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Dieser Band enthält folgende Krimis: Alfred Bekker: Kommissar Jörgensen und der Killer mit der Münze: Hamburg Krimi Alfred Bekker: Road Killer Thomas West: Ein Cop läuft Amok Wilfried A. Hary: New Yorker Cops Um an Geld für Crack zu kommen, schrecken die „Bloody Girls“, eine Mädchengang aus der Lower East Side, vor nichts zurück - auch nicht vor Mord. Nachdem ihre Anführerin Sally Quireland kaltblütig einen Cop in Zivil erschossen hat, wird sie von zwei Zeugen gedeckt. Die beiden Puerto-Ricaner, die in ihre Gang aufgenommen werden wollen, bezichtigen ein Mitglied der Mystery-Gang der Tat. Während die FBI-Agents Jesse Trevellian und Milo Tucker versuchen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, bricht ein blutiger Bandenkrieg aus. Auch Captain Mike Orbiter von der Mordkommission muss am eigenen Leib erfahren, wie gefährlich es ist, sich mit den gewalttätigen Straßenkids anzulegen …
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Seitenzahl: 417
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Krimi Quartett Superband 1020
Copyright
Kommissar Jörgensen und der Killer mit der Münze: Hamburg Krimi
Road Killer
Ein Cop läuft Amok
New Yorker Cops
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Alfred Bekker: Kommissar Jörgensen und der Killer mit der Münze: Hamburg Krimi
Alfred Bekker: Road Killer
Thomas West: Ein Cop läuft Amok
Wilfried A. Hary: New Yorker Cops
Um an Geld für Crack zu kommen, schrecken die „Bloody Girls“, eine Mädchengang aus der Lower East Side, vor nichts zurück - auch nicht vor Mord. Nachdem ihre Anführerin Sally Quireland kaltblütig einen Cop in Zivil erschossen hat, wird sie von zwei Zeugen gedeckt. Die beiden Puerto-Ricaner, die in ihre Gang aufgenommen werden wollen, bezichtigen ein Mitglied der Mystery-Gang der Tat. Während die FBI-Agents Jesse Trevellian und Milo Tucker versuchen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, bricht ein blutiger Bandenkrieg aus. Auch Captain Mike Orbiter von der Mordkommission muss am eigenen Leib erfahren, wie gefährlich es ist, sich mit den gewalttätigen Straßenkids anzulegen …
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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von ALFRED BEKKER
Es war ein kalter Morgen im November, als ich im Büro der Kripo Hamburg ankam. Die Schleusen der Stadt hatten die Nebelschwaden der Elbe in die Straßen gedrückt und ein feuchtes, unangenehmes Klima geschaffen. Der Gestank von abgestandenem Wasser lag in der Luft und ließ meine Stimmung noch düsterer erscheinen. Ich kannte Hamburgs düstere Seite nur zu gut, doch das, was unser aktueller Fall an die Oberfläche brachte, übertraf alles.
Das Telefon auf meinem Schreibtisch klingelte, und ich warf einen kurzen Blick auf Roy, bevor ich abnahm. „Jörgensen“, meldete ich mich. „Uwe, komme sofort ins Büro. Wir haben einen neuen Fall“, hörte ich die sanfte, aber drängende Stimme unseres Kriminaldirektors Jonathan Bock durch den Hörer. Ohne weitere Fragen aufzunehmen, legte ich auf.
„Roy, wir haben einen neuen Mord“, sagte ich knapp und griff nach meiner Jacke. „Schon wieder?“, fragte Roy skeptisch, während er gleichzeitig seine Kaffeetasse abstellt und aufspringt. „Ich dachte, wir hätten die schlimmsten Tage hinter uns.“
„Das dachte ich auch“, erwiderte ich, „aber unser Täter scheint anderer Meinung zu sein.“
Als wir die kühlen, grauen Gänge der Polizeiwache entlangschritten, drang uns ein intensiver Geruch nach Desinfektionsmitteln in die Nase. In Jonathans Büro angekommen, empfing uns eine bedrückende Stille, die nur von dem gelegentlichen Rascheln seiner Papiere durchbrochen wurde.
„Setzen Sie sich“, forderte er uns auf, ohne sein leidenschaftsloses Gesicht zu verziehen. Wir nahmen Platz und warfen ihm erwartungsvolle Blicke zu. „Bei der Leiche, die heute Morgen am Fischmarkt gefunden wurde, haben wir einen weiteren Hinweis auf unseren Täter“, begann er. „Wieder eine alte D-Mark-Münze im Mund des Opfers.“
Mein Magen zog sich zusammen, wie jedes Mal, wenn wir auf diese grausame Signatur stießen. „Was wissen wir über das Opfer?“
„Gisela Lindemann, 42 Jahre alt, Lehrerin an einer Gesamtschule in Altona. Keine bekannten Feinde, kein auffälliges Leben. Aber irgendwie passt sie ins Beuteschema des Täters“, antwortete Jonathan Bock, während er uns ein Bild der Frau hinüberschob.
Roy lehnte sich im Stuhl zurück und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Eine Lehrerin. Das klingt nicht nach jemandem, der viele Feinde hat.“
„Dennoch hat sie jemand als Ziel ausgewählt“, entgegnete ich. „Ich will herausfinden, warum.“
Nach einem kurzen Austausch verschwand Roy, um die Kollegen in Altona zu informieren und mit der Spurensicherung in Kontakt zu treten. Ich blieb noch einen Moment länger bei Jonathan, um die bisherigen Puzzlestücke zusammenzusetzen.
„Uwe, ich weiß, dass dieser Fall persönlich für dich ist“, sagte Jonathan, seine Augen fixierten mich mit einer Intensität, die mich kurz zögern ließ. „Aber wir müssen objektiv bleiben und jeder Spur nachgehen.“
Ich nickte stumm. Ich hatte diesem Fall von Anfang an eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet, seitdem ich erfahren hatte, dass die erste Leiche nur wenige Straßen von meinem eigenen Viertel in Eimsbüttel gefunden worden war.
„Lassen Sie uns nicht zu lange warten“, fügte Jonathan Bock hinzu. „Gehen Sie gemeinsam vor und halten Sie mich auf dem Laufenden.“
Ich schloss die Tür hinter mir und eilte zu meinem Schreibtisch. Roy hatte schon einige Informationen zusammengetragen. „Ich habe mit den Kollegen gesprochen. Anscheinend war Frau Lindemann in ein paar soziale Projekte involviert. Nichts, was besonders auffällig wäre, aber vielleicht finden wir hier eine Spur.“
*
Es war bereits Mittag, als wir uns auf den Weg zu Giselas Wohnung in Eimsbüttel machten. Das Viertel war ruhig, fast idyllisch, mit seinen Altbauten und den großen Bäumen, die sich entlang der Straßen wie ein schützender Mantel zogen. Doch dieser Frieden war trügerisch.
Wir betraten das nachmittägliche Grau, während sich die tiefhängenden Wolken wie eine Decke über die Stadt legten. Das Haus, in dem Gisela wohnte, war eines dieser alten Mietshäuser mit hohen Decken und knarzenden Dielen. Ein Gefühl von Bedrückung beschlich mich, als wir die Tür zur Wohnung öffneten, die inzwischen von der Spurensicherung durchleuchtet worden war.
Drinnen breitete sich der vertraute Duft nach Schimmel und abgestandener Luft aus. Alles schien seinen Platz zu haben, als wäre sie nur kurz weggegangen und würde bald zurückkehren. Doch wir wussten es besser. Wir begannen, die Räume systematisch zu durchsuchen, auf der Suche nach dem kleinsten Hinweis.
Im Arbeitszimmer stieß ich auf ein altes Fotoalbum. Die meisten Bilder zeigten unbekannte Gesichter, Erinnerungen an glückliche Tage. Doch ein Bild stach heraus – eine Klassenfahrt nach Cuxhaven, vor vielen Jahren. Gisela stand darauf, umgeben von Schülern. Unter ihnen ein vertrautes Gesicht. Ich erkannte es sofort.
„Roy, sieh dir das an“, sagte ich und hielt ihm das Bild hin. „Das ist...“, begann er, und ich nickte. „Ja, das ist der gleiche Junge, den wir auf dem Bild aus dem Fall von vor drei Jahren gesehen haben. Dasselbe Gesicht aus dem Archiv.“
Der Nebel löste sich langsam auf, doch die Frage, warum der Täter seine Opfer mit einer alten D-Mark-Münze toten ihren Mund verziert, blieb im Raum hängen. Hinter diesem Zeichen verbarg sich eine Geschichte, die wir noch nicht ergründet hatten. Doch dies könnte unser erster echter Hinweis darauf sein.
