Kurzer Lebenslauf eines positiven Helden - Piotr Guzy - E-Book

Kurzer Lebenslauf eines positiven Helden E-Book

Piotr Guzy

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Beschreibung

Karol Ostuda, berüchtigter Kommissar des Staatssicherheitsdienstes in einem polnischen Provinzstädtchen, wird überraschend in die Warschauer Zentrale gerufen. Das bedeutet nichts Gutes. Unruhig überdenkt er seine Vergangenheit in einem Wirbel von Erinnerung und Assoziation. Flüche, Obszönitäten, Menschenverachtung und Selbstmitleid sollen das eigentliche Thema seines Lebens übertönen: die Angst. Den Beschwichtigungen seiner Warschauer Genossen, heute werde man allenfalls versetzt, glaubt Karol nicht. Er weiß, wie man jemanden kaltstellt; und die Panik wird ihm zum Verhängnis. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 374

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Piotr Guzy

Kurzer Lebenslauf eines positiven Helden

Roman

Aus dem Polnischen von Rolf Leitner

FISCHER Digital

Inhalt

Früher viel viel früher [...]Das ist merkwürdig, warum [...]

Früher viel viel früher war der Grund solide auf den herabfiel der Mensch

 

Der heutige Menschfällt in alle Richtungenzugleichhinab hinauf zur Seitein Form der Windrose

 

