Kurzschluss im Haus 'Villa Abendrot' - Michael Stradal - E-Book

Kurzschluss im Haus 'Villa Abendrot' E-Book

Michael Stradal

0,0

Beschreibung

In einem eleganten Wiener Altersheim ereignet sich eines Nachts ein Kurzschluss, und am darauffolgenden Morgen wird eine nicht sehr beliebte Heimbewohnerin mit E 605 vergiftet tot in ihrem Bett aufgefunden. Ihre Angehörigen, die tags zuvor zu Besuch gekommen sind, geraten rasch ins Zwielicht, weil die Tochter sich durch falsche Angaben verdächtig macht und der Schwiegersohn von seiner Abneigung gegen die Tote kein Hehl macht. Bei einer Tarockpartie mit drei betagten Heimbewohnerinnen erfährt Kriminalkommissar Geyer Wichtiges über das noch recht aktive Liebesleben der Ermordeten. Als alles klar zu sein scheint, wird ein Portier des Hauses ebenfalls vergiftet. Das wirft die bisherigen Überlegungen über den Haufen. Anhand von Fotographien, einem Mantel und zweier Teetassen gelingt es ihm aber, den überraschenden Zusammenhang zwischen den beiden Verbrechen zu durchschauen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 218

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Für Kathi

Personen:

Hans Dokowski

Direktor

Eva Dokowski

seine Gattin

Franziska Dokowski

Tochter

Dr. Fritz Flora

Hausarzt

Agnes Mayer

Krankenschwester

Goran Boskovic

1. Portier

Karl Lichtner

2. Portier

Johann Stecher

Gärtner

Gertrude Brettner

Küchengehilfin

Monika Nemec

Küchengehilfin

Grete Subarsky

Tochter von Frau Bennert

Tibor Subarsky

ihr Mann

Dr. Kröniger

Rechtsanwalt

Michael Geyer

Kriminalkommissar

Peter Schreiter

Inspektor und Assistent

Dr. Emil Haubner

Polizeiarzt

‚Herrschaften‘ in der ‚Villa Abendrot‘:

Fr. Bennert, Fr. Limstein, Hr. Strengg,

Ehepaar Nawratil, Ehepaar Köstanitz,

Hr. Auretnik, Fr. deRoss, Hr. Feilinger,

Fr. Hallerberg, Fr. Kittsteiner, Fr. Salomon,

Zeit: April 1967

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

I

Das Haus Villa Abendrot war kein Altersheim im herkömmlichen Sinn. Dazu war die Adresse in Wien zu prominent, das Gebäude zu herrschaftlich, die Ausstattung zu elegant und letztendlich war der Preis für den lebensabendlangen Aufenthalt nur für höhere Einkommensschichten erschwinglich. Die Bewohner der Villa waren daher überwiegend Angehörige wohlhabender Bürger oder bekannter Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur, die es sich leisten konnten, monatlich mehr Geld auf den Tisch zu legen, als Otto Normalverbraucher im doppelten Zeitraum verdient.

Man sollte nun annehmen, die Villa Abendrot wäre deshalb ein besonders exquisiter Alterssitz gewesen. Dem war eigentlich gar nicht so. Es gab sicher modernere, komfortablere und vielleicht sogar bessere Heime. Die ‘Villa‘ hingegen, wie sie in Fachkreisen nur genannt wurde, galt aber als Geheimtipp, denn dort herrschte eine sehr persönliche Atmosphäre, welche nicht nur auf die vergleichsweise geringe Anzahl an Bewohnern zurückzuführen war, sondern auch auf das außerordentliche Ambiente der gesamten Liegenschaft.

Das prunkvolle Gebäude stammte aus dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, stand in einem jener Nobelbezirke Wiens, wo seit jeher Adel und Großbürgertum ihre Wohnsitze hatten und strahlte eine gediegene Eleganz aus. Erbaut seinerzeit als repräsentativer Wohnsitz eines Industriemagnaten, durchlebte es nach dem Zusammenbruch der Monarchie und in der Zwischenkriegszeit mehrere Eigentümerwechsel. Es erlitt im Zweiten Weltkrieg einen Bombentreffer und stand nach dem Abzug der Besatzungstruppen als schwer beschädigtes Prunkgebäude inmitten seines von Kriegs- und Nachkriegswirren in Mitleidenschaft gezogenen Parks. Nach einem längeren Dornröschenschlaf, welcher der Bausubstanz und der Gartenanlage sicher nicht gutgetan hat, wurde die Liegenschaft von einer Versicherungsgesellschaft erworben, welche daraus ein Altersheim für gehobene Ansprüche zu machen beabsichtigte. Ein Vorhaben, welches als gelungen bezeichnet werden kann, denn bei der Sanierung des stattlichen Gemäuers gelang es dem Architektenteam, zwischen dem Charme des Wiener Ringstraßenstils und den Erfordernissen eines zeitgemäßen Altersheims einen harmonischen Ausgleich zu finden. Der Eindruck einer gediegenen Eleganz wurde nicht nur durch die ausgewogenen Proportionen des sorgfältig renovierten Gebäudes, sondern auch durch den im sogenannten ‚Schönbrunnergelb‘ gehaltenen Fassadenanstrich hervorgerufen.