„Es wird Zeit, mit den Leuten zu sprechen, die sie gekannt haben“, sagte ich entschlossen. „Und das ist Roy, der Beginn einer harten Jagd.“
Roy nickte ernst. Wir verließen die Wohnung und traten hinaus in die feuchte, kalte Luft von Eimsbüttel. Der Fall nahm Fahrt auf, und ich ahnte, dass uns noch einige Überraschungen erwarteten. Hamburg hatte seinen Mörder, und wir würden ihn finden.
*
Die nächsten Tage verbrachten wir damit, Giselas Umfeld zu befragen. Lehrer, Eltern und Schüler – jeder, der mit ihr in Kontakt gewesen war, wurde von uns ins Kreuzverhör genommen. Der trostlose Nieselregen, der beständig über der Stadt hing, trug das Seine dazu bei, dass sich die Stimmung immer bleierner anfühlte.
Eines Nachmittags saßen Roy und ich wieder im Büro, als unser Telefon klingelte. Roy sah mich an, bevor er den Hörer abnahm. „Kripo Hamburg, Müller am Apparat,“ meldete er sich. „Ach, Frau Thomas. Ja, wir haben nach Ihnen gesucht.“
Er hielt sich den Hörer an die Schulter und sagte leise zu mir: „Das ist Tina Thomas, eine Kollegin von Gisela.“
Roy nickte bei ihren Worten, während ich aufgeregt wartete. Schließlich legte er auf und wandte sich zu mir. „Frau Thomas sagte, sie habe gestern auf einem Schulgang etwas Verdächtiges gefunden. Sie möchte uns sofort sprechen.“
Wir machten uns auf den Weg zur Gesamtschule in Altona. Die alte Backsteinschule stand imposant zwischen den typischen Gründerzeitgebäuden des Viertels. Im Lehrerzimmer erwartete uns bereits Frau Thomas, eine junge, abenteuerlustige Frau mit kurzen, dunkelbraunen Haaren und einem forschenden Ausdruck in den Augen.
„Danke, dass Sie so schnell gekommen sind,“ begann sie, als wir den Raum betraten. „Ich habe Giselas Schreibtisch durchgesehen und einen Brief gefunden.“
„Einen Brief?“ fragte ich und sah sie neugierig an.
„Ja, er war an Gisela gerichtet, aber anonym. Ich dachte, das könnte wichtig sein,“ sie zog einen zusammengefalteten Zettel aus ihrer Tasche und reichte ihn uns.
Ich nahm das Papier und entfaltete es vorsichtig. Es handelte sich um einen seltsam kryptischen Text, handschriftlich verfasst:
„Erinnerst du dich an den Garten der Zeit, wo unsere Gesichter unauslöschlich geprägt sind? Die Münze kehrt zurück, um Zeugnis abzulegen.“
„Das klingt... auf eine unheimliche Weise bekannt“, murmelte ich. „Haben Sie eine Ahnung, von welchem ‚Garten der Zeit‘ hier die Rede sein könnte?“
Frau Thomas schüttelte den Kopf. „Nein, das tut mir leid. Ich habe keine Ahnung.“
Ich warf Roy einen Blick zu, und er schien genauso ratlos wie ich. Doch wir mussten irgendwo anfangen. „Danke, Frau Thomas. Wir nehmen den Brief mit und untersuchen ihn weiter. Haben Sie noch etwas Ungewöhnliches bemerkt?“
„Nur, dass Gisela in den letzten Wochen vor ihrem Tod ein wenig nervös wirkte. Sie schien sich vor etwas oder jemandem zu fürchten,“ sagte Frau Thomas und griff sich an das Kinn, als würde sie sich an Details erinnern wollen, die ihr jedoch entglitten.
Zurück im Büro verbrachten wir den Abend damit, den Brief und die übrigen Hinweise zu durchforsten. Plötzlich klopfte es laut an der Tür, und Kriminaldirektor Jonathan Bock trat ein, ein Ausdruck gespannter Erwartung auf seinem Gesicht.
„Habt ihr etwas Neues?“ fragte er und setzte sich auf die Kante meines Schreibtisches.
Ich berichtete ihm von dem Brief und den bisherigen Ermittlungsergebnissen. Jonathan nahm den Zettel und las ihn gründlich.
„Das klingt nach einer rhetorischen Frage, keine direkte Drohung“, sagte er nachdenklich. „Aber diese Münze, sie scheint der Schlüssel zu sein. Wir müssen herausfinden, was es mit dieser Münze auf sich hat.“
Ich nickte. „Die deutsche Mark ist seit Ewigkeiten nicht mehr im Umlauf, aber für unseren Täter hat sie eine besondere Bedeutung. Vielleicht ein persönliches Trauma oder eine Obsession. Wir müssen tiefer graben.“
Jonathan stand auf, nickte uns zu und verließ das Büro. Roy und ich tauschten einen entschlossenen Blick aus.
„Lass uns mal die alten Archive nach Fällen durchsuchen, bei denen Münzen involviert waren“, schlug Roy vor. „Vielleicht stoßen wir auf etwas.“
Die Nacht wurde lang, und die Flut an Daten und alten Zeitungsartikeln schien schier endlos. Doch plötzlich rief Roy aufgeregt: „Uwe, sieh dir das an!“
In einem alten Fall aus den frühen 90ern fand sich ein Bericht über eine Serie von Morden, bei denen den Opfern D-Mark-Münzen in die Augen gelegt wurden. Der Täter war nie gefasst worden. Der Name des ermittelnden Beamten sprang mir sofort ins Auge: Kriminalobermeister Hans-Dieter Jörgensen – mein Vater.
Mir entfuhr ein leises Keuchen. „Das kann doch nicht sein...“
„Was ist, Uwe?“ fragte Roy besorgt.
„Das war mein Vater. Er hat bis zu seinem Tod über diesen Fall gesprochen, nie hat er ihn abschließen können. Vielleicht hat die Gegenwart die Vergangenheit eingeholt.“
Roy legte mir eine Hand auf die Schulter. „Wenn es einen Zusammenhang gibt, werden wir ihn finden. Lass uns herausfinden, was dein Vater damals wusste. Wir sollten die alte Asservatenkammer durchstöbern.“
Der Nebel der Vergangenheit hatte uns eingeholt, und mit ihm der Schatten eines ungelösten Rätsels. Wir waren fest entschlossen, den Täter zu fassen und endlich das Geheimnis der Münzen zu lüften – komme, was da wolle.
*
Die letzten Wochen von Gisela Lindemann waren offenbar alles andere als gewöhnlich gewesen. Als Roy und ich diese Phase ihres Lebens genauer untersuchten, sprachen wir nicht nur mit Frau Thomas, sondern auch mit anderen Kollegen und Schülern, die ihr nahestanden.
Unsere erste Station nach dem Gespräch mit Frau Thomas war der Direktor der Gesamtschule, Herr Petersen. Ein zurückhaltender Mann in den Fünfzigern, der sein Bestes tat, seine Besorgnis hinter einer professionellen Fassade zu verbergen.
„Frau Lindemann war eine unserer engagiertesten Lehrerinnen“, begann er, als wir uns in seinem Büro gegenübersaßen. „Aber in den letzten Wochen wirkte sie... anders.“
„Können Sie das präzisieren?“ fragte Roy.
„Nun, sie kam immer häufiger spät zur Arbeit und war ungewöhnlich gereizt. Normalerweise war sie immer pünktlich und brachte eine gewisse Ruhe mit - aber das änderte sich abrupt. Einmal fragte ich sie, ob alles in Ordnung sei, und sie sagte nur, es gäbe Probleme außerhalb der Schule, die sie beschäftigten.“
Wir nickten und machten uns Notizen, unser Interesse war geweckt.
„Hatte sie vielleicht mit jemandem Streit? Einen Schüler oder Kollegen?“ fragte ich.
„Nicht, dass ich wüsste. Aber sie sprach darüber nicht viel. Vielleicht wissen die Schüler mehr.“
Mit dieser Einschätzung verließen wir das Büro und machten uns auf dem Schulhof auf die Suche nach einigen älteren Schülern. Wir trafen eine Gruppe von drei Jugendlichen, die in der Nähe der Turnhalle herumlungerten – zwei Mädchen und ein Junge. Nachdem wir uns vorgestellt und unsere Abzeichen gezeigt hatten, begannen wir, gezielte Fragen zu stellen.
„Habt ihr bemerkt, dass Frau Lindemann in letzter Zeit anders war?“ Roy übernahm die Gesprächsführung.
„Ja, sie war irgendwie angespannt“, sagte Lisa, eine Schülerin aus der Abschlussklasse. „Sie hat uns öfter im Unterricht abgelenkt gewirkt.“
„Hatte sie Probleme mit jemandem? Vielleicht mit einem Schüler?“ Ich versuchte, die Jugendlichen weiter zu motivieren.
