Körbchen am Strand - drei bezaubernde Hundegeschichten (3in1) - Petra Schier - E-Book

Körbchen am Strand - drei bezaubernde Hundegeschichten (3in1) E-Book

Petra Schier

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Beschreibung

Sanfte Wellen, weißer Sand und vierbeinige Helden, die alle Herzen im Sturm erobern werden.

AUF DEN WELLEN DES GLÜCKS

Eine Pause von der Männerwelt, das hat Silvana sich vorgenommen. Zu viele Risse hat ihr Herz schon bekommen, wenn wieder einmal eine Liebe zerbrach. Seit zwei Jahren ist sie jetzt schon Single und zur Belohnung beschließt sie, eine Kreuzfahrt in die Karibik zu machen. Doch dann begegnet Silvana auf dem Schiff dem umwerfenden Marcos Costales und plötzlich geraten all ihre guten Vorsätze mächtig ins Wanken. Könnte dieser Mann wirklich ihre große Liebe sein?

KÖRBCHEN MIT MEERBLICK

Überrascht starrt Melanie auf den Brief von Nachlassverwalter Alex Messner. Sie hat den gesamten Besitz ihrer Tante geerbt. Aber nach Lichterhaven ziehen? Auf keinen Fall. Trotzdem muss sie es sich wenigstens einmal ansehen, das ist sie ihrer Tante schuldig - und der jungen Hündin Schoki, deren Frauchen sie ab jetzt sein soll. Einen Sommer will Melanie in Lichterhaven verbringen. Und plötzlich beginnt sie sich dort richtig wohlzufühlen mit Schoki - und in der Gesellschaft von Alex.

VIER PFOTEN AM STRAND

Ein Sommer Auszeit, um an seinen Skulpturen zu arbeiten, mehr sucht Ben eigentlich nicht in dem kleinen Ort am Meer! Aber dann stolpert ihm der junge Rüde Boss über den Weg, und Ben beschließt, ihn bei sich aufzunehmen. Der Hund stellt Bens Leben auf den Kopf und seine Geduld auf eine harte Probe. Niemals wird er es allein schaffen, ihn zu bändigen. Zum Glück ist da noch Christina. Sie leitet die Hundeschule und scheint genau die Richtige für Boss zu sein. Und vielleicht auch für sein neues Herrchen …

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Seitenzahl: 1155

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Petra Schier

Körbchen am Strand - drei bezaubernde Hundegeschichten (3in1)

MIRA® TASCHENBUCH

Originalausgabe

Copyright © 2017 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH

Covergestaltung: büropecher, Köln Coverabbildung: Rawpixel.com, otsphoto, Janis Smits, Julian Weber / Shutterstock Redaktion: Christiane Branscheid

ISBN E-Book 9783955767860

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E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

PROLOG

Das Leben ist so schön! Endlich wieder. Dabei war ich noch bis vor Kurzem schrecklich traurig. Mein Frauchen Sybilla ist nämlich gestorben und hat mich ganz allein zurückgelassen. Also nicht ganz allein, denn es gibt ja schon Menschen, die sich um mich gekümmert haben. Christina zum Beispiel, bei der ich erst mal wohnen durfte. Bei ihr ist es nett, weil sie immer ganz viele Hunde zu Besuch hat. Sie bringt nämlich Menschen und ihren Hunden Sachen bei, Kunststücke und so, aber auch einfache Kommandos. So was wie: Sitz! Platz! Bleib! Ich habe auch schon einige gelernt. Aber ein richtiges Frauchen hat mir gefehlt, ein Lieblingsmensch, versteht ihr? Und jetzt darf ich seit gestern bei Melanie wohnen. Die gehörte zu Sybillas Rudel, also Familie. Ihr Menschen nennt es wohl „verwandt sein“. Vor Kurzem ist Melanie hier in Lichterhaven angekommen und wohnt jetzt in Sybillas Haus. Ich hatte sie sofort gern, weil sie so gut riecht und lieb ist, auch wenn sie, glaube ich, anfangs Angst vor mir hatte und nicht wusste, wie sie mit mir umgehen sollte. Aber das hat sich schon sehr gebessert, und inzwischen liebe ich sie noch mehr. Für mich ist sie jetzt einfach nur noch meine Mel.

Alex ist auch toll. Er ist Christinas Bruder und so ein richtig großer, starker Mann. Wenn er in der Nähe ist, fühle ich mich wohl. Heute Nacht hat er bei Mel geschlafen, und jetzt steht er gerade in der Küche und kocht irgendwas, was unglaublich gut riecht. „Omelett“ hat er es genannt. Hoffentlich kriege ich davon auch etwas ab.

Gegenüber Alex war Mel anfangs auch so zurückhaltend und vorsichtig, genau wie bei mir. Ich glaube, sie will niemanden an sich heranlassen, weder andere Menschen noch Hunde. Sie ist eine Einzelgängerin, aber sie scheint damit gar nicht glücklich zu sein. Ich wäre es auch nicht. Nach Sybillas Tod war ich schrecklich allein und verlassen. Das ist nicht schön, und ich will nicht, dass Mel sich so einsam und verloren fühlt.

Sie ist bestimmt nicht so wegen Sybilla, denn ich glaube, Mel hat sie schon seit einer Ewigleit nicht mehr gesehen. Viel länger, als ich es mir vorstellen kann. Aber Mel hatte wohl nie ein richtiges eigenes Rudel, also eine Familie, die für sie da ist. Nur eine Mutter, und mit der versteht sie sich anscheinend nicht so gut. Sybilla hat manchmal davon erzählt, wenn ihre Freundin Deana zu Besuch war. Sie hat oft über Mel geredet, weil sie sie lieb hatte und sie vermisste. Verstehen konnte ich das damals nicht, aber jetzt schon, seit ich Mel kennengelernt habe. Sie ist einfach toll, und ich wünsche mir nichts mehr, als dass sie hier in Lichterhaven bleibt, bei mir und Alex und Chris und allen. Aber hauptsächlich bei mir. Sie ist doch jetzt mein Lieblingsmensch. Vielleicht sollte ich mal nachschauen, wo sie bleibt. Alex scheint mit dem Frühstück fertig zu sein,und Mel braucht viel zu lange unter der Dusche.

Oh, Moment mal, was war das denn jetzt für ein Geräusch? Da kommt jemand. Ich hab ein Auto gehört, das vor dem Haus gehalten hat. Passt bloß auf, nicht dass das Einbrecher sind. Obwohl, vielleicht ist es auch nur der Postbote. Den mag ich, der streichelt mich immer. Aber dessen Auto hört sich anders an. Geht doch mal gucken, wer da ist!

***

Neugierig verließ Melanie das Bad und stieg die Treppe bis zur Hälfte hinunter. Unten sah sie Alex, der versuchte, die aufgeregte Hündin zu beruhigen. Grinsend blickte er zu ihr hoch. „Erwartest du Besuch?“

„Nein, wie kommst du darauf?“ Überrascht stieg sie auch noch die letzten Stufen hinab. Als sie unten ankam, klingelte es an der Haustür.

„Deshalb.“ Er richtete sich wieder auf. Schoki bellte erneut.

Nun macht schon auf. Ich will wissen, wer das ist. Es sind zwei Leute, das sehe ich durch das Milchglas!

„Schoki, ist ja schon gut, du bist ja eine gute Wachhündin. Aber jetzt ist Schluss mit dem Lärm.“ Mit Bestimmtheit führte Alex eine Handbewegung aus, woraufhin Schoki sich, jetzt nur noch leise fiepend auf ihr Hinterteil fallen ließ.

Ist ja schon gut. Ich sag ja gar nichts mehr. Man wird ja wohl noch fragen dürfen.

Melanie räusperte sich und überlegte fieberhaft, wer sie an diesem Montagmorgen wohl besuchen mochte. Als sie die Tür öffnete, fiel ihr beinahe die Kinnlade herab.

1. KAPITEL

Sechs Monate zuvor

„Entschuldigen Sie mich bitte. Ich glaube, ich habe dort drüben eine Bekannte gesehen, der ich unbedingt noch etwas mitteilen muss.“ Silvana schnappte sich ihr Weißweinglas und entfernte sich vom Tisch, so rasch es ihr die allgemeine Höflichkeit erlaubte. Ausgerechnet zum Kapitänsdinner am letzten Abend ihrer zehntägigen Karibikkreuzfahrt hatte man sie an einen Tisch mit drei unglaublich langweiligen älteren Ehepaaren gesetzt. Was für eine Verschwendung von Lebenszeit, vor allen Dingen, wenn man bedachte, dass ringsum an diversen Tischen Singles, vorzugsweise männlichen Geschlechts und deutlich weiter in der Zukunft liegenden Verfallsdatums, saßen.

Das Essen war wie immer vorzüglich gewesen. Trotzdem hatte sie fürs Erste genug über Kinderkrankheiten von irgendwelchen Enkeln gehört. Die Top Ten der durch das liebe Alter hervorgerufenen Gebrechen und deren unzureichende Behandlung durch eine Reihe von unfähigen Haus- und Fachärzten waren auch bereits zur Genüge diskutiert worden. War sie wirklich nur rund fünfzehn Jahre jünger als die drei Ehepaare, die offenbar gar nicht bemerkten, dass sie den Tisch verlassen hatte? In Momenten wie diesen schwor sie sich, niemals – unter keinen Umständen und nicht einmal im gesegneten Alter von neunundneunzig Jahren – derart alt und eingerostet zu werden.