Die einzige stilistische Sünde bei dieser an sich gelungenen Revitalisierung des Gebäudekomplexes war auf der Rückseite, an der Parkfront, zu sehen, wo im schmäleren Mittelteil des dreiteiligen Baues, dem Stiegen- und Lifttrakt, die Fassade durch eine überdimensionale Verglasung unterbrochen wurde. Sie gewährte einen nicht unbedingt notwendigen Einblick in das neu gestaltete Stiegenhaus mit dem ebenerdigen Foyer und den Veranden in den beiden Stockwerken darüber, ermöglichte aber von dort aus einen wunderbaren Blick über die sehenswerte Parkanlage.

Im Hausinneren herrschten peinliche Ordnung und gepflegte Sauberkeit. Die hellen Zimmer – vom Einbettzimmer bis zum Appartement – waren durchaus geräumig und bestanden aus einem mit Stilmöbelimitaten eingerichteten Wohn-, einem Schlaf- und den sehr modern ausgestatteten Nassräumen.

Von der Straße her gelangte man durch einen mit Blumen geschmückten Vorgarten über eine geschwungene Freitreppe in den Eingangsbereich, einem geräumigen Foyer mit zahlreichen Sitzgelegenheiten, Zeitungsständern und der rund um die Uhr besetzten Portierloge, in welcher sich auch eine moderne Telefonzentrale befand. Ebenerdig rechts schlossen sich die Verwaltung, die Wohnräume des Direktors und seiner Familie an, parkseitig ein Gesellschaftsraum mit anschließendem Kaffeehaus, von welchem aus man in den Restaurantbereich oder auf die Terrasse gelangen konnte, die sich harmonisch in den Park einfügte.

Linksseitig führte der Gang zum Bibliotheksraum mit angeschlossenem Lesezimmer, zum Billardraum und dem allgemeinen Aufenthaltsraum, der mit bequemen Lehnsesseln und mehreren Tischen für Kartenund sonstige Spiele aller Art versehen war. Am Ende des Ganges gelangte man zur ‚Pflegeabteilung‘, die mit den modernsten Einrichtungen für die medizinische Versorgung und Betreuung der Villenbewohner ausgestattet war. Von ‚Krankenabteilung‘ zu sprechen hatte die Direktion allen Mitarbeitern des Hauses aus verständlichen Gründen streng untersagt.

Im ersten Stock waren alle Wohnräume der Bewohner sowie die notwendigen Abstell- und Sanitärräume untergebracht. Im zweiten waren ein Musikzimmer und ein Fernsehraum eingerichtet, welcher sich steigender Beliebtheit erfreute, da ein komfortabel großes Empfangsgerät zur Verfügung stand. Daneben befanden sich einige Appartements für Gäste und Besucher, denn eine Besonderheit der Villa Abendrot bestand darin, dass Angehörige für ein Wochenende oder für länger zu Besuch bleiben konnten, wovon durchaus reger Gebrauch gemacht wurde. Nicht nur die gepflegte Parkanlage, sondern auch die ausgezeichnete Küche des Hauses eröffneten Angehörigen sogar eine Kurzurlaubsgelegenheit, ohne weit reisen zu müssen.

Das Untergeschoss beherbergte die Wohnräume des Hauspersonals, die modern eingerichtete Küche mit allen Vorrats- und Nebenräumen sowie eine Teeküche und die Räumlichkeiten der Gebäudetechnik.

Der Mann, der das Haus erst zum Geheimtipp gemacht hatte, war Hans Dokowski. Ursprünglich war er nur als Verwalter eingestellt worden, aber er fand schon bald, dass ein Leiter der Villa Abendrot den Titel ‚Direktor‘ tragen müsste. Der ständige Umgang mit den angesehenen Bewohnern und deren Angehörigen erfordere schon ein gewisses Maß an Ebenbürtigkeit, meinte er, weshalb er sich schon bald mit diesem Titel schmücken durfte.