„Da war dieser ältere Mann“, warf Ben, der Junge in der Gruppe, ein. „Er kam ein paar Mal zu unserer Schule. Er wollte anscheinend mit Frau Lindemann sprechen, aber sie wirkte nicht gerade begeistert, ihn zu sehen.“
Roy und ich sahen uns an. „Könnt ihr euch an mehr Details erinnern? Wie sah dieser Mann aus?“
„Er hatte graue Haare und trug immer einen dunklen Mantel“, sagte Lisa. „Irgendwie wirkte er unheimlich. Einmal hörte ich ein Gespräch zwischen ihnen. Er sagte etwas über ‚alte Schulden‘, aber ich verstand den Kontext nicht.“
„Hat sie diesem Gespräch einen besonderen Ort erwähnt?“ fragte ich.
Lisa und die anderen schüttelten den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Es war ein sehr kurzes Gespräch. Sie hat ihn ziemlich schnell weggejagt.“
Nachdem wir von den Schülern alles Mögliche in Erfahrung gebracht hatten, entschlossen wir uns, ihren Wohnort erneut genauer unter die Lupe zu nehmen. Ihr Tagebuch, hätten sie eines, könnte uns helfen.
Zurück in Giselas Wohnung fühlte ich mich wie ein ungebetener Gast in ihrem Leben. Die Räume waren ordentlich und aufgeräumt, aber ihre Spuren waren überall – Bücher, Notizen, kleine Erinnerungen an Reisen. Im Schlafzimmer, neben ihrem Bett, lag tatsächlich ein Tagebuch. Ich nahm es behutsam in die Hand und begann zu blättern.
Die letzten Einträge waren erschreckend offen und deutlich von Angst getrieben:
„1. November: Der Mann tauchte wieder in der Schule auf. Ich habe Angst. Er spricht von Dingen, die ich längst vergessen wollte.“
„5. November: Warum lässt er mich nicht in Ruhe? Diese Münzen, diese verdammten Münzen. Sie sind ein Fluch. Ich fühle mich beobachtet.“
„10. November: Heute habe ich ihn wieder gespürt. Er ist da draußen. Er lauert. Die Polizei wird mir nicht helfen können.“
Roy las mir über die Schulter und zog die Augenbrauen hoch. „Das klingt, als ob der Mann sie regelrecht verfolgt hat. Und das Thema der Münzen scheint sie extrem zu belasten.“
Ich nickte und versuchte, weitere Hinweise im Tagebuch zu sammeln. Aber die Einträge hörten abrupt auf. Was auch immer dieser Mann von ihr wollte, es hatte sie zutiefst beunruhigt.
„Wir müssen herausfinden, wer dieser Mann ist und was es mit diesen ‚alten Schulden‘ und Münzen auf sich hat“, sagte ich bestimmt. „Er ist offensichtlich der Schlüssel zu diesem Fall.“
Unsere nächste Anlaufstelle war wieder Herr Petersen, um mehr über diesen mysteriösen Mann an der Schule zu erfahren. Vielleicht war er registriert oder jemandem anderen im Kollegium bekannt. Der Direktor sah überrascht aus, als wir ihm die Beschreibung gaben. „Das klingt nach einem ehemaligen Lehrer hier an der Schule, Hans Köster. Er hat vor Jahren im Ruhestand genommen.“
„Können Sie uns seine Adresse geben?“ fragte Roy.
Wir erhielten die Information und machten uns sofort auf den Weg. Die dunklen Wolken über Hamburg schienen sich zusammenzuziehen, als wollten sie das kommende Unheil vorahnend bekunden. Wir standen vor einem alten Wohnhaus in Winterhude, einem weiteren Grammophon im Rückblick der Stadt. Die Geschichte, die sich hier abspielte, war noch lange nicht erzählt.
Eines war sicher: Wir waren dem Rätsel um Giselas Ängste und den unheilvollen Münzen näher als je zuvor. Der Schlüssel zu allem schien in der Person dieses mysteriösen Hans Köster zu liegen, und wir waren fest entschlossen, die Wahrheit herauszufinden – koste es, was es wolle.
Die Adresse führte uns in ein altes, aber gepflegtes Wohnhaus in Winterhude. Die dicken Backsteinmauern und die schweren Holztüren wirkten, als könnten sie viele Geschichten erzählen. Als wir vor der Tür von Hans Köster standen, schlug mein Herz ein wenig schneller.
Ich klopfte an die Tür, und nach einer Weile öffnete ein Mann, der unsere Aufmerksamkeit sofort fesselte. Hans Köster war ein älterer Herr, wahrscheinlich Mitte sechzig. Sein Gesicht war schmal und von tiefen Falten durchzogen, die grauen Haare fielen ihm wirr auf die Stirn. Er trug eine dunkle Strickjacke und hatte einen misstrauischen Ausdruck in den Augen, als er uns musterte.
„Ja? Was möchten Sie?“ fragte er kurz angebunden.
„Herr Köster, wir sind von der Kriminalpolizei Hamburg“, begann Roy und zeigte seinen Ausweis. „Wir möchten Ihnen einige Fragen zu Gisela Lindemann stellen.“
Sein Gesicht verzog sich ein wenig, und seine Augen wurden schmaler. „Kommen Sie herein“, sagte er widerwillig und öffnete die Tür weiter.
Wir traten in ein kleines Wohnzimmer, das deutlich von einem ehemaligen Lehrer bewohnt wurde. Überall standen Bücherregale, und auf einem alten Schreibtisch türmten sich Papierstapel. Köster nahm in einem abgewetzten Sessel Platz und wies uns an, Platz zu nehmen.
„Was wollen Sie wissen?“ fragte er und verschränkte die Arme.
„Herr Köster, wir haben gehört, dass Sie in den letzten Wochen mehrmals an der Gesamtschule waren, um mit Frau Lindemann zu sprechen. Können Sie uns erklären, warum?“ fragte ich.
Er seufzte tief und senkte den Blick. „Gisela und ich... wir haben eine gemeinsame Vergangenheit.“
„Was für eine Vergangenheit?“
„Wir arbeiteten lange zusammen, bevor ich in Rente ging. Aber danach... es gab einige Probleme. Meine Frau und ich hatten große finanzielle Schwierigkeiten, und ich geriet in schlechte Kreise. Eines Tages konnte ich meine Schulden nicht mehr begleichen, und ich musste Giselas Hilfe in Anspruch nehmen.“
„Welche Art Hilfe?“ fragte Roy, ohne den Blick von Köster abzuwenden.
„Sie half mir, meine Schulden zu bezahlen“, sagte er stockend. „Sie lieh mir Geld, aber es war mehr als das. Im Gegenzug bat ich sie, einige Aufgaben für mich zu erledigen – Aufgaben, die ich selbst nicht ausführen konnte.“
„Welche Aufgaben waren das?“ fragte ich.
„Es ging um die Münzen. Alte D-Mark-Münzen, die auf eine ganz spezielle Weise geprägt waren. Sie haben nicht nur monetären, sondern auch historischen und emotionalen Wert. Aber diese Münzen brachten Unglück. Ein Sammler, der in sehr dunklen Geschäften tätig ist, verlangte nach ihnen. Ich hatte keine andere Wahl, als in diese Geschäfte einzusteigen.“
„Hatte Gisela Angst vor Ihnen?“ fragte ich direkt.
Köster sah uns fest an, seine Augen schienen plötzlich glasig. „Ja. Ich bereue es zutiefst, aber nachdem ich sie in diese Welt hineingezogen hatte, konnte ich sie nicht mehr beschützen. Sie versuchte, sich zu distanzieren, als sie erkannte, wie gefährlich die Situation wirklich war. Sie wollte aussteigen, wollte das Ganze vergessen. Aber dieser Sammler... er vergisst nicht.“
Ein kalter Schauder lief mir über den Rücken. „Wer ist dieser Sammler?“
Hans Köster schluckte schwer. „Sein Name ist Heinrich Claasen. Ein berüchtigter Mann in Sammlerkreisen, aber niemand weiß wirklich viel über ihn. Er hat Verbindungen zu kriminellen Organisationen und will um jeden Preis seine Sammlung vervollständigen.“
„Und was hat das alles mit den Morden zu tun?“ Roys Stimme war rau, aber eindringlich.
„Ich weiß es nicht genau“, antwortete Köster verzweifelt. „Aber ich glaube, dass Claasen dafür verantwortlich ist. Er wird jeden töten, der ihm im Weg steht. Gisela wollte aussteigen und hat ihn vermutlich provoziert.“
Ein düsteres Bild formte sich in unseren Köpfen. Ein Mann, getrieben von der Sammelleidenschaft, verwandelt diese Obsession in mörderisches Verhalten. Gisela war ein Opfer dieser unheilvollen Verbindung geworden.
