Küsse im Mondschein - Barbara Cartland - E-Book

Küsse im Mondschein E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Lady Athena Wade eine junge und reiche Engländerin und Tochter des vierten Marquis von Wadebridge findet sich in Griechenland im Palast des Prinz Yiorgos von Pamassus wieder. Ihre aus Griechenland stammende Großmutter hatte ihr nicht nur ihre Liebe für Griechenland, die griechische Kultur und Mythologie vererbt, sondern hat auch eine Heirat mit dem griechischen Prinzen Yiorgos von Pamassus arrangiert. Der Prinz regiert eine verarmte Provinz und ist in einer misslichen finanziellen Lage und sucht eine vermögende Braut. Von Zweifeln geplant, da der Prinz bei ihrer Ankunft nicht im Palast ist, beschließt Athena das Orakel von Delphi aufzusuchen, um Apollo um Rat zu bitten. Sie macht sich allein auf den Weg und gelangt per Schiff und Pferd zum Tempel. Dort trifft sie auf den Griechen Orion, der ihre Begeisterung für die griechische Mythologie teilt und der ihrer Vorstellung eines griechischen Mannes entspricht. Ein entlaufener Mörder macht die Gegend unsicher und bedroht Athena. Orion beschützt sie – aber wird er sie auch aus der Höhle des Räubers befreien können, nachdem dieser Athena entführt hat und was wird der Prinz zu Athenas Abenteuern sagen? Wird Apollo Athena richtig leiten?

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DIE HAUPTPERSONEN DIESES ROMANS

Lady Athena Wade

träumt im Londoner Nebel von der heißen Sonne Griechenlands. Plötzlich erfährt sie, dass sie einen griechischen Prinzen heiraten soll.

Orion Theodoros

ein geheimnisvoller Grieche, taucht aus dem Nichts auf und verschwindet ebenso plötzlich wieder, wie er gekommen ist.

Prinz Yiorgos von Pamassus

regiert eine verarmte griechische Provinz und sucht dringend eine reiche Frau, weil er finanziell in der Klemme ist.

Die Autorin über diesen Roman

Als ich Delphi im Jahre 1976 zum ersten Mal besuchte, war ich so fasziniert von dem einmaligen Zauber dieser wunderschönen griechischen Landschaft mit ihren reichen antiken Schätzen, dass ich Ihnen in diesem Roman davon erzählen möchte.

Delphi war schon im achten vorchristlichen Jahrhundert Sitz des berühmten Orakels und der Apollon-Tempel das größte religiöse Zentrum Griechenlands. An jedem Siebten im Monat strömten aus allen Teilen des Landes die Ratsuchenden zusammen, um hier die Weissagungen des Gottes Apoll aus dem Mund der tiefverschleierten Pythia auf dem lorbeerbekränzten Dreifuß zu hören. Was für uns heute Wahrsager, Horoskope und die Astrologie - waren für die zukunftshungrigen Griechen die Prophezeiungen der Priesterin. Und zahlen musste man auch schon damals für den Blick in die Zukunft. So opferte jeder Ratsuchende auf dem großen Altar des Apolls einen Honigkuchen, den ihm die Orakelpriester schon vorher für teures Geld verkauft hatten . . .

Erstes Kapitel ~ 1852

Athena trat durch die Fenstertür ihres Schlafzimmers auf den Balkon hinaus, um die Aussicht zu genießen.

Jedes Mal, wenn sich ihr hier in Griechenland eine neue Aussicht bot, meinte sie, dass diese noch schöner sei als jede andere zuvor. Und doch schien es unmöglich, dass etwas reizvoller sein konnte als die blaue Wasserfläche des Golfs von Korinth.

Die untergehende Sonne vergoldete die Ufer mit ihrem Licht, das sich in weiter Ferne in ein Purpurrot verwandelte und schließlich in dunstiges Grau überging, dort, wo Himmel und Erde ineinander verschwammen.