Tadeusz Różewicz:›Das Fallen‹

Das ist merkwürdig, warum eigentlich ruft mich Hibisz, diese Flasche, zu sich? was will er von mir? konnte er das nicht geradeheraus durchs Telefon sagen? das bedeutet nichts Gutes, für solche Dinge hab’ ich ein Vorgefühl, sonst wäre er nicht so rätselhaft, das ist klar, er würde sofort sagen, so und so stehen die Dinge, das und das muß man unternehmen, statt dieser paar Worte, was bedeuten die? nichts, aber dafür geben sie sehr zu denken, sie sind beunruhigend, sicher, sehr beunruhigend, er sprach so, als bediene er sich eines Code, nur, daß ich den Schlüssel dazu nicht besitze und ihn so oder so nicht entziffern kann, doch nein, das ist Unsinn, ich habe ihn nicht in Verdacht, daß er mir absichtlich Angst einjagen wollte, was für ein Interesse sollte er auch daran haben? na, was für eins denn? die Sache ist ganz einfach, er telefonierte, also mußte er vorsichtig sein, Vorsicht kann nicht schaden, sogar in seinem Fall nicht, aber wovor sollte er sich fürchten? Hibisz? das ist doch nicht irgendwer, seine Position im ZK ist gefestigt, oder etwa nicht? so viele Jahre lang hat er sie ausgebaut, er hat sich nicht gedrückt, nun ja, man kann leicht sagen, daß sie gefestigt ist, der Teufel schläft nicht, jedem kann eines Tages ein Ziegel auf den Kopf fallen, es gibt keine Ausnahmen, gar keine, irgend etwas muß vorgefallen sein, er hätte sonst ein solches Telefongespräch nicht riskiert, denn, selbst wenn er sich so rätselhaft ausdrückte, bleibt doch immer ein gewisses Risiko, man kann das Gespräch abhören, warum sollte er sich um meinetwillen gefährden? aus Dankbarkeit? warum eigentlich nicht? es sind ja noch nicht alle vollkommene Schweine. – Kindchen, ich bitte dich sehr, gut? Sag mir nicht, daß dieses ganze Vergnügen für mich ein schlechtes Ende nehmen kann, ich weiß das selbst sehr gut, man muß mir das nicht immerzu ins Gedächtnis rufen. – Ein anderes Ende ist wenig wahrscheinlich, da gibt es nichts, sie werden mich um einen Kopf kürzer machen, so sicher wie das Amen in der Kirche, heutzutage steht alles kopf, die Welt hat den Drehwurm bekommen, der Mensch kennt sich in nichts mehr aus, was ist los? warum? lauter Fragen, keine Antworten, seit langem fühle ich, wie sich dieser Gestank um mich verbreitet, aber seine Ursache, was ist seine Ursache? ich betrete ein Zimmer, die Leute senken bei meinem Anblick die Stimmen, verstummen, die Luft scheint elektrisch geladen, Vorsicht! Hochspannung! ich begreife das nicht, oder diese ihre Augen, keiner sieht mir direkt ins Gesicht, und wenn es mal passiert, aber das kommt schon sehr selten vor, hüten sie sich, diese Lumpen, daß ich einen dabei ertappe, wie er mich von der Seite anschielt, augenblicklich wendet er den Blick ab, zur Decke, zum Fenster, auf seine Fingernägel, wohin immer es geht, mit einem Wort eine Panik, als hätte ich ihn erwischt bei, na, was weiß ich, irgend etwas Häßlichem, was ist los? oder heute bei der Festsitzung, nicht einmal zum Vorstandstisch haben sie mich geholt, niemand ist mir entgegengekommen, keiner hat die Gnade gehabt, auf mich zuzugehen, mich zu begrüßen, als hätte man mich überhaupt nicht bemerkt, als wäre ich dort überhaupt nicht zugegen, was soll das heißen, bin ich etwa aussätzig? aber seid nur ruhig, meine Kinderchen, ich werde mich da schon noch herauswursteln, dann rechnen wir ab, und wenn ich mich nicht herauswurstle? ich werd’ dem Hibisz nur diese Papiere zeigen, dem werden die Augen übergehen, es hat doch wohl niemand gesehen, wie ich sie dem Archiv entnahm, nein, alle Vorsichtsmaßnahmen, übrigens, selbst wenn es jemand gesehen hätte, große Sache! darf ich’s vielleicht nicht? ich? der Chef der Sicherheitspolizei? wenn man mich vom Dienst suspendiert, wenn, wenn man mich also vom Dienst suspendiert, dann ist das was anderes, aber das bleibt noch abzuwarten; noch habe ich Hoffnung. – Genosse, das sind nicht irgendwelche Papierfetzen! Schaut mal, wer das unterschrieben hat – Was werdet Ihr mir hier mit irgendwelchen Papierchen herumfuchteln. Habt Ihr denn auf dem Mond gelebt? Und wen kümmert das heutzutage schon, wessen Unterschrift dort steht? Das war vor fünf, zehn Jahren, das zählt doch heute nicht mehr, das ist doch unwichtig, was war und nicht mehr ist, kapiert? Übrigens, was ist eine Instruktion? Das sind Worte, nur Worte, Genosse Ostuda, Ihr aber habt Euren Verstand dazu, um sie entsprechend zu interpretieren. Nirgends wurde gesagt, daß man diesen oder jenen aufhängen soll, in der Garage niedermachen oder ganz einfach in der Untersuchungshaft zugrunde gehen lassen soll. Wurde das etwa gesagt? Na, also? Versteckt Euch nicht hinter fremden Namen. Ein Fetzen Papier ist heute da und morgen nicht mehr vorhanden, und außerdem wollen wir doch nicht so naiv sein, ist es denn so schwer zu beweisen, daß die Unterschrift gefälscht ist? Gebt doch Ruhe mit diesen Papieren. Heute sollte Euch nur das eine interessieren, ob Ihr, Genosse, ob Ihr persönlich saubere Hände habt, und nicht, wer da irgendwelche Instruktionen unterschrieben hat. – Na ja, wenn man die Sache so ansieht. Und wie kann man sie anders ansehen? Um diese Jahreszeit dämmert es schon früh, es ist Herbst, auf den Feldern brennen die Kartoffelfeuer, an irgendeinem Tag wird man vor die Stadt gehen müssen, verdammt, meine Hände zittern, meine Wangen glühen, und wer hat mich geheißen, gegen Srokosz auszusagen? sie werden es abstreiten, alles werden sie abstreiten, für sie wird es immer einen Ausweg geben, die Feuer brennen, und der Rauch kriecht dicht über die Erde dahin, gebratene Kartoffeln, ach, mit einem Stockende so eine aus der Asche fischen, sie in die Finger nehmen, von einer Hand in die andere werfen, darauf blasen, bis sie genug abgekühlt ist, daß, es ist auch schon dunkel, daß man doch aufhören könnte zu denken oder schlafen, in einen tiefen Schlaf fallen, dann wacht der Mensch auf, und es zeigt sich, daß alles nur ein Alptraum war – Genosse Hibisz, bedeutet das, daß man bereits den Haftbefehl gegen mich erlassen hat? – Ich werde kein Licht anzünden, vielleicht werde ich ein Nickerchen machen, ich habe noch genug Zeit bis zu meinem Zug, wenn ich in Jagoduszki geblieben wäre, dort haben sie sicher auch eine Kolchose angelegt, das tun sie überall, ohne langes Hin und Her, einstimmig beschlossen, irgendwelche Einwände? na also! na, also was? auch das ist Leben, nicht? übrigens wäre ich früher oder später doch zum Parteiapparat gestoßen, ich tauge zu nichts