Kräuterrosi, ledig, sucht… - Doris Fürk-Hochradl - E-Book

Kräuterrosi, ledig, sucht… E-Book

Doris Fürk-Hochradl

4,8

Beschreibung

Kräuterrosi, 62, ledig, sucht . . . eigentlich nichts. Sie ist zufrieden mit ihrem Leben und ihrer Tätigkeit als Kräuterhexe des Dorfes, auch wenn ihre beste Freundin der festen Überzeugung ist, dass Rosi einen Mann braucht. Doch dann lernt sie den »Bumshütten-Sepp« kennen, ihre beiden Kinder machen schwere Zeiten durch, und schließlich wird auch noch eine Leiche im Moor gefunden. Für Rosi ist das ruhige Leben ab jetzt vorbei, und sie beginnt ihre ganz eigenen Ermittlungen. Eine skurril-schrullige Hobbyermittlerin mit Helfersyndrom: herzlich-fröhliche Unterhaltung mit Hochspannung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 467

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
15
2
1
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Doris Fürk-Hochradl wurde 1981 in Braunau am Inn geboren. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern im beschaulichen Eggelsberg und arbeitet als Grundschullehrerin in Braunau. Sie liebt gutes Essen, kocht selbst leidenschaftlich gern, und wenn sie nicht kocht, dann musiziert, malt oder schreibt sie. Auch die Naturheilkunde ist ihr nicht fremd, da sie vor ihrer Tätigkeit als Lehrerin eine Lehre zur Masseurin und dabei eine umfassende Ausbildung in Hildegard-Medizin absolviert hat.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2015 Emons Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: ©mauritius images/age Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch Lektorat: Christine Derrer eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-86358-785-7 Originalausgabe

Unser Newsletter informiert Sie regelmäßig über Neues von emons: Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de

Für Hans, den besten Ehemann, und Marliese, meine verwandte Seele und liebste Kollegin der Welt

Quacksalber oder Quarksalber?

Schweineschmalz-Wickel mit Zwiebel bei Husten

1Zwiebel • 3ELSchweineschmalz • Baumwolltuch oder Baumwollsäckchen

Man würfle eine kleine Zwiebel fein und brate sie in Schweineschmalz schön glasig an. Das Schmalz abkühlen lassen, bis es handwarm ist. Dann in ein Baumwollsäckchen geben. Das Ganze auf den Brustkorb legen, mit einem weiteren Tuch den ganzen Brustkorb umwickeln und so das Säckchen fixieren.

Behandlungsdauer: bis zu 2Stunden. Wirkung: Die ätherischen Öle in Verbindung mit dem warmen Schmalz lösen den Schleim und erleichtern das Abhusten. Hilft auch bei Ohrenschmerzen!

»Die Alte spinnt, Dennis. Du hättest uns nicht in diese gottverlassene Gegend schleppen dürfen.«

Ich schmunzle. Großstädter und ihre Phobien. Kaum dass etwas nicht in ihr modernes, schnelllebiges, berechenbares Leben passt, machen sie sich vor Angst in die Hose. Und dieses metropolengeschädigte Frauenzimmer erweist sich als besonders hartnäckig. Ihr Göttergatte dagegen scheint mir trotz des neumodernen Namens ein recht vernünftiger Bursche zu sein. Auf jeden Fall schrecken ihn meine Hausrezepte und das Handauflegen ebenso wenig ab wie mein Aussehen. Die Frau aber hält mich wohl eher für die Zwillingsschwester der Hexe aus Hänsel und Gretel. Dabei leg ich mir schon fleißig Warzenkraut auf die Nase, und bis zum Neumond ist sie sicher weg, aber…

Nun gut, mein mit Erdbeermarmelade versauter Kittel ist vielleicht auch nicht die beste Referenz für eine Heilkundige. Doch ich musste die Früchte heute einkochen, sonst wären sie verdorben. Außerdem sind die beiden Städter eine halbe Stunde zu früh aufgetaucht, und ich hatte keine Zeit mehr, mich umzuziehen. Alles in allem aber hab ich die werte Frau Magistra wohl abgeschreckt mit meiner Schürze, meinen grauen langen Zottelhaaren und der blöden Warze. Es ist aber auch zum Verrücktwerden, dass dieses scheußliche Ding meinen Riechkolben ziert. Zweiundsechzig lange Jahre haben sie mich verschont, diese unliebsamen Begleiter, und jetzt… plötzlich, so mir nichts, dir nichts… sprießt eine extradicke Epithelansammlung am linken Nasenflügel.

»Pst. Sie hört dich bestimmt, Karo«, zischelt nun der junge Mann. Dennis, mit weichemD, nicht wie der Sport.

»Ach was, bestimmt nicht.«

Ich drehe mich um und schreite mit der dampfenden Pfanne in die Bauernstube. »Meine Ohren sind zum Glück bestens in Ordnung, Teuerste. Jetzt wollen wir uns aber erst einmal um deine Lauscher kümmern.«

Karos Gesicht fällt in sich zusammen, und die Schamesröte kriecht ihr den Hals hinauf. Armes Ding, selbst halb taub, und ich, die alte Hexe, höre jedes Wort.

»Nur keine Angst, Kindchen. Ein warmes Zwiebelsäckchen hat noch keinem geschadet, und dir wird es sogar die Ohren öffnen. Wirst schon sehen.«

»Aber Schweineschmalz? Ginge nicht auch kaltgepresstes Olivenöl?«

»Ginge, ginge, ginge… bestimmt, wenn wir Griechen wären. Sind wir aber nicht, sondern Alpenbewohner, und da nimmt man eben Schweineschmalz.«

Ich stelle die Pfanne auf den Tisch, auf dass ein weiterer Brandfleck die massive, uralte Holzplatte verschönere, und ziehe ein Baumwollsäckchen aus der Kitteltasche. Rein mit der heißen Heilzutat und abwarten, bis es kühl genug ist. Ohne weiter nachzufragen, drücke ich der akkuraten Brünetten das Beutelchen aufs Ohr. Hoffentlich verträgt der extravagante Schmuck die Zwiebelbehandlung und löst sich nicht in den billigen Flitterkram auf, der er eigentlich wäre, wenn ihn nicht ein Schnickschnack-sonst-Wer zusammengebaut hätte. Da lob ich mir meine kleinen, dicken Echtgold-Kreolen, die mir mein Horst zum fünfundzwanzigsten Hochzeitstag geschenkt hat. Einfach, simpel und nicht umzubringen. Nicht einmal das stinkende Schwefelwasser in der Bad Füssinger Therme hat sie dauerhaft ruiniert. Ein wenig grün wurden sie, aber ein Klecks Zahnpasta, fünf Minuten schrubben, und schon glänzten sie wie neu.

Frau Magistra Karoline verzieht die Nase. Der Duft von erhitztem Schweinefett reizt die empfindlichen, abgasverwöhnten Schleimhäute. Eine neue Herausforderung für die Riechhärchen.

»Karolinchen, du machst das prima. Wirst sehen, Frau Beingruber genießt den besten Ruf. Sie hat auch die Maurer-Oma wieder gerade gerichtet nach ihrem Hexenschuss.«

»Ach, du bist der Enkel der alten Maurer-Bäuerin? Hab ich doch geahnt, dass ich diesen roten Lockenschopf kenne. Aber heißt du nicht eigentlich Franz?«

»Mit erstem Namen schon. Doch Franz macht sich nicht so gut, und zum Glück hatte meine Mutter damals einen Fimmel für schottische Namen.« Er lächelt entschuldigend.

Ich hebe die Hand in der Absicht, ihm durch die eben genannte Haarpracht zu wuscheln. So wie früher, als er noch ein sommersprossiger Lausbub war, der mir die Himbeeren vom Strauch stibitzte. Ein Fehler. Das Säckchen rutscht Karoline vom Ohr. Sie greift reflexartig danach, und kaum dass ihre Finger das schleimig-schwabblige Beutelchen ertasten, würgt sie und läuft käsebleich an. Gleich erbricht sie sich. Ich fasse schnell nach dem Übelkeitserreger und nicke ihr aufmunternd zu. Wäre doch schade, wenn sie ihr Kostüm vollkotzt.

»Geht schon wieder.« Langsam kehrt die Farbe in ihr Gesicht zurück.

»Gut, meine Liebe. Die Ohrenschmerzen müssten bald nachlassen, und gegen den Tinnitus helfen nur weniger Stress und mehr Gelassenheit. Beides werdet ihr ohnehin brauchen, wenn das Kleine erst einmal auf der Welt ist.«

»Das Kleine?« Dennis blickt sich verwirrt um.

Meine Güte– das nächste Fettnäpfchen, und ich tappe gradlinig hinein. Nur, weil eine erfahrene Frau wie ich deutlich die frühen Anzeichen einer Schwangerschaft erkennt, heißt das noch lange nicht, dass es auch andere können. Männer erst recht nicht. Franzl alias Dennis schnappt jetzt nach Luft, Karoline läuft knallrot an. Der Schock ist stärker als der Ekel. Sie greift nach dem Säckchen, drückt es sich ans Ohr, springt auf und geht hektisch im Zimmer auf und ab. Die Bodendielen knarren. Die Luft vibriert.