Athena wusste, dass die Sonne hinter dem Palast bizarre Schatten auf die Hänge warf. Der Sommer-Palast des Prinzen von Parnassus hob sich wie eine schimmernde Perle von den hinter ihm liegenden Bergen ab.

Alles, so empfand sie, war umgeben von etwas Geheimnisvollem und Wunderbarem, wie sie es noch nie gesehen hatte, obwohl sie sicher gewesen war, dass Griechenland in Wirklichkeit viel atemberaubender sein würde, als sie es sich in ihren kühnsten Träumen vorgestellt hatte.

Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich danach gesehnt, Griechenland zu erleben.

Schon als Kind hatte sie von ihrer Großmutter, der verwitweten Marquise, Geschichten über die griechischen Götter und Göttinnen gehört, über Pan, der unter Olivenbäumen auf seiner Flöte blies, und über Zeus, der in seiner ganzen Majestät auf dem Gipfel des Olymps thronte.

Während sich andere Kinder an den Märchen von Aschenputtel und Hänsel und Gretel erfreuten, hatte Athena gelesen, welche Verehrung man der Göttin entgegenbrachte, deren Namen sie trug.

Es war jedoch nicht so, dass man sie in England mit diesem Namen ansprach.

Für ihre Familie war sie Mary Emmeline, und für die übrige Welt war sie Lady Mary Emmeline Athena Wade, die Tochter des vierten Marquis von Wadebridge, und als diese in der Gesellschaft eine wichtige Persönlichkeit.

Die Sonne war noch tiefer gesunken. Das Wasser des Golfs glitzerte jetzt wie flüssiges Gold. Dieses reflektierende Licht und die transparente Helle des Himmels blendeten Athena fast.

Sie erinnerte sich, dass ihre Großmutter einmal gesagt hatte: Die Griechen werden niemals müde, das Erscheinen von Licht und Helligkeit zu beschreiben. Sie lieben das Glitzern feuchter Dinge, der meerüberspülten Steine, der Fische, deren silberne Körper in den Netzen schimmern.

Athena verglich den Sonnenuntergang mit dem Erlebnis vom Morgen, als sie früh aufgestanden war, um ‚die rosenfingrige Morgenröte‘ zu sehen. Sie hatte sich vorgestellt, dass Apollo sein ganzes Licht über den Himmel verströmte, Millionen von Lichtfünkchen aufblitzen ließ, dass er alles heilte, was er berührte, und die Mächte der Finsternis vertrieb.

Apollo war für sie etwas Reales, wie die Großmutter es ihr erklärt hatte. Er war nicht nur die Sonne, sondern auch der Mond, die Planeten, die Milchstraße und die winzigsten Sterne.

Er ist das Glitzern auf den Wellen, hatte die alte Marquise gesagt, er ist das Leuchten in den Augen, das seltsame Flimmern von Kornfeldern in dunkelster Nacht.

Athena hatte alles gelesen, was sie von den griechischen Dichtern, die über das Licht geschrieben hatten, finden konnte. Sie erinnerte sich an Verse von Pindar, die sie aber zu ihrer Enttäuschung nicht mehr ganz genau zitieren konnte.

„Alle sind wir Schatten.

Doch wenn das Licht kommt

aus den Händen der Götter,

dann fällt das göttliche Licht

auch auf uns Menschen.“

Würde das göttliche Licht auch auf sie fallen? Und wenn es geschah, was würde sie empfinden?

Plötzlich wurde es Athena bewusst, dass die Zeit voranschritt und dass man sie zum Abendessen unten erwartete. Sie verließ den Balkon, durchquerte ihr Zimmer und trat an das Geländer am oberen Treppenabsatz.

Wieder war es der Anblick von Schönheit, der sie aufmerken ließ. Die anmutig geschwungene Steintreppe, die Mosaiken an den weißen Wänden und die hohen Fenster, durch die sie die in allen Farben leuchtenden Blumenrabatten auf dem grünen Rasen sehen konnte.