„Wir brauchen jede Information über Heinrich Claasen. Adressen, Telefonnummern, Kontakte“, sagte ich eindringlich.
Köster stand auf und ging zum Schreibtisch. Er zog eine Schublade auf und holte einen kleinen Notizblock hervor. „Das sind die letzten Informationen, die ich über ihn habe“, sagte er und reichte den Block uns. „Seien Sie vorsichtig. Er ist gefährlich.“
Wir verließen Kösters Wohnung mit einem mulmigen Gefühl. Ein brutaler Sammler, ein Schuldverhältnis und alte Münzen, die eine blutige Spur hinterlassen hatten – es war viel mehr, als wir erwartet hatten.
„Das ist größer, als wir dachten“, sagte Roy nachdenklich, als wir auf der Straße standen.
„Ja, aber jetzt haben wir endlich einen Namen. Heinrich Claasen. Und wir werden ihm einen Strich durch die Rechnung machen“, antwortete ich fest entschlossen.
Hamburgs düstere Geheimnisse hatten uns weiter in ihren Bann gezogen, aber jetzt hatten wir wenigstens eine Richtung. Gisela Lindemanns Tod sollte nicht vergebens gewesen sein. Es war an der Zeit, Heinrich Claasen zu stellen und dieses albtraumhafte Puzzle endgültig zu lösen.
*
Unsere nächste Station war das Büro, wo wir die Informationen aus Kösters Notizblock durchgingen. Die Adresse von Heinrich Claasen führte uns in einen vornehmen Stadtteil, voller teurer Stadthäuser und Villen am Rande der Außenalster.
Bevor wir uns jedoch dorthin begaben, beschlossen Roy und ich, uns besser vorzubereiten. Wir sprachen kurz mit Jonathan Bock und informierten ihn über die neuen Erkenntnisse. Er war sichtlich besorgt, aber auch froh, dass wir endlich eine konkrete Spur hatten.
„Passt auf euch auf“, warnte er uns. „Dieser Claasen ist kein gewöhnlicher Sammler. Er hat fragwürdige Verbindungen, und wenn er wirklich hinter diesen Morden steckt, wird er nicht vor weiteren Gewaltakten zurückschrecken.“
Wir nickten und machten uns dann auf den Weg zu Claasens Wohnsitz. Das Haus, vor dem wir schließlich standen, war ein prächtiges Anwesen mit einer beeindruckenden Fassade und gut gepflegten Gärten. Es wirkte friedlich, aber wir wussten es besser.
„Sieht fast zu gut aus, um wahr zu sein“, murmelte Roy, während wir auf den Eingang zugingen.
Ich klingelte und nach einem Moment öffnete uns ein älterer Herr, vermutlich der Butler. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Kripo Hamburg“, sagte ich und zeigte meinen Ausweis. „Wir möchten mit Herrn Claasen sprechen.“
Der Butler musterte uns kurz, bevor er uns nach kurzer Bedenkzeit ins Innere des Hauses bat. Das Innere war geschmackvoll eingerichtet, überall funkelten antike Sammlerstücke und alte Gemälde von großer Schönheit. In der Luft hing der Geruch von altem Leder und poliertem Holz.
Wir wurden in eine Bibliothek geführt, wo Heinrich Claasen auf uns wartete. Er war ein Mann in den späten Fünfzigern, mit scharf geschnittenen Zügen und Augen, die vor Intelligenz funkelten. Er wirkte ruhig und gesammelt; fast zu ruhig.
„Meine Herren. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“ fragte Claasen und deutete uns, Platz zu nehmen.
„Herr Claasen, wir ermitteln in einer Mordserie und haben Grund zu der Annahme, dass Sie damit in Verbindung stehen könnten“, sagte Roy unverblümt.
Claasens Gesicht blieb regungslos. „Das ist eine ernste Anschuldigung, Kommissar. Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“
„Wir haben Informationen, dass Sie Gisela Lindemann kannten und eine besondere Vorliebe für alte D-Mark-Münzen haben“, setzte ich nach.
Da zuckte ein kaum sichtbares Lächeln über Claasens Lippen. „Ah, die alte Gisela. Es ist bedauerlich, was mit ihr geschehen ist. Ja, ich habe Münzen gesammelt, aber das macht mich nicht zum Mörder.“
„Sie haben eine Geschichte von Einschüchterung und Drohungen“, bemerkte Roy scharf. „Zeugen haben gesehen, dass Sie sie in der Schule aufgesucht haben.“
Claasens Ausdruck verdunkelte sich. „Ich wollte nur ein geschäftliches Problem klären. Gisela schuldete mir noch ein paar wertvolle Münzen, die sie für mich besorgen wollte. Aber sie hatte Panik bekommen. Ich habe sie nie bedroht.“
„Und wie erklären Sie die Tatsache, dass jeder Ihrer Forderungen nach diesen Münzen anscheinend mit einem Mord einherging?“ fragte ich.
Claasen lehnte sich zurück und verschränkte die Finger. „Ich bin mir sicher, dass jemand anderes dahintersteckt. Vielleicht jemand, der meine Leidenschaft teilt, aber auf eine krankhafte Art und Weise. Sie sollten nicht so schnell urteilen.“
Unsere Fragen schienen ihr Ziel zu verfehlen. Claasen wirkte nach außen hin gelassen, doch etwas in seinen Augen verriet uns, dass er mehr wusste, als er zugab. Wir mussten ein anderes Vorgehen wählen.
„Herr Claasen, wir werden weiterhin gegen Sie ermitteln. Es ist in Ihrem besten Interesse, mit uns zu kooperieren“, sagte Roy schließlich.
„Natürlich, meine Herren“, erwiderte Claasen mit einem dünnen Lächeln. „Ich habe nichts zu verbergen.“
Wir wussten, dass er nicht kooperieren würde. Als wir das Haus verließen, fühlten wir uns frustriert, aber nicht entmutigt. Claasen spielte ein gefährliches Spiel und wir waren entschlossen, das Netz um ihn enger zu ziehen.
*
Zurück im Büro setzte sich Roy an seinen Computer, während ich unser Ermittlungsbrett aktualisierte. „Wir brauchen mehr Beweise“, sagte ich. „Irgendetwas, das ihn direkt mit den Morden verbindet.“
Roy nickte, während er angestrengt tippte. „Ich werde seine Finanztransaktionen durchgehen. Vielleicht finden wir dort einen Anhaltspunkt. Und was Gisela angeht – wir müssen mehr über ihre letzten Kontakte herausfinden.“
„Ich werde nochmal zu den Kollegen in Altona gehen und herausfinden, ob sie in ihren Projekten vielleicht jemanden getroffen hat, der uns weiterhelfen kann“, sagte ich entschlossen.
Während der nächsten Tage arbeiteten Roy und ich unermüdlich daran, alle Puzzleteile zusammenzufügen. Wir fanden schließlich eine Verbindung zwischen einer ungewöhnlichen Geldbewegung in Claasens Konto und einem verdächtigen Zahlungsempfänger. Diese Spur führte uns zu einem Mann namens Peter Meyer, einem bekannten Handlanger in dubiosen Kreisen.
Als wir Meyers Versteck in einem heruntergekommenen Mietshaus aufsuchten, wussten wir, dass wir einem der letzten entscheidenden Schritte näher waren. Meyer war ein verängstigter, schäbiger Mann, der uns sofort erzählen wollte, was er wusste.
„Claasen hat mich bezahlt, um die dreckige Arbeit zu erledigen“, gab er schließlich unter Tränen zu. „Er sagte, ich solle denen eine Lektion erteilen, die ihn hintergingen.“
Unsere Herzen klopften lauter. Wir hatten endlich den Beweis, den wir brauchten, um Claasen dingfest zu machen. Als wir triumphal ins Büro zurückkehrten, erwartete uns Jonathan Bock bereits ungeduldig.
„Haben wir ihn?“ fragte er.
„Ja“, nickte ich fest. „Es ist vorbei. Heinrich Claasen ist der Mörder.“
Mit einem Haftbefehl in der Hand besiegelten wir das Schicksal von Heinrich Claasen. Die Gerechtigkeit für Gisela Lindemann und die anderen Opfer nahm endlich ihren Lauf. Doch auch wenn wir den Täter gefasst hatten, blieb das bedrückende Gefühl, dass die Dunkelheit von Hamburg immer wieder neue Schatten werfen würde – und wir bereit sein mussten ihnen entgegenzutreten.
*
Die Verhaftung von Heinrich Claasen verlief nicht ohne Drama. Als wir erneut vor seinem imposanten Anwesen standen, das nun seinem Glanz einen finsteren Schatten verlieh, bereiteten wir uns auf jede Eventualität vor. Eine Eskalation konnte immer passieren, gerade bei jemandem wie Claasen, der so viel zu verlieren hatte.