Direktor Dokowski, knapp über fünfzig Jahre alt, sah, obgleich er ein wenig zur Korpulenz neigte, durchaus gut aus. Dank seiner Fähigkeit, dem oft endlosen Redefluss älterer Menschen geduldig – und dem äußeren Anschein nach auch interessiert – zuzuhören, erfreute er sich beim überwiegenden Teil der ‚Herrschaften‘, wie er die betagten Bewohner seiner ‚Villa‘ stets zu bezeichnen pflegte, einer gewissen Beliebtheit. Vornehmlich allerdings bei der Weiblichkeit, wohingegen die Männer ihn zurückhaltend beurteilten, da ihnen sein Herumkomplimentieren oft als lächerlich vorkam. Infolge seiner nicht gerade überwältigenden Schulbildung hatte er sich durch verschiedenerlei Lektüre und zahlreiche Gespräche mit den Herrschaften einen gewissen Grad an Allgemeinbildung anzueignen verstanden, die es ihm ermöglichte, mit angesehenen Persönlichkeiten, die in der Villa Abendrot gewissermaßen aus- und eingingen, zumindest eine Zeit lang Konversation zu machen.

Dieser Umgang mit den Herrschaften und deren Angehörigen hatte es mit sich gebracht, dass sich Hans Dokowski im Laufe der Jahre zu einem Pedanten entwickelte. Besonders was sein Äußeres betraf. Er achtete genau auf elegante Kleidung. Anzug, Hemd und Krawatte mussten farblich aufeinander abgestimmt sein, und die Bügelfalten seiner Hosen waren derart exakt, dass sie angeblich einmal jemanden zu der sarkastischen Bemerkung verleitet hatten, es wäre zu wünschen, die Messer im Restaurant wären nur halb so scharf wie der Hosenbug des Herrn Direktors. Es muss sich daher auch von selbst verstehen, dass seine Umgangsformen tadellos waren, denn ohne solche hätte er sich niemals mit sicherer Gelassenheit in Kreisen bewegen können, in denen andere vor Ehrfurcht vielleicht verstummen.

Abgesehen vom Händeschütteln mit bekannten Persönlichkeiten, hatte der Herr Direktor noch ein zweites Faible: das Billardspiel. Er war zwar nur ein mehr leidenschaftlicher als guter Spieler, erwähnte aber bei jeder Gelegenheit, dass es nur seiner außerordentlichen Überzeugungskraft zu verdanken war, dass die ‚Villa Abendrot’ einen großzügigen Billardraum besaß. Tatsächlich war es kein Kinderspiel gewesen, seinen Vorgesetzten in der Immobilienverwaltung zu überzeugen, dass es in der ‚Villa‘ unbedingt einen Billardraum geben muss. Schließlich und endlich sei einer der Herrschaften, Herr Ing. Georg Nawratil, ein ehemals international erfolgreicher Billardmeister, der das Fehlen eines Tisches bereits bemängelt hatte. Darüber hinaus würde es – so hatte Dokowski argumentiert – dem guten Ruf des Hauses sogar abträglich sein, wenn es Herrn Nawratils Schwager, einem Parlamentsabgeordneten, zu Ohren käme, dass man offenbar nicht in der Lage sei, einer derartigen Berühmtheit wie Herrn Nawratil, einen Billardtisch zur Verfügung zu stellen. Solche Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, und schon bald konnte der erste Eröffnungsstoß auf dem nagelneuen Tisch vorgenommen werden. Herr Nawratil äußerte sich zwar etwas kritisch über die Qualität des Filzes, ließ sich aber dann doch herab, mit dem glückstrahlenden Direktor eine Partie zu spielen, die Dokowski dank seines Ehrgeizes, aber auch wegen des lässig überheblichen Spiels Nawratils, gewann. Diesen besonderen Tag, an dem Hans Dokowski, Amateurspieler reinsten Wassers, einen österreichischen Ex-Meister besiegte, hatte er im Kalender natürlich rot angestrichen. Die Abfolge des erfolgreichen Spielverlaufes hatte er im familiären Kreis schon derart oft erzählt, dass sowohl seine Frau Eva als auch seine Tochter Franziska jederzeit in der Lage waren, den gesamten Spielverlauf wortgetreu herunterzuleiern.

Am Morgen des 13. April 1967, einem Mittwoch, hatte der Herr Direktor jedoch anderes zu tun, als von seiner siegreichen Billardpartie zu erzählen. Er befand sich beim Frühstück in seinem Wohnraum und führte ein Telefonat. Allerdings eines von jener Art, welches dazu geeignet war, seine angesichts des sonnigen Tages gute Laune zu vertreiben.