Sie verhielt unwillkürlich den Schritt, weil dies alles so überwältigend schön war. In diesem Moment hörte sie von unten eine Stimme, die auf Griechisch sagte:

„Soll das bedeuten, dass Sie mir keine Neuigkeiten von seiner Hochzeit bringen?“

Athena wusste, wer da sprach. Es war die tiefe, ziemlich heisere Stimme des Hofmarschalls des Prinzen, Oberst Stefanatis.

„Nein, Exzellenz“, antwortete eine jüngere Stimme. „Ich bin an allen Orten gewesen, die Sie mir genannt haben. Aber ich fand keine Spur von Seiner Hoheit.“

Es entstand eine Pause, bis der Oberst, fragte: „Waren Sie auch in Madame Helenas Villa?“

„Ja, Exzellenz. Sie ist vor einer Woche abgereist. Die Dienerschaft weiß nicht, wohin sie gefahren ist.“

Wieder folgte eine Pause, die, wie Athena zu spüren meinte, bedeutungsvoll war. Dann sagte der Hofmarschall mehr zu sich selbst: „Eine unmögliche Situation, einfach unmöglich.“ Plötzlich erklärte er scharf: „Sie ruhen sich jetzt besser aus, Hauptmann. Ich werde Sie bitten müssen, morgen wieder aufzubrechen.“

„Sehr wohl, Exzellenz.“

Athena hörte das Zusammenschlagen der Hacken, als der junge Offizier salutierte, dann entfernten sich seine Schritte. Athena ging die Treppe hinunter und zwang sich, unbefangen zu erscheinen, so als hätte sie nichts von dem gehört, was eben gesprochen worden war.

Wenn der Oberst die Situation unmöglich fand, so war sie für Athena geradezu ungeheuerlich.

Sie war von England nach Griechenland gekommen, weil ihre Großmutter eine Heirat zwischen ihr und dem Prinzen Yiorgos von Parnassus arrangiert hatte.

Das war das Ergebnis von Verhandlungen, die die Marquise fast zwei Jahre lang beschäftigt hatten.

Obwohl Xenia Parnassus nur eine entfernte Verwandte des Prinzen war, hatten die Bindung an die Familie und das Blut ihrer Vorfahren, das in ihren Adern pulsierte, sie nicht ruhen lassen.

Durch ihre ungewöhnliche Schönheit war es ihr gelungen, die englische Gesellschaft sofort für sich zu gewinnen, nachdem der dritte Marquis von Wadebridge von einer Suche nach griechischen Altertümern nicht nur eine Sammlung von Vasen, Statuen und Urnen mitgebracht hatte, sondern auch eine Ehefrau.

Die Griechen waren sehr leichtfertig, was ihre Schätze anging, wie Athena in Athen hatte erfahren müssen. Sie waren nicht besonders an dem interessiert, was sie Ruinen nannten.

Voll Zorn hatte der Dichter Lord Byron die Handlungsweise Lord Elgins als Vandalismus bezeichnet, als dieser Marmorfiguren und Reliefs nach England bringen ließ. Von dieser Zeit an reisten Dutzende von englischen Aristokraten nach Griechenland, um sich antike Schätze zu holen.

Mit leidenschaftlichen Worten hatte Byron diese Plünderungen angeklagt. Doch niemand hörte auf ihn. Und so wurden Landhäuser in England und Museen in ganz Europa mit Beutestücken aus Griechenland vollgestopft.

Nachdem Xenia Parnassus eine Marquise von Wadebridge geworden war, kehrte sie nie mehr in ihr Heimatland zurück.

Sie schenkte ihrem sie bewundernden Ehemann sechs ungewöhnlich hübsche Kinder. Und doch entsprach keines von ihnen ihren Ansprüchen an echte Schönheit - bis ihr Enkelkind Athena geboren wurde.

Gleich nachdem sie das Baby zum ersten Mal sah, hatte die Marquise gewusst, dass dies das Kind war, das sie sich immer gewünscht hatte: ein Kind, das jener Göttin glich, die ihr mehr bedeutete als alle Heiligen des Kirchenkalenders.

„Ich bestehe darauf, dass sie den Namen Athena bekommt“, sagte sie energisch.

