Küss den Cop - Sylvia Pranga - E-Book

Küss den Cop E-Book

Sylvia Pranga

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Beschreibung

Tyler Norton ist ein Cop und begegnet dem Moderator Brandon Charles, als er ihn vor einem Überfall bewahrt. Fasziniert von dem jungen Mann, der das Leben und die Frauen zu genießen scheint, nimmt Tyler bei ihm einen Job als Bodyguard an. Als sich herausstellt, dass Brandon ein Doppelleben führt und seine Sexualität vor seinem Vater und der Öffentlichkeit zu verbergen versucht, gesteht ihm Tyler, dass es ihm genauso ergeht. Zunächst ist Tyler begeistert von Brandons Charme und Charisma, und Brandon scheint an mehr als einer kurzen Affäre interessiert zu sein. Doch schon bald kommen Tyler Zweifel. Brandon verbirgt etwas, und dieses Geheimnis bedeutet ihm offenbar mehr als eine Beziehung mit Tyler.

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Küss den Cop

Sylvia Pranga

© 2018 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt© Covergestaltung Andrea Gunschera

ISBN Taschenbuch: 9783864438141ISBN ebook-mobi: 9783864438134ISBN ebook-epub: 9783864438127

www.sieben-verlag.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Epilog

Die Autorin

Kapitel 1

Der Polizeiwagen fühlte sich für Tyler Norton wie ein Gefängnis an. Von der Zwangshaltung verkrampften sich die Muskeln in seinen langen Beinen und zuckten schmerzhaft. Tyler rutschte hin und her, stieß sich den Ellbogen an der Tür und verzog das Gesicht.

Alvaro Ramirez, sein Partner, lachte. Er saß auf dem Fahrersitz ihres Dienstwagens, nur eine Hand am Lenkrad, und steuerte langsam durch das Villenviertel von Dallas, Preston Hollow. „Kannst wieder mal nicht mehr stillsitzen, was?“

Tyler rieb sich den Ellbogen und starrte missmutig durch die Windschutzscheibe auf die vorbeiziehenden Villen. In dieser Wohngegend waren Anwesen für fünf Millionen Dollar ein Schnäppchen, nach oben gab es keine Grenzen. Für Tyler, der Mühe hatte, die fünfhundert Dollar für sein winziges Zwei-Zimmer-Apartment aufzubringen, lagen diese Summen außerhalb seiner Vorstellungskraft.

In seinem rechten Schenkel zuckte ein Muskel, und Tyler massierte ihn mit zusammengepressten Lippen. „Ist das ein Wunder? Wir sind seit Stunden in diese rollende Sardinenbüchse gepfercht. Mein Körper hat schon fast vergessen, was Bewegung ist.“

Alvaro lachte noch lauter und bog in eine weitere Allee ein, die von schlossartigen Villen gesäumt war. „Das ist völlig unmöglich. Seit wir eingestiegen sind, zappelst du rum. Du hast nicht eine Sekunde stillgesessen.“

Tyler musste sich mit einem Seufzen eingestehen, dass Alvaro recht hatte. Bestimmt nervte er seinen Partner, aber es lag außerhalb seiner Möglichkeiten, so bewegungslos wie andere Menschen zu sitzen. Er rieb sich über die Stirn und merkte, dass seine Haare sich trotz der späten Abendstunde und der auf vollen Touren laufenden Klimaanlage verschwitzt anfühlten. Es war Mitte September, aber das Thermometer hatte schon wieder die Dreißig-Grad-Marke geknackt. Tyler träumte an solchen Tagen davon, nach Alaska auszuwandern. Doch sein größter Wunschtraum war, endlich aus diesem engen, stickigen Auto zu kommen und sich bewegen zu dürfen.

„Ich würde neun Stunden Streife zu Fuß diesem Patrouillieren vorziehen. Es bringt sowieso nichts. Wenn die Bande so blöd wäre, da einzubrechen, wo Cops Streife fahren, hätten wir sie schon längst.“

Alvaro warf ihm aus seinen schwarzen Augen einen erheiterten Blick zu und griff nach der Flasche mit Eistee. Er trank das süße Zeug aus dem Supermarkt den ganzen Tag, blieb dabei aber gertenschlank. Nachdem er einen Schluck genommen hatte, grinste er Tyler an. „Du bist doch nur sauer, weil die Arbeit so langweilig ist. Ich bin froh, dass ich durch diese Überstunden Geld dazuverdienen kann. Außerdem ist es doch was wert, dass die Typen nicht da einbrechen, wo wir patrouillieren. So begrenzen wir wenigstens ihre Möglichkeiten.“

Tyler schnaubte. Er wusste, dass Alvaro sich die sinnlose Arbeit nur schönredete, konnte ihn aber verstehen. Ihm kam der zusätzliche Verdienst auch mehr als recht. Trotzdem hasste er es, stundenlang ins Auto gepfercht zu sein. Wenn er nach Hause kam, würde es wieder stockdunkel sein. Dann war das Joggen mühselig und er konnte kein so hohes Tempo vorlegen.

„Aber klar. Während wir, sagen wir mal, dreißig oder vierzig Villen gleichzeitig Schutz geben, bleiben ihnen ja nur ungefähr dreihundert, in die sie einbrechen können. Außerdem kapseln sich die reichen Typen mit hohen Mauern, Bäumen und dichten Hecken von der Außenwelt ab. Wir könnten direkt vor einer Villa vorbeifahren, in die sie von der Hinterseite einbrechen. Keine Chance, dass wir das von der Straße aus sehen.“

Alvaro ächzte und kurbelte sein Seitenfenster herunter, um die Abendhitze und die Insekten hereinzulassen, wie Tyler vermutete. „Ich liebe es, dass du in allem immer nur das Positive siehst. Sicher macht es viel mehr Spaß, kleine Fixer zu Fuß durch die Slums zu jagen, aber du kannst es auch so richtig genießen, dir die teuersten Villen der Stadt anzusehen und dabei gutes Geld zu verdienen. Du bist so ein Sonnenschein!“

Alvaro lachte, riss ihm die Mütze vom Kopf und rieb ein paar Mal über Tylers dunkles Haar, das für die Polizeivorschriften ständig etwas zu lang war. Tyler fluchte leise, wehrte seinen Partner ab und angelte nach seiner Mütze, die im Fußraum gelandet war. Als er sie sich wieder auf den Kopf stülpte, sah er vor sich einen riesigen Bentley langsam in eine Einfahrt biegen. Alvaro musste abbremsen, während der Luxusschlitten sich gemächlich durch ein schmiedeeisernes Tor auf eines der Anwesen bewegte. Tyler schnaubte. Dieser reiche Typ hatte sogar einen Chauffeur, wahrscheinlich, damit er sich hemmungslos betrinken und zukiffen konnte.

Alvaro beschleunigte gerade wieder, als Tyler aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Ruckartig legte er seinem Partner die Hand auf den Arm. „Halt an!“ Als Alvaro seiner Aufforderung nicht sofort nachkam, riss Tyler die Tür auf und sprang aus dem noch rollenden Wagen. Alvaro rief nach ihm, was er ignorierte. Kurz geriet er ins Stolpern, weil seine Muskeln vom langen Sitzen steif geworden waren. Dann rannte er auf das Tor zu, das sich in diesem Moment mit einem metallischen Klacken schloss.

Tyler fluchte, verringerte sein Tempo aber nicht. Denn jetzt konnte er deutlich sehen, was hinter dem Tor vor sich ging. Adrenalin raste durch seine Adern. Einen Schritt vor dem Tor machte er einen Sprung, streckte dabei die Arme aus und griff nach den schmiedeeisernen Streben. In der nächsten Sekunde kletterte er bereits. Seine Sohlen rutschten, mehr als einmal hätte er fast den Halt verloren. Dann war er oben. Er setzte einen Fuß zwischen die gefährlichen Spitzen auf dem Tor, stieß sich ab und federte auf dem Boden hinter der Absperrung ab.