„Wie bitte? Aber meine liebe…“ – Dokowski war um beherrschte Geduld bemüht – „es ist mir unverständlich, wie so etwas – nein, wirklich? Das war sicherlich sehr unangenehm – aber bitte, meine hochverehrte gnädige Frau – ja, selbstverständlich, die notwendigen Schritte sind bereits –“ Er hielt die Hand über die Sprechmuschel. „Frau Hallerberg beschwert sich wegen des Stromausfalles gestern“, raunte er seiner Frau zu, die eben die Post auf den Tisch legte. „Die Dritte heute, die in aller Herrgotts Früh anruft!“ Er nahm das Gespräch wieder auf. „Natürlich. Sie haben vollkommen Recht. – Ja, ich werde der Sache persönlich nachgehen, meine Gnädige! – Bitte sehr! Einen angenehmen Tag. Auf Wiederhören!“ Er legte den Hörer auf den Apparat zurück. „Die hat vielleicht ein Mundwerk!“, seufzte er.

„Was ist denn gestern Abend los gewesen, weshalb die Leute anrufen?“

„Ach, vergiss es, Evilein! Du warst ja am Abend nicht da und ich konnte es dir noch nicht erzählen. Also: Es gab im ersten Stock spät abends einen Kurzschluss. Plötzlich war alles dunkel. Ausgerechnet unsere schreckhafte Frau Limstein befand sich in diesem Augenblick am Gang. Sie ist natürlich zu Tode erschrocken. Du kennst sie ja, wie ängstlich sie ist. Frau Hallerberg saß gerade in der Badewanne, als das Licht ausging. Sie sei vor lauter Aufregung beinahe ertrunken, wie sie mich eben am Telefon wissen ließ. Du kannst dir vorstellen, was ich mir da anhören musste!“

„War es denn so lange finster?“

„Aber keine Spur. Nur ein paar Minuten. Goran hat knapp nach halb zehn Uhr Frau Limstein plötzlich gellend schreien gehört. Er ist sofort hinaufgelaufen und hat gesehen, dass alles finster war. Er hat die Fassungslose zuerst beruhigt und zu einem Fauteuil in der Veranda geführt. Anschließend hat er den Kurzschluss behoben. Gegen drei viertel zehn war das Licht wieder da. Goran hat auch Doktor Flora verständigt, damit er sich um die aufgeregte Frau Limstein kümmern könne.“

Dokowski blätterte die Post durch. Einige Male lachte er verhalten oder schüttelte nur den Kopf.

„Hör' dir das an“, sagte er zu seiner Frau, die beim Frühstückstisch Platz genommen hatte. „Da schreibt uns die Tochter von Frau Kittsteiner. Ihre Mutter beklage sich bitter, weil unsere Portiere sie immer nur unfreundlich grüßen. Zu Frau Bennert wären sie stets viel freundlicher. Sie fühle sich deshalb richtig ausgestoßen! Ich möge die Herren Portiere dahingehend ermahnen.“

Er lehnte sich zurück. „Diese Leute haben vielleicht Sorgen! Beneidenswert. Aber eines kann ich dir sagen, Evilein. Frau Kittsteiner darf sich nicht wundern, wenn sie keiner besonderer Freundlichkeit begegnet. Schließlich ist sie selbst ja alles andere als streichelweich. Ähnlich wie die Hallerberg. Bei der kommt noch ihre Direktheit hinzu, die sie so zänkisch macht, während die Kittenberger nur so ganz nebenbei ständig alles bekrittelt. Eigentlich wundert es mich, dass sie heute Früh nicht die Erste war, die sich beschwert hat.“

„Wer, außer der Hallerberg, hat sich denn schon aufgeregt?“

„Herr Köstanitz und Frau Salomon. Er war gerade beim Radio und hat ein Konzert auf Tonband aufgenommen. Er war natürlich verärgert, als der Strom plötzlich weg war und er im Finstern gesessen ist. Am Telefon heute war er aber trotzdem nicht unfreundlich. Ein richtiger Herr noch nach der alten Schule, nicht?“

„Und die Salomon? Wobei ist sie von der Finsternis überrascht worden?“

„Überhaupt nicht! Sie hat geschlafen. Aber beim Frühmorgenspaziergang hat sie die Sache von Herrn Ingenieur Auretnik erfahren und jetzt wollte sie natürlich alles bis ins kleinste Detail wissen. Ich nehme übrigens an, dass mich die Hallerberg sicher nochmals damit behelligen wird.“

„Hmm“, brummte Frau Dokowski nachdenklich. „Könnte schon sein, wenn sie durch eine Tischnachbarin dazu angestachelt wird. Aber eigentlich“, fügte sie hinzu, „ist die Hallerberg gar nicht so zänkisch, wie immer behauptet wird.“

