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»Dass sich Monster wie du hierher trauen!« »Wenn ich ein Monster sehe, lasse ich es dich gerne wissen. Derzeit jedoch? Hm. Ne. Sieht alles schick aus.« Nachdem die Vergangenheit sich als alte Zukunft präsentiert hat, kann sie nun mit der Gegenwart eine neue Zukunft erschaffen. Eine, in der einstige Wunden zu Narben verheilen. Narben, die die Entschlossenheit stärken. Und Entschlossenheit, die den Frieden mit offenen Armen begrüßt.
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Seitenzahl: 425
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Prolog: Der rechte Weg?
Kapitel 1: Die Mutter des Herzens
Kapitel 2: Von Wahrheiten geplagt
Kapitel 3: Die Anklage
Kapitel 4: Der Mittelweg
Kapitel 5: Geständnisse über das Massaker
Kapitel 6: Verzerrte Zukünfte
Kapitel 7: Von Erinnerungen geplagt
Kapitel 8: Das Überwinden der Unterschiede
Kapitel 9: Rücken an Rücken
Kapitel 10: Familienflüche
Kapitel 11: Die Flucht ins Miteinander
Kapitel 12: Der Prozess der grauen Augen
Kapitel 13: Offenkundig anders unterwegs
Kapitel 14: Der letzte Brief
Epilog: Der richtige Weg
Mini-Glossar: Die Zukunftsvergangenheit
Begriffsverzeichnis
Personenübersicht aus diesem Band
Danksagung
Weiteres von der Autorin
Unschlüssig betrachtete TJ die massiven Türen vor ihm. Die Wachen hatten ihn zum Warten aufgefordert. Dabei sollte er eigentlich zu seinem Vater. Wegen der Planung eines Angriffs. Um die Monster endlich loszuwerden!
Und diesmal sollte er mitkommen. Er dürfte kämpfen.
Nur hieß das nicht, dass er auch wollte.
Reicht es nicht aus, dass Vater unseren Freund in das Ganze hineinzieht?, murrte seine zweite Seele.
Lass das, John. Ryan hat sich freiwillig gemeldet. Er will dort runter, korrigierte Tarek den anderen.
Denn seitdem die Mutter seines Freundes verschwunden war, war dieser wie ausgewechselt. Auch TJ’s Vater zog sich immer mehr zurück, sodass der Musuko sich mit der Einsamkeit anfreunden musste.
Ehe er sich versah, öffneten sich die Türen und der Meister des Sahasrara trat heraus. AW. Ein großer, blinder Mann, der stets ein wenig gebeugt lief. Er kam TJ immer etwas älter, etwas schiefer vor. Als wäre er irgendwie verschoben. Doch durfte TJ sich seine mulmigen Gefühle nicht anmerken lassen. Stattdessen machte er dem Mann etwas Platz, ehe er in das Büro seines Vaters trat.
Irgendwie schon komisch, meldete sich John still.
Was meinst du?
Na, ich glaube nicht, dass er ein Wildling ist, aber hast du je seinen Vertrauten gesehen? Es heißt immer nur, dass der Desson sehr stark wäre. Aber sonst?
Sein Desson geht uns nichts an, John! Gakumon bleibt ja auch gerne in unserem Schatten, lenkte Tarek ein.
Als hätte sein eigener Vertraute die Gedanken gehört, so entstieg er der Dunkelheit zu ihren Füßen. Er schüttelte dabei kurz den Kopf, als ob er sich orientieren müsste. Noch lernte er, wie er seine Kräfte beherrschen konnte. Dennoch beneidete TJ das kleine Wesen um diese.
Wie sehr er doch selbst verschwinden wollen würde!
»Vater«, grüßte er den Otou-san mit einem Nicken.
Falls dieser sich an dem Gruß störte, so zeigte er es nicht. Er saß einzig an seinem Tisch, schob Zettel umher und wies stumm auf einen Stuhl vor sich.
Nie auf das kleine Sofa. Das hatte er stets einer anderen Hushen vorenthalten.
Vor diesem hielt auch Arashi, der Vertraute seines Vater, Wache. Als ob er es beschützen müsse?
Huh …
Es dauerte mehrere Minuten, ehe LR aufblickte. Nickend nahm er TJ’s Anwesenheit zur Kenntnis. Jedoch schien er noch einen Moment zu brauchen, um das Wort zu erheben. Stattdessen reichte der Otou-san einen Stapel Papiere über den breiten Tisch.
»Zeit ist etwas Eigenwilliges. Das hatte schon EL, RS‘ Großvater gemeint, weißt du? Es gibt immer einen Punkt im Leben, an dem sie einem wegrennt.«
Obwohl weder Tarek noch John ihren Vater verstanden, nickten sie. Ihr Fokus lag bereits auf den Zetteln. Die ersten enthielten einen Angriffsplan. Dann folgten einige Sicherheitsvorkehrungen. Zuletzt hielt TJ ein Testament in den Händen.
Das Testament seines Vaters.
»Vater, es ist nicht sicher, wer sterben-«
»Ich habe eine gute Ahnung«, unterbrach dieser. Sein Lächeln wirkte zum ersten Mal ehrlich. Nicht aufgesetzt. Nicht vorgetäuscht. Es passte.
Der Musuko wollte es am liebsten immer sehen.
»TJ«, führte der Otou-san weiter aus, »Ich musste oft abwägen, was ich tun konnte und was ich tun musste, um zu erreichen, was für alle das Beste ist. Manchmal müssen wir schlimme Dinge tun, um gute zu erreichen. Manchmal haben wir den Luxus, mit guten Taten Gutes zu bewirken.
Und-«, er seufzte, »Was ich eigentlich sagen möchte, ist, dass der einfachste Weg nicht immer der beste ist. Der rechte Pfad ist nicht immer der richtige. Und manchmal muss man die Dinge genau dort anpacken, wo man sie am meisten verachtet, um Fortschritte zu machen. Genau wie bei Ragnarök.«
TJ spannte sich an. Darüber sollte er eigentlich nicht sprechen. Sein Vater hatte ihm verboten, das Wort in den Mund zu nehmen. Er hatte einzig erklärt, was Ragnarök bewirken wollte. Was sie alles zerstören wollten. Wer am wahrscheinlichsten zu der Vereinigung gehörte!
Nur um sich dann selbst mit diesen Hushen zu treffen und verbrüdern …
»Vater, ich habe mit niemandem aus Ragnarök-«
»Ich weiß«, wank der Otou-san ab, »Ich weiß. Ich- Ich war sonst immer zu streng mit dir, oder?«
TJ verbiss sich jeden Kommentar. Es war nicht so, dass sein Vater streng war, TJ hatte sich eher sein ganzes Leben lang alleingelassen gefühlt. Seine Mutter wollte nichts mit ihm zu tun haben, weil seine Zwillingsschwester direkt bei der Geburt verstarb. Sein Vater war als Otou-san allzeit beschäftigt und stellte nur Erwartungen an ihn. Gakumon war meist so darauf fokussiert seine Magien zu erlernen oder TJ’s auszugleichen, dass sie kaum ein ordentliches Gespräch führen konnten. Einzig RS und dessen Mutter waren für ihn da gewesen.
Doch war die Frau vor ein paar Jahren verschwunden und RS nach dem Dominanzwechsel nicht mehr derselbe.
Er war ein halber Fremder …
»Es ist nur einsam«, gab er leise zu.
»Ich weiß«, der Otou-san seufzte und deutete auf eine Passage in dem Testament, »Deine Mutter, der Tempel, DC, AW und dein Onkel haben Kopien hiervon. Aber du wirst auf diese Punkte hier unten bestehen müssen. Sie sind mehr, als nur ein Recht. Sie sind deine Zukunft. Und du wirst sie brauchen.«
Wir sollen auf Yuki aufpassen?, schrie John aus.
Obwohl Tarek auch nicht glücklich über diesen Teil war, so drängte er seine andere Seele zurück. Er konnte schon erahnen, warum sein Vater ihm den Desson unterwies.
Als Absicherung. Sie und Gakumon teilen sich einen Geist. Denk daran! Das hatte Arashi für unsere Schwester vorbereitet, gab er zu bedenken.
