Krieger des Lichts - Ungezähmter Kuss - Pamela Palmer - E-Book

Krieger des Lichts - Ungezähmter Kuss E-Book

Pamela Palmer

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Beschreibung

Der Gestaltwandler Hawke droht den Kontakt zu seiner animalischen Seite zu verlieren. Da begegnet er der schönen und lebenslustigen Faith, in die er sich auf der Stelle verliebt. Doch Faith ist dem Krieger Maxim versprochen, und dieser denkt gar nicht daran, seinen Anspruch auf sie aufzugeben.

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Seitenzahl: 550

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PAMELA PALMER

KRIEGER DES LICHTS

Ungezähmter Kuss

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Firouzeh Akhavan-Zandjani

Inhalt

Widmung

1

2

3

4

5

6

7

8

9

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12

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19

20

Danksagung

Impressum

Für Keith – meinen Helden im echten Leben

1

Lodernde Flammen rasenden Zorns zersetzten seinen Verstand, bis nur noch ein Haufen weiß glühender Kohle übrig war. Bei dem leisesten Gedanken, nur einem Funken erwachenden Bewusstseins, würde er sich wieder zu einem flackernden Feuer entzünden. Ein Schrei hallte in schrecklicher Lautlosigkeit in der erstickenden Dunkelheit und hämmerte von innen gegen seinen Schädel, den er schon vor langer Zeit aufgehört hatte zu spüren.

Vollkommene Schwärze war nun die einzige Wirklichkeit, die er kannte … ohne Laute, Berührungen, Gerüche und Geschmack. Ohne Leben. Nur eins war ihm geblieben: der endlos rasende Zorn.

Aus weiter Ferne drang ein Raunen an sein Ohr, ein Widerhall aus vergangenen Tagen, von einem anderen Ort, welcher ihn mit der Erinnerung daran quälte, was er verloren hatte. Erinnerungen an ein Leben voller Licht und Freiheit. Erinnerungen an seine Brüder, die Krieger des Lichts, nach denen er sich sehnte, und doch wusste er, dass er sie nie wiedersehen würde. Seine Freunde. Gestaltwandler. Unsterbliche. Doch das war eine Lüge, nicht wahr? Unsterblich bedeutete doch, »nicht sterben zu können«, und das traf auf ihn eindeutig nicht zu. Keiner von ihnen war unsterblich. Wunden verheilten schnell und sie alterten nicht … das schon. Aber sie sollten nicht sterben können? Das galt für kein Lebewesen.

Sein Tod stand jetzt kurz bevor.

In dem Moment, als er erkannt hatte, dass er in eine Geistfalle der Dämonen gestürzt war, hatte er gewusst, dass alles vorbei war. Der Geist des Tieres, welches ihn vor langer Zeit gezeichnet und damit zu einem der Krieger des Lichts gemacht hatte, einer von den letzten neun Gestaltwandlern, die es noch auf Erden gab, war aus ihm herausgerissen worden. Und ein Krieger, der einmal gezeichnet worden war, konnte ohne sein Tier nicht weiterleben. Innerhalb weniger Tage würde er tot sein. Schlimmer … viel schlimmer war jedoch, dass in der Falle auch der Geist des Tieres vernichtet wurde. Oder er wurde zumindest in der Ewigkeit festgehalten, wo er ebenfalls so gut wie tot war, denn es wäre ihm somit unmöglich, den nächsten Krieger des Lichts zu zeichnen.

Aus den neun Kriegern würden acht werden. Nein, nicht acht. Er und Tighe waren zusammen in diese Falle gestürzt.

Sieben. Sieben Krieger des Lichts, die verhindern sollten, dass sich die Dämonen wieder erhoben und die Erde zerstörten.

Die Stimme war jetzt näher, kein Raunen mehr, aber immer noch nicht deutlich zu verstehen, weil da noch andere Stimmen waren. Als wären sie gekommen, um sich zu verabschieden … oder vielleicht doch nicht. Vielleicht waren es auch die Stimmen der siebzehn Krieger des Lichts, die vor Jahrhunderten in diese Falle getappt waren und ihn nun in der Bruderschaft willkommen hießen. In der Bruderschaft der Toten.

Seine Seele krümmte sich bei der Aussicht, bis in alle Ewigkeit in diesem endlosen Dunkel zu verbleiben.

Das wütende Kreischen seines Tieres übertönte seine Gedanken. Trotz der lauter werdenden Stimmen war es noch klar und deutlich zu hören. Eine Zeit lang hatte er gedacht, der Geist des Bussards hätte ihn verlassen, doch er war wieder da und raste vor Zorn.

»Hawke.« Eine Stimme drang zu ihm durch, sein Name schlitzte das Kreischen in seinem Kopf auf. Kougars Stimme. Wenn er seinen Puls spüren könnte, dann würde er rasen. Das Blut würde in seinen Ohren rauschen.

Fing er jetzt etwa an zu halluzinieren? Kougar klang so herrlich nah.

»Na, komm schon, Hawke.« Tighe. »Wir brauchen dich, Kumpel. Komm zurück zu uns.«

Warum gaukelte ihm seine Fantasie vor, Tighes und Kougars Stimmen kämen aus der gleichen Richtung? Aber vielleicht war Kougar ja auch in die Falle gestürzt. Waren denn alle von ihnen verloren? Waren auch die letzten Gestaltwandler für immer vom Antlitz der Erde verschwunden?

