2,99 €
"Undercover" oder "Kriminalist im Schatten" Kriminalhauptkommissar a. D. Sven Berger schildert seine Erlebnisse als verdeckt ermittelnder Kriminalbeamter in den 70er Jahren (Undercover). Bei den Einsätzen gerät er immer wieder in lebensgefährliche Situationen. Einer der ersten Einsätze gegen einen kleinen Drogendealer scheitert unerwartet an rechtlichen Problemen. Der Tod von Drogenabhängigen veranlasst das LKA, ihn und seinen Kollegen dort als verdeckten Ermittler einzusetzen, um die unbekannten Drogenlieferanten zu ermitteln. Sie geraten an eine angebliche Prostituierte, die ihnen misstraut, an einen kleinen Dealer, der angeblich Kontakte zu den Drogenlieferanten unterhält und an einen Whisky trinkenden Antiquitätenhändler, der ihnen gegen eine entsprechende Provision behilflich sein will. Sie werden als Undercover auf einem Airport eingeschleust, wo sie den Handlangern von Drogenhändlern auf die Spur kommen. Als sie in einer Gaststätte auf den Drogenkurier warten, werden sie von dem Wirt und den Gästen überfallen und mit dem Tode bedroht. Nur ihrer "wasserfesten" Legende verdanken sie ihr Leben. Nach der erfolgreichen Festnahme des Dealers lässt Sven sich überreden, für den Verfassungsschutz eine befristete "ungefährliche" Aufgabe zu übernehmen. Seine angeblich ungefährliche Informationsbeschaffung entwickelt sich mehr und mehr zu einer Beteiligung an terroristischen Straftaten, denen er sich kaum entziehen kann, ohne die Aktion zu gefährden oder sich selbst in Lebensgefahr zu bringen. Dabei verliebt er sich auch noch in eine der Beteiligten, was seine Situation immer unüberschaubarer werden lässt. Weitere Einsätze für das LKA führen ihn gegen seinen Willen ins Ausland, obwohl ihm der Grenzübertritt strikt untersagt war. Er gerät an international organisierte kriminelle Menschenhändler, die ihn für ihre Geldwäsche- und Drogengeschäfte missbrauchen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 723
Veröffentlichungsjahr: 2019
Autor
Der Autor war in der Zeit 1964 bis 2003 in verschiedenen Ländern der Bundesrepublik als Kriminalist in den unterschiedlichsten Bereichen der Kriminalitätsbekämpfung tätig. Er war fast 1 1/2 Jahre als sog. verdeckter Ermittler im Bereich der organisierten und internationalen Kriminalität eingesetzt. Diese Tätigkeit war mit unkalkulierbaren Risiken verbunden, die in wiederholt in Lebensgefahr brachte. Später arbeitete er unter anderem in spektakulären Mordkommissionen und für das Bundeskriminalamt in der Terrorismusbekämpfung.
Nach seiner Pensionierung schrieb er das vorliegende Buch, dass seine Tätigkeit als verdeckter Ermittler schildert. Die Arbeit der Sicherheitsbehörden war geprägt durch die damaligen rechtlichen, technischen und personellen Voraussetzungen, die für schwerste Fehlschläge in der Kriminalitätsbekämpfung verantwortlich waren. Er bezeichnete dieses Buch als Roman, weil er alle Namen, Bezeichnungen und Handlungsorte so veränderte, dass lebende Personen nicht erkannt werden können. Seine Schilderungen machen deutlich, dass die föderalen Strukturen in der Bundesrepublik mit 16 Bundeländern eine der Ursachen für spektakuläre Fehlschläge in der Kriminalitätsbekämpfung waren. Aus naheliegenden Gründen veröffentlicht er sein Buch unter dem Pseudonym Sven Berger.
Kriminalist im Schatten
Sven Berger
© 2019 Sven Berger
Verlag& Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
Autor: Sven Berger
Umschlaggestaltung: Sven Berger
ISBN
Paperback:
978-3-7497-1659-3
Hardcover:
978-3-7497-1660-9
e-Book:
978-3-7497-1661-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhaltsverzeichnis
Abschied
Ausbildung
Braunschweig
Airport Hannover Langenhagen
Tod eines verdeckten Ermittlers
Als Informant des Landesamtes für Verfassungsschutz
Im Auslandseinsatz
Das Ende in Osnabrück
Abschied
„Wir bedauern sehr, dass du unser erfolgreiches Team verlässt. Für dich freuen wir uns, dass du deine verdiente Pension gesund erreicht hast, und wünschen dir für deinen neuen Lebensabschnitt alles Gute!“
Die letzten Worte seines noch Vorgesetzten, des Kriminaloberrats Alfons Alvers, vernahm Kriminalhauptkommissar Sven Berger, wie aus weiter Ferne, als ob sie nicht ihm galten. Er war, wie häufig in den letzten Jahren, in Gedanken bei seiner einzigen Tochter Irina. Seit Jahren war sie drogen- und alkoholabhängig und meldete sich nur sehr selten bei den Eltern. Vor etlichen Monaten war ihm von Kollegen des Drogendezernats anvertraut worden, dass sie nicht ansprechbar in eine Klinik eingeliefert worden war. In der Hoffnung sie dort anzutreffen, suchte er umgehend während seiner Dienstzeit die Klinik auf. Der behandelnde Arzt konnte ihm nur bedauernd mitteilen, dass sie, nachdem sie wieder zu sich gekommen war, die Klinik in einem unbeobachteten Moment verlassen habe. Er sei sich nicht einmal dazu gekommen sie genau zu untersuchen, weshalb er sich über ihren Gesundheitszustand nicht äußern könne. Gut sei es ihr aber nicht gegangen. Sven vermutete, dass sie wieder irgendwo im Drogenmilieu in Deutschland lebte. Seit dem Tod seiner Frau Jessica vor zwei Jahren sah er sie kaum noch. Er nahm an, dass sie sich eine gewisse nicht unbegründete Schuld an dem so frühen Tod der Mutter gab. Er hatte zusehen müssen, wie sich ihre Mutter vor Kummer über den Zustand ihrer Tochter mehr und mehr vom Leben zurückzog. Sie verließ das Haus immer seltener mit der Begründung, dass Irina unverhofft auftauchen und Hilfe benötigen könnte.
Alfons beendete seine kleine Ansprache und sah Sven mit einem Glas Orangensaft in der Hand erwartungsvoll an. Die letzten Worte waren Sven entgangen und er war unsicher, was er erwidern sollte. Er bedankte sich mit wenigen Worten bei Alfons und seinen Kolleginnen und Kollegen für die gute Zusammenarbeit der letzten Jahre. Svens Stimmung war ohnehin in Anbetracht seines bevorstehenden Ruhestandes nicht gerade euphorisch. Es war allgemein bekannt, dass er seinen Dienst beim Dezernat Kapitalverbrechen zu gerne noch ein paar Jahre ausgeübt hätte. Die Anwesenden erkundigten sich nach seinen zukünftigen Plänen. Aus naheliegenden Gründen waren ihnen seine familiären Probleme bekannt. Sie verstanden gut, dass er sich vor der Pensionierung fürchtete und nicht schon mit 60 seinen Beruf aufgeben wollte, was aber für Kriminalbeamte die Regel war.
Hier in den Räumen der Dienststelle waren von ihm lediglich ein paar Flaschen Sekt und Orangensaft bereitgestellt worden, um auf seinen Abschied anstoßen zu können. Sein Dezernatsleiter war gerade im Begriff das Glas zu heben, als der Leiter der Kriminaldienststelle Kurt Sebald hereinkam und auf Sven zuging. „Ich komme wohl genau im richtigen Moment?", scherzte er und gratulierte ihm zu seiner Pensionierung. Er ließ sich ebenfalls ein Sektglas mit Orangensaft füllen und stieß mit dem nicht besonders glücklich aussehenden Sven auf dessen Abschied an. Auch ihm war Svens Situation bekannt. Leise fragte er: „Hast du in der letzten Zeit etwas von deiner Tochter gehört?“ Sven schüttelte leicht den Kopf. „Seit Monaten nichts mehr", antwortete er ebenso leise, wohl wissend, dass jeder sein Problem kannte.
Mit Kurt Sebald dem Dienststellenleiter verband Sven ein besonderes Verhältnis. Sie hatten zusammen den Laufbahnlehrgang für Kriminalbeamte besucht und sich ein Zimmer geteilt. Durch ihre gegenseitige Unterstützung während des Lehrgangs entstand fast eine Freundschaft. Schon während des Kriminalfachlehrgangs bewunderte Sven Kurts zielstrebigen Ehrgeiz, mit dem es ihm gelang, als Lehrgangsbester abzuschneiden, weshalb der Aufstieg zum leitenden Kriminaldirektor vorprogrammiert war.
„Hast du schon Pläne für die Zukunft?", erkundigte sich Kurt.
Sven schüttelte wieder seinen Kopf und gab zur Antwort: „Ich werde vermutlich 2 bis 3 Wochen irgendwo hinfahren, um Abstand von der bisherigen Arbeit zu gewinnen.“
Weist du schon, wohin die Reise gehen soll? Wollte Kurt wissen.
Sven verneinte, obwohl er sein Ziel bereits kannte. Es kam ihm vor, als wolle er mit dieser Reise vor seinen trüben Gedanken fliehen und vermeiden, dass jemand ihn finden kann. Immer wieder ertappte er sich bei den Überlegungen, nach seiner Tochter suchen zu wollen. Er wusste, dass es schwierig, ja ohne konkrete Anhaltspunkte für ihren Aufenthalt unmöglich war und sich seine Wünsche, seine Tochter zurückzugewinnen, ohnehin nicht erfüllen würden. Die anwesenden Kolleginnen und Kollegen vermieden in ihren Gesprächen mit ihm, seine Tochter zu erwähnen. Einige beneideten ihn, dass er seine Pensionierung bei guter Gesundheit erreichte. Einige äußerten, zu gerne mit ihm tauschen zu wollen, was auch ehrlich gemeint war. Ein Gesprächsthema beherrschte die Runde, dass nicht so recht zum Anlass ihrer kleinen Feier passte. Wie bei Kriminalisten nicht ungewöhnlich unterhielten sie sich über einen Sexualmord, den sie versuchten seit ein paar Tagen aufzuklären. Am Abend war eine kleine Abschiedsfeier mit seinen Kolleginnen und Kollegen geplant. Er wusste nur zu genau, dass dieses Thema den Abend beherrschen würde, was ihm aber entgegenkam. So konnte er vermeiden, dass man sich mit seiner Situation befasste.
