sage nichts, meine übrige Konzentration verwende ich darauf, nicht auszurasten und weiter gute Miene zum grausigen Spiel zu machen. Dann gehen wir halt zum „Löwenbräu“. Die beste Wirtschaft am Platz. Restaurant zu sagen wäre verwegen. Am Platz heißt hier nicht neben der Oper, dem Rathaus, der Philharmonie, dem Museum oder dem Theater, am Platz heißt hier gut und schattig gelegen zwischen Hochhausschluchten Marke sozialer Wohnungsbau und Marke sozialer Brennpunkt, bevölkerungsmäßig extremst durchmischt, multikulti hat man hier erfunden, sich aber noch nicht damit abgefunden. Im „Löwenbräu“ selbst auch multikulti, man braucht nur die Speisekarte lesen. Der serbische Wirt aus Ex-Jugoslawien (Rasnici und Cevapcici), seine österreichische Frau (Schnitzel und Palatschinken), der bayerische Oberkellner (Schweinebraten und G'selchtes), der schlitzäugige Koch aus China oder von irgendwo her in der Nähe von China (Pekingente und Frühlingsrollen), die granatenmäßige italienische Bedienung (Pizza und Spaghetti), et cetera. Jeder, der hier arbeitet, und sei es nur als Kartoffelschäler, darf die Speisekarte mit seinen Lieblingsschmankerln ergänzen. Die Speisekarte liest sich dementsprechend wie ein Buch, und die Arbeitslosen und Alkis, die da Tag für Tag von früh bis spät herumhängen, freuen sich, dass sie was zum Lesen haben. Lesen bildet und macht durstig. Nur vor den Spielautomaten herumzusitzen, die den Aufenthalt mit ihrem Gedudel musikalisch untermalen, ist auf Dauer auch langweilig.
Kaum sitzen wir, stellt meine Mutter fest, dass sie keinen Hunger hat. „Ihr könnt ja essen. Elli, bestell’ dir was Feines, ich habe keinen Hunger. Helmut, du bestellst dir das Rahmschnitzel mit Nudeln.”
Papa nickt nur.
Mutter meint: „Soll ich den Hirsch essen, da gibt es Kroketten dazu. Ich esse die Kroketten, und du kannst meinen Hirsch essen, Elli.”
Ich schaue meine Mutter an. Sie merkt anscheinend, dass ich den kümmerlichen Rest meiner Konzentration darauf verwende, nicht auszuflippen und sagt: „Dann du, Helmut.”
Papa schaut meine Mutter an.
„Den Hirsch”, meint die. „Du isst meinen Hirsch. Du weißt doch, dass der beim letzten Mal so flachsig war, der Hirsch. Bähh, da schüttelt's mich gleich. Ich esse hier nie wieder Hirsch. Ich nehme dann den Hirsch mit Kroketten, und du, Elli?”
„Ich nehme das Wiener Schnitzel”, sage ich und denke, dass ein Koch, auch wenn er aus China kommt oder aus was in der Nähe von China, ein Schnitzel eigentlich hinbringen müsste.
„Nimm’ doch was anderes, was Teureres, Elli. Papa zahlt. Nimm’ die Ente. Und vorher eine Suppe. Die Suppe ist immer gut hier. Die Hundertjährige..., wo sitzt die denn heute?, die sitzt doch immer da drüben an dem Tisch. Eine Suppe würde ich auch gerne essen. Helmut, bestell’ mir doch eine Suppe, eine Nudelsuppe. Du isst dann den Hirsch und Elli die Kroketten. Kroketten passen gut zur Ente. Obwohl, die Nudelsuppe mit den Nudeln, die sind immer so lang, die sind so schlecht zu löffeln. Bäh, da schüttelt's mich gleich. Helmut, dann isst du die Suppe und den Hirsch und Elli die Kroketten.”
Der Kellner kommt gerade noch rechtzeitig. Fast hätte ich die Fassung verloren und angefangen, meine Mutter zu würgen. Papa hätte nur genickt. Aber es geht ja noch mal gut, der Bayerische-Kellner-Sepp steht da und schreibt die Bestellung meiner Eltern auf. Dann, mit unwiderstehlichem Bayerischen-Kellner-Charme und unwiderstehlichem Bayerischen-Kellner-Blick beglückt er mich mit: „Und du, du fesches Maderl, wos mogst nacha du?”