anderem, ich bin dafür geboren, die Schale ist das Beste, vor allem, wenn sie leicht angebrannt ist, mit Salzhering, das Fett läuft über die Finger – Erinnert Euch doch, Genosse Hibisz, ich wollte gar nicht gegen ihn aussagen. Ihr habt gesagt, daß es sein muß, daß die Partei das verlangt, daß ich als guter Parteigenosse, habt Ihr das nicht gesagt. Sagt, habt Ihr nicht so gesprochen – Irgendwer, wohl Basiula, geht ins Badezimmer, Basiula, bestimmt, die Mutter ist noch in der Kirche, ich hätte es gehört, wenn sie zurückgekommen wäre, es sei denn, daß sie heute nicht gegangen ist, daß sie daheim sitzt, sitzt? die kniet und betet, die alte Kröte, bei sich im Zimmer, heute sind alle so, nur immerzu beten, so ein Volk, ratschen Gebete, schlagen sich an die Brust, lassen die Perlen des Rosenkranzes durch die Finger gleiten, solch ein Wahnsinn, eine Orgie der Frömmigkeit, was für ein Volk! und dabei fressen sie sich fast auf, wegen irgendeines Scheißdrecks kratzen sie sich die Augen aus, einer würde den anderen am liebsten in einem Löffel Wasser ertränken, na, und dann diese Trunksucht, zu jeder Tages- und Nachtzeit saufen sie, zu Hause, auf der Straße, in der Fabrik, im Büro, danach liegen sie betrunken auf den Bürgersteigen, auf den Treppen, in den Hauseingängen, in den Rinnsteinen, paaren sich, das vor allem, wo es nur geht, ganz gleich, mit wem, auf öffentlichen Plätzen, in Gräben, in den vollgekotzten Toreingängen der Häuser, im Stadtpark, sie schnaufen widerwärtig, schwitzen, befummeln sich, tasten mit ihren Händen die Hinterteile ab, einer wühlt dem anderen im Schritt, stecken einander die Zunge in den Mund, und belügen einander, ach, wie sie einander belügen, dann diese Zuckungen, dieses Wackeln mit dem Hintern, Hampelmänner, dieser abscheuliche Geruch nach altem Zeug, Schimmel, Fäulnis, liebe deinen Nächsten, allein bei dem Gedanken kann man das Kotzen kriegen. – Wie oft soll ich noch wiederholen, daß diese Sträucher entfernt werden sollen? Wie sieht das denn aus? Wie die Karnickel! Wie dieHunde! Alles bewegt sich dort, raschelt, knarrt, bis die ganze Erde davon erfüllt ist. Wie lange soll man das noch dulden, daß sich diese Ausschweifungen vor den Augen der ganzen Stadt abspielen? Wenn diese Sträucher bis morgen nicht – Warum sitzt du im Dunkeln? – Und warum sollte ich nicht, übrigens, gleich, es ist doch noch nicht so spät, ach, wozu knipst sie das Licht an, ach, wozu hat sie’s bloß angeknipst? Wo ich das mal nicht leiden kann, wenn jemand so plötzlich, als ob er mir eine Handvoll Sand in die Augen streute, jetzt diese Tausende von leuchtenden Punkten, diese sich drehenden Kreise, so ohne jede Warnung zündet sie das Licht im Zimmer an, wenn man sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt hat, was für ein dummes Vorurteil, weshalb soll man nicht im Dunkeln sitzen? – Liebling, ich hab’ dich wohl geblendet. – Jetzt ist sie bekümmert! ich hab’ dich geblendet! man hätte eben das Licht nicht einschalten sollen, hm, sie umschwänzelt mich schon wieder, sie hat ein heißes Bad genommen, irgendwelche neuen Parfums, angenehm, wer hat sie ihr wohl gekauft? jetzt braucht sie Zärtlichkeit, sie ist nackt. – Ist es schon gut? Tut es nicht mehr weh? Basiula wird die Augen mit ihren Fingerchen berühren, und schon ist es gut, nicht wahr? Du hast noch zwei Stunden Zeit bis zu deinem Zug, Karolek, komm, ich hab’ solche Lust zu lieben. – Sie hat den Morgenrock abgeworfen, und jetzt versuche mal, ihr zu widerstehen, wenn dir vor deinen Augen ihre Brustwarzen steif aufragen, sie hat doch einen wunderschönen Busen, und Beine, und überhaupt, sie würde einen Toten aufwecken. – Ich küß’ dich auf den Nabel. Na, lauf doch nicht weg! Sei nicht so kitzelig! – Was für eine Freude! Und ich hatte schon geglaubt, Sie beide würden nicht kommen. – Stoberski hilft Basiula ihren Mantel auszuziehen, und wie eifrig er das tut, ho! ho! er nimmt uns beide unter den Arm, hält uns fest, der läßt uns nicht mehr los, der hält uns fest, hat er Angst, daß wir ihm noch davonlaufen? und er zieht uns zur Gesellschaft hin, und er hat da einiges zusammengebracht, na, allerhand, allerhand, so etwa über zwanzig Personen, Frauen, Männer, ungefähr halb und halb, damit jeder Bursche sein Mädel hat, oder umgekehrt, schaun wir also mal, er hat das alles in zwei Zimmern untergebracht, sehr gut, durch einen Korridor getrennt, so eine große Wohnung hat er also? aha, hier ist der Plattenspieler, wird getanzt? natürlich, einige Paare, Bekannte, zumindest vom Sehen her, sollen sie halt tanzen, Moment mal, und die beiden auf dem Sofa dort, was treiben die? knutschen die schon? hübsche Beine, na, nichts, später, zunächst gehen wir mal hier rechts hinein, denn hier, wenn mich meine Nase nicht täuscht, ja, natürlich, hier findet das Haupttrinkgelage statt, das ist etwas mehr nach meinem Geschmack, der Kerl kennt sich aus, wer hätte das gedacht, so ein Tölpel, aber das Buffet ist, wie ich sehe, gut versorgt. – Für die Dame einen Cherry Brandy, bitte mich zu verbessern, wenn ich etwas Falsches sage, und für dich einen Schnaps, richtig so? Ich weiß schon, wer was mag. Gleich wirst du sehen, was hier passiert! Wenn Stoberski mal ein Fest gibt, dann hi! hi! – Idiot! wie konnte man so einen zum Vizepräsidenten des Nationalrats machen? das überschreitet die menschliche Vorstellungskraft, ein Kerl, der so lacht, hi! hi! noch dazu ein Schwuler, so sagt man zumindest, ach, was weiß ich, das interessiert mich nicht, das Privatleben der Leute geht mich nichts an, seine Sache, sein Unglück, einverstanden, aber wenn man den Kerl auf einen so exponierten Posten setzt, kann man doch nicht, ein bißchen Verantwortungsgefühl muß doch, diese Angelegenheiten so völlig mit Schweigen zu übergehen, wie denn? man muß doch mit ihm zusammentreffen. – Den werden wir uns mal vornehmen, Karolek! – Bruderherz, dich würde ich mir schon vornehmen, einen Funktionär des neuen Typs, daß du nicht mehr aufstehst! solche kommen jetzt immer häufiger zu Wort, reißen das Maul auf, vulgär, kriecherisch, ein schönes Wort, auf billigen, lobhudelnden Applaus bedacht, Brot und Spiele! in ihrer Gegenwart ein Gespräch über Ideologie zu beginnen, bedeutet geradezu eine gesellschaftliche Taktlosigkeit, wir kommen auf den Hund, übrigens, was soll’s, hab’ ich’s nicht gesagt! predige ich das nicht schon seit eh und je? ach, du Tölpel! sein Glück, daß er mir all die Jahre hindurch niemals in die Quere gekommen ist, dem hätte ich’s schon gezeigt! er hat sich geduckt, der Schlaukopf, still, pst! wer hat vorher von ihm gehört? und er hat die Gelegenheit abgewartet, und hat es geschafft, verdammt, oder er hat Beziehungen, sicher hat er Beziehungen, man hätte sich früher für ihn interessieren sollen, jetzt ist es zu spät. »Du bist mein Frühling, meine Kleine – Eisblumen blühn am Fenster nur für dich alleine.