Sven war vor über 40 Jahren zur Polizei gegangen, weil er seiner Wehrpflicht auf diese Weise nachkommen und die Zeit zur Weiterbildung nutzen wollte. Trotz der festen Absicht, nach dem Ableisten seiner Wehrpflicht in die sog. freie Wirtschaft zurückzukehren, verschob er die Entscheidung Jahr um Jahr, weil sich die Verhältnisse in der freien Wirtschaft nicht entscheidend änderten.
Nach seiner Ausbildung und ein paar Jahren Dienst bei der Schutzpolizei bewarb er sich für die Laufbahn der Kriminalpolizei. Sie war damals eine eigenständige fast elitäre Organisation. Nach etlichen Jahren Dienst im Landeskriminalamt ließ er sich aus familiären Gründen vor 10 Jahren nach Osnabrück versetzen, wo er ein kleines Reihenhaus günstig erwerben konnte. Hier lebte er mit seiner Frau Jessica und der einzigen Tochter Irina, die vor einigen Jahren auszog. In den letzten Jahren war ihm seine Arbeit, die Ermittlungen beim Dezernat 1 (Kapitalverbrechen, Tötungsdelikte) fast zum Lebensinhalt geworden. Sie lenkte ihn von seinen familiären Problemen ab. Eine merkwürdig anachronistische Innenpolitik der Bundesländer machte Sven den Abschied ein wenig leichter. Diese "Organisations- und Ausbildungsreform" integrierte die Kriminalpolizei in die Schutzpolizei als eine Art Ermittlungsabteilung ohne spezialisierte Ausbildung. Trotz der von Fachleuten seit vielen Jahren geforderten kriminalistischen Ausbildung in Studiengängen führten die Bundesländer eine generalisierte Polizeihochschulausbildung für alle Polizeibeamten ein. Eine professionelle Verbrechensbekämpfung wurde dadurch fast unmöglich.
Von seinem Haus aus konnte er zu Fuß seine Dienststelle in etwa 10 Minuten erreichen. Ein schmaler Trampelpfad führte durch brachliegendes Bebauungsgebiet, über dessen Verwendung sich der Stadtrat seit Jahren stritt. Das Gelände bestand aus verwildertem Buschbestand und ungepflegten Rasen, der nur selten gemäht wurde. Sven benutzte gerne den Trampelpfad, weil er auf diesem Wege schneller seine Dienststelle erreichen und seinen Pkw zu Hause stehen lassen konnte. In den letzten Tagen vor seiner Pensionierung benutzte er diesen Weg fast jeden Tag. Die Nächte waren bereits sehr kalt und kündigten den bevorstehenden Winter an. Einige Tage vor seiner Pensionierung glaubte er auf diesem Weg zur Dienststelle, ca. 500 Meter von seinem Haus entfernt, auf der linken nördlichen Wegseite, durch einen Busch verborgen, Teile einer Schaufensterpuppe zu sehen. Die verfärbten Blätter der Büsche waren teilweise infolge des Herbstes bereits abgefallen.
Er ging neugierig näher, um zu sehen, ob noch anderer Abfall an der Stelle lag. Zu seinem blanken Entsetzen entpuppten sich die vermeintlichen Teile einer Schaufensterpuppe als weibliche Leiche. Sprachlos starrt er die Leiche einen Moment an. Er sah schon viele Leichenfundorte, auch von getöteten Kindern oder Frauen, die einem Sexualmord zum Opfer gefallen waren. Doch jetzt ein paar Tage vor seiner Pensionierung fand er selbst eine weibliche Leiche. Nach dem ersten Schock über den Fund informierte er mit seinem Handy die Kollegen der Dienststelle. Sehr vorsichtig sah er sich die völlig entkleidete Leiche genauer an. Es war ein junges Mädchen, dessen Augen geöffnet waren. Er sah auf der linken Seite der Leiche Leichenflecke. Sie konnten sich nur gebildet haben, wenn die Leiche nach der Tötung einige Zeit auf der linken Körperseite lag. Er fasste das linke Handgelenk an und spürte die Kälte des Körpers und die eingetretene Leichenstarre. Weil er nichts verändern wollte, unterließ er es ihr die Augen zu schließen, was ihn einiges an Überwindung kostete. Mit der flachen Hand deckte er ihre offenstehenden Augen ab und beobachtete, dass ihre Pupillen sich nicht veränderten. Behutsam ging er die paar Schritte zum Trampelpfad zurück und wartete auf seine Kollegen.
Die Auffindesituation sprach für einen Sexualmord. Es war auch für ihn schon wegen nicht regelrecht ausgeprägten Leichenflecken erkennbar, dass die junge Frau nicht an diesem Ort getötet worden sein konnte. Im näheren Bereich sah er auch keine Kleidungsstücke. Sie lag auf dem Rücken und die Beine waren leicht angewinkelt. Es sah aus, als habe der unbekannte Täter die Leiche bewusst in dieser Pose präsentiert, damit sie schneller entdeckt würde. Doch wie transportierte der unbekannte Täter die Leiche zum Fundort? Mit einem Pkw konnte er den Trampelpfad nicht benutzt haben. Es wären Reifenspuren in dem nicht befestigten Weg zu sehen gewesen. An einigen Stellen war der Weg so schmal, dass Reifenspuren sich im hohen Gras rechts und links des Pfades nicht hätten vermeiden lassen. Von den letzten Häusern der Siedlung würde der unbekannte Täter die etwa 50°kg schwere Leiche zu Fuß kaum einige 100°m transportiert haben. Es blieb nur die Möglichkeit, von der nördlichen Seite mit dem Pkw auf einem Geröllfeld bis nahe an die Rasenfläche heranzufahren. Von dort waren es zu Fuß etwa 50 Meter bis zum Leichenfundort. Die Kriminaltechnik bestätigte später aufgrund vorhandener Spuren seine Vermutung.
Seine Kollegen kamen und vernahmen ihn als Leichenentdecker. Es wurde sofort eine kleine Sonderkommission gebildet, die wie immer in solchen Fällen die übliche Tatortarbeit und die notwendigen Maßnahmen professionell in Angriff nahm. Auf seine Mitarbeit verzichtete die Soko, weil er in ein paar Tagen ohnehin pensioniert wurde. Als man ihm zutrug, dass überlegt werde, ob er mit dem Sexualdelikt etwas zu tun haben könne, weil ausgerechnet er die Leiche fand, hielt er es noch für eine gewisse professionelle Vorgehensweise. Zunächst galten alle Personen im weitesten Sinne als verdächtig, die auch nur theoretisch infrage kommen konnten. Ein Alibi besaß er auch nicht, weil er am vergangenen Abend in seinem Haus alleine vor dem Fernseher saß, als die junge Frau nach den ersten Berechnungen getötet worden sein musste. Als einige Kollegen begannen, ihm die Ermittlungserkenntnisse vorzuenthalten, mit der Begründung, dass er einerseits als Leichenentdecker auch tatverdächtig sein könne und andererseits in einigen Tagen Privatmann sei, fühlte er sich brüskiert. Der Umstand, dass die Leiche ausgerechnet auf einem Rasenstück mit Buschbestand abgelegt wurde, der sich neben seinem Weg zur Dienststelle befand, machte aber auch ihn nachdenklich. Dieser Fußweg wurde nur von sehr wenigen Bewohnern des Wohnviertels benutzt, weil ihre Arbeitsstellen entgegengesetzt lagen. Der unbekannte Täter konnte aber nicht wissen, wann Sven diesen Weg nehmen würde. Seinen Dienst musste er in der Zeit 06.30 Uhr bis 08.30 Uhr aufnehmen. So benutzte er den Weg zu unregelmäßigen Zeiten, sofern er nicht mit seinem Pkw fuhr, um nach dem Dienst Besorgungen zu erledigen.
Der Leiter der Kriminaldienststelle, dem das Verhalten der Kollegen aufgefallen war, informierte ihn unter 4 Augen vom Stand der Ermittlungen und bat, dies für sich zu behalten. Die Gerichtsmedizin habe ebenso wie er festgestellt, dass der Ablageort nicht Tatort sei. Der Täter habe die junge Frau sexuell missbraucht und dabei ein Kondom einer bestimmten Marke benutzt. Anhand von Rückständen des Kondoms hätten Anal- Vaginal- und Oralverkehr nachgewiesen werden können. Abwehrspuren an den Händen und Armen des Opfers würden den Schluss zu lassen, dass der Geschlechtsverkehr nicht einvernehmlich erfolgte. Die Gerichtsmedizin habe weiter festgestellt, dass der Tod des Opfers durch Erwürgen eingetreten war. Sven solle das Verhalten seiner Kollegen nicht so wichtig nehmen. Hätte er später Fragen, solle er ihn persönlich aufsuchen. Seine Tür stünde für ihn immer offen, was er ihm ausdrücklich nochmals versichere. Dass die junge getötete Frau aufgrund einer noch am gleichen Tag erstatteten Vermisstenanzeige sehr schnell identifiziert werden konnte, wisse er ja. Sie habe sich mit zwei Freundinnen in der Innenstadt von Osnabrück in einer Diskothek aufgehalten und sei früher als ihre Freundinnen nach Hause gegangen. Von da an verlöre sich ihre Spur, bis Sven sie tot aufgefunden habe. Warum der unbekannte Täter die Leiche ausgerechnet an einer Stelle abgelegte, an der nur wenigen Bewohnern des Wohnviertels vorbeikämen, beschäftige die Soko besonders. Er habe als Leiter der Kriminaldienststelle vorgeschlagen, Sven in die Ermittlungen einzubeziehen, habe aber auch vom zuständigen Staatsanwalt eine Abfuhr erhalten. Niemand von der Soko würde ihn verdächtigen, auch nicht der Staatsanwalt. Es würden aber alle Fälle von Sexualdelikten der Vergangenheit überprüft, bei deren Ermittlungen er beteiligt gewesen sei. Sollte er sich für den Ermittlungsstand interessieren, dürfe er Kurt jederzeit anrufen.