Sie straffte die Schultern, zog den Bauch ein wenig ein, obgleich das nicht notwendig war, denn durch regelmäßiges Yoga und Pilates war er noch genauso flach wie vor zwanzig Jahren, und zupfte ihr hautenges Kleid glatt. Der dunkelblaue Stoff kontrastierte wunderbar mit ihrem honigblonden Haar. Sie hatte es für den heutigen Anlass hochgesteckt, damit ihr schlanker und erfreulich faltenloser Hals betont wurde.

Silvana war stolz auf ihren Körper. Die zweiundfünfzig Lebensjahre sah man ihm nicht an, ebenso wenig wie ihrem Gesicht. Bisher war sie noch niemals älter als Ende dreißig geschätzt worden, und sie war wild entschlossen, diesen Zustand noch möglichst lange aufrechtzuerhalten.

Im Vorbeigehen bemerkte sie die Blicke einiger Männer. Obwohl sie erst kurz an ihrem Gesicht hängen blieben, tendierten sie dazu, rasch zu ihrem tiefen V-Ausschnitt zu wandern. Er lieferte gerade genügend Einblicke in ihr Dekolleté, um die Fantasie anzuregen.

Schade eigentlich, dass sie sich seit zwei Jahren eine strikte Männerdiät auferlegt hatte. So lange war es her, seit sie sich von ihrem letzten Lebensabschnittspartner getrennt hatte. Immerhin hatte sie es damals fast ein dreiviertel Jahr mit ihm ausgehalten, doch dann war er ihr langweilig geworden. Als er immer häufiger auf lange Geschäftsreisen gegangen war, hatte sie geahnt, dass er ebenfalls genug von ihr hatte. Sie bedauerte die Trennung im Nachhinein nicht, auch wenn sie in der ersten Zeit doch recht niedergeschlagen gewesen und mit Sicherheit ihrer Tochter damit auf den Geist gegangen war.

Melanie lebte seit einiger Zeit in Köln, wo sie sich zur Chefeinkäuferin für Zulieferteile eines bekannten Möbelunternehmens gemausert hatte. Silvana war unglaublich stolz auf sie. Mit ihren neunundzwanzig Jahren hatte Melanie so viel mehr erreicht als ihre Mutter, die sich ihren Unterhalt nach wie vor nur als Verkäuferin verdiente, wenn auch in einer durchaus angesehenen Boutique für gehobene Damenmode. Vielleicht sollte sie sie bald wieder einmal besuchen und ihr noch ein wenig mehr auf den Wecker gehen. Melanie lebte sehr zurückgezogen, ein Zustand, den Silvana nicht einen Tag lang ausgehalten hätte. Sie wusste, sie trug nicht unerhebliche Schuld daran, dass ihre Tochter ein derart introvertierter Mensch geworden war, der Beziehungen lieber in weitem Bogen aus dem Weg ging, anstatt die Vorteile zu genießen. Mutter und Tochter waren schon immer grundverschieden gewesen, und der unstete Lebenswandel, den Silvana Melanie stets geboten hatte, weil sie, das gab sie gerne zu, von Stadt zu Stadt und von Mann zu Mann gezogen waren, hatte sicherlich erheblich zu dem Graben beigetragen, der sich zwischen ihnen aufgetan hatte und den zu überwinden so unglaublich schwer war, je breiter er wurde.

Sie hatte den Saal verlassen, in dem das Dinner serviert worden war, und schlenderte nun über das offene Deck bis zur Reling. Eine warme Brise umwehte sie und spielte mit den wenigen Haarsträhnen, die sie strategisch aus ihrer Frisur gezupft hatte, damit sie ihr Gesicht umschmeichelten und es weicher erscheinen ließen.

Die Sonne war lägst untergegangen, und am Himmel standen neben dem halb gerundeten Mond unzählige Sterne, die mit der Beleuchtung des Kreuzfahrtschiffs um die Wette zu strahlen schienen. Im Hintergrund begann eine Liveband zu spielen und läutete damit den geselligen Teil des Abends ein. Wer wollte, konnte tanzen, und Silvana hatte genau das vor. Im Moment genoss sie jedoch die milde Abendluft noch ein wenig mehr. Also blieb sie erst einmal, wo sie war, und betrachtete den nächtlichen Ozean und hin und wieder die vorbeiflanierenden Gäste. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie einen hochgradig attraktiven schwarzhaarigen Mann, dessen Hautfarbe einen Tick dunkler war als der mitteleuropäische Durchschnitt. An den Schläfen entdeckte sie winzige graue Stellen, was sie veranlasste, ihn auf Mitte fünfzig zu schätzen, obgleich seine athletisch-trainierte Gestalt eher die eines Mittvierzigers hätte sein können. Er hielt ein Glas Club-Soda in der Hand und unterhielt sich lachend und scherzend mit zwei deutlich jüngeren Frauen, von denen die eine, brünett und kurvig, ihm immer wieder eine Hand auf den Arm legte und ihm Blicke zuwarf, die mehr als eindeutig besagten, dass er ihr ohne den schwarzen Smoking, den er trug, noch wesentlich lieber gewesen wäre.

Abgesehen davon, dass Silvana ihr in dieser Hinsicht durchaus zustimmte – der Mann war geradezu verboten sexy und wäre ein kleines Abenteuer sicherlich wert –, verspürte sie in diesem Moment einen seltsamen Flashback. Sie sah sich selbst vor zehn oder zwanzig Jahren ebenso schamlos das neueste Ziel ihrer Wünsche umgarnen. Ein Anflug von Mitleid für die junge Frau veranlasste sie dazu, den Kopf zu schütteln und sich abzuwenden. Nicht dass sie dem Mann sein Vergnügen nicht gönnte; soweit sie sehen konnte, trug er keinen Ehering, doch wenn die beiden jungen Damen nur halb so entschlossen waren, sich eine gute Partie zu angeln, wie sie es einst gewesen war, dann konnte er ihr nur herzlich leidtun. Andererseits – wer sagte ihr, dass er nicht umgekehrt auf der Suche nach einem hübschen Mitbringsel für sein leeres Haus war? Kreuzfahrten wie diese waren für einen wohlhabenden Junggesellen sicherlich eine wahre Fundgrube. Dass er wohlhabend war, hatte sie auf den ersten Blick erkannt. Seine Haltung, sein maßgeschneiderter Smoking, die gepflegten Hände und vor allen Dingen seine selbstsichere und unterschwellig dominante Aura verrieten, dass er sowohl Geld als auch Stil besaß.

Da sie nicht vorhatte, sich weiter mit einem Mann zu befassen, der so eindeutig von zwei anderen Frauen mit Beschlag belegt wurde, richtete Silvana ihren Blick erneut auf die Weite des Ozeans und verglich sie insgeheim mit den derzeit herbstlich bunten Hügeln, Weinbergen und Wäldern des Ahrtals, die sie vom Fenster ihres kleinen Appartements aus sehen konnte. Sie mochte den Ausblick aus ihrer Wohnung ebenso wie die nette Nachbarschaft, ihren Job in der Boutique in Bad Neuenahr-Ahrweiler, für den sie sich nach ihrer Trennung vor zwei Jahren von Bielefeld aus beworben hatte. Seitdem war ihr Leben in ungewöhnlich ruhiges Fahrwasser geraten. Beziehungen ging sie zum ersten Mal in ihrem Leben aus dem Weg. Wenn ihr nach männlicher Gesellschaft zumute war, achtete sie strikt darauf, dass es bei maximal drei Treffen blieb, Sex mit eingeschlossen, falls die Chemie stimmte, was überraschend selten der Fall war.

Selbst auf dieser Kreuzfahrt, die sie sich selbst zum Geburtstag geschenkt hatte, war sie noch nicht in Versuchung geraten, sich mit einem der männlichen Gäste näher zu befassen. Nicht dass es keine Interessenten gegeben hätte, doch seit ihrer selbst auferlegten Männerdiät war sie deutlich wählerischer geworden. Zwar war sie auch früher nicht mit jedem x-beliebigen Mann ins Bett gegangen, ganz sicher nicht, doch seit sie die fünfzig überschritten hatte, wünschte sie sich doch zunehmend männliche Gesellschaft, die sie auch außerhalb des Bettes anregte und länger als einen flüchtigen Augenblick bei der Stange hielt. In diese Kategorie passten aber leider ausgesprochen wenige Exemplare der männlichen Gattung, sodass sie sich mittlerweile direkt ein bisschen ausgehungert vorkam. Allerdings trotzdem nicht so sehr, dass sie ihre neu gefundenen Standards so leicht über Bord werfen würde.

Noch zehn Minuten, beschloss sie, dann würde sie wieder hineingehen und sehen, ob sich die Spreu inzwischen vom Weizen getrennt hatte, wie sie es gerne nannte. Sobald sich die ersten Tanzpaare gebildet hatten, konnte sie in Ruhe die Lage sondieren und würde schnell überblicken, ob der Abend nette Gesellschaft versprach oder ob die noch verbliebenen männlichen Gesprächs- und Tanzpartner nicht mehr ausreichten, um ihr Interesse zu wecken. In dem Fall würde sie für ein Weilchen mit dem vorliebnehmen, was übrig geblieben war, nachdem alle anderen Frauen sich über das Angebot hergemacht hatten, und dann früh zu Bett gehen und einen guten Krimi lesen.