Mit einem festen Klopfen an der Tür trat der Butler erneut hervor, seine Miene noch steinerner als zuvor. „Meine Herren, kann ich...“
„Wir haben einen Haftbefehl für Ihren Arbeitgeber“, unterbrach ich ihn und schob ihm das Dokument hin. „Bitte treten Sie zur Seite.“
Er trat zur Seite, und unsere Kollegen von der Einsatztruppe, die im Hintergrund gewartet hatten, sicherten das Haus. Wir fanden Claasen in der Bibliothek, in exakt derselben Position wie am Tag zuvor, als hätte er uns erwartet.
„Sie scheinen schnell gearbeitet zu haben“, sagte er ruhig, seine Augen wie Stahlklingen.
„Herr Claasen, Sie sind verhaftet wegen des Verdachts auf Mord an mehreren Personen, darunter Gisela Lindemann“, verkündete Roy. Der kühle, professionelle Ton in seiner Stimme verdeckte kaum die unterschwellige Wut.
Claasen erhob sich langsam und hob die Hände. „Ich bin mir sicher, dass Sie einen Fehler gemacht haben. Aber ich werde mit Ihnen kommen.“
Er ließ sich widerstandslos abführen, doch wir wussten, dass dies nur der Anfang war. Die intensiven Verhöre und die genaue Durchsuchung seines Hauses würden die wahren Ausmaße seines kriminellen Tuns ans Licht bringen.
Zurück im Kommissariat schien die Atmosphäre elektrisiert. Die Verhaftung eines so einflussreichen Mannes hinterließ seine Spuren. Doch bis wir Claasen wirklich überführen konnten, wartete noch viel Arbeit auf uns.
„Jetzt legen wir erst richtig los“, sagte ich zu Roy, als wir in den Verhörraum traten, wo Claasen schon saß, mit einer undurchdringlichen Miene.
„Herr Claasen, es gibt keinen Ausweg mehr“, begann ich. „Wir haben die Aussagen von Peter Meyer, ihren Handlanger. Er hat zugegeben, in Ihrem Auftrag gehandelt zu haben.“
Claasen lehnte sich zurück, seine Lippen zu einem gefährlichem Lächeln verzogen. „Meyer hat nichts als leere Worte. Den Beweis haben. Haben Sie Beweise?“
Ich legte die Beweise auf den Tisch – Transaktionsaufzeichnungen, Meyers Aussage und die Verbindungen zu den Münzen. „So sehen Beweise aus, Herr Claasen.“
Seine Miene verhärtete sich, als er die Dokumente durchging. „Es wird schwieriger sein, mir das alles nachzuweisen, als Sie denken. Aber ich freue mich auf die Herausforderung.“
„Sie haben keine Ahnung, wie tief wir bereits graben“, erwiderte Roy kalt. „Das Haus von Lügen und Manipulation, das Sie gebaut haben, wird zusammenbrechen.“
In den folgenden Tagen arbeitete das gesamte Team mit einer Intensität, die ich selten gesehen hatte. Jeder Papierfetzen, jede Münze, jeder Kontakt wurde überprüft und analysiert. Der Umfang von Claasens Verbrechen enthüllte sich Schicht um Schicht, wie eine Zwiebel, die immer mehr die fauligen Teile zeigte.
Eines Nachmittags kamen unerwartete Neuigkeiten. Eine DNA-Analyse, die wir in letzter Minute veranlasst hatten, bestätigte die Anwesenheit von Claasen am Tatort eines der Morde. Es war der endgültige Nagel, der sein Schicksal besiegelte.
Mit diesem unumstößlichen Beweis konfrontierten wir ihn erneut. Diesmal war sein sonst so kühles Auftreten merklich zerbrochen. Die Maske des selbstsicheren Sammlers viel, und zurück blieb ein getriebener Mann, der sich seiner Strafe nicht mehr entziehen konnte.
„Es ist vorbei, Claasen“, sagte ich. „Gisela und die anderen bekommen endlich Gerechtigkeit.“
Bis zu seinem Prozess vergingen noch Tage voller Papierkram und weiterer Befragungen, doch am Ende stand die Wahrheit fest. Heinrich Claasen wurde wegen mehrfachen Mordes verurteilt und die Stadt Hamburg konnte ein wenig aufatmen.
„Wir haben es geschafft, Roy“, sagte ich eines Abends, als wir uns in einem kleinen Lokal an der Sternschanze ein Feierabendbier gönnten.
„Ja, aber die Arbeit hört nie wirklich auf, oder?“ erwiderte Roy und lächelte müde. „Es wird immer neue Fälle geben, neue Täter.“
Ich nickte. „Das wird es. Aber wenigstens wissen wir, dass wir heute ein kleines Stück Gerechtigkeit wiederhergestellt haben.“
Die Lichter von Hamburg schimmerten im Außengehäuse wie ein Ort voller Geschichten und Stille. Roy und ich tranken unseren letzten Schluck und wussten, dass wir morgen wieder da draußen sein würden, bereit, uns den Dunkelheiten dieser Stadt zu stellen.
Denn in Hamburg – dieser schönen, aber oft kaltherzigen Stadt – gehen niemals alle Schatten schlafen. Aber solange Roy und ich im Dienst sind, werden wir da sein, um zumindest einige davon zu vertreiben.
Kriminalroman
Der Umfang dieses Buchs entspricht 140 Taschenbuchseiten.
Ein Mörder zieht seine blutige Spur durch die Stadt. Seine Methode ist sehr speziell: Er tötet im Straßenverkehr...
Ein packender Thriller von Alfred Bekker.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Nebel hing tief über dem Long Island Sound. Milo und ich waren mit dem Sportwagen zu einem Parkplatz an der Connecticut-Küste gefahren, um einen Informanten zu treffen.
Jetzt warteten wir schon eine Viertelstunde.
Milo blickte auf die Uhr.
„Brad Mendoza lässt sich heute Zeit!“
„Hoffen wir, dass ihm nichts zugestoßen ist!“
„Er ist vorsichtig!“
In diesem Augenblick hörten wir den Motor eines Motorrads aufheulen. Es fuhr die Küstenstraße entlang, bremste ab und bog anschließend auf den Parkplatz. Der Fahrer steckte in einer schwarzen Ledermontur. Das Visier war dunkel. Er ließ den Motor seiner Harley noch einmal aufheulen und raste dann auf uns zu. Im letzten Moment bremste er. Der Hinterreifen brach ein wenig aus. Eine deutlich sichtbare Spur zog sich über den Asphalt. Er setzte den Helm ab.
„Hey, was soll das?“, schimpfte Milo, der sicherheitshalber zur Seite gesprungen war. „Wollen Sie mit uns Easy Rider spielen?“
Brad Mendoza strich sich das gelockte, dunkle Haar zurück und grinste breit. „Wie wär’s denn stattdessen mit Road Killer?“
„Von der Federal Plaza bis hier sind es fast 8o Meilen!“, ereiferte sich Milo. „Wenn Sie glauben, dass wir diese Strecke fahren, um uns irgendwelche Mätzchen gefallen zu lassen, sind Sie schief gewickelt, Mister Mendoza!“
Mendoza verdrehte die Augen. „Tut mir leid!“, lenkte er ein. „Ich habe seit zwei Tagen eine neue Maschine und da…“
„Ist das ein Grund, den Verstand auszuschalten?“
„Schon gut, Milo!“, mischte ich mich ein, obwohl ich den Ärger meines Kollegen durchaus teilte. „Ich bin überzeugt davon, dass Mister Mendoza uns nicht hier her bestellt hätte, wenn es keine wichtigen Neuigkeiten gäbe!“
„Sehr richtig!“, stimmte Mendoza zu. „Ich habe was ganz Großes für Sie. Aber wenn Sie nicht interessiert sind…“
„Wir sind durchaus interessiert“, sagte ich sachlich.
Er grinste. „Okay! Sie werden Augen nmacvhe und ich würde sagen, diesmal istc ei kleiner Bonus drin!“
„Darüber reden wir, wenn wir wissen, worum es geht“, entschied ich.
Brad Mendoza war 38 Jahre alt und Barkeeper in einem Club namens Latin Pop in Spanish Harlem. Der Name war Programm, was die Musikauswahl betraf. Mehr oder minder regelmäßig versorgte er uns mit Neuigkeiten aus Spanish Harlem und der South Bronx. Hauptsächlich natürlich über das Syndikat der Puertoricaner, das dort das Zentrum seiner Aktivitäten hatte.
Mendoza hatte uns immer zuverlässig beliefert. In so fern hatten wir keinen Grund, uns über ihn zu beklagen. Allerdings war ihm auch ein Hang zur Wichtigtuerei und Selbstdarstellung eigen, der ihm irgendwann noch einmal das Genick brechen konnte.