« Basiula liebt das, die Melodie, nein, eher der Rhythmus gefällt ihr, wahrscheinlich das eine wie das andere, schon summt sie es vor sich hin, nach wem schaut sie sich so um? und sie wiegt sich rhythmisch in den Hüften, das sollte sie nicht tun, wenn eine Frau so eine Figur hat wie sie, so sollte sie das nicht tun, das ist reine Provokation, das ist absichtlich, ist bewußte Zügellosigkeit, noch dazu, wenn sie sich so demonstrativ aufführt mit diesem halb verhüllten Busen, wie soll man sich da nicht nach ihr die Augen ausschauen? und ich habe gesagt und gebeten, sie möchte ein anderes Kleid, aber nein! nur dieses, absichtlich, natürlich, ihr macht das ja Spaß, das Bewußtsein, daß ihnen allen gleich die Zunge heraushängen wird, daß sie schnauben werden wie ein Rudel liebestoller Hunde, sie berauscht sich daran, verdammt, schändlich, aufreizend, wer ist denn das? wohl keiner von hier, ein blendend geschnittener Anzug, und das in meiner Anwesenheit! muß ein Bekannter von Stoberski sein. – Gut, daß du gekommen bist, Slawek. Basiula, darf ich dich hierher bitten, Karolek, Ihr müßt meinen Freund kennenlernen. Herr Swiatoslaw Wygaj, Herr und Frau Ostuda. Nicht wahr, der ist nett? Ein reizender Mensch! Ein Literat! »Litauen, mein Vaterland, du bist wie die Gesundheit!« – Ein Dummkopf, der über jeden Dreck lacht, wenn er wenigstens etwas Würde bewahrte, worüber lachst du denn, du Idiot? seine Wangen schwabbeln, was für eine widerwärtige Visage, und die Hände, die sind so rundlich, wie aufgegangener Teig, ein Schwuler, kein Zweifel. – Ein reizender Mensch, ihr seid doch meiner Meinung, nicht wahr? – Na, nicht! und was jetzt? wird er ihn am Ende noch küssen? auf die Stirn, diese dicken, aufgeworfenen Lippen, auf denen der Speichel glänzt, beim bloßen Anblick bekommt man eine Gänsehaut, ein Schwuler, da wette ich meinen Kopf, bloß mit wem ist der hier? mit diesem Wygaj? eh, der sieht mir gar nicht so aus, übrigens schauderte es ihn auch, als dieser Hanswurst ihn mit den Lippen berührte, also mit wem? es würde sich lohnen, da ein bißchen herumzuschnüffeln. – Mein Freund. Er wohnt hier, nur über den Flur. Vor einem halben Jahr ist er aus Paris zurückgekommen. Habt ihr seine Reportagen in der Warschauer Presse gelesen? – Das ist ein Trottel, so wahr mir Gott lieb ist, mit der Kerze könnte man so einen suchen, weil er sie gelesen hat, er tut doch von früh bis abends nichts anderes als nur die Warschauer Presse lesen, ein Gelehrter! wie könnten wir uns mit ihm vergleichen? mit so einem Intellekt! habt ihr seine Reportagen gelesen? – Was hat Sie dazu bewogen, in unsere kleine Provinzstadt zu ziehen, Herr Swiatoslaw? Sie sind doch so ein weitgereister Mensch, und bei uns passiert doch nichts Interessantes, Sie können sich nicht vorstellen, wie langweilig es hier ist. – Jetzt ist’s passiert, sie hat es auf ihn abgesehen, jetzt wird sie die Augen nach ihm verdrehen, wird herausfordernd ihren Busen vorstrecken, wird ihn becircen, bis er sich ihr selbst ans Messer liefert, übrigens ist er auch nicht so, daß, ich sehe sofort, alle diese Symptome, das Steigern ist schon vorbei, jetzt nur noch die Partie zu Ende spielen. Herrgott, weshalb hab’ ich die nur geheiratet? – Slawek hat vor, einen Roman über das Leben in der Provinz zu schreiben. Mein Lieber, du mußt unbedingt mit Karolek sprechen. Der ist die leibhaftige Chronik der Stadt! Ich erinnere mich noch, wie er hier auf dem Motorrad zusammen mit dem sowjetischen Stadtkommandanten ankam, wie hieß der doch? Dawidow? um hier die Volksherrschaft einzuführen. Das war damals so ein Beruf, das Einführen der Volksherrschaft. Ich hatte einen Kumpel, der hat diese Beschäftigung sehr gerühmt, bloß, was half’s, er hat’s nicht lange durchgehalten, die Sterblichkeit in diesem Beruf ist eher groß, sie haben ihn verhaftet und abgeschlachtet. Nicht du, Karolek, nicht du. Das war unter Wałbrzych. Warum lacht ihr alle? Ich versichere euch, für meinen Kumpel war das gar nicht so erheiternd. Karolek könnte viel darüber erzählen. Darf ich fortfahren? Ich erinnere mich, wie er von der Tribüne auf dem Marktplatz eine Rede hielt. »Bürger! Arbeiter! Wir bringen euch die Freiheit!« In allen Kirchen ließ er die Glocken läuten und schleppte den Pfarrer einfach am Schlafittchen auf den Markt. Am Ende der Massenversammlung intonierte er »Gott, der Du Polen«, und der Herr Pfarrer sprengte Weihwasser und gab den Segen. Die Rührung griff einem an die Kehle, die Tränen stiegen einem in die Augen. Gott und das Vaterland, zwar ein rotes, ha, aber immerhin das Vaterland, die Heimat, unsere heißgeliebte Mutter. Übrigens, ehrlich gesagt, so ganz unter uns, dem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, hab’ ich nicht recht? Ruhe, bitte, Herrschaften. Noch am selben Tag wurde abends ein Attentat auf Karolek verübt. Wer hatte geschossen? Die schwarze Reaktion hatte aus dem Hinterhalt geschossen. So sagte man damals, die schwarze Reaktion, die schmutzigen Knechte der Finanzhaie von der Wall Street, die Geiferzwerge des Imperialismus, so ähnliche Bezeichnungen waren es, die jetzt aus irgendwelchen unverständlichen Gründen nicht mehr gebraucht werden. Herrschaften, ihr lacht schon wieder. Kann man von euch nicht verlangen, daß ihr auch nur einen Augenblick ernst bleibt, zumal bei einem so ernsten Thema? Jaaa, mir kommen die Tränen, das waren Zeiten, Karolek, was? – Wie soll man so einem nicht in die Fresse schlagen? warte nur, du Soundsoeiner, in die Hand spucken und in die Fresse gehauen! wirst hier die Volksherrschaft verhöhnen! Ratten! wenn die nur beißen können, einer den anderen anfallen, an die Kehle springen, aber das darf man nicht, die Zeiten sind vorüber, Liberalisierung, verflucht, ich spüre, daß ich mich heute besaufen werde, wo hat er bloß den Schnaps? ich werde mich besaufen, dieser Idiot lacht schon wieder, worüber? irgendwer hat einen Witz zum besten gegeben, diese ihre Witze, die kenn’ ich schon, anscheinend sind sie vollkommen harmlos, aber ich kenne sie, ich kenne sie, mich werden sie nicht anführen, die ganze Sippschaft brüllt, was