»Ich wollte es dir schon längst sagen, aber diese Ohrenschmerzen und das blöde Pfeifen. Deshalb hat mir Dr.Heinrich auch keine Antibiotika verschrieben.«

Ziemlich hilflos stehe ich herum und sehe mir die Schmierenkomödie an, die direkt vor meinen Augen abläuft. Dennis bleibt wie versteinert hocken und starrt Luftlöcher in den Raum. Tja, wer braucht da noch eine Flimmerkiste, wenn es zu Hause in der guten Stube so rundgeht?

Karoline schluchzt jetzt und presst den Schmalzbeutel derart fest auf ihre Haut, dass sich ein öliges Rinnsal bildet. Bevor die Schweinerei die sicherlich teure Bluse erreicht, greife ich ein und nehme ihr die Auflage ab. Ihre Schultern beben.

»Na, na, meine Liebe. Ein Kindlein ist doch kein Grund zu weinen, sondern einer, sich zu freuen.« Karoline sinkt in meine Umarmung. Erdbeerflecken hin oder her. Wenn es um die ganz normalen Probleme des Lebens geht, zählen mütterlich offene Arme mehr als alles andere. Ich werde vom Mitgefühl für die junge Frau überrollt und schäme mich, so schlecht über sie gedacht zu haben. Wer bin ich schon, dass ich weiß, welche Probleme ihre Schultern wirklich tragen? Und dass die Angelegenheit sie schrecklich mitnimmt, ist offensichtlich. Da hilft ein schockgefrosteter Ehemann auch nicht besonders.

»Über Nachwuchs freut ihr euch doch, oder?«, frage ich in Dennis’ Richtung.

Dieser schreckt hoch. Die Erstarrung ist gebrochen. Er kommt in die Gänge und auf uns zu.

»Aber sicher doch, Karoline. Wein bitte nicht«, stottert er verlegen und beginnt, ihren Rücken zu tätscheln.

Karoline wechselt den Trostspender und fällt Dennis um den Hals.

»Meinst du? Aber meine neue Stelle an der Uni in Berlin. Unsere Pläne, die Zukunft…«

»Also ich fühle mich in München ganz wohl, und schlecht ist dein Arbeitsplatz hier auch nicht, oder?«

»Aber nur eine Assistenzstelle und die Bezahlung ist bei Weitem nicht so gut. Außerdem haben wir doch gesagt, dass wir uns erst ein wohlsituiertes Leben aufbauen wollen und dann ein Kind auf dem Plan steht.«

Karoline klimpert mit den tränenverhangenen Wimpern. Dennis-Franzl schluckt und ringt um die passenden Worte. Zeit, einzugreifen. Das Gespräch artet meiner Meinung nach zu sehr in Richtung Argumentationswettbewerb aus, wenn eigentlich Hausverstand und Gefühl gefragt sind.

»Ich mische mich jetzt mal ein, Kindchen, in Ordnung? Die Frage ist doch wohl, willst du das Baby bekommen, oder nicht? Das ganze Arbeits- und Karrierethema kann man danach klären. Immerhin haben sich die Zeiten geändert. Als ich jung war, gab’s so was wie Krabbelstuben noch nicht, aber heute gibt es für alles eine Lösung.«

Problem erkannt, angesprochen, auf den Punkt gebracht.

Karoline schluchzt wieder, aber die professionelle Fassade bröckelt, und die Gefühle gewinnen wieder die Oberhand.

»Na… na… natürlich will ich das Kind. Ich wollte schon immer, aber…«

»Kein Aber. Alles andere findet sich.«

»Das glaub ich auch«, bestärkt Dennis-Franzl meine Aussage.

Das Schluchzen verebbt. Karoline lächelt schüchtern. »Tatsächlich?«

»Bestimmt!«

Es ist schön, den beiden dabei zuzusehen, wie in ihren Gesichtern plötzlich das typische Leuchten der Veränderung erglimmt. Ich muss an meinen Horst denken und wie er sich gefreut hat, als ich ihm mein kleines Geheimnis verraten habe.

Dass aus unserem Wonneproppen Raphael einmal so ein hochnäsiger Versicherungsheini werden würde, konnten wir damals ja noch nicht ahnen. Und dennoch liebe ich meinen Jungen. Er hat auch seine guten Seiten, und wenn die Zeit reif ist, kommen sie bestimmt wieder zum Vorschein.

Unsere Tochter Daniela ist bodenständig geblieben und versucht nicht, die Leute übers Ohr zu hauen. Volksschullehrerin ist sie, ledig und konservativ bis in die Haarspitzen.

Ein Wunder, wie sich der Nachwuchs entwickelt, und auch Frau Karoline und ihr Dennis werden sich auf so manche süß-bittere Überraschung einstellen müssen. Erst einmal ist es jedoch wichtig, der Freude die Tür zu öffnen, und das hab ich(wenn auch zugegebenermaßen tollpatschig) bei dem Paar erreicht.

Verspannt war Karoline die letzten Wochen anscheinend genug, sonst hätte sie sich keinen handfesten Tinnitus eingefangen. Ich wage es kaum, das Geschmuse zu unterbrechen, zumal mir bei dem liebevollen Bild selbst warm ums Herz wird und sich ein sehnsüchtiges Ziehen in meiner Brust breitmacht.

Ich räuspere mich, bis Karoline sich lächelnd aus dem Griff ihres Mannes löst. »Und, meine Liebe, wie geht es dem Gesause im Ohr? Besser?«, lenke ich zurück auf den Anlass ihres Besuches in meiner kleinen Hexenküche.

Erstaunt fasst sie sich an die Ohrmuschel und lauscht in sich hinein. »Hmm. Nur noch ein ganz leises Summen.«

»Das ist gut. Und den Verkühlungsschmerz bekommst du mit regelmäßigen Zwiebelsäckchen im Handumdrehen in den Griff. Das ist das geringste Problem«, sage ich aufmunternd.

Karoline sieht mich mit großen Augen an. Die Wimperntusche ist vom Weinen verwischt, und ihre Haare sind zerzaust, sodass sie mich an eine übernächtigte Vogelscheuche erinnert. Ich schmunzle. In ein paar Monaten wird keine Wimperntusche mehr nötig sein, um dunkle Schatten unter die Augen zu malen. Das Baby wird diese Arbeit erledigen, und wenn alles so ist, wie es sein soll, wird seine Mutter trotz permanentem Schlafmangel auf einer rosaroten Wolke schweben und die Umgebung mit dem wohlwollenden Blick der Verliebtheit wahrnehmen. Verliebtheit in das eigene Kind.

»Als kleine Empfehlung einer alten, weisen Frau möchte ich dir auf den Weg geben, das Leben etwas entspannter anzugehen, Karoline. Nicht alles ist plan- oder vorhersehbar, und wie mir scheint, machst du dir zu viel Druck.«

Karoline errötet leicht. Ich streiche ihr über den Oberarm. »Ohren kann man sich leicht mal erkälten, aber das Sausen kommt von der Anspannung.«

»Das hat Dr.Heinrich auch gesagt, aber–«

»Kein Aber. Wenn du in diesem Kuhdorf leben würdest, dann würde ich dir empfehlen, am Abend einen Rosenkranz zu beten, still zu werden und deine Gedanken zur Ruhe kommen zu lassen. Aber da ich weiß, wie die jungen Leute so ticken, sag ich bloß: raus mit dem Druck, meditieren, Om singen, Yoga-Schnickschnack oder was sonst grad so modern ist. Hauptsache, das da…«, ich tippe ihr leicht gegen die Stirn, »…hat mal Zeit, abzuschalten. Dazu noch genug Schlaf, keine unnötigen Diskussionen oder überflüssiges Problemekauen, sondern Freuen. Früher war man guter Hoffnung, und heute hofft man nur, dass alles irgendwie gut ausgehen wird. Krank ist das.«

Ich gerate ins Schimpfen, aber Karoline scheint das nicht zu stören. Sie umarmt mich und haucht ein leises »Danke« in mein Ohr. Ich kämpfe gegen die aufsteigenden Tränen der Rührung. Das habe ich schon lange nicht mehr geschafft: innerhalb einer halben Stunde von der vermeintlichen Hexe zur lieben Omafigur aufzusteigen. Manchmal mutieren Katastrophen zu Erfolgen. Ich räuspere mich verlegen, und als wir uns wieder setzen, reden wir über alltägliche Dinge. Die Freude ist in die Stube eingezogen, und ich bin froh, dass ich meine erste Kundschaft an diesem Tag so zufrieden entlassen kann. Kräuterrosi hat es noch drauf. Alt, mit Warze und Erdbeerschürze, aber immer noch am Zahn der Zeit. Die großen Themen der Menschheit bleiben halt immer dieselben.

Es dauert keine fünf Minuten, stürmt der nächste Hilfesuchende mit der Wut eines tobenden Orkans in die Stube. Jörg. Was ist in den alten Getreidebauern gefahren? Ja, ich kenne seine aufbrausende Art. Seine ganze Familie leidet darunter. Früher, in der Schule, habe ich mich immer vor dem Raufbold gefürchtet. Und seither ist zwar meine Angst verflogen, Jörgs zur Gewalt neigende Natur aber leider nicht. Wenn es im Dorf eine Wirtshausschlägerei gibt, ist er sicher dabei. Doch so? Fluchend humpelt er zum Tisch und stützt sich ab.