Stimmen hallten über den Hof. Ein Mann fluchte und schrie dann um Hilfe. Mindestens zwei andere beschimpften ihn. Eine Gestalt lag reglos am Boden. Tyler sprang über sie hinweg und nahm sich den ersten Angreifer vor. Er fiel ihm in den Arm, dessen Faust auf das Gesicht des Opfers gezielt hatte. Der Aufprall war hart, aber Tyler hatte durch jahrelanges Training die richtige Stelle erwischt. Für seinen Gegner war die Kollision nicht nur hart, sondern auch schmerzhaft. Er schrie auf, wich zurück, stolperte über die liegende Gestalt und fiel rücklings hin.

Tyler kümmerte sich nicht weiter um ihn. Er musste das Überraschungsmoment nutzen. Ein weiterer Angreifer hatte ihn bemerkt und wollte sich auf ihn stürzen. Statt sich diesem Kerl zuzuwenden, nahm Tyler den Mann, der gerade das Opfer in der Mangel hatte, in den Schwitzkasten. Jetzt kam der andere Typ nicht mehr an ihn heran, ohne seinen Compagnon zu verletzen.

Tyler sah sich rasch auf der Auffahrt vor der Villa um. Er konnte sich einen guten Überblick verschaffen, da in den Beeten einige Lampen brannten. Drei Angreifer waren noch auf den Beinen. Sein Überraschungsmoment war dahin. Wenn die Kerle nicht aufgaben, würde er seine Waffe ziehen müssen.

In diesem Moment passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Alvaro rief ihn von hinten. Er hatte das Tor überwunden und eilte ihm zu Hilfe. Außerdem kam ein rundlicher Mann hinter der Motorhaube des Bentleys hervor und zog einem der Angreifer einen Gegenstand über den Kopf. Der Kerl brach mit einem Aufstöhnen zusammen. Im selben Moment zog das Opfer des Angriffs das Knie hoch und rammte es dem letzten der Bande zwischen die Beine. Ein weiteres Stöhnen und zu Boden sinken. Dann hörte man einige Sekunden lang nur schweres Atmen.

Tyler warf einen Blick über die Schulter, ohne den Griff um den Mann zu lockern, den er immer noch im Schwitzkasten hielt. Hinter ihm hatte Alvaro dem ersten Kerl, der zu Boden gegangen war, Handschellen angelegt. Jetzt prüfte er den Puls der regungslosen Gestalt am Boden und nickte Tyler zu. Der Verletzte war nicht in akuter Lebensgefahr.

Alvaro zog seine Waffe, ging an Tyler vorbei und forderte alle anderen Anwesenden auf, die Hände zu heben und sich danach nicht zu rühren. Sie mussten Verstärkung rufen, was Tyler aber nicht konnte, ohne den Typen loszulassen – und Alvaro konnte nicht auch noch den in Schach halten. Es waren ohnehin schon zu viele, und sie hatten nur noch ein Paar Handschellen. Kurzerhand löste Tyler die Handschellen von seinem Gürtel und legte sie dem fluchenden Mann an.

Dann verschaffte er sich einen Überblick. Alvaro hielt den einzigen Angreifer, der noch auf den Beinen war, mit seiner Waffe unter Kontrolle. Der dickliche Mann hatte sich auf den Kerl gesetzt, den er niedergeschlagen hatte. Tyler unterdrückte ein Lachen. Dieser Angreifer würde so bald nicht wieder aufstehen.

Das einzige Problem war momentan das Opfer. Nachdem der Mann einen der Bande mit einem Tritt in die Weichteile ausgeschaltet hatte, packte er ihn nun am Kragen und rammte ihm genüsslich die Faust ins Gesicht. Tyler eilte auf das Duo zu und rief: „Hey, hören Sie auf damit! Der Kerl ist am Boden und keine Gefahr mehr.“ Der Mann schlug noch mal zu, als hätte er Tyler nicht gehört. Mit einem Fluch griff Tyler nach unten, packte ihn am Arm und zerrte ihn von dem am Boden Liegenden weg. Jetzt standen sie in einer dunklen Ecke der Auffahrt, sodass Tyler den Mann kaum sehen konnte. Nur sein blondes Haar reflektierte ein wenig Licht.

Tyler sagte möglichst ruhig: „Ich kann gut verstehen, dass Sie wütend sind. Aber wenn Sie ihn weiter traktieren, ist das Körperverletzung.“

Der Mann fluchte laut und spuckte aus. „Ich begehe Körperverletzung? Ich? Wer hat mich denn auf meinem eigenen Grund und Boden angegriffen? Die Kerle wollten mich fertigmachen, und ich darf mich nicht mal wehren? Soweit kommt’s noch.“ Ein entrüstetes Schnauben. „Die Mistkerle haben meinen Leibwächter niedergeschlagen, ihn vielleicht sogar umgebracht. Was sind dagegen ein paar Faustschläge? Die greifen mit fünf Mann zwei an, diese Feiglinge!“

Insgeheim stimmte Tyler jedem einzelnen Wort des Mannes zu, aber das durfte er nicht sagen. Es würde ihn nur in der Annahme bestätigen, dass Selbstjustiz in Ordnung war. Das durfte Tyler nicht zulassen. Er legte dem Mann eine Hand auf den Arm und spürte, wie er vor Wut zitterte.

„Beruhigen Sie sich. Natürlich hatten die kein Recht, Sie anzugreifen. Die haben sich des Hausfriedensbruchs und der Körperverletzung schuldig gemacht. Dafür gibt es mehrere Zeugen. Es ist also kein Problem, sie deswegen zu belangen. Aber wir kennen uns mit solchen Typen aus. Um Ihnen eins auszuwischen, zeigen die Sie wegen Körperverletzung an, weil Sie sich gewehrt haben. Unfair, ich weiß. Aber wollen Sie das?“

Der Mann atmete tief durch, und Tyler nahm die Hand von seinem Arm. Offenbar bekam er sich unter Kontrolle. Wesentlich ruhiger sagte er: „Nein, natürlich nicht. Das kann ich mir nicht leisten. Es schadet meinem Ruf und meinen Einschaltquoten.“

Tyler hob nachdenklich die Brauen und versuchte, in der Düsternis mehr zu erkennen. Die Stimme des Mannes war ihm sofort bekannt vorgekommen, aber er konnte sie nicht einordnen. Auf jeden Fall war er im Showgeschäft.

Tyler drehte sich um, als Alvaro rief: „Verstärkung ist unterwegs. Aber ich könnte deine Hilfe brauchen, um die Kerle unter Kontrolle zu halten. Beeil dich, bevor der, auf dem der Chauffeur sitzt, keine Luft mehr kriegt.“

Die Belustigung in Alvaros Stimme war nicht zu überhören. Sein Partner verlor selbst in den brenzligsten Situationen nicht seinen Humor. Tyler ging mit einem Lächeln zu der Gruppe zurück und zog seine Waffe, richtete sie aber auf niemanden direkt.

Der Chauffeur grinste ihn breit an. Er schien die Situation zu genießen. Wahrscheinlich war es eine Abwechslung zu seinem öden, muskelverkrampfenden Job, um den ihn Tyler wahrlich nicht beneidete. Trotzdem musste er jetzt aufstehen. Auch Zerquetschen galt schließlich als Körperverletzung. Als Tyler ihn zum Aufstehen aufforderte, erhob er sich sofort, wenn auch mit einem bedauernden Schulterzucken. Tyler sah, dass er dem am Boden Liegenden noch heimlich einen Tritt versetzte und verdrehte die Augen.