Die Tatsache, dass er sich eine Harley leisten konnte, sprach dafür, dass er in letzter Zeit irgendwelche krummen Geschäfte nebenher laufen hatte.
„Wir haben lange nichts voneinander gehört, Mister Mendoza“, stellte ich fest.
Er zuckte die Schultern. „War eben nichts zu berichten, Agent Trevellian!“
„Aber es scheint Ihnen ja gut zu gehen…“ Während ich das sagte, deutete ich auf die Harley.
„Man tut, was man kann.“
„So, wie ich das sehe, werden Sie nicht lange Freude an Ihrem heißen Ofen haben!“, mischte sich mein Kollege Milo Tucker ein. „Bei Ihrer Fahrweise bringen Sie früher oder später sich selbst oder jemand anderen um.“
„Sorry, Agent Tucker! Aber ich habe das Ding völlig unter Kontrolle.“
„Warum wollten Sie sich mit uns treffen?“, fragte ich.
„Ich hoffe, Ihre Story ist so gut wie die Ankündigung vorhin!“, ergänzte Milo.
„Das mit Easy Rider und Road Killer gerade eben war kein Witz.“ Er sah mich an, hob die Augenbrauen und wartete meine Reaktion ab. „Na, klingelt es bei Ihnen? Es geht um den legendären Road Killer…“
Dieser Name war mir durchaus ein Begriff. Es war das Pseudonym eines skrupellosen Lohnkillers, den man für Dutzende von Morden im Umfeld der Drogensyndikate verantwortlich machte. Das einzige, was man definitiv über ihn wusste, war, dass es sich um einen exzellenten Motorradfahrer handeln musste. In sämtlichen Mordfällen, die mit ihm in Verbindung gebracht wurden, hatten Motorräder eine Rolle gespielt.
Daher auch der Spitzname, den man ihm gegeben hatte.
Seit Jahren stand er auf der Fahndungsliste, aber bislang gab es keinen viel versprechenden Ermittlungsansatz.
„Ich weiß aus sicherer Quelle, dass der Road Killer zurzeit in New York ist“, eröffnete Mendoza.
„Von wem haben Sie das?“, hakte ich nach.
„Kann ich Ihnen nicht sagen, sonst beträgt meine Lebenserwartung noch eine halbe Stunde oder so.“ Er grinste. „Sie kennen das Spiel doch, Agent Trevellian. Aber wenn Sie die Quelle auch nicht kennen, so müssen Sie doch zugeben, dass ich Ihnen noch nie Mist erzählt habe!“
„Ich nehme an, der Road Killer ist aus beruflichen Gründen hier in New York“, schloss Milo.
„So ist es.“
„Wissen Sie Näheres darüber?“
Mendoza nickte. „Wo denken Sie hin? Er hat angeblich einen Auftrag. Mehr weiß ich nicht. Aber an Ihrer Stelle würde ich diesen Hinweis sehr ernst nehmen. Ich wäre nicht zu Ihnen gekommen, wenn ich das nur für die üblichen Gerüchte halten würde. Was ist mit dem Bonus?“
„Ob wir Ihnen mehr zahlen können, hängt davon ab, ob sich das ganze wirklich als heiße Spur erweist, Mister Mendoza“, schränkte ich ein. „Sie wissen ja, dass sich die Beträge für Informanten in einem engen Rahmen bewegen.“
Er setzte sich den Helm wieder auf.
Für ihn schien die Unterhaltung mehr oder weniger beendet zu sein.
Ich trat etwas näher an seine Harley heran. „Einen Moment noch, Mister Mendoza.“
Er klappte das Visier hoch.
„Ich muss dringend wieder zurück in den Big Apple. Termine – Sie verstehen?“
„Ich dachte, die Arbeitszeit eines Barkeepers im Latin Pop beginnt nicht vor dem frühen Abend“, wandte ich ein.
„Man hat ja auch noch ein Privatleben, Agent Trevellian!“
„Oder Geschäfte, die nebenbei laufen und es einem Barkeeper ermöglichen, sich eine Harley zu leisten?“
Er lachte. „Mit Verlaub, aber das geht Sie nichts an. Im Übrigen bin ich einfach nur ein sparsamer Mensch.“
„Natürlich…“
„Das meine ich vollkommen ernst!“
„Wie frisch ist die Information? Das werden Sie mir doch sagen können, ohne Ihre Quelle zu verraten?“
„Ich habe gestern Abend davon erfahren. Meine Quelle erfuhr maximal einen halben Tag früher davon. Und jetzt rechnen Sie mal schön, ob Ihnen das noch frisch genug ist!“
„Wir sprachen ja gerade über Gerüchte.“
„Ja?“
„Man redet davon, dass sich angeblich ein neuer Anbieter auf dem Drogenmarkt etablieren will. Ist da was dran?“
Er zuckte die Achseln. „Ich habe auch schon davon gehört, Agent Trevellian. Aber was davon jetzt den Tatsachen entspricht, davon habe ich keine Ahnung. Eigentlich müssten dann die Straßenpreise für Heroin ins Bodenlose fallen, aber das tu sie nicht. Also wenn eine derartige Aktion geplant, kann sie meiner Ansicht nach noch nicht begonnen haben.“
„Verstehe.“
„Nur das mit dem Road Killer, das ist ziemlich sicher – und wenn Sie beide Puzzleteile zusammenbringen, dann ergibt das doch ein Bild, das Sinn macht, finde ich!“
Er klappte das Visier herunter. „Ich melde mich, wenn ich mehr weiß!“, versprach er und brauste mit durchdrehendem Hinterreifen davon. Er drehte das Gas voll auf und raste mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf die Ausfahrt zu. Wenig später fuhr er die Küstenstraße zurück in Richtung der Grenze zwischen Connecticut und New York State.
„Man sollte ihm die Fahrerlaubnis wegnehmen!“, meinte Milo. „Der Kerl ist doch gemeingefährlich!“
Ich wandte den Blick in Richtung meines Kollegen und fragte: „Sprichst du jetzt von Mendoza oder dem Road Killer?“
Milo machte eine wegwerfende Handbewegung. Wir stiegen in den Sportwagen ein. Schließlich fragte er: „Was hältst du von er Story, die uns Mendoza erzählt hat?“, fragte Milo.
„Mehr als ein Tipp war das nicht – aber bislang konnte man sich auf Mendoza immer verlassen. Wir tun also gut daran, diesen Hinweis ernst zu nehmen.“
„Ich kann diesen Wichtigtuer nicht leiden!“
„Wenn bestimmt, was er sagt, haben wir in nächster Zeit jede Menge Arbeit im Field Office, Milo. Ein auswärtiges Syndikat schickt einen Profi-Killer, der die Konkurrenz aus dem Weg räumen soll… Ich hoffe, dass Mendoza sich geirrt hat!“
Brad Mendoza jagte mit seiner Harley die Küstenstraße entlang. Zurzeit war nur wenig Verkehr.
Die Nebelschwaden über dem Long Island Sound zogen jetzt nach und nach in die Uferzone. Normalerweise konnte man von hier aus die Silhouette von Queens sehen. Aber jetzt war da nichts weiter als eine hellgraue, undurchdringliche Wand.
Und die ersten Schwaden zogen nun auch über die Straße. Die Sichtweite sank innerhalb kurzer Zeit dramatisch.
Mendoza drosselte die Geschwindigkeit.
Der Nebel wurde rasch dichter. Bald fuhr er in ein graues Nichts hinein. Selbst die Küstenlinie war kaum noch zu erkennen. Die Bäume am Straßenrand waren nur noch dunkle, drohende Schatten. Auf dreißig bis vierzig Yards schätzte er die Sichtweite. Ein Truck kam ihm donnernd entgegen. Er war erst in letzter Sekunde zu erkennen und tauchte düsterer, übermächtiger Schatten aus dem Nebel heraus.
Im Rückspiel sah Brad Mendoza zwei Lichter herannahen. Ein Geländewagen schloss mit ziemlich hoher Geschwindigkeit zu ihm auf, hielt sich dann aber hinter ihm.
Die schlechte Sicht zwang Brad Mendoza dazu, die Geschwindigkeit noch etwas weiter abzusenken. Einfach ins Nichts hineinzurasen war selbst ihm zu riskant, obwohl er ansonsten stets dazu neigte, sich als Fahrer zuviel zuzutrauen.
Der Geländewagen scherte plötzlich auf die Gegenfahrbahn aus, beschleunigte und zog dann wieder nach rechts. Dabei touchierte er die Harley. Mendoza verlor die Kontrolle über das Motorrad, brach seitlich aus und geriet von der Fahrbahn.
Ehe er bremsen konnte, knallte die Harley gegen einen der zahlreichen Bäume, die an der dem Ufer abgewandte Seite der Fahrbahn zu finden waren.