kümmert’s die schon, daß ich dabei bin? ich, ein Vertreter der Volksherrschaft! einen Dreck kümmert sie das, ich zähle schon gar nicht mehr, alles kann man jetzt tun in unserer Gegenwart, Lachen ist gesund, eben, also lachen wir, verspotten wir Volkspolen, bah! das gehört heute sogar zum guten Ton, verflucht, aber habe ich nicht gewarnt? habe ich nicht gewarnt? Basiula auch, daß sie sich nicht schämt, dieses Lachen von ihr, so heiser, so durchsetzt mit Sex, das ist doch wie eine Einladung ins Bett, ist sie sich darüber nicht klar? sie weiß es ganz gut, wie soll man sich dann wundern, daß sie sie gleich würden nehmen wollen, aber das macht sie absichtlich so, das käschert sie auf, das gibt dem Leben Glanz, denn hier herrscht überall solche Langeweile, ach, was für Langeweile, Herr Swiatoslaw, wer will, kann mir straflos Hörner aufsetzen, nachher lachen sie über mich auf der Straße, in den Häusern, was bin ich? ein Dreck? – Ja, Kindchen, widersprich nicht, ich zähle in deinen Augen überhaupt nicht mehr, dein ganzes Vorgehen beweist das. Du nützt ganz einfach ganz ungeniert meine Geduld aus, meine Güte. Aber sei wiederum nicht allzu selbstsicher, das wird doch einmal ein Ende haben, du wirst sehen! Du glaubst doch wohl nicht, daß ich das alles so ertrage und nichts – Der Schnaps ist gut, dieses eine ist mir noch geblieben, ich bin nur neugierig, wie diese Sandwiches sind, probieren wir mal, besser, man hört nicht zu, schaut nicht hin, wozu soll man sich die Nerven strapazieren, man muß sich schonen, ich werde ins andere Zimmer gehen, noch eines mit Gurke, mit Hering, mit Hering nehm’ ich zwei, warum soll ich sie mir nicht gönnen, und ein Gläschen werde ich mir füllen, vielleicht sollte ich die ganze Flasche mitnehmen? was? das gehört sich nicht? aber vielleicht? nein, besser nicht, schließlich hat man ja doch etwas gesellschaftlichen Schliff. – Na, lauf doch nicht weg. Sei nicht so kitzelig! – Ach, Karolek! – Was ist das aber auch für ein Körper, ein herrlicher Bauch, ein Kind nur gehabt, aber nicht einmal die Spur irgendeiner Falte, glatt, fest, so wie damals, als ich sie zum erstenmal nackt sah, sehr wichtig bei einer Frau, das Hinterteil, darüber wird in der Dichtung zu wenig gesagt, ja, über die Augen, die Wangen, die Lippen schon, aber über den Hintern. – Es ist angenehm, dich so zu liebkosen, Basiula, sich mit der Wange anzuschmiegen, mit den Lippen leicht das Bäuchlein zu berühren. – Sie liebt das auch, besonders mich so aufzureizen, wieder läuft sie mir davon, na, lauf doch nicht weg! sie möchte, daß man ihren Busen bewundert, na ja, er ist schön, schön, ich bewundere ihn, was soll ich noch bewundern? wo hat sie bloß all diese Tricks gelernt? na, das ist aber auch eine Frage, doch schon damals, beim ersten Mal, eine andere Sache, daß solch eine Zügellosigkeit bezaubernd ist, nein, gar nicht, nur in der Möglichkeitsform, es könnte bezaubernd sein, wenn wir so wären wie andere Ehepaare, wenn sie wüßte, welche Abscheu mich manchmal befällt, wenn ich sie berühre, aber sie wirkt so auf die Sinne. Da hast du, küß! Küß! Ist der Stuhl frei? oh, danke, gerade das Richtige für mich, mögen die anderen dort nur herumlallen, übrigens interessiert mich das wenig, hier ist es viel angenehmer »Ich weiß, daß du mich einmal lieben wirst«, man kann beim Tanzen zuschauen, sie vergnügen sich, die Stimmung ist ein bißchen so wie in einem Bordell, das gefällt mir, so ein Halbdunkel, das ist doch wohl kaum eine Fünfzigerbirne, und dazu ist der Lampenschirm noch mit einem Stück roter Seide verhüllt, verdammt, da hat man ein ganzes Leben gelebt und noch niemals auch nur einen Fuß in ein Bordell gesetzt, wenn man mal so ein Ausreisevisum fürs Ausland bekäme, nach Frankreich, Italien, aber das geben sie nicht, nicht in diesem Ressort, höchstens in die UdSSR, nein, danke, dort war ich schon, übrigens sind auch dort, wie mir scheint, das hab’ ich wohl irgendwo gelesen, die Bordelle offiziell aufgehoben worden, die ganze Welt wird immer verlogener, ein Paar knutscht sich auf dem Sofa ab, das ist wohl dasselbe, das ist so eine volkstümliche Art von Bordell, aber der Kerl hat sich ordentlich in sie verknallt, die Hand steckt er ihr da irgendwo hinein, nachher wird der eine Woche lang mit geschwollenen Eiern herumgehen, und sie, nein, das ist nicht zu glauben, sie macht es ihm, phantastisch, so vor allen Leuten, das ist hier offenbar eine ganz normale Sache, oder die, die sich beim Tanzen küssen, mein Lieber, das ist kein Tanz, die onanieren doch, klar, siehst du es denn nicht? sie halten sich umschlungen und stehen auf der Stelle, ihre Lippen aneinander festgesaugt, und sie reiben sich nur im Rhythmus aneinander. »Und so, verehrter Genosse Redakteur, haben wir im Rahmen der Verpflichtungen zur Feier der Oktoberrevolution auf höchst wirtschaftliche Weise bei uns daheim ein Bordell eingerichtet. Auf diesem Wege haben wir unserem geliebten Volksstaat beträchtliche Summen erspart, sowie weite Gesellschaftskreise aktiviert, die vorher abseits vom gesellschaftlichen Leben standen«. – Ist der Kerl verrückt geworden, ausgerechnet jetzt, wo die Situation wirklich anfing, interessant zu werden, weg da, du Tattergreis, der hat mir doch die ganze Aussicht verstellt, das ist offenbar der alte Mioduszewski, ja, ist sein Vater denn Glaser oder was? auch eine Idee, sich so neben mich hinzusetzen, der alte Schurke, ich verstehe nicht, wie man ihm das Restaurant zurückgeben konnte, auch noch Steuernachlaß bekommt er, man weiß ja, Stoberski paßt da auf, die tun ihm ja nur einen Dienst damit, da wird es wieder einmal einen großen Mann geben, er wird in die Demokratische Partei eintreten, sie werden ihn zum Stadtrat machen, heutzutage braucht nur irgendein Schuft die Flügel auszubreiten und sich für den Flug vorzubereiten, sofort hat er günstigen Wind, wahrscheinlich ist er schon eingetreten, demnächst wird er, wenn er auf der Straße an mir vorbeigeht, darauf warten, daß ich ihn zuerst grüße, bis zu seinem beschissenen Ende wird er da warten können, er hat schon mit ihnen ein Gespräch angefangen, weshalb stört er sie, ist er neidisch, weil er nichts mehr zusammenbringt? also erzählt er ihnen Witze, da hat er sich aber auch eine Zeit dafür ausgesucht, hat die aber eben die Beine hochgeworfen, was für eine Haut, und diese Höschen, schneeweiß, ein schön molliger Körper, verrückt kann man werden, wenn man so etwas anschaut, mikroskopisch, da hast du’s, sie hat sich den