Dennoch hatte er den weißen Desson bislang nur selten gesehen. Meist turnte sie irgendwo auf Kumohoshi herum. Der Otou-san hatte verfügt, dass sie nur eine Vertraute werden dürfe, wenn der entsprechende Hushen zuvor seinen Segen bekäme. Jeder Angriff oder gar Nötigung des Dessons würde er sonst als Hochverrat erachten.
Nicht, dass man ihr viel Aufmerksamkeit schenkte. Sie war immerhin nur ein kleiner weißer Desson. Schwach in den Augen der Kämpfenden. Unfähig in den Augen der Besonnenen. Ihr wahrer Wert blieb ein Geheimnis.
Als der Otou-san die Hand wieder zurückzog, erblickte TJ einen anderen Punkt. Einen, der ihn innerlich aufatmen ließ und seine Sorgen eindämmte.
Wenigstens werden wir weiter mit RS zu tun haben!
Ein Fremder weniger, hm?, stimmte John ein.
Das war eine ihrer größten Sorgen gewesen. Obwohl RS nicht mehr SR war, so war er dennoch ihr einziger Kindheitsfreund. Er war jemand, mit dem sie lachen und weinen konnten. Und jemand, den TJ‘s Mutter und Onkel eigentlich nicht in seiner Nähe wissen wollten. Weil er ja der Sohn einer Ubriden war.
Jener halben Hushen, für die der Otou-san noch immer das Sofa freihielt.
»Das ist nur eine Absicherung?«, fragte TJ leise, als er die Zettel zurückgeben wollte.
»Ja und nein«, sein Vater verschränkte die Arme, sodass die Papiere bei TJ verweilten, »Wir werden in einer Stunde aufbrechen. In einer halben werde ich den Konzil informieren. Dabei werden die Leute von Ragnarök sich darum reißen, die Floris zu töten. RS wird mitkommen müssen, damit sie einen Hinterhalt ausschließen können. Und du wirst mit Gakumon das Nachhutteam 7c bilden«, erklärte der Otou-san mit gewohnter Strenge.
Einen Hinterhalt ausschließen … Von … ihm?, Tarek wurde unwohl bei der Vermutung.
Es klingt danach, oder? Aber … Ich dachte, er ist Teil von Ragnarök geworden? Wenn er ihre Werte teilt, sollte er sie dann nicht unterstützen wollen?
Es machte keinen Sinn! Und warum zerrte er RS in die Sache hinein? Warum mussten diese politischen Tänze TJ‘s einzige Freundschaft gefährden?!
»Vater. Ich verstehe nich-«
»Du wirst verstehen, wenn du verstehen musst«, brach der Mann ab, »TJ. Du musst nur wissen, dass ich nicht zulassen werde, dass die Hushen sich in ihren eigenen Untergang zerren. Dafür muss der Angriff auf die Macian nach Plan verlaufen: Ich werde mit einem Ragnarökteam ins Innere des Stützpunktes vordringen. Ich werde mit RS dafür sorgen, dass der Auxilius abgelenkt ist, damit wir ihn erledigen können. Ich werde die Floris töten und versuchen, zu ihrer Nachfolgerin durchzudringen. Doch wird mein Team dabei das größte Risiko tragen. Du bleibst deswegen hier«, sein Vater zog eine Geländekarte hervor, auf der ein gewaltiger Kreis eingezeichnet war – darum waren Kreuze verteilt, »Es ist unwahrscheinlich, dass ein Macian in Richtung der nächsten Hutansiedlung flieht. Daher bist du dort stationiert. Auch bist du nur als Späher da – sobald mehr als ein Macian erscheint, holst du dir Verstärkung, ja? Es sind fünf Angriffswellen geplant. Jede wird von dir ein Zeichen erwarten. Ein grüner Blitz, der ihnen verrät, dass alles in Ordnung ist. Ein schwarzer, wenn du Hilfe benötigst.«
TJ nickte der Flut an Informationen zu. Er fühlte sich wie in Trance. Es wäre sein erster Einsatz allein. Er wäre auf sich gestellt. Er hätte keinen Lehrer, keinen-
»Tarek John Kazoku. Ihr schafft das«, unterbrach der Otou-san seine Gedanken.
Obwohl TJ nickte, so glaubte er nicht daran.
Die restliche Vorbereitungszeit verlief wie im Fluge. Der Meister des Ajna blinzelte ihn zu seiner Position in der Nähe des Stützpunktes. Seine Abteilung hatte die des Anahata mit dem Verteilen der Markierungen unterstützt. Sobald der Mann fort war, begutachtete TJ seinen Posten neugierig. Dann den angrenzenden Pfad.
Er war in einem Wald. Davon hatte er schon mal gehört. Auch hatte er Zeichnungen davon gesehen. Gakumon hatte ihm damals erzählt, dass dessen Mutter in einem Wald wohnte. Aber einen zu erleben, war gänzlich neu für TJ. Er war so …
Grün?
Die Äste sehen so wirr aus, verkündete John ungläubig.
Generell wirkt es nicht sehr zivilisiert.
Wie auch? Es ist ein Wald, Tarek!
Damit machten sie es sich neben einem Baum gemütlich. Gakumon versank direkt in seinem Schatten. So blieben er und John etwas ausgeglichener …
»Meinst du, es klappt?«, fragte er seinen Vertrauten.
»Wir sind auf Mission«, gab dieser leise zu bedenken.
»Ich weiß, nur … Vater …«, TJ fand keine Worte für seine Sorgen.
»Unsere Väter sind schon immer streng uns gegenüber gewesen«, murrte das kleine Wesen, »Damit die Hushen eine starke Führung erhalten.«
TJ nickte. Er vergaß ganz gerne, dass Desson ja auch Eltern hatten. Dass Gakumons Vater, Arashi, der Vertraute seines eigenen war. Warum entfiel es ihm immer wieder? Weil die Wesen Desson waren? Oder weil er ihnen die Verwandtschaft nie ansehen konnte? Gakumon war ja so winzig. Und Arashi so groß wie ein Tiger!
»Es wird kommen, wie es eben kommt. Mach dich nicht jetzt schon verrückt«, murmelte Gakumon.
Erleichtert nickte TJ.
Dann kroch eine Gänsehaut über seine Arme. Die Erde erzitterte. Und ungläubig beobachtete er, wie der Boden plötzlich im Sonnenlicht zu funkeln schien.
»Hast du dich den Waisen bereits gezeigt?«, fragte TJ, sobald er mit SR am Waisenhaus ankam.
»In der Schule, klar. Sonst eher nicht so?«, der andere wirkte überfordert.
TJ konnte es ihm nicht verübeln. Er selbst war mit den Gedanken noch im Gruselhaus. Bei Maggie. Er hatte sie bei dem General und dem Ubrid zurückgelassen. Dabei konnte gerade nicht mal Yuki auf sie aufpassen …
Langsam regte sich Gakumon in seinem Ärmel.
»Mindestens ein Macian, der die Waisen zum Ziel hat. Wir müssen sie absichern. Jetzt. Wo ist Tatakai?«, erklärte er seinem Freund nebenbei, während er um das Haus rumlief, um nach SR’s Desson zu sehen. Dieser musste hier irgendwo sein. Er musste-
Sobald er die nächste Ecke umrundete, stand er einem kleinen Mädchen gegenüber. Sie fiepte auf, ehe sie sich umwandte und hinter einer Frau versteckte. Hinter JM. Daneben stand eine weitere Waise. Diese dunkelhaarige.
Damit hatte er schonmal zwei gefunden.
»Was soll das? Was-«
»Macian«, stieß TJ aus, »Wie viele von euch sind hier?«
Die Miene der Hushen verfinsterte sich sofort: »Anni, Mel – ins Haus. Jetzt!«
Ihr Tonfall klang so harsch, dass die zwei nicht einmal nachdachten. Es gab keine Widerworte. Fast, als spürten sie, dass Gefahr drohte.
»Heiko und Steve sind mit Borei drin. Er wird ein Auge auf sie haben«, erklärte JM.
»Warum ist Tatakai nicht hier?«, fragte SR.