„Na, ich weiß nicht recht…“

„Ich habe unlängst lange mit ihr geplaudert. Das hat sich zufällig ergeben, als wir uns bei der großen Platane getroffen haben. Da war sie wirklich ganz anders. Richtig nett. Hat mir aus ihrem Leben erzählt. Vor allem, wie schlecht es ihr nach dem Krieg gegangen ist, weil ihr Vater bei der Partei gewesen ist. Sie hat halt den Fehler, dass sie oft das sagt, was sie sich gerade denkt. Damit eckt sie natürlich überall an.“

„Stimmt! Darüber hinaus hat sie jedoch eine ziemlich bissige Veranlagung.“

„Vielleicht. Trotzdem ist sie mir wesentlich lieber als diese arrogante Bennert!“

Dokowski hatte unterdessen sein Frühstück beendet und machte sich für den täglichen Rundgang in der ‚Villa‘ bereit.

„Das verstehe ich nicht ganz“, meinte er nebenbei. „Die Bennert ist doch eine freundliche Person!“

„Schon, aber sie ist falsch, Hans! Glaub' mir das. Wir Frauen haben ein Gefühl dafür. Sie ist keine offene Persönlichkeit wie beispielsweise Frau Limstein. Oder Frau deRoss.“

Dokowski zuckte nur mit den Schultern.

„Offen, offen – was immer man darunter verstehen mag, Evilein. Ich sage nur, wenn ich mit der Hallerberg reden muss, dann ist das stets nur ein Kritisieren von ihrer Seite. Bei der Bennert hingegen ist das anders, denn –“

„Die ist ja auch noch recht attraktiv, mein Lieber. Ich bin überzeugt, mit ihr und anderen redest du ganz anders.“

„Ich rede mit allen Herrschaften gleich“, beharrte Dokowski. „Das weißt du doch. Etwas Anderes kann ich mir nicht leisten.“

„Natürlich, natürlich, mein Lieber! Die Bennert wartet heute wahrscheinlich mit ihrer Beschwerde, bis sie mit dir persönlich reden kann. Und zwar genau dann, wenn andere Herrschaften zuhören. Das liebt sie ja besonders, sich groß in Szene zu setzen.“

Dokowski blickte auf die Uhr. „Ich geh jetzt hinüber. Aber sag mir noch rasch, wie war es denn gestern abends bei deiner Freundin Gaby? Nett?“

Eva Dokowski lächelte schwach. „Mein Gott! Du kennst sie ja! Sie hat natürlich dauernd von sich und der Schneiderin geredet!“

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Ich hoffe, du hast mich bei ihr entschuldigt.“

„Ja, ja. Sie lässt dich herzlich grüßen und hofft, dass du mich das nächste Mal begleiten wirst.“

„Werde ich bestimmt nicht, Evilein. Mir ist leid um die Zeit, die ich dort herumsitze. Geredet wird nur über Mode und über ihren ach so gescheiten Neffen – und ihr Kaffee ist unter jeder Kritik!“

„Du hättest sie gestern sehen müssen, Hans!“ Sie kicherte leise. „Ein neues Kleid hat sie angehabt! Der Gipfel der Geschmacklosigkeit. Giftgrün mit einem unmöglichen Ausschnitt! Also, wenn ich so aussehe wie sie, dann vermeide ich tunlichst ein derartiges Dekolleté!“

Dokowski lachte herzlich. „Wie du das sagst! Du weißt doch ganz genau, dass sie ständig versucht, dich zu übertrumpfen. Sie kann es halt nicht leiden, dass du jünger bist und besser aussiehst, mein Schatz!“

„Solche Komplimente, mein Lieber“, – sie deutete zum Plafond – „mache besser deinen weiblichen Herrschaften da oben. Gestern Nachmittag lief ich übrigens Frau Salomon über den Weg. Sie hat sich bitter über dich beklagt!“

„Über mich – warum denn?“

„Sie sagt, du seist am Vormittag sehr unhöflich gewesen.“

„Mein Gott!“ Er rang die Hände. „Sie wollte mir wieder erzählen, wie ihr verstorbener Gatte um ihre Hand angehalten hat. Du kennst die Geschichte ja auch. Dieser Schokoladenwettbewerb, bei dem sie beinahe zur ‚Miss Schoko‘ gewählt worden ist. Plötzlich kam ein Mann auf sie zu, hat ihr die Hand geküsst und nach zwei Wochen waren sie verheiratet.“

„Wie romantisch!“

„Romantisch ja“, brummte Dokowski. „Aber ich kann mir bei aller Freundlichkeit diese Geschichte unmöglich jeden zweiten Tag anhören. Daher habe ich mich nach einiger Zeit entschuldigt – und zwar durchaus höflich! – denn ich hatte wirklich zu arbeiten!“ Er seufzte. „Und nun ist auch sie beleidigt!“