Bei seiner kleinen abendlichen Verabschiedungsfeier in einer in der Nähe seiner Wohnung gelegene Gaststätte fehlten einige seiner Kollegen. Trotzdem verlief die Feier harmonisch, wenn man von den Gesprächsthemen absah, die auch hier den Abend beherrschten und sich schon wegen der Abwesenheit einiger Kollegen aufdrängten, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer vor ein paar Tagen eingerichteten Sonderkommission der Abschiedsfeier ferngeblieben. Er nahm es ihnen nicht übel, obwohl ihm ihre Gründe nicht so recht einleuchteten. Auch die anwesenden Kolleginnen und Kollegen rieten Sven, das Verhalten seiner nicht anwesenden Kollegen nicht als Affront aufzufassen. Wie er es ja selbst in der Vergangenheit häufig erlebte, seien sie wirklich mit einigen Maßnahmen beschäftigt, die nicht aufgeschoben werden könnten. Die Anwesenheit seines Dienststellenleiters Kurt Sebald und seines Dezernatsleiters versöhnte ihn ein wenig. Besonders sie versicherten ihm, dass sie ihn um seine gewonnene Freiheit beneideten. Die Entwicklung innerhalb der Polizei und speziell der Kriminalpolizei, beurteilten sie aufgrund ihrer in den letzten Jahren gewonnenen Berufserfahrungen sehr negativ, weswegen er sich glücklich schätzen könne, pensioniert zu werden. Sven erkannte ihre Bemühungen, ihm den Abschied zu erleichtern. Als der letzte seiner Gäste gegangen war, erfasste ihn ein Gefühl des Verlassenseins. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, und war froh, dass er allein war. Er zahlte und verließ in einer sehr deprimierten Stimmung die Gaststätte.
Zu seinem Haus waren es nur wenige Hundert Meter, die er in Gedanken versunken zurücklegte. Mitternacht war längst vorüber und einige markierte Straßenlaternen bereits abgeschaltet. Der majestätisch sich über ihn wölbende Sternenhimmel entfaltete in der sternenklaren Nacht seine ganze Pracht. Er blieb stehen und schaute wie so oft seit seiner Kindheit hinauf zu den Milliarden von Sternen. Das sich über das Firmament spannende Band der Milchstraße konnte er stundenlang betrachten. Die Faszination des Sternenhimmels schlug ihn seit seiner Kindheit in den Bann. Ihm wurden wieder die ungeheuren Dimensionen des Weltalls bewusst. Ja, nach der Lektüre des Buches "Eine kurze Geschichte der Zeit" des populären und schwer kranken Wissenschaftlers Stephen-Hawking, der von der Möglichkeit eines unendlichen und ewig existierenden Weltraums schrieb, bekam für ihn die Natur und sein eigenes Leben ganz andere Dimensionen. Wie so oft, wenn er nachts den Sternenhimmel betrachtete, schienen angesichts dieser Unendlichkeiten seine persönlichen Probleme bedeutungslos zu werden. Gab es auf einem der schillernden kleinen Punkte Leben wie hier auf der Erde?
Er musste an seine verstorbene Frau, seine Tochter und an das junge Mädchen denken, dessen Leiche er fand. Er dachte an die Gefühlskälte so mancher Sexualmörder, mit denen er in der Vergangenheit zu tun bekam und die ihn immer wieder überraschte. Auch die Lektüre so mancher Fachbücher über Sexualität und Verbrechen brachte ihm die Gedankenwelt dieses Tätertyps nicht näher. Der Zusammenhang von Gewalt und Sexualität war ihm trotz Studiums einschlägiger Literatur zwar erklärlich aber für ihn emotional unverständlich geblieben. Ihm fiel ein Satz des Philosophen Friedrich Nietzsche ein. "Und wenn man lange in einen Abgrund schaut, schaut auch der Abgrund in einen zurück." Lange stand er so in der Dunkelheit und blickte zum Sternenhimmel hoch. Schmerzen seiner Nackenmuskulatur holten ihn in die Realität seines Daseins zurück. Er setzte seinen kurzen Weg fort. Angesichts der Milliarden über ihm funkelnder Sterne kam er sich klein, hilflos und verloren vor. Ein Gefühl der Angst vor dem Alleinsein machte ihm zu schaffen, obwohl er glaubte, sich in den letzten beiden Jahren an das Alleinsein gewöhnt zu haben. Bei dem unregelmäßigen Dienst und den ständig anfallenden Überstunden war er sich dessen kaum bewusst geworden. Erst jetzt, wo alle beruflichen Verpflichtungen wegfielen, nahm er die Einsamkeit umso deutlicher wahr. Um seinen depressiven Gedanken zu entfliehen, war von ihm bereits für den nächsten Tag seine Abreise geplant. Er wollte 14 Tage am Bodensee Urlaub machen, als hätte er in Zukunft nicht ständig Urlaub. Dass er sich nicht an der Aufklärung des Verbrechens beteiligen konnte, machte ihm sehr zu schaffen. Die Ermittlungen in solch einem Verfahren und die Aussicht den Täter ermitteln, und der irdischen Gerechtigkeit zuführen zu können, befriedigte ihn jedes Mal in besonderem Maße. Nur ohnmächtig zuzusehen, ohne selbst aktiv werden zu können, empfand er als persönliche Niederlage.
Obwohl er einen Pkw besaß, wählte er für seine Reise an den Bodensee den Zug. Den Tipp Bodensee gab ihm ein Nachbar, der ein kleines Juweliergeschäft in Osnabrück besaß und häufig seine Preziosen auch auf Messen anbot und daher viel reiste. Sven entschied sich für den Zug, weil er es genoss, bequem im Zug sitzend die Landschaft vorübergleiten zu lassen und sich seinen Gedanken hinzugeben. Die Bodenseelandschaft wollte er sich Busgesellschaften anschließend erkunden. Er hoffte, auf diese Weise mit den Menschen eher in Kontakt zu kommen. Schon als er den Bahnhof in Osnabrück betrat, waren seine Gedanken wieder bei seiner verstorbenen Ehefrau und seiner Tochter. Es waren traurige Gedanken, die sich nicht verdrängen ließen.
Mit einer kleinen Reisetasche in der Hand wartete er auf dem Bahnhof und sah dem einfahrenden weißen, eleganten, futuristisch aussehenden ICE zu, wie er langsamer werdend, fast schwebend an ihm vorbei fuhr und anhielt. Die Türen öffneten sich automatisch mit einem leichten zischenden Geräusch. Reisende stiegen aus und hasteten zum Ausgang. Einige wurden erwartet und herzlich umarmend begrüßt. Sven suchte nach der Wagennummer, die auf seinem Fahrschein mit der Reservierung vermerkt war. Er musste sich beeilen, weil er den Wagen nicht sofort fand. Er war froh die Waggonnummer endlich gefunden zu haben und bestieg nervös geworden den Zug. Seinen reservierten Fenstersitz fand er schnell und machte es sich in dem Abteil gemütlich. Als er aus dem Fenster auf den Bahnsteig sah, kündigte bereits im Lautsprecher eine weibliche Stimme die Abfahrt des Zuges an. Seine Koffer waren bereits einen Tag vorher abgeholt worden, damit sie pünktlich bei seinem Eintreffen am Urlaubsort zur Verfügung stünden. Er bedauerte, dass die Bahn diesen Service nicht mehr anbot, den er vor etwa 40 Jahren bei Bahnfahrten schätzen lernte. Verspätete Reisende liefen hastig auf den Zug zu. Menschen umarmten sich und nahmen ganz offensichtlich schweren Herzens Abschied. Auf dem Bahnsteig stand niemand, der ihn verabschiedete. Sofort dachte er wieder an seine Tochter und seine verstorbene Frau. Er empfand in seinem Innern einen tiefen Schmerz, der ihm fast den Atem nahm. Was würde er dafür gegeben, seine Tochter auf diese Reise mitnehmen zu können. Aber wahrscheinlich wäre er dann mit dem Pkw gefahren, dachte er ganz pragmatisch.
Langsam setzte sich der Zug in Bewegung und der Bahnsteig mit einigen winkenden und Abschied nehmenden Menschen glitt langsam vorbei. Schneller und schneller begannen draußen die Häuser und bald darauf auch Wiesen, Felder und die Landschaft vorüberzuziehen. Er war allein im Abteil und sah, dass zwei weitere Plätze ab Köln reserviert waren. Der Zug glitt förmlich mit einem leisen Summen über die Gleise. Er vermisste das Stakkato des über die Gleisschwellen fahrenden Zuges, wie er es aus seiner Kindheit kannte. Er wusste, dass das Geräusch nicht durch die Schwellen, sondern durch die Verschraubungen der Gleisenden verursacht wurde. In seiner Kindheit konnte er an dem schneller werdenden Stakkato der rollenden Räder die zunehmende Geschwindigkeit erkennen. Dieses Geräusch war jetzt einem Summen gewichen, das ihn eher an eine Flugreise denken und schläfrig werden ließ.