»Weil er mit ins Dorf ist«, die andere zeigte zur Straße, »Vor ein paar Minuten rief die alte Semmelbeck an. Die GAK’s hatten ihren Vorgarten verziert. Sabine ist mit TC und Kati los, um die drei Chaoten abzuholen.«
TJ ging im Kopf die Waisenkinder durch. Ben und Flo waren ausgezogen. Wenn drei im Dorf waren, vier im Waisenhaus, dann … wo war der letzte? Niklas fehlte!
»Und dieser Nik?«
»Mit Janek in der Schule. Er sollte sicher sein, solange er da bleibt«, JM klang jedoch nicht überzeugt.
»Borei kann blinzeln?«, fragte er nachdenklich.
»Ja. Er kann die anderen in Sicherheit bringen, falls es brenzlig wird.«
Tarek! Wir müssen los!
Ja. Aber nicht planlos, gab er zurück.
»Lauf die Straße runter und halte die Augen nach Sabine und den beiden Kleinen auf. Begleite sie anschließend«, scheuchte er SR los, »Und du … Kannst du zur Schule und den anderen entweder einsammeln oder verbergen?«
»Willst du die GAK’s übernehmen? Die werden nicht auf dich hören. So viel kann ich dir versprechen.«
Obwohl er JM nicht mochte, so hatte sie nicht Unrecht. Aber irgendwie bezweifelte TJ, dass die drei Chaoten am anderen Ende des Dorfes in Gefahr waren.
»Nein. Das müsstest du noch übernehmen. Ich werde SR unterstützen. Nach allem, was wir wissen, ist die Gefahr direkt auf das Waisenhaus gerichtet. Also sind am ehesten der Weg hierher und das Gebäude selbst gefährdet.«
»Und da Macian nicht blinzeln können, siehst du Sabines Grüppchen als erstes Ziel«, beendete sie seine Gedanken nickend.
»Es ist am wahrscheinlichsten«, gab er zu, »Ich habe eine Markierung dort, wo Lisa umgekommen ist. Von dort werde ich mich vorarbeiten. Sorge du nur dafür, dass die Kinder im Dorf auch im Dorf bleiben, ja?«
Sie verschwand, ohne ihre Zustimmung zu geben. Doch sorgte sich TJ nicht. Er wusste, dass die Waisenkinder ihre Familie waren. Deswegen hatte Maggie ihr ja vertraut.
Dabei wollte TJ dieser Hushen eigentlich kein Vertrauen schenken. Sie hatte ihr Volk verraten. Sie hatte sich vor ihres Gleichen versteckt. Sie … Sie war jene Cousine, die nach den Regeln des Tempels nicht existieren durfte!
Er blinzelte sich direkt neben ein Blumenmeer. Für einen Moment grasten seine Augen die Blüten ab. Dann den Boden. Er wusste, wonach er Ausschau halten musste. Er wusste, welche Spuren die Macian hinterließen, wenn sie sich durch die Erde fortbewegten. Immerhin konnten sie nie zu tief unterwegs sein, weil sie sich an der Oberfläche orientieren mussten.
Das hatte Maggie ihm einst erklärt.
Sachte strich er ein paar Grashalme beiseite. Er konnte feine Risse darunter ausmachen. Sie zierten den Übergang zwischen Asphalt und Erde. Aber nur an einer Seite.
Er ist schon vorbei! Wir müssen los!, drängte John.
Doch hätte dieser nichts sagen müssen. Tarek blinzelte sich bereits den Weg entlang. Immer nur ein paar Schritte. Damit er die Risse im Blick behalten konnte. Durch das stetige Blinzeln schüttelte sich Gakumon endlich.
»Wir … Yuki …«
»Ihr und Mag geht es gut«, flüsterte er hinab, »Mach dich bereit. Mögliche Auseinandersetzung voraus.«
Mehr Worte benötigten sie nicht.
Und für mehr blieb TJ eh keine Zeit.
Er verharrte in der Bewegung, als er Maggies Vater vor sich auf der Straße erkannte. TJ stand schräg hinter dem Macian. Einige Schritte weiter befand sich SR, der sich vor Sabine und den Mädchen aufgebaut hatte. Tatakai hatte sich knurrend am Waldrand positioniert.
Sie hatten ihn.
Zornig blickte der Macian zwischen ihnen hin und her. Seine Arme waren erhoben. Doch war es keine friedliche Geste. Sondern eine, die einen Angriff ankündigte.
»Immer mehr Abschaum!«, schimpfte der Mann und ließ einen Arm herabschnellen.
Wurzeln brachen aus der Erde hervor. Die ersten bohrten sich in Tatakais Richtung, welcher hastig zu TJ sprang. Die nächsten schnellten den Mädchen entgegen-
Eilig blinzelte sich SR mit ihnen fort und tauchte kurz darauf wieder allein vor der Betreuerin auf, die ihn vor weiteren Wurzeln schützte, indem sie ihn zur Seite riss.
Am liebsten wollte TJ den Macian umbringen. Er wollte für Ruhe sorgen! Aber als er sein Zentrip umklammerte, musste er an Maggie denken. Und wie entschlossen sie gewirkt hatte, als sie von Frieden sprach.
Frieden ist nicht möglich, wenn wir das Recht in unsere eigene Hand nehmen, erkannte er missmutig.
Weichst du deswegen nur aus?
Wenn wir ihn töten …
Tarek. Uns. Sind. Nicht. Die. Hände. GEBUNDEN!
Seine andere Seele sandte ihm eine Erinnerung. Ein altes Protokoll aus der Akademiezeit. Für das Vorgehen bei der Macianjagd: Magiefluss unterbrechen. Macian binden. Dann ausknocken, damit der Abtransport gewährleistet werden konnte. Damit konnte der Macian von Macian zur Verantwortung gezogen werden! Denn TJ war nicht ihr Richter. Er war wie … Wie eine Wache?
»Gakumon? Umarmung.«
Der Desson stimmte dem neuen Plan augenblicklich zu.
Eilig ließ TJ einige Blitze über den Boden tanzen, um die Wurzeln zu desorientieren. Der Magiefluss des Macian brach ab. Maggies Vater sah ihn wütend an. Holte aus-
Sofort stand TJ hinter ihm.
Nur schien dieser es erwartet zu haben. Zielsicher knallte seine Faust in TJ’s Gesicht, sodass der Hushen taumelnd zurück stolperte. Er spürte, wie Gakumon aus seinem Ärmel sprang. Wie er selbst auf dem Boden aufschlug. Wie seine Sicht verschwamm. Dann keuchte jemand auf. SR fluchte.
Als TJ sich wieder fing, erblickte er eine Wurzel vor sich. Eine Wurzel, die von Maggies Vater ausging und ihn nur knapp verfehlte. Die dafür dieser Sabine in der Brust steckte. Doch rührte sich keiner der beiden. Maggies Vater wurde von seinem eigenen Schatten gefesselt. Von seinem und Gakumons, der diesen wie eine Umarmung um den Mann gelenkt hatte. Aber die Betreuerin? Es war, als wäre sie eingefroren. Als wäre sie-
»Tarek, hey! Lange kann ich das hier nicht aufrecht halten!«, schrie SR aus.
Verwirrt blickte TJ zu seinem Freund. Er starrte auf dessen Zentrip. Auf das Chakra, das dieser in die Wurzel leitete. Auf die Magie, die auch in Sabine floss.
»Was-«
»Ich halte ihre Zeit an, verdammt! Sobald ich loslasse, ist sie tot. Es sei denn, du hast ‘nen Heiler parat. Also?«
***
In Maggies Kopf drehte sich alles. Sie drückte Yuki an sich. Spürte, wie ihre Freundin viel zu flach atmete. Spürte aber auch, dass ihr Herz wieder fester schlug. Dass sie sich nicht mehr halb tot anfühlte …
Zum Glück.
»Kann mal irgendwer irgendetwas aus diesem verqueren Kauderwelsch erklären?«, rief Jessica aus.
»Wie kannst du es wagen-«
»General TaJu. Bitte«, unterbrach Maggie sachte, »Sie meint es nicht so. Sie ist unter Hutan aufgewachsen. Für sie sind Fragen nur Fragen.«
Und sie braucht ihre Antworten, dachte sie insgeheim.
Aber sie darf uns keine Fragen stellen, murrte Valerie.
Genauso, wie wir Mama damals keine stellen durften. Trotzdem haben wir es indirekt getan. Wir haben es von klein auf gelernt. Jessica jedoch nicht.
