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Labyrinth der Grausamkeiten Wenn dein Leben keinen Sinn mehr ergibt und von tausenden Fragen und zerreißender Ungewissheit begleitet wird. Wenn du dich auf die Suche nach Antworten begibst und merkst, das die Realität böser als dein schlimmster Alptraum ist. Wenn der Wendepunkt in deinem Leben, der Blick in die Augen des Todes bedeutet und das Grauen durch deine Adern zu sickern beginnt. Wenn Schmerz und Unvernunft in Hass und Trauer umschlagen. Dann wird sich dein Schicksal ändern. Bleibt nur die Frage, wie? Begleite Amelie auf einem abgründigen Weg in ihre Vergangenheit und Zukunft zugleich. Spüre ihre Wärme und gib gut Acht auf sie.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Inhaltsverzeichnis
Labyrinth der Grausamkeiten
Impressum
Daniel Wilde
Labyrinth der Grausamkeiten
Selbstverlag Deutschland
1. Auflage 2021
Rechte Daniel Wilde
Selbstverlag Deutschland
Text, Gestaltung und Bearbeitung Inhalt Daniel Wilde
Covergestaltung Mathias Jorks, Daniel Wilde
Printed in Germany 2021
Sie erreichen mich im Internet unter:
www.daniel-wilde.com
Damals
Eisige Kälte 30. November 1967, Indiana. Die Stadt war unter einer dicken Schneeschicht begraben. Für die Bewohner war es der strengste Winter der letzten 15 Jahre und er zerrte sehr an ihren Gemütern. Der Wind wehte so eisig, dass sich niemand wagte, auch nur einen Schritt nach draußen zu gehen, ohne zu befürchten, dass er sich böse Verletzungen, ob durch eventuelles Stürzen oder gar Vereisungen, zuzog. Diejenigen, die doch arbeiten mussten, machten es widerwillig und bahnten sich ihren Weg durch die zugeschneiten Straßen. Viele Autos mussten stehen bleiben, weil sie entweder nicht ansprangen oder völlig zugeschneit waren. Durch die niederen Temperaturen, die besonders nachts herrschten, gab es keine Möglichkeit, den zu Eis erhärteten Schnee von den Karosserien zu beseitigen. Alle anderen verschafften sich derweil zu Hause einen Überblick darüber, was noch an Festtagsvorbereitungen auf sie wartete und wie sie diese am besten so schnell wie möglich erledigen konnten, ohne sich der Kälte ausliefern zu müssen. Die Vorfreude auf das Heilige Fest im geborgenen Kreis der Familie hielt sich dennoch in Grenzen. Der bittere Beigeschmack durch das miese Wetter und Druck der bevorstehenden Festtage stellte alle auf eine harte Probe und das stieß ihnen auf, wie der Fisch vom Vortag. Die Tage waren zu kurz und viel zu lange dunkel. Die Menschen waren gereizt, ihnen fehlte der Plausch mit Freunden, die sie sonst auf der Straße trafen, sowie der Sonnenschein, der ihnen Heiterkeit und Freude ins Herz brachte. Eingeengt vom Wetter, hatten sie sich an ihre Wohnungen und Häuser fesseln lassen und versuchten nun, so viel wie möglich in der verbleibenden Tageszeit zu erledigen. Die einzigen, die der Winter nicht störte, waren die Kinder. Sie genossen das Schulfrei und die endlosen Schlittenfahrten und Schneeballschlachten. Die Schulen waren aufgrund des Wetters in vielen Bundesstaaten geschlossen worden. Für die Kinder hätte es gar nicht schöner sein können, zumal ja auch das Fest vor der Tür stand, mit den vielen Geschenken und den Omas und Opas, die zu Besuch kamen. Ja, die Kinder steuerten ihrem Glück entgegen, ahnungslos und naiv. Niemand von den Einwohnern wäre jemals auf den Gedanken gekommen, dass noch etwas viel Schlimmeres übers Land gezogen und in ihre Stadt gekommen war. Aber wie sollten sie es auch, hatte doch die Polizei von Indiana und den angrenzenden Städten eine absolute Nachrichtensperre erlassen. Nichts von dem, was sich hinter den Türen der Justiz abspielte, durfte nach außen dringen. Am Abend dieses 30. Novembers wurde das städtische Polizeirevier komplett abgeriegelt. Der Schneesturm tobte immer schlimmer durch das Land und zerstörte durch die eisigen Temperaturen einige Strom- sowie Telekommunikationsleitungen zwischen Pittsburgh und Philadelphia. Außerdem schnitt der heftige Schneefall sämtliche Zufahrtsstraßen ab, weil mitunter drei Meter Packschnee dafür sorgten, dass nicht einmal mehr Straßenschilder erkennbar waren. Die Schneepflüge kamen nicht mehr aus ihren Garagen, um mit dem Räumen überhaupt beginnen zu können. Die Bahnstationen wurden schon in den frühen Morgenstunden gesperrt, da alle Züge bis auf weiteres abgesagt wurden. Das alles und der hiesige Ausnahmezustand der seit zwei Stunden ausgerufen wurde, den aber niemand mitbekam, weil sich keine Seele hinaus wagte, entwickelte sich zu einem Ereignis, das von ganz weit weg sehr genau beobachtet wurde. Washington hatte beide Augen auf das Städtchen geworfen, denn mehr konnten sie in diesen Stunden nicht tun, da das Wetter sogar die Luftwege blockierte und Landebahnen unsichtbar werden ließ. Um 21 Uhr bog ein Krankenwagen mit Begleitschutz in die Lexington Street ein und hielt direkt vor dem Eingang des Reviers. Zwanzig bewaffnete Männer stürmten aus dem Gebäude heraus und postierten sich am Krankenwagen. In voller Winterausrüstung und Gesichtsschutz blickten sie sich ernst um und beobachteten die Straße sehr genau. Ihre Anspannung konnte