Ausbildung
Die Bilder der vorbeigleitenden Landschaft verschwammen langsam vor seinen Augen und ließen ihn in eine Art Trance verfallen. Seine Gedanken wanderten zurück zum Beginn seiner Laufbahn. Die Idee sich bei der Polizei zu bewerben entsprang einer Laune, nachdem er mit Schulfreunden in eine Polizeikontrolle geraten war. Die Beamten verwickelten sie in ein Gespräch und fragten, ob sie sich vorstellen könnten, diesen Beruf zu erlernen. Als die Polizeistreife weiterfuhr, war er sich mit den Freunden einig, dass es zu schwierig sein würde, angenommen zu werden. Es weckte aber seinen Ehrgeiz. Er wollte sich und ihnen beweisen, dass es für ihn nicht unmöglich war. Seine kurz darauf eingereichte schriftliche Bewerbung verschwieg er ihnen, damit sie sich nicht bei einem Scheitern über ihn lustig machen konnten. Er kannte seine mangelnden sportlichen Ambitionen und bezweifelte daher den Erfolg seiner Bewerbung. Spätestens bei der Eignungsprüfung würde er schon wegen seiner fehlenden sportlichen Fähigkeiten scheitern. Zu seiner Überraschung wurde er nicht lange nach Absenden seines Bewerbungsschreibens zu einer zweitägigen Eignungsprüfung eingeladen.
Beim sportlichen Test schnitt er zu seiner Verblüffung überdurchschnittlich gut ab. Auch die theoretischen Leistungen entsprachen den Anforderungen. Nach etlichen Jahren der Ausbildung und späteren Tätigkeit bei der Verkehrspolizei und im Revierdienst, bewarb er sich bei der Kriminalpolizei, deren Tätigkeit ihm wesentlich eher zusagte. Ihm war inzwischen klar geworden, dass er wohl nicht mehr in die freie Wirtschaft zurückkehren würde. Über die hohen Anforderungen der Ausbildung und des späteren Dienstes machte er sich keine Illusionen. Er musste feststellen, dass die beruflichen Belastungen größer waren, als er es sich hatte vorstellen können. Besonders den psychischen Belastungen waren manche seiner Kolleginnen und Kollegen nicht gewachsen. Er selbst trainierte ein Verhalten, seine Gefühle in bestimmten Stresssituationen zu unterdrücken. Nur so war es ihm möglich, auch in dramatischen Situationen nicht die Beherrschung zu verlieren. Seine gefasste Haltung war ihm oft als Gefühlskälte und fehlende Empathie vorgeworfen worden. Doch ohne diesen Schutzwall wäre er einigen Situationen nicht gewachsen gewesen. Welche traumatischen Erlebnisse auch zu verkraften waren, psychologische Hilfen oder Beratungen standen zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit nicht zur Verfügung. Polizisten durften sich solche Schwächen nicht leisten, sonst wären sie abqualifiziert worden. Diese voreingenommene antiquierte früher weitverbreitete Denkweise innerhalb der Polizeiorganisation blieb für den einzelnen Polizei- bzw. Kriminalbeamten nicht ohne Folgen. Inwieweit bei Frühpensionierungen fehlende oder mangelhafte psychologische Betreuung oder auch Defizite bei Führungsqualifikationen einzelner Vorgesetzter eine Rolle spielten, blieb unbekannt.
Sven erinnerte sich eines Ereignisses, bei dem ein Vorgesetzter sich auf eine handgreifliche Auseinandersetzung mit einem Untergebenen einließ, der sich berechtigt zur Wehr gesetzt hatte. Der Disziplinarvorgesetzte ließ wohl wissend, dass der Untergebene nicht der Verursacher war, disziplinarisch gegen ihn ermitteln. Auf den Vorhalt des ermittelnden Beamten, dass er gegen den Vorgesetzten ermitteln müsse, wurde er von seinem Chef gemaßregelt, dass er sich an die Anordnungen zu halten habe. Würde gegen den Vorgesetzten disziplinarrechtlich ermittelt, könne er ihn nicht mehr mit Führungsaufgaben betrauen. Der ermittelnde Kollege war schon sehr konsterniert. Er hielt es für eine Fehlentscheidung. Wie so oft stellte Sven sich die Frage, was war recht und was Gerechtigkeit. Über die Erklärung des Chefs, dass er die Autorität des Vorgesetzten nicht durch ein Disziplinarverfahren beschädigen wolle, war Sven bestürzt und vermutete ganz andere Gründe. Diese gelegentlichen Randerscheinungen innerhalb der Polizei konnten Svens Vertrauen in diese Institution aber nicht erschüttern. Seine persönlichen Erfahrungen bis auf solche Einzelfälle waren durchaus positiv.
Jetzt saß er hier im Zug, um seinen ersten Urlaub nach der Pensionierung zu genießen. Merkwürdig, ausgerechnet jetzt erinnerte er sich jener Zeit, als ihm vom Landeskriminalamt ein Angebot verdeckt zu ermitteln unterbreitet wurde. Aber damit begann ja auch ein besonderes Kapitel seiner beruflichen Tätigkeit, die ihm Einsichten in so manche kriminellen Subkulturen ermöglichte, auf die er in der Rückschau gerne verzichtet hätte. Die Erlebnisse würden heute wohl als traumatisch bezeichnet werden, obwohl er glaubte, sie psychisch verkraftet zu haben. Er erinnerte sich noch gut, wie man ihn überredete und die Tätigkeit als sog. Undercover auf das Reizvollste beschrieb. Sein ehemaliger Vorgesetzter bei der Schutzpolizei, zu dem er noch freundschaftliche Kontakte unterhielt, riet ihm dringend davon ab, als er ihn ins Vertrauen zog und ihn um Rat fragte. Seinen Ausführungen nach, seien die rechtlichen Voraussetzungen ungeklärt. Jeder der sich zu solch einer Tätigkeit bereit fände, stünde ständig mit einem „Bein im Gefängnis“. Doch die Kollegen des Landeskriminalamtes verstanden es, seine Bedenken zu zerstreuen. Sie erläuterten, dass er immer im Einvernehmen mit einem zuständigen Staatsanwalt eingesetzt und tätig werde, was seine Entscheidung beeinflusste.
Hinzu kam, dass man ihm darlegte, genau der Richtige zu sein, weil er bereits die 30 überschritten und damit die notwendige charakterliche Stärke besäße, die für diese Tätigkeit unerlässlich sei. Vor einem halben Jahr seien ein paar jüngere Polizeibeamte für diese Aufgabe eingesetzt worden. Dass eintretende Fiasko habe zu einer Entlassung eines Beamten geführt, der den Verlockungen seines kriminellen Gegenübers nicht widerstehen konnte.
Vor ein paar Monaten seien in Oldenburg in einem Café ein paar junge Männer aufgefallen. Sie spielten Karten mit hohen Einsätzen. Auf dem Tisch lagen Bündel von Banknoten in DM und verschiedenen Devisen. Als die Bedienung beobachtete, dass diese Männer schwer bewaffnet waren, habe sie ihren Chef informiert, der die Polizei benachrichtigte. Davon ausgehend, dass es sich um schwer bewaffnete Gangster handeln müsse, habe die Polizei in einer Großaktion das Café umstellt und sei schlagartig eingedrungen, um die unbekannten Täter festzunehmen. Ohne von der Polizeiaktion etwas mitbekommen zu haben, hatten diese aber bereits mit ihren Pkws Oldenburg verlassen. Es wurde eine Großfahndung ausgelöst, von der auch ein Beamter des LKA Kenntnis erhielt. Da ihm eines der Kennzeichen bekannt vorkam, sah er in seinen Unterlagen nach. Mit Entsetzen stellte er fest, das eines der Kennzeichen zu einem „Konspi“rativen Pkw gehörte. Mit diesem Fahrzeug waren seine verdeckt agierenden Ermittler zu einem Einsatz nach Emden unterwegs. Ihr Einsatz wäre zwar erst in 4 Stunden, sodass sie offensichtlich die Zeit für Aktivitäten nutzten, die ihm unbekannt waren. Als er die Einsatzleitung in Oldenburg vom Sachverhalt unterrichtete, ließ ihn der dort verantwortliche Polizeipräsident wissen, dass er sich aus gutem Grund veranlasst sähe, die Presse zu informieren. Zum Glück konnte das LKA mit den verdeckt agierenden Polizeibeamten Kontakt aufnehmen. Sie bestätigten, dass sie aus lauter Übermut sich mit anderen in Ausbildung befindlichen Polizeibeamten getroffen und ihnen nur ihre Ausstattung gezeigt hätten. Es bedurfte eines Gespräches zwischen Innenminister und Polizeipräsidenten, um ihn davon abzuhalten, die Presse zu informieren. Angeblich soll ihm angeboten worden sein, in die allgemeine Verwaltung der Regierung zu wechseln, wenn er sich der Presse gegenüber äußere.
Sven machten die Schilderungen nur noch neugieriger. Ihm wurde weiter erklärt, dass es einen Verdachtsfall gäbe, für dessen Aufklärung er vorgesehen sei. An einer Universität seien in kurzen Abständen zwei Studenten auf unerklärliche Weise verschwunden. Es gäbe Anhaltspunkte, dass dieses Verschwinden mit illegalem Drogenhandel zu tun haben könne. Man habe Personen im Verdacht, denen aber bisher nichts nachzuweisen war. Die Staatsanwaltschaft prüfe derzeit, ob in diesem Fall der Einsatz eines verdeckt ermittelnden Polizeibeamten gerechtfertigt sei. Speziell für diese Ermittlungen würden sie Sven gerne einsetzen, sobald die Staatsanwaltschaft „grünes Licht“ gäbe.
Die Erlebnisse in der Folgezeit prägten seine gesamte Einstellung zum Leben, zur Polizei und besonders zur Politik. Die Menschen, mit denen er es nun zu tun bekam, setzten skrupellos ihre kriminellen Neigungen zur Erzielung von Gewinnen ein, die legal nie hätten realisiert werden können. Es waren merkwürdige Verhaltensweisen, die seine jeweiligen „Vertragspartner“ an den Tag legten. Er war gefordert, sich immer auf das entsprechende Milieu einzustellen. Für ihn war es fast unmöglich, sich auf die unterschiedlichsten Subkulturen einzustellen. Auch die Charaktere der handelnden Personen konnten nicht unterschiedlicher sein. Ob Drogendealer, Einbrecherbanden, die alles auf Wunsch liefern konnten, Wirtschaftskriminelle, die teilweise auch in Drogengeschäften investierten, marode Firmen aufkauften und sie danach auf kriminelle Art und Weise versilberten, die Bandbreite war grenzenlos. Das Misstrauen dieser Personen zu überwinden, war immer wieder eine fast unlösbare Aufgabe. Ohne dieses Vertrauen war mit ihnen eine Zusammenarbeit nicht möglich. Wiederholt sah er sich kritischen Situationen sog. „Keuschheitsproben“ ausgesetzt, bei denen von ihm Beteiligungen an strafbare Handlungen verlangt wurden. Weigerte er sich, waren die Konsequenzen für ihn unkalkulierbar, abgesehen von seiner damit verbundenen Enttarnung.