»Was sollen Fragen sonst sein? Bessere Klobürsten?«
Obwohl Maggie innerlich angespannt war, entfloh ihr ein Lächeln. Sie spürte, dass sie die andere vermisst hatte. Dass sie ihre Unbeschwertheit, die Einfachheit vermisst hatte. Diese praktische Sicht auf die Welt, die sie noch aus dem Waisenhaus kannte …
Und nun war ihre Stieffamilie deswegen in Gefahr.
»Du- Floris. Bitte verzeiht. Sie sollte nicht-«
»Ist in Ordnung. Sonst hätte ich sie gewiss schon zur Rechenschaft gezogen, oder?«, fragte sie den General.
Er verneigte sich.
»Moment. Ich soll mir keine Fragen erlauben, aber du darfst?«, Jessica blickte auf den Phönix in ihren Armen herab, »Kapierst du das?«
»Ich bin die Floris. Ich darf jedem Fragen stellen. Du hast derzeit keinen offiziellen Rang, also … du dürftest Kindern Fragen stellen. Aber da würde es schon aufhören. Nur«, sie schaute zum General, »Sie kann nichts über ihre Abstammung erfahren, wenn sie sich nicht nach dieser erkundigen kann, oder? Möglicherweise könnte ich mich abwenden, damit Ihr ihre Fragen unbeschwerter annehmen könnt, um Euer Gesicht zu wahren?«
General TaJu’s Augen weiteten sich, ehe er sich dankend verneigte. Dann schaute er nochmal zu Jessica herüber. Er wollte gerade den Mund öffnen, als SR sich mitten ins Zimmer blinzelte.
Mit Kathleen und TC.
»Muss wieder«, stieß er aus, ehe er erneut verschwand.
Obwohl beide Kinder sich sehr irritiert umsahen und der Feuergeneral angespannt wirkte, so fühlte sich Maggie endlos glücklich, die beiden Mädchen wohlauf zu sehen. Sie hievte sich von der Matratze in eine Sitzposition und breitete die Arme wie zu einer Umarmung aus.
»Hey. Alles gut?«
»Tantchen?«, fragte TC unschlüssig.
»Kommt her. Es ist in Ordnung«, beschwichtigte Maggie sie sachte.
Kathleen sprang sie fast um. Wimmernd klammerte sie sich an den Schnüren von Maggies Kleid fest. Zitterte!
Ob Vater das war?
Und ob!, Valeries Stimme schrillte zornig durch ihr Innerstes. Sie war schon fast wieder richtig wach – ganz im Gegensatz zu Alice, die statt vernünftiger Gedanken nur vereinzeltes Gemurmel vernehmen ließ.
Aber … SR ist so schnell wieder weg. Und TJ ist nicht hier! Was, wenn TJ verwundet wurde? Wenn Vater-
Dann werde ich ihn persönlich unter die Erde befördern!
Maggie sah unschlüssig nach der Hushen. Nach TC, die sich nur langsam an dem Feuergeneral vorbeischob. Die sich neben der Floris niederließ und sich an Maggies Arm festhielt. Als brauchte sie die Stütze!
»Was ist passiert?«, fragte sie das Kind sanft.
»Ma hat gemeint, wir müssten die GAK’s abholen«, erzählte TC still, »Tatakai kam mit. Durch den Wald. Dann tauchte so ein Macian auf und fragte, ob wir zum Waisenhaus gehören. SR kam dazu … und der Otou-san. Als sie anfingen zu kämpfen, hat SR uns hergebracht.«
»Du … weißt von der Magie und so?«, erkundigte sich Jessica mit großen Augen.
»TC ist RT’s kleine Schwester«, offenbarte Maggie, doch schien die andere ihr nicht folgen zu können, »Der andere Hushen. Der, mit der Brille.«
»Derselbe RT, der mich auch auf Kumohoshi rumgeführt hat, nehme ich an«, mischte sich General TaJu ein.
»Genau«, sie strich über Kathleens Rücken, »Hey … Alles gut, Kati?«
»Ihr seid … auch magisch?«, fragte das Kind langsam.
Auch?, Valerie klang verblüfft, Weiß sie von JM? Oder den Desson?
Ich … bin mir unschlüssig.
»Wie meinst du das?«, fragte Maggie vorsichtig.
Als Antwort zog sie einen Füller aus der Tasche und drückte die Spitze auf der alten Matratze auseinander. Sofort tanzte die Tinte heraus und schrieb ungefragte Buchstaben auf den Stoff.
‚Das habe ich von Papa.‘
»Es klappt nur bei Tinte. Weil Papa aus dem Wald kam. Deswegen habe ich immer so viel gemalt. Aber halt nur mit Tinte …«, erklärte sie.
Dann … Ist ihr Vater ein Desson, oder?
Obwohl sie Valeries Vermutung zustimmte, konnte sie nichts erwidern. Sie hatte nie vermutet, dass ihre kleine Stiefschwester Magie besaß. Sie hatte es nicht einmal in Erwägung gezogen! Doch nun …
Es machte so viel Sinn! Warum das Kind so gut Malen und Schreiben konnte. Warum es stets Buntstifte mied. Warum ihre Hausaufgaben immer wie gedruckt aussahen. Warum sie aber immer allein dafür sein wollte.
Und warum Lisa die Bilder ausmalen sollte …
»Es sieht schön aus«, bemerkte Maggie, als sie die unruhigen Augen des Kindes erblickte, »Sehr schön.«
»Danke!«
»Sie sind beide-«
»Kinder«, unterbrach Maggie den General, ehe er die falschen Worte wählen konnte.
»Aber sie könnten Euch gefährden. Sie könnten-«
Sie gebot ihm mit ausgestreckter Hand Einhalt. Sie konnte nichts gegen ihre Stieffamilie hören. Nicht, wenn ihr eigener Cousin sie betäubt hatte. Nicht, wenn er sich ihr aufzwingen wollte. Nicht, wenn TJ sie aus dem Schutz des Stützpunktes retten musste!
Wo war SteMa eigentlich? Und wie lange war sein … Überfall her? War … war etwas passiert?
Da die Kinder sich von ihr gelöst hatten, als Kathleen den Füller herausgekramt hatte, konnte sie mit einer Hand durch die Falten ihrer Kleidung tasten. Sie schaute, ob noch alles an seinem Platz war. Ob die Schnüre noch korrekt gebunden waren. Sammelte angestrengt etwas Heilwasser. Tastete damit in sich hinein.
Alles fühlte sich normal an.
Die Erleichterung überkam sie so heftig, dass Maggie auflachen musste. Sie spürte, wie selbst Valerie den Atem angehalten hatte. Wie ihr Auflachen Alice kitzelte. Wie die Najade sich daraufhin zu strecken schien.
Bei Himmel und Erde und was-noch-immer: Danke, dachte Maggie still, Einfach nur danke!
Es … Ich hatte SteMa’s Absichten nicht erwartet. Ich hätte aufmerksamer sein müssen. Ich hätte-
Du kannst nicht alles im Blick behalten, entgegnete sie Valerie, Ich hätte auch besser aufpassen müssen. Und Alice hatte sich davor komplett verausgabt.
Aber ich hätte-
Du bist nicht die Dominante, die Worte schienen endlich zu ihrem sonst so mürrischen Ich durchzudringen, Ich bin es geworden, als du die Vergangenheit vor uns verstecken wolltest. Ich hätte mit SteMa’s Überfall rechnen müssen. Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Ich … Es ist meine Schuld. Nicht deine. Mach dir bitte keine Vorwürfe.
Endlich lenkte Valerie ein.
Maggie wandte sich Jessica zu: »Ich brauche Wasser. Für Alice, damit sie zu Kräften kommt.«
»Wasser?«, sie runzelte die Stirn, »Dein Freund sprach von Ruhe.«
»Dafür ist keine Zeit«, entgegnete die Floris jedoch, »Nicht, wenn Kathleen und TC zuvor fast angegriffen wurden. Bitte. Einfach nur Wasser, ja?«
Nachdenklich schaute die Blondine in Richtung Küche. Dann nickte sie zögerlich. Doch wirkte es nicht so, als ob sie rüber wollte.