Der Zorn, der jetzt ein Teil von ihm geworden war, schwoll an wie ein Lavastrom und verschlang mit seiner Glut alle Stimmen und Gedanken. In seinem Kopf hörte er ein wütendes Kreischen, das wie sein eigenes klang. Er spürte die Klauen mit einem Ruck aus seinen Fingerspitzen schnellen, wie sie es immer taten, wenn bei ihm oder einem der Krieger die animalische Seite hervortrat. Eine teilweise Verwandlung, durch die die wilde Natur des Tieres hervortrat, und Bussard oder Tiger, Wolf oder Schlange ebenbürtig miteinander kämpfen konnten.

Das Kreischen ließ seine Kehle vibrieren und dröhnte in seinen Ohren. Es fühlte sich real an. Es klang … real.

Verlor er jetzt etwa auch noch den Verstand?

Die Wut trieb ihn dazu auszuholen und er spürte, wie sein Arm sich bewegte und seine Klauen in Fleisch schnitten. Warmes Blut strömte über seine Finger in die Hand.

Sein Herz hämmerte und das Blut pochte in seinen Ohren, während er angetrieben von einer Mischung aus Zorn und verzweifelter Hoffnung versuchte, sich aus der Dunkelheit zu befreien. Starke Hände umklammerten seine Arme. Er wehrte sich mit aller Macht gegen die Bande, die ihn umklammerten, und schlug auf seine Widersacher ein.

»Hawke.« In Kougars Stimme schwang ein seltsamer Klang mit. Eine Wärme, die er nie zuvor darin wahrgenommen hatte.

»Hawke, hör auf!« Der Befehlston in Lyons Stimme durchdrang das Chaos, das ihn beherrschte.

Wie schon sein ganzes Leben lang gehorchte er, wenn der Anführer der Krieger ihm etwas befahl. Hawke versuchte verbissen, nicht mehr um sich zu schlagen. Sein Atem ging schnell und stoßweise, während der Zorn langsam von ihm wich. Aus allen Richtungen stürmten Empfindungen auf ihn ein – der Klang der Stimmen seiner Freunde, der Geruch vom Haus des Lichts – männlicher Schweiß, der lieblichere Duft der Frauen, der warme Muff eines Hunderte von Jahren alten Hauses und der kräftig-aromatische Duft gebratenen Fleisches und frisch gebackenen Brots.

Doch am schönsten war das Gefühl der Hände an seinem Körper, die ihn nach unten drückten. Kräftige Hände, doch ohne jede Grausamkeit. Die Hände seiner Brüder.

Gütige Göttin, lass es wahr sein.

»Hawke, du bist in Sicherheit«, versicherte ihm Kougars Stimme.

Als auch der Rest von Kampfgeist von ihm abfiel und der rote Schleier der Wut sich von seinem Geist hob, blinzelte er mit schweren Lidern, als hätte er wochenlang geschlafen. Langsam wurde er der drei Männer gewahr, die über ihm aufragten und ihn festhielten. Lyon. Kougar. Tighe.

»Ihr seid es wirklich.« Seine Stimme war ganz heiser, weil er sie so lange nicht benutzt hatte.

Tighe lächelte und seine Grübchen blitzten auf. »Wir sind es wirklich.«

»Willkommen daheim«, sagte Lyon mit leicht belegter Stimme.

Hawkes Blick richtete sich langsam auf Kougar und er stellte fest, dass in den Augen des Puma-Gestaltwandlers ein Lächeln lag, welches Hawke in der sonst immer ausdruckslosen Miene noch nie gesehen hatte. Kougar streckte seine Hand aus, und als Hawke es ihm nachtat, schlug Kougar mit seinem Unterarm im traditionellen Gruß der Krieger des Lichts gegen Hawkes und zog ihn dann hoch.

Der Raum drehte sich und er merkte, dass er auf einer Pritsche saß. Ihm war leicht übel, doch das ließ nach, als er die herrlich vertraute Blumentapete sah und den Kronleuchter, der über dem großen Tisch hing.

Er zog eine Augenbraue hoch. »Habe ich etwa im Esszimmer geschlafen?«

Lyon klopfte ihm voller Zuneigung auf den Rücken. »Der Schamane empfahl, dass du immer im Zentrum aller Aktivitäten des Hauses sein solltest. Wir hatten gehofft, dass unsere Stimmen dich irgendwann zurückholen würden.«

Sein Blick glitt zur Fensterfront hinter dem Tisch, durch die man den Wald hinter dem Haus sehen konnte. Die Bäume hatten Blätter, doch sie waren noch zart und dünn und wiesen ein helles Frühlingsgrün auf. »Wie lange?«

»Es ist zwei Wochen her, dass du in die Falle gestürzt bist«, erzählte Lyon ihm. »Und eine Woche ist vergangen, seitdem wir dich da rausgeholt haben.«

Hawkes Blick richtete sich wieder auf Kougar. »Wie habt ihr das gemacht? Keiner entkommt einer Geistfalle.« Irgendwie war ihm klar, dass er es Kougar zu verdanken hatte, doch entkommen zu sein.