Der platt Gesessene richtete sich mit einem Ächzen auf und warf dem dicken Chauffeur einen düsteren Blick zu. Zum Glück schien er aber im wahrsten Sinne des Wortes zu geplättet zu sein, um aufzuspringen und sich an seinem Peiniger zu rächen.

Tyler stieß ein erleichtertes Seufzen aus, als sich Sirenen näherten und gleich darauf flackerndes rotes Licht die Auffahrt erhellte. Der Besitzer der Villa hatte mitgedacht und mit Hilfe seines Handys das Tor geöffnet. Im Scheinwerferlicht des Krankenwagens und der Polizeifahrzeuge konnte Tyler zum ersten Mal einen genaueren Blick auf ihn werfen. Sein goldblondes Haar leuchtete, und er bewegte sich mit einer selbstbewussten Geschmeidigkeit, die irgendeine Assoziation in Tyler hervorrief. An wen erinnerte ihn der Mann bloß?

Darüber musste er später nachdenken. Jetzt trafen seine Kollegen und mit Sicherheit einer seiner Vorgesetzten ein. Also musste er sich konzentrieren, um einen genauen Bericht abzugeben. Uniformierte Beamte liefen an ihm vorbei und legten den drei verbleibenden Angreifern Handschellen an. Es dauerte nur wenige Minuten, dann befanden sich alle fünf in einem Kleinbus der Polizei. Alvaro blieb auf dem Trittbrett an der Schiebetür des Wagens stehen und wandte sich zu ihm um. „Ich kümmere mich um die bösen Jungs, du um den Boss?“

Tyler nickte ergeben. Er wusste, dass er mit dem Bericht an die Vorgesetzten an der Reihe war. Außerdem konnte er so an der frischen Luft bleiben, sich bewegen und vielleicht herausfinden, an wen dieser blonde Mann ihn erinnerte. Er löste ein Kribbeln in seiner Magengrube aus, das Tyler bekannt vorkam. Doch bevor er ins Grübeln geraten konnte, trat Detective Riley auf ihn zu. Susannah Riley war eine typische Südstaatenschönheit, deren Kurven von ihrer Uniform noch betont wurden. Ihr dichtes blondes Haar hatte sie zu einem Knoten geschlungen, was ihre großen Augen und die hohen Wangenknochen hervorhob. Sie lächelte ihn an – und er zerschmolz nicht zu Wackelpudding, wie es angeblich allen anderen männlichen Kollegen in dieser Situation passierte.

Es schien sie kurz zu irritieren, dass er keine Reaktion zeigte, aber sie hatte sich sofort wieder unter Kontrolle. Mit ihrer tiefen Samtstimme sagte sie: „Officer Norton, bitte eine kurze Zusammenfassung.“

Tyler lächelte erleichtert. Er war froh, dass Susannah der diensthabende Detective war. Die meisten ihrer Kollegen quetschten die Officers, die gerade einen Einsatz überstanden hatten, gnadenlos aus. Das hatte Tyler nie verstanden, denn später musste er ohnehin einen ausführlichen schriftlichen Bericht verfassen. Da genügten die Eckpunkte, die er Susannah jetzt darlegte. Sie hörte konzentriert zu, als er erzählte, wie er gesehen hatte, dass fünf dunkel gekleidete Gestalten dem Bentley durch das offene Tor auf das Grundstück gefolgt waren und er daraufhin eingegriffen hatte. Dabei wandte Susannah nicht eine Sekunde den Blick von ihm ab. Jetzt wurde Tyler doch ein wenig nervös. Stand sie vielleicht tatsächlich auf ihn, wie Alvaro meinte? Tyler hoffte inständig, dass das nicht der Fall war.

Schließlich nickte Susannah, bedankte sich und wandte sich zum Gehen. Plötzlich drehte sie sich wieder um, als wäre ihr etwas eingefallen. „Ach ja, der Besitzer der Villa will mit dir sprechen. Ich glaube, er möchte sich bei dir bedanken. Ist ja mal ein netter Zug, bei dem, was wir sonst mit den Reichen erleben.“ Sie hatte leise gesprochen, damit niemand außer Tyler sie hörte. Es wäre fatal, wenn jemand diese Meinungsäußerung mitbekäme.

Tyler nickte und fragte: „Ist er in der Villa?“

Über die Schulter antwortete Susannah im Gehen: „Ja. Er wird im Wohnzimmer befragt. Kannst du nicht verfehlen.“

Tylers Blick wanderte zu der imposanten Villa mit den Säulen vor dem Eingang, die einen elegant geschwungenen Balkon trugen. Natürlich hatte Susannah recht. Es war eine nette Abwechslung, dass sich jemand für ihren Einsatz bedanken wollte. Doch Tyler fühlte sich in einer so protzigen Umgebung unbehaglich. Es mochte ein Vorurteil sein, aber er war der Meinung, dass jemand, der seinen Reichtum so überdeutlich zur Schau stellte, nur ein oberflächlicher, selbstverliebter Mensch sein konnte.

Tyler seufzte und ging widerwillig auf den hell erleuchteten Eingang zu. Hinter der schweren Holztür, die ihn an eine Kirche erinnerte, befand sich eine große Halle, an deren hoher, gewölbter Decke ein Kronleuchter glitzerndes Licht verbreitete. Der dicke Teppich unter seinen Füßen war bestimmt mehr wert, als Tyler in einem Jahr verdiente – und er stand mit seinen schmutzigen Schuhen darauf. Trotz wallte in ihm auf. Er würde sich wegen der kostbaren Orientteppiche und des Marmors nicht die Schuhe ausziehen. Schließlich hatte der Hausherr ihn eingeladen. Also würde er mit dem Schmutz unter seinen Sohlen leben müssen.

Bei diesen Gedanken schritt Tyler energisch aus. Er folgte den Stimmen, die durch eine geöffnete Flügeltür zu ihm in die Eingangshalle drangen. Der ruhige Bass gehörte seinem Kollegen Joe Abbot, die jüngere, aufgebrachte Stimme dem hellblonden Mann. Tyler trat durch die Tür – und erstarrte. Er spürte, wie ihm die Kontrolle über seinen Unterkiefer entglitt.

Es war, als wäre er durch ein Portal in ein anderes Haus getreten. Das Wohnzimmer wirkte wie eine typische Junggesellenbude, nur größer und teurer eingerichtet. Den Mittelpunkt bildete eine dunkelgraue, edle Couchgarnitur aus Leder, die locker zwölf Leuten Platz bot. An der Wand davor war der größte Flachbildfernseher installiert, den Tyler jemals gesehen hatte. Besitzer bescheidener Kleinstadtkinos würde er vor Neid erblassen lassen.

Am anderen Ende des Raums, nah bei der ausladenden Fensterfront, stand ein Klavier – nein, bei genauerem Hinsehen entpuppte es sich als Spinett. Wer legte sich denn heute noch ein solch altertümliches Instrument zu? Und nicht nur eins, sondern zwei. Denn daneben stand eine Harfe. Ob der Besitzer darauf spielte oder die Instrumente nur als Dekoration dienten?

Die weitere Einrichtung beschränkte sich auf ein schlichtes, weißes Bücherregal, das eine ganze Wand einnahm und trotzdem überquoll, und ein beleuchtetes Terrarium, in dem er zwei reglose Bartagamen entdeckte.

Der Gegensatz, den dieses moderne Wohnzimmer zur Fassade und Eingangshalle des Hauses bildete, verwirrte Tyler. Es war, als wäre ein Zimmer des Buckingham-Palastes an einen exzentrischen Musikstudenten vermietet worden.