»Das Scheißkreuz! Und dieses verfluchte Bein!« Er setzt sich auf einen Stuhl und lässt das linke Bein steif nach vorn stehen.

»Wenn du so sprichst, kannst du gleich wieder so raushumpeln, wie du reingekommen bist«, sage ich.

»Pfff«, zischt er und funkelt mich an.

Ich erhebe den Zeigefinger, ganz so, als würde ich ein Schulkind zurechtweisen. »Welche Laus dir auch immer über die Leber gelaufen ist, für deinen Hexenschuss ist das nur Zunder. So wird es nur schlimmer. Glaub mir.«

Er beißt die Zähne zusammen. Sein eben noch violett-wütendes Gesicht ist nur mehr dunkelrot.

»Durchatmen, Jörg. Und dann erzählst du mir, was passiert ist.«

Er holt Luft. »Ich hab mich gebückt und dabei wohl blöd verdreht. Schon ist’s mir ins Kreuz geschossen, und jetzt zieht es das ganze Bein runter bis zur Ferse.«

»Ah ja. Der Ischias. Das sind gemeine Schmerzen, wenn der Nerv eingeklemmt ist.«

»Steh mal auf, du alter, grantiger Wutbolzen«, sage ich und zwinkere ihm zu.

Er zieht einen Moment die Augenbrauen zusammen, entspannt sich aber dann.

Man muss wissen, wie man mit bestimmten Menschen spricht. Und Jörg braucht eine härtere Gangart, gepaart mit etwas Humor.

Stöhnend zieht er sich hoch.

Ich trete hinter ihn und lege meine Finger auf sein Kreuz. »Wenn ich es sage, dann schwingst du dein linkes Bein.«

»Mach ich. Ich hab sowieso Lust, jemand ganz bestimmten in den Hintern zu treten«, brummt Jörg.

»Jetzt.« Ich drücke in dem Moment, als er ausholt, schwungvoll auf die eingezwickten Wirbel.

»Kruzifix! Sakrament!«, flucht Jörg vor Schmerz und greift sich auf das eben eingerichtete Kreuz.

»Reiß dich zusammen! Wenn du weiter so den Herrn beleidigst, wirst dich bald nicht mehr rühren können«, drohe ich und lasse meine Fingerknöchel knacken. »Also, sag, wer hat dich so wütend gemacht, dass dir die Hex ins Kreuz geschossen ist?«, frage ich.

»Weiber!«, brummt Jörg. Er streicht sich nebenbei verwundert über den Rücken. Vorsichtig stellt er sich aufrecht hin und wirft mir einen erstaunten Blick zu.

»Gern geschehen«, sage ich.

»Danke«, murrt er und macht sich schon auf den Weg nach draußen.

»Wenn du nicht immer gleich so aus der Haut fahren würdest, dann würde dir auch nicht jede kleine Aufregung so ins Kreuz fahren. Innere Haltung, mein Lieber. Wenn die innere Haltung stimmt, stimmt auch die äußere. Willst du mir nicht vielleicht erzählen, was los ist?«

Er macht, ohne sich umzudrehen, eine wegwischende Handbewegung.

Da muss ihn ja wirklich etwas sehr aufgebracht haben. Was kann es nur sein? Ich habe keine Zeit, nachzufragen, denn der nächste Kunde steht schon mit einem Bein in der Stube.

Bauer Hias mit einem kleinen Ferkel im Arm. Hias ist fast so alt wie ich, aber im Gegensatz zu mir war er nie verheiratet. Vielleicht hängt er auch deshalb so an seinen Tieren.

»Du!«, zischt Jörg und hebt einen Augenblick die Faust.

»Griaß di, Jörg«, sagt Hias unbeeindruckt.

Jörg drängt den Schweinebauern zur Seite und stampft hinaus.

Na, was war das denn eben? Streiten die beiden etwa wieder? Wie viel Wasser muss noch den Bach hinunterfließen, dass die beiden Nachbarn endlich ihre ewige Zankerei beiseitelegen? Ich sehe Jörg kopfschüttelnd nach.

»Ist was zwischen euch?«, frage ich Hias.

»Der spinnt halt wieder rum. Kennen ma doch eh«, sagt Hias gelassen.

Aber mich lässt Jörgs Verhalten nicht kalt. Ich schlucke das beklemmende Gefühl hinunter.

»Kräuterweibi, des Fackerl hat was. Es mag nicht mehr saufen, und der Viechdoktor kann nicht kommen«, erklärt inzwischen Hias und bringt mich damit unweigerlich zum Schmunzeln. Wenn der studierte Tierarzt keine Zeit für ein nicht mehr trinkendes Ferkel hat, dann ist den Leuten im Ort auch die Kräuterrosi recht. Aber egal. Das Helfen liegt mir im Blut. Helfersyndrom nennt man das, glaub ich. Und einen großen Unterschied zwischen einem bauchwehgeplagten Säugling und einem kleinen Ferkel gibt es nicht. Beiden kann Erleichterung verschafft werden, und so dreh ich mich um und hol schon mal die selbst gekochte Bäuchleinsalbe aus dem Schränkchen. Bauer Hias soll mit seinem Tierlein ähnlich glücklich meinen Hof verlassen wie eine verzweifelte Mutter. Ich greife nach dem großen Tiegel. Fenchel- und Anisgeruch schlägt mir entgegen. Mal sehen, ob Miniferkel nicht gleich am Küchentisch einen gewaltigen Furz lässt, um anschließend wieder zufrieden und quicklebendig an der Zitze der Sau zu saugen.

Das Ferkelchen quiekt und will vom Küchentisch flüchten. Ein gutes Zeichen.

Auch Hias brummt zufrieden. »Rosi, du bist mei Rettung. Magst eh’nen Speck?«

Bevor ich etwas sagen kann, stürmt Hias hinaus und lässt mich mit der Zwergensau allein. Ich schnappe das Tierlein und streichle es sanft. Das Ferkel schmatzt zufrieden. Der Hunger kehrt anscheinend zurück, und das Schweinchen sehnt sich nach seiner Mutter.

Dass mir Hias als Bezahlung nun eine große Schwarte Speck aufdrängen will, grenzt schon ans Makabere. Ich befreie seinen Viehnachwuchs vom Bauchzwicken, und als Dank erhalte ich den geräucherten Bauch von der tierischen Verwandtschaft des kleinen Patienten. Aber gut, Speck anzunehmen fällt mir nicht halb so schwer wie die fünfzig Euro, die mir Dennis-Franzl vorhin zugesteckt hat. Ich hasse diese Bezahlkultur. Immerhin hab ich lang genug hinter dem Tresen des Ortswirtshauses gestanden und bekomm jetzt meine wohlverdiente Rente. Das mit der Kräuterküche und den althergebrachten Heilverfahren hat sich mehr so nebenbei entwickelt und war nie als Brotberuf gedacht. Aber wenn man die eigenen Kinder mit Kamille, Schmalz und Ringelblume behandelt, dann tauchen eben auch andere Kinder auf und später Freunde von Freunden und Bekannte der Freunde von den Freunden… und plötzlich hat man das Haus voll mit irgendwelchen Leuten, die der Schulmedizin überdrüssig sind.

So a Sauerei

Rosis kleines Kräuter-ABC– was hilft wogegen:

Anis: Verdauungsbeschwerden, Blähungen • Arnika: kleine Wunden und Verletzungen • Baldrian: Nerven und Schlaflosigkeit • Barbarakraut: stoffwechselfördernd, blutreinigend, harntreibend • Basilikum: krampflösend und beruhigend

Nach dem Ferkel kommen die Krämer-Marie mit ihrem ewigen Hexenschuss, der Holzfäller-Kurt mit einem geschwollenen Insektenstich – der nicht abheilen will– und die Bäcker-Liesl einfach nur zum Reden, weil ihr Mann wieder einmal dem Lehrmädchen hinterherrennt wie ein liebestrunkener Gockel. Dabei ist er schon über fünfzig und kann froh sein, die Liesl an seiner Seite zu haben. Denn ein Adonis ist er nicht, der Bäcker. Eher eine Art übergewichtiger, aufgedunsener und auch nicht durch einen Haufen Geld überzeugender Möchtegern-Casanova, der einfach nur glaubt, unwiderstehlich zu sein– rein durch sein Dasein auf Erden.

Ich bin fertig. Normalerweise kommen an einem Tag vielleicht ein oder zwei Hilfesuchende. Aber heute gab es einen richtigen Ansturm auf meine Kräuterküche.