***

Fasziniert beobachtete Marcos die blonde Schönheit, die gerade den Saal verlassen hatte und an die Reling getreten war. Sie schien ohne Begleitung zu sein, was er angesichts ihrer traumhaften Figur und des wunderschönen ebenmäßigen Gesichts mit den vollen Lippen ausgesprochen ungewöhnlich fand. Sie war ihm während der Kreuzfahrt schon hin und wieder aufgefallen, allerdings stets in Gesellschaft von mehreren Männern und Frauen gewesen, sodass er sich nicht die Mühe gemacht hatte, sie anzusprechen. Immerhin war die Auswahl an weiblicher Gesellschaft auf dem Kreuzfahrtschiff nicht gerade gering. Das war einer der Gründe gewesen, warum er sich allein auf diese Reise gemacht hatte. Er hatte dringend Urlaub gebraucht, einen Ortswechsel, um den Stress der vergangenen Monate abzuschütteln, und anregende Gesellschaft. Diese hatte er auch durchaus gefunden, gab jedoch acht, die neu gewonnen Bekanntschaften strikt platonisch zu halten. Er war kein Playboy. Wenn er sich auf eine Frau einließ, dann musste die Beziehung Substanz haben, etwas, was man auf einem Kreuzfahrtschiff eher selten fand. Die beiden jungen Frauen, die ihn im Augenblick umgarnten, waren der eindeutige Beweis dafür, dass mehr als schneller Sex hier kaum zu erwarten war. Es sei denn, er wäre gewillt, eine von ihnen zu seiner Geliebten zu machen, was vor allem die Brünette – Libby war ihr Name, soweit er sich erinnerte – sicherlich begrüßt hätte. Er kannte diese Sorte Frauen, hatte sich sogar hin und wieder die Mühe gemacht, die eine oder andere von ihnen näher kennenzulernen. Dass er nach wie vor Junggeselle war, zeigte deutlich, dass keine von ihnen seinen hohen Maßstäben an die Frau, mit der er sein Leben verbringen wollte, gerecht geworden war. Bisher.

Sein Blick wurde immer wieder wie magnetisch von der blonden Schönen angezogen. Ihre schlanke weibliche Figur, die weiche faltenlose Haut, ihre graziöse Haltung, alles ließ auf eine Frau mit Stil und viel Sex-Appeal schließen. Auf den ersten Blick vielleicht Ende dreißig oder Anfang vierzig. Je länger er sie jedoch beobachtete, desto mehr Details fielen ihm auf. Weniger an ihrem geradezu makellosen Äußeren, sondern an ihrer Miene, ihrem Blick, ihrer Haltung, und er korrigierte seine Einschätzung. Diese Frau war eher Ende vierzig, vielleicht auch schon um die oder leicht über die fünfzig.

Viele andere Männer seines Jahrgangs hätten bei dieser Einsicht sofort das Interesse verloren. Vor allem jene, die sich gerade mit Wonne in etwas suhlten, was der Volksmund als Midlife-Crisis bezeichnete und vielen seiner Geschlechtsgenossen als Ausrede diente, sich mit blutjungen Hüpfern zu umgeben, möglichst noch solchen mit Spatzenhirn, die dem männlichen Ego schmeichelten, ansonsten jedoch seiner Meinung nach so überflüssig waren wie ein Kropf.

Er liebte Substanz, Leidenschaft, Lebenslust und war gerne gewillt, all dies gepaart mit einer guten Dosis Lebenserfahrung zu genießen. Vor allem, wenn sie derart verführerisch verpackt daherkam.

„Komm schon, Marcos, lass uns an die Bar gehen. Ich sterbe für einen Cocktail.“ Libby hängte sich bei ihm ein und klimperte vielsagend mit den Wimpern. „Ich wollte schon immer mal einen Sex on the Beach ausprobieren. Du nicht auch?“ Sie kicherte und zwinkerte ihm vielsagend zu.

Marcos nickte lächelnd und ließ sich von Libby und ihrer Freundin zurück in den Saal ziehen. Dabei warf er der blonden Erscheinung einen letzten Blick zu und beschloss, sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen.

2. KAPITEL

Silvana nippte an ihrem Weißwein und beschloss, dass es an der Zeit war, ihren Plan für den Abend in die Tat umzusetzen. Wenn sie nämlich noch länger hier draußen stand, wären auch noch die letzten verfügbaren Tanzpartner vergeben. Timing war alles, deshalb richtete sie sich auf, straffte die Schultern und trank einen weiteren Schluck Wein. Während sie dem Ozean noch einen letzten langen Blick zuwarf, spürte sie, wie jemand sich ihr näherte und dann neben sie trat.

„Gefährlich, diese Aussicht.“ Die Stimme des Mannes klang angenehm dunkel und samtig.

Sie wandte sich ihm nicht zu, wusste aber dennoch sofort, wer er war. „Finden Sie?“

„Geheimnisvolle Weite, dunkle Tiefen, Sternenlicht …“ Er sah sie von der Seite an, und als sie ihm nun doch den Kopf zuwandte, stockte ihr für einen winzigen Moment der Atem. Die Farbe seiner Augen war so dunkelbraun, dass sie beinahe schwarz wirkten, sein Blick so eindringlich und ausschließlich auf sie gerichtet, dass ihr Herz für ein, zwei Schläge aus dem Takt geriet. „Man könnte sich darin verlieren, wie in den Augen einer schönen Frau.“

Sie schmunzelte. „Sind Sie sicher, dass Sie mit dem Süßholzgeraspel bei mir an der richtigen Adresse sind?“

Sein Lächeln war entwaffnend offen. „Sie haben mit dieser Reaktion den eindeutigen Beweis geliefert.“ Er trank einen Schluck Soda. „Wie kommt es, dass eine Schönheit wie Sie hier einsam und verlassen an der Reling steht, anstatt sich auf der Tanzfläche zu vergnügen?“

„Vielleicht ziehe ich die Einsamkeit vor?“

Sein Blick wanderte von ihren Augen zu ihren Lippen, über ihren Körper und wieder zurück. „Auf gar keinen Fall. Alles an Ihnen sprüht vor Leben, und dieses Kleid spricht ebenfalls eine ganz andere Sprache.“

„So?“ Sie lächelte in ihr Weinglas. „Was sagt es denn?“

„Sie meinen, abgesehen davon, dass es mich gerade ziemlich eindringlich dazu auffordert, herauszufinden, welche Geheimnisse sich darunter befinden?“

„Dazu fordert es Sie auf?“ Sie begann den kleinen Flirt zu genießen.

„Mich und jeden anderen Mann auf diesem Schiff, der über einen Puls verfügt.“ Er trank sein Glas leer, und da sie ihres ebenfalls geleert hatte, nahm er es ihr ab und stellte beide Gläser auf das Tablett eines vorbeieilenden Stewards. „Da ich mich aber zu der zivilisierten Riege des männlichen Geschlechts zähle, bemühe ich mich, das eindringliche Geflüster vorerst zu überhören und mich auf die weniger verfängliche Botschaft zu konzentrieren, die Ihre Erscheinung aussendet.“

„Und die wäre?“

„Tanz mit mir.“

Überrascht über seinen veränderten Tonfall musterte sie ihn und spürte ein vertrautes und doch zugleich neues Flattern in der Magengrube. Als er ihr die Hand reichte, ergriff sie sie, noch bevor ihr Verstand das Für und Wider gegeneinander abwägen konnte. Augenblicke später fand sie sich in seinem Arm auf der Tanzfläche wieder. Die Band spielte alte Tanzklassiker aus den vergangenen vierzig Jahren, und sie passte sich problemlos seinem Schritt an.

„Normalerweise tanze ich nicht mit fremden Männern, die mir nicht einmal ihren Namen verraten.“

„Dann habe ich ja ausgesprochenes Glück gehabt.“ Er führte sie selbstbewusst und zielstrebig und ließ ihr Gesicht keinen Moment aus den Augen, sodass sie sich fühlte, als sei sie die einzige Frau im Raum. „Aber ich hatte nicht vor, aus meiner Identität ein Geheimnis zu machen. Mein Name ist Marcos Costales.“

Der Name passte zu ihm.

„Silvana Brenner.“

In seinen Augen glitzerte es vergnügt, als er sie schwungvoll herumwirbelte. „Es freut mich, dich kennenzulernen, Silvana Brenner.“

***

Eine knappe Stunde später fragte Silvana sich ernsthaft, was in sie gefahren sein mochte. Sie hatte so fest vorgehabt, sich an diesem Abend ganz lässig und zwanglos von Tanzpartner zu Tanzpartner zu bewegen, ein wenig oberflächlichen Spaß zu haben und sich emotional auf nichts einzulassen. Stattdessen wurde sie jetzt ausschließlich und ohne nennenswerte Pausen, sah man einmal von kurzen Unterbrechungen für einen Schluck erfrischender Weinschorle oder Sekt ab, von Marcos Costales über die Tanzfläche gewirbelt. Anfangs redete sie sich damit heraus, dass er einfach ein zu guter Tänzer war, als dass sie sich rasch von ihm hätte verabschieden können. Doch in Wahrheit genoss sie seine Gesellschaft von Minute zu Minute mehr. Er war intelligent, belesen und besaß einen tiefgründigen Sinn für Humor, alles Eigenschaften, die sie sehr zu schätzen wusste. Seine ruhige, überlegene Art kontrastierte, das gab sie gerne zu, ganz enorm mit ihrem eigenen, eher quirligen und zuweilen überschäumenden Wesen, aber genau das zog sie seltsamerweise ganz besonders an. Möglicherweise zu sehr, denn auf seine offenbar aufrichtig interessierten Fragen nach ihrem Leben sprudelten die Antworten geradezu aus ihr heraus wie ein Wasserfall. Deshalb wusste er bereits, wo und wie sie lebte, dass sie eine erwachsene Tochter hatte – und sogar ihr Alter, das sie normalerweise bei solchen Gelegenheiten strikt für sich behielt, hatte er ihr entlockt. Sie schob es auf ihre lange Abstinenz, verbunden mit dem Alkohol, auch wenn sie diesen wohlweislich nur verdünnt trank, dass sie so intensiv auf ihn reagierte.