„Ein Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat!” antworte ich auf Hochdeutsch und hoffe, dass er mich versteht.
Kaum ist er weg, schwer enttäuscht, dass ich ihm nicht gleich an den Hosenlatz seiner Lederhose gegangen bin, bemerkt Papa, dass das Essen heute wieder mal ewig braucht.
„Wären wir nur zum „Alten Wirt“ gegangen, da wäre das Essen schon da”, trägt meine Mutter zur Unterhaltung bei und treibt die nervliche Anspannung noch weiter in den mittlerweile tiefstroten Bereich. „Aber Helmut muss ja jedes Mal in den Löwenbräu”, ergänzt sie noch, „Rahmschnitzel mit Nudeln essen, jedes Mal. Wo bleibt denn heute die Hundertjährige?”
Papa und ich nicken nur.
Dann kommt das Essen, meines eher lieblos serviert. Der original urige Bayerische-Kellner-Sepp hat mir nicht verziehen, dass ich ihm nicht nachgelaufen und ihn zu original rustikalem Bayerischen-Kellner-Sex genötigt habe. Zwischen Bestellung und Servieren wäre ja Zeit gewesen. Ich werde es verkraften, das Schnitzel á la chinoise auch. War denn doch zu viel verlangt vom Chinakoch. Aber der Hunger treibt es rein, so heißt es doch. Papa und ich lassen es uns schmecken, so weit wie möglich, und vermeiden es tunlichst, meiner Mutter nicht bei ihrer Art zu essen zuzusehen.
Sie stochert in ihrem Teller herum, dass es eine wahre Pracht ist. Wie ein Chirurg, der eine Bauchdecke aufmacht, einen kurzen Blick reinwirft, mit seinem Skalpell angewidert in total verkrebsten Innereien herumpult und dannzuklappen und weg mit dem Müllsagt. So muss man sich die Miene meiner Mutter vorstellen.
„Das kann ich nicht essen”, ist die folgerichtige Aussage. „Das ist fett, flachsig und knorpelig”. Mama schüttelt sich und sagt bäh. „Helmut, den Hirsch kannst du dir gleich nehmen.” Papa versäumt es, in Sekundenbruchteilen deutlich ablehnend zu reagieren. Mama nimmt den Hirsch und befördert ihn blitzschnell auf Papas Teller. Selbst ist die Frau. Bleiben noch die Kroketten. „Die Kroketten esse ich nicht, die sind matschig.” Mama schüttelt sich, sagt bäh und kommt mit ihrem Teller meinem gefährlich nahe.
Ich verwende volle Konzentration auf einen Blick, der ihre geplante Krokettenverlagerung verhindert.
„Die Kroketten esse ich trotzdem nicht”, motzt Mama. „Wo ist heute eigentlich die Hundertjährige?”
Die Hundertjährige taucht nicht auf, dafür der original Bayerische-Kellner-Sepp. „Guat war's, oder?”, fragt er siegessicher. „No an Nachtisch?”
„Einen Liter Underberg oder eine Magenspülung”, versuche ich mich in scharfer Ironie, die aber an dem bayerischen Seppen abperlt wie Wassertropfen an einer frisch gezapften Maß Bier. Dann ist er, mit einem dicken Trinkgeld von Papa beglückt, verschwunden und wir gehen auch.
Im elterlichen Wohnzimmer nimmt jeder seinen angestammten Platz ein. Es liegt was in der Luft, die Spannung ist greifbar. Ich verschwende vergeblich meine ganze Konzentration darauf, dass mir das Schnitzel nicht aufstößt und bin einen Bruchteil abgelenkt. Mamas Frage erwischt mich nicht vorbereitet, sozusagen geistig am falschen Fuß.
„Wie geht es denn deinem Gynäkologen?”
Stolz lehnt sich Siggi Maier in seinem am Boden fest verschraubten Hartschalenplastik-Besucherstuhl zurück. Der Vollzugsbeamte überlegt, ob er das als tätlichen Angriff auf sich verstehen soll und beginnt freudig an seinen Selbstverteidigungsgerätschaften herumzunesteln. Noch ist die Besuchszeit nicht zu Ende und er gibt die Hoffnung nicht auf, dem „sehr geehrten Herrn Multimörder (48 ½ Morde)” mit dem Gummiknüppel den Scheitel exakter auszurichten oder mit ein paar den Blutdruck stimulierenden Stromschlägen aus dem Elektroschocker etwas für dessen Gesundheit zu tun. Ein Vollzugsbeamter, der seinem Job mit aufopferungsvoller Hingabe nachgeht, hat auch eine Fürsorgepflicht.
