Küss mich, Wombat! - Julia Dettling - E-Book

Küss mich, Wombat! E-Book

Julia Dettling

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Beschreibung

Emily ist achtzehn und seit einem Monat Au-Pair einer australischen Großfamilie in Sydney. Mit fünf Kindern und einem wilden Golden-Retriever-Welpen das reinste Chaos! Da kommt ihr ein Wochenendausflug in die nahegelegenen Blue Mountains mit anderen Au-Pairs und Backpackern gelegen. Einer unter ihnen ist Mael. Emily merkt sofort, dass er sich von den übrigen Jungs unterscheidet. Er ist charmant, abenteuerlustig und zugleich etwas zurückhaltend. Nach dem Ausflug verbringt Emily ihre Freizeit mit ihren neuen Freunden - immer mit dabei: Mael. Als dieser sie plötzlich fragt, ob sie ihn auf einen Roadtrip durch Tasmanien begleiten möchte, zögert sie. Wie gut kennt sie Mael überhaupt? Ist ein Roadtrip mit ihm allein eine gute Idee?

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 527

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Über die Autorin

Julia Dettling, geboren 1996 in Stuttgart, träumt bereits mit 12 Jahren davon, nach Australien zu ziehen. Fertig mit der Schule, verwirklicht sie diesen Traum und arbeitet zunächst als Au-Pair in Sydney. In ihrer Freizeit bereist sie fast den ganzen Kontinent, begegnet Weißen Haien und Salzwasserkrokodilen und entdeckt das Wellenreiten für sich. Nach einem Jahr Australien ist ihr Fernweh stärker denn je. Sie zieht nach Bordeaux, Frankreich, und macht einen Bachelor in Angewandter Linguistik. Mittlerweile lebt sie wieder in Deutschland, wo sie gerade im M.A. Übersetzungswissenschaft studiert. Sobald sie den Master abgeschlossen hat, will sie zurück nach Australien.

Julia Dettling

KÜSS MICH, WOMBAT!

Roadtrip durch Australien

www.tredition.de

© 2020 Julia Dettling

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-347-54022-4

Hardcover:

978-3-347-54028-6

e-Book:

978-3-347-54030-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für Angelika

Du bist die mutigste, gerechteste und selbstloseste Frau, die ich kenne und außerdem die coolste Mama der Welt. Danke, dass du immer für mich da bist und stets an mich glaubst.

SYDNEY

 

Donnerstag, 21. August

Zweiunddreißig Stunden. So lange dauerte es, bis ich in Australien ankommen würde. Zunächst musste ich von Stuttgart nach London fliegen. Dann weiter nach Singapur. Das Endziel war Sydney. Obwohl mir klar war, dass ich erst wieder in einem Jahr zurückkommen würde, war ich innerlich ganz ruhig. Die Vorfreude überwog. Als Mama jedoch anfing zu weinen, hatte auch ich plötzlich ein mulmiges Gefühl. Sie nahm mich fest in ihre Arme und sagte mir, wie sehr sie mich liebt. Nun war auch ich den Tränen nahe. Daher löste ich mich aus ihrer Umarmung, winkte ein letztes Mal und verschwand in der Schlange vor der Sicherheitskontrolle. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Das Abenteuer begann!

Samstag, 23. August - Day 1

Als ich in Sydney aus dem Flugzeug stieg, war ich furchtbar übermüdet und nervös. Gleich würde ich meine Gastfamilie kennenlernen. Ich lief zur Empfangshalle. Eine siebenköpfige Familie würde schon nicht so schwer zu finden sein. Als ich jedoch in den Ankunftsbereich trat, war ich mir da nicht mehr so sicher. Hier herrschte ein wildes Durcheinander aus Menschen, die sich in die Arme fielen, weinten, lachten und vor allen Dingen versuchten, noch lauter zu sprechen als die Person nebenan. In all dem Chaos suchte ich nach bekannten Gesichtern. Meine Gastfamilie hatte mir Bilder geschickt, damit ich sie gleich erkennen konnte. Und plötzlich kam mir tatsächlich ein Gesicht bekannt vor. Es war Seth, der älteste der fünf Kinder. Ich drängte mich durch die Menschenmasse durch und sprach ihn an: “Hey, you're Seth, right? Nice to meet you!” Nun schien auch er mich zu erkennen, streckte mir höflich die Hand hin und fragte, ob meine Reise gut verlaufen war. Im nächsten Augenblick gesellte sich ein circa vierzigjähriger, kräftig gebauter, kleiner Mann zu uns und streckte mir ebenfalls seine Hand hin. Es war Aden, mein Gastvater.

“Would you like to go directly home to relax and maybe catch up on sleep? Or do you prefer coming to the sports ground with us? Seth has a discus throwing competition in half an hour.” Es war kurz nach sechs Uhr morgens an einem Samstag. Ich war zwar müde, aber zum Schlafen war ich zu aufgeregt. Also entschied ich mich, den beiden auf den Sportplatz zu folgen. Kaum verließen wir das Flughafengebäude, begann es, in Strömen zu regnen. Sydney empfing mich also mit Regen, einer grauen, dichten Wolkendecke und warm schien es auch nicht gerade zu sein. Irgendwie hatte ich mir Australien etwas anders vorgestellt.

Der Sportplatz lag gegenüber des Sydney Olympic Parks. Seth rannte sogleich zu seinen Freunden, während Aden und ich uns ein paar Meter vom Diskusschutznetz entfernt hinstellten. Aden erzählte mir von seinen Kindern, deren Schulen und Hobbys und wie ein typischer Alltag in seiner Familie aussah. Er schien wirklich nett zu sein. Und ein richtiger Familienvater. Obwohl ich erst zwei Mitglieder der Familie kennengelernt hatte, war ich mir sicher, die richtige ausgesucht zu haben.

Sobald Seth seinen Wettkampf beendet hatte, fuhren wir zum Haus meiner Gastfamilie. Es sah von vorne nicht sonderlich groß aus und lag in einer sauberen, ruhigen Gegend. Sobald ich durch die Tür trat, überfiel mich Sophia, ein junger, goldfarbener Labrador, der mit den Pfoten fast an meine Schultern reichte.

“Stop it, Sophia! Stop!”, befahl Hannah. Meine Gastmutter hatte kurze, blonde Haare und war ein Stück kleiner als ich. Sie führte Sophia hinaus in den Garten. Als sie zurückkam, lächelte sie mich an, umarmte mich und sagte: “Welcome to our family, Emily! We are very happy that you are here!”

Als nächstes begrüßten mich die beiden Mädchen Ally und Mia. Ally war die ältere der beiden. Sie war neun, hatte rot-braune, schulterlange Haare und blaue Augen. Mia war fünf und damit, abgesehen vom Hund, das jüngste Familienmitglied. Sie hatte kurzes, engelblondes Haar und ein paar Sommersprossen auf der Nase. Die beiden waren alles andere als schüchtern. Oliver hingegen, mit seinen sechs Jahren der Jüngste unter den Männern, versteckte sich hinter seiner Mutter. Er war einen halben Kopf größer als Mia, ein wenig moppelig, hatte dunkelbraune, lange Haare und ein rundes Gesicht. Während Mia, Oliver und Ally mir aufgeregt alle möglichen Fragen stellten, kam irgendwann auch Cooper die Treppen heruntergelaufen. Er war zehn und sah seinen beiden Brüdern nicht sonderlich ähnlich. Im Vergleich zu Seth und Oliver war er sehr schlank und hatte andere Gesichtszüge als seine Brüder. Er stellte sich mir vor. Auf eine sehr höfliche, geradezu kühle Art und Weise. Er gab mir das Gefühl, dass er so gar nicht an mir, dem neuen Au-Pair, interessiert war. Aber ich konnte es ihm nicht übel nehmen. Immerhin war ich bereits das fünfte Au-Pair der Familie.

Nachdem ich nun die ganze Familie kannte, bat Hannah ihre beiden Mädchen, mir mein Haus zu zeigen. Ich verstand nicht genau, was sie damit meinte. Würde ich nicht in einem Zimmer unterkommen? Ally und Mia schnappten sich jeweils eine Hand und führten mich hinaus auf die Terrasse. Ich sah ein Stück Wiese vor mir, ein zwölfeinhalb Meter langes, umzäuntes Schwimmbecken und dahinter ein kleines Häuschen. Ally zerrte an meinem Arm und meinte: “So, this will be your place!” Scherzte sie etwa? “I will be living in the pool house?” Ally und Mia nickten und strahlten mich an. “Yes! And it’s so cool in there. You can use the billiard, and there is a kitchen and several sofas”, erklärte Ally begeistert. Wir erreichten das Häuschen. Ich drehte den Schlüssel und trat hinein. Tatsächlich stand in der Mitte ein Billiardtisch. Zu meiner rechten sah ich drei Sofas, in der Mitte davon einen kleinen Holztisch und einen alten Fernseher. Links hatte es eine kleine Küche mit einem riesigen Kühlschrank. Am anderen Ende des Häuschens lag das Schlafzimmer. Darin stand ein Bett, ein paar Regale und ein großer Spiegelschrank. Direkt daneben befand sich ein kleines Badezimmer. Ich konnte es nicht fassen. Meine Gastfamilie stellte mir doch tatsächlich ein eigenes, kleines Haus zur Verfügung. Später erklärte mir Hannah, dass ich auch ein eigenes Auto haben würde, um die Kinder zur Schule oder zu ihren Freizeitaktivitäten zu fahren.