»Gibt es ein Problem?«, murrte der General.
»Ehm. Keine Ahnung. Ich habe Sven nicht gefragt, ob ich über die komischen Symbole rüber kann oder ob sie dann irgendwas machen und- kannst du den Hokuspokus lesen?«, fragte sie an TC gewandt.
»Du kennst Sven? SR?«, fragte diese unschlüssig.
»Blonder Kerl mit Mordslaune, wenn Flatterknirps was ankokelt? Joaps.«
Sobald TC den Phönix sah, war das Eis gebrochen. Begeistert rannte sie am General vorbei und grüßte den Feuervogel, welcher sofort vergnügt fiepte. Er ließ die Flamme auf seinem Kopf so hell aufleuchten, dass die Hushen lachte und ihn fragte, wie es ihm ergangen wäre.
»Sie kennen sich«, entfloh es General TaJu ungläubig.
»TC traf ihn, nachdem er gerade wiedergeboren wurde«, gestand Maggie, »Sie-«
Das Kribbeln lenkte sie ab. Es kam von ihrer Narbe. Von TJ’s Markierung!
Mit einer hastigen Bewegung schob sie den Ärmel beiseite und zog Kathleen ein Stückchen in die andere Richtung. Damit TJ mehr Platz hätte. Damit er direkt bei ihr auftauchen konnte!
Etwas, was er geradezu eilig tat.
Stumm legte er eine Hand an ihre Wange. Er atmete leise aus. Viel zu leise, bei dem ganzen Tumult, der zwischen TC, Jessica und dem Phönix aufgekeimt war, als diese ins Gespräch verfielen. Dennoch spürte sie die entwichene Luft dank Valerie.
Und sie fühlte sich sofort etwas leichter.
»Ma. Und SR. Ist alles-«
»Du kannst echt nie an dein eigenes Wohl denken, hm?«, schimpfte er sachte.
Sie schüttelte langsam den Kopf, nur wurde ihr von der Bewegung schwindelig. Sie kam zu abrupt. Dabei musste sie doch wieder zu Kräften kommen!
»Was fällt dir ein, die Floris einfach so zu berühren?«, meldete sich der General erneut.
In Maggies Ohren klang er wie ein Bote der Traditionen. Nur durften diese Traditionen hier nicht beachtet werden. Nicht, wenn sie alles nur verkomplizierten!
»General. Es reicht. Habt Ihr Euch schon mit Jessica ausgetauscht?«, sie wies zu der anderen herüber, die ihr daraufhin nur einen wütenden Blick schenkte und etwas Abstand zu dem Mann suchte.
Doch war es Maggie egal. Sie wandte sich lieber TJ zu.
»Du hast abgelenkt. Das machst du nur, wenn etwas nicht stimmt.«
Er nickte langsam: »Wie geht es Alice?«
»Ist jemand verletzt?«
»Mag. Bitte. Ich … Bitte einfach nur antworten. Wie geht es Alice?«
»Sie ist noch nicht wieder wach«, gestand Maggie, »Vor ein paar Minuten hat sie sich geregt, aber ansonsten schläft sie noch. Sie hat sich zu sehr verausgabt, ehe SteMa mich abgefangen hat.«
»Könntest du jemanden mit ihren Kräften heilen?«, fragte er weiter.
»Kratzer, ja«, Maggie umarmte sich selbst, »Sonst? Ich weiß nicht. Es sind ihre Heilkräfte.«
»Und wenn du nur Heilwasser erschaffen müsstest?«
Als Antwort kreiste sie mit der Hand zweimal durch die Luft. Es sammelten sich nicht viele Tropfen dahinter – dafür war die Luft im Gruselhaus zu trocken. Aber ein paar kamen zusammen.
Und sie leuchteten sachte.
»Ich brauche mehr Wasser. Hier ist zu wenig«, noch während sie sprach, reichte TJ ihr die Wasserflasche, die er unter seinem Mantel trug.
»Wandel es um oder trink es erst aus, wenn es dir mehr hilft«, er wandte sich an den General, als sie die Flasche an den Mund setzte, »Kannst du heilen?«
»Was erlaubst-«
»Hm-mh«, Maggie schluckte eilig runter, »Dafür braucht man eine Wasseraffinität. Wie LaNa.«
»Die Auxilius von deinem Bruder?«
»Ja.«
TJ trommelte unruhig mit den Fingern über sein Bein.
»Tarek John. Was ist los?«, versuchte sie erneut zu ihm durchzudringen.
»Würdest du dieser LaNa vertrauen?«
Die Frage überraschte sie. In der Ferne spürte sie, wie ihr Bruder nach dem Gespräch lauschte. Nein. Er war mit dabei. Seitdem sie wieder wach wurde. Nur hatte sie ihn kaum bemerkt. Weil ihr immer noch so schummerig im Kopf war? Sie konnte ja kaum verarbeiten, dass Kathleen ein Ubrid war!
»Ich … Ich denke?«
»Dein Bruder hat mitgehört?«
Sie nickte langsam.
»Ich hol die zwei ab und-«
»Nein!«, Maggie wollte aufspringen, doch stürzte sie dabei über ihre eigenen Beine. Yuki rutschte ihr vom Schoß. Sie sah den Boden näherkommen-
Ehe sie hinknallen konnte, fing TJ sie und den Desson auf. Er drückte sie sachte auf die Matratze zurück. Zog die Stirn in Falten.
»Lasst von der Floris-«
»General TaJu, ist das der Tonfall, den Ihr bei Eurem zukünftigen Lyx anschlagen wollt?«, fragte Maggie, deren Nerven langsam pochten, »TJ. Nicht- Hier sind schon genug Baustellen. Bring mich zu LaNa und TriSte. Dann kann der General vielleicht auch nochmal ein wenig den Blickwinkel wechseln, wenn er sich mit Jessica unterhält.«
»Du willst den Opi bei mir lassen?«, mischte sich Jessica ein, »Muss das sein?!«
»Ja. TC und Kathleen auch erstmal«, entgegnete sie ihrer Schülerin, »TJ. Es muss so sein.«
»Ist gut«, damit blinzelte er sie nach Kumohoshi – in jene Räume, die Maggie nur aus der Gedankenwelt ihres Bruders kannte.
»Floris. Ihr-«
»Wer muss geheilt werden?«, unterbrach sie LaNa’s Worte, als sie, am neuen Ort angekommen, erneut Wasser aus der Luft fischte.
Hier fiel es ihr leichter. Doch war es immer noch nicht perfekt. So lange Alice schlief, fühlte sich ein Teil ihres Bewusstseins verriegelt an. Es war ein bizarres Gefühl. Eines, dass sie erschaudern ließ!
»Deine Ma.«
Etwas in ihr hatte die Antwort vermutet. Wenn SR verletzt wäre, hätte TJ ihn gewiss zurück nach Kumohoshi gebracht. Eine Hutan jedoch?
Und eine, die Maggie so viel bedeutete?
Ihre Hände stockten.
Sie wird wieder, Mag. Konzentriere dich!
Aber was, wenn nicht? Was, wenn sie uns genommen wird. Genauso, wie Ma damals? Als Arashi uns zu Boden zwängte und-
Das weißt du nicht.
Du ja auch nicht!, Maggie wollte schreien, Erst Lisa. Jetzt Ma. Ich kann das nicht! Ich- ich will das nicht! Nicht sie. Nicht unsere Ma …
Finger legten sich auf ihre. TJ war da. Dann spürte sie, wie TriSte durch ihre Gedanken schweifte. Ihr Blick war verschwommen. Sie brauchte einige Momente, ehe sie ihn sehen konnte. Wie er dort saß. Direkt vor ihr. Auf einem Sessel. Etwas blass, aber wach.
Ob sie genauso blass aussah?
Und wie blass würde ihre Stiefmutter aussehen, wenn LyA mit ihr fertig war?!
»Wir müssen los. Jetzt. Wir- Ma! Sie- Sie braucht Hilfe. LaNa. Du- Du musst-«
Wieder tanzten die Sterne vor ihren Augen. Nur verlor sie diesmal nicht das Gleichgewicht. TJ stützte sie. Er war an ihrer Seite geblieben.