Der Geländewagen hielt mit quietschenden Reifen.
Ein Mann stieg aus.
Er trug eine Mütze mit der Aufschrift WINNER. In der Linken schwang er einen Baseball-Schläger.
Brad Mendoza lag in verrenkter Haltung auf dem Boden.
Er stöhnte auf, war aber zu schwer verletzt, um sich aufzurappeln. Der Mann mit der WINNER-Mütze näherte sich.
Er verzog das Gesicht, als er Mendoza in seiner Blutlache liegen sah. Der Verletzte schaffe es, den Helm vom Kopf zu nehmen. Er keuchte, rang nach Luft und versuchte, die Blutung am Bein stillen.
Dann sah er den Mann mit der WINNER-Mütze auf sich zukommen. Er stierte ihn gläubig an. Mendoza hob abwehrend die Hand.
„Nein!“, schrie der Verletzte mit heiserer, schwacher Stimme. Er versuchte die letzten Kräfte zu mobilisieren.
Vergeblich.
Zweimal holte der Mann mit der WINNER-Mütze aus. Ein dumpfes Geräusch entstand, wenn das Holz des Baseballschlägers auftraf
Danach schwieg Brad Mendoza für immer.
Wir fuhren erst eine halbe Stunde nach Beendigung unserer Zusammenkunft mit Brad Mendoza zurück in Richtung New York. Das gehörte zu den Regeln, die wir einzuhalten hatten, wenn wir uns mit Mendoza trafen. Er bestand darauf, da er sich ständig verfolgt gefühlt hatte.
Wir nutzten die Zeit, um mit Mr McKee Kontakt aufzunehmen und mit Hilfe des im Sportwagen installierten Rechners eine Online-Verbindung zu NYSIS zu schalten. Über dieses landesweit allen Polizeieinheiten zur Verfügung stehende Datenverbundsystem konnten wir uns den aktuellen Stand der Fahndung in Bezug auf den Road Killer ansehen.
Der letzte Mord, der mit ihm in Verbindung gebracht werden konnte, lag drei Jahre zurück und war in Philadelphia an einem abtrünnigen Mafia-Mitglied namens Mike Pasarella verübt worden.
Der Road Killer hatte aus einem präparierten Motorradlenker mit einem Explosivgeschoss auf den Wagen Pasarellas gefeuert, der daraufhin explodiert war.
„Es bestand schon die Hoffnung, dass der Road Killer sich aus dem Hitman-Geschäft zurückgezogen hätte“, sagte Mr Jonathan D. McKee, der Chef des FBI Field Office New York über die Freisprechanlage des Sportwagens. „Schließlich dürfte er für seine Morde gut bezahlt worden sein und langsam ausgesorgt haben.“
„Vorausgesetzt, er ist mit seinem Geld auch geschickt umgegangen und hat es richtig investiert“, meinte Milo.
„Jedenfalls werde ich die Kollegen des Innendienstes anweisen, nach Ermittlungsansätzen zu suchen“, erklärte unser Chef. „Schließlich haben wir in diesem Fall vielleicht die Möglichkeit, ein Verbrechen zu verhindern, anstatt wie üblich erst dann tätig zu werden, wenn es bereits geschehen ist. Sehen Sie irgendeine Möglichkeit, an Mendozas Quelle heranzukommen?“
„Wenn wir anfangen, in seinem Umfeld zu ermitteln, gefährden wir ihn“, gab ich zu bedenken.
„Die Fakten stellen sich so dar: Der Road Killer ist eine der ausgebufftesten Tötungsmaschinen, die je im Dienst des organisierten Verbrechens gestanden hat“, sagte Mr McKee. „Wer immer ihn für einen Auftrag gewinnen will, muss in der Lage sein, ein Spitzenhonorar zu zahlen.“
„Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zu den Gerüchten um ein auswärtiges Drogensyndikat, das seinen Einfluss auf New York ausdehnen will“, glaubte Milo.
„Wir bekommen in der Tat fast täglich Hinweise darauf, dass sich in diese Richtung irgendetwas in Spanish Harlem und der South Bronx tun wird“, stimmte Mr McKee zu. „Und wenn der von Ihnen skizzierte Zusammenhang tatsächlich besteht, dann müssen wir uns auf blutige Machtkämpfe einstellen.“
Mr McKee unterbrach die Verbindung. Milo und ich sahen uns das vorliegende Datenmaterial über den Road Killer an. Abgesehen von ein paar nicht sehr brauchbaren Zeugenaussagen, gab es kaum Spuren.
„Dieser Mann ist ein Profi durch und durch“, sagte ich, während ich den Sportwagen die Küstenstraße entlang lenkte. „Wir müssen uns wohl oder übel darauf einstellen, dass er kaum Fehler machen wird, die uns helfen könnten, ihn in unser Netz laufen zu lassen!“
„Jeder macht Fehler“, widersprach Milo. „Früher oder später jedenfalls.“
„Bei Road Killer warten wir allerdings schon ziemlich lange darauf.“
Der Nebel nahm immer mehr zu, je weiter wir uns der Grenze des Staates New York näherten.
Plötzlich tauchten Warnleuchten aus dem Nebel auf.
Ich drosselte die Geschwindigkeit und fuhr im Schritttempo weiter. Mehrere Einsatzfahrzeuge des zuständigen County Sheriffs sowie ein Rettungswagen waren zu sehen.
Ein Deputy trat an unsere Seitenscheibe. Ich ließ sie herunter.
Der Deputy machte eine Handbewegung. „Fahren Sie bitte weiter!“
„Was ist hier passiert?“
„Schwerer Motorradunfall. Ist immer dasselbe: Überhöhte Geschwindigkeit im Nebel. Die Kerle überschätzen ihre Fähigkeiten, verlieren die Kontrolle über die Maschine und dann rasen sie frontal gegen den Baum. Aber jetzt fahren Sie bitte weiter! Sonst gibt es hier noch einen Auffahrunfall.“
Ich holte meine ID-Card hervor.
„Agent Trevellian, FBI. Handelte es sich bei der verunglückten Maschine zufällig um eine Harley?“
Der Deputy nickte. „Ja, woher wissen Sie das?“
„Nur eine Vermutung. Aber es könnte sein, dass dies unser Fall ist!“
Ich parkte den Wagen am Straßenrand. Wir stiegen aus.
Der Mann, der den Einsatz leitete hieß Barry Branson und war einer der Stellvertreter des zuständigen County Sheriffs. Barry Branson war ein breitschultriger Mann mit einem graumelierten Kinnbart und schätzungsweise zwanzig Kilo Übergewicht.
Wir zeigten auch Branson unsere Ausweise vor.
Er schob sich seinen Hut in den Nacken und runzelte die Stirn. „Ich will Ihnen ja nicht in die Suppe spucken, aber wie kommen Sie darauf, dass das etwas mit Ihren Ermittlungen zu tun hat? Für uns sah das nach einem Routinefall aus!“
„Wir haben uns vor einer halben Stunde mit einem Harley-Fahrer namens Brad Mendoza auf einem Parkplatz ganz hier in der Nähe getroffen.“
Barry Branson atmete tief durch und kratzte sich am Kinn. „Das war auch der Name, der im Führerschein des Verunglückten angegeben war. Der Tote liegt im Krankenwagen. Der Notarzt konnte leider nur noch den Tod feststellen.“
„Die Leiche darf auf keinen Fall abtransportiert werden“, sagte ich bestimmt.
„Sie wollen eine Obduktion durchführen lassen?“
„Falls es nur den geringsten Verdacht eines Fremdverschuldens gibt – ja.“
„Hören Sie, Agent…“
„Trevellian.“
„Wir sind selbst erst vor kurzem hier eingetroffen und konnten gerade mal die Unfallstelle einigermaßen absichern. Zu weiteren Ermittlungen sind wir noch nicht gekommen.“
„Wir werden unsere eigenen Spurensicherer hierher beordern“, kündigte ich an. „Mister Mendoza war ein wichtiger Informant für uns.“
„Sie glauben an einen Mord?“
„Wir müssen diese Möglichkeit jedenfalls ausschließen, bevor wir von einem normalen Verkehrsunfall ausgehen können. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass ein zweites Fahrzeug an dem Unfallgeschehen beteiligt war?“
Branson zuckte die Schultern. „Sagen wir so: Ausgeschlossen ist das nicht.“
Branson führte uns zu dem Baum gegen den Mendoza gerast war. Er rief einen seiner Leute herbei, die uns den Führerschein brachten, den er bei sich getragen hatte. Außerdem sein Handy und seine Brieftasche.
„Aber was eine Obduktion angeht, glaube ich, die Mühe können Sie sich sparen. Wenn man frontal gegen einen Baum wie diesen rast, dann kann das die schwersten Verletzungen nach sich ziehen.“
Ich blickte mich um.