“But don’t worry about driving on the left side of the road. Aden will practice with you a little bit before we will let you drive on your own”, versuchte sie mich zu beruhigen. War jetzt der Zeitpunkt ihr zu sagen, dass ich meine Führerscheinprüfung erst vor zwei Wochen abgelegt hatte? Lieber nicht. Außerdem konnte wenig Fahrpraxis ja auch positiv sein. Immerhin war ich dadurch nicht zu sehr an den Rechtsverkehr gewohnt.

Montag, 25. August - Day 3

Den Sonntag hatte ich mit Aden und den drei jüngsten Kindern im Park verbracht. Mittags hatte die ganze Familie in einem chinesischen Restaurant gegessen und am Abend hatte ich mich dazu bereit erklärt, Sophia auszuführen und somit gleichzeitig die Gegend zu erkunden. Es war ein harmonischer, ruhiger erster Tag in Down Under gewesen bevor heute mein erster Arbeitstag beginnen würde.

Um halb acht lief ich von meinem Poolhäuschen hinüber zum großen Haus. Aden erklärte mir, dass Hannah mit Seth, Cooper und Ally bereits auf dem Weg zur Schule war und es meine Aufgabe sei, Oliver und Mia Frühstück zu machen und ihnen zu helfen sich anzuziehen und zu waschen. Ich war erstaunt, wie viel die beiden essen konnten. Den halben Morgen war ich damit beschäftigt, Erdnussbutterbrote zu schmieren. Irgendwann verabschiedete sich Aden mit einem schnellen “See you!”. Und kurze Zeit später kam Hannah zur Tür hinein. Zu viert liefen wir Olivers Schulweg ab. Oliver murrte ein wenig, als wir ihn am Schulgelände verabschiedeten. Mia grinste ihren Bruder an und neckte ihn: “And I will play games and watch movies with Emily all day long!” Daraufhin wollte Oliver bereits anfangen zu jammern, doch ein strenger Blick von Hannah genügte und er lief in Richtung Schulgebäude. Zurück im Haus spielte ich mit Mia, half Hannah bei den Einkäufen, in der Küche und mit der Wäsche und holte während meiner Mittagspause eine Menge Schlaf nach.

Am Abend hatten Hannah und Ally ein Rugbyspiel. Die ganze Familie kam mit auf den Sportplatz. Ich spielte mit den beiden jüngsten. Mir fiel auf, dass Oliver auf einmal gar nicht mehr schüchtern war. Ganz im Gegenteil. Er war aufgeweckt, voller Energie und versuchte unermüdlich die Aufmerksamkeit seiner beiden älteren Brüder zu erlangen. Mia schenkte mir sofort ihr Herz. Sie liebte es, mit meinen langen, blonden Haaren zu spielen und Huckepack getragen zu werden.

“You’re so pretty, Emily! I like your hair!” Sie wurde nicht müde mir immer wieder Komplimente zu machen. Ich mochte die Kleine. Sicher würden wir eine tolle Zeit miteinander verbringen.

Freitag, 29. August - Day 7

Oliver saß am Esstisch und aß wie jeden Morgen genüsslich seine Erdnussbuttertoasts, während er dabei höchstkonzentriert in den Fernseher starrte. Aden schmierte schon die nächsten Toasts. Ich kam mir ein wenig überflüssig vor. Oliver hatte sein Frühstück bereits gerichtet bekommen und steckte auch schon in seiner Schuluniform.

“See you in the evening”, verabschiedete sich Aden. Damit waren Oliver und ich alleine, denn Hannah hatte Mia mitgenommen.

“Oliver, you know the rules for watching TV, right? No TV in the morning.” Oliver antwortete ohne seinen Blick vom Bildschirm zu wenden: “No! Dad said I could watch my series when I’m fully dressed and when I have put my lunchbox in the bag.” Ich glaubte ihm. In aller Ruhe begann ich die Küche aufzuräumen und einen Waschgang zu starten. Ich bemerkte nicht wie schnell die Zeit verging. Als ich schließlich einen Blick auf die Uhr warf, erschrak ich. Dreizehn nach acht. Um Viertel nach musste Oliver in der Schule sein.

“Will your mum pick you up and drive you to school, Oliver?”

“Yeah, I think so”, antwortete er. Die letzten Tage hatte Hannah immer die drei ältesten zur Schule gefahren und war anschließend rechtzeitig zurück nach Hause gekommen, um Oliver abzuholen und auch ihn zur Schule zu bringen. Hannah hatte gemeint, dass sie und Aden mich erst noch mit Autofahren verschonen würden, bis Aden mit mir ein paar Runden gedreht haben würde und ich mich so an den Linksverkehr gewöhnen konnte. Ich versuchte mich zu erinnern, ob sie mir gestern irgendwann mitgeteilt hatte, dass ich Oliver heute Morgen zur Schule begleiten musste. Zu Fuß waren es etwas mehr als zehn Minuten. Aber ich erinnerte mich nicht. Weder Hannah noch Aden hatten etwas in der Art gesagt. Ich schaltete den Fernseher aus. Dann wählte ich Hannahs Nummer. Sie nahm ab. Ich sollte mit Oliver zur Schule laufen und ihn auch wieder abholen. Es täte ihr leid, dass sie vergessen hatte mir Bescheid zu geben. Nervös starrte ich auf die Uhr. Niemals würden wir rechtzeitig am Schulgelände ankommen. Aber ich würde der Lehrerin einfach kurz die Situation erklären, sodass Oliver keinen Ärger bekam.

“Okay Oliver, listen! Your mum said I have to bring you to school today”, begann ich.

“Are we gonna walk to school?”, fragte er kritisch.

“Yes”, bestätigte ich. Dann kreischte er: “Nooooo! I don't wanna walk!”

“I'm sorry, mate, but we have to…”

“Can't you drive me with a car?”, schlug er vor.

“No, but maybe next week okay? It’s not that bad walking to school. Please hurry up, your lesson starts in a few minutes.”

Oliver verzog sein Gesicht. Ich hatte ihn erst vor knapp einer Woche kennengelernt, aber diesen Ausdruck kannte ich bereits zu gut. Gleich würde er weinen und schluchzen und sich auf dem Boden wälzen. Und genau so kam es auch.

“I won't go to school! I will come too late if we walk!”

“That's why we have to hurry up! Come on! Quickly!” Mit Müh und Not versuchte ich ihn vom Boden hochzuheben, doch er wehrte sich. Zudem war er viel zu schwer, als dass ich ihn hätte tragen können.

“Pleeeaaase Oliver! Come on! Let's go!”

“NOOOOOO! I won't go!”, schrie er mit gequälter Stimme. Ich packte seine Hand, zog seinen Rucksack auf meine Schultern und schleppte ihn zur Haustür. Irgendwie hatte ich es geschafft, ihn vor die Gartentür zu bringen. Allerdings führte er nun seinen Sitzstreik auf dem Gehweg weiter. Ich schnappte seine Hand und versuchte ihn hinter mir herzuziehen. Wir kamen ein paar Meter voran. Dann ließ er sich erneut auf den Boden fallen. Er legte sich ins Gras und quängelte. Ich begann zu verzweifeln. Mir war klar, dass er mich testen wollte. Ich probierte es mit sanften Worten und mit Strenge. Aber weder das eine noch das andere funktionierte bei ihm.

“All right! Enough, Oliver. I'll call your mum now! And I will tell her that you behave like a toddler!” Er reagierte nicht. Erst recht nicht, als er mitbekam, dass seine Mutter nicht zu erreichen war. Hatte ich als Au-Pair versagt? Machte er so ein Drama bei jedem neuen Kindermädchen? Wie hatten die anderen reagiert? Ich hörte nicht auf zu grübeln und nach einer Lösung zu suchen.

Plötzlich hielt ein großes schwarzes Auto direkt neben dem sich im Gras wälzenden Oliver und mir an. Es war nicht Adens Auto, das erkannte ich. Auch nicht Hannahs. Ein Fenster öffnete sich. Es war ein Mann und eine Frau, Mitte vierzig, also circa im Alter meiner Gasteltern.

“Hi, I'm a friend of Hannah. I'm Maria. I saw you struggling with Oliver”, meinte die Frau. Ich fühlte mich schlecht. Eine Freundin meiner Gastmutter hatte mich also dabei erwischt, wie ich schlichtweg versagte.

“I can drive Oliver to school if you want”, bot sie mir an. Ohne auf meine Antwort zu warten, richtete sie sich direkt an den kleinen Rebellen. Mit sanfter Stimme meinte sie zu ihm, dass er es mir doch nicht so schwer machen solle. Olivers Verhalten änderte sich schlagartig. Ich war erstaunt. Hier war er wieder, der schüchterne Oliver, den ich vor einer Woche kennengelernt hatte. Er quängelte noch immer, ließ sich jedoch überreden ins Auto zu steigen. Ich eilte zu seiner Schultasche, die er zuvor einige Meter entfernt auf den Boden geschleudert hatte, und setzte mich ebenfalls hinten in den Wagen.