„Du bist also auf einer strikten Männerdiät.“ Marcos reichte ihr ein frisches Glas Weißweinschorle und trank selbst einen Schluck Soda. Er hatte bisher nur ein einziges Glas Sekt zu sich genommen, schien also zu der Sorte Mann zu gehören, die auch bei Geselligkeiten gerne die volle Kontrolle behielten. „Dann kann ich mich ja glücklich schätzen, dass du für mich eine Ausnahme gemacht hast.“

Silvana beschloss, dass dies nun auch ihr letztes Glas Alkohol für den Abend sein würde, denn sie wollte sich den angenehmen Zustand des Angeheitertseins nicht durch einen waschechten Schwips verderben. „Ein bisschen Tanzen zählt für mich noch nicht zu den Ausnahmen, sondern zur allgemeinen Geselligkeit.“

„Autsch.“ Er verzog schmerzlich das Gesicht. „Das hat gesessen. Mein Ego blutet. Und ich dachte schon, gerade meine Kunstfertigkeit auf der Tanzfläche würde mir ordentlich Zusatzpunkte verschaffen.“

„Ich habe nicht gesagt, dass an deinen Fähigkeiten als Tanzpartner etwas auszusetzen ist. Nur dass ich das Tanzen an sich noch nicht als Ausnahme von meinen strengen Abstinenzregeln betrachte.“

„Vielleicht, weil wir uns bisher auf Walzer und Foxtrott beschränkt haben. Entschuldige mich, ich bin gleich wieder da. Nicht weglaufen!“

Überrascht sah sie ihm nach, wie er mit ausholenden Schritten hinüber zu dem Podium ging, auf dem die Band spielte. Er sprach eindringlich auf den Bandleader ein, der mehrmals nickte und dann mit einem wissenden Grinsen in ihre Richtung blickte. Seltsamerweise regte sich in Silvanas Magengrube erneut dieses rätselhafte Flattern, das sich noch verstärkte, als Marcos wieder auf sie zukam und im selben Moment die Musik wieder einsetzte, diesmal mit heißen Sambarhythmen.

„Wollen wir doch mal sehen, ob ich nicht dazu imstande bin, einen nachhaltigeren Eindruck bei dir zu hinterlassen als nur den eines x-beliebigen Gesellschafters.“ Mit einem schalkhaften Grinsen ergriff Marcos ihre Hand und zog sie schwungvoll auf die Tanzfläche.

Sie folgte ihm etwas atemlos. „Ich habe seit mindestens zwanzig Jahren keine Samba mehr getanzt!“

„Na, dann wird es Zeit, dass du wieder damit anfängst.“ Er wies mit dem Kinn auf die wenigen anderen Tanzpaare, die sich an die schnellen Rhythmen heranwagten. Silvana konstatierte, dass sie alle deutlich jünger waren als sie beide. „Zeigen wir den jungen Hüpfern mal, wo es langgeht.“

„Marcos …“ Sie lachte, als er sie an sich zog, und folgte instinktiv seiner Führung. Ihr Herz schlug einen Tick zu heftig, das Blut rauschte eindeutig zu heiß durch ihre Adern, dennoch genoss sie es, mit diesem sexy Mann zu tanzen. Ihr wurde unnatürlich warm, als ihre Blicke aufeinandertrafen und sich ineinander verhakten. Die Luft um sie herum schien zu knistern, und zwischen ihnen veränderte sich etwas. Die ungezwungene Stimmung, die sich während ihres Flirts entwickelt hatte, wandelte sich in ein unterschwellig erotisches Pulsieren, das nach und nach jede Faser ihres Körpers erfasste. Wie durch einen Schleier hindurch nahm sie wahr, dass um sie herum applaudiert wurde. Es befanden sich nur noch fünf oder sechs Paare auf der Tanzfläche, die mit der unbändigen lateinamerikanischen Musik mithielten.

Silvana wusste, es war brandgefährlich, sich in diesem Augenblick zu verlieren, in diesen beinahe schwarzen Augen, die so ausschließlich auf sie gerichtet waren und von Dingen sprachen, an die zu denken sie sich doch eigentlich verboten hatte.

„So gefällst du mir noch besser.“ Sein Lächeln ließ seine Augen gefährlich funkeln.

„Was meinst du?“ Ein wenig atemlos drehte sie sich von ihm weg, nur um sich gleich darauf wieder dicht bei ihm wiederzufinden. Ihre Beine folgten seinem Schritt, ohne dass sie darüber nachdenken musste.

„Die ungezügelte Leidenschaft, die du bis eben noch versucht hast zu unterrücken. Vielleicht, weil du glaubst, dass sie sich bei einem ersten Date noch nicht gehört.“

Sie fühlte sich angenehm schwindelig in seiner Nähe. „Das nennst du ein erstes Date?“

„Nicht ganz, aber doch nah genug daran.“ Wieder drehte sie sich weg, entfernte sich ein Stück und fühlte sich gleich darauf wieder zurückgezogen. „Es geht doch nichts über eine heiße Samba, um das wahre Gesicht einer Frau zu enthüllen.“

Sie spürte eine Gänsehaut auf ihrem Körper. „Nach meiner Erfahrung wollen die wenigsten Männer das wahre Gesicht einer Frau finden. Schon gar nicht beim ersten Date.“

„Und doch kannst du es vor mir nicht verbergen.“ Seine Stimme war deutlich tiefer und rauer geworden und jagte ihr angenehme und zugleich beängstigende Schauder über den Rücken. „Du bist eine außergewöhnliche Frau, Silvana Brenner. Wunderschön. Sexy. Leidenschaftlich.“ Sein Gesicht näherte sich dem ihren, doch der schnelle Rhythmus der Musik verbot es ihm, sie zu küssen. Sie wusste nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte. „Ich bin sehr froh, dass wir uns heute Abend begegnet sind und dass du für mich diese Ausnahme gemacht hast.“

Sie schluckte, denn aus einem unerfindlichen Grund pochte ihr Herz bis zum Hals hinauf. „Ich sagte doch, ich habe keine …“

„Doch, hast du“, unterbrach er sie und hielt ihren Blick eindringlich mit dem seinen gefangen. „Und wirst du.“

Sie erschrak fast, als die Musik endete und er sie losließ. Ringsum wurde wild gejubelt und applaudiert. Ehe sie reagieren konnte, zog Marcos sie wieder an sich, diesmal sehr sanft. Die Musik wechselte erneut den Rhythmus. Jetzt rieselte Frank Sinatras Strangers in the Night über sie hinweg. Die Stimme des Sängers glich der des Originals ganz erstaunlich, und Silvana fühlte sich wie in einen Kokon aus romantischen Klängen gehüllt. „Und was nun?“

Marcos hatte sie so fest an sich gezogen, dass sie seinen festen Körper, die harten Muskeln, seine Stärke überdeutlich spüren konnte. Ihr Blutdruck stieg in ungeahnte Höhen, als sie seine Fingerspitzen spürte, die sachte ihren Rücken hinaufglitten und spielerisch über ihren Nacken strichen. „Nun würde ich sagen, dass wir uns rasch entscheiden sollten – deine Kabine oder meine?“

Das Flattern in ihrer Magengrube wandelte sich zu einem ziehenden, pulsierenden Sehnen. „C-Deck“, murmelte sie und erlaubte sich, ihre Wange für einen Moment an seine Schulter zu legen. Sein herber männlicher Geruch, vermischt mit einem teuren Rasierwasser, stieg ihr in die Nase.

„B-Deck.“ Seine Finger streichelten noch immer über ihren Nacken. „Meine Kabine liegt näher.“

Als die letzten Noten des Liedes verklangen, ergriff Marcos Silvanas Hand und zog sie mit sich von der Tanzfläche und hinüber zu den Aufzügen. Dort fanden sie sich in Gesellschaft weiterer Personen, die einzeln oder in Paaren den Saal verlassen hatten. Sie brachten es fertig, neutral nebeneinander zu stehen, bis sie Marcos’ Deck erreichten. Zielstrebig führte er sie einen langen Gang entlang und fluchte unterdrückt, als ihnen eine Gruppe junger Frauen entgegenkam, die lachend und scherzend mit Sektflaschen hantierten und den Weg versperrten.

Kurzerhand stieß er eine Tür mit der Aufschrift Staff only/Nur Personal auf, an der sie gerade vorbeikamen, und sie fanden sich in einer Art Pausenraum oder Lounge wieder. In einer Ecke gab es eine Küchenzeile, die Mitte des Raumes wurde von einem niedrigen Couchtisch eingenommen, der von mehreren Sesseln und zwei Sofas umgeben war. Es roch ganz leicht nach Kaffee, Vanille und Karamellgebäck. Ein kleines Notlicht beleuchtete den Raum spärlich.

Entschlossen schob Marcos die Tür zurück ins Schloss und drehte den Schlüssel um; im nächsten Moment lagen seine Lippen fest auf Silvanas Mund.

Ihr Herz schlug aufgeregte Haken, und sie rang überrascht nach Atem, was ihn umgehend dazu veranlasste, den Kuss zu vertiefen. Hitze stieg zwischen ihnen auf, als ihre Zungen sich berührten. Seine Hände legten sich schwer auf ihre Schultern, glitten aufwärts und umschlossen schließlich ihre Wangen. Er neigte ihren Kopf ein wenig nach hinten, um ihre Lippen noch rücksichtsloser plündern zu können.

Silvana prallte gegen die Wand neben der Tür, als er seinen Körper gegen ihren drängte, hielt sich an ihm fest und ließ es mit wild pochendem Herzen zu, dass seine Hände über ihren Körper fuhren.