Sein rundlicher, gutmütiger Kollege Joe wirkte in dieser Umgebung wie ein Cowboy zu Besuch bei Mozart. Er saß mit seinem typischen breiten Grinsen auf der edlen Couch und balancierte eine Kaffeetasse auf dem Knie. Als er ihm fröhlich zuwinkte, zuckte Tyler zusammen. Wenn sein Kollege Flecken auf diesem Sofa hinterließ, würde das die Polizei von Dallas ein Vermögen kosten.

„Sind Sie der Cop, der die Mistkerle ausgeschaltet hat?“

Trotz des wütenden Tonfalls hatte die Stimme eine angenehme Modulation – und kam Tyler erneut unglaublich bekannt vor. Er wandte den Kopf und entdeckte den Besitzer des Baritons neben der Fensterfront.

Tyler schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Wie hatte er nur so dumm sein können. Natürlich kannte er die Stimme – und den Mann. Brandon Charles, berühmter Moderator der satirischen Talkshow Dare you. Ein umwerfend attraktiver Womanizer, dessen Affären mehr Gesprächsstoff boten als seine Show. Das Schlimme daran war, dass Tyler seit zwei Jahren heimlich für ihn schwärmte. Und jetzt sollte er mit seinem Schwarm in dessen Villa ein dienstliches Gespräch führen, ohne zu zappeln oder ins Stottern zu geraten.

Tyler schluckte schwer und zwang ein Lächeln auf sein Gesicht. Offenbar kam seine Reaktion einige Sekunden zu spät, denn Brandon Charles runzelte bereits die Stirn und sah ihn fragend an.

Tyler räusperte sich und sagte: „Ja, Sir. Ich bin Officer Tyler Norton.“ Seine Stimme klang angespannt, doch das bemerkte Brandon offensichtlich nicht. Er lächelte und kam näher. Der Whiskey in dem Glas, das er mit der rechten Hand umklammerte, schimmerte. Aber das war nichts im Vergleich mit seinem goldblonden Haar. Trotz des gedämpften Lichts leuchtete es regelrecht. Einige Strähnen fielen Brandon in die Stirn und wetteiferten farblich mit seinen blaugrünen Augen. Feiner Sandstrand und Korallenmeer. Daran erinnerten Tyler diese Farben.

Jetzt stand Brandon Charles direkt vor ihm und lächelte ihn an. Das war zu viel für Tyler. Schnell senkte er den Blick. Er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss und trat unruhig von einem Bein aufs andere.

„Nicht so förmlich, Officer. Nennen Sie mich einfach Brandon. Ich möchte mich für Ihre schnelle und effiziente Hilfe bedanken. Das war … beeindruckend.“

Tyler hob den Blick wieder, weil ihm nichts anderes übrigblieb. Es wäre unhöflich gewesen, einen Mann, der sich bei ihm bedankte, nicht einmal anzusehen. Brandon stand jetzt so dicht vor ihm, dass er sein dezentes Aftershave und einen Hauch von Whiskey roch. Am liebsten hätte er tief eingeatmet, aber das wäre aufgefallen. Außerdem musste er etwas sagen, dieses Mal möglichst ohne auffällige Verzögerung.

„Dafür brauchen Sie sich nicht zu bedanken. Ich habe nur meinen Job gemacht.“ Mein Gott, wie theatralisch das klang. Hätte er nicht etwas sagen können, was nicht so abgedroschen war? Jetzt hielt Brandon ihn bestimmt für einen dieser übertrieben tugendhaften Polizisten. Dabei hätte er so gern cool und locker gewirkt.

Brandon stellte sein Glas auf dem Couchtisch ab und sah ihm direkt in die Augen. Darauf reagierte Tyler mit einem Prickeln überall unter der Haut, sodass er sich fragte, ob das ein Warnzeichen für eine drohende Ohnmacht sein könnte.

Dann sagte Brandon mit diesem herrlich warmen Bariton: „Dann leisten Sie in Ihrem Job Herausragendes. Ich hätte es jedenfalls nie im Leben geschafft, innerhalb von Sekunden über das Tor zu klettern und allein drei gewalttätige Kerle auszuschalten. Dabei würde ich mich keineswegs als unsportlich bezeichnen.“

Die letzten Worte, auf die ein Lächeln folgte, wirkten wie ein Flirtversuch auf Tyler. Aber da war natürlich der Wunsch der Vater des Gedankens. Er musste sich zusammenreißen, sonst würde Brandon sein merkwürdiges Verhalten auffallen. Er räusperte sich und sagte: „Das ist nichts Besonderes. Dafür werden wir bei der Polizei ausgebildet.“

Brandon zog die Brauen hoch, warf einen Blick über die Schulter auf Joe Abbot und lächelte wieder, dieses Mal süffisant. „Tatsächlich? Um ehrlich zu sein, traue ich so eine Leistung nicht unbedingt jedem Cop zu.“

Brandon hatte so leise gesprochen, dass Joe ihn nicht gehört hatte, wofür Tyler dankbar war. Er mochte Joe, der ein verlässlicher, fleißiger Kollege war. Aber wie viele andere war er mit steigendem Alter etwas bequem geworden, hatte Gewicht zugelegt und den Sport vernachlässigt. Daher konnte auch Tyler sich nicht vorstellen, dass Joe mit Brandons Angreifern fertig geworden wäre. Trotzdem kommentierte er Brandons Äußerung nicht. Das wäre seinem Kollegen gegenüber unfair gewesen.

Er beobachtete, wie Brandon sich umwandte und auf Joe zuging, der sich erhob und seine Kaffeetasse auf den Couchtisch stellte. Brandon streckte Joe seine Hand entgegen. „Ich danke Ihnen für Ihre Geduld, Officer Abbot. Wenn Sie noch weitere Fragen zu dem Vorfall haben, wissen Sie ja, wie Sie mich erreichen können. Würden Sie mir einen Gefallen tun und draußen ein paar Minuten auf Ihren Kollegen warten? Ich möchte noch etwas mit Officer Norton besprechen.“

Tyler stellte lächelnd fest, dass Brandons Freundlichkeit nicht aufgesetzt oder gar ironisch war. Er behandelte seinen Kollegen respektvoll, was Tyler ihm hoch anrechnete, denn als Cops waren sie gerade von Reichen eine andere Behandlung gewohnt.

Aber was, in aller Welt, wollte ein so berühmter, schöner, reicher Mann mit einem unwichtigen kleinen Cop wie ihm besprechen?

Brandon wartete, bis Officer Abbot die Flügeltüren hinter sich geschlossen hatte. Dann wandte er sich zu Tyler Norton um und ließ ihm sein schönstes Lächeln zukommen. Keine Reaktion. Der Mann lächelte nicht einmal zurück. Verdammt. Das war so typisch. Alle Männer, die ihm so gut gefielen wie dieser, waren natürlich heterosexuell.

Brandon beschloss, dem Officer seinen Vorschlag trotzdem zu unterbreiten. Schließlich hatte er ein Problem, für das er eine Lösung finden musste. Und diese Lösung könnte direkt vor ihm stehen – groß, muskulös, dunkelhaarig und leider so furchtbar distanziert. Brandon unterdrückte ein Seufzen und wies auf die Couch.

„Setzen Sie sich doch, Officer Norton.“

Erleichtert beobachtete Brandon, wie der Polizist auf die Sitzgruppe zuging. Doch statt sich entspannt auf die Couch zu setzen, entschied er sich für einen der beiden Sessel. Dort saß er nun, der Rücken lotrecht, die Schultern gestrafft, die Knie exakt nebeneinander und umklammerte mit versteinerten Gesichtszügen seine Mütze. Was war nur mit diesem Mann los? Er hatte doch nicht etwa Angst vor Brandon? Wohl kaum, schließlich hatte er vor einer halben Stunde drei Männer kampfunfähig gemacht.