»Wir müssen«, stimmte TriSte zu und stemmte sich auf, »Komm schon, LaNa.«
»Aber, Radix!«
»Wir müssen los und du wirst jemanden für meine Schwester heilen. Ohne Fragen zu stellen«, erklärte er und schleppte sich zu ihnen, »Niemand stirbt heute.«
Damit kam auch seine Auxilius herüber und nahm ihr das frische Heilwasser ab. Diese wenigen Tropfen, die dennoch hell erstrahlten. Die heller strahlten als jenes alte Heilwasser, das die Frau an ihrem Gürtel trug.
Dankbar nickte Maggie. Sie spürte, wie Fell sich gegen ihre Seite drängte. Dann erblickte sie Yukis verschlafene Augen und nahm den Desson erleichtert von TJ entgegen.
Dabei bemerkte sie, dass seine Hände sofort durch drei Handzeichen glitten.
Prompt war RT bei ihnen. Dann blinzelten sie los.
Die Lichtung erkannte Maggie sofort wieder. Sie hörte ein Stöhnen hinter sich. Wollte sich am liebsten umdrehen, doch hielt TJ sie davon ab, indem er ihre Schulter drückte.
»Die Frau«, erklärte er der Auxilius, »SR hält ihre Zeit an. Sobald er loslässt, muss sie geheilt werden, sonst …«
Die Art, wie er den Satz ausklingen ließ und wie selbst TriSte sich neben Maggie schob, als wolle er sie davon abhalten, sich nachzusehen, bescherte ihr ein mulmiges Gefühl im Bauch. Dennoch atmete sie durch-
-und tastete durch die Erde. Nach den Pflanzen. Nach den Wurzeln, die von ihrem Vater ausgingen und die-
Er hatte ihre Ma durchbohrt.
Alice! Bitte! Ich weiß nicht, ob LaNa das schafft! Wir brauchen dich!, schrie sie in sich herein.
Und wenn du dich irrst? Wenn du-
Val! TJ meinte eben, dass sie die Zeit anhalten mussten! Das machst du nicht, bei einem kleinen Kratzer!
Und wenn er überreagiert?
Das glaubst du doch selbst nicht!, schaudernd presste sie Yuki an sich, TJ war in zu vielen Schlachten – er hat genug Wunden und Verletzungen gesehen, um eine ernste von einer Schramme zu unterscheiden!
Ein Gähnen zog sich durch ihre Gedanken.
ALICE! AUFWACHEN!
Endlich schien die andere Seele sie zu vernehmen. Ein stilles Huh schallte durch ihre Gedanken.
Maggie nahm es als Aufforderung. Abrupt riss sie sich los und wandte sich um. Sie schaute zu SR und ihrer Ma. Sandte die Bilder in ihre Gedankenwelt. Ihre verwundete Ma. Wie LaNa die Wunde begutachtete. Wie die Heilerin die Brauen verkrampfte. Wie ihre Haltung sich anspannte! TriSte und TJ versuchten beide, auf Maggie einzureden. RT schob sich dazwischen-
»Sie. Ist. Meine. Ma.«, Maggies Stimme zitterte, »Ich muss ihr helfen. Ich muss!«
Wie ist- Was ist passiert?!, die Bilder schienen Alice endlich aufzuwecken.
Vater ist passiert, Maggie lenkte ihre Aufmerksamkeit nach innen, Ich habe Heilwasser erschaffen können. Aber ich kann ihr so nicht helfen. Bitte, Al. Du musst etwas tun! Wenn mir die Beine nachgeben sollten: Was soll’s! Aber Ma darf nicht unseretwegen sterben. Sie. Darf. Nicht!
Dem stimmte die Najade sofort zu und nahm Maggie die Dominanz ab.
»Helft mir rüber«, erklärte sie, »Ich muss das tun.«
»Mag du-«
»Ist gut, Al«, unterbrach TJ ihren Bruder und blinzelte sie direkt neben LaNa.
Aus der Nähe sah die Wurzel und das Loch in der Brust ihrer Stiefmutter so viel größer aus! Auch wirkten die Augen der Betreuerin viel zu glasig. Das konnte kein gutes Zeichen sein! Insgeheim war Maggie froh, dass sie die Kontrolle für die Heilung abgeben konnte. Doch sorgte sie sich immer noch.
Was, wenn Alice‘ Kräfte schwankten? Wenn sie die Heilung nicht beenden könnte? Oder wenn es die Najade zu sehr auslaugte? Wenn es ihre dritte Seele … tötete? Konnte sie bei einer Heilung sterben?
»Sie wirkt zu starr«, bemerkte Alice.
»Sobald ich ihre Zeit loslasse-«
»Muss die Wurzel raus und ich bin gefragt«, vollendete Alice den Gedanken des Hushen, »Maggie übernimmt das Holz. Ich das Wasser. Du die Zeit. Auf drei.«
Moment! Ich kann das nicht!, schrie Maggie aus.
Du. Musst, bestand Valerie jedoch, während sie draußen bereits die ersten beiden Zahlen aufzählten.
»Drei!«, SR fiel keuchend zu Boden, sobald er von ihrer Ma abließ.
Panisch lenkte Maggie ihre Affinität in das Holz. Sie zog daran. Zerrte es zurück in die Erde. Riss es hinab. Nur fort von ihrer Ma!
Vor ihren ängstlichen Augen schloss sich das Loch in deren Brust wieder.
Stumm begutachtete sie Alice’ Werk. Sie traute sich nicht, ihrer Ma ins Gesicht zu blicken. Was, wenn die Augen sich nicht mehr bewegen würden? Wenn sie erstarrt waren? Wenn sie zu lange gebraucht hatten?!
»M- Mag?«
Die Stimme klang verzerrt. Irgendwie abgehackt. Doch sie war lebendig. Ihre Ma- Sie lebte, oder?
Sie wird … wieder … bin müde … Bin …
Damit verblasste Alice in ihr.
Und endlich konnte sie ihrer ehemaligen Betreuerin und Ziehmutter in die Augen blicken. Die Frau, die Maggie die ganzen letzten Jahre umliebt und umsorgt hatte. Die Frau, die die Flora wie ihr eigenes Kind behandelt hatte!
Zittrig strich Maggie über das faustgroße Loch in ihrer Kleidung. Dann fiel sie der Frau schluchzend in die Arme. Sie klammerte sich an ihre Ma. Dachte daran, dass sie auf der Waldstraße waren. Auf derselben, auf der TriSte Blumen für ihre tote Stiefschwester gepflanzt hatte. Auf der Lisa und Risu gestorben waren!
Aber nicht ihre Ma. Ihre Ma hatte überlebt.
Tristens Kopf drehte sich noch etwas. Doch sonst ging es ihm wieder besser. Nachdenklich beobachtete er, wie seine Schwester in den Armen dieser Hutan lag. Wie sie bebte. Wie sie nicht loslassen wollte. Wie-
Sie hätte es nicht überstanden, wenn der Frau etwas zugestoßen wäre, murmelte Steffen ungehört.
Wie geht es ihr?
Ich kann immer nur kurz reinschauen, entgegnete seine andere Seele nach einer Weile, In ihrem Kopf dreht sich noch alles. Es fühlt sich viel zu durcheinander an. Ganz zu schweigen von Alice.
Ja, ja. Aber wie geht es ihr?
Ich … ich weiß nicht … Vater ist hierfür verantwortlich. Und dann noch SteMa’s Versuch, sie zu vergewaltigen … Generälin LiJu wird man gewiss mit nichts von alledem in Verbindung bringen können. Daher fühlt es sich für Vali und Maggie bestimmt wie ein riesiger Verrat an …
So wie Steffen es formulierte, wusste Tristen, dass er nicht weiter nachbohren sollte. Ob dieser sich jedoch vor der Antwort ihrer Schwester fürchtete oder sich selbst unwohl fühlte, war ihm unklar.
Soll ich einmal-
Nein!, schrie Steffen fast auf, Bitte. Sie- Wenn du jetzt zu sehr drängelst, wird sie sich nur wieder verschließen. Du-
Noch während Steffen sprach, trat der Otou-san an sie heran. Tristen beobachtete angespannt, wie er Maggies Schulter drückte und sie zu ihm aufsah. Langsam nickte sie. Beinahe, als stimmte sie seinen stummen Worten zu. Erst dann ließ sie sich beim Aufstehen von ihm und der angespannten LaNa helfen.