Ich will mir gerade einen Kaffee machen, da stürmt die Krämer-Marie wieder zur Tür herein. »Der Hias! Der Hias! Er bringt den Jörg um! Das ganze Dorf ist schon da. Die Polizei ist auch schon unterwegs. Des gibt an Mord, Rosi, an Mord! Komm schnell.«

Mist. Ich hab es gerochen, dass mehr hinter Jörgs Ischias-Anfall steckt, als er sagen wollte. Marie packt mich bei der Hand und schleift mich aus meiner Stube. Vom Hexenschuss keine Spur mehr. Ich komme gar nicht recht zum Nachdenken und zum Nachfragen schon gar nicht, so zerrt mich Marie zu ihrem Auto. Sogar das Anschnallen fällt aus, schon tritt sie aufs Gaspedal und braust los. Ich halte mich an diesem Bügel über dem Seitenfenster fest. Zum Glück sind es nur ein paar Minuten auf der Straße.

Die beiden Vierkanthöfe erheben sich zwischen den saftig grünen Hügeln, der rechte gehört Hias, der linke Jörg. Normalerweise sind die Gebäude an sich schon eindrucksvoll. Sie erinnern mit ihrer Größe, ihrem Baustil und den riesigen angrenzenden Wiesen und Getreidefeldern an längst vergangene Zeiten, als noch Großfamilien samt Knechtschaft auf einem Gut zusammenlebten. Vor Hias’ Hof stehen noch historische Ernte- und Feldmaschinen, genauso wie eine uralte Gulaschkanone, notdürftig von einem Garagendach geschützt. Als Ferkelbauer braucht er sie nicht wirklich.

Ein Menschenauflauf blockiert Jörgs Einfahrt. Die Ansammlung raubt mir den Atem. Die halbe Ortschaft hat sich vor dem Hof eingefunden.

Ich steige aus. Marie schnappt sich wieder meine Hand und drängelt sich wie eine Kampfmatrone durch die Leute.

In der Mitte steht, bewaffnet mit einem Jagdgewehr und mit Schaum vorm Mund, der Hias– und hebt drohend die Faust.

»Du Fackerl-Mörder, du hundsgemeiner! Ischieß di nieder! Ibring di um!«

Jörg hebt beschwichtigend die Hände. Hinter ihm stehen seine Frau Zenzi und seine Tochter Susi. Die beiden Frauen haben tränenverschmierte Gesichter und wimmern leise flehend. Zenzi sieht Hias bittend an. Einen Augenblick lang kommt Hias ins Wanken. Die Wut bröckelt von seinem Gesicht wie alter Putz. Stattdessen blitzt ein Hauch von Bedauern darin auf.

»Es war keine Absicht. Außerdem hättest du deine Ferkel besser einzäunen müssen. Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass dein vermoderter Lattenzaun keine Sau aufhält? Wer ist also schuld an dem toten Sauhaufen? Hmm?«, grinst Jörg höhnisch und tritt einen Schritt zur Seite. Hinter ihm liegen fünf tote Ferkel.

»Jörg, bitte. Lass das! Rede nicht so gemein«, jammert Zenzi und zupft leicht an seinem Hemd.

»Halt’s Maul, Zenzi. Wenn ich deine Meinung hören will, lass ich es dich wissen«, fährt Jörg seine Frau an und erhebt drohend die Faust. Zenzi zuckt zusammen und weicht einen Schritt zurück.

Hias lässt beim Anblick seiner toten Ferkel das Gewehr sinken und beginnt in sich hineinzuschluchzen. »I… i… ikann’s net glauben. Meine armen Fackerln. Meine armen, armen Fackerln. Alle tot. Du, du Mörder, du!« Der Zorn kehrt in Hias’ Gesicht zurück.

»Reiß dich zusammen, Hias. Es sind nur Ferkel. Du hast sicher noch andere trächtige Sauen im Stall. Ich zahl dir den Verlust auch, weil ich so ein herzensguter Mensch bin«, höhnt Jörg zu allem Überfluss und spuckt hämisch grinsend einen Batzen Rotz auf den Boden.

Hias explodiert gleich.

Ich schreite ein, bevor Hias einen Fehler macht, und gehe zwischen die beiden Streithähne. Sanft lege ich meine Hand auf Hias’ Schulter, trotz Gewehrlauf zwischen uns.

»Was ist geschehen, Hias? Erzähl es mir«, fordere ich und sehe ihm ernst in die rot umrandeten Augen.

Einen Moment flackert sein Blick unsicher, dann bricht der letzte Damm, und er lässt das Gewehr zu Boden fallen.

Ich schließe den Bauern in meine Arme und winke hinter seinem Nacken den Leuten, dass sie verschwinden sollen. Erst als ich über Hias’ Schulter verärgert zische, schwirren die meisten ab. Auch Marie macht sich murrend auf den Weg zurück zum Auto.

Hias atmet zitternd ein und löst sich aus meiner Umarmung.

»Komm, setzen wir uns hin«, sage ich und deute auf die verwitterte Bank an der Hausmauer.

Hias blickt aber zu den toten Ferkeln am Boden und ballt erneut die Fäuste.

»Jörg, Zenzi, Susi, stellt euch nicht so dumm an und schafft endlich die Tiere fort!«, schimpfe ich.

Die beiden Frauen lösen sich aus ihrer Erstarrung, nur Jörg macht keine Anstalten, mitzuhelfen. Stattdessen steht er breitbeinig da und lacht: »Ja, Weiber. Schafft die Viecher weg, bevor Hias einen Nervenzusammenbruch erleidet. Ha! Wegen ein paar Ferkeln so einen Aufstand machen. Das schafft auch nur der Hias, die zarte Seele.«

Jörg hat wirklich gar kein Gefühl. Am liebsten würde ich ihm eine Ohrfeige verpassen. Aber dazu ist es bei einem alten Kerl wie ihm zu spät. Alle Erziehungsversuche sind bei dem Unsympath gescheitert. Zum Glück ist Hias aus einem anderen Holz geschnitzt. Er steht in sich zusammengesunken an meiner Seite.

Ich hebe wütend das Gewehr auf und gehe zur Bank. Die alte Flinte lehne ich gegen die Wand. Wer weiß, ob das verrostete Teil überhaupt noch funktioniert oder gleich in der Hand explodiert, wenn man den Abzug drückt. Die Bank gibt unter meinem Gewicht nach. Hias lässt sich schwer neben mir nieder. Die Holzlatten ächzen.

»Also sag, was ist passiert?«, beginne ich.

»Meine Fackerl sind ausgebrochen. Der Zaun is nicht mehr der beste. Imuss ihn ausbessern.« Stille. Hias wischt sich über die Stirn und stützt seinen Kopf in die Hände.

Ich halte Schweigen nur schwer aus, aber Männer ticken da anders. Auch mein Horst hat die Pausen zwischen den Worten gebraucht. Also bemühe ich mich um Geduld.

»Und da Jörg, der depperte Sauhund, lässt sein Gift einfach offen rumstehen.«

»Gift?«

»Ja, der Depp hot an ganzen Eimer Giftweizen vor seiner Scheune stehen. Und meine Fackerl. Meine armen Fackerl…«, Hias’ Stimme bebt.

»…haben ihn gefressen und sind dran gestorben«, schlussfolgere ich.

»Des hot er extra gemacht! Außerdem, was für an verseuchten Giftweizen hat der denn überhaupt? Dass meine Fackerl gleich dran z’grund gehen?«

Ich schlucke. Jörg war heute Nachmittag so aufgebracht und hat Hias geradezu boshaft angezischt. Aber jetzt noch Öl ins Feuer gießen. Nein. Das wäre dumm. Betont ruhig rede ich Hias gut zu.

»Ich kann mir schwer vorstellen, dass er deine Tiere wirklich absichtlich vergiftet hat. Woher hätte er wissen sollen, dass ausgerechnet heute deine Schweinchen ausbüchsen? Außerdem ist Köderweizen für einen Getreidebauern jetzt auch nicht wirklich so ungewöhnlich. Er muss der Ratten und Mäuse doch irgendwie Herr werden. Für mich hört sich das alles nach einem dummen Unfall an, Hias. Ehrlich.«

»Des glaub i im Leben net!«, zischt Hias und ist drauf und dran, in die nächste Runde des Nachbarschaftskrieges zu gehen.

Alte Fehden dauern ewig hierzulande. Jörg und Hias betreiben solch einen privaten Kleinkrieg. Gründe gab es bisher genug für den Zwist. Die Zenzi, an der beide interessiert waren, die vermeintlich falsche Grundgrenze, Hias’ Fahrt- und Wegrecht mitten durch Jörgs Getreidefelder, und, und, und… Das Ferkelunglück ist nun die Spitze des Eisbergs.

Ich seufze leise und halte Hias am Hemdsärmel zurück, bevor er sich ins Verderben stürzt. »Hias. Mach dich nicht unglücklich. Lass es bleiben. Bitte.«

Wie bestellt saust nun ein Polizeiwagen über den Hügel und bremst direkt vor uns. Sand und Staub wirbeln in einer Wolke auf. Das Fenster fährt herunter. Kurt, der Ortspolizist, späht über den Rand seiner Sonnenbrille.

»Wer wird wo und weshalb schon wieder erschossen?«, brummt er gelangweilt.

»Niemand wird hier irgendwas. Der Jörg hat unabsichtlich Hias’ Ferkel vergiftet. Aber ich hab das im Griff. Kannst also wieder zurückfahren, Kurt«, antworte ich an Hias’ Stelle.