Brandon beschloss, sich nicht entmutigen zu lassen. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

Tyler Norton sah ihn kurz an, wandte aber sofort wieder den Blick ab. „Nein, danke.“

Verdammt, war dieser Mann abweisend. Das machte die Sache schwieriger, als Brandon es sich vorgestellt hatte. Was machte er bei diesem Cop falsch? Normalerweise sprachen sogar Heteromänner bis zu einem gewissen Grad auf seinen Charme an. Doch dieses Exemplar war wie ein undurchdringlicher Eisklotz.

Brandon stellte seinen Whiskey auf dem Tisch ab und setzte sich in die Couchecke, die sich direkt neben Tylers Sessel befand. Das entlockte ihm endlich eine Reaktion. Tyler zuckte zurück, hatte sich aber sofort wieder unter Kontrolle. Fantastisch. Fand der Mann ihn so abstoßend? Vermutete er etwa, was mit Brandon los war? Dieser Gedanke jagte Brandon einen eisigen Schauer den Rücken hinunter.

Wenn das der Fall war, sollte er seinen Plan sofort aufgeben. Er könnte sonst in einer Katastrophe enden. Brandon beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Knien ab und taxierte Tyler Norton. Jetzt blickte ihn der Cop etwas länger als nur eine Millisekunde an, sodass Brandon mehr von ihm sah. Die Augen des Mannes hatten die Farbe von Mokka. Ein samtiges, heißes Tiefbraun. Brandon schluckte hart.

Dann räusperte er sich und sagte: „Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Officer Norton.“ Warum hatte er das gesagt? Er wollte dieses Vorhaben doch aufgeben, weil dieser Mann gefährlich für ihn werden könnte. Aber diese Mokka-Augen hatten den Entschluss wie Zucker in heißem Kaffee geschmolzen. Er konnte den Blick nicht mehr von den dunklen Tiefen abwenden.

Doch dann runzelte Tyler die Stirn, senkte den Blick und fragte: „Was für ein Vorschlag?“

Brandon lehnte sich zurück und räusperte sich ein weiteres Mal. Der Frosch in seinem Hals ließ sich davon nicht beeindrucken. Mit belegter Stimme begann Brandon: „Sie haben selbst gesehen, was in der Einfahrt meines Hauses passiert ist. Mein Leibwächter war der Erste, der am Boden lag. Selbst mein Chauffeur Morrie war in der Situation eine größere Hilfe.“

Er brach ab und blickte auf seine Finger hinunter, die am Knieriss seiner Armani-Jeans zupften. Das klang Tom gegenüber gemein und unfair. Doch es war die Wahrheit. Seit Monaten nahm er seinen Job nicht mehr richtig ernst und brachte Brandon damit in Gefahr.

Brandon schreckte auf, als der Cop sagte: „Er kann nur Pech gehabt haben. Das war ein Überraschungsangriff, und er war bestimmt der Erste, der aus dem Auto gestiegen ist.“

Damit hatte Tyler natürlich recht, aber er wusste nichts von Toms Verhalten in der letzten Zeit. Darum musste Brandon weiter ausholen. Er seufzte und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Das ist richtig. Ich will Tom nicht wegen eines Zwischenfalls in die Pfanne hauen. So hat das wahrscheinlich gerade geklungen.“ Brandon lächelte, und dieses Mal zuckten Tylers Mundwinkel ein wenig nach oben. Ausbaufähig, aber schön.

Brandon fuhr fort: „Der Mann ist seit Wochen unkonzentriert. Ich habe ihn schon mehr als ein Mal darauf angesprochen. Für Probleme mit Geld, Gesundheit oder Familie hätte ich Verständnis. Aber man muss mir schon davon erzählen, hellsehen kann ich nicht. Tom hat kein Gesprächsangebot genutzt, dafür aber immer mehr Mist gebaut.“

Langsam redete Brandon sich in Rage. Er hatte lange Rücksicht auf den Mann genommen, aber jetzt war sein letztes Quäntchen Geduld aufgebraucht. Es sprudelte nur so aus ihm heraus. „Es fing damit an, dass er immer wieder zu spät kam. Keine große Sache, ist mir auch schon passiert. Aber es wurde nicht besser. Wegen ihm kam wiederum ich zu Terminen zu spät, weil ich nirgendwo ohne Leibwächter hin darf. Das ist eine andere Geschichte.“

Brandon streckte sich, bis er das Glas zu fassen bekam, das er vor einigen Minuten auf dem Tisch abgestellt hatte. Er trank einen Schluck und schloss kurz die Augen, als der Whiskey glühend durch seine Kehle rann. Das tat gut.

Er merkte, dass Tyler ihn beobachtet hatte, stellte das Glas ab und lächelte verlegen. Hoffentlich hielt der Mann ihn jetzt nicht für einen Säufer. Viele hatten Leuten aus dem Showgeschäft gegenüber diese Vorurteile. Um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, setzte Brandon seinen Bericht fort. „Dann gab es Tage, an denen Tom überhaupt nicht zur Arbeit erschien. Ich war gezwungen, seinem einzigen Kollegen den freien Tag zu stehlen, um meine Termine einhalten zu können. Das empfand ich nicht mehr als Bagatelle. Aber es kam noch schlimmer.“

Brandon fragte sich, ob er das tatsächlich erzählen sollte. Er verließe damit die Fakten und würde sich auf das unsichere Eis von Spekulationen begeben. Aber es musste sein, damit Tyler Norton seinen Vorschlag, sein Angebot verstand.

Er seufzte und sagte: „Ich habe keinen stichhaltigen Beweis dafür, aber ich habe den Verdacht, dass Tom Fotos von mir und private Informationen über mich an die Klatschmedien verkauft hat. Es kann kein anderes Leck geben, alle Indizien weisen in Toms Richtung.“ Brandon hielt inne und fuhr dann leiser fort: „Und selbst wenn es nicht so sein sollte, ich habe das Vertrauen in Tom verloren. Er hat mich zu oft im Stich gelassen. Und ich bin überzeugt, dass das immer wieder geschehen wird. Ich bin gezwungen, ihn zu entlassen. Natürlich bekommt er eine Entschädigung für den Zwischenfall heute Abend, bei dem er verletzt wurde. Das nächste Monatsgehalt zahle ich ihm auch, aber dann ist Schluss. Ich kann einen Leibwächter wie ihn nicht brauchen.“

Bisher hatte Tyler ihm aufmerksam zugehört, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Jetzt allerdings nickte er zustimmend und sagte: „Das kann ich gut nachvollziehen. Wenn es um die persönliche Sicherheit geht, muss man sich auf die Menschen, die dafür sorgen sollen, hundertprozentig verlassen und ihnen vertrauen können. An Ihrer Stelle würde ich Tom ebenfalls entlassen. Sie sind dabei noch sehr sozial.“

Eine seltsame Welle aus Erleichterung und Freude durchströmte Brandon. Tyler stimmte ihm zu und hatte das mit mehr als einem kurzen Satz kundgetan. Sein Lob trieb ihm kurz das Blut ins Gesicht, bis er sich fragte, ob dieser heiße Cop ihn für ein Weichei hielt, weil er einen unfähigen Mitarbeiter mit Geld überschüttete. Aber der Mann hatte Familie. Brandon räusperte sich, aber der Frosch klammerte sich spöttisch kichernd in seiner Kehle fest. Mühsam brachte er hervor: „Tom hat drei Kinder. Da kann ich ihn trotz seines Verhaltens nicht fristlos entlassen.“

Der Blick aus den Mokka-Augen richtete sich direkt auf ihn, die vollen Lippen verzogen sich zu einem herzlichen Lächeln, das Brandons Hormone zum Überschäumen brachte. So, wie er sein dunkles Haar trug und aufgrund des schmalen Gesichts erinnerte Tyler ihn entfernt an den jungen Elvis – eigentlich gar nicht Brandons Typ. Aber auf Tyler hätte er sich am liebsten sofort gestürzt. Er erschauerte, als der Cop mit seiner warmen Stimme sagte: „Vollkommen klar. Die Kinder sollten nach Möglichkeit nicht unter den Fehlern ihres Vaters leiden müssen. Das erlebt man ohnehin viel zu oft.“ Das Tiefbraun von Tylers Augen verdunkelte sich noch, sodass sie jetzt fast schwarz wirkten.