Sie schob ihm die Smokingjacke von den Schultern, kämpfte mit seiner Fliege, warf sie schließlich achtlos zu Boden und zog sein Hemd aus dem Hosenbund. Haut. Sie wollte seine Haut unter ihren Fingern spüren.

Er stöhnte unterdrückt, als sie ihr Ziel erreicht hatte, und half ihr, das Hemd aufzuknöpfen und auszuziehen. Herrlich feste Haut über straffen Muskeln kam zum Vorschein; die feinen schwarzen Härchen auf seiner Brust hinterließen ein erotisches Kribbeln an ihren Handflächen.

Marcos drängte sie noch fester gegen die Wand. Jetzt konnte sie seine Erektion spüren. Das Pulsieren in ihrer Körpermitte steigerte sich zu einem drängenden Pochen. Mit fliegenden Fingern machte sie sich an seinem Gürtel und dem Knopf an seiner Hose zu schaffen, während ihre Lippen und Zungen noch immer wild miteinander rangen. Er zerrte an ihrem Kleid und schob es ungeduldig bis über ihre Hüften hoch. Seine Hände legten sich fest auf ihre Hüften und wanderten von dort verlangend zu ihrem Hintern hinab. Wieder presste er seinen Körper gegen ihren, ließ sie erneut spüren, wie hart und erregt er war.

Ein heißer Luststrahl schoss durch sie hindurch, als er eine Hand suchend und zielstrebig zugleich zwischen ihre Schenkel wandern ließ und den dünnen Stoff ihres Slips beiseiteschob.

Sie war feucht und bereit für ihn und hörte ihn lustvoll stöhnen, als seine Fingerspitzen auf ihre Hitze trafen. Wie in einem Rausch zerrte sie an seiner Hose, half ihm, sie loszuwerden und das Kondom, das sie in wilder Hast aus ihrem Abendtäschchen gezogen hatte, überzustreifen. Gleich darauf schlang sie ein Bein um ihn. „Jetzt, oh Gott, Marcos. Jetzt!“ Sie biss in seine Schulter, als er ihren Schenkel noch ein wenig weiter anhob und zugleich schnell und hart in sie eindrang.

Lichter und Farben explodierten, einem Feuerwerk gleich, vor ihrem inneren Auge. Sie schloss die Lider und gab sich ganz dem Gefühl des Erobertwerdens, des Ausgefülltseins hin.

„Silvana.“ Marcos vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge, stieß in einem drängenden, schnellen Rhythmus in sie. Sie spürte seine Lippen, dann seine Zunge an ihrer Halsbeuge und schließlich an der Stelle, wo ihre Halsschlagader wild pochte. Ihr wurde beinahe schwarz vor Augen, als er die empfindliche Haut dort einsaugte.

Ungeduldig drängte sie sich ihm entgegen, schlang auch noch das andere Bein um ihn und entlockte ihm damit ein tiefes raues Stöhnen. Er hielt sie nur mit dem Gewicht und der Kraft seines Körpers weiter gegen die Wand gepresst und verlangsamte die Frequenz seiner Stöße, bis er sich nur noch ganz langsam und tief in ihr bewegte.

Schauder und Wellen der Wonne durchfluteten Silvanas Körper und nahmen ihr die Luft, bis sie nur noch ganz flach atmen konnte und sich alles in ihr anzuspannen begann. Die Muskeln in ihrem Inneren umschlossen ihn fest und rhythmisch und schrien geradezu nach Erlösung. Diese wollte Marcos ihr jedoch offenbar noch nicht zugestehen, denn als sie ihr Becken auffordernd kreisen ließ, keuchte er und zog sich hastig aus ihr zurück.

„So nicht, meine Schöne.“ In seinen Augen glitzerte es wieder gefährlich. Er ließ sie Halt auf ihren eigenen Beinen finden und öffnete den Reißverschluss an ihrem Kleid. Sie zog es aus und ließ auch gleich den spitzenbesetzten BH folgen, dessen Verschluss er ungeduldig aufgehakt hatte.

***

Mit beiden Händen umschloss er Silvanas volle Brüste, hob sie leicht an und umschloss eine der aufgerichteten Spitzen mit den Lippen. Sie stieß ein erregtes Keuchen aus, als er seine Zunge leicht über die Brustwarze tanzen ließ.

Ehe das Bedürfnis, sie erneut gegen die Wand zu drängen und zu nehmen, überhandnehmen konnte, schob er sie zu einem der Sofas. Bevor er sie jedoch dazu bringen konnte, sich darauf auszustrecken, hatte sie ihn bereits daraufgedrückt und sich auf seinen Schoß geschoben. Sternchen wirbelten vor seinen Augen, als sie sich über ihn senkte und ihn erneut in sich aufnahm. Unwillkürlich packte er ihren Hintern und knetete ihn lustvoll, konnte dann aber ihren Brüsten nicht widerstehen. Er liebkoste die eine nach der anderen, während diesmal Silvana schwer atmend den Rhythmus ihrer Vereinigung vorgab.

Als er sie vorhin an der Reling hatte stehen sehen, war ihm sofort klar gewesen, dass er sie haben wollte, spüren, besitzen. Und auch wenn sie behauptete, es sei nicht so, wusste er doch, dass sie ebenfalls vom ersten Moment ihrer Begegnung an gewusst hatte, worauf der Abend hinauslaufen würde. Zwar hatte er nicht vorgehabt, in einem Aufenthaltsraum des Personals über sie herzufallen – er hatte sich immer für wesentlich zivilisierter gehalten –, doch er konnte sich dem Reiz des Augenblicks nicht entziehen und schon gar nicht der Aura dieser unglaublich schönen und leidenschaftlichen Frau, die ihn voll und ganz in ihren Bann zog. Sie hielt nichts zurück, das sah und spürte er, und doch war es ihm nicht genug. Er wollte mehr, wollte sie ganz, was auch immer das bedeuten mochte. Falls es bei diesem einen wahnwitzigen Mal bleiben sollte, wollte er, dass es unvergesslich wurde, für sie ebenso wie für ihn.

An der Anspannung, die sich in ihrem Körper aufbaute, konnte er erkennen, dass sie kurz davor war, sich in einem ersten Höhepunkt zu verlieren. Er rang ebenfalls mit seiner Beherrschung, wollte aber seine eigene Erfüllung so lange hinauszögern, wie nur möglich. Also hielt er sie auf, entzog sich ihr und brachte sie endlich dazu, sich auf dem überraschend bequemen Sofa auszustrecken. Als er seine Lippen in einer heißen Spur über ihren Körper nach unten gleiten ließ, nahm sie so willig und einladend die Schenkel auseinander, dass er versucht war, doch den kürzeren wilderen Weg einzuschlagen. Doch er unterließ es, fest entschlossen, ihr zuerst so viel Lust zu verschaffen, wie sie aushalten konnte.

Sanft drang er mit einem Finger in ihre einladende Hitze ein und kostete sie zugleich. Lust schoss durch ihn hindurch und ließ ihn erneut mit der Beherrschung kämpfen. Silvana stieß einen unterdrückten Schrei aus und krallte ihre Finger in die Polster, als er sie zärtlich und neckend mit der Zunge stimulierte. Ihre Bauchdecke flatterte, ihr Becken zuckte und kreiste bald in dem lasziven Rhythmus, den er ihr vorgab.

Er spürte eine ihrer Hände an seiner Schulter. Sie versuchte, ihn zu sich heraufzuziehen, doch er widerstand der Einladung und hielt sie stattdessen fest an Ort und Stelle, sodass sie seinen Liebkosungen nicht ausweichen konnte. Sie schien sich immer mehr in dem Strudel aus Erregung und Leidenschaft zu verlieren, und er wollte sie dazu bringen, vollkommen zu vergessen, wo sie sich befand. Also intensivierte er die süße Qual noch, bis sich ihre Finger fest in sein Haar gruben und sie wieder und wieder atemlos seinen Namen ausstieß. Er spürte, wie die Anspannung sich in ihr aufbaute, wie ihr Atem immer hektischer und flacher ging, bis sie sich wild aufbäumte und er die Wellen des Orgasmus, die sie durchtosten, nicht nur sehen, sondern auch spüren konnte.

Für einen Moment schloss er die Augen und konzentrierte sich darauf, ihr nicht über diese Klippe zu folgen.

Als ihr Atem sich ein klein wenig beruhigte und sie die Augen aufschlug, schob er sich an ihr hoch und küsste sie zärtlich.

Ihr Blick war glasig und leicht verhangen. „Marcos.“ Ihre Stimme klang heiser und bewegt. „Das … war …“

„Noch nicht alles, meine Schöne.“ Lächelnd verschloss er ihre Lippen mit seinen, ließ seine Zungenspitze über ihre Unterlippe streichen, bis sie sie einließ. Seine Rechte schloss sich begierig um ihre Brust. Jede Faser seines Seins schrie danach, sie erneut zu erobern, zu spüren.

„Ich glaube nicht, dass ich …“ Sie sog scharf die Luft ein, als er seine Hand von ihrer Brust hinab zwischen ihre Schenkel schob und ihren empfindlichsten Punkt erneut zu reizen begann. „Oh … ich …“ Ihre Worte gingen in ein wohliges Stöhnen über, als er ihre Brustwarze zwischen die Lippen sog.

Unfähig, ihr noch länger zu widerstehen, schob er sich auf ihren köstlichen, von der neu aufflammenden Erregung glühenden Körper und drang tief in sie ein. Ihre Münder trafen aufeinander, gleich darauf ihre Zungen.