»Das ist eine lange Geschichte.«

Hawke sah Tighe an. »Habe ich es mir nur eingebildet, dass du mit mir zusammen hineingestürzt bist?«

Der gequälte Ausdruck, der in die Augen seines Freundes trat, war Antwort genug. »Delaney hat die Bindung die ganze Zeit, so gut es ging, aufrechterhalten, Hawke. Aber ich war nahe dran, auch den letzten Halt zu verlieren.« Der Schatten, der eben noch über seinem Gesicht gelegen hatte, verschwand und machte reiner Freude Platz. »Wir bekommen einen Sohn.«

Hawke blinzelte verwirrt. »Du wirst Vater?«

»Wieder.« Tighes Blick schweifte kurz in die Ferne, als hätte ihn eine Erinnerung gestreift. »Endlich.« Grinsend schüttelte Tighe den Kopf und klopfte Kougar auf die Schulter. »Und jetzt überlasse ich es Kougar, dir das Neueste von sich zu berichten. Und, ach ja, der neue Fuchs-Gestaltwandler wird Ende der Woche hier sein. Er kommt aus Polen rübergeflogen.«

Hawke lachte. Der Laut war kaum mehr als ein rauer Ausstoß von Atemluft. »Ich fange an, mich wie Rip Van Winkle zu fühlen.« Die Gestalt aus einer Kurzgeschichte Washington Irvings war in einen Zauberschlaf gefallen und erst zwanzig Jahre später wieder aufgewacht, nur um festzustellen, dass die Welt um ihn her sich drastisch verändert hatte. »Wir werden wieder neun sein? Es sind immer noch … alle da?«

»Es sind immer noch alle da.« Lyon stand auf, sah ihn jedoch weiter mit einem leichten Lächeln und voller Erleichterung an. »Bald werden wir wieder neun sein. Und das ist auch gut so. Wir haben eine merkwürdige Aktivität in der Dämonenschicht der Erdenergie festgestellt. Wir wissen noch nicht, was wir davon halten sollen, doch es kann nichts Gutes bedeuten. Die Zauberer suchen eindeutig nach einer anderen Möglichkeit, die Dämonen zu befreien.«

Die Wut, die er eben noch zurückdrängen konnte, flammte wieder auf. Die verfluchten Zauberer. Dämonen quälten und folterten, terrorisierten und töteten, Tausende würden sie vernichten – Menschen und Unsterbliche gleichermaßen.

Wieder traten seine Klauen hervor. Er fauchte und zischte. »Diese verdammten Idioten.«

»Hawke, ganz ruhig, Kumpel.«

Doch Tighes Flehen ging in dem aufbrandenden Dröhnen in seinem Kopf unter, als sein Zorn sich gleich einem Unwetter in rasender Wut entlud … und ihn in seinen Strudel zog.

Aufs Neue versank er in der Dunkelheit.

»Hawke!« Lyon versuchte, seinen Freund festzuhalten, doch es war zu spät. Hawke war bereits jenseits aller Vernunft, seine Augen loderten vor Zorn. »Haltet ihn fest!«, befahl er, während Hawke auch schon mit seinen Klauen ausholte.

Doch während die drei Männer noch versuchten, den wild um sich schlagenden Krieger festzuhalten, verwandelte Hawke sich in einem Funkenregen in sein Tier. Alle wichen zurück. »Kkkkiiiiir.« Der Bussard hob ab, flog in unfassbarer Geschwindigkeit los und krachte durch die splitternde Glasscheibe.

Kougar rannte zum Fenster. Lyon stürzte ihm hinterher. Er war sicher, dass sich der Vogel an der Scheibe die Flügel zerfetzt hatte, doch als er Hawke hinterhersah, konnte er keine Verletzungen erkennen. Der Bussard stieg zu den Baumwipfeln auf und verschwand. Wenn ein Krieger die Gestalt wandelte, behielt er seinen menschlichen Verstand, mit dem er den tierischen Körper ebenso kontrollierte wie seine menschliche Gestalt.

Hawke wäre nicht so überstürzt davongeflogen, wenn er noch diese Kontrolle besessen hätte. Lyon fürchtete, dass sein Freund der wilden Kreatur in seinem Innern zum Opfer gefallen war.

»Ich hatte gedacht, dass er wieder in Ordnung sein würde, wenn er zu sich kommt.« Tighe machte einen Schritt aufs Fenster zu. Glas knirschte unter dem Absatz seines Stiefels.

Lyon schüttelte mit ernster Miene den Kopf. »Er hat schweren Schaden genommen.« Die Frage war, welches Ausmaß dieser Schaden hatte. Er hoffte inständig, dass die Antwort darauf nicht irreparabel war.

»Faith, schau mal! Ein Regenbogen.«

Marias freudiger Schrei ließ Faith von der durchhängenden Matratze hochkommen und neben den Teenager treten, der vor dem gesprungenen Fenster von Faith’ kleiner Wohnung stand.

»Wie öde«, murmelte Paulina, die auf dem Bett hockte und in ihre Handfläche malte.

In der Tat wölbte sich ein Regenbogen über die Mietshäuser in der Straße, die zu den schlimmsten Stadtteilen Warschaus gehörte. In dieser Gegend hatte sich praktisch seit hundert Jahren nichts verändert. Die schönen alten Gebäude zerfielen, die Jugendstilfassaden verschwanden fast unter jahrzehntealtem Dreck und die rostigen schmiedeeisernen Fenstergitter waren so verbogen, als hätten sie genau wie die Menschen der Stadt unter der Willkür der Nazis und der eisernen Faust der Kommunisten leiden müssen.

Faith stand Schulter an Schulter neben Maria und lächelte. »Der Regenbogen ist wunderschön.«

»Ihr seid beide so was von öde.«

Faith drehte sich mit einem Achselzucken zu dem dunkelhaarigen Mädchen auf dem Bett um. »Ich mag Regenbögen.«

»Du magst alles.«

»Nicht alles. Nur Dinge, die mich glücklich machen.«

»Wie ich?«, meldete Maria sich zu Wort.

Faith lachte. »Vor allem du.«

Maria drehte sich mit einem sehnsüchtigen Seufzer wieder zum Fenster um. »Ich wünschte, ich könnte bis ans Ende des Regenbogens gehen, um zu sehen, wo er hinführt.«

»Vielleicht sollten wir das machen.« Faith kannte beide Mädchen noch nicht lange, aber sie hatte sie schnell ins Herz geschlossen. Sie waren ihr neuestes Projekt, oder genauer gesagt: Die beiden von der Straße zu holen, war ihr neuestes Projekt in einer lebenslangen Reihe derartiger Missionen.