Ich bedankte mich bei Hannahs Freunden und keine fünf Minuten später stiegen mein kleines Problemkind und ich auch wieder aus. Im Sekretariat musste ich eine Art Entschuldigungszettel für das Zuspätkommen ausfüllen. Weil mir nichts besseres einfiel, nannte ich als Grund schlicht und einfach: New au pair. Um sicher zu gehen, dass Oliver auch definitiv ins Klassenzimmer hineinging, begleitete ich ihn bis vor die Tür. Seine Lehrerin lächelte mir verständnisvoll entgegen und rief mir ein kurzes “Thank you” zu.

Der restliche Tag verlief angenehm ruhig. Ich begleitete Oliver und die beiden Mädchen zum Schwimmunterricht und Hannah brachte ihren kleinen Rabauken dazu, sich bei mir für heute Morgen mit Handschlag zu entschuldigen. Die erste Herausforderung lag hinter mir, aber ich war mir sicher, dass es noch einige weitere in den nächsten neun Monaten geben würde.

Samstag, 30. August - Day 8

Es war mein erster, richtig freier Tag seitdem ich in Sydney angekommen war. Ich hatte mich mit Chloé verabredet. Sie war ebenfalls Au-Pair und wohnte nur ein paar Straßen entfernt. Ich hatte sie beim Warten auf dem Schulhof kennengelernt. Sie war Französin, etwas älter als ich und dunkle, kurze Haare zierten ihr rundes Gesicht. Da sie schon seit mehr als drei Monaten hier war, hatte sie angeboten, mich durch die Innenstadt zu führen. Ich war sofort begeistert, denn ich kannte weder Sydney, noch irgendwelche anderen Au-Pairs.

“You need to give the driver a sign. Otherwise he won’t stop, all right?”, gab mir Aden den Tipp, als ich das Haus verließ. Die Bushaltestelle lag gute fünfzehn Minuten entfernt. Aber das machte mir nichts aus. Es machte mir Spaß zu laufen. Ich blieb im Bus sitzen bis zur Endhaltestelle Circular Quay. Hier fuhren mehrere Fähren ab, links lagen in einem Halbkreis einige Hochhäuser und rechts befand sich Sydneys unverwechselbares Wahrzeichen: das weiße, segelförmige Opernhaus. Und genau dort hatten Chloé und ich ausgemacht, uns zu treffen. Gemütlich näherte ich mich also diesem einzigartigen Gebäude. Mit seinen über Tausend, glänzend weißen Keramikfliesen auf dem Dach, die die Sonne perfekt reflektierten, sah es wirklich unglaublich schön aus. Nun konnte ich nur zu gut verstehen, warum alle so verrückt danach waren.

Chloé schien noch nicht da zu sein. Also setzte ich mich auf eine der vielen grauen Treppenstufen des Opernhauses. Von hier aus konnte man Sydneys bekannteste Brücke sehen, die Harbour Bridge, die von den Sydneysidern, den Bewohnern hier, aufgrund ihrer Form liebevoll auch The Coathanger, Kleiderbügel, genannt wird. Direkt hinter der Brücke konnte ich einen kleinen Freizeitpark erkennen.

“Hey! How are you? I hope you didn’t wait too long!”, begrüßte mich Chloé.

“No, don’t worry. I used the time to check out this place. It’s actually very beautiful!” Sie stimmte mir zu.

Direkt neben dem Opernhaus lagen die Royal Botanic Gardens, Sydneys größter botanischer Garten. Hier hatte es unzählige verschiedene Pflanzen, Teiche und Gärten. Hier konnte man mitten in Sydney den Stadttrubel hinter sich lassen und quasi einen kleinen Spaziergang durch den Regenwald unternehmen. Wir schlenderten ein wenig umher. Dann führte mich Chloé zur Halbinsel Mrs Macquarie’s Point. Von dort aus hatten wir eine gigantische Sicht auf das Opernhaus und die Harbour Brücke. Wir liefen zurück zum Circular Quay und dann die Promenade entlang, am Museum of Contemporary Art vorbei und weiter bis zu Sydneys ältestem Viertel, genannt The Rocks. Hier fand ein Markt statt, auf dem man von Schmuck, kulinarischen Spezialitäten bis hin zu hochwertigen Souvenirs alles mögliche finden konnte.

Als wir einmal komplett über den Markt gelaufen waren, merkten wir wie sehr wir Hunger hatten. Es war bereits Nachmittag. Der Tag verging wie im Flug. Sobald wir etwas gegessen hatten, nahmen wir die George Street, eine der wichtigsten Straßen Sydneys, in Angriff. Diese führte von The Rocks durch das zentrale Geschäftsviertel bis hinunter zur Central Station, Sydneys Hauptbahnhof. Wir machten Halt am Queen Victoria Building, oder kurz QVB, einem prächtigen, alten Gebäude mit vielen Säulen und Bögen und mehreren türkisfarbenen Kuppeln auf dem Dach. Vor dem Eingang thronte eine aus Bronze gefertigte Königin Victoria. Im Inneren des Gebäudes sah alles sehr schick aus. Es hatte bemalte Fenster, zwei riesige Uhren in der Mitte und ringsherum zahlreiche, kleine Boutiquen. Im untersten Stockwerk hingegen befanden sich mehrere Fastfoodrestaurants. Nach einem kurzen Rundgang verließen wir das Gebäude wieder und setzten unsere Sydney-Entdeckungstour fort.

Vom QVB aus brauchten wir nur knappe zehn Minuten bis zum Hyde Park. Als Erstes sahen wir die wunderschöne Saint Mary's Cathedral, die zu den größten Kirchen Australiens zählt. Auf der Wiese ringsherum bewegten sich mehrere hässliche, große, weiße Vögel mit langen, nach unten gebogenen Schnäbeln. Sie machten urkomische Geräusche. Man nennt sie Ibis. Sie teilten sich den Park mit einem Haufen weißer Papageie und Möwen.

Chloé meinte schließlich, ich solle mich einmal umdrehen und der Saint Mary's Cathedral den Rücken zukehren, damit ich unter all den Hochhäusern den berühmten Sydney Tower erkennen konnte. Sie erzählte mir, dass sich oben im Turm ein schickes Restaurant befand und darunter ein edles Shoppingcenter.

Da der Tag sich langsam dem Ende neigte, entschieden wir uns für einen letzten, kleinen Abstecher zu Darling Harbour. Dieser Stadtteil lag direkt am Wasser und beherbergte mehrere Restaurants, Shoppingcenter, Museen, ein großes Kino und andere Attraktionen. Es herrschte eine angenehm fröhliche Stimmung. Ich hatte das Gefühl, dass nicht nur Touristen, sondern auch die Sydneysider hierher kamen, um auszuspannen. Chloé und ich gönnten uns einen Cocktail, um diesen erfolgreichen Tag ausklingen zu lassen. Dann machten wir uns auf den Weg zur Bushaltestelle.

“It was very nice of you to show me the city. Thank you so much!”, verabschiedete ich mich von Chloé.

“No worries! I had fun today. We should meet soon again”, antwortete sie. Dann trennten sich unsere Wege. Als ich in die Straße einbog, in der meine Gastfamilie lebte, konnte ich zwei dicke Opossums beobachten, die gerade über die Strommasten balancierten. Und kurze Zeit später erschrak ich leicht, als eine riesige schwarze Fledermaus direkt über mir flog. Welcome to Australia!

Montag, 08. September – Day 17

Nach über zwei Wochen hatte ich mich nun komplett eingelebt. Ich wusste meine Aufgaben, wo ich wen abzuholen hatte und bei welchen Launen der Kids ich wie reagierte. Am Dienstag überraschte mich Oliver. Er und Mia wollten nach der Schule meist erst ein bis zwei Stunden Fernsehen schauen, bis sie dann schließlich auf mein Angebot eingingen, etwas zu spielen.

An diesem Nachmittag allerdings war Oliver plötzlich einfach so zum Fernseher gelaufen, während seine Lieblingsserie noch lief, hatte ihn ausgeschalten und mich gefragt, ob ich eine CD für ihn einlegen könne.

“Yes, sure, which one?”, fragte ich.

“I don't know… so, we've been to this musical a while ago…the name was Mary… Mary…”, antwortete er.

“Mary Poppins, Mary Poppins! It's Mary Poppins!”, kreischte Mia fröhlich. Also legte ich die CD ein. Sobald die Musik ertönte, hüpften die beiden wie verrückt vor dem ausgeschalteten Fernseher herum. Sie benutzten ihn als Spiegel.

Ich erinnerte mich daran, wie oft ich den Film zusammen mit meiner Schwester gesehen hatte und wie auch wir damals die Lieder voller Enthusiasmus mitgeträllert hatten. Oliver und Mia so voller Freude tanzen zu sehen, ließ mich innerlich strahlen. Oliver bat mich den Song „A Spoon Full of Sugar“ auf der CD zu suchen. Dann verschwand er kurz ins Spielzimmer nebenan.