man unter den Masken kaum erahnen. Jeder von ihnen kämpfte mit sich an diesem Abend, denn es war das größte und auch unheimlichste Ereignis, das sie in ihrer Laufbahn erleben würden. Sie strengten sich an, alles gut und genau zu machen. Jeder Fehler könnte fatal werden, da niemand wusste, was sich alles aus dem vor ihnen liegenden Ereignis entwickeln würde. Ihre Blicke waren scharf und umsichtig. Allerdings fiel es ihnen schwer, da die Schneeflocken mittlerweile handgroß waren. Das verschneite Sichtfeld bereitete ihnen zunehmend Sorgen und ließ alle sehr nervös werden. Einer von ihnen klopfte stark gegen die Wagentür. Daraufhin stiegen Ärzte mit einer jungen Frau aus, die in dicke Sachen eingemummelt war. Aus ihrem Kragen ragte der Stoff eines ockerfarbenen Krankenhausmantels hervor. Die Schuhe, hohe Lederstiefel, hatte ihr einer der Krankenwagenfahrer gegeben. Die Polizisten geleiteten die vier zügig ins Revier und schlossen hinter sich ab. Draußen verblieben vier Polizisten, die den Eingang sicherten. Im Inneren des Gebäudes war die enorme Aufregung und Spannung unter den Polizisten zu spüren. Detektiv Storm hatte die Leitung im Revier und überwachte die nächtliche Aktion. Niemand sprach ein Wort. Storm sah seine Männer auffordernd an und gab durch ein Kopfnicken das Zeichen, dass sie, wie ausgemacht, in einer Minute zum bestimmten Treffpunkt, einen Raum in dem Gebäude, laufen sollten. Diese eine Minute sollte dazu dienen, dass sie sich von den Schneemassen befreien konnten, die sich draußen auf ihnen angesammelt hatten. Zusammen mit den vier Ankömmlingen und sechs seiner besten Männer liefen sie los. Es ging weit in den Keller, in dem mehrere Räume im Vorfeld kurzfristig auf dieses Ereignis vorbereitet wurden. Auf dem Weg dorthin durchquerten sie viele Gänge und mussten mit einem grau-grün gestrichenen Fahrstuhl nach unten fahren. Im Aufzug stellten sich die Polizisten kreisförmig um die Frau und die Ärzte. Im Untergeschoss angelangt, verließen sie die Kabine. Storm ging als Letzter und stockte kurz vor der Fahrstuhltür. An Fahrstuhlwand und Oberdecke, neben dem Oberlicht, bemerkte er tiefe Kratzspuren. Doch er konnte nicht genau erkennen, was es für Spuren waren, geschweige was sie verursacht hatte. Es wunderte ihn, doch schenkte er dieser Beobachtung keine weitere Bedeutung. Somit ging er los und folgte seinen Männern. Gegen 22 Uhr kamen sie im tiefsten und entlegensten Teil des Reviers an. Sie öffneten die Tür zu einem rotbraun gestrichenen Raum, in dem eine Couch, zwei Sessel und eine Holzbank standen. Herein kamen Lt. Storm und ein Kollege, zwei Ärzte und eine Schwester, und die junge Frau. Storm blieb stehen und ließ erst alle anderen Platz nehmen. Der jungen Frau, Alice Swang, wurden die vielen Sachen, in die sie eingehüllt war, abgenommen und eine Tasse Tee gereicht. Auf der Couch an der Wand nahm die Schwester mit der jungen Frau Platz. Alice Swang war 31 Jahre alt, schlank, dunkelblond und langhaarig. Sie hatte eine sportliche Figur und sah schlicht mindestens 5 Jahre jünger aus. Sie war die Tochter einer Apothekerin und eines Gerbers. In die Sessel weiter links im Raum setzten sich die Ärzte. Auf der Holzbank nahmen Storm und sein Kollege Platz, der in den folgenden Stunden sein Protokollführer war. Eigentlich sollte alles mit einer Kamera aufgenommen werden, doch diese war urplötzlich verschwunden. Die junge Frau, Alice Swang, um die es hier ging, war die erste Überlebende einer gewaltigen Mordserie, die die Polizei von Indiana und Umgebung seit drei Monaten in Atem hielt. Ein männlicher Täter schlich sich stets bei alleinstehenden Frauen ein, beobachtete sie stunden- mitunter auch tagelang, bis er anfing, sie des Nachts zu tyrannisieren und zu foltern, bis er ihnen schließlich die Kehlen zudrückte und ihnen am Ende gar den Kehlkopf herausriss. Von den hiesigen Behörden wurde er „Creeping Death“, schleichender Tod genannt. Weil er es schaffte, sich tagelang unbemerkt in unmittelbarer Nähe der Opfer aufzuhalten. Storm machte es zu seiner obersten Priorität, dass er den Irren fassen würde und hatte deshalb bislang auf Hilfe vom FBI verzichtet. Er war sich sicher, dass der Mörder ein Einheimischer war und dass er ihn bald fassen würde. Er dachte natürlich, dass ihm dieser Erfolg endlich eine Beförderung einbringen und somit den Einstieg zum FBI öffnen würde. Doch mittlerweile gab es zwölf Tote, was Storm in echte Bedrängnis brachte. Nur weil der Killer diesmal den Fehler begangen hatte, sein Opfer überleben zu lassen, einen Fehler auf den Storm schon zu lange gewartet hatte, stürmte Storm nach vorn, um den Fall mit allen Mitteln abzuschließen. Tage zuvor reichte Storm den Antrag auf Hilfe beim FBI ein, seine einzige Alternative, denn alsbald hätte er den Fall nämlich sonst abgeben müssen. Storm befürchtete nun, dass der Creeping Death eventuell versuchen würde, sein entflohenes Opfer erneut zu haschen, um es zu ermorden. Aus diesem Grund schottete er das Gebäude ab. Und er musste gewährleisten, dass Alice ausgeflogen werden konnte, sobald es das Wetter zulassen würde. Der Creeping