Rock heruntergezogen, da könnte man doch gleich, diese keusche Susanne, ich bin nur neugierig, ob ich sie kenne, das Gesicht ist von hier aus nicht genau zu sehen, übrigens ist das unwichtig, wenn man solche Hüften hat, na, los, los, laß sie in Ruhe, du Lustgreis! ein Restaurant einer Genossenschaft wegnehmen und in die Hände eines Privaten geben, nicht zu fassen! wenn ich im Stadtkomitee wäre, das ist doch das öffentliche Eingeständnis eines Fiaskos, die Genossenschaft bringt’s nicht zustande, also übergeben wir’s einem Privaten, ich würde das nicht erlauben, ein Wahnsinn ist das, und politische Blindheit, wohin soll das führen? erst ist es Mioduszewski, dann ein anderer, später wieder ein anderer, und so fort, all dies im Namen des vollkommen richtigen Grundsatzes, na sicher, wer will denn das bestreiten, der Gesundung der Wirtschaft, und was sind die Konsequenzen? sie sind erschreckend! als hätte man den Schwamm im Haus, man weiß nicht, wie und wann er sich vermehrt, Tag um Tag, über Jahre erstreckt sich dieser unsichtbare Prozeß der Vermoderung, eine mühselige, unermüdliche Aushöhlung des Inneren, plötzlich stürzt das Haus ein, große Tragödie! warum haben wir das nicht beizeiten bemerkt? na, eben! aber hab’ ich’s nicht gesagt? hab’ ich nicht gewarnt? und rufe ich nicht dauernd, daß das zum Untergang führt? natürlich, ich, wer bin ich schon? auf mich kann man pfeifen, ein peinliches Erbe aus der Zeit der sogenannten Fehler und Irrtümer, daß sie sich nicht schämen, vor diesen Dummköpfen Asche aufs Haupt zu streuen, eingebildete Sünden zu beichten, Verräter! ob sie es wagen? käufliche Subjekte! ist die Revolution eine Amme? eine Vorschule für brave Kinder? Verräter! kein Schnaps mehr da, man hätte die ganze Flasche mitnehmen sollen, und überhaupt, wozu, verdammt noch mal, bin ich hier, die Lokomotive der Geschichte, haben die den Majakowski nicht gelesen? ich hätte überhaupt nicht herkommen sollen, wäre sie halt allein gegangen, sie hat beim Tanzen so mit den Beinen herumgezappelt, daß ich doch nicht auf sie aufpassen kann, wenn sie’s will, wird kein »oh, du lieber Himmel« helfen, da ist nichts zu machen, Instinkt, Blut, Gift, ich hätte die ganze Flasche mitnehmen sollen, eine schreckliche Sache das, was einem da zwischen den Beinen herumbaumelt, Gott bewahr uns davor, diesem Instinkt zu erliegen, wegschneiden müßte man das, alle würden nur herumlaufen, im Prinzip, ja, gewiß, als Potenzial, als Rohstoff, aus dem man erst, aber in der Praxis? immer findet sich irgendwo ein Makel, dann ist’s so wie damals, als ich entdeckte, daß sie, das ist dann so, als ob man einem Menschen das Herz durchbohrte, und bis an sein Ende muß er dann mit dem Loch herumlaufen, da ist es schon besser, man stirbt gleich, wenigstens erspart man sich die Quälerei, mein ganzes Leben lang hab’ ich gesucht, Hirngespinste, natürlich, das ist für Kinder in der Vorschule, denn so ein Wesen gibt es nicht auf Erden, soll mir doch einer so was zeigen, soll er mir doch beweisen, daß ich im Unrecht bin, daß sie rein sind, makellos, wie eine Perle, wie Quellwasser, wie eine Lilie, man wird sich mehr Wodka holen müssen, wachse, Lilie, hoch, wie der Herrgott tief begraben liegt, Tatsache, das ganze Leben lang, wie der Herrgott tief begraben liegt, so hoch wachse, du, und mir schien, daß schon, daß es endlich das ist, und dann kommt so ein Kerl, oh! – Wie kannst du mir vorwerfen, daß ich selbst ihn dir ins Bett gepackt hab’? Wie kannst du nur? Mir! Deinem Mann! Bin ich denn ein Zuhälter? Wenn jemand als Hund geboren ist, so bleibt er ein Hund, das wird niemand mehr ändern. – Vielleicht bin ich als Hündin geboren, aber zur Hure hast du mich gemacht! – Wenn du nicht sofort mit dieser Hysterie aufhörst – Wo ist denn mein Glas? mir hat sie das zu sagen gewagt, mir, ihrem Mann! wo ist bloß dieses Glas hin? daß ich aus ihr eine Hure gemacht habe, und wer treibt’s mit der ganzen Stadt? ich? und wer hat mich zum Gespött der Leute gemacht? und dann will sie mir noch Vorwürfe machen, daß ich aus ihr eine Hure gemacht hab’, Unverschämtheit!, soll ich ihr alle der Reihe nach aufzählen? mit Namen? ihr Daten und Orte nachweisen? ich geh’ mir was eingießen, die dort gehn tanzen, ganz ordnungsgemäß, schön einträchtig, um die Partie zu Ende zu spielen, sie halten sich schon an den Händen, eine Romanze in ausgesprochen fortgeschrittenem Stadium, was soll das, grinst der mich so an? als ob er sich schon schuldig fühlte, als bäte er mich von vornherein um Verzeihung für das, was erst geschehen soll, ich kann da nichts machen, höchstens sie, und du bringst nicht einmal die Kraft auf, nein zu sagen? wegschneiden, zum Teufel, bei allen wegschneiden! nicht einmal in die Augen kann er mir sehen. – Wie steht es mit Euch, Bürger Wygaj? Ihr bleibt dabei, daß Ihr ein reines Gewissen habt, daß nichts an Euch nagt, aber Ihr könnt einem nicht gerade in die Augen sehen. Na, erklärt mir doch mal, weshalb? – Na, wie unterhalten wir uns denn, Karolek? Paß nur auf dich auf, gut? Trink nicht zu viel, denn nachher, du weißt ja. – Aber der Wygaj ist verwirrt, es ist ihm unangenehm für sie, er hat Mitleid mit ihr, na ja, so einen Mann zu haben, so einen Trunkenbold, die ganze Stadt macht sich über ihn lustig, vielleicht ist er außerdem noch ein ungehobelter Klotz, eifersüchtig, und am Ende kommt es gar zu Handgreiflichkeiten? – Ich sehe, daß Basiula in gute Hände geraten ist. Ein Literat, ein Dichter, was? Basiula liebt eine intellektuelle Konversation, nicht wahr, Basiula? – Sie weiß es schon, ich sehe das an ihren Augen, daß ich bereits im Bilde bin, daß, ach was, besser nicht daran denken, und der, warum beißt sich der dort auf die Lippen? hat er meine Worte für Fopperei gehalten? – Haben Sie keine Angst, Herr Major, ich bringe Ihnen Frau Basiula gesund und unversehrt zurück. – Konnte der sich nichts Besseres ausdenken, ein Witzbold, hat sich zu einem Witz aufgeschwungen! – Das heißt also unberührt? Ich freue mich, daß Sie mir das von vornherein und noch dazu so eilfertig versichern. Na, dann geht nur, und amüsiert euch gut, ich werde was trinken gehn, denn meine Kehle ist schon wieder trocken. – Nur die Fäuste ballen und den Mund halten, – als sie so loslachte, habe ich geglaubt, daß mir jemand mit einer Nadel direkt ins Herz sticht, für sie ist das ein Spaß, aber für mich? aber das ist nichts, man muß halt die Augen zudrücken, gute Miene zum bösen Spiel machen, »dem haben sie Hörner aufgesetzt, aber