Die Familie protestierte. Die Wades hatten nie etwas für phantasievolle Namen übriggehabt, und die erste Tochter des Marquis musste auf den Namen Mary getauft werden. So wollte es die Tradition. Dann auf den Namen Emmeline, nach einer berühmten Ahnfrau, deren Porträts an den Wänden von Wadebridge Castle hingen.

Es hatte die Marquise viel Beharrlichkeit gekostet, ihren Willen durchzusetzen. Schließlich wurde das Kind auf die Namen Mary Emmeline Athena getauft. Dieser dritte Name wurde jedoch nie benutzt - außer von der Marquise und ihrer Enkeltochter.

„Natürlich möchte ich Athena genannt werden, Großmama“, hatte sie gesagt, als sie neun Jahre alt war. „Es ist ein schöner Name. Mary finde ich langweilig, und Emmeline klingt komisch.“

Sie hatte dabei ihre schmale Nase gekräuselt, die schon im Kindesalter von der gleichen Makellosigkeit war, wie die der Statue, die ihr die Marquise im Britischen Museum gezeigt hatte.

Von da an war die Göttin Athena für das Kind so real wie ein Mitglied der Familie.

Die Großmutter erzählte ihr von Athena, der Göttin der Krieger, mit dem erhobenen Speer, von Athena, der Beschützerin, die mit mütterlicher Sorge auf ihre Schützlinge niederblickte.

Doch am wichtigsten war Athena, die jungfräuliche Göttin, rein und kraftvoll, die über die Unantastbarkeit ihrer Stadt wacht und auch die Göttin der Liebe ist.

„Sie war es, zu der die Frauen gebetet haben, wenn sie sich Kinder wünschten“, erklärte die Marquise.

„Hat sie ihnen die Liebe gebracht?“ fragte Athena.

„Ja, und weil sie liebten und geliebt wurden, hatten sie schöne Kinder, schön an Körper und Seele.“

Als die Marquise älter wurde, fanden die anderen Mitglieder der Familie, dass sie ihnen mit ihrer Vorliebe für Griechenland und ihren endlosen Geschichten über die Götter der Antike auf die Nerven ging.

Doch für Athena waren sie fesselnd und immer wieder aufregend.

Es war daher für sie ganz selbstverständlich und natürlich, dass ihr die Großmutter, als sie achtzehn Jahre alt wurde, erzählte, ihre Verheiratung mit dem Prinzen von Parnassus sei arrangiert worden und sie müsse nach Griechenland reisen, um mit ihm zusammenzutreffen.

Mehr unbewusst hatte sie festgestellt, dass diese Heirat schon seit längerer Zeit geplant worden sein musste. Deshalb wohl hatte die Großmutter wiederholt die Vorzüge und die Ungewöhnlichkeit des jungen Mannes herausgestellt, den sie noch nie gesehen hatte.

„Er ist stark und attraktiv, ein tatkräftiger Mann, dem das Volk vertraut“, sagte die Marquise lobend. „Er wird dir gefallen.“

Und weil er ein Grieche war, zweifelte Athena keine Sekunde daran.

Jetzt befand sie sich hier im Palast des Prinzen, um ihn endlich kennenzulernen. Sie wusste, dass diese Geschichte mit dem Läuten der Hochzeitsglocken enden sollte. Aber wie sollte das geschehen, wenn der Prinz nicht da war?

Offenbar lag ein Missverständnis vor, dachte Athena. Deshalb wohl hatte sie der Prinz nicht am Kai erwartet, als das Schiff, das sie von Germeno brachte, in dem kleinen Hafen von Mikis anlegte.

Der Prinz hatte ihrer Tante, Lady Beatrice Wade, einen liebenswürdigen Brief geschrieben, in dem stand, er sei unglücklich, sie nicht in Athen treffen zu können, dass er sich aber freue, sie in seinem Sommer-Palast zu begrüßen, sobald sie dorthin zu kommen wünschten.