»Mag? Alles gut?«, fragte die Hutan.
Erst nun bemerkte Tristen, dass sein Vater verschwunden war. Auch hatte sich Maggies Kleidung verändert. Es war so flüssig geschehen. Mitten in ihrer Bewegung! Es wäre ihm gewiss nicht einmal aufgefallen, hätte er nicht die Bänder an ihrem Kleid vermisst.
Und das Loch in der Bluse dieser Betreuerin.
»Die Nacht war etwas unruhig«, behauptete Maggie lächelnd, »Du hast Glück, dass Trish und Kathleen mir vor die Füße gelaufen sind. Sie meinten, dass du umgefallen bist. Zu viel Mittagssonne?«
»Ich-«, die Frau betastete ihre Brust, »Glaube … Ich hatte einen komischen Traum, in dem …«
»Du sollst doch ordentlich trinken, Ma«, obwohl Maggie nicht lauter sprach, so wirkte sie dennoch eindringlicher, »Ab nach Hause mit dir.«
»Aber … Ich muss die GAK’s abholen. Ich muss …«
»Schon erledigt«, behauptete Maggie weiter, »Mach dir keinen Kopf, ja? Sie kommen gleich nach. Und nun ab nach Hause mit dir.«
»Na los, ich habe eh gerade Zeit. Ich begleite Sie kurz«, mischte sich dieser SR ein.
Er ergriff den Arm der Frau und führte sie die Straße entlang. Tristen konnte einige verschobene Worte von ihm ausmachen. Etwas darüber, dass sie aufpassen solle, wo sie hintrat. Dass sie sehr stark schwanke. Dass sie sich nicht sorgen solle. Dass er sie stützen würde.
Schon waren sie hinter einer Biegung verschwunden.
Sofort verblasste die Illusion und das Kleid der Floris sah wieder normal aus. LyA war zurück. Eingebunden in etwas Schwarzem … in seinem Schatten?
»Die Illusion-«
»Genso ist mit und hält sie aufrecht, bis sie sich etwas anderes angezogen hat«, erklärte RT.
Die Erleichterung im Gesicht seiner Schwester war so gewaltig, dass TriSte sich davon erschlagen fühlte.
»Was ist mit den GAK’s?«, fragte Maggie den Otou-san, »Und TC und Kathleen sind im Gruselhaus – mit Jessica und dem Feuergeneral. Und-«
»Denk doch ein einziges Mal nur an dich«, seufzte der Hushen fast flehentlich, ehe er sie in seine Arme schloss.
»Aber-«
»JM wollte nach den Chaoten und diesem Niklas sehen. Und TC schafft es schon, dass Kathleen nicht mit der Magie überfordert ist. Alles gut.«
»Das ist es nicht- Kathleen ist magisch.«
Überraschung schlich sich in das Gesicht des Otou-sans, doch schien er es direkt zu akzeptieren.
Geht er nicht viel zu offen damit um? Ob er es gewusst hat? Ob er das Kind auch ins Waisenhaus gebracht hatte?
Nein, ich glaube nicht, Steffen sandte ihm ein Bild aus Maggies Sicht, als das Kind ihre Kräfte präsentiert hatte, Damit sollte ein Hushen nichts zu tun haben, oder?
Du meinst, er akzeptiert es so schnell wegen Maggie?
Seine andere Seele sandte ihm Zustimmung entgegen.
»Floris … Bei allem Respekt – ich kann nicht Euch und Euren Bruder zugleich beschützen«, meldete sich LaNa plötzlich unbehaglich.
»Und vor wem magst du uns beschützen?«, hinterfragte seine Schwester so schroff, dass Tristen fast Valeries graue Augen erwartete.
»Floris. Die Hushen haben Euren Vater-«
Endlich blickte Maggie zu dem festgebundenen Mann herüber. Sie spannte sich an. Etwas knarrte unter seinen Füßen. Wind bauschte auf. Obwohl sie so geschwächt war, war ihre Magie so wach. So … rasant!
»Maggie?«, Tristen trat näher auf sie zu, »Was-«
»Hast du gewusst, was er Mutter angetan hat?«, fragte sie viel zu leise.
Verwirrung machte sich in TriSte breit. Er spürte, wie Valerie durch die Duria schlüpfte und in ihn hineintastete.
Als würde sie seine bloßen Gefühle als Antwort verstehen, eilte sie wieder fort. Die Floris wandte sich ab. Sie lehnte sich gegen den Otou-san. Zitterte. Blieb jedoch bei dem Hushen. Schien seine Kraft zu trinken.
»Ich weiß leider nicht, was du damit meinst«, antwortete Tristen, obwohl er spürte, dass sie dasselbe dachte.
»Schon gut …«, Maggie sackte etwas in sich zusammen, »Schon gut …«
»Du brauchst Hilfe«, erklärte der Otou-san sicher, »Du kannst dich kaum auf den Beinen halten. Kannst du sie heilen?«, fragte er LaNa.
»Nein«, die Floris schüttelte schwerfällig den Kopf, »Ich muss zum Stützpunkt zurück – mit SteMa und … meinem Erzeuger. Ich muss eine Anklage vortragen.«
»Du bist zu schwach!«, widersprach TriSte eilig, »Wenn es schief läuft-«
»Deswegen«, beteuerte Maggie, »Wenn wir zu lange warten und sich mein Zustand verbessert, werden wir die Grundlage verlieren«, sie streckte ihm die Duria entgegen, »Deswegen – es muss so gehen.«
Unschlüssig legte er seine Steinhälfte auf ihre.
Sofort fühlte sich sein Kopf größer an. Gedanken durchfluteten ihn. Erinnerungsfetzen, die sie bislang vor ihm verborgen hatte. Aber da waren auch frische dabei.
Erst sah er, wie sie auf dem Weg zum Waisenhaus war und ein Mädchen mit JuNi’s Augen sah. Dann wie sie einwilligte, ihr bei ihrer Kontrolle zu helfen. Wie das Mädchen ihre Mutter verloren hatte und Maggie den frisch geborenen Phönix zu ihr brachte. Wie das Mädchen bei SR blieb und General TaJu vorgestellt wurde.
Dann kamen die Erinnerungen aus dem Stützpunkt. Wie LyA sich aufregte. Wie SveA ihn fortbrachte. Wie SteMa seine Mutter beschuldigte und Maggie einwilligte, sich in Ruhe mit ihm zu unterhalten.
Nur versuchte er stattdessen, sie zu überwältigen. Er sprach davon, wie LyA einst zum Lyx wurde. Wie TriSte entstanden wäre. Dass nicht alle aus dem Waisenhaus den Besuch ihres Vaters überleben müssten …
Als die Erinnerungen abbrachen, schüttelte er den Kopf. Tristen hatte nie gewusst, dass er die Absicherung seines Vaters gewesen war. Seine Mutter hatte ihn nie von sich gestoßen. Sie war ihm gegenüber immerzu herzlich gewesen. Klar, er hatte öfter das Gefühl, dass sie einen besseren Draht zu Maggie und Valerie hatte. Doch hatte er dies stets auf ihre Positionen geschoben. Nie …
Maggie hätte diesen Teil der Wahrheit nie vor uns verbergen können …, erkannte Steffen.
Du meinst, dass sie es uns deswegen gezeigt hat?
Genau wie bei diesem Mädchen. Dieser Jessica Nicole. Es wirkte, als wolle sie alle Geheimnisse loswerden.
Damit wir das Mädchen nicht zurechtweisen?
Glaube …
»Wie lange hält das … da?«, fragte er den Otou-san, auf die schattige Bindung an seinem Vater weisend.
»Solange Gakumon durchhält«, bemerkte dieser, ehe er einen Blick auf Maggie warf und seufzte, »Gakumon hat über Yuki etwas abbekommen, ich schätze also mal … ein, zwei Stunden. Danach wird es kniffelig.«
Die Art, wie sich der Hushen vor ihm öffnete, war neu und bekannt zugleich. Irgendwie irritierte es Tristen, dass der Otou-san so entspannt blieb, wenn Maggie zugegen war. Auf Kumohoshi war er ihm kühler erschienen …
»Können wir ins Gruselhaus? Wir werden General TaJu für die Anklage benötigen … ebenso wie diese Jessica«, erklärte er.