Als er wiederkam, drückte er mir einen Regenschirm in die Hand und meinte: “Play with us! Dance! You are Mary, our nanny, and we are Michael and Jane!” Also spielte ich Mary. Ich spannte den Regenschirm auf und tat so, als würde sich an dem Griff ein sprechender Papagei befinden, wie in der Geschichte. Mia und Oliver hörten mir begeistert zu, wie ich verschiedene Stimmen benutzte. Dann nahm Mia meine Hand und schrie, um die Musik zu übertönen, völlig aufgedreht: “Fly with us Mary Poppins, fly with us!” Meinen rechten Arm, mit dem ich den Schirm hielt, streckte ich noch höher in die Luft, genau wie Mary in dem Film, wann immer sie sich von ihrem magischen Regenschirm in Richtung Himmel ziehen ließ. Mia nahm auch Oliver in die Hand. Ich stieg auf das Sofa. Die beiden Kleinen folgten mir. Dann fragte ich: “Ready to fly?”

“Reaaaady!”, kreischten die beiden. Mit den Kleinen hinter mir, sprang ich vom Sofa und stieg aufs nächste. Noch einmal hüpften wir von der Couch auf den Boden. Als ich die Hände der beiden losließ, riefen sie: “Again! Again! Again!” Wir spielten das ganze zwei weitere Male durch, dann rannten sie ins Spielzimmer und wühlten in der Umkleidekiste. Oliver setzte sich seinen Jack- Sparrow-Hut auf, während Mia sich einen knallgelben, federnen Schal um ihren Hals legte. Erneut sollte ich „A Spoon Full of Sugar“ einlegen.

Die Kleinen wollten gar nicht mehr aufhören. Ich hielt Mia an ihren Händchen und ließ sie drehen. Sie streckte mir immer wieder die Arme entgegen und wollte, dass ich sie hochnahm und herumschwenkte. Eine Weile hielt ich es aus. Dann wurde sie mir zu schwer und ich ließ sie wieder herunter. Schließlich tanzte ich etwas vor, während sie sich bemühte, es mir nachzumachen.

Auf einmal kam Aden ins Zimmer herein. War es bereits so spät? Wie schnell die Zeit doch vergangen war! Ich rechnete damit, dass er sagen würde, dass die Musik hier viel zu laut war. Aber als er uns sah, fing er überraschenderweise einfach an mitzutanzen. Es war ein einzigartiger Moment. Oliver und Mia strahlten um die Wette, während ihr Vater mit ihnen ausgelassen tanzte und sie abwechselnd wild umherschwenkte.

Donnerstag, 18. September – Day 27

Ich hatte in den letzten Tagen bereits am Rande mitbekommen, dass meine Gastfamilie in zwei Tagen nach Hong Kong fliegen würde. Um genau zu sein, würde es eine ganze Rugbymannschaft, Hannah, Aden und ein paar andere Erwachsene sein. Mehrere Spiele würden dort stattfinden, bei denen Seth und Cooper teilnahmen. An einem Tag würde es auch einen Ausflug ins Disneyland geben, worauf sich Mia ganz besonders freute. In der Garage hatte ich Kartons mit speziell angefertigten Rugbyshirts und bestickten Reisetaschen entdeckt. Auf den Shirts standen die Namen der beiden Rugbymannschaften und jeweils die Namen der Kids auf Englisch und Chinesisch. Ich war erstaunt wie groß sie das Ganze aufzogen.

Aden hatte mich gefragt, ob es okay für mich sei, in den zehn Tagen, die sie weg sein würden, auf Sophia aufzupassen. Hannah hatte daraufhin gemeint, dass es aber auch in Ordnung sei, wenn ich meine freie Zeit lieber zum Reisen nutzen wolle, und dass sie den Hund dann einfach zu Adens Kumpel Mitch bringen würden. Aber ich hatte nichts dagegen, Hundesitter zu spielen. So kurzfristig hätte ich auch gar nicht gewusst, wohin ich reisen soll. Zudem kannte ich ja noch nicht einmal Sydney so genau.

Am Abend, als die Kinder bereits in ihren Betten lagen und ich mich bald auf den Weg in mein kleines Häuschen begeben würde, gingen meine Gasteltern mit mir kurz meine Aufgaben für die nächsten Tage durch: die Fische, die meist unbeachtet in ihrem Aquarium dahinvegetierten, mussten gefüttert werden, genauso wie Sophia. Das Wasser im Trinknapf musste nachgefüllt werden und mindestens einmal täglich sollte ich mit ihr Gassi gehen. Hannah erklärte mir, welche Mülltonne ich wann auf die Straße stellen sollte. Und am Mittwoch durfte ich nicht vergessen, dem Gärtner die Tür zu öffnen. Dann erklärte mir Aden, wie die Alarmanlage funktionierte und gab mir die Nummer seines Bruders, falls es irgenwelche Probleme geben sollte.

“You can call him or me at any time. Also, if you are afraid being in this big house alone. Especially because there has already been a break-in two years ago. But don’t worry, with the alarm system you should be safe”, meinte er. Was für beruhigende Worte, dachte ich mir. Dann fügte er hinzu, dass auch meine Vorgängerinnen, obwohl sie alle mindestens zwei Jahre älter als ich gewesen seien, ihn, aus Angst allein in dem riesigen Haus zu sein, auch öfter einmal angerufen hätten.

Freitag, 19. September – Day 28

Sobald die Kinder in der Schule waren, fuhr ich mit Hannah zum Supermarkt. Ziel war es, mich mit genügend Lebensmitteln für die nächsten zehn Tage einzudecken.

Noch während wir unterwegs waren, meldete sich Chloé und fragte, ob ich nächstes Wochenende mit ihr und ein paar anderen Backpackern, Rucksacktouristen, und Au-Pairs in die Berge, genauer gesagt in die berühmten Blue Mountains, fahren wolle. Luc, einer ihrer Freunde, hatte das Ganze organisiert. Ich war augenblicklich begeistert von der Idee und antwortete, dass ich es erst mit Aden und Hannah abklären müsse, aber ansonsten großes Interesse hätte.

Am Abend bekam ich eine Antwort von meinen Gasteltern bezüglich des Wochenendes. Aden hatte seinen Kumpel Mitch gefragt, ob er sich in der Zeit um Sophia kümmern könne. Er hatte nichts dagegen. Ich würde also in die Blue Mountains mitfahren können! Überglücklich buchte ich zwei Nächte in dem Hostel in Katoomba, der größten Stadt in den Blue Mountains, das mir Chloé genannt hatte. Ich konnte es kaum erwarten, mehr als nur Sydney vom Bundesstaat New South Wales zu entdecken, ein wenig in die Natur zu kommen und dabei auch noch neue Leute kennenzulernen.

Samstag, 20. September - Day 29

In der Nacht von Freitag auf Samstag reisten Hannah, Aden und die fünf Racker schließlich ab. Ab jetzt hatte ich sturmfrei! Als Erstes nahm ich mir die Zeit, mal wieder ausgiebig zu frühstücken. Dann schnappte ich mir Sophia. Wir machten einen langen Spaziergang entlang des Parramatta Flusses. Es war unglaublich heiß. Als wir wieder am Haus ankamen, sprang ich deshalb sofort in den Pool. Es war herrlich in der Sonne zu liegen und den lieben langen Tag zu machen, auf was man gerade Lust hatte.

Am späten Nachmittag entschied ich mich, in die Innenstadt zu fahren, um die Stadt weiter zu erkunden. Ich fuhr mit dem Bus bis zum Circular Quay und lief danach weiter zu The Rocks. Dort begann der Fußgängerweg über die Harbour Bridge.

Ich wollte zu dem Freizeitpark auf der anderen Seite der Brücke. Es dauerte nicht lange bis ich in Nordsydney ankam und direkt vor dem legendären Luna Park stand. Dieser kleine Vergnügungspark lag wirklich unmittelbar am Wasser, seitlich der Harbour Bridge an der Lavender Bay, und dies bereits seit 1935. Der Eingang war ein neun Meter hohes Lachgesicht. Es hatte zwei riesige, kugelrunde blaue Augen, hochgezogene Augenbrauen, rosa Wangen und eine knallrote Oberlippe.

Wenn man in den Vergnügungspark wollte, musste man unter leuchtend weiße Oberkieferzähne hindurchlaufen. Das überdimensionale Gesicht hatte zudem eine goldene Krone auf, darüber prangte in Leuchtschrift Luna Park und rechts und links des Puppengesichts standen zwei kunterbunte Türmchen. Man musste keinen Eintritt bezahlen, um sich dort alles ein wenig anzuschauen und herumzuschlendern. Um die Fahrgeschäfte nutzen zu dürfen, wurden allerdings hohe Preise verlangt. Ich flanierte ein wenig umher, schaute den anderen beim Boxautofahren, Wellenrutschen, Karrussel- und Riesenradfahren zu und einer Animateurgruppe aus bunt verkleideten Clowns und Püppchen.