Das von ihm zu führende Doppelleben war in jeder Hinsicht beschwerlich. Ständig musste er auf der Hut sein, sich nicht durch unbedachte Äußerungen oder Verhaltensweisen zu verraten. Auch die Kontakte zu seinen zuständigen Kollegen des LKA waren nicht selten schwierig herzustellen. Abgesehen von Telefonkontakten, benutzten sie sogenannte "tote Briefkästen" oder angebliche Reisen, die jedes Mal sorgfältig vorbereitet werden mussten. Sven begriff, dass seine Aufgabe schwierig sein würde, weil der Kriminalpolizei auf diesem Gebiet der Ermittlungsführung teilweise noch die notwendige Erfahrung fehlte. Das machte die Aufgabe für Sven aber nur noch interessanter. Vielleicht war es zu pathetisch aber er glaubte, mit seinem Engagement für die Bekämpfung besonders schädlicher Verbrechen einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit der Bevölkerung zu leisten.
Allein die Art und Weise, wie er zu seinen Ausweisen kam, war aber schon alles andere als normal. Die Kollegen beim Landeskriminalamt (LKA), die für ihn als sogenannte Führungsleute tätig waren, besorgten ihm einen Führerschein und einen Kfz-Schein auf seinen Decknamen. Mit der Beschaffung des Personalausweises mussten sie warten, bis der Leiter des zuständigen Einwohnermeldeamtes im Urlaub sei, berichteten sie. Er würde sich weigern, Ausweise auf nicht existierende Personalien auszustellen. Eine merkwürdige Situation. Verdeckt zu ermitteln schien nach allem, was Sven bekannt war, zulässig zu sein. Selbst führende Persönlichkeiten der Politik setzten sich dafür ein. So lag dem Leiter des LKA die ausdrückliche Zustimmung des Innenministers und des Ministerpräsidenten vor. Aber im Verlauf seiner Tätigkeit erfuhr Sven, dass verdeckte Ermittlungen keineswegs so unumstritten waren, wie er glaubte. So sprach sich einer der Polizeipräsidenten wiederholt gegen diese Art der Ermittlungsführung aus und scheute nicht, den Innenminister öffentlich zu kritisieren. Inzwischen wurde die fast 200 Jahre alte Strafprozessordnung mit einer Regelung zur verdeckten Ermittlung der Polizei versehen. Danach bedarf es eines richterlichen Beschlusses für den Einsatz von verdeckten Ermittlern in dem der Klarname und der Deckname des Ermittlers vermerkt sind. Wer im Strafprozess wohl diesen Beschluss anfordert? Damit steht diese Ermittlungsmöglichkeit für die Polizei nicht mehr zur Verfügung.
Während Sven sich mit seiner Legende (seinem Pseudolebenslauf usw.) vertraut machte, sorgten seine Führungsleute für die notwendigen Ausrüstungsgegenstände. Er wurde mit so manchen Techniken, die ganz allgemein auch bei Agenten für den Spionageeinsatz benötigt werden vertraut gemacht. Bei einer der verschiedenen Besprechungen berichteten seine Führungskollegen, nennen wir sie Franz und Erich, von einem „Basiswagen“, der für Observationszwecke beschafft werden sollte. Franz und Erich hätten den Verwaltungsbeamten darauf aufmerksam machen wollen, dass es sich um einen Kastenwagen ohne Fenster handeln müsse, worauf dieser ziemlich erbost geäußert habe, dass er nicht blöd sei, er wisse selbst was für ein Fahrzeug benötigt würde. Ein paar Wochen darauf sei ihnen ein VW-Bus mit Fenstern von der Verwaltung übergeben worden. Eine Reklamation sei sinnlos gewesen. Die Verwaltung hätte aber zugesagt, bei der nächsten Beschaffung den Fehler zu korrigieren. Das hieß aber, dass vor nächstes Jahr kein entsprechendes Fahrzeug zur Verfügung stand. Nicht nur die Kollegen des LKA Franz und Erich beklagten die Ausrüstungsmängel, auch Sven war über die Defizite der technischen Ausstattung in den70er Jahren überrascht.
Erst als Repräsentanten des Staates und der Wirtschaft in den späten 70er Jahren von menschenverachtenden Terroristen bei Mordanschlägen ihr Leben lassen mussten, änderten manche Politiker ihre negative Einstellung gegenüber den Erfordernissen einer effektiven Kriminalitätsbekämpfung.
Um sich im Rahmen der Ausbildung mit einer kleinen Minoxkamera vertraut zu machen, übte Sven in Hannover die unauffällige Handhabung. Als er am späten Nachmittag ins LKA zurückkehrte, teilte Franz ihm mit, dass besorgte Bürger bei der Polizei anriefen, ein Spion mit einem Minifotoapparat sei in Hannover unterwegs und mache Aufnahmen. Einerseits beruhigend zu wissen, dass es noch aufmerksame Bürger gab, andererseits ein Hinweis für Sven, dass er noch einiges lernen musste. Er nahm für einige Wochen an einem Observationskurs teil. Es wurde geübt, wie spiegelnde Flächen genutzt werden konnten, um sich nicht auffällig umdrehen zu müssen, oder nicht vor Schaufensterscheiben zu verweilen, vor denen kaum jemand stehen bleiben würde. Er nahm an Kursen des BND und des Verfassungsschutzes teil und war beeindruckt, was ein Agent alles lernen musste, der z. B. in Auslandseinsätze geschickt würde. Ein kleines Tonbandgerät hatte es ihm besonders angetan. Es wurde mit einem Federwerk aufgezogen und besaß nur eine sehr kleine Batterie für die elektronische Aufnahme. Der Ton war kristallklar, wie er ihn von herkömmlichen Tonbandgeräten nicht kannte. Neben den technischen gab es auch rechtliche Unterweisungen. Er wurde mit den verschiedenen legalen und illegalen Drogen und den wissenschaftlichen Studien über die Folgen des Missbrauchs solcher Stoffe im Detail vertraut gemacht. Auch die Falschgeldherstellung und der illegale Waffenhandel waren thematisiert. Die für die Ausbildung vorgesehene Zeit ging schneller vorbei, als Sven anfangs befürchtete.
An einem der Wochenenden während seiner Ausbildung suchte Sven in Hannover eine ihm empfohlene Diskothek auf, um auf andere Gedanken zu kommen. Er war von seinem möblierten Zimmer in Isernhagen mit der Straßenbahn in die Innenstadt von Hannover gefahren, weil er nicht wegen ein paar Gläser Bier seinen Führerschein verlieren wollte. Widerwillig bezahlte er den hohen Eintrittspreis von 15 DM und sah sich um. Es war noch früh am Abend und nur wenig Gäste anwesend. Sein inzwischen langes Haupthaar und der Bart verliehen ihm ein etwas ungepflegtes Aussehen. Während er am Eingang stand und überlegte, ob er sich an einem Tisch oder an der Theke niederlassen sollte, wurde sein Interesse von einigen jungen Frauen geweckt, die mit wenigen Ausnahmen paarweise an den Tischen saßen. Der Discjockey bemühte sich mit lustigen Kommentaren die Stimmung ein wenig in Schwung zu bringen, was ihm aufgrund der wenigen Gäste nicht so recht gelingen wollte. Peer wusste, dass sich das Publikum erst ab 23 Uhr einfinden würde. Jetzt war es 21 Uhr und niemand wagte sich auf die Tanzfläche. Die letzte Straßenbahn würde gegen 01 Uhr fahren und die Nächste gegen 4 Uhr.
Plötzlich tippte ihm jemand auf den Rücken. Er drehte sich um und sah in das Gesicht einer jungen Frau, die in seinem Alter sein musste. Peer war sprachlos, dass er mit seinem Aussehen das Interesse einer jungen Frau weckte, die zudem noch hübsch aussah und sofort sein Interesse weckte. Sie wirkte auf ihn ausgesprochen sympathisch und unkompliziert, was ihn verwirrte. Sofort fühlte er sich zu ihr hingezogen und erschrak über seine Empfindungen. Sie fragte ihn:
"Bist du alleine? Wenn Du willst, kannst du dich zu mir an den Tisch setzen."
Eine sehr zielstrebige und selbstbewusste Frau dachte er und überlegte, wie er sich ihr vorstellen sollte. Zu Beginn der Ausbildung als verdeckter Ermittler wiesen die Ausbilder auch auf die Probleme privater Kontakte zum weiblichen Geschlecht hin und rieten ihm, während seines verdeckten Einsatzes solche zu meiden. Mit zwei Identitäten zu leben war schon kompliziert genug und erforderte seine ganze Konzentration. Er verfluchte den gedankenlosen Besuch der Diskothek und begriff, dass er jetzt in einem Dilemma steckte, dass er vermeiden wollte. Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg und befürchtete, dass man ihm dies auch deutlich ansah. Er schämte sich und begann zu stottern.
"Vielen Dank. Ich muss schon wieder weg. Vielleicht können wir uns ein anderes Mal treffen."
Er schämt sich in Grund und Boden, weil er sie nicht verletzen und etwas ganz anderes sagen wolle. Ihm war bewusst, dass die Ausrede angesichts des Eintrittspreises alles andere als überzeugend klang. Er bereute das Gesagte im gleichen Augenblick und wünschte sich, es nicht gesagt zu haben. Dem Gesichtsausdruck der jungen Frau war ihre Verblüffung und Ratlosigkeit deutlich anzusehen. Er wollte sich schon entschuldigen und seine Ablehnung rückgängig machen, als die Frau ihre Sprachlosigkeit überwand und ihm antwortete:
"Dann wünsche ich für den Abend viel Erfolg."