Endlich bewegt sich auch Jörg und steuert auf den Polizeiwagen zu. Zenzi und Susi kommen auch gerade ums Eck.

»Also alles in Ordnung, Jörg?«, schreit Kurt.

»Ich ersetz dem Hias die Ferkel, und gut ist«, brüllt dieser zurück.

»Meine Fackerl kann niemand ersetzen«, murmelt Hias.

Ich steh auf und leg den Arm um seine Schultern. »Aber es wird besser sein, du nimmst Jörgs Angebot an. Im Gefängnis kannst du dich nämlich gar nicht um deine Ferkelchen kümmern«, rede ich dem traurigen Hias gut zu.

Er brummt widerwillig.

»Na, dann bin ich weg, echte Kriminalfälle lösen. Bis zum nächsten Mal, lieber mit einer der alten Geschichten, die Grundgrenze vielleicht, hmm?«, lacht Kurt und rückt sich die Sonnenbrille zurecht. Das Seitenfenster fährt hoch, Kurt legt den Rückwärtsgang ein und saust davon. Eine weitere Staubwolke vernebelt die Luft.

Zurück bleiben zwei zerstrittene Bauern, ein Wurf toter Ferkel und ein bedrohliches Knistern in der Luft.

Jetzt heißt es: Rosi, die Streitschlichterin im Einsatz. Ich überrede die beiden Nachbarn, sich zu mir zu setzen, und Zenzi, uns eine Flasche Schnaps und einen Krug Most zu bringen. Dann geht es ans Eingemachte. Ich moderiere und beruhige, rede abwechselnd auf Jörg und auf Hias ein.

Es ist eine verzwickte Situation. Einerseits hat Hias seine Ferkel nicht gut genug eingezäunt, andererseits ließ Jörg seine besonders heftige Giftmischung unversperrt am Boden stehen. Hat Jörg doch glatt dem Köderweizen noch eine Extraladung Rattengift beigemengt, dass er sogar atomverseuchte Riesenratten umhauen würde. Es wird geschimpft, geflucht, Schuldzuweisungen werden verteilt, und schließlich finden wir einen Kompromiss. Jörg zahlt für das Gewicht der Ferkel den Fleischpreis von Schnitzeln, schwört, seine Giftmischungen sicherer zu verwahren, und Hias verspricht, das Geld für die Zaunausbesserung zu verwenden.

Es dämmert. Ich verabschiede mich von Jörg.

»Na, da bin ich aber froh, dass du da warst mit deiner weiblichen Friedenstifterei«, sagt er mit falscher Stimme.

»Wie meinst du das?«, frage ich nach.

Er zuckt die Schultern und verengt die Augen zu Schlitzen. »Na, so, wie ich es gesagt hab. Ohne dich hätte mein kleines Versehen wohl bös geendet«, meint er sarkastisch und wirft einen Blick in Richtung Scheune, wo der umgeschüttete Eimer Giftweizen liegt.

Mir läuft ein kalter Schauer den Rücken hinunter, aber ich lasse mir nichts anmerken. »Reiß dich am Riemen, Jörg«, sage ich zum Abschied und drehe mich schnell um, bevor meine Miene mehr verrät, als ich möchte.

Ich bin hundemüde. Deshalb bringt mich Hias nach Hause. Zum Glück hat der Ferkelbauer nicht allzu viel getrunken, während Jörg ein Gläschen nach dem anderen geleert hat. Auf der Heimfahrt bejammert Hias immer noch leise seine verstorbenen Tiere. Wir halten vor meinem Häuschen.

»Such dir eine Frau, Hias. Du bist doch noch recht fesch für dein Alter, und wenn du dein weiches Herz einer Frau schenken kannst, dann hängst du nicht mehr so an deinen Tieren. Ist schon ein wenig ungesund, deine Sauliebe, hmm?«, frage ich beim Aussteigen.

»Die Zenzi ist vergeben, und eine andere will ich net. Gute Nacht, Rosi, und danke. Ohne dich, da…« Er schüttelt müde den Kopf.

»…da hättest du dich auch nicht zu einer Dummheit hinreißen lassen. Du bist doch ein guter Kerl. Schlaf gut«, sage ich und schlurfe ins Haus.

Spät ist es geworden, und ich bin einerseits erschöpft und andererseits völlig überdreht. Ist auch kein Wunder, nach dieser Saugeschichte. Und Jörgs dumme Bemerkung am Schluss. Geradeso, als wollte er es darauf anlegen, dass ich erahne, welch gemeines Spiel er mit Hias getrieben hat. Inzwischen bin ich mir fast sicher, dass er die Ferkel mit voller Absicht vergiftet hat. Warum sollte er einen Eimer Giftweizen vor die leere Scheune stellen? Zur Ernte ist es noch eine Weile hin. Vielleicht war es ein Fehler, dass ich um jeden Preis den Streit schlichten wollte. Jetzt liegt weiterhin dieses Knistern in der Luft, und der Konflikt brodelt wie ein Kessel Gulaschsuppe vor sich hin, bis er irgendwann explosionsartig überkocht.

Den ganzen Abend hab ich gefühlt, dass etwas nicht passt. Immer wenn Hias den Mund aufgemacht hat, konnte ich förmlich spüren, wie es in Jörg getobt hat. Die beiden haben ein Problem miteinander. Ein gehöriges sogar. Aber welches nur? Ich verstehe die Welt nicht mehr. Und mit Zenzi stimmt auch etwas nicht. Seltsam, das Ganze. Was ist nur der Auslöser, dass plötzlich, nach Monaten der Stille, die alte Streiterei wieder so aufflammt?

Türkei, Türkei…

Hilfe bei Durchfall

24Stunden nichts essen, aber viel trinken, dann als Schonkost Haferschleim oder Reisbrei • 1Apfel schälen, reiben, braun werden lassen und langsam essen.

Salzstangen und Cola helfen • Bei Verdacht auf Vergiftung den Arzt konsultieren • Bei verdorbenem Magen und anschließendem Durchfall hilft medizinische Kohle.

Ich brauche einen Kaffee. Auch wenn ich so spätabends dadurch die halbe Nacht wach liege. Aber der ganze Wirbel lässt mir sowieso keine Ruhe. Jeder Mensch hat seine Schwachstelle, und nach der Aufregung habe ich mir ein Tässchen verdient. Ich lebe überwiegend gesund. Rauche nicht, trinke nur dann und wann ein Glas Rotwein oder ein Bierchen, meide allzu fettiges Essen und bewege mich täglich mehrere Stunden an der frischen Luft.

Doch der Kaffee hat es mir angetan. Schon als junges Mädchen konnte ich dem Duft nicht widerstehen. Der Geruch nach frisch gemahlenen Bohnen, das Röstaroma. Mhmmm. Dazu ein winziges Stückchen dunkle Schokolade. Perfekt. So viel Sünde muss erlaubt sein. Außerdem, wer will schon hundert werden? Ich bestimmt nicht.

Die Türglocke läutet. Fast zehn. Wer kommt um diese Zeit noch? Alle weit und breit wissen, dass ich frühestens um fünf anfange und spätestens um halb acht aufhöre. Jedes Hobby braucht seinen angemessenen Rahmen und Freizeit eben auch. Außerdem dürfte die Neuigkeit des Schweinekriegs nun wirklich den letzten Dorfbewohner erreicht haben.

Die Haustür knarrt, die Scharniere quietschen. Ein paar Tropfen Öl könnten Wunder wirken. Da fehlt ein Mann im Haus. Nicht, dass ich selbst dazu nicht in der Lage wäre… Neeein. Ich will einfach nicht alles machen. Horst fehlt mir. In handwerklichen, aber besonders in anderen Belangen. Allein sein ist in meinem Alter keine Freude.

Ich richte mich auf. In den Flur gehen und nachsehen, wer so spät aufkreuzt, ist überflüssig. Die Leute finden schon herein.

Gitti streckt ihren blaugrauen Dauerwellenkopf herein und grinst. Ich kichere. Wieso die Friseurin ihr jedes Mal aufs Neue die Farbe »edles Silbergrau« einreden kann, obwohl meine Schwägerin und gleichzeitig beste Freundin genau weiß, dass am Ende erst recht ein blasslila Krauskopf dabei herauskommt, ist ein unlösbares Mysterium.

»Hallo, Rosi. Ich stör doch hoffentlich nicht? Normalerweise melde ich mich an, aber ich brauch deinen Rat, und nach der versauten Zankerei beim Jörg hab ich angenommen, dass du ohnehin noch wach bist.«

»Komm rein, Gitti. Du störst doch nie. Außerdem hast du recht. Mir schwirrt der Kopf. Ich möchte nur zu gern wissen, was da im Vorfeld passiert ist, dass die beiden Streithähne so aufeinander losgehen.«

»Hmm. Schwierig zu sagen. Vielleicht geht es wie jeden Sommer um die Grundgrenze? Weißt doch eh. Der Jörg will doch schon seit Jahrzehnten seine Lagerscheunen vergrößern, aber er darf nicht so nah an Hias’ Gehegen bauen.«

»Da könntest du richtigliegen. Aber gleich ein solches Stück aufführen?«

Gitti presst ein ahnungsloses »Pffft« zwischen den Lippen hervor. »Männer brauchen wohl ihren Kleinkrieg. Wenn nicht im Wirtshaus oder auf dem Fußballfeld, dann eben daheim am Hof«, meint sie.