Als es anfing zu dämmern, leuchtete der ganze Park auf einmal in einem ganz neuen Licht. Die vielen, kleinen Schlösser und Türme sahen bei Dunkelheit noch märchenhafter aus. Gerne wäre ich länger geblieben, aber ich wollte die Harbour Bridge nicht bei völliger Dunkelheit überqueren.

Als ich den Schlüssel in der Haustür drehte, begann Sophia bereits aus voller Brust zu kläffen. Sobald ich in das Haus trat, sah ich sie wie verrückt an der Glaswand, die zur Terrasse führte, hochspringen. Ich beeilte mich, die Alarmanlage auszuschalten und die Schiebetür zu öffnen. Sobald ich sie nur einen schmalen Spalt aufgeschoben hatte, quetschte sich Sophia hindurch und sprang an mir hoch. Ich rechnete damit, dass sie zunächst in alle Zimmer rennen würde, sich dann wie wild im Kreis drehen und versuchen würde, ihren Schwanz zu schnappen bevor sie mir ihre Aufmerksamkeit schenkte.

Just in diesem Moment merkte ich jedoch, wie sie mich stattdessen mit ihrer gesamten, über den Tag hinweg angesammelten Energie aus dem Gleichgewicht brachte. Ich kippte nach hinten, fiel volle Kanne auf den Hintern und fand mich letzten Endes auf dem Rücken wieder. Ehe ich den Versuch unternehmen konnte wieder aufzustehen, sah ich plötzlich ihren Kopf ganz nah an meinem.

Bevor ich realisieren konnte, was gerade geschah, hatte sie mir auch schon mit der Zunge übers Gesicht geschleckt. Also wenn das kein stürmisches Willkommen war! Entweder hatte sie sich wirklich auf mich persönlich so sehr gefreut, oder aber schlichtweg auf irgendjemanden, der ihr ihr Abendessen gab. In beiden Fällen, war es schön, zumindest Sophia im Haus zu haben. Ohne meine Gastfamilie war es hier eindeutig zu ruhig.

Sonntag, 21. September - Day 30

Ich schaute aus dem Fenster hinaus und sah, wie die Straße steil zu einem langgestreckten Strandabschnitt hinunterführte. Eine Menge Leute hatten bereits ihre Strandtücher ausgebreitet. Nebenan strahlte das Meer in mehreren Blautönen. Chloé hatte mich gefragt, ob ich mit ihr den Tag am berühmten Bondi Beach verbringen wolle. Es war Sydneys wohl bekanntester Strand und ich war neugierig, ihn kennenzulernen.

Der Bus ließ uns direkt neben dem Bondi Pavillon aussteigen. Dieser war ein breites, weißes, prächtiges Gebäude mit vielen kleinen Torbögen. Daneben befanden sich viele kleine Imbissbuden, Cafés, schickere Bars und einige Souvenirshops. Sie führten die komplette Straße entlang, die sich parallel zum Strand befand. Wir überquerten die Straße, deren Fahrbahnen durch Palmen in der Mitte getrennt waren.

Der Strand war ein fröhlich buntes Mosaik aus Strandtüchern. Die Sonne strahlte kräftig vom Himmel und versetzte die Leute in gute Stimmung. Am rechten Ende des Strandes sah ich ein riesiges Schwimmbecken, das leicht über dem Meer lag. Bei jeder größeren Welle schwappte die Gischt in das Becken hinein. Einige Besucher saßen am Beckenrand und fanden es großartig, sich vom Weißwasser erwischen zu lassen. Chloé und ich genossen die Sonnenstrahlen auf unserer Haut und das Rauschen des Meeres bis die Sonne sich langsam verabschiedete und es begann kühler zu werden. Der Bondi Beach mochte wochenends zwar etwas überfüllt sein, aber er hatte dennoch einen ganz besonderen Charme. Ich nahm mir vor, bald hierher zurückzukehren.

Freitag, 26. September - Day 35

Die letzten vier Tage hatte ich den Pool ausgenutzt, lange Spaziergänge mit Sophia unternommen und war durch die Straßen Sydneys geschlendert. Heute begann endlich der Ausflug in die Blue Mountains. Ich war aufgeregt und voller Abenteuerlust. Mein Rucksack war fertig gepackt. Jetzt musste nur noch Sophia abgeholt werden und es konnte losgehen.

Adens Kumpel Mitch kam um kurz nach zehn. Ich war gerade am Frühstücken, als ich hörte, wie er meinen Namen rief: “Emily, are you there?“ Bevor ich überhaupt antworten konnte, stand er plötzlich schon mitten im Garten. Sophia war schneller als ich, rannte auf ihn zu und setzte sich direkt vor seine Füße. Ihr Schwanz wedelte aufgeregt.

“Hey Soph! How are ya, my cutie?” Er kraulte wie wild ihre Schlappohren. Dann wandte er sich zu mir: “I just need her lead and her box with the dry food in it. Could you please bring it to me?”

“Sure, just give me a second, I'll be right back.” Sobald ich ihm alles gebracht hatte, wuschelte ich noch einmal durch Sophias goldenes Fell und verabschiedete mich von ihrem neuen Herrchen für die nächsten Tage: “Thanks a lot, Mitch, for taking her.”

“No worries, have fun in the mountains, Fräulein.”

“You know that it's old-fashioned to say that? We actually don't use this word anymore”, erklärte ich ihm.

“Yeah, I do, but it sounds good. I like it!” Er grinste mich an. „Tschüüüs, Fräulein.”

Ich traf Chloé an der Bushaltestelle. Gemeinsam fuhren wir bis zur Central Station. Dort würden wir auf die anderen treffen.

“To which platform do we have to go?”, fragte ich Chloé.

“I think they wrote platform seven, but I'm not sure at all.” Ich schaute mich in der Bahnhofshalle um. Das Gebäude bestand aus rotem und weißem Sandstein. Unsere Köpfe wurden von einem halb tunnelförmigen Dach mit einem dünnen Streifen Glas ganz oben an der Decke, durch das das Tageslicht hereinschien, bedeckt. Nur wenige Leute liefen umher. Ich entdeckte eine riesige Anzeigetafel, die sich allerdings erst in dem Bereich des Bahnhofs hinter den Drehkreuzen befand, durch die man musste, um zu den Gleisen zu gelangen. Also kauften wir als Erstes unsere Zugtickets.

Auf der Tafel lasen wir schließlich: 12.20 - T - Blue Mountains Line Towards Lithgow via Parramatta - Platform 5. Wir liefen also zu Gleis fünf. Sobald wir uns dem Bahnsteig genähert hatten, erkannte Chloé ihren Kumpel Luc, der den ganzen Ausflug in die Wege geleitet hatte. Er hatte kurze schwarze Haare, war ein klein wenig größer als ich, in etwa ein Meter siebzig, trug einen Dreitagebart und grinste uns mit verschmitztem Lachen an.

“Aaaah, salut les filles!”, begrüßte er uns. Er küsste zunächst Chloé rechts links auf die Backe, dann lehnte er sich rüber zu mir. An diese französische Begrüßung musste ich mich erst noch gewöhnen. Von jemand völlig Fremden gleich abgeknutscht zu werden war schon eigenartig. Ein kurzer Handschlag hätte mir gereicht.

Der Zug rollte ein und begann mit unangenehm quietschendem Geräusch vor uns zu halten. Wir hatten zwar noch gute zehn Minuten Zeit bis der Zug abfahren würde, aber wir stiegen trotzdem schon einmal ein. Chloé und ich setzten uns nebeneinander hin, während Luc noch einmal ausstieg, um die anderen einzusammeln.

Ein paar Minuten später lernte ich Sebastien kennen. Ebenfalls Franzose, aus Lyon, wie er mir später erzählte. Er hatte noch kürzere, dunklere Haare als Luc, ein wenig abstehende Ohren und machte einen wirklich netten Eindruck. Chloé saß am Fenster. Luc hatte sich gegenüber von ihr hingesetzt und Sebastien neben ihn. Dann tauchten ein weiterer Junge und ein Mädchen auf. Im Gegensatz zu den anderen Jungs hob er nur kurz die Hand anstatt jedem Küsschen zu geben.

“Alain. Salut à tous!” Der Junge namens Alain setzte sich auf einen der vier Sitze nebenan. Er hatte braunes Haar, ein schmales Gesicht und war eindeutig ein Sonnyboy. Das Mädchen machte ihm die Begrüßung nach, streckte die Hand hoch, warf uns allen ein Lächeln zu und sagte: “Bonjour! I am Monique!” Sie trug ihre dunkelblonden Haare schulterlang. Mir fielen besonders ihre großen grünen Augen auf. Man konnte definitiv behaupten, dass sie hübsch war. Zudem versprühte sie einen ganz besonderen Charme. Ich konnte mir gut vorstellen, wie die Jungs bei ihr Schlange standen.

Während ich Monique weiter musterte, unterhielt sie sich angeregt mit Luc. Auch die drei um mich herum schienen tief in ein Gespräch verwickelt. Da sie sich auf Französisch unterhielten, strengte es mich allerdings ein wenig mehr an, alles zu verstehen.

“Oh, I'm sorry, we are not very polite speaking just in French while you can't understand us!”, entschuldigte sich Sebastien bei mir.