Zuerst war geplant gewesen, dass sie nach ihrer Ankunft aus England mindestens drei Wochen in Athen bleiben würden. Dort gab es viele Mitglieder der Familie. Auch hatte König Otto den Wunsch, die künftige Braut des Regenten einer der Provinzen seines Landes bei Hofe zu sehen und vorzustellen.

Nachdem Griechenland unabhängig geworden war, wurde es ein Königreich. König Otto, ein Sohn des Bayernkönigs Ludwig I., wurde von ausländischen Mächten auf den Thron Griechenlands berufen. Trotz seiner freundlichen Gefühle für das Volk, das er regierte, war er nicht sehr beliebt.

Doch selbst König Otto, so dachte Athena jetzt, kann in dieser Situation keinen Prinzen herbeizaubern. Einen Prinzen, der auf geheimnisvolle Weise in genau dem Augenblick verschwand, in dem er seine künftige Braut empfangen sollte.

Dazu hatte Lady Beatrice, ihre Tante, einiges zu bemerken.

„Ich kann das einfach nicht verstehen, Mary“, sagte sie aufgebracht. „Bestimmt wird dein Vater es als Beleidigung empfinden, dass der Prinz nicht hier ist, um dich zu begrüßen.“

„Er hat wahrscheinlich geglaubt, dass wir länger in Athen bleiben würden“, meinte Athena.

„Ich habe aber einen Boten vorausgeschickt. Offen gesagt glaube ich die Geschichte nicht, dass er irgendein Provinznest besucht, das so abgelegen ist, dass man sich nicht mit ihm in Verbindung setzen kann.“

„Wo sollte er denn sonst sein?“ fragte Athena ein wenig hilflos.

Selbst wenn es keine Beleidigung war, so war es immerhin kein ermutigendes Willkommen für eine Braut, die den weiten Weg von England gemacht hatte, um ihren Bräutigam zu besuchen.

Athena blickte auf das Meer hinaus. Ihre Stirn war nachdenklich gerunzelt.

Sie hatte bei ihrer Ankunft in Athen gehört, dass der Prinz einen Bart trug. Als sie etwas überrascht gewesen war, sagte man ihr, dies sei Tradition in der griechischen Marine, in der auch er gedient habe. Wie die meisten Griechen war er mehr auf dem Meer zu Hause als auf dem Land.

Vielleicht ist er zu fernen Ufern gesegelt, dachte Athena, oder durch die Meeresenge am westlichen Ausgang des Golfs zu dem Ionischen Meer.

Dort konnte er ein paar der vielen Inseln besucht und vielleicht vergessen haben, wer auf seine Rückkehr in den Palast wartete.

Aber wenn sie auch alle möglichen Entschuldigungen für ihn erfand, so war es doch ein bedrückender Gedanke, dass seit ihrer Ankunft bereits drei Tage vergangen waren und es noch immer kein Zeichen von dem Prinzen gab.

Die Unterhaltung, die sie oben an der Treppe belauscht hatte, bot nun eine Erklärung, an die sie noch gar nicht gedacht hatte.

Wer war Madame Helena?

Athena war auf dem Land aufgewachsen und wusste nichts von den Intrigen und den lockeren Sitten in der Gesellschaft. Aber beim Lesen der griechischen Mythologien war ihr nicht entgangen, dass die Liebe die Götter sehr in Anspruch genommen hatte und dass sie immer wieder von schönen Frauen entzückt gewesen waren.

Und zum ersten Mal seit ihrer Abreise aus England stellte sich Athena die Frage, ob ihre Ehe überhaupt glücklich werden konnte.

Sie war von allem, was ihr die Großmutter erzählt hatte, fasziniert gewesen; diese Geschichten hatten ihre Jugend verzaubert, und in ihren romantischen Träumen hatte sie den Prinzen bis jetzt gar nicht als einen Mann gesehen.

Er war für sie eine mythische Figur gewesen, so schön und erhaben wie die Götter selbst. Nie hatte sie sich ihn als menschliches Wesen vorgestellt, als einen Mann, zu dem sie gehören würde, einen Mann mit den Wünschen und Gefühlen anderer Männer.