Ich nicke. Es hat wohl keinen Sinn, sich weiter das Gehirn zu zermartern. Jedenfalls nicht jetzt, wo Gitti da ist.

»Nimm dir doch eine Kaffeetasse aus dem Schrank und setz dich. Es ist noch genug Arabica-Röstung in der Kanne. Der Kopi Luwak ist leider aus, und ich muss erst wieder bestellen.«

Gitti verzieht angewidert das Gesicht. »Seitdem du mir das mit dem Tierkot und diesem Nasenbären erzählt hast, rühr ich deinen Spitzenkaffee nicht mehr an. Da nehm ich lieber ein Wasser. Das letzte Mal hab ich sogar Durchfall von deinem Kotkaffee bekommen. Wahrscheinlich war eines der Viecher krank, als gerade Erntezeit war.«

Ich lache. »Keine Sorge. Ist normaler Eduscho-Kaffee, und außerdem werden die Kopi-Luwak-Bohnen nicht aus Nasenbärenkot gewonnen, sondern aus dem der Schleichkatze. Und bevor du es wusstest, warst du hellauf begeistert und hast mich nach der neuen Kaffeemischung gefragt.«

»Egal, ist trotzdem eklig.«

Sie nimmt sich eine Tasse und setzt sich neben mich. Ihre Riesenhandtasche aus alten Getränkepackungen schmeißt sie auf die Bank. Was die Liebe zu Enkelkindern nicht alles bewirkt. Da läuft meine Gitti doch glatt mit den im Werkunterricht zusammengenähten Tetra-Paks aus der Wertstofftonne herum, nur weil Leonie, die älteste Enkelin, dieses grottenhässliche Teil extra für die Omi fabriziert hat. Keine Frage, es gibt auch schöne Mülltaschen. Farblich aufeinander abgestimmt, in Rottönen oder Blau. Leonie hat jedoch das Talent eines Maulwurfs, farbenblind und nicht fähig, eine einzige gerade Naht zu setzen. Gitti liebt das Exemplar jugendlicher Kreativität dennoch und hat ihre Louis-Vuitton-Tasche, die sie nach jahrelangem Jammern ihrem Alfons abgebettelt hat, gegen das bunte Scheusal aus Verbundstoff getauscht.

Langsam gießt sie sich die schwarze Brühe in die Tasse und kippt drei Löffel Zucker hinein. Noch eine Eigenart, die ich kaum begreifen kann. Bei dieser Zuckerintensität würde ich einen Insulinschock bekommen und von der Bank kippen. Freundinnen sind wir dennoch, und das schon seit Jahrzehnten. Ich kann mich nicht mehr recht erinnern, wen ich zuerst geliebt habe, Horst oder Brigitte. So einen Glücksgriff macht man nur selten. Mir wurden Ehemann und seelenverwandte Freundin gleichzeitig geliefert.

Gitti nimmt einen Schluck. Sie spitzt dabei den Mund so sehr, dass sich zig kleine steile Fältchen darum bilden. Die Zeit kann niemand anhalten. Auch meine sich stets in Bewegung befindliche Gitti nicht.

Ich halte mich noch einen Augenblick zurück, obwohl die Neugierde fast unerträglich ist. Warum ist sie ohne Anmeldung aufgetaucht? »Und was ist los? Wegen der Tote-Ferkel-Geschichte bist du ja wohl nicht da.«

Gitti grinst über den Tassenrand und setzt sie betont langsam ab. »Ich dachte schon, du fragst nie. Hab schon befürchtet, deine Gedanken wären beim Hias hängen geblieben. Hör zu! Ich habe gewonnen!«

Meine Augenbrauen schnalzen hoch. »Wie, gewonnen?«

»Na ja, du kennst doch diesen Fernsehsender, wo sie immer die Reisen verkaufen–«

»Gott, nein! Sag bloß, du fällst auf diese olle Verkaufsmasche herein? Die zielen doch auf willige Opfer ab. Das ist wie bei den Kaffeefahrten: Einen tollen Tagesausflug mit einer kurzen Produktvorführung, und dann hängt man drei Stunden in einem gammligen Wirtshaus herum und hört sich an, wie die neue Bettdecke angeblich die Bettwanzen vertreibt.«

»Du bist gemein. Das ist völlig seriös. Eine Woche all-inclusive in der Türkei. Im Vier-Sterne-Luxusresort ›Brauhaus Garden‹. Sogar unter deutscher Führung steht das Hotel. Das muss was sein. Rosi, bitte. Der Alfons hat gemeint, er käme ums Verrecken nicht mit, weil ja Fußballfinale ist im Herbst.«

Ich klatsche mir die Hand an den Kopf. »Und du willst tatsächlich mich dazu überreden, mein trautes Heim zu verlassen? Glaubst du, ich bin von allen guten Geistern verlassen? Ich hocke mich doch nicht in die türkische Sonne, um erst recht wieder die deutschen Nachbarn um mich zu haben. ›Brauhaus Garden‹, bitteee!«

Doch Gitti meint es anscheinend ernst. Jedenfalls zeugt ihre Mimik von einer Ernsthaftigkeit, dass sich mir die Haare im Nacken aufstellen. Dann schimmern Tränen in ihren grünen Augen. Wie ich diese Nummer hasse. Sie weiß genau, dass ich viel zu schnell Mitleid empfinde und dass mich sofort das schlechte Gewissen plagt, wenn ich eventuell schuld am Trübsal anderer sein könnte.

»Du willst das tatsächlich, oder?«

Ihre Augen leuchten. »Danke, Rosi«, flötet sie und umarmt mich.

Ich weiß nicht, wann ich zugesagt habe, doch offenbar sieht Gitti das anders. Sie beginnt zu quasseln wie eine elektrische Plapperpuppe. »Gott, das wird toll. Nur wir zwei. Die Männer, das Hotel, die Adria.«

»In der Türkei gibt es keine Adria, die liegt in–«

Sie macht eine wegwischende Handbewegung. »Egal. Wichtig ist, dass du endlich mal rauskommst aus diesem traurigen Alltagstrott. Ich meine… ich vermisse Horst ja auch, aber irgendwie bist du nicht mehr dieselbe seit seinem Tod. Du hängst nur noch im Dorf herum und dabei die meiste Zeit HIER!«

Ich schnappe nach Luft, komme aber gar nicht zu Wort.

»Sieh dich doch um. Du bist der helfende Engel, die allzeit bereite Kräuterrosi, wenn es mal wo brennt, bist du immer zur Stelle, sogar wenn es sich nur um die Ferkel vom Hias handelt, aber… das kann doch nicht alles sein. Du bist zu jung, um ewig am Hof herumzusitzen, Wickel und Kompressen zu machen und Salben zu kochen. Du fährst ja nicht einmal gern Auto, obwohl du könntest.« Sie sieht mich vieldeutig an.

Ich zucke die Schultern. Wo sie recht hat, hat sie recht. Aber ich fühle mich zu Hause am wohlsten, am sichersten, und die Salbenkocherei macht mir mehr Spaß als ein Bummel durch die Stadt. Viel lieber helfe ich dem Hias mit seinem Ferkel, schlichte Streitereien und richte verschobene Wirbel, als dass ich mich durch den Stoßverkehr quäle und mich nur über rote Ampeln ärgere. Außerdem bin ich für mein Alter sehr modern. Seit dem Computerkurs der Volkshochschule bestelle ich alles, was ich bei der Krämerin nicht bekomme, im Internet. Dort kriege ich den Warenhimmel frei Haus geliefert. Sogar meine Lieblings-Palmers-BHs, die es in keinem Laden mehr gibt, weil dieses Modell nicht mehr in ist.

»Dir fehlen ein Tapetenwechsel und ein Mann!«, meint Gitti in einem Tonfall, der keine Widerrede erlaubt.

»Gut. Ich komme mit. Aber ich gebe keinen einzigen Cent aus für diesen Wahnsinn. Und irgendwelche Töpfe-, Pfannen- oder Matratzen-Shows will ich auch nicht sehen.«

»Wirst du nicht. Nur einen kleinen Ausflug in eine Lederfabrik. Die Türken machen die besten Lederjacken«, antwortet sie mit Unschuldsstimme.

Ich seufze und sehe meine beste Freundin schon in einer Nietenjacke und mit Lederstiefeln, die ihr bis zum Po reichen, vor mir. So leicht, wie sie zu beeindrucken ist, fährt sie als Landpomeranze weg und kommt als alte, verrunzelte Bikerbraut in Lederkluft zurück.

Gitti kramt in ihrer Safttüten-Tasche herum und zieht einen Computerausdruck heraus. »Siehst du, hier steht alles.«

Ich werfe einen Blick darauf. Auf dem Werbefoto liegen bierbäuchige, stark behaarte und mit Baseballkappen beschirmte Männer im Rentenalter mit ihren ebenso attraktiven, im Bikini eingezwängten Ehefrauen auf den Sonnenliegen und halten breit lächelnd einen riesigen Bierkrug mit dem bayrischen Wappen darauf ins Bild.