“Don't worry. I do understand parts of what you're saying and it's actually good practice. So please, keep talking in French. I like listening to it.”

Kurz darauf hörte man von draußen eine Durchsage. Der Zug wäre jetzt bereit abzufahren. Zeitgleich öffnete sich mit einem kräftigen Ruck die Durchgangstür, die zwischen hier und dem Abteil nebenan lag. Plötzlich, völlig abgehetzt, kam ein weiterer, junger Mann zu uns. An seinem Blick konnte man ablesen, dass er Luc kannte. Vermutlich kam er mit uns in die Berge. Irgendwie sah er älter aus als wir alle. Vielleicht lag es an seinem ernsten Gesichtsausdruck. Oder an seinem Bart, der so ziemlich die Hälfte seines Gesichtes verdeckte. Er hatte dunkelblonde, kurze Haare und trug als einziger aus unserer Gruppe nur eine kurze Hose und ein T-Shirt. Bevor er sich neben Alain auf einen der noch freien Fensterplätze setzte, warf er ein kurzes “Hi” in die Runde.

“Katoomba, biggest town in the Blue Mountains. That's where we have to go off, guys”, richtete sich Luc an uns alle. Dann stand er auf. “I‘m gonna tell it to the other ones as well…”

Was meinte er damit? Ich schaute ihm hinterher wie er ins nächste Abteil lief, aber leider konnte ich nicht allzu viel erkennen. Ich sah nur, wie er sich mit dem Kopf über einen Vierersitz beugte und redete. Ganz offensichtlich gehörten noch deutlich mehr Personen zur Gruppe. Als der Zug schließlich anhielt und wir alle ausstiegen, sah ich fünf Mädchen auf uns zukommen. Eine davon hatte lange, fast wasserstoffblonde Haare und war stark geschminkt. Die anderen vier waren alle brünett und eine von ihnen deutlich größer als die anderen.

Luc lief nach kurzem Warten voran. Wir anderen folgten ihm. Die Stadt wirkte nicht sonderlich groß dafür, dass sie hier in der Gegend die größte sein sollte. Wir mussten keine zehn Minuten laufen, bis wir an unserem Hostel ankamen. Luc lief voran an die Rezeption. Ein paar Minuten später kam er zurück. Wir bekamen ein Zwölferzimmer zugeteilt. Als jeder seine Sachen verstaut hatte, besprachen wir, wie der Rest des Tages aussehen sollte. Schnell war klar, dass alle zu den berühmten Three Sisters, einer besonders aussehenden Felsformation aus honigfarbenem Kalkstein, wollten. Danach würden wir gemeinsam irgendwo zu Abend essen.

Bis zu den Three Sisters brauchten wir eine knappe halbe Stunde. Zunächst liefen wir die Parker Street ab und bogen dann in die Katoomba Street ein, die uns durch die halbe Stadt und am Ende schließlich zur Echo Point Road führte. Währenddessen nutzte ich die Gelegenheit, die fünf Mädchen vom anderen Abteil etwas näher kennenzulernen.

Die Blondine namens Vanessa war, wie sich herausstellte, mit mir die einzige Deutsche und ebenfalls ein Au-Pair. Ein anderes Mädchen war Kanadierin. Sie erzählte mir, dass sie mit Monique, der Französin, hergekommen sei. Deren Gastfamilien wohnten genau nebeneinander. Die anderen drei waren Österreicherinnen, die sich schon vor Längerem angefreundet hatten, zusammen bereits die komplette Ostküste abgefahren waren und, mit Syndey als letzte Etappe, leider schon in einer Woche nach Hause fliegen würden. Ich fühlte mich wohl in unserer kunterbunt gemischten Gruppe.

Wir erreichten den Echo Point, den Aussichtspunkt, der einem den perfekten Blick auf die Three Sisters bot. Für die vielen Touristen, die täglich in Scharen hier eintrudelten, war extra eine Aussichtsplattform auf zwei Ebenen erbaut worden. Wir hatten Glück, denn es war bereits relativ spät und nur wenig andere Personen hielten sich hier noch auf. Aber nicht nur deshalb war unser Timing perfekt. Die Sonne stand bereits sehr tief und so wurde ein atemberaubend schönes goldenes Licht auf die drei Felsen geworfen. Jeder der drei Gesteinsbrocken war kegelförmig und hatte circa dieselbe Größe. Ich hatte sie bereits auf unzähligen Prospekten und Büchern abgedruckt gesehen. Zuhause in Reiseführern und ein Dutzend mal beim Circular Quay an den Ständen, die den Touristen mit abertausenden Flyern alle möglichen Unternehmungen schmackhaft machen wollten.

Eigentlich hätte man denken können, dass ich, bevor ich die Three Sisters in Echt überhaupt hatte bewundern können, mich schon längst sattgesehen hatte. Aber so war es nicht. Hier zu stehen und sie direkt vor mir zu haben, umgeben von solch schöner Natur, war unglaublich. Glücklich betrachtete ich die berühmte Felsformation. Und die Sage über sie, die ich schon vor einer Weile in einem Reiseführer gelesen hatte, nahm vor meinem inneren Auge immer mehr Gestalt an. Die Geschichte begann durchaus Sinn zu machen. Ich wollte gerne glauben, was die Aborigines in ihrer Traumzeit-Legende darüber erzählten: Ein Stammesführer verwandelte seine drei Töchter in Felsen, damit sie nicht von plündernden Feinden mitgenommen würden. Unglücklicherweise starb er während eines Kampfes und konnte den Zauber nicht wieder rückgängig machen.

Je länger ich die Felsformation anstarrte, desto mehr ließ ich mich von der Legende in Gedanken mitreißen.

“Emily, are you coming? Or do you wanna spend the night over there?” Schwuppdiwupp hatte man mich aus meiner Träumerei herausgerissen. Sebastien hatte mich freundlicherweise darauf hingewiesen, dass der Großteil der Gruppe schon weitergelaufen war. Dennoch nahm ich mir einen kurzen Augenblick Zeit um nochmals die Schönheit dieses Ortes in mir aufzunehmen. Hinter den Three Sisters lag in der Ferne das sogenannte Kings Tableland beziehungsweise Muggadah, wie der Gundungurra Stamm die Sandsteinklippen bezeichnete. Ließ ich meinen Blick langsam weiter nach rechts schweifen, so konnte ich, laut der Informationstafel vor mir, zunächst das Kedumba Valley, und dann den Mount Gibraltar, auch genannt The Gib, sehen, der mit seinen 863 Metern der höchste Punkt der Southern Highlands darstellte. Es folgte ein weiterer Berg namens Mount Solitary, der sich noch auf derselben flachen Bergkette sechs Kilometer vom anderen Berg entfernt befand. Und schließlich versuchte ich den sogenannten Coxs River zu erblicken, in den anscheinend alle Flüsse im Tal flossen. Leider erkannte ich rein gar nichts. Entweder war er zu weit weg oder er hatte zur Zeit kein Wasser.

Ich lief schließlich hinüber zu Sebastien, der auf mich wartete. Dann versuchten wir schnellen Schrittes die anderen einzuholen.

“Do you know where we're heading to?”, fragte ich neugierig.

“I think they said that they wanted to go to a waterfall.” Wir liefen ein Stück auf dem vorgesehenen Pfad bis uns schließlich ein Holzpfeil unser Ziel verriet: “Sebastien, look! The waterfall we're going to is called Katoomba Falls.” Immer wieder tauchten mit Geländer gesicherte Aussichtspunkte auf mit Namen wie Little Darley oder Cliff View Lookout. Es sah so unglaublich schön aus, wie sich die dichten Wälder und goldenen Felsen vor einem wie in einem Gemälde erstreckten.

Nach zwanzig Minuten erreichten wir bereits die Katoomba Falls. Der Wasserfall war klein und nicht sehr steil. Plötzlich beobachtete ich wie Alain, Luc und an der Spitze der andere Typ vom Zugabteil, dessen Namen ich noch immer nicht kannte, begannen, den Wasserfall hochzuklettern. Die Kanadierin folgte den Jungs, während Vanessa, die andere Deutsche, und die drei Österreicherinnen die Treppen nahmen, die ans obere Ende des Wasserfalls führten. Hinter mir tauchte Chloé auf.

“So, what's next?”, sagte ich zu ihr und Sebastien gewandt.

“We'll climb as well?”, meinte Chloé voller Tatendrang.

“All right! On y va!” Gehen wir!, appellierte ich auf Französisch. Chloé ging voraus und berührte als Erste das Gestein mit ihren Schuhen. Irgendwie hatte ich ihr das gar nicht zugetraut. Ich machte den ersten Schritt aufwärts und ärgerte mich leicht, dass ich ausgerechnet Stoffschuhe mit Gummi und ohne Profil anhatte. Je höher wir kamen, desto mehr bereute ich meine Schuhwahl. Abenteuer hin oder her, vielleicht hatte ich mich zu früh entschlossen, diesen Spaß mitzumachen. Über mir sah ich wie Alain und Luc in dem Moment nacheinander oben ankamen. Der andere Franzose stand noch in der Mitte des Wasserfalls und half Chloé gerade bei ihrem nächsten Schritt. Mittlerweile benutzte ich zum Klettern auch meine Hände. Ich blickte nach unten. Eigentlich nur um zu schauen, wie weit sich Sebastien von mir befand, aber der Blick ließ mich kurz erstarren. Woooouuuuh! Wie konnte es unter mir auf einmal so super steil aussehen, wo der Wasserfall vor ein paar Minuten doch noch so harmlos ausgesehen hatte.