Silvana schlang ihre langen Beine fest um seine Körpermitte und brachte ihn so dazu, noch tiefer in sie hineinzustoßen. Strudel und Wirbel von Farben und Emotionen durchtosten ihn, das Blut rauschte einem Lavastrom gleich durch seine Adern, und er wollte noch mehr. Mehr. Was genau, wusste er im Augenblick selbst nicht. Als sie erneut die Augen öffnete und sich ihre Blicke trafen, wurde es ihm bewusst. Er wollte sie. Silvana. Er wollte sie ganz und gar.

Die Erkenntnis versetzte ihm einen harten Stich mitten ins Herz. Obgleich in ihren Augen etwas aufflackerte, was er als Schreck, vielleicht sogar Panik deutete, wandte sie den Blick nicht ab, als er wieder und wieder in sie stieß, sich in ihr verlor und wiederfand. Er trieb sie an, weiter und weiter, bis sie erneut nur noch seinen Namen ausstoßen konnte – und er den ihren – und sie gemeinsam Erfüllung fanden, die so wild und ursprünglich war, wie er sich nicht einmal hätte erträumen lassen.

3. KAPITEL

„Ich nehme an, das zählt jetzt doch ganz eindeutig als Ausnahme.“ Sein Herzschlag hatte sich noch nicht wieder ganz beruhigt. Er hatte sich ein wenig zur Seite gerollt, um Silvana Luft zum Atmen zu geben, doch die Enge der Couch kam ihm entgegen; sie lagen so dicht beieinander, dass er die Wärme und Weichheit ihres Körpers noch ein wenig länger genießen konnte.

Sie lachte vergnügt, was ihn im Hinblick auf den intensiven, auf ihrer Seite erschrockenen Blick, den sie vorhin noch ausgetauscht hatten, überraschte. „Eine phänomenale Ausnahme. Ich gehe normalerweise nicht beim ersten Date mit einem Mann ins Bett.“

Er schmunzelte. „Das hast du ja auch heute nicht getan. Oder siehst du hier irgendwo ein Bett, das mir in der Eile des Augenblicks entgangen ist?“

Wieder lachte sie, und diesmal kam es ihm so vor, als kaschiere sie damit etwas. Unsicherheit vielleicht? „Sex jedweder Art sollte am ersten gemeinsamen Abend tabu sein.“

„Warum?“

„Weil …“ Sachte fuhr sie mit den Fingerspitzen über seinen Brustkorb. „Das ist mir entfallen. Ich muss erst warten, bis der Hormoncocktail in meinem Blut sich verflüchtigt hat.“ Ein verschmitztes Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Aber zumindest hat diese Ausnahme sich mehr als gelohnt. Das kannst du deinem blutenden Ego mitteilen.“

Er fing ihre Hand auf und küsste sie. „Mach dir um mein Ego keine Sorgen, dem geht es gerade ausgesprochen gut.“

„Kann ich mir vorstellen.“

„Du bist ganz schön gelenkig.“

„Für mein Alter, meinst du?“ Sie gluckste.

„Nein, grundsätzlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine jüngere Frau dir so leicht das Wasser reichen könnte.“

„Ich habe als Mädchen Ballettunterricht genommen und mache seit vielen Jahren regelmäßig Yoga und Pilates.“

„Was ich begrüßenswert finde.“ Wieder küsste er ihre Fingerspitzen. „Denn es eröffnet in vielerlei Hinsicht aufregende Perspektiven.“

„Es soll meinen Körper fit halten, wenn schon die Jahre, die er sich auf diesem Planeten bewegt, allmählich in einen Bereich wandern, der eine Frau unattraktiv werden lässt.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand dich jemals als unattraktiv bezeichnen würde, Silvana. Du bist eine wunderschöne Frau, sexy, heißblütig.“ Er ließ ihre Hand los und strich zärtlich mit den Fingerspitzen über ihre Wange. „Ich empfinde dich als begehrenswerter als jede einzelne Frau, die sich derzeit auf diesem Schiff befindet, egal ob jünger oder älter.“ Seine Stimme nahm unwillkürlich einen raueren Ton an. „Möglicherweise sogar begehrenswerter als sämtliche anderen Frauen, die sich im Augenblick auf unserem Planeten aufhalten.“

In Silvanas Augen flackerte etwas auf, was er nicht zu deuten wusste. „Aus dir sprechen wohl auch noch die Hormone.“

„Das glaube ich nicht, meine Schöne. Und selbst wenn, würde der Rest von mir ihnen ganz eindeutig zustimmen.“

„Da ist es wieder.“ Schmunzelnd richtete sie sich ein wenig auf. „Das Süßholz“, fügte sie erklärend hinzu, als er fragend die Brauen hob. „Du brauchst es nicht so inflationär über mir auszuschütten. Immerhin hast du schon bekommen, was du wolltest.“

Er richtete sich ebenfalls auf und beobachtete mit leichtem Bedauern, wie sie aufstand und ihre Unterwäsche zusammensuchte. „Dessen bin ich mir, ehrlich gesagt, gar nicht so sicher.“ Er stand ebenfalls auf und begann, sich anzuziehen. Silvana war bereits dabei, ihren BH zu schließen, und wollte nach ihrem Kleid greifen. Rasch trat er auf sie zu und zog sie in seine Arme. „Hast du denn bekommen, was du wolltest?“

Noch einmal genoss er das Gefühl ihrer nackten Haut an seiner und suchte zugleich ihren Blick, der jedoch unstet flackerte und ihm auswich.

„Ich …“ Sie machte sich von ihm los, hob ihr Kleid vom Boden auf und schlüpfte anmutig hinein. „Ich denke schon.“

Ruhig und besonnen, weil er spürte, dass er sie in die Enge getrieben hatte, trat er zu ihr und half ihr, den Reißverschluss zu schließen. „Und was fühlst du?“

Sie schluckte hörbar, dann stieß sie wieder dieses fröhliche, unbekümmerte Lachen aus. „Ich bin nicht an einer Beziehung interessiert, Marcos. Ich hatte zu viele davon, die im Nachhinein nicht wert sind, erwähnt zu werden.“

„Dann vergiss sie einfach.“

„Das lässt sich leicht sagen, aber nicht umsetzen. Ich war zweimal verheiratet und vorher, dazwischen und hinterher mit so vielen Männern zusammen, dass ich es aufgegeben habe, sie zu zählen.“ Da ihre hübsche Hochsteckfrisur halb aufgelöst war, zog sie entschlossen die Haarnadeln heraus, verstaute sie in ihrem Täschchen und schüttelte ihr üppiges blondes Haar, bis es ihr in weichen Wellen bis auf die Schultern fiel.

Marcos schluckte und spürte ein besorgniserregendes Ziehen in der Herzgegend, zusammen mit einem erneuten Aufflackern von Begehren. Liebend gerne hätte er sie an sich gezogen und geküsst, doch sie hatte es irgendwie fertiggebracht, eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen zu errichten, und er wusste instinktiv, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt sinnlos wäre, zu versuchen, sie zu überwinden.

Da er ihr eine Antwort schuldig geblieben war, lachte sie erneut. „Jetzt habe ich dich wirkungsvoll abgeschreckt.“

Er zog sein Hemd an und knöpfte es bedächtig zu. „Nein, hast du nicht, aber ich glaube, du versuchst gerade, dich selbst abzuschrecken, und es scheint zu funktionieren. Du fürchtest dich vor einer neuen Beziehung.“

Sie hob überrascht den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Ausdruck über ihr Gesicht, der seine Vermutung bestätigte, doch sie hatte sich erstaunlich schnell wieder im Griff und lächelte ihn derart liebenswürdig und fröhlich an, dass es ihm einen heftigen Stich versetzte. „Ich habe keine Angst, Marcos. Vor nichts … und niemandem.“ Sie trat auf ihn zu und küsste ihn auf die Lippen, doch noch ehe er reagieren konnte, war sie wieder einen Schritt zurückgewichen. „Ich ziehe es nur vor, diese … Ausnahme als das zu sehen, was sie ist. Eine Ausnahme.“ Der zärtliche Ausdruck in ihren Augen fügte ihm einen weiteren schmerzhaften Stich zu. „Eine wunderschöne Ausnahme. Aber dabei sollten wir es belassen. Du wirkst viel zu perfekt auf mich, und ich bin ganz sicher nicht das, wonach du suchst. Deshalb sollten sich unsere Wege hier trennen. Ich möchte mich an diesen Abend gerne als das erinnern, was er ist … war“, korrigierte sie sich.

„Und das wäre?“

Um ihre Mundwinkel zuckte es verdächtig. „Der beste Sex, den ich seit einer Ewigkeit hatte … oder jemals.“ Er sah, dass ihre Finger ihr Täschchen ein wenig zu fest umfasst hielten.

Marcos hielt sie nicht auf, als sie, nachdem sie kurz gelauscht hatte, ob sich auf dem Gang etwas tat, die Tür aufschloss und den Raum verließ. Das leise Klicken, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, klang unangenehm endgültig.

Unschlüssig, was er denken oder fühlen sollte, zog Marcos seine restlichen Kleider an, entsorgte das benutzte Kondom im Abfalleimer und fragte sich mit einem flüchtigen Schmunzeln, was das Reinigungspersonal wohl denken mochte, falls es den Müll genauer in Augenschein nehmen sollte.

Er schob seine Fliege in die Tasche seiner Smokingjacke, blickte sich prüfend im Raum um, dann ließ er sich zurück auf die Couch sinken und stützte den Kopf in die Hände. Wenn er sich einer Sache sicher war, dann der, dass er die vergangenen Stunden nicht als einmalige Ausnahme von Silvanas selbst auferlegter Regel abhaken können würde. Und etwas in ihm sagte ihm, dass es ihr nicht ganz unähnlich erging. Die Frage war nur, wie er sie vom Gegenteil überzeugen konnte … und was das für sein Leben bedeuten würde.