»Ich ziehe mein Angebot, dich zu begleiten, zurück«, stöhne ich.

»Geht nicht. Versprochen ist versprochen, meine Liebe. Du kommst mit, und du wirst dich amüsieren.«

»Bei diesen Mannsbildern? Das bezweifle ich mal stark. Außerdem hab ich gar nichts versprochen.«

»Aber du hast gesagt, dass du mitfliegst. Ich hab doch nur dich, wenn mein Alfons streikt. Ich hoffe nur, er geht unter in den Wäschebergen und ihm brennt alles an, wenn ich nicht da bin.«

Ich muss lachen. »Ach Gitti. Männer kommen mit beneidenswert wenig Wäsche aus. Oder wann hat dein Alfons sich das letzte Mal eine Unterhose gekauft?«

»Noch nie. Das mach ich immer.« Beleidigt nippt sie am Kaffee.

»Siehst du, und anbrennen kann ihm nichts, weil er nicht kochen wird. Zur Not lädt er sich selbst bei eurer Tochter ein oder kauft sich jeden Tag Leberkäs-Semmeln beim Metzger. Also, deswegen brauchst du dir keine Sorgen – oder sollte ich sagen Hoffnungen– machen. Dein Gatte wird prima allein zurechtkommen, sieben Tage dasselbe T-Shirt anhaben und sich von den Köstlichkeiten der Nahversorgungsbetriebe ernähren.« Ich klopfe ihr auf die Schulter.

»Wahrscheinlich hast du recht. Aber den Spaß verderben lasse ich mir nicht von ihm. Soll er doch zu Hause vor der Flimmerkiste vergammeln. Ich mache mir ein paar schöne Urlaubstage mit den türkischen Casanovas.«

»Ich befürchte, du verwechselst die Türkei mit Italien, meine Liebe. Casanovas wirst du dort nicht finden, höchstens ein paar Paschas, und so ein Exemplar hast du doch daheim auf dem Sofa sitzen, oder?«

Gitti lässt sich nicht davon abbringen. Sie ist davon überzeugt, dass die türkische Männerwelt auf sie wartet, und nichts und niemand kann sie vom Gegenteil überzeugen. Erst recht nicht ich, wo ich ihrer Ansicht nach nur in meinen vier Wänden sitze und grau werde. Nun gut. Ich höre ihren Träumereien zu und wappne mich mental auf das, was tatsächlich kommen wird, wie das Prospekt so deutlich aufzeigt: Bier und die dazugehörigen Bäuche. Zum Glück liegen ja noch zwei Monate zwischen der Reise und dem Heute. Wer weiß, was sich bis dahin noch ändert.

»…glaubst du nicht auch?«

»Mhmm?« Ertappt. Ich habe nicht richtig zugehört bei Gittis bunter türkischer Traumwelt-Erzählung.

Sie schlägt mir beleidigt auf die Schulter. Nur ein Klaps, aber meine Müdigkeit verfliegt wie Rauch.

»Du warst gedanklich ganz woanders!«, schimpft sie gespielt empört. Ich zucke die Achseln.

»Ich sagte, es wird Zeit für dich, dir einen neuen Mann zu suchen. Horst lebt nicht mehr, und er würde nicht wollen, dass du–«

»Dass ich was?«, presse ich genervt hervor. Ich habe so eine Ahnung, welchen Vorwurf ich mir gleich anhören kann.

»…du hier versauerst und Spinnweben ansetzt. Ich besteh darauf, gemeinsam mit dir die Sau herauszulassen, wie man so schön sagt. Sich wieder jung fühlen, tanzen gehen, flirten, und vielleicht findest du ja den passenden Mann. Muss ja kein Pascha sein, sondern ein anderer Urlauber vielleicht?« Sie klimpert mit den Wimpern.

Ich schüttle den Kopf. »Ich mag dich echt, Gitti, aber wenn du mich nur verkuppeln willst, dann werde ich vor dem Abflug ganz spontan krank.«

Sie prustet vor Lachen. »Weil ich dir das abnehmen würde, du Kräuterhexe. Du wirst doch nie krank. Außerdem braucht jede Frau eine Schulter zum Anlehnen.«

Ich schüttle noch vehementer den Kopf. Es ist zwecklos. Gitti wird nie verstehen, dass ich ein anderer Typ Mensch bin als sie. Ich starte ein Ablenkungsmanöver und erzähle von Hias’ Besuch vor dem Ferkeldesaster, seiner Speckbezahlung und meinen Gedanken über das Verspeisen der Patientenverwandtschaft.

Gitti lacht und meint schließlich, dass ich dieses Gewissensproblem bei einem Pascha aus dem Urlaub wohl nicht mehr haben würde. »Dann kommt nämlich kein Schwein mehr auf den Tisch. Weder als Braten noch als Kunde. Also vielleicht ist doch ein–«

»Schluss jetzt, meine Liebe. Es ist spät. Du hast erreicht, was du wolltest, und ich begleite dich auf deiner unsäglichen Reise in den Süden, aber jetzt will ich nur noch ins Bett. Wer weiß, ob der Hias nicht morgen mit einer ganzen Wagenladung Bauchweh-Ferkel vor der Tür steht oder der Jörg zur Abwechslung einen Kuhstall vergiftet hat.«

Gitti erhebt sich unter leisem Protest, obwohl sie eigentlich ganz zufrieden wirkt. Ich begleite sie hinaus, und als ich wieder allein in meinem Häuschen bin, schweift mein Blick unwillkürlich zu unserem Hochzeitsfoto hin.

»Ach Horst, deine Schwester…«, seufze ich und glaube, seine tiefe Stimme hinter mir zu hören: »Ich weiß, Liebes. Sie ist ein wenig verrückt, aber deshalb…«

»…mag ich sie ja… und dich noch viel mehr«, beende ich den Satz mit stummen Lippen.

Dorfleben und -sterben

Nerventee

1Teil Johanniskrautblätter • 1Teil Baldrianwurzel • 1Teil Kamille • 1Teil Hopfen • 1Teil Melisse • 1guterTLSüßholzwurzeln • 1–2zerkleinerte Steviablätter

1gestrichenenELTeemischung mit 500ml Wasser aufgießen und ca. 5Minuten ziehen lassen.

Ein neuer Morgen, ein neuer Sonnenaufgang und neue Herausforderungen. Hoffentlich wird dieser Tag weniger aufregend als der gestrige. Jörgs boshaftes Grinsen taucht vor mir auf, und sofort sticht mich der Bauch. Schnell wische ich den Gedanken an Jörg weg.

Die Milch ist aus(der gestrige Kaffeekonsum ist schuld), und außer jeder Menge Hühnereier(die meine sieben Hennen fleißig legen) und dem Riesenspeck von Hias herrscht gähnende Leere im Kühlschrank. Zeit, einkaufen zu fahren, wenn ich mich nicht nur von Rühr- und Spiegeleiern mit Speck ernähren will.

Ich bin altmodisch veranlagt, deshalb muss eine Einkaufsliste geschrieben werden. Die Kühlschranktür fällt knatternd zu, die Küchenlade mit den Schreibutensilien quietscht erbärmlich, und die Stuhlbeine knarren auf dem Holzboden, dass ich nicht weiß, was zuerst in sich zusammenbricht– der Stuhl oder die Bodenplatte, die in den Keller rasselt.

Ich schreibe flink die Lebensmittelliste fertig, ergänze sie um Waschpulver, Spülmittel und ein paar andere Kleinigkeiten und starre auf die Küchenuhr. Halb neun. Der Laden öffnet in einer halben Stunde, und bei dieser Liste muss ich wohl oder übel den Wagen nehmen.

Gitti hat mit einer Sache recht. Ich hasse Autofahren und entscheide mich spontan für eine Tasse Nerventee, nach meinem Geheimrezept gemischt. Die Leute schwören darauf und meinen, es sei eine ganz besondere Rezeptur, dabei habe ich die üblichen Entspannungskräuter Johanniskraut, Baldrian, Kamille, Melisse nur um Süßwurzeln und ein paar Steviablätter erweitert. Doch der Geschmack wird einzigartig dadurch und erinnert kein bisschen mehr an die faden, nach Heu schmeckenden Drogerie-Tees. Außerdem sammle ich die meisten Kräuter selbst oder baue sie an.

Ich bilde mir ein, schon ruhiger zu werden. Frisch gestärkt, mit Liste und Einkaufskorb bewaffnet, mache ich mich auf in die Garage.

Da steht er. Blank geputzt, rot glänzend, wie frisch poliert. Der Citroën 2CV, Baujahr 1972. Horsts heiß geliebte Ente. Nach seinem Tod habe ich den neuen Nissan Micra verkauft und die Ente behalten. So hätte Horst es sich gewünscht. Nicht einmal Raphael oder Daniela ließ er mit seinem Schmuckstück herumbrausen. Nur mich.

»Es muss einen Unterschied geben zwischen der Frau, der man volles Vertrauen schenkt, und den Kindern, von denen man das Beste hofft«, sagte er immer augenzwinkernd.