Brandon nickte. Er stimmte absolut mit Tyler überein, musste aber jetzt endlich den Weg zu seinem eigentlichen Anliegen finden. Sonst würde der andere Officer gleich hereinkommen, um Tyler zu holen. Nach einem weiteren verlegenen Räuspern sagte er: „Jedenfalls habe ich jetzt das Problem, dass mir ein zweiter Leibwächter fehlt. Martin kann nicht sieben Tage die Woche arbeiten. Ich brauche sofort Ersatz.“ Brandon suchte Tylers Blick, doch der Cop wich ihm aus und starrte auf das Terrarium. Verdammt. Konnte er ihm nicht ein wenig entgegenkommen? Ihm zeigen, dass er sein Angebot zumindest in Erwägung ziehen würde? Er musste doch wissen, was Brandon ihn fragen wollte.

Aber das war offenbar nicht der Fall – oder Tyler stellte sich absichtlich dumm. Das war kein gutes Zeichen, doch Brandon wollte nicht aufgeben. Der Gedanke, diesen heißen Cop nie wiederzusehen, machte ihn verrückt. Er musste etwas tun, bevor Tyler so schnell aus seinem Leben verschwand, wie er darin aufgetaucht war. „Hätten Sie Interesse an dem Job, Officer Norton? So, wie Sie mit meinen Angreifern fertiggeworden sind, hätte ich kein Problem damit, meine Sicherheit in Ihre Hände zu legen.“

Tylers Kopf ruckte zu ihm herum. Seine dunklen Augen weiteten sich. Ein Muskel zuckte in seiner Wange. Sonst war mehrere Sekunden lang keine Veränderung in seiner Mimik zu erkennen. Dann bemerkte Brandon trotz des schummrigen Lichts, dass sich Tylers Wangen röteten. Er senkte den Blick und zupfte an seiner Mütze herum.

Brandons Hoffnung sank schlagartig. Das waren wohl keine guten Zeichen. Er interpretierte Tylers Nervosität dahingehend, dass der Mann nicht wusste, wie er das Angebot am besten ausschlagen sollte. Schließlich saß er einem Promi gegenüber. Brandon seufzte entnervt. Wie er diese Sonderbehandlungen verabscheute! So hatte er nie leben wollen.

Brandon streckte den Arm aus und berührte Tyler ganz kurz an der Hand. Trotzdem zuckte der Cop heftig zusammen und zog seine Finger zurück. Verdammt, er war aber auch empfindlich. Brandon musste sich wohl geschlagen geben. „Hören Sie, dieses Angebot müssen Sie nicht annehmen. Sie können ablehnen, ohne dass ich Amok laufe. Ich gehöre nicht zu diesen launischen Promis, von denen man so oft in der Regenbogenpresse hört.“ Brandon überlegte eine Sekunde lang, dann fügte er hinzu: „Allerdings würde ich Ihnen das Doppelte Ihres jetzigen Gehalts zahlen. Und Sie hätten jedes zweite Wochenende frei, weil Sie sich den Job mit Martin teilen.“

Brandon wartete. Jetzt musste Tyler irgendwie reagieren. Alles andere wäre unhöflich. Tatsächlich hob Tyler den Kopf, sah ihn kurz an, wich seinem Blick aber sofort wieder aus. Stattdessen starrte er lieber die Bartagamen an. Wenigstens redete er endlich: „Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, vielen Dank. Aber ich muss es ausschlagen. Als Polizist bin ich Beamter, mit allen Nach-, aber auch Vorteilen. Ich habe einen unkündbaren Job, Aufstiegsmöglichkeiten und später eine Pension. Das würde ich alles aufgeben, wenn ich für einen Privatmann arbeite. Aus familiären Gründen kann ich mir das einfach nicht leisten.“

Brandon zuckte zusammen. Nicht so sehr wegen der Absage, die ihn natürlich enttäuschte, sondern eher wegen der Äußerung aus familiären Gründen. Es klang danach, als wäre Tyler verheiratet und hätte mindestens ein Kind. Schlimm genug, wenn er einen Hetero anschmachtete, aber wenn derjenige auch noch Familie hatte, war das so unethisch, dass ihm davon schlecht wurde. Das musste sofort aufhören. Er würde Tyler nicht weiter bedrängen.

Brandon zwang ein Lächeln auf sein Gesicht und wollte Tyler gerade vom Haken lassen, als ihn ein Nuscheln aus Richtung der Tür davon abhielt. „Warum lässt du dich nicht unbezahlt beurlauben? Hab ich vor zig Jahren auch mal für’n paar Monate gemacht.“

Joe Abbot stand in der Tür und kaute genüsslich an einem Stück Salami. Er wirkte äußerst zufrieden mit seinem Lösungsvorschlag. Dabei kam ihm offenbar gar nicht in den Sinn, dass es unhöflich war, Gespräche zu belauschen und sich dann auch noch ungefragt einzumischen. Gerade wollte er den Officer so freundlich, wie es unter diesen Umständen möglich war, aus dem Zimmer schicken, als ihm wieder jemand zuvorkam.

Tyler sagte mit einem kühlen Unterton: „Es gehört sich nicht, ein Gespräch zu belauschen, zu dem man nicht eingeladen war, Joe.“ Brandon beobachtete fasziniert, was ein Stirnrunzeln und ein leicht düsterer Blick aus Tyler machten: einen sexy Bad Boy, den er sich ohne weiteres in Ledermontur auf einer Harley vorstellen konnte. Jetzt fragte Tyler zu seiner größten Überraschung: „Aber das mit dem unbezahlten Urlaub ist interessant. Du hast dabei deinen Beamtenstatus behalten und keine Nachteile gehabt?“

Joe nickte und biss wieder in die Salami. Brandon fragte sich am Rande, ob die Wurst aus seiner Küche stammte, aber andere Dinge waren wesentlich spannender. Mit einem leisen Schmatzen antwortete Joe: „Klar. Eine Sicherheitsfirma brauchte für einen erkrankten Angestellten ein halbes Jahr Ersatz. Die haben viel besser gezahlt als die Polizei. Ich konnte mich mit meinem Vorgesetzten einigen, dass ich sechs Monate unbezahlten Urlaub nehme und danach meine alte Stelle zurückbekomme. Geht bei dir bestimmt auch.“

Brandon wandte den Blick von dem mampfenden Joe ab und wieder Tyler zu. Der kaute nachdenklich an seiner Unterlippe. Ja! Er überlegte es sich. Brandon fragte sich, warum er sich darüber freute. Eine Chance hatte er bei einem heterosexuellen Familienvater ohnehin nicht. Aber allein Tylers Anblick würde ihm so manchen Tag versüßen. Er musste nur dafür sorgen, dass aus einer harmlosen Schwärmerei keine Verliebtheit wurde. Das würde er schaffen. Schließlich wäre es nicht das erste Mal.