er hat das Gesicht gewahrt, nicht einmal ein Lid hat dem gezuckt, als er miteinem schlechten Witz den immer stärker in ihm pochenden Schmerz abtötete« wenn ich in Pension gehe, in diesem Beruf ist die Sterblichkeit hoch, werde ich anfangen, Romane zu schreiben, eine lebendige Chronik, daß er es nur weiß! er hat gespottet, aber ohne zu wollen hat er den Kern der Sache getroffen, ein Stückchen Wahrheit, herausgerissen aus der lebendigen Materie des Lebens, aus den eigenen Eingeweiden, Blut, dem eigenen Herzen abgezapft, aber wer würde das lesen wollen? wer würde es glauben? solchen Schmutz, eine Welt wie eine Kloake, ein Leben wie ein Fleischerladen, alle würden entrüstet aufschreien, gegen mich hetzen, daß das alles nicht wahr sei, daß ich alles mit Dreck bewerfe, daß ich nur Haß ausspeie, keiner von ihnen hat den Mut, sich der Wahrheit zu stellen, sie hätten es lieber, wenn es eine andere Wahrheit wäre, damit ihnen nur niemand die Vergangenheit vorhält, wie denn auch, heute sind sie Würdenträger, hochgestellte Funktionäre, weiße Hemden, Banketts, Champagner, Stabilisierung, Blumentöpfe in den Fenstern, Biedermeiermöbel im Salon, Perserteppiche, mit einem Wort: Europa! denn die schmutzige Arbeit tut schon wer anderer, also besser zu vergessen, besser, die alten Geister nicht heraufzubeschwören, ja? jetzt ist es schon an der Zeit, eine Legende aufzubauen, in der alles schön sein wird, geglättet, antiseptisch, hübsch in Cellophan verpackt, ein vorgekauter Brei, den man den Schulkindern vorsetzen kann, ja? was habe ich hier verloren, wozu bin ich hergekommen, Wodka, ja richtig, ich will etwas von diesem Schnaps hier versuchen, ein Stückchen Hering oder etwas Schinken? – Sie stehlen? Man weiß ja, daß sie stehlen, was sollen sie sonst tun? Niemand stiehlt deswegen, weil es bei ihm um die Moral schlecht bestellt ist, und an sein staatsbürgerliches Gewissen zu appellieren ist das gleiche, wie wenn man sich selbst zum Narren halten wollte. – Heut’ werd’ ich mich besaufen, so wahr mir Gott lieb ist, ich werd’ mich besaufen, so ein Schlangennest hier! – Weshalb also stehlen sie? Sollen sie doch reden, na! oh nein! jetzt hat jeder den Mund so voll genommen, jeder ist so klug, aber wenn es wirklich zu etwas kommen sollte, na, warum reden sie dann nicht? die glotzen mich nur an, denen hab’ ich das Vergnügen verdorben, »Denn mein Junge spielt jetzt Fußball«, sie schweigen, diese Hundsfötte! – Also weshalb? Weshalb stehlen sie? – »Und vom Sonntag bis zum Samstag heißt’s nur immer Match, Match, Match!« – Na, wenn Sie in einem solchen Ton zu mir sprechen, da ist es wohl besser, erst gar nicht darauf zu antworten, wie? – Und dieser Idiot blinzelt der Gesellschaft noch zu, ein großes Vergnügen! wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann? niemand, sie lachen nur, sie haben’s geschluckt, und nichts ist ihnen passiert. – Nein, Korbut, so leicht kommt Ihr mir da nicht heraus. Ihr sagt, es war ein Scherz, ein unschuldiger Scherz, aber wißt Ihr, wie ich das nenne? Volksfeindliche Propaganda! Ich wundere mich nur, daß Euer Chef, Stoberski, von dem wir bisher die allerbeste Meinung hatten, so lange Zeit hindurch einen Menschen von einem, wie sollen wir sagen? so fragwürdigen? feindlichen? politischen Profil bei sich duldete. Wir werden uns auch mit ihm unterhalten müssen. – Ich nehme mir die Schnapsflasche, einen kleinen Teller, lege mir ein paar Sandwiches darauf, ein paar Stückchen Wurst, das Buffet hat er gut gerichtet, das muß man ihm lassen, und ich werde mich setzen, na, wohin? dort, bei dem Bibliothekschränkchen, ein großer Intellekt! hat einen Bücherschrank! in vino veritas, oh, ich setze mich, mag sich die Bande nur vergnügen, aqua vita, Branntwein, mag der nur kläffen, die Zeit der Abrechnung kommt schon noch, die Abrechnung des Unrechts, irgendwer hat das mal geschrieben, irgendso ein Gedicht, die Abrechnung des dem Volk zugefügten Unrechts, es werden Zeiten kommen, deren Merkmal es sein wird, ich erinnere mich nicht mehr, das war übrigens eine andere Epoche, auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, der Schnaps klebt, Zucker, dummes Zeug, was will Basiula hier? auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, warum, was will die hier? und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen, was läuft sie dauernd hinter mir her? muß sie sich denn fortwährend an mich hängen? lauf’ ich ihr etwa nach? störe ich sie denn bei irgend etwas? bitte sehr, Bahn frei, ich und sie stören? niemals! was hängen soll, ertrinkt nicht, das alles ist dort irgendwo aufgeschrieben, vorbedacht, wir sind prädestiniert durch … Karolek, trinkst du auch nicht zu viel? – Welch rührende Besorgnis, mir kommen direkt die Tränen, sie sorgt sich um mich, meine Frau, meine Ehehälfte, meine bessere Hälfte, verdammt, sie hat Angst, daß ich mich wie ein Schwein aufführe, meinetwegen schluckt sie Schande, früher hat er den ganzen Bezirk beherrscht, gezittert haben sie vor ihm wie vor Beelzebub, mit Feuer und Schwefel hat er der Revolution den Weg gebahnt, mit Blausäure! aber heute? schaut ihn doch an, was aus ihm geworden ist! Der Grund des Übels liegt darin, der Grund des Übels liegt darin, daß, daß was? niemand hat dich geheißen, sie zu lieben, was, bist du denn ein kleines Kind? ist das die Pubertätskrise? man hätte sie vögeln sollen und dann: pack dich, raus mit dir! deshalb hat sie mich zu sich genommen, damit ich ihr alles zu Gefallen tat, ein solides Kleinod hat sie in mir gewittert, was schadet’s schon, es auszuprobieren? man kann es anpassen, vielleicht paßt dies besser als das andere? anstatt sofort auf große Liebe zu machen, Mond, Serenade … »wie schön das gerade trifft, Mondschein, Serenade«, diese ganze idiotische romantische Staffage, nein, ich ging gleich aufs Ganze, ich mußte mich in sie vernarren, »genug Gefühl in meinem Herzen trag’ ich, oh keiner kommt, zu lieben mich, das frag’ ich, das fügt sich grad’ so schön …« als ob ohne das zwischen uns alles zu Ende hätte sein sollen, gar nichts wäre zu Ende gewesen, bis heute hätte ich sie haben können, natürlich, nur, wenn sie mich nicht gelangweilt hätte, ich hätte eine Geliebte, ich wäre frei, und dazu noch eine schöne Geliebte! ja, was wäre sie für eine Geliebte! ei! ei! ei! und wenn sie dann auch mit anderen, ihre Sache, mit wem sie schläft, Hauptsache, sie ist da, wenn ich sie brauche, so ein Trottel, wußte nicht, wie sich das Leben einzurichten, jetzt muß er dafür