Deshalb halte ich den Oldtimer in Ehren. Obwohl bei meiner Lust am Selberfahren ein Verkauf das Naheliegende wäre. Mit dem Geld könnte ich bis zu meinem Tod mit dem Taxi einkaufen fahren. Aber was soll’s? Eine alte Frau darf ihre Sentimentalitäten haben. Und Donald, so nenn ich die Ente im Geheimen immer, gehört eben in diese Kategorie.

Ich steige ein. Der Motor rattert. Mein flaues Gefühl im Magen wird leichter. Ich gebe Gas. Ich kann Auto fahren. Ich kann das. Und ich brauche keinen Mann.

»Guten Tag, Rosi. Was darf’s denn sein?« Marianne, die immer hinter der Feinkosttheke steht, lächelt mich freundlich an.

»Zehn Dekar Gouda, zehn Edamer und ein großes Eck Almkäse, einen Laib Schwarzbrot, wie immer das Dunkle, und drei Semmeln«, rattere ich automatisch herunter.

Marianne richtet die Bestellung zusammen. »Dein Tipp mit der Hefe ist übrigens Gold wert. Kaum noch Pickel im Gesicht, siehst du?« Sie streckt den Kopf über die Theke und präsentiert mir ihre Wangen.

»Ja, ja. So eine Germmaske wirkt Wunder bei Akne. In ein paar Jahren wirst du übrigens wieder froh über jeden Pickel im Gesicht sein. Da wünschst du dir dieses Zeugnis deiner Jugend zurück, wenn dich eine Faltenlandschaft im Spiegel anlacht.«

»Ha, ha. Das glaub ich kaum. Außerdem vergehen noch Jahrzehnte, bis ich Falten bekomm. Ich bin doch erst einundzwanzig!«

Sie reicht mir den Käse. Ich packe ihn in den Korb.

»Nicht, wenn du so weiterrauchst, meine Liebe. Nikotin ist das reinste Gift für die Haut!«

»Aber gut für die Figur. Der Markus mag nur Schlanke!«, scherzt sie und klatscht sich auf die Hüften. Dann gibt sie mir das Brot.

»Wenn du meinst, Kind. Ich bin ja der Meinung, dass ein wenig Fett an den richtigen Stellen der Schönheit dient. Aber ihr jungen Dinger lauft ja lieber als lebendiger Kleiderständer herum als mit den Kurven einer echten Frau. Mir ist Marylin Monroe jedenfalls zehnmal lieber als diese Kate Moss oder wie der Hungerhaken heißt.«

»Die Marilyn hat aber auch geraucht!«, lacht Marianne.

Ich schüttle den Kopf. Bei manchen Menschen landen meine Ratschläge auf unfruchtbarem Boden. Da könnte ich ebenso gut versuchen, Goldstücke anzusäen. Aber wenigstens macht Marianne die Gesichtsmaske regelmäßig. Ihre Haut sieht tatsächlich viel gesünder und reiner aus als vor ein paar Wochen.

Mein Einkauf zieht sich in die Länge. Kaum dass ich denke, ich könnte raus aus dem kleinen Laden, hat mich auch schon der oder die Nächste in einen Plausch verwickelt. Der gestrige Nachbarschaftsstreit hat das Dorf in Aufregung versetzt, und ich werde neugierig ausgefragt. Aber das stört mich nicht. Ich mag es, dass jeder jeden kennt, selbst wenn das mit geringfügigen Nachteilen behaftet ist.

Endlich schaffe ich es an die Kasse. Frau Meinrich, Maries Schwester, alias die Krämer-Christl, sitzt davor, die Brille schrecklich weit unten auf der Nasenspitze. Am liebsten würde ich mich über das Band beugen und sie ihr hochschieben.

»Na, Rosi, alles gefunden?«

Ich nicke und lege den Einkauf aufs Band.

»Und alles in Ordnung bei dir? So viel Aufregung. Gestern das mit dem Hias. Und dann noch dein Raphael. Ts, ts, ts. Ich könnte nicht so ruhig bleiben, wo doch die Versicherung von deinem Jungen in diesen Skandal verwickelt ist. Ich hoffe mal, du warst so klug und hast deinem Sprössling nicht dein hart Erspartes anvertraut. Aber es ist ja auch eine Frechheit, dass sich diese Bürofritzen mit unserem Geld in Bulgarien am Strand tummeln. Und diese armen Mädchen erst. Ich mein, diesen Beruf gibt es überall auf der Welt, und man nennt ihn nicht umsonst das älteste Gewerbe–«

»Halt. Was erzählst du da, Christl?« Ich komme nicht ganz mit.

Christl stoppt ihr Geplapper ebenso wie das Über-den-Scanner-Ziehen der Waren. Sie schiebt sich die Brille hoch und klappt den Mund auf. »Siehst du nicht fern? Seit gestern Mittag läuft nichts anderes mehr als dieser Bordellurlaub der Versicherungsgesellschaft, und dass Tausende brave Bürger ihr Erspartes verloren oder zumindest große Verluste erlitten haben, während sich die Topvertreter die Sonne auf den Bauch scheinen ließen. Ist dein Raphael nicht auch ein höheres Tier bei der Versicherung?«

»Er bildet es sich zumindest ein«, flüstere ich.

Christl schaut mich erstaunt an. »Du weißt tatsächlich nichts darüber, oder? Ich hatte ja die Hoffnung, von dir Hintergrundinformationen zu bekommen. Schade.«

Ich zucke die Schultern, obwohl es in mir kocht. »Der Fernseher läuft bei mir nur selten, und Raphael… tja, der Junge meldet sich nur, wenn er etwas braucht. Und da er sich nicht gerührt hat, nehme ich an, ihn betrifft die Sache nicht.«

»Oder er sitzt bereits in U-Haft und hat sein einziges Telefonat an eine der jungen Bulgarinnen verschwendet.« Christl zwinkert belustigt und verschluckt sich beinahe vor Kichern über ihren eigenen Scherz. »Wenn du aber was erfährst von deinem Bub, dann erzählst du es mir doch.«

»Natürlich. Dir und dem Lokalblatt.«

Einen Moment lang wirkt sie erschrocken, dann beschließt sie anscheinend, dass ich einen Witz gemacht habe, und beginnt schallend zu lachen. »Du bist gut, Rosi! Das macht dann dreiundfünfzig neunundsiebzig, bitte.«

Ich lege ihr das Geld hin und räume den Einkauf zurück in den Korb. Noch beim Hinausgehen ärgere ich mich. Ich weiß bloß nicht, was mir mehr zusetzt: von der Klatschtante des Ortes über die möglichen Probleme meines Sohnes informiert zu werden oder dass Raphael überhaupt so dämlich ist, sich in dieser Firma einzubringen. Aber der Größenwahnsinn hat ihn bereits in Kindheitstagen befallen, und die kleine, seriöse Stelle bei der hiesigen Versicherung war ihm bald zu mickrig. Im Grunde seines Herzens ist er zwar ein guter Junge… aber er wollte mehr. Und davon hat er anscheinend auch bekommen.

Ach, hätte ich doch ein Handy. Ich habe mich standhaft gegen die ewige Erreichbarkeit gewehrt, aber jetzt? Telefonzellen gibt es auch keine mehr. Die wurden mit der Erfindung der Mobiltelefone eingestampft. Ich muss Raphael dringend erreichen. Ich bin doch seine Mutter! Wenn jemand das Recht hat, über sein Leben und seine Probleme Bescheid zu wissen, dann doch wohl ich, oder? Es ist eine Schande, dass er sich nicht bei mir gemeldet hat. Da muss ich im Krämerladen erfahren, dass mein Sohn in der Patsche sitzt. Nicht, dass mich der Dorftratsch ärgert. Er ist sogar gut, manchmal zumindest. Hier interessieren sich die Menschen wenigstens für einen, und man liegt nicht monatelang tot im Häuschen, bis ein einsamer Wanderer die vertrocknete Mumie findet.

Donald wartet brav auf dem Parkplatz auf mich. Ich lade die Einkäufe auf den Beifahrersitz. Schnell nach Hause mit mir! Raphael anrufen!

Ich habe noch nicht einmal richtig vor meinem Haus angehalten, da stürmt Gitti auf mich zu und reißt die Beifahrertür auf, dass Donald nur so wackelt. Arme Ente. Gitti quetscht sich ins Wageninnere.

»Frag nicht, gib Gas. Fahr schnell rüber zum Hias.«

»Wieso zum Hias?«, frage ich verdattert.

»Er hat den Jörg umgebracht.«

»Du täuschst dich, meine Liebe. Er wollte gestern den Jörg umbringen, aber wie du dich bestimmt erinnerst, hab ich das verhindert«, antworte ich.

»Hinausgezögert vielleicht, und das auch nur um ein paar Stunden.« Gitti stellt die Tetra-Pak-Tasche zu ihren Füßen. »Jetzt fahr endlich und verplempere nicht so viel Zeit. Ich will sehen, wie sie ihn festnehmen. Das ist so aufregend. Wie im Fernsehen.« Gitti strahlt.

Ich ärgere mich. »Spinnst du? Ich fahr gar nirgends hin, bevor du mir nicht erklärt hast, was los ist.«

»Du bist gemein.«