Sven drehte sich um und rannte förmlich zum Ausgang. Er machte sich heftige Vorwürfe, die junge Frau so brüskiert zu haben. Er begriff aber auch, dass er nicht ständig jedem sich ergebenden privaten Kontakt ausweichen konnte. Er musste lernen, damit umzugehen. Es ärgerte ihn, dass er einem Impuls folgend die Diskothek aufsuchte, den hohen Eintrittspreis zahlte und nun fluchtartig die Diskothek verließ. Er empfand es als eine Flucht zurück in die selbst gewählte Einsamkeit einer gespaltenen Lebensführung. Er fuhr wieder nach Isernhagen zurück und schwor sich, keine Diskotheken mehr aufzusuchen, solang er als verdeckter Ermittler tätig war.
Wie von seinen Ausbildern immer wieder versichert, benötigte er nicht die gesamte Ausbildung eines Agenten, da er im Ausland ohnehin nie ohne Einverständnis des betreffenden Auslandes eingesetzt würde. Bisher hätte man auch noch nie im Ausland verdeckte Ermittler eingesetzt, weil es aufgrund der vorhandenen Strafprozessordnung kaum möglich war und die Staaten es auch nicht zuließen. Es stünden dem so viele rechtliche Probleme entgegen, dass es bisher nicht in Erwägung gezogen worden war. Anfangs war Sven für einen Einsatz im Bereich der internationalen Wirtschaftskriminalität vorgesehen, der nach einigen Besprechungen mit Fachleuten als undurchführbar galt.
Am Ende seiner Ausbildung wurde Sven mit kleineren Aufträgen betraut, um ihn langsam mit der Praxis vertraut zu machen. Der Kriminalpolizei in Osnabrück war bekannt geworden, dass vermutlich ein unbekannter britischer Armeeangehöriger Süchtige mit Heroin versorgte. Mit einigen dieser namentlich bekannten Abnehmer sollte Sven versuchen Kontakt aufzunehmen und etwas über den unbekannten Dealer zu erfahren. Er sollte eine Probe Heroin von dem Unbekannten erwerben und ihn veranlassen danach eine größere Menge zu liefern. Bei der Übergabe war vorgesehen, den Dealer festzunehmen. Sven selbst sollte beim Zugriff die Flucht gelingen. Zur Unterstützung Svens war ein Kollege vorgesehen, der sich noch in der Ausbildung zum verdeckten Ermittler befand.
Für die Einsätze war ihnen ein alter gebrauchter PKW-Opel zur Verfügung gestellt worden. Sven machte sich mit dem Wagen vertraut und musste feststellen, dass irgendein Motorschaden vorlag. Die Leistung des Motors ließ zu wünschen übrig. Er nahm sich vor, in den nächsten Tagen eine Werkstatt aufzusuchen, verschob es aber immer wieder, weil der Wagen lief. Sven wählte für seine Legende den Namen Peer Peters. Also nennen wir ihn weiterhin Peer. Sein neuer Kollege, mit dem er zusammen agieren sollte, nannte sich Lars Person. Wie er wirklich hieß, erfuhr Peer zwar aber für ihn hieß er zukünftig Lars. Es war einfacher, wenn er sich auf einen Namen konzentrierte.
Für Einsätze im Drogenmilieu waren ihnen kleine Briefwaage, ein paar Brocken Haschisch und zwei in Segeltuch eingenähte Haschischplatten sogenannter „Schwarzer Afghane“ anvertraut worden, deren Empfang sie quittieren mussten. Peer ließ sich außerdem überreden ein paar kleine stark nach Ammoniak riechende Brocken Opium mitzunehmen. Die Drogen dienten dem Renommee und sollten die Glaubwürdigkeit der verdeckten Ermittler (VE) erhöhen. Ihnen wurde eingeschärft, sie nicht zu verkaufen oder zu verschenken, weil die Drogen später wieder zurückgegeben werden müssten. Peer befürchtete allerdings, dass sie sich damit nur bei Polizeikontrollen in Schwierigkeiten bringen würden. Bei einer ihrer ersten Fahrten gerieten sie prompt in eine Verkehrskontrolle. Einer der kontrollierenden Polizeibeamten streckte entgegen jeglicher Dienstanweisung für die Selbstsicherung seinen Kopf durch das geöffnete Seitenfenster der Fahrerseite und fragte nach den Fahrzeugpapieren. Er wich kurz darauf zurück und es sah so aus, als ob er taumelte. Er schien den intensiven Geruch der Haschischplatten wahrgenommen zu haben. Doch er reagierte nicht weiter, nahm die Fahrzeugpapiere entgegen, warf einen prüfenden Blick darauf und gab sie mit den Worten „Danke sehr, gute Fahrt!“ zurück. Peer war verblüfft. Der Polizeibeamte schien den Haschischgeruch nicht zu kennen oder nicht wahrgenommen zu haben. Peer nahm den Geruch bereits 100 m vom abgestellten Pkw wahr. Die beiden Haschischplatten lagen im Handschuhfach. Es war ja Absicht, dass bestimmte Personen den Geruch wahrnehmen sollten.
Die letzten Wochen besuchten Peer und Lars die Schulungen für die VE gemeinsam und lernten sich dabei besser kennen. Bei der Fahrt zu ihrem ersten Einsatzort bemerkte auch Lars, dass der für sie beschaffte Pkw einen Motordefekt haben musste. Er kannte sich ein wenig mit Automotoren aus und war der Ansicht, dass die Kompression des Motors nicht stimmte. Es war auch deutlich am Auspuff zu erkennen, dass der Motor Öl verbrannte.
In Osnabrück überlegten sie, ob sie sich außerhalb der Stadt oder im Zentrum Zimmer nehmen sollten. Sie entschlossen sich aus Kostengründen, innerhalb der Stadt in einer kleinen ungepflegten Pension zu übernachten. Ihre Kontaktbeamten Franz und Erich rieten ihnen auf Empfehlung der örtlich zuständigen Kriminalbeamten des Drogendezernats zu dieser Pension, weil sie zentral und in der Nähe von Lokalen lag, die sie aufsuchen sollten, um Kontakt zu Drogenabhängigen knüpfen zu können. Außerdem war bekannt, dass die Besitzerin der Pension kaum Fragen stellte. Sie prägten sich Namen und Beschreibungen einiger Personen ein, die im Verdacht standen, von einem britischen Staatsangehörigen mit Heroin versorgt zu werden.
Die erste „Gaststätte“, die sie gegen 21.00 Uhr aufsuchten, besaß eine kleine Tanzfläche, auf der sich ein paar junge Leute offensichtlich im Drogenrausch alleine rhythmisch hin und her bewegten. Tanz konnte man es kaum nennen. Die Bedienung hinter der Theke spielte Tonbänder mit psychedelischen Klängen ab. Bei den jungen Leuten war die Gaststätte als Diskothek bekannt, in der nicht nur Getränke aller Art, sondern auch Drogen konsumiert werden konnten. Peer gesellte sich zu den auf der Tanzfläche schaukelnden jungen Leuten, versuchte es ihnen gleichzutun und kam sich dabei sehr albern vor. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Tanzenden, ob sie von ihm Notiz nähmen und sein Verhalten akzeptierten. Sie schienen ihn zu ignorieren. Er stellte seine "Gymnastik" ein und bestellte sich an der Theke ein Bier. Beiläufig fragte er die Bedienung hinter der Theke, ob sie Chrissi heute schon gesehen habe. Die Kollegen des in Osnabrück zuständigen Drogendezernats nannten diesen Namen. Chrissi solle sich abends fast täglich in dieser Diskothek aufhalten und mit dem unbekannten Heroinlieferanten befreundet sein. Sie sei Mutter einer kleinen zweijährigen Tochter, die Chrissi abends häufig alleine in der Wohnung lasse. Der Vater des Kindes befände sich aufgrund eines Gerichtsbeschlusses zum Entzug in der Bonhoeffer-Klinik in Berlin, „Bonnies Ranch genannt“. Die Bedienung, eine junge rothaarige Frau, würdigte Sven keines Blickes und entgegnete nur: „Kenne ich nicht!“
Kurz darauf entdeckte Peer eine junge schlanke dunkelhaarige Frau, die der Beschreibung Chrissis entsprach und zur Theke ging. Sie machte einen ungepflegten Eindruck. Die Schatten unter ihren Augen verrieten einen ungesunden Lebensstil. Trotz des ungepflegten Äußeren war nicht zu übersehen, dass sie sehr hübsch war. Sie sprach mit der Bedienung und Peer glaubte, dass die Bedienung kurz zu ihm hinüber sah. Er saß inzwischen wieder mit Lars am Tisch und tat sehr gleichgültig, beobachtete aber aus den Augenwinkeln, wie die junge Frau auf ihn zukam. Sie blieb am Tisch stehen und sprach ihn an:
„Was willst du von mir? Ich kenne dich nicht.“ Peer sah kurz nach links und rechts, so als vergewissere er sich, dass niemand ihn hörte, und entgegnete leise:
„Mir hat ein Bekannter gesagt, du kannst mir was besorgen.“
Chrissi entgegnete ziemlich unwirsch:
„Besorg’s dir doch selber!“ und wollte gehen. Peer fragte noch mal:
„Weißt du, wer mir Stoff besorgen kann?“
Chrissi starrte ihn an und sagte daraufhin:
„Vielleicht. Wie viel willst du? Meinst du "Eitsch"?“
Peer bejahte und erklärte, dass er 1 bis 2 Gramm wolle und später, wenn der Stoff gut sei, er auch mehr abnähme. Chrissi schwieg und setzte sich zu ihnen an den Tisch und sagte zu Peer gewandt:
„Du kannst mir ein Bier ausgeben.“
Peer bestellte 3 Bier. Er nannte nicht seinen Namen und Chrissi fragte auch nicht danach. Nachdem die Bedienung das Bier brachte, erklärte Chrissi:
"Vielleicht kann ich was bekommen. Wenn du mir das Geld jetzt gibst, können wir uns morgen Abend hier zur gleichen Zeit treffen." Peer schüttelte den Kopf.