„Wie haben sie es denn gemacht?”, frage ich Siggi Maier. „Wie haben sie die Elfi umgebracht? Ich meine, sie werden sie ja nicht erschossen haben, oder.”
Siggi Maier schließt die Augen. Er entspannt sich. Er schwelgt in der Erinnerung an seinen ersten Mord. Er wirkt glücklich und zufrieden. Er wirkt wie ein Mann, der sich nach einem feinen, opulenten Essen, mit sich und der Welt zufrieden, den obersten Knopf seiner Hose aufmacht und genießerischdas war leckerseufzt.
„Ich habe ihr im Sandkasten einen Sandkuchen gebacken”, beginnt er zu erzählen. „Ich habe gesagt, wir spielen Geburtstag und zum Geburtstag gibt es einen Kuchen. Und die Kerzen, hat sie blöd gefragt. Ich habe gesagt, Messer, Gabel, Schere, Licht, sind für kleine Kinder nicht. Deswegen muss sie den Kuchen auch mit der Hand essen, und aufessen muss sie den auch, bevor die anderen Kinder kommen und alles wegessen. Sie hat dann eine Handvoll genommen und rumgewürgt und gesagt, der Kuchen schmeckt nicht. Ich habe ihr den Kopf in den Sand gedrückt und dann hat sie alles runtergeschluckt, beziehungsweise konnte sie nichts mehr ausspucken. Zur Sicherheit habe ich ihren Kopf noch länger in den Sand gedrückt, habe mich sogar daraufgesetzt, weil sie immer noch gewürgt und geröchelt hat. Wie sie endlich damit aufgehört hat, bin ich schnell ins Haus zu Mutti gerannt und habe geheult und geschrien: „Die Elfi, die Elfi, die tut so komisch, die kriegt keine Luft, Mutti schnell, komm’, die Elfi!” Die Mutti ist dann hinausgerannt und ich habe mir derweil ein Marmeladebrot geschmiert. Brombeermarmelade. Das weiß ich noch. Ich habe so einen Hunger bekommen, wie ich die Elfi erstickt habe.” Gespannt schaut Siggi Maier mich an. Voll freudiger Erwartung. Wie ein Erstklässler, der ein Fleißbildchen erwartet. Für gutes Benehmen.
Ich sage nichts, das Gehörte muss verdaut werden. Wie krank ist dieser Typ denn? Erzählt mir leicht und beschwingt von seinem ersten Mord. Er sieben, das Opfer vier Jahre alt. Was erwartet der von mir. Dass ich ihm um den Hals falle und begeistert kreische: „Das hast du super gemacht, du kleiner Schlingel!” Nach Kreischen ist mir schon zumute, aber nach Kreischen vor Entsetzen.
„Na Elli, nun sag’ schon was, wie findest du das?” Siggi Maier will ein Lob hören, das ist eindeutig.
„Sie haben sich ein Brot geschmiert. Mit Brombeermarmelade. Weil sie so einen Hunger bekommen haben”, stammele ich.
„Ja, genau.” Siggi Maier beugt sich nach vorne. „Und weißt du was, Elli. Das Brot war lecker. Und die bösen Gedanken, Elli, weißt du, was die bösen Gedanken mir eingeflüstert haben. Lass’ es dir schmecken, du bist ein braver Junge, haben sie in meinem Kopf geflüstert, das hast du gut gemacht.”
Ich sitze nur da. In meinem Kopf kreisen auch Gedanken. Sie fahren Karussell um die Alternativen Tod durch den Strang, Giftspritze und elektrischer Stuhl. „Ich denke, für heute ist es genug. Ich komme dann morgen wieder. Dann reden wir weiter”, sage ich und verlasse das Besuchszimmer.
Siggi Maier rührt sich nicht. Er ist in sich versunken und hört vermutlich verzückt zu, was für ein Irrsinn in seinem durchgeknallten Oberstübchen aktuell ausgebrütet wird.
In den Vollzugsbeamten kommt Leben. Mit einem zärtlichen Gummiknüppelstupser und einem nettensteh’ auf du Drecksack, dein Appartement wartet