Death sollte seinem Schicksal ins Auge sehen können, wenn er ihn mit Hilfe von Alice erwischen würde, das schwor sich Storm. Nachdem es im Raum ruhiger wurde, schloss ein Beamter die Tür. Storms Kollege gab nun jedem ein Getränk und setzte sich anschließend wieder. Die Situation war beklemmend und mehr als düster. Der Raum war gefüllt mit Angst und Aufregung, die selbst Storm nicht leugnen konnte. Er wusste, dass dies ein entscheidender, wenn nicht sogar der herausforderndste Tag in seiner Laufbahn war. Storm vernahm ein leises Dröhnen durch die Grundmauern. Anscheinend flog ein Hubschrauber über das Gebäude. Er schickte seinen Kollegen raus, um zu klären, wie jemand bei diesem Wetter eine Fluggenehmigung erhalten konnte, wenn nicht mal das Militär auf dem Luftweg zu ihnen durfte. Er duldete nicht, dass jemand in und schon gar nicht auf das Gebäude kam. Auf dem Dach lagen mindestens zwei Meter Schnee. Nirgends wurde geräumt, da niemand die Massen an Schnee bewältigen konnte. Hatte man an einer Stelle den Schnee beräumt, türmte sich hinter einem schon der nächste meterhohe Berg. Und auf keinen Fall durfte ein Hubschrauber landen und eventuell abstürzen, das brächte die gesamte Situation außer Kontrolle. Zwei Minuten später trat sein Kollege wieder ein. Er erklärte Storm, dass er sich darum gekümmert habe. Storm begann sich den Anwesenden vorzustellen. Der jungen Alice sprach er sein volles Mitgefühl aus und bedankte sich bei ihr, dass sie sich sofort zu diesem Schritt und somit zu einer Aussage bereit erklärt hatte und direkt aus dem Krankenhaus zu ihm kam. Er versicherte ihr und den Ärzten, dass sich nebenan eine kleine Krankenstation befand, auf die sie sofort zugreifen konnten, sollte Alice oder jemand anderem aus dem Raum schlecht oder unwohl werden. Um es Alice angenehmer zu machen, dämmte er das Licht. Nur eine kleine Stehlampe erhellte nun ein geringes Umfeld zwischen den sechs. Die hellgrünen Wände wirkten nun schwarz. Zuerst fühlte sich Alice unwohl, rutschte nervös auf ihrem Platz hin und her, so dass einer der Ärzte das Gespräch sofort abbrechen wollte, doch Alice beruhigte sich. Sie beugte sich vor und stützte sich mit den Elenbogen auf die Knie. Storm griff nach einem Kaffeebecher, der neben ihm auf einem kleinen Tisch stand und trank ein paar Schluck, bevor er mit der Befragung anfing. Alice blickte sich um und goss sich schließlich etwas klares Wasser aus der Flasche in ihren Teebecher und trank es behutsam aus. Sie wirkte sehr verängstigt und sah geschunden und mitgenommen aus. Sie hatte ein Martyrium hinter sich, das sich niemand vorstellen konnte, der auch nur einen Hauch von Menschlichkeit in sich trug und klar denken konnte. Aber ihr war es auch unheimlich peinlich, im Mittelpunkt dieses ganzen Szenarios zu stehen. Storm wollte gerade mit der Vernehmung beginnen, da meinte eine Ärztin, er solle es bitte nicht Vernehmung sondern Befragung nennen. Das würde nicht so viel Negatives ausdrücken. Storm versprach es und begann mit der Befragung. Er sprach und sein Kollege Daxter schrieb mit. Protokoll der Befragung von Alice Swang am 30. November 1968 um 22:45 Uhr. Anwesend sind das Opfer Alice Swang, Lt. Storm und Lt. Daxter, Herr Dr. Liemann und Frau Dr. Serpei sowie Schwester Sondrea. Storm: „Alice Swang wurde gegen 18 Uhr leichtbekleidet auf der 43. Straße aufgegriffen und sofort ins Philostelkrankenhaus eingeliefert. Während sie dort ärztlich versorgt wurde, stellte sich heraus, dass sie Opfer eines Verbrechens war. Aus den Bruchstücken ihrer Schilderung konnte geschlussfolgert werden, dass es sich um einen bestimmten, sehr gefährlichen Serienmörder handelte. Sofort fuhren Kollegen meiner Abteilung zu ihrer Wohnung und nahmen dort den Tatort unter die Lupe. Nach letzten Erkenntnissen, die mir um 22 Uhr zugetragen wurden, konnten jedoch nicht viele Spuren gesichert werden. Wir haben allerdings Urinansammlungen in Ihren Wandschränken und Kot in der Speisekammer gefunden.“ Alice runzelte die Stirn und verzog angewidert ihr Gesicht. „Miss Swang erzählen Sie uns bitte, was geschehen ist. Wann sind sie von dem Täter überfallen worden?“ Alice Swang schwieg erst einige Sekunden, wirkte bedrückt und öffnete kurz die Lippen, die sie aber gleich wieder verschloss. Sie wollte, konnte aber nicht gleich antworten. Die Ärzte hielten ihre Hände fest und nickten ihr aufmunternd zu. Sie atmete ein paarmal tief ein, bis sie den Mut fand, zu sprechen. Alice: „Ich kam um 13 Uhr von der Universität nach Hause.“ Storm: „Sie wohnen alleine?“ Alice: „Ja.“ Storm: „Ist das ihre Wohnung oder wohnen sie zur Untermiete?“ Alice: „Meine Eltern haben die Wohnung angemietet.“ Storm: „Sie sind wie alt?“ Alice: „23.“ Storm: „Ziemlich jung um alleine zu leben, nicht wahr?“ Alice schwieg und sah ihn misstrauisch an. „Ich bin 23, da habe ich wohl das Recht alleine zu entscheiden, wie und mit wem ich wohne.“ Storm: „Schon, doch sehen Sie, wo es sie hinbringen kann. Wie lange wohnen Sie schon dort?“ Alice: „10 Monate.“ Storm: „Ist Ihnen irgendwann einmal was aufgefallen, dass Sie irritiert hat oder irgendjemand, der Sie bedroht hat oder auch nur sonderlich angesehen hat?