Nun aber, als erwache sie aus einem Traum, erkannte Athena, dass der Prinz von Fleisch und Blut war. Er hatte sie nie gesehen. Wie konnte er sich so für sie interessieren, wie sie für ihn, nur weil er ein Grieche war?

Für ihn war es nichts besonders Romantisches und bestimmt auch nichts Geheimnisvolles oder Himmlisches, dass sie eine Engländerin war.

Für ihn gab es dieses wundersame Geheimnis nicht, das sie in ihrer Fantasie den Göttern angedichtet hatte. Und vielleicht war ihm schon der Gedanke zuwider, in ihr seine künftige Frau sehen zu müssen.

Nie hatte sie geahnt, dass sie einmal zu so ernüchternden Erkenntnissen kommen würde; ihr war, als sei sie in eiskaltes Wasser gestürzt.

Um die ganzen Heiratsverhandlungen hatte etwas wie ein Zauber gelegen, auch um ihre Reise von England und ihre Ankunft in Athen. Vor allem hatte sie das gespürt, als sie zum ersten Mal den Palast erblickte.

Sie hatte sich nie vorstellen können, dass etwas so wunderbar sein konnte oder dass die Berge dahinter so eindrucksvoll sein würden.

Athena wusste, dass sie ein Teil des Parnass-Gebirgszuges waren, der sich in nordwestlicher Richtung von der Grenze Attikas zwischen der Ebene von Böotien und den kaum besiedelten nördlichen Ufern des Golfs von Korinth erhob. Eine Region reich an Geschichte und Mythologie.

Weiter östlich lagen die sanften Hänge des Kithäron, den man mit den Sagen über Pan und seine bocksbeinigen Satyren in Verbindung brachte, sowie der heilige Berg Helikon, wo die neun Musen wohnten.

Im Norden, im Zentrum Griechenlands, erstreckten sich die Gebirgszüge, deren höchster Gipfel der Olymp war, der Sitz der Götter.

Lady Beatrice kümmerten diese Berge keinen Deut.

„Wie ich dir schon sagte, Mary, dies hier ist nur der Sommer-Palast des Prinzen von Parnassus. Der Hauptpalast in der Nähe von Lividia ist noch viel eindrucksvoller - obwohl er dringend einer Renovierung bedarf.“

Da war ein Unterton in der Stimme der Tante, der Athena nur zu deutlich verriet, weshalb sie gerade in diesem Augenblick eine solche Tatsache erwähnte.

Auch die Großmutter hatte sie nicht darüber im Unklaren gelassen, was der Grund für die geplante Heirat gewesen war: Der Prinz von Parnassus brauchte dringend Geld.

Die Jahrhunderte unter dem Druck der türkischen Besatzung und die verzweifelten Kämpfe um die Freiheit hatten ein von Armut geschlagenes Land zurückgelassen. Auch die einstmals reiche und stolze Familie der Parnassus hatte ihre Opfer bringen müssen.

Es stand daher fest, dass der Prinz eine reiche Frau heiraten musste. Und da hatte die alte Marquise ihre Trumpfkarte ausgespielt: Athena.

„Als ich jung war“, hatte sie zu ihrer Enkeltochter gesagt, „wäre es für das Oberhaupt unserer Familie unmöglich gewesen, jemanden zu heiraten, der nicht von königlichem Geblüt war. Doch die Zeiten haben sich geändert. Und schließlich sind die Wadebridges eine der ältesten und einflussreichsten Familien Englands.“

„Ja, Großmama“, hatte Athena pflichtschuldigst zugestimmt.

„Dazu kommt“, fügte die Marquise hinzu, „dass du das Glück hattest, von deiner Patentante viel Geld zu erben.“

Sie lächelte verschmitzt. „Ich glaube, ich kann mir das als Verdienst anrechnen, Athena. Denn deine Eltern waren sehr dagegen, dir eine amerikanische Patentante zu geben.“

Athena hatte gelacht.