“You're okay?”, fragte Sebastien besorgt.

“Yeah, yeah! It's fun, really”, flunkerte ich. Dabei sah ich mich bereits ausrutschen, rückwärts von den Katoomba Falls stürzen und am Ende direkt mit dem Kopf auf den Felsen aufprallen. Der Titel im Sydney Telegraph würde wohl lauten: Instantaneous death of German tourist after stupidly climbing Katoomba Falls! Ich beschloss, einfach nicht mehr nach unten zu schauen und mich stattdessen voll und ganz auf die nächsten Schritte zu konzentrieren.

“Hey! You! Sorry… I don't know your name but do you need some help?” Der Franzose, dessen Namen ich nicht kannte, streckte seine Hand in meine Richtung.

“Oh… ähm… yes, thank you!”, antwortete ich. Er nahm meine Hand und zog mich zum nächsten Felsvorsprung hoch.

“I'm Emily by the way.” Ich lächelte ihn an.

“My name is Mael”, sagte er und erwiderte mein Lächeln. Zum ersten Mal sah ich ihn mit fröhlicherem Ausdruck im Gesicht. Er schien wohl eher ein ernster Typ zu sein. Aber er hatte mir Gentleman-like die Hand gereicht. Das machte ihn sofort sympathischer. Wenig später kamen wir oben an. Ich hatte es geschafft. Ohne Sturz, ohne jegliche Verletzungen.

Inzwischen befanden wir uns auf einer großen Wiese und mindestens fünfzehn große, weiße Papageien pickten dicht beieinander im Gras herum. Bevor wir uns auf dem Blue Mountains Drive zurück in Richtung Hostel aufmachten, rannten Luc und Mael wie zwei kleine Jungs auf die Papageienschar zu. Das Ganze endete in einem riesigen, laut flatternden kreischenden Spektakel. Während wir zurückliefen setzte die Dunkelheit schließlich ein und schnell wurde es sehr kühl. Im Hostel angekommen versammelten sich einige der Mädchen fröstelnd vor dem Kamin, während die Jungs begeistert ein paar Runden Billard spielten. Irgendwann hatten auch Monique und ich Lust mitzuspielen. Also forderten Mael und Alain uns zu einem Spiel heraus. Wir Mädels gaben uns gar nicht so schlecht, aber man merkte sofort, dass die beiden Jungs schon deutlich öfter gespielt hatten. Sie tauschten Strategien aus, redeten über den perfekten Winkel und anderes Zeug. Wie nicht anders zu erwarten, gewannen die beiden.

Für eine weitere Runde würden wir die Partner tauschen. Da Monique mit Alain ein Team bilden wollte, taten Mael und ich uns zusammen. Es stellte sich heraus, dass Monique auf den falschen Partner gesetzt hatte, denn was Mael da gerade ablieferte, beeindruckte ganz schön. Er hatte es wirklich drauf. Und er schien dabei auch eine ganze Menge Spaß zu haben, denn plötzlich lachte und scherzte er. Das Ernste in seinem Gesicht war verschwunden.

“Just one more! Last one! You can do it!“, feuerte mich Mael an. Wenn ich die Kugel versenkte, hatten wir gewonnen. Ich lehnte mich über den Tisch, die Kugel im Visier, den Billardstock fest im Griff. Mit der richtigen Kraft, nicht zu schwach und mit nicht zu viel Energie, traf die Spitze des Stocks auf die Kugel. Diese prallte auf die nächste, und zwar genau auf diejenige, die ich auch beabsichtigt hatte, zu treffen. Sie steuerte geradewegs auf das richtige Loch zu und plopp, versenkt! Mael strahlte mich an und streckte seine Hand zu einem High Five aus. Ich klatschte ab. Alain und Monique reichten uns die Hände.

“Good match, guys! Congrats!“, meinte Alain. Dann war es an der Zeit, ein Restaurant zu finden, das einem Backpacker- und Au-Pair-Budget gerecht werden würde. Auf Katoombas Hauptstraße fanden wir eine Pizzeria. Der Kellner schien ganz entzückt bei dem Anblick einer zwölfköpfigen, hungrig aussehenden Gruppe, die gerade zur Tür hereinschneite.

Wir saßen alle aneinandergequetscht an einer Tafel aus zwei zusammengeschobenen Tischen. Die drei Österreicherinnen, die Kanadierin, Chloé und Monique auf der einen Seite; gegenüber saßen Mael, Alain und links von mir Sebastien. Zu meiner rechten befand sich Vanessa, und Luc war dicht an sie gerückt.

Während wir auf die Speisekarte warteten, unterhielt ich mich mit Sebastien. Er war wirklich ein total netter Typ. Die Sorte Mann, die einem treu erschien. Weder Nerd noch Freak, zurückgeblieben oder immer noch pubertierend. Nein, er schien anständig und hilfsbereit und wie jemand, auf den man sich verlassen konnte. Je mehr ich über ihn erfuhr und ihn kennenlernte, desto trauriger fand ich es, dass er als Backpacker nicht ewig in Sydney bleiben würde.

Während ich mit einem Ohr Sebastien zuhörte, merkte ich wie Luc heftig mit Vanessa flirtete. Er machte keinen Hehl daraus, dass er etwas von ihr wollte. Die ganze Gruppe bekam das Techtelmechtel mit und jeder grinste amüsiert in sich hinein.

Samstag, 27. September - Day 36

Von einem sehr nervigen Handyklingelton einer der anderen Personen im Raum wachte ich auf. Ich hatte in einem der oberen Betten geschlafen, kletterte hinunter, entfernte das Ladekabel von meinem Handy und schaute auf den Bildschirm. Acht Uhr. Eigentlich gar nicht so früh, aber ich fühlte mich keinesfalls fit genug, um wandern zu gehen. Den leeren Betten nach zu urteilen, mussten die meisten bereits beim Frühstück sein. Ich beeilte mich, meine Klamotten aus dem Rucksack zu kramen und schnellstmöglich im Bad zu verschwinden. Irgendwie war es unangenehm mit so vielen Leuten, Jungs und Mädchen gemischt, in einem Raum zu sein. Ich hatte eigentlich keine Lust, dass Mael oder Luc mich mit zerzausten Haaren und Schlafanzug sahen. Aber es war zu spät. Mael stieg vom Hochbett herunter, während ich noch in meinem Rucksack wühlte.

“Morning, Emily!“, begrüßte er mich.

“Oh, hi, good morning“, sagte ich mit noch belegter Stimme.

Na super. Ausgerechnet jetzt musste er aufwachen und mich so sehen! Als ich wieder aus dem Bad trat, fühlte ich mich schon viel besser. Ich hatte eine lange Hose und ein T-Shirt angezogen. Außerdem gab ich meinen Stoffschuhen eine zweite Chance. Wenn sie mich gestern schon nicht die Katoomba Falls hatten herunterstürzen lassen, dann würden sie mir heute wohl auch kein Unglück bringen. Was konnte man in den Bergen schon Gefährlicheres anstellen, als einen Wasserfall hochzuklettern?

Wir liefen zur Bahnstation und stiegen für ein kurzes Stück in den Zug ein. Unser heutiges Ziel waren die Wentworth Falls. Die Strecke, die zum Wasserfall führte, war gigantisch. Zum ersten Mal in meinem Leben fand ich wirklich Gefallen am Wandern. Wahrscheinlich lag es aber auch einfach daran, dass es viel mehr Klettern als einfaches Laufen war.

Die Route wurde mit der Zeit immer anspruchsvoller. Es ging steile Treppen hinunter. Ein paar Mal mussten wir eine Leiter hinunterklettern, die von einer Art Käfig umringt war, der die Leiter bis unten hin umzäunte. Der gesamte Weg war naturbelassen, weswegen man öfter einmal einen Blick auf den Boden werfen musste, um nicht über Wurzeln oder Steine zu stolpern. Ich hatte das Gefühl immer mehr in New South Wales „Dschungel“ einzutreten. Durch die vielen Eucalyptusarten und die kunterbunten Papageien um mich herum wirkte alles so tropisch. Die Sonne wurde gegen Mittag immer intensiver. Es tat gut, die Wärme auf der Haut zu spüren.

“Emily? … Em?“ Ich drehte meinen Kopf zu Sebastien, der direkt neben mir lief. Er pflückte gerade ein Blatt ab. Es war dunkelgrün und lief oben spitz zu. Er knickte es in der Mitte, sodass es fast riss und streckte es mir vors Gesicht.

“Smell! That's eucalyptus“, erklärte er mir. Ich roch daran. Es war ein unglaublich aromatischer, verlockender Duft.