"So nicht. Wenn du morgen den Stoff bringst, kannst du das Geld kriegen."
"Das geht nicht. Ich muss den Stoff gleich zahlen und habe nicht so viele Mäuse. Wenn du mir nicht die 300 jetzt gibst, kannst du es vergessen."
"Dann nicht. Es gibt sicher noch andere, die mir den Stoff besorgen können." entgegnete Peer und machte Anstalten die Gaststätte zu verlassen, indem er zu Lars gewandt ihn aufforderte:
"Trink aus, wir gehen."
Chrissi, die ihr Glas Bier in einem Zuge ausgetrunken und bereits aufgestanden war, setze sich wieder und sagte zu Peer:
"Warte noch, vielleicht kann ich doch noch etwas bekommen, wenn ich den Lieferanten überreden kann, mir den Stoff zu geben. Ich kann es aber nicht garantieren und du musst mir versprechen, morgen Abend wieder hier zu sein."
Peer stand auf und wartete, bis auch Lars aufgestanden war.
"Einverstanden! Bis morgen"
Peer wusste, dass für diesen Einsatz keine weiteren Observationsbeamten zur Verfügung stünden und man sehen musste, wie man die Angelegenheit selbst in den Griff bekam. Er war ohnehin sehr erstaunt, dass alles so reibungslos ohne Probleme abgelaufen war und dass man auf Anhieb Kontakt hatte herstellen können. Peer zahlte das Bier an der Theke und beobachtete Chrissi, die noch am Tisch sitzend vor sich hinstarrte. Sie verließen die Gaststätte und postierten sich in einiger Entfernung, wo sie nicht von den die Gaststätte verlassenden Gästen gesehen werden konnten. Kurz darauf verließ Chrissi das Lokal und ging zu Fuß alleine in Richtung Innenstadt. Sie verzichteten darauf sie zu observieren, weil sie kein Risiko eingehen wollten und annehmen konnten, dass sie nach Hause ging und den unbekannten Lieferanten nicht noch am Abend aufsuchen würde.
Ihre Überlegungen, ob sie eine weitere Person suchen sollten, die ebenfalls zu dem unbekannten Dealer Kontakt haben musste, verwarfen sie, weil sie befürchteten, dass dieses Verhalten den unbekannten Drogenlieferanten nur misstrauisch machen musste.
Am nächsten Tag verabredeten Peer und Lars sich mit den Kollegen vom Drogendezernat. Es wurde ein Treffen außerhalb der Stadt Osnabrück in Georgsmarienhütte vereinbart. Dort in einem Park traf man sich und Peer berichtete vom abendlichen Treffen. Die Kollegen berichteten über das Umfeld von Chrissi und rieten zu besonderer Vorsicht. Chrissi sei stark abhängig und habe schon einige Süchtige betrogen, in dem sie Vorauskasse verlangte aber nicht die Ware lieferte. Sie hätte den Stoff selbst konsumiert.
Wie vereinbart fanden sich Lars und Peer am Abend in der Diskothek ein. Lars hielt sich zunächst draußen in der Nähe der Diskothek auf, um festzustellen, in wessen Begleitung Chrissi auftauchen würde. Vielleicht könnten sie so gar den unbekannten Dealer identifizieren, wenn er Chrissi mit dem Auto zur Diskothek fahren würde. Peer suchte die Diskothek bereits gegen 20.30 Uhr auf und wartete bis gegen 21.30 Uhr. Chrissi tauchte nicht auf. Er verließ das Lokal und suchte Lars, der sich darüber ärgerte, dass er umsonst eine Stunde draußen die Stellung hielt. Sie wechselten sich ab und Peer observierte die Diskothek. Lars war gerade ins Lokal gegangen als Peer Chrissi erkannte, die auf das Lokal zusteuerte. Sie war alleine und schien gut gelaunt zu sein. Peer wartete etwa 10 Minuten. Nachdem er keine weiteren Personen sah, mit denen Chrissi gekommen sein konnte, begab er sich ebenfalls in die Diskothek und setzte sich zu den Beiden an den Tisch. Lars war sehr ungehalten und erklärte, dass Chrissi nicht nur Vorauskasse verlange, sondern auch den Stoff erst am nächsten Abend liefern wolle. Peer vermutete, dass Chrissi sich bereits bedient und nur das Geld für den Stoff wollte, der ihr bereits geliefert worden war, wie die Kollegen es ihnen warnend berichteten. Dies würde aber auch bedeuten, dass sie einen recht guten Kontakt zu dem Lieferanten haben musste. Peer kam es nun darauf an, zumindest einen Teil des Heroins zu bekommen, damit man es untersuchen konnte. Chrissi schien heute auch gepflegter zu sein und sah auffallend hübsch aus. Peer war von ihrem Charme beeindruckt. Sie war ausgeglichener und redselig und versuchte zu erklären, dass der Lieferant ihr nur gegen Vorauskasse den Stoff überlassen wolle.
"Wenn du mir das Geld gibst, kann ich dir morgen ganz sicher den Stoff bringen." versuchte sie Peer zu überreden.
Sie tat Peer sehr leid aber er musste versuchen, sie zur Herausgabe zu zwingen. Er herrschte sie in gespielter Wut an:
"Du hast den Stoff. Wenn du ihn mir jetzt nicht sofort gibst, kannst du alles vergessen. Ich lasse mich nicht von dir linken."
Er konnte nur hoffen, dass sie nicht merkte, dass seine Wut gespielt war. Mit weinerlicher Stimme gestand sie jammernd:
"Ich hab den Stoff doch schon genommen. So viel war es ja nicht. Du musst mir das Geld geben, dann bring ich dir morgen den Stoff."
Nachdem Peer aufstand und eine drohend Haltung einnahm und so tat als wolle er sie schlagen, kramte sie ein Briefchen mit vielleicht einem halben Gramm weißen Pulvers hervor und begann zu weinen. Die Tränen rannen ihr die Wangen herunter und man sah, dass sie sich geschminkt war. Peer gab ihr die Hälfte des vereinbarten Betrages und beobachtete dabei unauffällig die anderen Gäste, die sich keinen Deut um die Drei und ihr Gespräch kümmerten. Solche Gespräche schienen hier nicht ungewöhnlich zu sein.
Chrissi jammerte weiter.
"Ich hab ein Gramm gekriegt und muss doch auch ein Gramm zahlen."
"Das wird wohl dein Problem sein. Wenn dir der Lieferant ohne Vorauskasse den Stoff gegeben hat, hat er ja Vertrauen zu dir und ihr werdet schon klarkommen."
entgegnete Peer und sah jetzt die Möglichkeit, mit dem Lieferanten Kontakt zu bekommen.
"Wenn der Stoff gut ist, nehme ich 100 Gramm oder auch mehr. Ich verhandle aber nur mit dem Lieferanten selbst und lasse mich nicht linken. Wenn es klappt, hast du auch etwas davon."
Peer versuchte Chrissis Interesse mit der Aussicht zu wecken, dass sie bei einem Deal genug Stoff zur Verfügung haben würde und an dem Handel partizipieren könne. Chrissi schien sehr interessiert darauf eingehen zu wollen und reagierte richtig euphorisch. Gleichzeitig wurde sie aber auch wieder vorsichtig und erklärte:
"Der Lieferant verhandelt nur mit mir. Er macht mit Fremden keine Geschäfte."
Peer ließ aber keinen Zweifel daran, dass man wegen der eben gemachten Erfahrung nur mit dem Lieferanten direkt verhandeln werde.
"Und ich verhandle nur mit dem Lieferanten. Du kannst ja versuchen, ihn zu überreden. Du kennst uns jetzt und weißt, dass wir dich nicht linken, wie du uns linken wolltest. Wenn er Interesse hat, soll er sich melden."
Peer war eigentlich guten Mutes, dass es klappen würde, weil Chrissi zu dem Lieferanten einen recht guten Kontakt haben musste und sie ihn schon in ihrem eigenen Interesse überreden würde. Man wollte es aber nicht forcieren, weil der unbekannte Dealer erfahrungsgemäß auch Zeit benötigte, um das „Geschäft“ vorzubereiten.
"Gib mir deine Telefonnummer. Ich sage dir Bescheid."
Peer winkte lachend ab.
"Ich bin ständig unterwegs. Mich kann man telefonisch nicht erreichen. Du kannst mir aber deine Telefonnummer geben."
"Ich habe kein Telefon."
Log sie, obwohl Peer ihre Telefonnummer kannte.
Sie vereinbarten, sich übernächsten Tag zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu treffen, um alles Weitere zu besprechen. Es war zu klären, ob der unbekannte Lieferant überhaupt liefern könne und wolle. Sie mussten die Drogen erst untersuchen, was auch einige Zeit in Anspruch nahm. Für einen Zugriff würde aber ein kurzer Test ausreichen, damit sie nicht Tüten mit Mehl sicherstellten, was trotzdem immer wieder möglich war.
Chrissi hatte sich wieder gefangen und auf der Toilette frisch gemacht. Sie sah in dem Halbdunkeln des Lokals wirklich hübsch aus, registrierte Peer wieder und versuchte, sich abzulenken. Wahrscheinlich hielt er sie nur für hübsch, weil er zurzeit keine Freundin besaß und daher für weibliche Reize besonders empfänglich war. Ihn beschlich wieder ein Gefühl des Mitleids und gleichzeitig wurde er auf die Drogenhändler wütend, denen das Leben dieser unglücklichen Menschen nicht nur völlig gleichgültig war, sondern an deren Unglück sie sich auch noch in schamlosester Weise bereicherten.