4. KAPITEL

Silvana weigerte sich strikt, auch nur das allergeringste Gefühl von Bedauern oder Niedergeschlagenheit zuzulassen. Auch nicht, als aus ihrem Küchenradio Frank Sinatras Stimme erklang und von zwei Fremden in der Nacht erzählte, die miteinander das Glück ihres Lebens gefunden hatten. Bei einem Tanz.

Entschlossen wechselte sie den Sender und nickte zustimmend vor sich hin, als die Gruppe Fool’s Garden von Zitronenbäumen sang. Obgleich dieses Lied einen weitaus weniger optimistischen Inhalt hatte, versetzte es sie doch stets in gute Laune. Sie sang sogar leise mit, während sie Portemonnaie, Make-up, Schlüssel und etliche weitere Utensilien von ihrer blauen in die rote Handtasche umpackte, die besser zu ihrem knielangen rotschwarzen Wollkleid passte, das sie für den heutigen Abend ausgesucht hatte.

Ihre Kreuzfahrt lag nun ziemlich genau zwei Wochen zurück. Während sie das erste Wochenende nach ihrer Rückkehr noch damit verbracht hatte, ihre Wäsche und Wohnung in Ordnung zu bringen und Pläne zu schmieden, wie sie diesen verfluchten Marcos Costales aus ihren Gedanken verbannen würde, wollte sie das zweite dazu nutzen, diese Pläne in die Tat umzusetzen.

Unter der Woche fiel ihr das leicht, denn sie hatte ja ihre Arbeit und konnte sich abends mit Besuchen im Fitnessstudio oder Telefonaten mit Bekannten ablenken. Glücklicherweise war auch der heutige Samstagabend verplant, was ihr Gelegenheit gab, sich unter Menschen zu bewegen und sämtliche Erinnerungen, die sie zuweilen bis in ihre Träume verfolgten, auf den Platz zu verweisen, der ihnen gebührte – ganz im hintersten Winkel ihres Bewusstseins.

War es nicht auch lächerlich, sich so viele Gedanken zu machen? Marcos, das hatte sie bei einer ausgiebigen Google-Suche gleich nach ihrer Heimkehr herausgefunden, war ein international erfolgreicher Geschäftsmann. Ihr gegenüber hatte er zwar von seiner Firma für hochwertige Autotuning-Teile erzählt, jedoch unterschlagen, hinzuzufügen, wie bekannt dieses Unternehmen in seinem Sektor war. Millionenschwer. Hunderte Mitarbeiter in zwölf verschiedenen Ländern. Er war nie verheiratet gewesen, hatte aber einen sechsundzwanzigjährigen Sohn namens Raffael, der in den USA studiert hatte und dort nun im Hotelgewerbe tätig war. Über die Kindsmutter, eine hübsche schwarzhaarige Frau aus gutem Hause namens Tonja, hatte Silvana nicht viel gefunden. Offenbar war sie seinerzeit eine Weile mit Marcos zusammen gewesen, hatte sich dann aber kurz nach der Geburt von ihm getrennt und es Marcos überlassen, den Jungen aufzuziehen. Den Fotos nach zu urteilen, die sie von Vater und Sohn gefunden hatte, schien er sich damit große Mühe gegeben zu haben. Raffael war ähnlich attraktiv und dunkel wie sein Vater, schien in seinem Metier erfolgreich zu sein – und nach dem, was sie den Presseberichten entnehmen konnte, kamen die beiden ausgezeichnet miteinander aus.

Da der Sohn offenbar nicht in die Fußstapfen des Vaters zu treten gedachte, arbeitete Marcos’ Nichte Nicola, die Tochter seines älteren Bruders, schon seit einigen Jahren in seiner Firma mit und hatte bereits die Ebene der Geschäftsleitung erreicht. Sie würde den Betrieb wohl eines Tages übernehmen.

Ursprünglich hatte Silvana gar nicht so genau recherchieren wollen, doch als sie einmal angefangen hatte, war die Neugier mit ihr durchgegangen. Und warum auch nicht? Immerhin war es doch legitim, etwas über den Mann in Erfahrung zu bringen, mit dem sie die drei intensivsten Stunden ihres Lebens verbracht hatte.

Albern war es nur, sich gedanklich immer noch bei ihm aufzuhalten. Ein Mann wie er war mit Sicherheit viel zu beschäftigt, um auch nur noch einen einzigen Gedanken an sie zu verschwenden. Auch wenn er nicht als Playboy galt, gab es doch bestimmt unzählige Frauen, die sein Interesse mehr und nachhaltiger fesselten als Silvana Brenner.

Noch immer leise Lemon Tree vor sich hin summend, zog sie den Reißverschluss ihrer Handtasche zu und hob überrascht den Kopf, als es an ihrer Tür klingelte. Da sie niemanden erwartete, nahm sie an, dass Ella, ihre Nachbarin aus der Etage unter ihr, sie mal wieder bitten wollte, ihr eine Tasse Mehl zu leihen oder die Blumen in ihrer Wohnung zu gießen, weil sie übers Wochenende zu ihren Eltern fahren wollte. Letzteres, beschloss Silvana auf dem Weg zur Tür, doch eher nicht, denn es war bereits früher Abend und deshalb für eine Fahrt bis ins Münsterland ein bisschen zu spät.

Da sie Ella sehr gernhatte, öffnete sie die Tür mit einem strahlenden Lächeln, das jedoch in der Sekunde aus der Fassung geriet, als sie erkannte, wer wirklich vor ihrer Tür stand. „Marcos!“ Ihr Herz machte einen so heftigen Satz, dass ihr geradezu schwindelig davon wurde.

Er trug einen dunkelgrauen Mantel über einem legeren, maßgeschneiderten hellgrauen Anzug mit cremefarbenem Hemd. Auf eine Krawatte hatte er verzichtet und den obersten Knopf seines Hemdes offen gelassen, was ihm, zusammen mit seinem südländischen Aussehen, eine für ihren Hormonhaushalt extrem gefährliche Ausstrahlung verlieh.

Die Hände hatte er lässig in den Hosentaschen vergraben, auf seinen Lippen war der Anflug eines Lächelns zu erkennen. „Es gibt da ein Problem“, sagte er, ohne einen Gruß voranzustellen. Sein Blick wanderte an ihr vorbei ins Innere der Wohnung, und sie trat einen Schritt zur Seite, um ihn einzulassen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, etwas, was ihr in der Gegenwart eines Mannes seit ihrer Jungmädchenzeit nicht mehr passiert war. So überschäumend und möglicherweise hin und wieder auch zur Hysterie neigend ihr Wesen auch sein mochte, war es doch bisher noch kaum einem Mann gelungen, sie allein mit seinem Erscheinen auf ihrer Türschwelle derart aus dem Gleichgewicht zu bringen. „Was für ein Problem?“ Sie hörte selbst, wie belegt ihre Stimme klang, brachte es aber nicht fertig, abgeklärter zu reagieren.

Er ging ihr voran ins Wohnzimmer und drehte sich dort zu ihr um. „Ich bin nicht gut in Ausnahmen. Wenn ich zu einer verführt werde, so wie mit dir, und sie mir derart gut gefällt, setze ich alles daran, sie zur Regel zu machen.“

„Wie hast du mich gefunden?“

„Das war nicht weiter schwierig, nachdem du mir deinen Namen und Wohnort genannt hattest.“

„Ich stehe nicht im Telefonbuch oder im Internet.“

„Dafür verfüge ich über gewisse Möglichkeiten.“ Er zwinkerte ihr zu.

Sie weigerte sich, den Umstand, dass er sie ausfindig gemacht hatte, für romantisch zu halten. Oh ja, sie weigerte sich strikt! „Ich …“ Nur mit Mühe ordnete sie ihre Gedanken. „… bin gerade auf dem Sprung. Verabredet.“

Er legte den Kopf leicht schräg. „Mit einem Mann?“

„Mit ein paar Freunden. Meiner Chefin und ihrem Mann, zwei Kolleginnen …“

„Essen?“

„Italienisch. In einem Lokal in der Altstadt von Ahrweiler.“

„Im Bellini?“

Überrascht nickte sie.

„Ich kenne den Inhaber. Gute Wahl. Sicherlich hat er einen Stuhl übrig, den er für mich mit an euren Tisch stellen kann.“ Lächelnd bot er ihr seinen Arm an. „Wollen wir?“

„Aber …“ Sie schüttelte leicht den Kopf. „Du willst mich begleiten?“

„Das war mein Plan. Es sei denn, deine Freunde haben etwas gegen mich einzuwenden.“

„Sie kennen dich doch gar nicht.“

„Eben. Die Wahrscheinlichkeit ist also denkbar gering.“ Sein charmantes Lächeln ging ihr durch und durch. „Lass mich aber den Vorschlag machen, mit meinem Wagen zu fahren. Wenn ich mir nämlich die Rostlaube betrachte, die vor dem Haus in dem Carport mit deiner Wohnungsnummer steht, wird mir angst und bange.“ Er lachte. „Lass mich raten, bei der Wahl zwischen einem neuen Auto und der Kreuzfahrt hast du dich für letztere entschieden, weil man nur einmal lebt und das Ding mit den vier Reifen ja noch ein knappes Jahr TÜV hat und deshalb ganz bestimmt noch halten wird.“

Sie räusperte sich verlegen. „Ich war noch nie zuvor in der Karibik. Autos gibt es wie Sand am Meer, und so lange dauert es auch wieder nicht, bis ich die Anzahlung für einen guten Gebrauchten zusammengespart habe.“ Ohne seinen Arm zu beachten, ging sie ihm voran in den Hausflur und schloss hinter ihm die Wohnungstür ab.