„Dann bist du es also gewesen, die so eine gute Fee für mich ausgewählt hat?“

„Sie ist das tatsächlich für dich gewesen“, erwiderte die Großmutter. „Sie hatte keine Kinder. Aber wer hätte gedacht, dass sie dich ganz allein zu ihrer Erbin macht?“

„Ein Glücksfall, Großmama.“

„Ja, aber Geld bringt auch Verantwortung. Und deshalb, Athena, bin ich der Ansicht, dass dein Reichtum nirgends besser von Nutzen sein kann als in Griechenland.“

Athena hatte ihr damals zugestimmt. Doch jetzt schien es ihr, als hätte sie dabei mehr an das Land als an den Mann gedacht ...

Als sie die Halle erreichte, war der Oberst bereits in den Salon gegangen.

Bevor sie sich zu ihm gesellte, nahm sie ihre ganze Beherrschung zusammen; er durfte niemals zu der Vermutung kommen, dass sie das Gespräch mit angehört und alles verstanden hatte.

Sie hatte den Hofmarschall des Prinzen bisher nicht wissen lassen, dass sie Griechisch sprechen konnte. Ihre Großmutter hatte sehr darauf gedrängt, dass sie diese Sprache schon als Kind erlernte. Und Athena hatte gehofft, dass dies eine hübsche Überraschung für den Prinzen sein würde.

Im Haushalt des Prinzen wurde oft auch Englisch gesprochen, und ihre Tante, Lady Beatrice, hatte außer Französisch und ihrer Muttersprache keine Sprachkenntnisse.

Vielleicht ist es gut, wenn sie nicht wissen, dass ich jedes Wort verstehe, das gesprochen wird, hatte sich Athena gesagt.

Jetzt fürchtete sie sich plötzlich vor dem, was sie vielleicht noch alles erfahren würde.

Es fiel ihr schwer, beim Dinner der Konversation zwischen ihrer Tante und dem Oberst zuzuhören oder die förmlichen unpersönlichen Bemerkungen der anderen Offiziere zu beantworten.

Die Mutter des Prinzen lebte im Palast. Aber sie war ständig krank und unpässlich, wie Athena gehört hatte. Sie hatte sich schon vor dem Dinner zurückgezogen.

Sie war eine zurückhaltende Frau und wirkte steif, kalt. Athena hatte sich seit ihrer Ankunft in der Nähe der alten Dame nie recht wohl gefühlt.

Vermutlich war die Prinzessin über ihre künftige Schwiegertochter nicht sehr erfreut gewesen. Sicherlich hätte sie es lieber gesehen, dass ihr Sohn eine Griechin heiratet, dachte Athena. Und auch der Rest der Familie schluckte sie nur wie eine bittere Medizin - weil sie reich war.

Ein enttäuschender Gedanke. Athena erinnerte sich an die Menschen, die sie in Athen und bei ihrer Vorstellung am Hof des Königs getroffen hatte. Hatten nicht alle einen seltsam forschenden Blick gehabt? Mussten sie nicht denken, dass sie, die reiche Erbin, den Prinzen nur wegen seines Titels heiratete?

Dieser Gedanke war fast ebenso unangenehm wie der, dass der Prinz an ihr als Frau gar nicht interessiert sein konnte.

Doch sie sah ein, für Außenstehende war dies die einzige Erklärung dafür, dass sie einen Mann heiraten wollte, den sie nie gesehen hatte.

So wurde diese Heirat, in der sie bisher etwas Märchenhaftes und Unwirkliches gesehen hatte, allmählich zu einem Alptraum.

Wie konnte ich mich nur zu dieser Reise überreden lassen, dachte sie bitter. Um einen Mann zu treffen, dem ich nichts bedeuten kann und der auch für mich ein Fremder ist.

Nur weil die Großmutter alles, was Griechenland betraf, mit so viel Glanz und Herrlichkeit umgab, hatte Athena in dieser geplanten Heirat etwas wie ein Geschenk der Götter erblickt.