„Ach, übrigens“, wechselte Eva Dokowski das Thema, „weil wir vorhin von der Bennert gesprochen haben. Hast du schon das Gästezimmer für ihre Tochter und deren Mann herrichten lassen? Sie haben ihren Besuch ja für heute Vormittag angesagt und wollen bis zum Wochenende bleiben!“

„Die Subarskys sind bereits gestern Abend angekommen.“

„Gestern Abend schon? Sie schrieben doch –“

„Sicher, Evilein“, unterbrach er. „Aber sie sind schon gestern Abend ganz überraschend eingetroffen! Frau Subarsky sieht übrigens blendend aus. Ich habe das Zweierappartement herrichten lassen.“

„Sehr gut. Herr Subarsky ist auch mitgekommen?“

Hans Dokowski lachte kurz auf. „Natürlich! Obwohl, wie du ja auch weißt, die Bennert ihren Schwiegersohn überhaupt nicht leiden kann. Was sie ja schon allen Leuten im Haus erzählt hat.“

„Siehst du, so etwas tut man doch nicht", empörte sich Frau Dokowski. „Ich sagte vorhin ja schon: Die Bennert mag ich nicht. Es kann ja durchaus sein, dass ihr der Schwiegersohn nicht zusagt. Aber das muss sie doch nicht jedem auf die Nase binden. Auch wenn sie noch so viel Geld hat! Sie fühlt sich über alle immer so erhaben, weil ihr verstorbener Mann ein Minister gewesen ist!“

Dokowski nickte. „Robert Bennert, Minister für kurze Zeit. Dann verunglückte er tödlich und hinterließ ihr ein Vermögen!“

„Ich finde den Herrn Subarsky ja auch nicht sympathisch. Aber ihn anzuschwärzen, wie es die Bennert dauernd tut? Nein, das gehört sich einfach nicht. Weißt du eigentlich, was er von Beruf ist?“

„Er macht, soviel ich weiß, Geschäfte mit allen möglichen Artikeln für die Landwirtschaft. Er hat eine Agentur für verschiedene Pflanzenschutzmittel und ist Berater bei den Lagerhäusern.“

„Ach so! Sag einmal, woher weißt du das alles so genau?“

„Na, von Frau Bennert selber.“

Eva Dokowski warf ihrem Mann einen eigenartigen Blick zu. „Dacht ich's doch! Bei anderen Herrschaften bist du über Berufe nicht so detailliert informiert.“ Sie deutete zur Tür. „Genug geredet jetzt, Hans! Ist höchste Zeit, dass du den Herrschaften ‚Guten Morgen‘ sagst. Es ist schon über halb neun Uhr!“

Dokowski nickte und unterzog sich nochmals einer kurzen Prüfung vor dem Spiegel. „Ich bin anschließend im Billardraum. Wenn das werte Fräulein Tochter vielleicht doch Zeit haben sollte, möge sie sich vormittags ein wenig unter die Herrschaften mischen. Sie ist ja bei vielen von ihnen gern gesehen, nicht? Sie schläft wohl noch?“

„Erraten!“

„Dann wird es doch höchste Zeit, dass sie aufsteht. Jag' sie halt aus den Federn! Also, bis dann, Evilein.“

Gemessenen Schrittes begab sich der Direktor in Richtung Restaurant, um die Herrschaften beim Frühstück zu begrüßen und einen angenehmen Tag zu wünschen. Vorher wollte er sich aber über den Kurzschluss noch genauer informieren lassen und blieb bei der Portierloge stehen.

Goran Boskovic, der Portier, tippte grüßend an seine Mütze.

„Guten Morgen, Herr Direktor!“

„N‘Morgen, Boskovic! Hat sich, nachdem Sie den Stromausfall behoben haben, gestern noch etwas Besonderes ereignet?“

Der Portier schüttelte den Kopf. „Nein, Herr Direktor. Nachdem ich Doktor Flora für Frau Limstein verständigt hatte, bin ich wieder zu meinem Platz heruntergegangen. Es hat sich nichts Weiteres ereignet. Im Haus war alles ruhig. Die ganze Nacht.“

„Zeigen Sie mir bitte das Portierbuch!“

Boskovic übergab eine Mappe, in welcher Dokowski interessiert las.