“It smells so good! How did you know it's eucalyptus?“, fragte ich. Er zeigte auf den rötlichen Stängel. “See? That's how I recognize it!“ Der Geruch machte süchtig. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen. Jedes mal wenn Sebastien vor oder neben mir lief, fragte er, ob ich ein Eucalyptusblatt wolle. Ich hielt das Blatt vor meine Nase und sog den Duft ein wie eine Droge. War mein neugewonnener, eigentlich doch anständiger Kumpel etwa zu meinem Drogendealer geworden?

Gegen ein Uhr Mittags erreichten wir den unteren Teil der Wentworth Falls. Wir legten eine längere Pause ein und aßen unsere Sandwichs. Dabei saßen wir alle nebeneinander auf einem Baumstamm, der beim letzten Sturm umgeknickt sein musste. Zu unseren Füßen lag der kleine See, in den der Wasserfall stürzte. Die vier Franzosen, die bereits während des Wanderns bei jedem Aussichtspunkt über die Absperrungen gestiegen waren, kletterten auch hier sofort wieder auf dem Wasserfall herum.

Die Wentworth Falls waren geschätzt siebenmal so hoch wie die Katoomba Falls. Und es sah schon von Weitem total glitschig aus. Kritisch beobachtete ich die Jungs und wartete nur darauf, bis einer der Verrückten in den viel zu flachen See stürzen würde. Andererseits sah es wirklich aufregend und spektakulär aus wie die vier, die nur noch so groß waren wie Playmobilmännchen, hinter dem Vorhang aus Wasser herumliefen.

Nach der Mittagspause lief ich eine Weile neben Monique. Je länger wir miteinander redeten, desto besser verstanden wir uns. Wir lachten ununterbrochen und machten bereits Pläne, was wir in Sydney alles gemeinsam unternehmen wollten. Hauptsächlich unterhielten wir uns jedoch über unseren Alltag als Au-Pair.

“You know the worst sentence Mia’s always saying is ‘Can you wipe my bottom, please?‘ I mean, damn, this girl is already four years old! I hate it when she's asking me to do that. I know she's able to do it on her own. She's just too lazy“, verriet ich ihr.

“No, no, no! The worst thing is when your host mum is talking to you about her sex life with your host dad!“, meinte Monique.

“Are you kidding? No way! That must be so awkward!“

“It is! You've got no idea what she's telling me all about! And then there's her personal tennis teacher… I met him once, he's so hot! I don't know if they've got a thing goin' on but…“

“An affair you mean? Oh my gosh, your poor host dad. But is your host mum so good-looking? I thought her teacher is something like 26 and your host mum is…?“

“You're right, he's even two years younger and Jenna is forty but she still has a damn hot body because she's doing a lot of sport. When I'm gonna be at that age, I wanna look like her!“

“Giiiiirls, stop talking and giggling so much. You two are going to be lost soon if you're not walking faster“, rief uns Luc von vorne zu. Wir rannten ein kurzes Stück um näher an den anderen dran zu sein. Sebastien und Alain liefen jetzt nur noch ein paar Meter vor uns. Dann meinte Monique auf einmal: “You know, I actually don't really like German people, but you're an exception. You seem to be very kind and funny. I like you! You're my favourite German.“

“No! She's already my favourite German girl!“, protestierte Alain gespielt.

“Well… thanks, but what's wrong with my nationality? Have you ever been to Germany? Did you meet a lot of Germans yet?“ Bevor Monique selbst antworten konnte, mischte sich Alain erneut ein und übernahm das für sie: “She's from Strasbourg. For sure she has been in Germany once. And she maybe doesn't like other Germans because there are more of them than French people in her city. I mean… isn't Strasbourg actually belonging to your country, Em?“, neckte er Monique.

“Arrr, shut up, man!“, meinte Monique etwas gereizt. Eine Antwort auf meine Frage bekam ich von ihr leider nicht mehr.

Zurück im Hostel hatten die drei Österreicherinnen den Zug zurück nach Sydney nehmen müssen. Und auch Vanessa war zurück zu ihrer Gastfamilie gefahren, da die Eltern dringend einen Babysitter brauchten. Luc sah deshalb ein wenig niedergeschlagen aus, hatte sich aber nach dem Abendessen schnell wieder eingefangen. Ich beschloss, mich diesmal schon früher schlafen zu legen. Von morgens bis abends an der frischen Luft zu sein raubte mir all meine Kraft. Ich war todmüde!

Sonntag, 28. September - Day 37

Den Sonntag ließen wir gemütlicher angehen. Wir fuhren mit dem Zug bis nach Blackheath und entschieden uns, auf dem Pulpit Rock Track zu wandern. Die Route führte uns an der Kante der Felswand entlang zwischen Govetts Leap und Pulpit Rock. Bis Govetts Leap dauerte es eineinhalb Stunden und zurück nach Blackheath würden es circa drei Stunden sein. Die Route war als mittelschwer eingestuft. Das machte Sinn. Gestern waren wir abertausende Steine hinauf und hinuntergestiegen und Leitern hoch und heruntergeklettert. Und heute verlief der Weg meist flach. Die Wege waren perfekt. Es hatte keine Wurzeln oder Steine, auf die man besonders Acht geben musste. Stattdessen führte uns die Route zu wunderschönen Felsvorsprüngen, von denen aus man in die Tiefe blicken konnte, auf ein dichtes Grün.

Von einer der Informationstafeln erfuhren wir nun auch woher die Blue Mountains ihren Namen bekommen hatten. Die Ursache des scheinbar blauen Schleiers über den Bergen war in Wirklichkeit ein feiner Nebel aus Eucalyptusöl, das ständig in den dichten Wäldern ausgeschieden wurde. Durch das Brechen der Tröpfchen im Sonnenlicht sah das Ganze dann aus wie gemalt.

Am Mittag konnten wir beobachten, wie sich ein paar Touristen von den Empress Falls abseilten. Sie trugen alle schwarze Neoprenanzüge, Gurte und Helme. Ich fragte mich, wie kalt das Wasser war. Dabei schüttelte es mich innerlich. Die Sonne schien zwar, aber nicht so intensiv wie die Tage zuvor. Und außerdem lag der Wasserfall komplett im Schatten.

Gegen Nachmittag liefen wir dann zum ersten Mal während dieses Ausflugs auch an rabenschwarzen, verkohlten Bäumen vorbei. Ich war geschockt vom Anblick. Immer wenn zuhause in den Nachrichten von Australien die Rede war, kamen entweder Berichte über Haie oder riesige furchtbare Buschbrände. Die Bilder vom Fernsehen schossen mir sofort durch den Kopf: Feuerwehrmänner mit ihren gelben Anzügen, weißen Helmen und rußverschmierten Gesichtern, die mit aller Kraft versuchen gegen die meterhohen, züngelnden Flammen anzukämpfen. Dann das lodernde rote Feuer, das wie ein Monster den kompletten Bildschirm bedeckte. Und schließlich die Aufnahmen danach: Dutzende verletzte Koalabärchen und riesige ausgebrannte grauschwarze Flächen.

Sebastien meinte, dass es aber vielleicht sogar mit Absicht gelegte Feuer sein könnten. Er hätte einmal einen Bericht darüber gelesen, wie man Buschfeuer versuchte zu lenken, sodass diese an bestimmten Stellen erst gar nicht ausbrachen.

Manche Bäume hatten einen schwarzen, verkohlten und einen im Vergleich fast golden aussehenden Teil. Der Kontrast war faszinierend. Es hatte etwas Schönes an sich, zu sehen, wie neben dem vielen Verbrannten vereinzelt neue Pflanzen heranwuchsen und sich das Leben seinen Weg von Neuem bahnte.

Den letzten Wasserfall erreichten wir als es bereits anfing zu dämmern. Wir befanden uns oberhalb des in die Tiefe stürzenden Flusses. Eigentlich hätte man sich hier gar nicht aufhalten dürfen. Diesmal aber waren wir alle über die Absperrung geklettert. Ich hatte nicht vor bis ganz vorn zur

Kante zu laufen. Der männliche Part unserer Gruppe hatte jedoch andere Pläne. Ich konnte es nicht fassen, als Luc, Mael, Sebastien und Alain plötzlich nur Zentimeter entfernt alle nebeneinander vor der Felswand standen, an den Reißverschlüssen ihrer Jeanshosen fummelten und schließlich hinunterpinkelten. Sie brüllten und lachten dabei. Typisch Mann. Monique und ich schüttelten lachend unsere Köpfe. Danach stiegen wir erneut über die Absperrung und traten den Rückweg an. Den letzten Zug nach Sydney wollte keiner von uns verpassen.

Mael saß mir direkt gegenüber. Es wunderte mich, dass er auf einmal so gesprächig war. Ich erfuhr, dass er direkt aus Paris kam. Er hatte nicht immer so zentral in der Innenstadt gewohnt, aber nachdem sein Großvater verstorben war, hatte seine Mutter die Wohnung geerbt und war mit ihm und seinen Geschwistern eingezogen. Ich fragte ihn: “And what exactly are you doing here in Sydney? You're a backpacker just like Alain and Sebastien?“

“No, not exactly. I'm living together with friends of friends of my mum. They're really nice.“

“Friends of friends? That sounds complicated.“