“ Alice: „Nein, nicht dass ich mich an so etwas erinnere.“ Storm: „Sind Sie um 13 Uhr überfallen worden?“ Alice: „Nein, erst Stunden später. Aber warum kann ich nicht einfach erzählen, was passiert ist?“ Storm: „Das können Sie tun. Ich dachte nur, dass, wenn ich Ihnen gezielte Fragen stelle, es Ihnen leichter fiele, über das Geschehene zu reden. Gut, dann legen Sie los.“ Storm war ungeduldig. Für ihn zählten nur Informationen und die wollte er schnell durch seine Fragen bekommen. Doch nun verzögerte sich seine Ermittlung und er musste sich zurückhalten. Gut, er hatte schon viel Zeit verloren, doch jetzt, da er Alice hatte, wurde in ihm ein Feuer entfacht. Ein Brand, der sich durch seine Gedanken fraß, den Creeping Death zu fassen und zur Strecke zu bringen. Alice räusperte sich und sprach weiter. „Ich kam also gegen 13 Uhr nach Hause. Als ich das Haus betrat, traf ich meine Freundin Beatrice, die unter mir wohnt. Sie erzählte mir von ihrer neuen Errungenschaft, einen Typen, den sie in unserer Bar kennengelernt hatte und wie sie die ganze Nacht mit ihm tanzend durch die Nacht getingelt ist. Ungefähr 45 Minuten schaffte ich es, ihr zuzuhören, dann löste ich die Unterhaltung auf.“ Storm versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als sie ihre Freundin erwähnte. Anscheinend wusste sie nicht, dass diese nach ihrer Flucht aus der Wohnung vom Creeping Death mit aufgeschlitztem Hals zurückgelassen wurde. Er ließ sie ausblutend auf dem Flurläufer liegen und ihre Arme waren weit vom Körper abgespreizt gewesen. Storm sagte nichts, denn er konnte sich keine Verzögerung durch einen emotionalen Ausbruch der Zeugin leisten. Alice: „Die Tür war zweimal verschlossen, so wie immer. Auch drinnen war es so wie immer. Da fällt mir ein, dass die Nacht zuvor mein Schlafzimmerfenster offen war, obwohl ich es eigentlich angeklappt hatte. Es fiel mir auf, als ich um Mitternacht von der Toilette kam. Ein kalter Hauch wehte mir unangenehm durch das Nachthemd. In dem Moment fühlte ich mich unwohl und ich war mir auch nicht mehr sicher, ob ich es vorm Schlafengehen vielleicht doch weit aufgemacht hatte, weil es in der Wohnung so warm war. Seltsamerweise lief die Heizung auf höchster Stufe und ich wusste nicht, wie ich sie runterdrehen musste. Diese kleinen Drehschalter in jedem Zimmer funktionierten nicht, da konnte ich dran drehen wie ich wollte. Nun gut, draußen tobte der eisige Sturm, doch der war mir lieber, als diese warme trockene Luft. Es roch die Tage auch so streng bei mir und da war es eine wohlige Freude, das Fenster hin und wieder aufzulassen.“ Storm: „Wer hat die Heizung hoch gestellt?“ Alice: „Keine Ahnung.“ Storm: „Wird die Einstellung direkt in der Wohnung am Heizkörper oder an einer zentralen Einheit vorgenommen, die für mehrere Mietparteien zuständig ist?“ Alice: „Ja, so ist es wohl, zentral. Dem Hauswart habe ich gestern Bescheid gegeben, dass er sich darum kümmern müsse. Leider sieht man ihn so gut wie nie.“ Storm: „Denken Sie, der Killer war schon mal bei Ihnen oder hielt sich seit mehreren Tagen bei Ihnen auf?“ Alice: „Nein, das will und kann ich mir nicht vorstellen. Ich war doch immer alleine in der Wohnung. Auch heute. Überall brannte Licht. Der Fernseher lief permanent und ich entspannte mich in der Wanne. An diesem Nachmittag, also vorhin, da wollte ich mich nur noch entspannen, weil morgen der große Tag ist. Nach dem Baden wollte ich mich hinlegen und schlafen. Vorher aß ich noch was, bereitete mir etwas thailändisches Essen zu und trank ein Glas Wein. Ich wollte ja fest schlafen. Draußen war es eh schon dunkel und ich wusste, dass mich keiner stören würde.“ Alice zögerte, sah sich nachdenklich um, so als suche sie nach den passenden Worten. „Als ich heute nach Hause kam, roch es ganz schlimm. Aber wie schon gesagt, es roch so, wie schon zwei Tage zuvor. Ich dachte, der Geruch käme von unten. Es war so ein bitterer süßlicher Geruch. Durch mein Thaiessen nahm ich ihn dann wohl auch gar nicht mehr so stark wahr. Nachdem ich aus der Dusche kam, fand ich meinen Slip nicht mehr. Er war einfach verschwunden. Das machte mich wahnsinnig, denn er kostete 27 Dollar. Als ich das Badezimmer verließ, machte ich das Licht darin aus. In diesem Augenblick erhaschte mich ein Windzug im Nacken, der sauer roch. Es ist ja auch nicht das jüngste Haus und man sagte mir damals schon, dass ich das eine oder andere Übel hinnehmen müsse. Erst dachte ich noch, das riecht wie fauliger stinkender Atem. Ich kannte den Geruch, mein damaliger Mathelehrer roch so aus dem Mund, als ich noch zur Schule ging. Es war ein Graus, wenn er neben einem stand und versuchte eine Aufgabe zu erklären. Aber das spielt jetzt keine Rolle. Sofort schaltete ich das Licht im Bad wieder ein. Doch da war nichts. Dem Bad den Rücken zugedreht, löschte ich das Licht darin, sowie das Licht des Flures und ging ins Wohnzimmer. Dort machte ich mir den Fernseher an, um herunterzukommen. Leider lief um die Zeit gar nichts, das mich hätte ablenken können. Zwischen die Kissen auf der Couch wühlte ich mich ein und ließ nur meinen Kopf herausragen. Dabei nickte ich für eine Sekunde ein. Wieder erwacht, war der Sender ein anderer. Ich konnte mich nicht entsinnen, einen Senderwechsel vorgenommen zu haben. Daraufhin nahm ich mir ein Buch zur Hand, las etwas und fingerte in meinen Haaren herum. Da fiel mir auf, dass ich Haare verloren hatte, es fehlten einige Strähnen. Wissen Sie Herr Storm, Officer Storm, je mehr ich mir alles durch den Kopf gehen lassen, umso unheimlicher wird alles. Ich hätte auf die Zeichen achten sollen.