Er konnte es nicht lassen, bei Tyler nachzuhaken. „Was halten Sie von dem Vorschlag Ihres Kollegen?“

Tyler sah ihn zum zweiten Mal direkt an. In seinen Mokka-Augen schimmerte Unsicherheit. Er rutschte unruhig herum und drehte seine Mütze zwischen den Fingern. Dann räusperte er sich. Offenbar hatte er auch mit einem Frosch zu kämpfen. „Äh, klingt gut – wenn es klappt. Etwas mehr Geld wäre willkommen, ein bisschen Abwechslung von der Routine auch. Aber natürlich muss ich das mit meinen Vorgesetzten klären.“

Brandon nickte und ließ seinen neuen Schwarm nicht eine Sekunde aus den Augen. Seine breiten Schultern schienen die Uniformjacke fast zu sprengen. Nur zu gern hätte Brandon ihn mit nacktem Oberkörper gesehen. Er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. Dann riss er sich mühsam zusammen und sagte: „Klar. Mein Angebot steht. Melden Sie sich, wenn Sie sich entschieden haben. Hier ist meine Karte.“ Brandon zog sein Portemonnaie hervor, nahm eine Visitenkarte heraus und reichte sie Tyler. Dabei musste er sich davon abhalten, ganz zufällig die Finger des Cops zu berühren.

Tyler nahm die Karte, betrachtete sie kurz, nickte und ließ sie in einer Tasche seiner Uniform verschwinden. Dann stand er auf, schenkte Brandon ein kurzes Lächeln und reichte ihm die Hand. „Wir müssen zurück zum Revier. Dort wartet man auf meinen Bericht. Ich melde mich bei Ihnen.“

Brandon nickte, als Tyler seine Hand zurückzog. Gern hätte er die kräftigen, warmen Finger noch etwas länger gehalten. Stattdessen beobachtete er, wie der junge Cop zur Tür ging und verwehrte es sich dabei nicht, seinen knackigen kleinen Hintern zu begutachten.

Kapitel 2

Tyler schlug die Wagentür hinter sich zu und schloss seinen alten Chevrolet ab. Dann atmete er tief durch und sah an dem Gebäude vor sich hoch. Da die Dunkelheit endgültig über Dallas hereingebrochen war, brannte in den meisten Zimmern Licht. Auch in der vierten Etage rechts. Ein Fenster stand offen, und Gazevorhänge bauschten sich in der milden Abendbrise. Tyler lächelte liebevoll bei dem Gedanken an die Bewohnerin.

Lautes Hupen schreckte ihn auf. Ein uralter Dodge mit eindeutig betrunkenem Fahrer donnerte an ihm vorbei. Er hörte die Insassen durch die geöffneten Fenster grölen. Der Auspuff knallte, eine blaugraue Abgaswolke bildete sich hinter der Klapperkiste. Tyler schnaufte. Er hätte gern geglaubt, dass sich die Leute zusammengerissen hätten, wenn er noch seine Uniform trüge. Aber so war es nicht, das wusste er. Der Stadtteil Lake Carolina war bekannt für seine hohe Kriminalitätsrate. Über einen Großteil der Gegend hatte die Polizei die Kontrolle verloren, da machte sich Tyler nichts vor.

Dafür waren die Mieten selbst für größere Wohnungen erschwinglich, weswegen seine Familie hier lebte. Tyler ging zur Haustür und drückte den Klingelknopf neben dem verschmierten Schild, auf dem der Name Norton kaum mehr zu entziffern war. Durch das Rauschen und Zischen war die Stimme eines jungen Mädchens gerade noch zu verstehen. In gespielt strengem Ton fragte sie: „Wer ist da?“

Tyler grinste. Dieses Spiel beherrschte er auch. So herrisch wie möglich rief er: „Polizei! Sofort aufmachen.“

Ein übermütiges Kichern drang aus der Steinzeitsprechanlage, dann summte es, und Tyler drückte gegen die Haustür. Sie öffnete sich mit einem unangenehmen Schleifen und Quietschen. Ihm drang die kühle Luft des Treppenhauses entgegen, die allerdings vom Gestank nach verkochtem Kohl und Urin durchdrungen war. Tyler verzog angewidert das Gesicht. Er hasste es, dass seine Familie hier wohnen musste. Noch mehr hasste er es, dass er nichts dagegen tun konnte, weil er dafür viel zu wenig verdiente.

Tyler atmete möglichst flach, während er die verdreckten Treppenstufen hinauf in den vierten Stock stieg. Es gab zwar einen Fahrstuhl, aber der war entweder defekt oder wirkte, als würde er mit seinen Insassen abstürzen. Also quälte sich Tyler in dem Gestank, der in jeder Etage seine Note änderte, nach oben: Im Erdgeschoss roch es nach Kohl und Kotze, in der ersten Etage eindeutig nach Gras, in der zweiten, als hätte jemand Durchfall gehabt. Tyler hatte mit Übelkeit zu kämpfen, als er endlich in der obersten Etage ankam. Hier zog der Duft nach Tomatensoße aus der Wohnung seiner Familie. Und der Treppenabsatz war wie immer blitzblank gewischt. Tyler lächelte. Seine Leute gaben sich die größte Mühe, ein gewisses Niveau zu wahren, auch wenn sie fast ganz unten angekommen waren.

Er wollte gerade an die Tür klopfen, weil die Klingel seit Wochen nicht funktionierte, als sie aufgerissen wurde, und ein kleiner Derwisch ihn ansprang. Zwei dünne Arme legten sich um seinen Hals, knochige Beine umklammerten seinen Körper. Eine hohe Stimme quietschte direkt neben seinem Ohr: „Da bist du ja endlich. Ich habe dich so vermisst. Wie lange warst du jetzt nicht bei uns?“

Tyler lachte, schlang die Arme um seine kleine Schwester und schwang sie einmal übermütig im Kreis. „Drei ganze Tage. Was für ein Verbrechen. Dafür verdiene ich die Höchststrafe.“

Tara kicherte, lehnte den Oberkörper ein wenig zurück und sah ihn an. Ihre Augen waren genauso dunkel wie seine, das Haar nur eine Nuance heller, dafür aber viel länger. Ihr Strahlen zeigte eine billige Zahnspange, die sie nie versteckte, obwohl sie ihr bereits viel Spott eingebracht hatte. Aber Tara war der Ansicht, dass diese Lästermäuler nur ihre eigene Schwäche zeigten, nicht Taras. Er hatte innerlich schon oft den Hut vor seiner gerade mal vierzehnjährigen Schwester gezogen.

Jetzt legte Tara den Kopf schief und musterte ihn prüfend. Dann sagte sie wissend: „Heute war irgendwas. Du guckst so komisch. Als würdest du grübeln. Du musst uns alles erzählen.“

Mit einem Seufzen setzte Tyler seine kleine Schwester ab und zerzauste ihr das Haar. Manchmal war ihm ihre Scharfsinnigkeit unheimlich. Sie war so intelligent und den meisten Kindern in ihrem Alter weit voraus. Eigentlich hätte sie auf eine Schule für Hochbegabte gehen müssen. Das hatte die Schulpsychologin dringend empfohlen. Doch sie konnten sich die Gebühren für eine entsprechende Schule nicht leisten. Die Schulen in den sozial schwachen Stadtvierteln boten nicht einmal Leistungskurse an, sodass Tara hoffnungslos unterfordert war.

Tyler verdrängte diese Gedanken. Er wurde wütend und traurig, wenn er darüber nachdachte. Und das war sinnlos, denn es gab nichts, was er gegen diese Situation tun konnte. Also folgte er Tara mit einem verkrampften Lächeln in die Wohnung. Sie ging direkt in die Küche, wo der verführerische Duft nach Spaghetti mit Fleischbällchen noch stärker wurde. Tylers Magen knurrte, und Tara kicherte und sagte: „Wir haben mit dem Essen auf dich gewartet. Auch wenn Harris gemeint hat, dass er dann ganz sicher verhungern würde.“

Tylers Blick fiel auf den Tisch, der tatsächlich für vier Personen gedeckt war. Eine große Schüssel mit gemischtem Salat stand zwischen den Tellern, daneben ein Korb mit aufgeschnittenem Brot. Über letzteres war bereits sein Bruder Harris hergefallen. Er kaute mit vollen Backen und winkte ihm zur Begrüßung zu. Tyler hob ebenfalls kurz die Hand und schüttelte grinsend den Kopf. Harris wuchs mit seinen siebzehn Jahren wohl immer noch und vertilgte daher Unmengen von Essen.