»Ich könnte Stanislov nicht verlassen«, erklärte Maria traurig. »Er braucht mich.«

Faith unterdrückte den ärgerlichen Laut, den sie am liebsten ausgestoßen hätte, ebenso wie die Worte, die ihr auf der Zunge lagen: dass Stanislov beileibe nicht Marias Geliebter war, sondern ihr Zuhälter. Dass er sie nur wegen des Geldes brauchte, das sie ihm brachte. Aber Maria sah es nicht so. Vor einem Jahr war Marias Mutter, eine Alkoholikerin, gestorben und sie hatte mit gerade mal dreizehn anfangen müssen, für sich selbst zu sorgen. Stanislov hatte sie unter seine Fittiche genommen, für sie gesorgt und ihr das Gefühl gegeben, geliebt zu werden. Faith wusste, dass es in den Augen des Teenagers nur ein kleiner Preis war, dafür für ihn anschaffen zu gehen. Und sie wusste auch, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie in Drogengeschichten verwickelt oder innerlich so tot sein würde, dass sie nicht mehr zu retten war.

Maria ging zum Bett zurück und ließ dabei die Finger über ein abgegriffenes Buch über die Geschichte des Zweiten Weltkrieges gleiten, welches auf einer Kiste lag, die als Nachttischchen diente. Währenddessen holte Faith drei Orangensafttütchen aus ihrem rostigen Kühlschrank und setzte sich dann im Schneidersitz zu ihnen. Maria machte sich über den Saft her, als wäre es ein absoluter Leckerbissen, während Paulina ihr Tütchen neben sich legte und dann gleich weitermalte. Auch wenn sie genauso erpicht auf den süßen Saft gewesen wäre wie Maria, hätte sie das doch niemals gezeigt. Dass sie überhaupt in die Wohnung gekommen war, bewies Faith, wie sehr sie sich nach Gesellschaft sehnte – nach sicherer, weiblicher Gesellschaft.

Mit ihren jetzt sechzehn Jahren lebte Paulina bereits seit zwei Jahren auf der Straße. Vor ein paar Wochen hatte sie Faith in einem ungewöhnlich mitteilsamen Moment anvertraut, dass ihr Stiefvater sie vergewaltigt hatte. Daraufhin hatte ihre Mutter ihr vorgeworfen, ihn verführt zu haben, und sie vor die Tür gesetzt. Das Mädchen war intelligent und willensstark und besaß außerdem ein beachtliches künstlerisches Talent. Aber sie war auch verbittert und wies eine Härte auf, für die sie eigentlich noch viel zu jung war. Bisher hatte sie es geschafft, einen großen Bogen um Drogen und Alkohol zu machen, weshalb Faith hoffte, dass sie irgendwann ihren Weg in ein besseres Leben finden würde … wenn sie ein bisschen Hilfe bekam … und wenn sie diese Hilfe annahm.

Für Außenstehende waren Paulina und Maria nur zwei ganz gewöhnliche junge polnische Nutten. Doch als Faith vor ein paar Monaten nach Warschau gekommen war, hatte sie in diesen beiden jungen Frauen die Intelligenz und den Charakter bemerkt, den man brauchte, um diesem Leben zu entfliehen. Nach all den Jahren, in denen sie Straßenkindern geholfen hatte, wusste sie, wie man die Schutzmauern überwand, die viele von ihnen um sich herum errichtet hatten. Sie schenkten nicht so leicht jemandem ihr Vertrauen, besonders nicht Erwachsenen. Da war es von Vorteil, dass Faith nicht viel älter als die Mädchen aussah. Man hätte leicht auf die Idee kommen können, dass sie eine von ihnen war – eine Ausreißerin oder eine, die zu Hause rausgeworfen worden war. Mit den blauen Haarspitzen und den silbernen Steckern, die die gesamte Rundung des einen Ohrs einnahmen, bestätigte sie diesen Eindruck noch zusätzlich. Immer wenn sie in ein anderes Land kam, eine andere Stadt, einen neuen Bezirk, erzählte sie den Mädchen, die sie kennenlernte, dass sie achtzehn sei und die Familie sie mit fünfzehn im Stich gelassen habe.

Zumindest der zweite Teil stimmte. Sie war tatsächlich mit fünfzehn im Stich gelassen worden. Aber nicht vor drei Jahren. Das letzte Mal hatte sie ihre Mutter im Sommer des Jahres 1914 gesehen.

Faith war unsterblich. Sie war eine Therianerin.

Früher, vor Tausenden von Jahren, waren alle Therianer Gestaltwandler gewesen. Doch heute war das nicht mehr so. Es sei denn, ein Therianer wurde von einem der noch verbliebenen Tiere gezeichnet und somit zu einem der legendären und verehrten Krieger des Lichts.

Doch das war nicht mehr ihre Welt … schon als junges Mädchen hatte sie ihr den Rücken gekehrt. Ihre Welt war jetzt die Straße – sei sie nun in ihrer Heimat Belgien, hier in Polen oder in einer der zig europäischen Städte, in denen sie seitdem gelebt hatte.

Sie beugte sich vor und betrachtete das kleine, detailgenaue Bild eines Kindergesichts, das Paulina mit einem Kugelschreiber auf ihre Handfläche zeichnete. Wunderschön.

»Kanntest du ihn?«, fragte sie das Mädchen.