„Aha“, nickte er. „Um 21:32 Uhr hat Frau Limstein um Hilfe gerufen und um 21:46 Uhr war das Licht wieder da. Sehr gut. Haben Sie eine Ahnung, wie es zu diesem Kurzschluss kommen konnte?“

„Ja, Herr Direktor.“ Der Portier nickte. „Der FI-Schalter ist ausgeschnappt.“

„Was ist denn das wieder?“

„Das sind unsere neuen Sicherungseinrichtungen, welche Sie voriges Jahr angeschafft haben, Herr Direktor. Sie erinnern sich sicher. Die Liegenschaftsverwaltung hat uns vorgeschrieben, diese neuen Schalter gegen die alten FU-Schalter auszutauschen. Wegen der geänderten Sicherheitsvorschriften.“

„Ach ja! Natürlich. Warum hat dieser – wie heißt das Ding doch gleich?“

„FI-Schalter!“

„– also dieser Schalter ausgelöst?“

„Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Es könnte sein, dass bei den Herrschaften in einem Zimmer ein Gerät defekt geworden ist. Es war aber wichtig, dass der Schalter reagiert hat. Wenn nämlich im Stromkreis etwas nicht stimmt, schnappt der Schalter aus. Man kann es auch so ausdrücken, Herr Direktor: Ehe jemand einen Stromschlag bekommen kann, trennt der Schalter den Stromkreis und der Strom ist weg. Ich habe unsere Reinigungskräfte schon angewiesen, die Augen offen zu halten und zu melden, wenn ihnen in einem Zimmer etwas Besonderes auffällt. Ein defektes Gerät zum Beispiel.“

„Ja, gut. Hoffentlich passiert das nicht nochmals.“ Er reichte das Portierbuch zurück. „Sollte ein Anruf für mich kommen, ich bin jetzt im Restaurant und dann im Billardraum!“

„Jawohl, Herr Direktor.“

Dokowski nickte kurz und betrat wenige Augenblicke später den Restaurantraum, in dem sich zahlreiche Herrschaften beim Frühstück befanden. Unter ihnen auch Grete Subarsky, eine aparte Frau von etwas über dreißig, die bei Dokowskis Erscheinen ihre Zeitung weglegte und ihm entgegenging.

„Oh, guten Morgen, liebe Frau Subarsky!“ Dokowski lächelte strahlend, hob aber abwehrend die Hand. „Lassen Sie mich bitte zunächst meine Grußrunde durch die Reihen machen. Ich bin dann gleich bei Ihnen.“

Dokowski ging von Tisch zu Tisch, begrüßte die Damen und Herren, verlor da und dort ein paar Worte und machte sich gelegentlich Notizen. Als sein Rundgang beendet war, nahm er beim Tisch von Grete Subarsky Platz.

„So, nun stehe ich gern zur Verfügung“, begann er. „Ich hoffe, Sie hatten eine ungestörte Nachtruhe. Ist der Gatte schon auf?“

„Ja, er ist aber noch oben und rasiert sich. Ich bin heute schon sehr zeitig aufgestanden, um einen Spaziergang durch diesen herrlichen Park zu machen!“

„Das kann ich gut verstehen! Er lädt ja geradezu ein, zeitig aufzustehen. Die Frau Mama ist wohl noch oben im Zimmer beim Frühstück, vermute ich?“

„Bestimmt“, bestätigte Grete Subarsky. „Wir haben uns für zehn Uhr verabredet, denn Mama pflegt das Frühstück in ihrem Zimmer ja gern ausgedehnt zu zelebrieren.“

„Ganz wie unsere Gäste wünschen", stimmte Dokowski zu. „Dies ist ja einer der vielen Vorzüge unseres Hauses, dass wir dies ermöglichen.“

„Seit wann gibt es dieses wunderschöne Blumenarrangement beim Springbrunnen?“

Dokowski strahlte. Lob hörte er immer gern.

„Es freut mich sehr, dass es Ihnen gefällt“, antwortete er stolz. „Es ist wirklich ein prächtiges Beet geworden. Wir haben es vor zwei Wochen auf Anregung Ihrer verehrten Frau Mama angelegt.“

Grete Subarsky nickte. „Ja, Mama hat auch bei Blumen einen ausgezeichneten Geschmack! Übrigens bin ich sehr froh, dass es ihr wieder besser geht. Als ich das letzte Mal, vor meiner Abreise, zu Besuch war, fühlte sie sich nicht sehr wohl und klagte über Kopfschmerzen!“

„Unser Hausarzt ist ein hervorragender Mann“, beeilte sich Dokowski zu versichern. „Die Herrschaften sind bei ihm in den besten Händen. Gestern Nacht beispielsweise, als Frau Limstein wegen eines kleinen Kurzschlusses einen heftigen Schreck erlitt, war er sofort zur Stelle und verabreichte ihr eine Beruhigungstablette.“ Er lehnte sich behaglich zurück. „Wissen Sie, ich bewundere eigentlich die Ärzte, dass sie bei dieser unübersehbaren Anzahl von Tabletten, Salben und dem Zeug nicht den Überblick verlieren.“