Am Herd neben dem geöffnete Fenster stand seine Mutter und würzte die Sauce. Die Schwaden von warmem Wasserdampf hatten sich als feuchter Film über ihr Gesicht und das dunkelblonde, von grauen Strähnen durchzogene Haar gelegt. Wie fast immer wirkte sie angespannt und gestresst. Seit Jahren war sie mit ihrem Leben überfordert, was man ihr ansah. Trotz ihrer gerade mal siebenundvierzig Jahre hatten sich tiefe Falten um ihre Augen und ihren Mund eingegraben. Das und ihre nach vorn gesunkenen Schultern ließen sie mindestens zehn Jahre älter wirken. Ihr Tonfall passte zu ihrem Erscheinungsbild. Leise und resigniert sagte sie: „Hallo, Tyler. Das Essen ist gleich fertig. Ist bei dir alles klar?“

Er unterdrückte ein Seufzen. Eigentlich wollte seine Mutter das gar nicht wissen. Sie ging einfach davon aus, dass es ihm immer gut ging, weil er ein junger, gesunder Mann war, der angeblich keine Verpflichtungen hatte. Ihre Frage diente nur dazu, dass sie ihm nach seiner kurzen Antwort alles erzählen konnte, was bei ihr in den letzten drei Tagen schiefgelaufen war. Und das war ihrer Meinung nach mit Sicherheit einiges.

„Mir geht’s gut, Mom.“ Er ging zu ihr und küsste sie kurz auf ihre verschwitzte Wange. „Kann ich dir was helfen?“

Sie nickte ergeben. „Ja. Gieß bitte die Spaghetti ab. Der Topf ist so schwer, wenn ich für vier Leute koche.“

Tyler griff sofort nach dem großen, randvollen Topf und goss die Nudeln vorsichtig in das Sieb, das im Spülbecken stand. Seine Mutter stellte die Herdplatte ab und rührte seufzend in der Sauce. Er warf ihr einen schnellen Blick zu, bevor er nach dem Sieb griff und es kräftig schüttelte. Dann stellte er die Frage, an der er ohnehin nicht vorbeikommen würde, ohne seine Mutter zu kränken. „Wie geht es dir?“

Sie seufzte so tief und lange, dass er sich wunderte, wo eine zierliche Person wie sie so viel Luft hernahm. Leise sagte sie: „Bringen wir erst mal das Essen auf den Tisch. Die Kinder haben Hunger.“

Verdammt. Der Leidensbericht würde dieses Mal also lang ausfallen. Tyler presste genervt die Lippen aufeinander, schüttete die Spaghetti in eine Schale, legte die Zange obendrauf und stellte alles auf den Tisch. Seine Mutter setzte das Gefäß mit der Sauce ab und nahm dann Platz. Sie wartete noch, bis alle ihre Teller gefüllt hatten und ihre beiden jüngeren Kinder aßen. Dann legte sie los.

„Peter hat wieder keinen Unterhalt überwiesen.“

Tyler unterdrückte ein Ächzen und drehte Spaghetti um seine Gabel. Das alte, leidige Thema. Wie viel lieber würde er sich jetzt Fantasien über Brandon Charles hingeben. Aber er musste sich zusammenreißen. Seine Mutter merkte es sofort, wenn er unaufmerksam war. „Das tut mir leid, aber es überrascht mich nicht. Wann hat er den Unterhalt jemals pünktlich und vollständig überwiesen? Ist das überhaupt mal vorgekommen?“

Die Zahlungsmoral seines Vaters, der seit fast neun Jahren von seiner Mutter geschieden war, war nie sehr ausgeprägt gewesen. Genauso wie die Liebe zu seiner ersten Familie.

Seine Mutter legte die Gabel weg, schloss die Augen und rieb sich die Nasenwurzel. Tyler sah, dass Tara ihr einen Blick zuwarf, sich aber sofort wieder ihrem Teller zuwandte. Seine Geschwister waren dieses Verhalten ihrer Mutter so gewohnt, dass sie es mittlerweile ignorierten, weil sie sonst vermutlich verhungern würden.

Mit weiterhin geschlossenen Augen murmelte seine Mutter: „Da hast du natürlich recht. Aber Harris wollte mit seiner Arbeitsgruppe an einem Wissenschaftswettbewerb in Austin teilnehmen. Es sind von hier zwar nur zweihundert Meilen, aber die Busfahrt und die beiden Übernachtungen kosten natürlich trotzdem was. Das Geld habe ich ohne Peters Unterhalt im Moment einfach nicht. Mir tut das für Harris so leid.“

Sein jüngerer Bruder hob den Kopf, sodass alle sehen konnten, wie soßenverschmiert sein Mund war. Das schon wieder zu lange, dunkle Haar fiel ihm in die Augen, als er sagte: „Ich habe dir schon mal gesagt, dass das nicht nötig ist, Mom. So wichtig ist mir der Wettbewerb nicht. Ist nur blöd für die anderen, weil sie ohne mich keine Chance haben.“

Harris sagte das in einem sachlichen Ton, ohne einen Anflug von Prahlerei oder Selbstverliebtheit. Er wusste, wie intelligent er war, aber auch, dass ihm das nichts nützte, wenn sich an der Situation der Familie nicht bald etwas änderte. Tyler verspürte bei diesem Gedanken einen schmerzlichen Stich.

Doch er konnte nicht in trüben Grübeleien versinken, denn jetzt riss seine Mutter den Kopf hoch. Ihre blaugrauen Augen blitzten, ihre Handfläche klatschte auf den Tisch. „Oh nein, Harris, dieser Wettbewerb ist wichtig für dich! Es wäre ein Pluspunkt bei Bewerbungen für College-Stipendien. Und dein egoistischer Geizkragen von Vater zerstört dir eine weitere Chance. So kann das nicht weitergehen.“

Claire Norton sprang auf und lief in der Küche auf und ab. Dabei fuhr sie sich immer wieder durch das kurz geschnittene, dunkelblonde Haar. Verdammt. Heute Abend würde es besonders schlimm werden. Tylers Magen verknotete sich und verweigerte die Nahrungsaufnahme.

Er zuckte zusammen, als seine Mutter direkt vor ihm stehenblieb und ihn wild anstarrte. „Harris hat sich wieder zu Peter geschlichen. Er wollte ihm persönlich sagen, warum wir gerade diesen Monat dringend den Unterhalt brauchen. Und weißt du, was sein Vater ihm stattdessen präsentiert hat?“

Tyler schüttelte betreten den Kopf und schielte zu seinem Bruder hinüber. Der hatte den Kopf gesenkt und aufgehört, zu essen. Das schlimmste Zeichen überhaupt. Tyler erwartete eine Art Todesstoß, der auch kam. Seine Mutter schrie: „Noch einen kleinen Bruder!“

Tyler merkte, wie er die Kontrolle über seinen Unterkiefer verlor, der tief hinuntersank. Er brauchte mehrere Sekunden, bis er seine Fassung soweit wiedergefunden hatte, dass er stammeln konnte: „W-was? Das kann doch nicht sein.“ Er riss den Kopf zu Harris herum. „Könnte das nicht das Baby einer Freundin oder Nachbarin gewesen sein, auf das Sue nur aufgepasst hat?“

Harris sah ihn nicht an, schüttelte aber den Kopf und antwortete leise: „Nein. Ich habe extra gefragt, zu wem das Kind gehört. Und Dad hat ganz stolz verkündet, dass Angelo natürlich sein Sohn sei.“