»Mag hat es dir gezeigt? Alles?«, obwohl der Hushen die Frage an ihn richtete, nickte sie in seine Brust.
Ob die Duriaverbindung sie noch mehr ausgelaugt hatte?
»In Ordnung«, der Otou-san wank ihn und LaNa heran, »Bring den Kerl direkt in die Küche«, befahl er jedoch an RT gewandt, ehe er sie fortbrachte.
***
Jessica beobachtete, wie ihr kleiner Flatterrisu mit TC spielte. Das Mädchen ähnelte ihrem Bruder vielleicht vom Äußeren, allerdings hätte sich die Naar diesen oder gar irgendeinen anderen Hushen nie so verspielt vorgestellt. Dafür erschienen sie ihr zu …steif?
»Deine Mutter ist wirklich eine Hutan?«
»War, ja«, antwortete sie dem Opi ungeduldig – sie verstand nicht, wieso er so an ihr kleben musste, »Und ja, ich bin mir immer noch sicher, dass sie meine Mom war. Sehr sogar.«
»Ja … Ich hatte nur nicht erwartet, dass JuNi … Ich meine, jede Form der Blutvermischung wird nur ungern gesehen und …«
»Was stört dich daran?«
Der Mann rümpfte die Nase. Er atmete angespannt aus. Schloss die Augen.
»Du kennst keine unserer Gepflogenheiten, oder?«
»Super! Soll ich nun raten, welche du meinst?«
»Alle.«
Obwohl er streng sprach, wirkte er nicht wütend. Eher besorgt. Als würde sie Probleme bekommen, wenn er ihr nicht half.
Er meint es sicherlich nur gut. Immerhin ist er Dads Onkel, oder? Er ist Familie!
Langsam, Nici! Du hast gemeint, dass Dad immer nur von seiner jüngeren Schwester gesprochen hat. Woher soll nun der Opi kommen? Erinnerst du dich an den komischen Vogel?!, fragte sie Nicole.
Kann sein? Je mehr ich mich mit deinen Erinnerungen befasst habe, desto mehr sind meine eigenen verblasst.
Also hatten sie nur die Aussage von Maggie und dem Opi. Na klasse!
»Du trägst Hutansachen. Ohne Schnüre. Und du stellst zu viele Fragen«, bemerkte der Macian.
»Es sind ja auch nur Fragen!«
Die Furchen auf seiner Stirn vertieften sich.
»Wenn du eine Frage stellst, forderst du eine Antwort von deinem Gegenüber ein. Wenn dein Rang jedoch unter dem der Person ist, hast du kein Anrecht, etwas von ihr zu verlangen. Also sind alle Fragen an höherrangige Macian verboten«, erklärte er.
Dunkel erinnere ich mich an-
Das ist doch totaler Schwachsinn!, unterbrach Jessica Nicoles Gedanken.
Aber Jessi!
»Was soll dieser Unsinn? Fragen als Recht? Was kommt als nächstes? Toilettengänge, die nach Alter sortiert sind?«
»Aber das mit den Fragen habe ich auch schon mal gehört«, bemerkte diese TC, als sie von ihrem Spiel mit dem Phönix aufsah.
»Super. Ein kleines Kind weiß mehr als ich«, schimpfte Jessica vor sich hin, »Noch irgendwas, was Mag und Sven mir nicht gesagt haben?«
»Hm«, das Kind deutete auf die Jacke, die über Jessicas Schultern lag, »Nicht wirklich. Aber warum trägst du eigentlich seine? Bist du seine Freundin? So wie Tantchen vom Otou-san?«
»Ich und-«, Jessica brach die Stimme ab.
»Er ist ein Hushen«, mischte sich der General ein.
»Und Tantchen und Linda sind Macian. Trotzdem habe ich sie gern!«
»Aber-«
»Ist es denn so wichtig, was man ist?«, fragte nun auch diese Kathleen.
Während der General den Kindern irgendetwas zu erklären versuchte, kapselte sich Jessica aus dem Gespräch ab. Sie dachte an Sven und wie er sich nach dem Tod ihrer Mutter um sie gekümmert hatte. Wie er ihr zugehört hatte. Wie er ihr ihren Hutanonkel vom Hals gehalten hatte und ihr seine Jacke ausgeliehen hatte.
Eine Jacke, in die sie sich seither immer geflüchtet hatte, wenn ihr unwohl war. Weil … Ja, warum eigentlich? Es war Sommer. Es war warm. Und dennoch … Fühlte es sich wie eine Umarmung an …
Dann magst du ihn?, erkundigte sich Nicole vorsichtig.
Ich glaube. Ich hätte jetzt nicht gesagt, dass er unser Freund ist. Also, keine Ahnung, ob er uns überhaupt mag und … Zerdenke ich das Ganze?
Nicole blieb ihr jede Antwort schuldig. Es war, als würde sie sich lieber rausnehmen wollen. Doch spürte Jessica keinen Hass von ihr auflodern. Nicht wie anfangs, als sie das Gruselhaus einreißen wollte …
»Jeder ist eben der, der er ist«, murmelte sie über die Diskussion der anderen hinweg, »Ich glaube, Mag hatte das auch mal so gesagt.«
»Das hat sie von Janine«, erklärte Kathleen eifrig, »Das hat Janine mir auch gesagt, als ich neu im Dorf war.«
»Huh«, mehr wusste Jessica nicht zu erwidern – sie hatte ja nicht mal eine Ahnung, wer diese Janine sein sollte, »Okay. Aber wo kommt ihr Winzlinge eigentlich her? Und wo sind Maggie und ihr Freund hin? Weiß irgendjemand mal irgendwas, was etwas Licht in das tägliche Chaos wirft? Oder erfahr ich den Mist erst, wenn ich euch im Maumau schlage?«
»Und wie viel weißt du, wenn du dieses Maumau schlägst?«, argwöhnisch musterte der General sie.
»Ehm. Das ist ein Kartenspiel, Opi«, Jessica seufzte und deutete zur Küchentür, »Egal. Der komische Typ wollte Mag wohl an die Wäsche, weswegen ihr Freund ihm ein paar Flugstunden gegeben hat und nun komm ich eh nicht an die Karten.«
Der Feuergeneral ließ sich das nicht zweimal sagen. Nachdenklich eilte er zur Tür, um hineinzusehen. Doch trat er nicht ein. Es war, als würden ihn die Symbole am Rahmen stoppen. Als wollte er nicht eintreten.
»Das ist SteMa«, murmelte er.
»Keine Ahnung. Könnte ein zukünftiger Hausmeister oder Casinospieler sein. Zumindest, wenn ich nach den Gesichtszügen gehe«, Jessica verschränkte ihre Arme.
»Nein. Er … Er wollte die Floris überwältigen?«
»Bin ich dabei gewesen?«
»Stell mir kei-«, er brach ab und atmete angespannt durch, »Keine Gegenfragen. Bitte. Du darfst mir eigentlich gar keine stellen.«
»Hältst du dich für so wichtig?«
»Er ist ein General«, mischte sich Maggies Freund plötzlich hinter ihr ein, »Damit steht er direkt unter den Floras. Außer Mag und ihrem Bruder dürfte niemand ihn irgendetwas fragen.«
Jessica schaute von ihm zu der Macian, die schwerfällig an ihn lehnte. Sie beobachtete, wie TC sich nach ihrem Zustand erkundigte. Wie der Hushen ihr ruhig antwortete und dann anbot, dass sie und Kathleen zurückkönnten. Dass alles Weitere nichts für die Kinder wäre.
Noch während die Kinder sich von TC’s Bruder, der aus der Küche dazu stieß, fortbringen ließen, landeten Jessicas Augen auf den anderen Leuten, die aufgetaucht waren. Ein Mann und eine Frau. Sie kamen ihr bekannt vor. Wie aus einem fernen Traum. Zumindest der Mann … Sie hatte ihn gesehen. An dem Abend, an dem ihre Mom starb und-
»Du saßt im Auto«, drängte sich Nicole vor.
»Ja«, er verstand sofort, »ESi hatte nicht gewusst, dass sie deine Mutter war.«