„Aber Herr Direktor!“ Frau Subarsky lachte amüsiert. „Schließlich lernen sie es doch lange genug! Aber Sie erwähnten eben einen Kurzschluss in der Nacht?“

Dokowski machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, nichts Beunruhigendes! Irgendeine elektrische Schaltung ist defekt geworden. So etwas kann ja durchaus einmal passieren. Der Schaden wurde von unserem Personal umgehend behoben! Es –“

„Umgehend?“ Frau Hallerberg, eine große, hagere Dame mit einem kantigen Gesicht, hatte sich am Nebentisch erhoben und trat vor den nun gefasst vor sich hinblickenden Direktor.

„Umgehend sagten Sie eben? Dass ich nicht lache!“ Sie beugte sich zu Frau Subarsky hinunter. „Ich sage Ihnen, meine Liebe! Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis das Licht wieder da war. Ein Skandal war das! Sie müssen sich das einmal vorstellen. Ich saß nämlich gerade in der Badewanne. Plötzlich geht das Licht aus. Ich läutete nach Schwester Agnes, aber das faule Ding kommt natürlich nicht!“

„Aber meine verehrte Frau Hallerberg!“ Dokowski setzte sein gewinnendstes Lächeln auf. „Schwester Agnes konnte doch nicht kommen! Wie sollte sie denn die Glocke gehört haben, wenn –“

„Ich habe geläutet!“

„Sicher, sicher. Aber wenn der Strom ausgefallen ist, kann doch auch die Glocke nicht funktionieren. Deshalb konnte Ihnen Schwester Agnes nicht zu Hilfe kommen!“

Frau Hallerberg blickte den Direktor mit versteinerter Miene an.

„Dann ist es eben Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass für derartige Fälle eine Notklingel vorhanden ist!“

„Da haben Sie völlig Recht, meine Gnädigste.“ Der Direktor nickte bestätigend. „Ich habe bereits Anweisungen hierfür erteilt!“

In diesem Moment betrat Frau Limstein den Frühstücksraum. Eine kleine, gebrechlich wirkende Dame. Dokowski erhob sich sofort und ging ihr entgegen.

„Ich wünsche einen angenehmen Morgen, meine Verehrteste. Ich bedauere den Vorfall von gestern Nacht unendlich. Ich hoffe, Sie haben trotz des Schreckens gut geschlafen.“

„Ja, ja, danke!“ Frau Limsteins Stimme war leise und dünn. „Doktor Flora gab mir eine wunderbare Tablette. Ich konnte gut einschlafen. Gott sei Dank! Es war ja so schrecklich, als plötzlich alle Lichter erloschen und ich im Finstern stand. Ich war ja wie gelähmt vor Schreck, aber dann habe ich um Hilfe rufen können.“

„Sie waren ja wenigstens auf Ihren zwei Beinen“, schnarrte Frau Hallerberg dazwischen. „Das war ja nur halb so schlimm für Sie! Ich aber bin unbekleidet in der Badewanne gesessen und –“

„Wenn man in einer Badewanne sitzt,“ Frau Limsteins Stimme klang plötzlich um eine Kleinigkeit schärfer, „kann man aber nicht umfallen! Ich dagegen stand ganz allein –“

„Aber bitte, bitte, meine Damen!“, schaltete sich Dokowski beschwichtigend ein. „Vergessen wir doch diesen unangenehmen Vorfall von gestern Nacht. Ich versichere Ihnen, dass sich etwas Derartiges nicht mehr ereignen wird.“

Frau Limstein hatte unterdessen Grete Subarsky erkannt und steuerte auf diese zu. Nach einer freundlichen Begrüßung waren die beiden bald in ein Gespräch vertieft. Dokowski hielt Frau Hallerberg noch die Tür auf, als diese den Raum verließ und setzte sich sodann zu einem anderen Tisch, an welchem Herr Strengg mit Herrn Nawratil ein Gespräch über Billard führte.

Wenig später huschte Schwester Agnes, das allseits beliebte ‚Mädchen für alles‘ lautlos in den Raum. Sie war die angestellte Krankenschwester und betreute auch einige Herrschaften beim Essen, brachte, wenn gewünscht, das Frühstück aufs Zimmer oder war anderweitig behilflich. Agnes Mayer, wie sie mit vollem Namen hieß, war noch keine vierzig Jahre alt und verströmte jene herzliche Freundlichkeit, die besonders