»Das ist mein Bruder.« Paulinas Kummer wurde umso deutlicher, da keinerlei Gefühl in ihren Worten mitschwang.

Faith wusste, dass das Mädchen ihn bestimmt nicht mehr gesehen hatte, seit sie vor zwei Jahren zu Hause rausgeworfen worden war. Paulinas Schicksal brach ihr das Herz und bestärkte sie darin, dafür zu sorgen, dass es ihr irgendwann besser gehen möge.

»Ich habe gestern Abend im Restaurant eine Dame bedient«, erzählte Faith beiläufig. »Sie arbeitet an der Kunstakademie.«

Paulinas Kugelschreiber verharrte.

»Ich habe ihr die Zeichnung gezeigt, die du mir mal gegeben hast; die von den Kindern im Park.« Faith öffnete den Orangensaft und nahm einen Schluck, während sie ihre Worte bei dem Mädchen wirken ließ. »Sie möchte dich kennenlernen.«

Mit einem Ruck hob Paulina den Kopf und wütende blaue Augen, die ihre ganze Verletzlichkeit zeigten, durchbohrten Faith mit ihrem Blick. »Mich kennenlernen? Wofür denn? Ich bin eine Hure!«

Verdammt. Faith brauste ebenso auf. »Ist ja nicht gerade so, als hättest du dir dieses Leben ausgesucht!« Sie hasste es, dass diese Mädchen erst zu Opfern gemacht und dann dafür geschmäht wurden. Das war so unfair. »Du bist nicht nur das, Paulina. Du bist auch ein Mädchen. Und wenn es nach dieser Dame geht, noch dazu eine talentierte Künstlerin.«

Doch Paulina gab nicht nach, ihre Miene blieb hart. »Du hattest kein Recht, ihr meine Bilder zu zeigen!« Sie griff nach dem Orangensaft, sprang vom Bett und stürmte zur Tür hinaus, die sie hinter sich zuknallte.

Faith stieß einen Seufzer aus. Es war eine große Herausforderung, Paulinas Schutzmauern zu überwinden. Natürlich hatte sie auch früher schon mit solchen Mädchen zu tun gehabt, denn genau diese nahm sie am häufigsten ins Visier. Leider scheiterte sie bei ihnen genauso häufig, wie sie mal einen Erfolg zu verbuchen hatte. Wenn sie so verbittert waren, nahmen sie sich oft selber nur noch als die Prostituierte wahr, zu der die Umstände sie gemacht hatten.

Maria drehte sich zu Faith um und sah sie mit großen Augen an, die eigentlich viel zu alt für ihr Gesicht waren. »Weißt du … sie will es zu sehr … eine Künstlerin sein. Es ist besser, sich nichts zu wünschen.«

Faith drehte sich um und lehnte sich wieder mit dem Rücken an die fleckige Wand. »Das habe ich auch immer gedacht.«

Maria rutschte zu ihr rüber und ließ den Kopf an Faith’ Schulter sinken. »Was hast du dir denn immer gewünscht, Faith?«

Was wünschte sie sich? Diesen Mädchen zu helfen. Und dann anderen Mädchen in anderen Städten. Das war alles, was sie sich je gewünscht hatte.

Aber stimmte das auch? Es war seltsam, doch irgendwie beneidete sie Maria, weil Maria glaubte, dass sie geliebt wurde, auch wenn es nur ihr Zuhälter war. Und das konnte Faith von sich selber nicht sagen.

Es ist besser, sich nichts zu wünschen.

Sie hatte schon vor sehr langer Zeit gelernt, dass das stimmte.

Es war ein kühler Abend und Faith zog die Strickjacke enger um sich, als sie von der Arbeit nach Hause ging. Vor ein paar Stunden hatte es geregnet und viel Laufkundschaft hatte Zuflucht im Restaurant gesucht, sodass es eine einträgliche, wenn auch anstrengende Schicht für Faith gewesen war. Allein die Trinkgelder würden schon reichen, um genug Essen für eine Woche zu kaufen, das sie wie immer mit Paulina und Maria teilen würde. Vorausgesetzt Paulina kam zurück.

Auf der Straße vor ihrem Haus standen mehrere Mädchen, die in der Vergangenheit nicht ihre Freundinnen geworden waren. Als sie sich der schief in den Angeln hängenden Tür des Gebäudes näherte, bemerkte sie eine vertraute Gestalt, die an einer Ziegelsteinmauer mit Einschusslöchern aus dem Zweiten Weltkrieg lehnte. Das Mädchen, das mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern neben ihrem Zuhälter stand, war Maria.

Faith hatte schon vor, an den beiden vorbeizugehen, denn sie wollte nichts tun, das dieses Mädchen noch weiter von ihr entfernen könnte, doch dann hob Maria den Kopf und das Licht der Straßenlaterne fiel auf ihre geschwollene und blutende Lippe und die Tränen, die ihr übers Gesicht liefen.

Faith blieb stehen und die Hände an den locker herabhängenden Armen ballten sich zu Fäusten. Sie mochte vielleicht nicht die Fähigkeiten ihrer Ahnen, der Gestaltwandler, besitzen, doch durch die Unsterblichkeit war sie so stark wie manch ein männlicher Vertreter der menschlichen Rasse.

Als hätte er die stillschweigende Drohung vernommen, schaute Stanislov auf und begegnete ihrem Blick. »Ich werde ihn finden. Und ich werde ihn töten.«

Faith sah, dass er die Wahrheit sagte und nicht derjenige war, der Maria das angetan hatte. Zumindest nicht mit seinen eigenen Fäusten. Auf seine eigene verdrehte Weise lag dem Mann etwas an dem Mädchen. Vielleicht liebte er es sogar.