“ Storm: „Das ist nicht schlimm, dass Sie es nicht getan haben. Sie konnten nicht wissen, dass Sie ein Irrer aus Ihrem bisherigen Leben herausreißen wollte. Denken Sie jetzt nicht darüber nach, sondern konzentrieren Sie sich jetzt auf das Wesentliche.“ Alice: „Während meine Finger weiter durch das Haar streiften, spürte ich, wie sich die Müdigkeit auf mein Gemüt legte. Ich ging erneut ins Bad und machte mich im Gesicht frisch, putzte die Zähne, verpasste mir eine Haarkur und föhnte mir nochmal die Haare. Danach vernahm ich nur noch die Stille, die mich umgab. Mein Spiegelbild sah mich an und wartete darauf, dass ich die rechte Spiegelschrankseite schloss, damit mich ein grässliches Fratzenwesen mit seinem Anblick das Blut in den Adern gefrieren ließ. So ein Unsinn dachte ich. Aber wieso zwang mich mein Inneres zu solch merkwürdige Gedanken. War es mein Instinkt, ich weiß es nicht. Ich schloss sehr langsam die Spiegelschrankseite und es kam nichts anderes zum Vorschein als das, was ich schon kannte, mein Spiegelbild. Da sagte ich mir, man ist nur das, was man sein will und sieht nur das, was man sehen darf. Der normale Menschverstand spielt einem oft einen Streich. Doch dann verspürte ich erneut den sauren und bitteren Geruch, wie er mir den Nacken herunter kroch. Ich hatte das Gefühl, als berührte mich jemand, als ließe er seine Fingerspitzen auf meiner Haut entlanggleiten. Das fühlte ich dann häufiger. Doch immer, wenn ich es spürte, und sofort nachsah, war niemand hinter mir. Meinem Bewusstsein warf ich vor, mir einen blöden Streich zu spielen. In mir wuchs Angst und ich bewegte mich immer mehr an der Wand entlang, nur um den Raum unter Kontrolle zu haben. Während mich diese unheimliche Stille umgab, setzte sich, wahrscheinlich vom Stress bedingt, ein Tinnitus in meinen Ohren fest. Um der beklemmenden Enge des Raumes zu entfliehen, stellte ich mich ans Fenster und blickte raus in die Schneewüste. Vereinzelt sah ich Menschen, die durch den Schnee stapften und kaum vorankamen. Bei dem Anblick war ich froh, nicht dort draußen sein zu müssen. Mir wurde wieder wohler zu Mute, denn ich erkannte, nicht alleine auf der Welt zu sein und so fühlte ich mich sonst immer. Auch bevor diese seltsamen Erscheinungen in meiner Wohnung zunahmen. Doch dann spürte ich plötzlich etwas an meinen Haaren und im gleichen Moment sah ich in der Fensterscheibe das Spiegelbild einer Fratze hinter mir. Erschrocken, erstarrt und laut schreiend drehte ich mich um. Das Licht im Wohnzimmer ging aus, sowie das in der ganzen Wohnung. Mir wurde kalt und schlecht und ein Schauer mit Gänsehaut lief mir den Rücken hinunter. Mir war ja nicht klar, was ich gesehen hatte. Die Erscheinung schob ich auf den Wein und die Aufregung. Eine Illusion meiner gestressten Gedanken spiegelte sich in meinen Augen und vernebelte mir die Sinne. Vorsichtig tastete ich mich ins Schlafzimmer. Ich wollte das Licht anschalten, doch nichts geschah. Aus meiner kleinen Biedermeier Kommode nahm ich eine Kerze, zündete sie an und lief vorsichtig zum Bett. Dann setzte ich mich aufs Laken und zog meine Beine herauf. Der Raum erzitterte im flackernden Kerzenschein und ich sah mich ängstlich um. Es war furchtbar, denn ich betrachtete jeden einzelnen Gegenstand minutenlang. Meine Augen brannten vor Müdigkeit. Schließlich legte ich mich hin und deckte mich zu. Ich löschte die Flamme an der Kerze. Dabei tropfte heißes Kerzenwachs auf meine Finger. Während ich versuchte, das Wachs von den Fingern abzurubbeln, gewöhnten sich meine Augen ein wenig an das Dunkel. Danach konnte ich es nicht lassen, mein Blick durch die Dunkelheit gleiten zu lassen. Sie hatte mich pechschwarz fest umschlossen eingehüllt und auf das Bett gedrückt. Irgendwann aber fixierte sich mein Blick auf etwas, das mitten im Zimmer war, so zwei Meter vor meinem Bett. Ich versuchte nicht mal zu atmen, um das seltsame Etwas am Boden deuten zu können. Es konnte eigentlich nur der Hocker sein, auf dem ich zuvor einige Sachen abgelegt hatte. Aber dafür waren die Umrisse zu groß. Befand sich dort vielleicht doch was anderes? Ich überlegte hin und her. Tausende Möglichkeiten gingen mir durch den Kopf, doch keine passte so richtig. Sekunden später aber erlangte ich die traurige Gewissheit, dass das, was ich durch unscharfe Konturen erkennen konnte, eine zusammengekauerte Person auf meinem Teppich war. Purer Ekel durchkroch mich und ich rutschte angewidert an das obere Bettende. Am liebsten hätte ich laut geschrien, doch meine Stimme war blockiert. Als ich mich zur Seite aus dem Bett