„Wie haben Sie von dem Unfall erfahren?“, fragte ich an Branson gerichtet. „Schließlich waren Sie ziemlich schnell am Ort des Geschehens, wenn ich das richtig nachrechne…“
„War purer Zufall. Wir befanden uns gerade etwa zehn Minuten von hier auf Streife. Da kam der Anruf aus dem Büro des Sheriffs. Jemand hatte sich dort gemeldet, der das verunglückte Motorrad am Straßenrand liegen sah.“
„Haben Sie die Personalien dieses Fahrers?“
„Ja.“ Er langte zu einem kleinen Block, der aus seiner Jackentasche herausragte und sah darauf nach. „Ein Mister Brian Davis Montgomery aus New Rochelle, New York State, von Beruf Handelsvertreter. Er hat hier gewartet, bis wir eintrafen. Ich habe ihn weiterfahren lassen. Vom eigentlichen Unfallgeschehen hat er nichts mitbekommen und außerdem schien er mir ziemlich fix und fertig zu sein.“
„Dieser Montgomery hat nicht versucht, Mendoza zu helfen, als er ihn gefunden hat?“
Branson schüttelte den Kopf. „Er hielt ihn für tot. Wir haben aber trotzdem den sicherheitshalber Notarzt verständigt. Schließlich wollten wir uns nicht auf die Einschätzung deines Laien verlassen. Ich kann Ihnen sagen, da habe ich schon die dollsten Dinger erlebt…“
Wir setzten uns telefonisch mit Mr McKee in Verbindung und erstatteten ihm Bericht.
„Bleiben Sie an der Sache dran, bis wirklich ausgeschlossen ist, dass es sich um einen Mord handelt“, ordnete unser Chef an. „So lange das nicht der Fall ist, betrachten wir den Unfall als Teil des Road Killer-Falls.“
„Ja, Sir“, bestätigte ich.
„Sie haben im Übrigen jetzt alle Freiheiten, im Umfeld von Mister Mendoza zu ermitteln – auch was seine mögliche Quelle angeht. Schließlich besteht ja jetzt nicht mehr die Möglichkeit, dass wir ihn in Gefahr bringen.“
Im Verlauf der nächsten zwei Stunden trafen unsere Kollegen Sam Folder und Mell Horster ein. Die beiden Erkennungsdienstler suchten insbesondere nach Spuren eines eventuell vorhandenen zweiten Verkehrsteilnehmers, der an dem Unfallgeschehen beteiligt war.
Bevor der tote Mendoza abtransportiert wurde, durchsuchten wir noch einmal gründlich seine Taschen. Dann nahmen wir uns das Handy vor und überprüften mit Hilfe unseres Online-Anschlusses im Sportwagen die im Menue gespeicherten Nummern.
Es waren viele Nummern von Prepaid-Handys darunter, die sich keinem Vertragsnehmer zuordnen ließen und daher gerne benutzt wurden, wenn der Betreffende in jeder Hinsicht anonym bleiben oder sich vor Abhörmaßnahmen durch die Polizei schützen wollte.
Die Nummer, die er zuletzt angerufen hatte, gehörte einem Handy, dessen Vertrag unter dem Namen Rita Clemente abgeschlossen worden war, wie wir schnell über unseren Rechner im Sportwagen ermitteln konnten.
Die Adresse war interessant.
Sie stimmte mit dem Apartment überein, das Mendoza in Spanish Harlem bewohnt hatte.
„Vielleicht seine Freundin!“, vermutete Milo.
„Wir sollten uns mit ihr unterhalten – ganz gleich, was jetzt bei dieser Untersuchung herauskommt und ob wir es nun mit einem Verkehrsunfall oder einem Mordanschlag zu tun haben.“
Milo stimmte mir in dieser Hinsicht zu.
Aber schon wenig später hatten unsere Erkennungsdienstler herausgefunden, dass es an Mendozas Harley verdächtige Lackspuren gab.
„Wir müssen natürlich genauere Untersuchungen abwarten“, meinte Mell Horster. „Aber es scheint sehr wahrscheinlich zu sein, dass das Motorrad von einem anderen Fahrzeug touchiert wurde und dies die Ursache des Unfalls war.“
„Dann handelt es sich auf jeden Fall um Fahrerflucht“, stellte Milo fest.
„Oder um Mord!“, ergänzte ich. „Vielleicht war Mendoza doch nicht vorsichtig genug. Es ist ihm jemand gefolgt, hat beobachtet, wie er sich mit uns traf und später dafür gesorgt, dass ein Informant ausgeschaltet wird!“
„Bis jetzt ist das noch reine Spekulation, Jesse!“, gab Mell Horster zu bedenken. „Das einzige, was in diese Richtung weist, ist die Lage der Lackspuren. Sie sind auf der rechten Seite des Motorrads.“
Ich hob die Augenbrauen. „Das bedeutet, dass der unbekannte Fahrer Mendozas überholt haben oder es zumindest versucht haben muss!“
Branson schüttelte den Kopf. „Wer so etwas tut, muss wahnsinnig sein! Sehen Sie sich diese Nebelsuppe an! Wer da überholt, ist doch lebensmüde.“
„Wenn der Unbekannte Mendozas Harley von hinten erwischt hätte, würde man annehmen, dass er ihn im Nebel übersehen hat – aber nicht wenn der Zusammenstoß ganz offensichtlich von der Seite stattfand“, erklärte Mell Horster.
„Der Unbekannte könnte überholt haben und dann plötzlich auf Gegenverkehr gestoßen sein, der ihn zwang sofort wieder auf die linke Fahrbahn zurückzuziehen“, sagte Milo.
„Wir werden die Straße auf Bremsspuren, Reifenprofilen und so weiter untersuchen müssen“, kündigte Mell an.
„Dann sollten wir uns auch noch einmal die Umgebung des Parkplatzes genauer ansehen, auf dem wir uns mit Mendoza getroffen haben“, schlug ich vor. „Wenn es nur ein Unfall mit Fahrerflucht war, werden wir dort kaum etwas finden. Aber wenn es sich um geplanten Mord handelt, dann wird der Täter uns dort wahrscheinlich vorher beobachtet haben!“
Für Milo und mich gab es zunächst am Tatort nichts mehr zu tun. So fuhren wir die paar Meilen zurück zu dem Parkplatz, auf dem das kurze Treffen mit Mendoza stattgefunden hatte. Wir stiegen aus.
„Wo könnte sich jemand postiert haben, um uns zu beobachten?“, fragte ich.
Milo deutete mit ausgestrecktem Arm zur Böschung, die die Küstenstraße begrenzte. Dort waren einige Sträucher, hinter denen sich jemand hätte verbergen können. „Versetz dich mal in die Lage eines potentiellen Verfolgers. Er hat gesehen, dass Mendoza auf den Parkplatz abbog. Also wird er seinen Wagen irgendwo in der Nähe abgestellt haben, ist dann zu Fuß bis zur Böschung gegangen und hat uns beobachtet!“
„Sehen wir einfach mal nach, Milo!“
Wir stiegen die Böschung empor und sahen uns an den Stellen um, die uns als geeignete Beobachtungsposten erschienen. An einer Stelle waren Gras und Sträucher niedergetreten. Ein Indiz für die Anwesenheit eines Menschen – mehr aber auch nicht. Hundert Yards entfernt gab es an der dem Meeresufer abgewandten Straßenseite eine Stelle am Straßenrand, wo zweifellos ein Wagen für einige Zeit abgestellt worden war. Wir fanden einen Reifenabdruck und telefonierten mit unseren Erkennungsdienstlern, damit die Spur gesichert werden konnte.
Ich hatte Sam Folder am Apparat.
„Wir haben hier inzwischen auch ein paar Reifenspuren gefunden“, berichtete er mir. „Die Hypothese, dass Mendoza abgedrängt wurde, scheint sich zu erhärten. Es gibt noch ein weiteres interessantes Detail.“
„Und das wäre?“
„Es gibt Anzeichen dafür, dass der Unbekannte keineswegs einfach davon gefahren ist. Er hat auf jeden Fall stark abgebremst und sich vielleicht sogar angesehen, was er angerichtet hat. Aber Genaueres können wir wahrscheinlich frühestens Morgen sagen, wenn wir alle Erkenntnisse ausgewertet haben. Im Moment suchen wir noch nach Fußspuren. Der Täter könnte ausgestiegen sein und sich erst dann zur Fahrerflucht entschlossen haben, als er merkte, dass er einen Menschen auf dem Gewissen hatte!“
Es war später Nachmittag, als wir nach New York City zurückkehrten und Mendozas Wohnung in East Harlem aufsuchten. Sie lag im dritten Stock eines Brownstone-Hauses.