Maria vergrub ihr Gesicht an der Brust des jungen Zuhälters und er führte sie weg, während Faith wütend auf dem Bürgersteig zurückblieb und sich elend fühlte … und wie so oft verwirrt. Auf der Straße gab es nur wenig Gesetze, die darüber urteilten, was richtig und was falsch war. Stanislov war ein Zuhälter, der die völlige Hilflosigkeit eines jungen Mädchens ausnutzte. Ein Verbrecher der schlimmsten Sorte, und doch war er heute Abend eindeutig Marias Held. Darüber war Faith froh. Zumindest heute Abend. Auch wenn sie wusste, dass Stanislovs Fürsorge es viel schwieriger machen würde, Maria dazu zu bringen, ihn zu verlassen.

Faith stieß einen Seufzer aus und wollte sich gerade wieder zu ihrem Haus umdrehen, als ihr ein Mann auffiel. Er kam auf dem Bürgersteig auf sie zu und sah aus, als würde er aufs Titelbild einer Modezeitschrift gehören und nicht in diese heruntergekommene Gegend. Mit dem teuer aussehenden Sakko und dem weißen Rollkragenpullover wirkte er hier völlig fehl am Platz. Im flackernden Schein der Straßenlaterne erschien er ziemlich groß, mit breiten Schultern und etwas zu langen Haaren, die glatt nach hinten gekämmt waren. Durch den schmalen Kiefer und das nicht sonderlich stark ausgeprägte Kinn gehörte sein Gesicht zu der Sorte, die man leicht wieder vergaß. Aber als das Licht der Straßenlaterne sein Profil beleuchtete, ließ der wilde, hungrige Ausdruck auf seinem Gesicht, als er den suchenden Blick über die Mädchen an der Straßenecke gleiten ließ, sämtliche Alarmglocken in ihr losschrillen.

Plötzlich blieb er stehen, erstarrte einen kurzen Moment, um dann mit einer schnellen Bewegung etwas aus der Innentasche seiner Jacke zu ziehen. Stahl blitzte auf.

Ein Messer.

Faith stockte der Atem und sie hatte Angst, dass er es auf eines der Mädchen abgesehen haben könnte. Doch dann nahm er plötzlich eine Verteidigungsposition ein und ging leicht in die Knie, als bereitete er sich auf einen Angriff vor. Sein Blick löste sich von den Mädchen und wandte sich mehr in Faith’ Richtung, bis es so aussah, als würde er etwas anstarren, das sich direkt über ihrem Kopf befand.

Faith fuhr herum und wollte sich schon gegen jedwede Gefahr, die sich ihr näherte, wehren, aber sie konnte nichts entdecken. Nichts, was solch eine offensichtliche Verteidigungshaltung gerechtfertigt hätte. Doch dann bemerkte sie eine schnelle Bewegung und sah sie. Zwei Drader. Beide so groß wie eine Männerfaust, die direkt auf sie zugeflogen kamen!

Der Anblick ließ sie erstarren und sie unterdrückte einen Schrei. Die Menschen konnten sie nicht sehen und die Drader würden ihnen auch nichts tun. Aber diese Wesen, die ihrer Ansicht nach wie Quallen mit Fratzen aussahen, waren das Gefährlichste, was es in ihrer Welt gab. Sie ernährten sich von therianischer Lebenskraft und waren in der Lage, sie innerhalb von Minuten umzubringen, wenn es ihr nicht gelang, sie vorher zu töten. Glücklicherweise gab es so weit entfernt von den therianischen Enklaven nicht viele von ihnen. Sie war seit Jahren nicht mehr angegriffen worden.

Heute Abend jedoch hatten sie sie leider aufgespürt. Ohne Waffen bestand ihre einzige Möglichkeit, sich gegen sie zu wehren, darin, durch ihre Mäuler mit den spitzen, heimtückischen Zähnen hindurch in ihre Körper zu greifen und ihnen das Herz herauszureißen.

Kalter Schweiß brach ihr aus und ihr Herz fing an zu rasen.

Als der Erste angriff, hob sie die Hand, um ihn abzuwehren, und spürte Dutzende scharfer kleiner Zähne, die sich in ihr Handgelenk bohrten und die Haut aufrissen. Ehe sie reagieren konnte, war der Fremde auch schon an ihrer Seite und erstach erst den einen Drader und dann gleich den zweiten mit seinem Messer. So schnell wie sie aufgetaucht waren, lösten sich die Wesen auch schon wieder in Rauchwolken auf.

Faith umklammerte ihr pochendes Handgelenk und immer noch mitgenommen von dem überraschenden Angriff drehte sie sich langsam zu dem Mann um. »Du bist Therianer.«

Er machte eine kleine Verbeugung, die kaum mehr als ein ausgeprägtes Nicken war. »Das bin ich. Genau wie du.« Er musterte sie von Kopf bis Fuß und an seiner Miene sah sie, dass er nicht sonderlich beeindruckt war.

Ihr Stolz meldete sich zu Wort und sie hob das Kinn. Sie hatte sich nicht für einen Abend in der Stadt schick gemacht, sondern trug Arbeitskleidung. Doch während sie einander musterten, passierte etwas. Ein seltsames Gefühl stieg in ihr auf, das Gefühl, sie würde ihn kennen. Als gäbe es eine Verbindung zwischen ihnen. Als würde sie irgendwie zu ihm gehören.