schleichen wollte, huschte der dunkle Schatten in meine Richtung. Unweigerlich jauchzte ich kurz auf. Schnell hielt ich mir die Hand vor den Mund und zog meine Beine wieder ins Bett. Ich fing fürchterlich an zu weinen, weil ich wusste, dass ich dieser entsetzlichen Situation nicht entfliehen konnte. Doch dann wurde es schlimmer. Über das Bett zog dieser grässliche bittere Gestank und ich merkte, wie etwas auf meinem Lacken entlangfuhr. Mein Herz schlug so schnell, dass mir schwindelig wurde. Es war mir nicht möglich, meiner Stimme Kraft zu verleihen, meine Kehle war wie vereist. Plötzlich spürte ich Hände an meinen Oberschenkeln, die sich hin und her schoben. Dann packte mich das Wesen und zog mich vom Bett runter, so dass ich hart auf dem Boden aufschlug. Ehe ich mir bewusst war, was geschah, drang dieses Schwein in mich ein und stieß unaufhörlich zu. Da konnte ich plötzlich schreien, denn die Schmerzen die ich verspürte, waren höllisch. Zwischen meinen Beinen brannte es und es wurde warm. Ich glaube, ich habe uriniert. Vielleicht war es auch nur mein Blut, das aus meiner Scheide strömte. Er stieß immer hektischer zu. Dann stoppte er kurz, drang noch ein paarmal sehr heftig ein und stöhnte. Kurz darauf ließ er ab von mir. In dem Augenblick ging das Licht wieder an. Die Stromwerke retteten mir das Leben. Auf jeden Fall sprang dieses Schwein gegen die Wand, huschte in die Küche und sprang zum Küchenfenster hinaus. Mit letzter Kraft schleppte ich mich zur Tür raus. Meine Freundin Beatrice war nicht zu Hause, so lief ich auf die Straße und schrie um Hilfe. Und nun bin ich hier.“ Storm starrte gebannt zu Alice. Er war nicht auf solch eine Geschichte gefasst gewesen. Ihn irritierte nur, und das verstand er nicht, dass sie nicht gemerkt haben sollte, dass sich tagelang jemand in ihrer Wohnung zu schaffen gemacht hatte. Deshalb wurde er an dieser und jener Stelle nicht recht schlau aus ihrer Aussage. Genauer gesagt waren es Details, die er schon kannte und ihm bei der Suche nach dem Creeping Death nicht weiterbrachten. Dennoch erschauderte es ihn bei dem Gedanken, dass diese Bestie noch frei herumlief. Alice blickte sich nervös um. Selbst die beiden Ärzte und die Krankenschwester waren sehr aufgeregt. Storm fuhr mit der Befragung fort. Storm: „Hat er irgendwas gesagt oder besonders markante Geräusche gemacht.“ Alice: „Nein nichts. Er hat nur kurz aufgestöhnt, als er in mir gekommen ist.“ Storm: „Kam er oder irgendetwas an ihm Ihnen bekannt vor?“ Alice: „Nein verdammt nochmal. Das war eine Bestie, woher sollte ich die kennen? Er hat gestunken, sah dreckig und behaart aus. Ja, er hatte lange fettige Haare auf dem Kopf, die um ihn herumschleuderten, während er wie ein Affe gegen die Wände sprang.“ Storm verstand, dass er nichts mehr aus der armen Frau herausholen konnte. Das Gute war, sie lebte und er hatte einen frischen Tatort. Nun musste er nur noch aufpassen, dass Alice nichts geschah und der Täter seinen nächsten Fehler beging. Die Tür öffnete sich und ein Detektiv gab Bescheid, dass die Eltern von Frau Swang eingetroffen waren. Alice hob ihren Kopf und lächelte das erste Mal seit dem Vorfall. Sie erhob sich mühsam und strich sich durch das Haar. Der Detektiv erwähnte gegenüber Storm, dass die Eltern sehr überrascht waren, des Nachts wegen ihrer Tochter aus dem Bett geklingelt zu werden, wo sie doch ihre Tochter eigentlich in Spanien zu wissen glaubten. Die Schwester sagte, dass es an der Zeit wäre, eine Pause einzulegen. Da fiel im Flur das Licht aus. Im Schatten der Dunkelheit knallte etwas im Flur auf den Boden, dann flog die Tür zu. Schreie ertönten aus dem Flur. Alice summte vor sich her. Kurz darauf schrillten die Schreie einer der Krankenschwestern durch den Raum. Storm stand zögernd auf und forderte alle Anwesenden auf, Ruhe zu bewahren. Daxter blickte fragend zu Storm, der zur Tür ging und sie öffnete. Draußen auf dem Flur leuchtete am Ende des Ganges eine winzige Notstromlampe, die ein grausames Bild darbot. Storm schloss die Tür schnell wieder und ging mit gezogener Waffe auf die Holzbank zu. „Draußen liegen unsere Männer auf dem Boden.“ Daxter, der sich wieder gesetzt hatte, um einen klaren Kopf zu bekommen, stieß Storm am Arm an und fragte, ob er auch einen ekeligen Geruch wahrnahm. Storm schnupperte und roch auch was. Ein bitterer süßlicher Gestank, der mehr nach ranzigem Schweiß erinnerte, füllte den Raum. Storm überlegte, woher ihm der Geruch bekannt vorkam. Dann sah er erschrocken Alice an. Ihr Gesicht sah nicht minder entsetzt aus, während ihr Blick auf ihn gerichtet war. Dennoch bemerkte er, das sie an ihm vorbei schaute und das machte ihm akut Sorgen. In dem Moment fühlte er, dass sich jemand hinter ihm befand. Er wollte nicht wissen, wie diese Bestie hier hereingelangt war, vielmehr wollte er aus der Situation lebend heraus und dieses Dreckschwein zur Strecke bringen. Daxter merkte es ebenfalls, stellte die Schreibmaschine, die er sich auf den Schoß genommen hatte, neben sich auf die Holzbank. Das Licht der kleinen Lampe ließ die Situation eskalieren, deshalb wollte Daxter zum Lichtschalter