zahlen. – Basiula, Kindchen, liebes, sorg dich nicht um mich, ich mach’ dir schon keinen Skandal, ich geb’ dir mein Ehrenwort. Hand auf’s Herz, siehst du! Ich werde nicht auf den Boden kotzen, ich werde keinem in die Fresse schlagen, obwohl, Gott und der Wahrheit die Ehre, so mancher hat’s verdient, hör auf, dich um mich zu beunruhigen, geh! geh, amüsier dich nur weiter! – Karolek, vielleicht gehn wir doch schon nach Haus? – Um diese Zeit? – Es ist schon lange nach elf. – Was heißt schon elf Uhr? Laß mich in Ruh’. – Wie du meinst. – Sie schmollt, Gott, was für eine Komödiantin! als ob ich nicht wüßte, daß sie nur gekommen ist, um sich zu vergewissern, daß ich mich wirklich ganz vollaufen lasse, grünes Licht für Basiula! wozu diese ganze Komödie? na, nein, so einfach ist das wieder nicht, sie weiß doch, daß ich sehr genau darüber orientiert bin, worum es ihr geht, eine Sache des Gewissens, es handelt sich um meine vermeintliche Einwilligung, denn dann kann sie sagen: du hast’s ja gewußt, warum hast du dich nicht bemüht, mich zurückzuhalten? aber vielleicht sollte ich ihr einen Schabernack spielen? du hast recht, es ist schon spät, wir gehen nach Haus, ach was! eine Frau so quälen? du kannst beruhigt sein, ich werde dich bei nichts stören, ich geb’ dir freie Bahn, grünes Licht vor dir, du kannst mit ihm, ich bin niemandes Schutzengel! was geht’s mich an, mag sie halt, ich werd’ mich bis zur Bewußtlosigkeit besaufen, ihr zum Trotz, »soll ich meines Bruders Hüter sein?«, eine Kinderei, bis zur Bewußtlosigkeit! an einer verhurten Ehefrau ist noch keiner gestorben, das wär’ vielleicht auch ein Grund, woran ist er gestorben? an Krebs? an Tuberkulose? an seiner verhurten Frau! ein enormer Lacher, haltet mir die Seiten, sonst platz’ ich! immerhin interessant, daß sie diese Einwilligung braucht, warum bloß? Gewissensbisse? nicht bei Basiula, ich versteh’ das nicht, blödes Herumgetue, man hätte sie zu seiner Geliebten machen sollen, dann gäb’ es heut’ keine Probleme, was will sie mir beweisen? daß sie besser ist als ich? na, auf mein Wohl! was dieses Volk bloß so pausenlos plappert, Stimmen wie durch Watte, das hab’ ich irgendwo gelesen, »die Stimmen drangen so gedämpft zu ihm, als kämen sie durch Wände aus Watte«, ich erinnere mich nicht mehr, wo, ist übrigens auch unwichtig, gar nicht originell, jeder Federfuchser so, aber wenn man das auf Band aufnähme, daß sie besser ist als ich? daß sie wenigstens das Bewußtsein der Sünde hat? wie Tausende von Maikäfern, so krabbelt das alles durcheinander in einem großen Haufen, ein einziger großer Laichort, genau das Richtige für sie, die Menschen sind Schweine, Bewußtsein der Sünde? Ich kann höchstens einen Irrtum begehen, aber eine Sünde? Sünde? – Blick um dich, sieh, was ihr aus den Leuten gemacht habt. Die edelsten Ideale, auf die sich der Mensch bei seinem ewigen Kreuzweg zur Vollkommenheit stützte, habt ihr in den Dreck gezogen, und ihr habt eine Gesellschaft geschaffen, in der sich alle gegenseitig hassen, und gleichzeitig verbindet sie ein gemeinsamer Haß auf etwas, das außerhalb ihrer Welt liegt, worauf sie aber weder mit dem Finger zeigen noch es beim Namen nennen dürfen. Die ganze Maschinerie des neuzeitlichen Staatswesens habt ihr auf die Vernichtung des Menschen eingestellt, aber jedes einzelnen Menschen, so daß sich jeder, wenn auch gleichermaßen wie alle anderen bedroht, hoffnungslos vereinsamt fühlt, allein mit sich selbst gegen alle und alles. Die ganze Welt wurde für ihn hassenswert. Nur Gott dafür verfluchen, daß Er ihn erschaffen und euch preisgegeben hat. Ihr habt dem Menschen jede Möglichkeit einer Gegenwehr genommen, ihr habt ihm keine Instanz gelassen, an die er sich um Fürsprache und Gerechtigkeit wenden könnte. Ihr habt ihn zu einem sinnlosen Ringen mit sich selbst verurteilt, das ihn verzehrt und ihm jeden Willen nimmt, nicht nur zum Kampf, sondern den Lebenswillen überhaupt. – Ich ging von der Theater-Brücke in Richtung der Rotunde, und bitte, stellen Sie sich vor, am Haus gegenüber, dem ehemaligen Kruk, eine Menschenmenge, so etwa zweihundert Personen. Im Tor zwei von der Miliz. Sie streiten sich, sie brüllen, bemühen sich, die ganze Gesellschaft zu vertreiben, aber gibt’s ein Mittel gegen menschliche Neugier? Vielleicht, wenn sie die Gummiknüppel herausgezogen hätten, aber bei solch einer Menschenmenge hat es auch ein Milizsoldat nicht eilig, den starken Mann zu markieren. Ich gehe hin, frage, was passiert ist. Aus den Fetzen des Berichts schält sich ein Geschehen heraus, das freilich symptomatisch ist für die Zeiten, zu denen uns die Geschichte verurteilt hat. Vorige Nacht wurde hier ein schrecklicher Mord begangen. Irgendwer hat einen Kerl umgebracht. Mit der Axt hat er ihm den Kopf abgeschlagen, den Körper zerstückelt und in einen Koffer verpackt, aber es gelang ihm nicht, ihn hinauszutragen, denn die Besitzerin der Wohnung klopfte da grad’ an die Tür, also schlug er, von Panik erfaßt, mit dem Ellbogen eine Scheibe aus und sprang auf den Gehsteig, das Unglück wollte es, daß er direkt einem vorübergehenden Milizsoldaten auf den Kopf sprang. Sie fragen, meine Herrschaften, worum es ging? Der Täter war vor einigen Monaten aus dem Gefängnis gekommen. Fünf Jahre hatte er abgesessen. Wofür? Ganz einfach, er hatte irgendwo was gesagt, oder hatte versäumt, was zu sagen, Sie wissen ja alle selbst, wofür man noch vor einigen Jahren ins Gefängnis wanderte. Und jener andere war ein Spitzel der Sicherheitspolizei. Sowie er aus dem Gefängnis war, suchte er, jenem auf die Spur zu kommen, durch ganz Polen fuhr er ihm nach, bis er ihn endlich hier aufstöberte und Gerechtigkeit übte. Jawohl, meine Herrschaften, die Rache des Volkes ist fürchterlich! – Ist Kwiatkowski so ein Heuchler? schau, schau! diese Chamäleons! und wie hat er damals Selbstkritik geübt, an die Brust hat er sich geschlagen, daß es nur so gedröhnt hat, heute würde er sich dessen schämen, er erinnert sich nicht mehr, würde sich nicht mehr dazu bekennen, den hätte man längst aus der Partei feuern müssen, raus, pack dich! Schwein! mit dem wird man was machen müssen, eine Brutstätte der Demoralisierung, solch ein Gerede soll man ungestraft durchgehen lassen? – wenn du nicht aufhörst, so zu raunzen, Vater, so warne ich dich, ich werde nicht lange herumfackeln mit dir, sondern ich sperr’ dich einfach ins Kittchen und Schluß! Glaub ja nicht, Vater, daß dir alles gestattet wird, nur deswegen, weil du mein Vater bist