Auf der Treppe ließ er ihr den Vortritt. „Das war eindeutig die unvernünftige Variante. Aber ich will mich nicht beklagen. Hättest du dich anders entschieden, wären wir einander vermutlich nie begegnet.“

Im ersten Impuls war sie geneigt, ihm zuzustimmen. Sie unterließ es jedoch, denn sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie mit der neuen Situation umgehen sollte. Als sie aus der Haustür trat, sog sie scharf die Luft ein. „Oh. Wow.“

Marcos trat neben sie, legte ihr sanft den Arm um die Schulter und führte sie zu dem silbernen Porsche, den er am Straßenrand geparkt hatte. „Ich hoffe, du hältst meinen fahrbaren Untersatz nicht für ein allzu großes Klischee. Mein Vater hat mir zum Abitur meinen ersten Porsche geschenkt, und seitdem bin ich dabei geblieben. Nicht um anzugeben, sondern aus Liebhaberei.“ Er öffnete ihr galant die Beifahrertür und schloss sie auch wieder, als sie sich auf den weißen Ledersitz hatte sinken lassen. Während sie ihn beobachtete, wie er um das Auto herumging und sich mit einem warmen Lächeln in ihre Richtung auf den Fahrersitz schwang, hatte sie das seltsame Gefühl, in ein Märchen geraten zu sein. Ein erschreckend reales Märchen.

5. KAPITEL

„Du meine Güte, Silvana!“ Ihre Chefin und gute Freundin Sabine Weiland sah sie im Spiegel der Damentoilette bedeutsam an, während sie Puder auf ihre Nase tupfte. „Wenn ich nicht seit einundzwanzig Jahren glücklich verheiratet wäre, würde ich ganz grün vor Neid werden. Wieso hast du uns denn verschwiegen, was für einen unglaublichen sexy Fang du auf der Kreuzfahrt gemacht hast? Schäm dich!“

Auch Silvana frischte ihr Make-up auf, obgleich es eigentlich gar nicht nötig war. Das gemeinsame Abendessen in dem italienischen Restaurant war angenehm harmonisch verlaufen. Sowohl Sabine und ihr Mann Leonard als auch die beiden Kolleginnen Roswitha und Kathrin hatten Marcos umstandslos in ihren Kreis aufgenommen. Leonard war sogar dankbar gewesen, nicht mehr als Hahn im Korb herhalten zu müssen. Die beiden Männer hatten sich hervorragend verstanden. Silvana verwunderte es wenig, denn Marcos war von zwar ruhiger, jedoch durchaus leutseliger Natur und es offensichtlich gewohnt, mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Schon nach wenigen Minuten hatte ihre kleine Gruppe den Eindruck erweckt, als sei sie schon unzählige Male in dieser Zusammensetzung ausgegangen. Das gute Essen hatte seinen Teil dazu beigetragen, dass alle sich wohlgefühlt hatten, sie selbst eingeschlossen. Zwar war sie sich nach wie vor nicht im Klaren, was sie von der Situation halten sollte, doch vor ihren Freunden wollte sie ihre Verunsicherung nicht preisgeben, deshalb hatte sie Marcos’ Spiel einfach mitgespielt. Er tat nämlich so, als seien sie ein Paar, und zumindest von seiner Seite konnte kein Zweifel an dieser Geschichte aufkommen, denn er verhielt sich genauso, wie sich ein verliebter Mann eben verhielt. Er war zuvorkommend, berührte sie immer wieder zärtlich, flirtete mit ihr, und sein verdammtes Lächeln ging ihr durch und durch. Deshalb fiel es ihr wohl auch nur zu leicht, darauf einzugehen. In seiner Gegenwart fühlte sie sich fast, als würde sie ein paar Zentimeter über dem Boden schweben, und das war, wie sie ganz genau wusste, ein brandgefährlicher Zustand. Sie hatte nicht vor, sich zu verlieben.

„Ich wusste nicht, dass er heute herkommen würde.“ Das zumindest entsprach der Wahrheit. Die Geschichte, die Marcos über ihr Kennenlernen zum Besten gegeben hatte, war hingegen eine stark zensierte Version der tatsächlichen Umstände gewesen, die gleich nach dem gemeinsamen Tanz geendet hatte. Allerdings hatte er ihr einen Zusatz angefügt, laut dem er nach diesem gemeinsamen Abend keine Nacht mehr ruhig hatte schlafen können, bis er sie ausfindig gemacht und davon überzeugt hatte, dass diesem ersten Zusammentreffen viele, viele weitere folgen mussten. Silvana hatte keine Ahnung, was sie davon halten sollte.

„Ein Mann, der mit Überraschungen umzugehen weiß.“ Sabine seufzte entzückt. „Du musst im siebten Himmel schweben. Jemanden wie ihn trifft eine Frau höchstens einmal im Leben. Vielleicht auch niemals. Ich kann dir nur raten: Schnapp ihn dir – und lass ihn nicht wieder los.“

Die alte Silvana, die von früher, die stets auf der Suche nach einem reichen, gut aussehenden Mann gewesen war, hätte ihrer Freundin sofort zugestimmt. Doch jetzt, da sie genau dies erreicht hatte – und wie sie zugeben musste, nicht zum ersten Mal –, zögerte sie. Warum eigentlich? Weil alles zu perfekt wirkte? Weil sie Angst davor hatte, unsanft aus einem Traum zu erwachen? Das sah ihr so gar nicht ähnlich, zumindest nicht in solch einem frühen Stadium einer Beziehung. Falls es überhaupt eine Beziehung war, die sich hier anbahnte. Vielleicht wollte Marcos auch einfach nur eine Wiederholung dessen, was sie insgeheim nach wie vor als den besten Sex überhaupt bezeichnete. Aber würde er sich dazu extra solche Umstände machen? Ihren Wohnort herausfinden, mit ihren Freunden zum Essen gehen … Zumindest Letzteres wäre nicht nötig gewesen. Silvana glaubte nicht, dass sie ihm lange widerstehen können würde. Das war der einzige Aspekt, der sie im Augenblick nicht erschreckte. Körperliche Anziehung war etwas Normales, Natürliches, insbesondere, wenn es sich um einen Mann mit so viel Sex-Appeal handelte. Sie war durchaus nicht abgeneigt, ihren Bedürfnissen in dieser Hinsicht nachzugeben. Es war ihr Herz, um das sie sich Sorgen machte. Sie kannte sich gut genug, um die Anzeichen richtig zu deuten. Genau das hatte sie vermeiden wollen. Wie sollte sie jemals zur Ruhe kommen, wenn sie denselben Fehler wieder und wieder beging? Ihr dummes schwärmerisches Herz war viel zu leicht zu beeindrucken. Sie war schon oft, viel zu oft, verliebt gewesen, doch niemals hatte dieses Gefühl lange genug angehalten, um sich zu einer dauerhaften Grundlage für eine beständige Beziehung wandeln zu können. Entweder verlor sie allzu rasch das Interesse, oder der jeweilige Mann hielt es mit dem Sturmwind an Emotionen, den sie stets mit sich brachte, nicht lange aus. Ihr war bewusst, dass manche Menschen sie für schrill und viel zu exaltiert hielten. Manche nannten es gutmütig Leidenschaft, andere bezeichneten sie als wild und hysterisch. Sie selbst hatte schon lange aufgehört zu versuchen, sich in irgendeine Kategorie einzuordnen. Sie lebte, wie sie wollte, wie sie es für richtig hielt. Sie konnte nicht anders, als sie selbst zu sein. Leider bedeutete das nicht nur, dass sie viele potenziell gute Männer auf ihrem Weg durchs Leben mit ihrer überschäumenden Art in die Flucht geschlagen hatte, sondern auch, dass sie sich zunehmend von ihrer Tochter entfremdete. Um sich vor den Turbulenzen, die der Wirbelsturm Silvana mit sich brachte, zu schützen, ging sie immer mehr auf Abstand.

Silvana wusste nicht, ob sie wirklich bereit war, einen weiteren Versuch in Richtung Zweisamkeit zu wagen. „Ich hatte wirklich nicht vor, ihn mir zu angeln, Sabine.“

Ihre Freundin schob die Puderdose lachend in ihre Handtasche zurück. „Und doch hast du ihn ganz eindeutig am Haken, meine Liebe. Ich finde, du solltest dich freuen und es genießen. Dieser Mann ist mehr als nur eine Sünde wert.“ Wieder warf sie ihr im Spiegel einen neugierigen Blick zu. „Habt ihr schon …?“

Silvana nestelte an ihrer Handtasche herum und verstaute Puder und Lipgloss ebenfalls rasch wieder. „Ja.“

„Und?“

Sie konnte nicht verhindern, dass ein rosiger Hauch auf ihren Wangen erschien. „Es war phänomenal.“

„Dachte ich es mir doch.“ Sabine wandte sich ihr zu und lächelte sie direkt an. „Die knisternde Spannung, die zwischen euch herrscht, ist nämlich fast greifbar.“

„Oh.“

„Kein Grund, verlegen zu sein.“ Sabine zwinkerte ihr zu. „Ich nehme an, sein südländisches Erbe macht ihn besonders heißblütig.“

„Sabine!“ Aus dem rosigen Hauch wurde eine ausgewachsene Röte.

„Was denn? Jede Frau, die auch nur einen Funken Leben in sich hat, wird bei seinem Anblick versuchen, sich vorzustellen, wie es sein mag, mit ihm die Laken in Brand zu setzen. Genieß es, Silvana. Männer wie er sind rar. Und er vergöttert dich.“

„Ach was, das tut er nicht.“

„Oh doch, das tut er.“

„Wir kennen uns doch erst ganz kurz.“