springen, als plötzlich leise kurze Zischgeräusche zu vernehmen waren. Storm sprang auf und zog seine Waffe. Was auch immer in diesem Raum war, es versteckte sich im dunklen Teil des Zimmers. Solange er das Licht nicht anschaltete, hatte er auch keine Chance, ihn zu erwischen. Er sah Daxter an, der nicht aufgesprungen war. Mit erhobener Waffe drehte er sich zu Daxter um und wunderte sich bei dessen Anblick. Der saß schweißgebadet da und rührte sich nicht. Storm wollte ihm hochhelfen, doch da fiel Daxter von der Bank. Daxter blutete stark am Rücken und hatte schon eine kleine Lache unter der Bank hinterlassen. Er hechelte und stöhnte vor Schmerzen. Als sich Storm zum Schutz für Alice einige Schritte zu ihr in den beleuchteten Bereich bewegen wollte, sackte auch er zusammen. Jetzt bemerkte er, dass er ebenfalls blutete und ihm wurde klar, dass diese Bestie ihm mit einem Skalpell oder ähnlichem in die Beine gestochen und dabei eine Sehne durchtrennt hatte. Seine Waden brannten wie Feuer und seine Hosen klebten durch das ausströmende Blut eng an seinen Beinen. Wie hatte er das nicht merken können, fragte er sich und schoss wutentbrannt in den dunklen Teil des Raumes, bis sein Magazin leer war. Kurz darauf ging die Sirene im Gebäude los und Dr. Liemann, der sich zwischen Couch und Wand Schutz gesucht hatte, sprang auf, um zur Tür zu rennen. Die Bestie, von der man nur einen Schatten wahrnahm, packte ihn und riss ihn zu Boden. Man sah und hörte rein gar nichts, als wäre diese Bestie ein Geist. Doch dann befand sich Storm Auge in Auge mit dem Creeping Death. Eine vernarbte Fratze mit langen dunklen verklebten Haaren tauchte hinter der Couch am Kopf von Frau Dr. Serpei auf, die sich nicht bewegen konnte, weil ihr Körper vor Angst erstarrt war. Ihre Augen hatte sie geschlossen und hoffte, dass sie von der Kreatur übersehen wurde. Alice schrie laut, um sie zu warnen und Storm versuchte aufzustehen. Aber die Bestie war schneller und packte Dr. Serpei’s Kopf und schnitt ihr mit einem Skalpell den Hals auf. Immer wieder zog er das Messer kräftig durch das Fleisch, so dass der Kopf nach einigen Sekunden vom Creeping Death nach hinten gerissen werden konnte. Es knackte zwar laut, doch der Kopf wurde nicht ganz abgerissen. Er hing nun am Rücken herunter. Aus dem offenen Halsstumpf entwich die letzte Atemluft. Die Bestie hob anschließend einen Arm hinter der Couch hervor und rief zu Alice mit krächzender Stimme: „Schwester!“ Was meinte die Bestie?, fragte sich Storm aufgeregt. Er war sich sicher, dass sich die Bestie nun an Alice vergehen würde, um das zu vollenden, was es angefangen hatte. Mit letzter Kraft kroch Storm hinter der Holzbank entlang und griff sich dabei die Schreibmaschine. Dann stürzte er sich hinter die Couch auf die Bestie und schlug mit der Maschine auf dessen Kopf. Immer und immer wieder schlug er zu. Der Schädel sprang seitlich auseinander. Das Gesicht drückte sich mit jedem Schlag tiefer nach innen und das Blut, das sich aus den offenen Wunden ergoss, spritzte in alle Richtung. Nach endlosen Schlägen und lauten Wutschreien ließ Storm endlich ab. Er schmiss die Schreibmaschine gegen die Wand. Dem folgte ein heftiger Aufschrei. Er stand auf und stützte sich an der Couch ab, da sein linkes Bein kaum belastbar war. Der erste Anblick seiner Tat ließ Ekel emporsteigen, dem aber gleich die Genugtuung folgte. Er hatte die Bestie unverhofft schnell zur Strecke gebracht und Alice das Leben gerettet. Mit dem Gedanken drehte er sich zu Alice, um sie aufzufordern, ihm beim Verlassen des Raumes zu helfen, denn er verspürte mittlerweile beide Beine kaum noch. Alice trat zu ihm und schwang ihre rechte Hand schnell an seinem Hals entlang. Man vernahm nur ein leises Zischen. Aus Storm seinem kleinen Lächeln wurde Wut und aus der Wut wurde Angst, während das Blut stoßweise aus seiner Halsschlagader ausgestoßen wurde. Dann brach er zusammen. Alice hingegen beugte sich über die Bestie. Sie wankte hin und her und wimmerte dabei: „Das alles hat Brüderchen nicht gewollt, nicht wahr? Wieso mussten wir das so machen? Wolltest ja einfach nur deine Ruhe haben. Doch was wird jetzt aus mir? Soll ich jetzt alleine für unseren Bastard sorgen, Brüderchen?“
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Heute
14. Juni 2014 in Pittsburgh Umgeben von hohen Wänden aus rotem Backstein stand Jean alleine im Keller. Es schien ein Labyrinth aus mehreren Gewölben zu sein, denn sein Blick erfasste mehrere Ausgänge. Sein Ruf: „Ist da Jemand!?