Chrissi war ihm so sympathisch, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte und sie zu gerne näher kennenlernen würde. Er bestellte ihr ohne sie zu fragen ein Bier und unterhielt sich mit ihr über die Musik, die in der Diskothek gespielt wurde. Sie hielt nichts von dem Gedudel, wie sie es nannte. Peer wollte wissen, welche Musik ihr gefiel. Er erhielt aber keine Antwort, sondern Chrissi stand auf, weil sie nach Hause müsse. Peer schalt sich einen Narren, wenn er glaubte, dass er sie näher kennenlernen konnte. Er dachte an seinen gescheiterten Diskothekenbesuch in Hannover. Er war im Einsatz und hatte zu funktionieren.
Am nächsten Tag trafen Peer und Lars bei einem konspirativen Treffen mit den Kollegen des örtlichen Drogendezernats wieder außerhalb der Stadt Osnabrück zusammen. Sie bestellten Lars und Peer zu einer Gaststätte, die im Gebiet Schölerberg lag, wo sich in der Nähe ein Zoo befand. Peer übergab die Heroinprobe. Er sollte am späten Nachmittag im Drogendezernat anrufen und sich über das Prüfungsergebnis informieren. Der zuständige Staatsanwalt für das Ermittlungsverfahren sei über alles unterrichtet und mit einem Zugriff einverstanden, sobald der unbekannte Lieferant eine größere Menge liefere. Sollte es sich um einen britischen Soldaten handeln, was nicht auszuschließen war, werde aber wohl die britische Militärpolizei das Verfahren übernehmen.
Für einen Zugriff empfahlen die örtlichen Kollegen den Park in Georgsmarienhütte, in dem sie sich zum ersten Mal trafen. Durch den am Rand es Ortes idyllisch angelegten gepflegten Park plätscherte ein kleiner Bach. Der lockere Baum- und Buschbestand bot verschiedene Deckungsmöglichkeiten und war für solch einen Einsatz geradezu ideal. Peer spürte ein beklemmendes Gefühl. Vielleicht war es die Angst vor einem ersten realen Einsatz als VE. Dabei war es nur ein kleiner Einsatz, der eher als Übung gedacht war. Doch Peer glaubte, dass dieses unangenehme Gefühl durch seine Skrupel ausgelöst wurde, Menschen zu manipulieren. Es war ihm zuwider aber er wusste nur zu gut, dass es unerlässlich war, wenn man gegen den Drogensumpf etwas ausrichten wollte.
Lars und Peer machten sich noch mal mit den Gegebenheiten des Parks, wo der Zugriff erfolgen sollte, vertraut, sofern der Lieferant sich überhaupt dazu bereitfinden würde. Peer wusste von Kollegen aus früheren Einsätzen, dass es häufig nicht so ablief, wie man es plante. Man musste ständig in der Lage sein zu improvisieren, ohne dabei gewisse Sicherheitsstandards zu vergessen. Als sie den Park nochmals unter dem Blickwinkel eines Einsatzortes inspizierten, mussten sie den örtlichen Kollegen recht geben. Der Park war wirklich Ideal für solche Zwecke, weil auch die Zugänge recht gut überwacht werden konnten.
Als Peer am Nachmittag im Drogendezernat anrief, teilte man ihm mit, dass es sich bei der Probe um 0,34 Gramm Heroin sehr reiner Konsistenz handele. Es sei daher auch nicht verwunderlich, dass Chrissi besonders guter Laune gewesen sei, wenn sie den Rest von dem einen Gramm konsumiert haben sollte. Man teilte ferner mit, dass einige Kollegen für den folgenden Abend in Bereitschaft stünden. Man solle lediglich mitteilen, wann und wo eine Übergabe stattfände. Alles andere würden die Kollegen regeln. Sie sollten sich bei einem evtl. Zugriff in jedem Falle aus dem Staube machen und sich in der Gaststätte am Neumarkt einfinden, die ihnen bereits genannt worden sei. Dort würde mit Sicherheit keiner der Verdächtigen je auftauchen.
Es handelte sich um die Gerichtsklause, wo man angeblich auch gut essen könne. Peer und Lars hatten sich vorgenommen, dort am Abend zu speisen, um sich für den folgenden Abend ein wenig zu entspannen. Ihr Auto parkten sie in einer in der Nähe befindlichen Tiefgarage. In der Gerichtsklause war es in der Tat sehr gemütlich und das Ambiente entsprach dem Geschmack Peers. Auch Lars schien von der Atmosphäre und der Speisekarte angetan zu sein. Peer dachte allerdings an seine Geldbörse, die nur sehr bedingt solch ein Speiselokal vertrug. Sie bekamen schließlich von ihrem Arbeitgeber dem Land keinerlei Geldzuwendungen für ihren Einsatz als VE. Dem Land, also dem Landesparlament, war der Einsatz der VE keinen Pfennig wert. Die Kollegen im verdeckten Einsatz mussten sehen, wie sie mit den üblichen Reisekosten hinkamen, sofern sie überhaupt Reisekosten erhielten, was bei Einsätzen im Bereich Ihrer Dienststelle des LKA Hannover nicht der Fall war. Später strich man den Kriminalbeamten so gar ihre Fahndungskostenpauschale von 30 DM im Monat und kurz darauf das sogenannte Kleidergeld von 28 DM. Peer empfand die Streichung dieser Zulagen als Anfang der Demontage der Kriminalpolizei, die auch nicht lange auf sich warten ließ und einige Jahre darauf stattfand. Kurz vor seiner Pensionierung musste er noch erleben, dass ein Polizeipräsident jedem mit disziplinären Maßnahmen drohte, der den Begriff Kriminalpolizei offiziell benutzte.
In der Pension angekommen, verfassten sie auf einer Lars gehörenden kleinen Reiseschreibmaschine ihren Bericht über die Ereignisse. Später bei größeren Einsätzen, bei denen jeder auf sich gestellt sein würde und mit Gegenobservationen rechnen musste, konnten sie sich die Erstellung solcher Berichte nicht leisten. Selbst der Besitz einer Reiseschreibmaschine hätte sie verdächtig erscheinen lassen können. Ihnen war immer wieder erläutert worden, dass es lebensgefährlich sein konnte, das Gegenüber zu unterschätzen. Aus den Fehlern der Vergangenheit hatte man gelernt und die Erkenntnisse in die Ausbildung der verdeckten Ermittler einfließen lassen. Ihnen war beigebracht worden Telefonnummern oder andere wichtige Daten verschlüsselt festzuhalten, sodass sie nicht auffielen und besonders nicht als Telefonnummern erkannt wurden. Es gab eine Fülle von Möglichkeiten, sich solche Daten „Konspi“rativ zu notieren. Peer verstand nicht, dass er große Mühen und Zeit in den Aufbau seiner neuen Identität investieren musste und seine Tarnung bei solch einem Einsatz, der für sie im Grunde nur eine Art Übung darstellte, aufs Spiel gesetzt wurde. Schließlich hätte die Aufgabe des potenziellen Käufers jeder Kollege einer benachbarten Dienststelle übernehmen können. Andererseits war es sicherlich nicht unwichtig, sich in der Realität zu beweisen.
An diesem Abend gingen beide noch spät in eine kleine in der Nähe ihrer Pension liegende Gaststätte und tranken ein paar Bier, um sich zu entspannen. Es war für sie sehr wichtig, dass sie nicht ihre innere Balance verloren. Peer beschäftigte besonders das Kind von Chrissi, das diese angeblich abends immer allein ließ. Er hatte die örtlichen Kollegen mehrfach darauf angesprochen. Sie versprachen ihm, sich darum zu kümmern und mit dem Jugendamt zu sprechen. Bei ihrem letzten Treffen informierten sie Peer, dass sich das Jugendamt bereits seit einiger Zeit mit der Angelegenheit befasse. Es gäbe so gar Großeltern, die sich rührend um ihre Enkelin kümmern würden. Sie fragten Peer auch, ob sein Interesse für Chrissi dienstlich begründet sei. Ein deutlicher Hinweis für ihn, seine Gefühle noch mehr zu kontrollieren. Er war lange genug bei der Polizei, um zu wissen, dass die Fakten in den Akten nicht immer der Realität entsprachen. Aber die Antworten der Kollegen beruhigten ihn zumindest. Er bemerkte auch, dass ihm Chrissi zunehmend sympathischer wurde. Er trank an diesem Abend vielleicht ein Bier zu viel.
Am Morgen standen sie recht früh gegen 06.30 Uhr auf und frühstückten in ihrer Pension. Das Frühstück entsprach nicht Peers Vorstellungen. Es gab einige Scheiben Brot, Margarine oder Butter, Marmelade, Käse, Wurst und ein weich gekochtes Ei. Peer hätte gerne ein frisches, knuspriges Brötchen gegessen. Er aß nur eine Scheibe Brot und das gar nicht weiche Ei, das zudem noch kalt war. Der Kaffee war auch nicht nach seinem Geschmack. Aber vielleicht lag es auch einfach an einem Bier zu viel vom Vorabend. Lars schien es zu schmecken.
Franz und Erich vereinbarten mit Peer, dass man sich in der Nähe von Osnabrück zu einem Gespräch trifft. Das Treffen fand in einer kleinen Ortschaft am Rande des Teutoburger Waldes statt. Die von ihnen gewählte kleine Gaststätte war ihnen von den örtlichen Kollegen empfohlen worden. Peer und Lars trafen bei der noch geschlossenen Gaststätte gegen 10.30 Uhr ein. Gegen 11.00 Uhr wollten die Kollegen des LKA eintreffen. Die Gaststätte öffnete aber erst gegen 11.30 Uhr. Um 11.00 Uhr erschien aber nur Erich. Franz sei in einer anderen Sache in Braunschweig unterwegs. Erich schilderte kurz den Sachverhalt aus Braunschweig. Es gäbe Überlegungen Peer und Lars gemeinsam in Braunschweig einzusetzen. Was er schilderte, war nicht angetan, die Stimmung von Peer und Lars zu heben. Seit einigen Monaten sei in Braunschweig und Umgebung wiederholt sehr hochprozentiges mit Strychnin versetztes Heroin aufgetaucht. Es seien bereits 3 Personen im Stadtgebiet von Braunschweig an einer Überdosis gestorben.