Der erstaunte Ausdruck auf seinem Gesicht sagte ihr, dass er das Gleiche fühlte. »Wer bist du?«

»Ich bin Faith.«

»Ich habe dich noch nie gesehen. Ich wusste gar nicht, dass es hier in der Nähe eine therianische Enklave gibt.«

»Ich lebe erst seit ein paar Monaten hier und es gibt hier keine Enklave.«

Sein Blick wurde forschend. »Du gehörst zu mir.«

»Ja.« Warum hatte sie das gesagt? Aber es stimmte. Sie spürte es tief im Innern. Sie wusste es. Heilige Göttin, das hier war nicht richtig. Sie schüttelte den Kopf. »Ich meine nein. Ich kenne dich ja nicht einmal.«

»Das Schicksal hat offensichtlich etwas mit uns vor, Faith. Es heißt, man würde seinen Gefährten immer erkennen.«

Die Worte ließen sie vollends innehalten. »Aber ich bin nicht … du bist nicht …« Das Herz schlug ihr plötzlich wieder bis zum Hals. Ihr Gefährte? Ihr Gefahrenradar hatte bei seinem Anblick sofort Alarm geschlagen, und wäre sie nicht von den Dradern angegriffen worden, hätte sie einen großen Bogen um ihn gemacht. Oder ihn mit Adleraugen beobachtet, bis sie sicher war, dass er keine Gefahr für ihre Mädchen darstellte.

Hatte sie ihn falsch eingeschätzt? Schließlich war er kein Mensch, sondern Therianer.

Ihr Gefährte.

Konnte das möglich sein? Der Gedanke war verführerisch. Als Kind hatte sie Geschichten über wundervolle Gefährten gehört. Sie waren eine Seltenheit und nur wenige Therianer durften darauf hoffen, den ihren zu finden. Ein Gefährte, mit dem man mit Herz und Seele verbunden war. Wenn sie nun doch einen gefunden hatte? Einen Mann, der sie vorbehaltlos lieben würde, der sie so verstand, wie es noch nie einer zuvor getan hatte oder je tun würde. Die Vorstellung erwärmte sie von innen und freudige Sehnsucht erwachte in ihr.

»Ich reise morgen nach Amerika ab. Du wirst mich begleiten.« Sein Tonfall war selbstsicher. Arrogant.

Faith sah ihn mit offenem Mund an. »Amerika? Morgen? Nein. Ich kann unmöglich …«

Doch er fuhr fort, als hätte sie gar nichts gesagt. »Ich bin zum Krieger des Lichts gezeichnet worden.«

Sie starrte ihn an und Überraschung wandelte sich in Ehrfurcht. Ein waschechter Gestaltwandler. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus.

»Das Haus des Lichts befindet sich jetzt in Amerika, in der Nähe von Washington, D. C. Die Krieger des Lichts erwarten mich. Wir reisen zusammen hin und werden dort dann unseren Bund schließen.«

Sie sah ihn weiter mit großen Augen an, während Gedanken und Gefühle in ihrem Innern Achterbahn fuhren. Das war zu früh, das ging zu schnell. Ihr Gefährte. Sie kannte ihn doch gar nicht. Ein Krieger des Lichts. Sie wusste noch nicht einmal, ob sie ihn überhaupt mochte. Das Tier zeichnete immer nur die Allerbesten. Die Gewissheit, dass sie zu ihm gehörte, blieb.

Wenn er es nun tatsächlich war? Der Eine. Seelenverwandte gab es so selten und man traf sie nur einmal. Wenn sie ihn jetzt gehen ließ, würde sie ihn vielleicht nie wiedersehen. Sie würde vielleicht nie erfahren, ob …

»Wo wohnst du?«, fragte er. »Ich werde dich morgen früh abholen.«

Sie schüttelte den Kopf und sah ihn hilflos an. »Ich habe hier … Leute.« Paulina und Maria. Mädchen, denen sie helfen wollte, aber sie gehörten wohl kaum zu ihr. Es war nur zu wahrscheinlich, dass sie bei beiden versagen würde. Paulina hatte sie vielleicht sogar jetzt schon verloren.

Das ist deine Chance, raunte ihr eine leise Stimme zu. Du hast dein ganzes Leben damit verbracht, anderen Mädchen zu einem besseren Leben zu verhelfen. Jetzt bist du an der Reihe.

Das Haus des Lichts. Das Heim der Krieger des Lichts. Ihr Gefährte. Der Traum eines jeden Mädchens.

Ärger huschte über die Miene des Mannes – sie kannte noch nicht einmal seinen Namen –, die sich dann aber langsam wieder entspannte, während er einen fast schon schmeichelnden Tonfall anschlug.

»Komm mit mir, Faith. Wir werden den Bund erst besiegeln, wenn wir uns beide ganz sicher sind. Aber wie sollen wir wissen, ob wir füreinander bestimmt sind, wenn wir nicht zusammenbleiben? Und ich kann meinen Flug nicht verschieben. Die Krieger des Lichts brauchen mich.«

Je länger sie mit ihm zusammen war, desto stärker wurde die Anziehung – Empfindungen, die aller Logik entbehrten, überrollten sie, allen voran das Bedürfnis, ihm zu gefallen. Loyalität. Hingabe. Die völlige Gewissheit, dass sie an seine Seite gehörte.

»Ja, natürlich werde ich mitkommen.« Die Worte waren heraus, ehe ihr Kopf überhaupt eine Entscheidung gefällt hatte. Sie kannte den Mann doch gar nicht! Aber andererseits würde sie ihn auch nie richtig kennenlernen, wenn sie nicht mitging. Und am Ende würde sie die nächsten tausend Nächte, vielleicht sogar zehntausend Nächte, allein verbringen und sich fragen, ob sie ihre einzige Gelegenheit, in ihrem Leben Liebe zu finden, vertan hatte.