Ich muss den Verstand verloren haben, dachte sie voller Groll. Dann wurde ihr plötzlich bewusst, dass das Dinner während ihrer Grübeleien zu Ende gegangen war und dass zuletzt kaum noch ein Wort der Gespräche zu ihr durchgedrungen war.

Die Tante ging neben ihr in den Salon.

„Du wirkst heute Abend ein wenig abwesend, Mary“, sagte sie. „Der Oberst hat dir dreimal dieselbe Frage stellen müssen, ehe du sie beantwortet hast.“

„Tut mir leid, Tante Beatrice. Ich glaube, ich bin ein wenig übermüdet.“

„Das macht die heiße Sonne, du bist sie nicht gewöhnt. Da der Prinz offenbar in Kürze eintreffen wird, solltest du etwas für dein gutes Aussehen tun. Es wäre ratsam, wenn du zu Bett gehst und lange schläfst.“

„Ja, Tante Beatrice. Das werde ich tun.“

Lady Beatrice warf einen raschen Blick auf die Tür, ehe sie mit leiser Stimme sagte:

„Der Oberst sagte mir, dass sie noch immer Schwierigkeiten haben, mit dem Prinzen Kontakt zu bekommen. Aber er ist sicher, dass Seine Hoheit morgen hier sein wird. Ich hatte schon erwogen, dass wir vorerst wieder nach Athen zurückkehren. Dieses Warten ist ja nicht angenehm.“

„Vielleicht hätten wir doch die drei Wochen in Athen bleiben sollen, die ursprünglich vorgesehen waren“, sagte Athena.

„Ja, das hätten wir, aber jetzt ist es zu spät, darüber nachzudenken. Es ist alles von deiner Großmutter geplant worden, und ich habe ihre Anweisungen ohne Einwände akzeptiert. Das war vielleicht dumm von mir.“

Wenn Tante Beatrice ein solches Geständnis machte, dann musste sie sehr verwirrt sein. Das wusste Athena.

Und da sie selbst durch das Nichterscheinen des Prinzen ziemlich verstört war, meinte sie, dass die Situation sich auch durch eine Diskussion nicht verbessern würde.

„Mach dir keine Gedanken, Tante Beatrice“, sagte sie. „Ich bin sicher, es hat alles seine Richtigkeit. Und es ist hier doch sehr schön“.

„Ach was, schön. Es ist eine völlig unmögliche Situation“, fuhr die Tante auf. „Ich muss sagen, ich habe immer geglaubt, dass die Griechen gute Manieren haben, aber jetzt . . .“

„Die Leute in Athen waren doch alle ungemein höflich“, bemerkte Athena.

„Sie sprachen auch sehr freundlich von Seiner Hoheit“, murmelte Lady Beatrice wie zu sich selbst.

„Ja, das stimmt.“

Doch im Stillen machte sich Athena Gedanken darüber, welche wahren Gründe und Absichten sich hinter der freundlichen Art und den lobenden Worten für den Prinzen verborgen hatten. Waren sie froh gewesen, dass er das Geld bekommen würde, das er für seine Region so dringend brauchte?

Das Gebiet von Parnassus war, wie Athena wusste, ziemlich groß und nur teilweise fruchtbar.

Während der Schiffsreise nach Griechenland hatte sich Athena vorgestellt, wie sie an der Seite des Prinzen über das Land reiten und wie sie darüber beraten würden, wie sie den Ärmsten helfen könnten, indem sie vielleicht bessere Häfen bauen ließen und moderne Geräte für die Landwirtschaft anschafften.

Aber vielleicht wollte er solche Dinge gar nicht mit ihr besprechen? Vielleicht war es diese Madame Helena, wer immer das auch war, die sein Vertrauen genoss?

Athena verabschiedete sich von ihrer Tante mit einem Gutenachtkuss und zog sich in ihre Zimmer zurück, ehe der Colonel und die anderen Herren aus dem Speisesaal in den Salon kamen.

Als sie sich entkleidet hatte, entließ sie ihre Zofe und trat auf den Balkon hinaus, um wieder auf das Meer zu blicken.