»Aber ich muss zurückkehren; zumindest für eine Weile.« Sie weigerte sich, einfach aus Marias und Paulinas Leben zu verschwinden, ohne noch einen letzten Versuch unternommen zu haben, sie von der Straße zu holen und in Sicherheit zu bringen.

Er runzelte die Stirn. Einen Moment lang hatte sie die Befürchtung, dass er ihr das abschlagen und sie zwingen würde, zwischen ihm und den Mädchen zu wählen. Doch stattdessen nickte er kurz und musterte dann das Gebäude hinter ihr mit kaum verhohlenem Abscheu.

»Und hier wohnst du?«

»Ja.«

»Ich hole dich morgen früh um acht ab.« Ohne noch einmal zurückzuschauen, drehte er sich um und setzte sich in Bewegung.

»Warte!«, rief sie. »Wie heißt du?«

»Maxim.« Er machte sich noch nicht einmal die Mühe, sich umzudrehen.

»Wer ist Maxim?«, fragte Paulina, die plötzlich überraschend neben ihr stand. Dem Himmel sei Dank! Sie war zurückgekommen.

»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Faith wahrheitsgemäß. Mein zukünftiger Ehemann?

»Ich mag ihn nicht.«

Faith sah das Mädchen an. »Kennst du ihn?«

»Nein. Ich habe ihn noch nie vorher gesehen«, erwiderte Paulina finster, doch ihrem Gesichtsausdruck fehlte die übliche Streitlust. Und dann sprach sie leise weiter. »Irgendetwas stimmt nicht mit ihm.«

Faith drehte sich um und schaute dem Mann hinterher, bis er nicht mehr zu sehen war. Ja, etwas stimmte mit ihm nicht. Da hatte Paulina recht, aber nicht so, wie sie dachte. Maxim war kein Mensch. Er war unsterblich und ein angehender Gestaltwandler. Ein Krieger des Lichts. Einer der besten Männer, die die Therianer zu bieten hatten. Egal wie arrogant er auch wirken mochte, sie wusste, dass er tief im Innern ein guter Mann sein musste.

Und das Schicksal, die Göttin, hatte sie als seine Gefährtin auserwählt. Das konnte sie ja wohl kaum ignorieren.

Faith nahm Paulinas Hand und war froh, als der Teenager sie ihr nicht entzog. »Ich werde eine Weile nicht da sein, Paulina. Ich … gehe mit ihm. Nach Amerika.«

Paulina riss ihre Hand weg und starrte sie mit offenem Mund an. »Wann?«

»Morgen.«

Das Gefühl, im Stich gelassen zu werden, blitzte nur ganz kurz in den Augen des Mädchens auf, sodass es Faith beinahe entgangen wäre. Der Anblick tat ihr in der Seele weh.

»Ich komme zurück, Paulina. Spätestens in ein paar Wochen, um dann zumindest eine Weile zu bleiben.«

Das Mädchen wirbelte herum. »Nicht nötig!« Sie rannte fort.

Während sie dem schnell kleiner werdenden Mädchen hinterherschaute, sackten Faith’ Schultern herab unter der Last der Schuldgefühle und der Erkenntnis, dass sie bei Paulina viel mehr Fortschritte gemacht hatte als angenommen. Diese Fortschritte hatte sie jetzt mit ziemlicher Sicherheit zunichtegemacht.

Sie sollte hierbleiben und sie finden, um alles wieder in Ordnung zu bringen und das Vertrauen wieder aufzubauen. Sie sollte die Aufgabe zu Ende führen.

Doch tief in ihrem Innern drängte eine leise Stimme sie, etwas anderes zu tun. Du gehörst zu Maxim. Freudige Erregung stieg bei der Vorstellung in ihr auf, ihn zum Haus des Lichts zu begleiten und die Krieger des Lichts kennenzulernen. Der Gedanke war unglaublich, dass sie jemanden hatte, der sich etwas aus ihr machte, der sie liebte, der ihr die Tränen in die Augen steigen ließ und dafür sorgte, dass sich ihr Herz vor Sehnsucht zusammenzog. Du gehörst zu Maxim. Die Paarbindung begann sich bereits auszubilden und zu wachsen. Es ließ sich nicht leugnen und auch nichts dagegen tun.

Und die Göttin stehe ihr bei, aber das wollte sie ja auch gar nicht.

2

Hawke hob einen nackten Unterarm und wischte den Schweiß weg, der ihm über die Schläfe lief, als er das Tempo am Laufband im Keller des Hauses des Lichts erhöhte. Er hatte die ganze Nacht hier unten verbracht und Gewichte gestemmt, war gelaufen und hatte immer wieder jeden einzelnen Muskel trainiert, während seine Brüder am felsigen Ufer des Potomac entlangstreiften und gegen die Drader kämpften, die sich in der Nähe des Hauses des Lichts in Schwärmen herumtrieben. Körperliche Anstrengung war sein einziges Ventil für den aufgestauten Zorn, der in seinen wachen Stunden ein ständiger Begleiter geworden war.

Vor fünf Tagen war er dem Dunkel der Geistfalle entkommen und hatte das Bewusstsein wiedererlangt. Doch er hatte sie nicht völlig hinter sich gelassen. Die Wut, die ihn in der Falle fast verschlungen hätte, war geblieben; ein ständiges Brodeln, das ihn bei der leisesten Provokation überschäumen ließ. Ein Zorn, der nicht sein eigener war, sondern der seines Bussards, als gäbe das Tier ihm die Schuld, dass sie in die Falle geraten waren und fast voneinander getrennt worden wären.

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