“, verhallte in den Weiten der Gänge. Wie kam er überhaupt an diesen Ort und was wollte er in diesem Gewölbe? Fragen die ihm permanent durch den Kopf geisterten. Jean begann zu laufen und nahm wahllos einen der Gänge als Ausgang und hoffte so, dem Keller entfliehen zu können. Durch das Mauerwerk drang am oberen Teil der Wände durch kleine Schlitze Licht. Was ihm jedoch das an der Wand entlangtasten nicht ersparte, denn das Dunkel, das ihn einhüllte, war unheimlich und schwarz. Anstatt aber einen ersehnten Ausgang zu entdecken, stolperte er über den steinigen Boden in das nächste Gewölbe. Dort beugte er sich nach vorn und versuchte zu atmen. Irgendwas war in der Luft, das ihm den Atem abschnürte. Ein klebriger modriger Geruch entfaltete sich immer heftiger und stach ätzend in seine Atemwege. Ihm wurde so übel, dass er sich an der Wand abstützen musste. Er verlor aber den Halt und bevor er sich übergab, rutschte er mit den Händen von der Wand weg. Schuld war dunkler Schleim, der aus den Fugen der Wände drang. Jean erschrak und wollte weiter, doch der Ausgang war weg. Er rannte weiter an der Wand entlang und schlug dagegen. Irgendwo musste doch der Ausgang zu finden sein. Wie sollte er auch weg sein, das konnte er nicht verstehen. Gleichzeitig nahm der Geräuschpegel, in Form eines Rauschens, drastisch zu. Als er dann noch bemerkte, dass er in einer großen Lache stand, konnte er sich denken, was geschah. Der Raum füllte sich mit der schleimigen Substanz von den Wänden und ließ Jean mittlerweile bis zur Hüfte versinken. Jetzt machte er sich doch richtig Sorgen, dass er hier unten im Niemandsgewölbe verrecken würde. Die Steine in den Wänden lösten sich und jeder hinunterfallende Gesteinsbrocken plumpste in die Lache und schoss Jean den Schleim ins Gesicht. Er wischte es sich aus den Augen und ging mühsam durch den Schleim weiter vorwärts. Im nächsten Moment traf ihm ein Schwall Schleim in den Mund. Er schmeckte Blut. ´Schleimiges verrottendes Blut´ dachte sich Jean und erbrach. Sauer stinkend breitete sich sein Erbrochenes vor ihm aus. Während er mit seinen Händen versuchte, alles was vor ihm schwamm wegzuschieben, kribbelte es an seinen Händen und Armen. Anscheinend gebar die Lache noch mehr, denn Maden und Würmer krochen an seinem Oberkörper empor. `Das kann doch wohl alles nicht sein. Scheißegal wie ich hier rein gelangt bin, ich will nur raus.´ Aber es gelang ihm nicht, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Das Gewölbe füllte sich so rasant, dass es Jean sehr schwer fiel, schwimmend voranzukommen. Schließlich blieb er an einem Gegenstand hängen, der sich unter ihm befand und knickte mit einem Fuß um, so dass er in den blutigen stinkenden Schleim abtauchte. Seine Hände trafen auf etwas Weiches und ergriffen es in dem Augenblick, als er sich eigentlich nach oben abstoßen wollte. Obwohl seine Luft kaum noch reichte, versuchte er zu erfühlen, was er festhielt. Das Ding bewegte sich plötzlich und packte ihn. Jean verspürte starke Schmerzen in den Armen und pustete seine letzte Atemluft hinaus. Dann stieß er sich mit den Füßen vom Boden ab und tauchte unterhalb der Gewölbedecke auf. „Heilige Scheiße. Was geht hier für ein Scheiß ab? Man tut das weh.“ Erst jetzt lief der Schleim von seinen Augenlidern, so dass er sie öffnen konnte. In dem Augenblick wünschte er sich, es wäre so dunkel, das er nichts sehen könnte, denn er blickte auf etwas Fürchterliches. Obwohl ihm schon kalt war, erstarrte er regelrecht, als ihn diese Kreatur ins Gesicht hechelte. Für einen Moment floh er in seine Gedanken, sah seine Frau vor sich, die er damals in eben solchem Kellergewölbe verloren hatte. Sie starb in seinen Armen, nachdem er sie fast 2 Tage lang in einem gefluteten Keller über Wasser hielt. Nun war er wieder in demselben Schlamassel, nur dass es diesmal mit dieser Kreatur war, die mittlerweile an der Oberfläche auf ihn zugeschossen kam. Es schien eine tote verweste Frau zu sein, die ihre Krallen in seine Oberarme gerammt hatte. Allerdings war schien sie nicht richtig tot zu sein. Sie stöhnte ihn an und der Gestank, den sie ihm ins Gesicht hauchte, legte fast seine Atmung lahm. Jean betrachtete seine Chancen, aus dem Keller herauszukommen, als aussichtslos. Seine Kräfte waren am Ende und eingekackt hatte er auch vor Angst. Er wusste, wenn das kein verfluchter Alptraum war, dann wäre er am Arsch. Es wurde nicht besser, denn die Kreatur packte ihn noch fester und zerrte an ihm wie eine Furie, bis sie seinen Kopf gegen die Wand drückte und ihn immer wieder gegen das nasse Mauerwerk schlug. Er schrie um Hilfe. Die Schmerzen waren für ihn höllisch. Er war so fertig, das seine Kräfte aus seinen Gebeinen hinausflossen. Da er nicht einmal mehr Angst in sich hatte, fühlte er sich so alleine. Die Kreatur krallte eine Pranke in seinen Hinterkopf und schleuderte ihn so stark gegen die Wand, dass sein Schädel zerplatzte.
Jean öffnete erschrocken die Augen. Sein Kopf schlug heftig nach links gegen die Scheibe. Schmerzen und leichte schwindelartige verzerrte Wahrnehmungen ließen ihn erkennen, dass er in seinem Wagen saß und anscheinend eingeschlafen war. Er sah gerade noch, wie ein schmaler Baum seinen rechten Kotflügel abriss, bevor er das Lenkrad herumriss. Alles lief in Zeitlupe ab. Als nächstes fing der Wagen an zu wanken. Jean sah dabei auf den Abgrund, in den er hinabstürzte. Immer wieder schlug sein Kopf an die Karosserie und ans Lenkrad. Verdammt viel Blut kroch aus den Wunden und schlängelte sich schwerelos an seinem Kopf vorbei. Von vorne näherte sich ein dünner Baumstamm der Windschutzscheibe, während der Wagen gerade 8 Meter durch die Luft stürzte. Der Stamm durchbrach beim Aufprall die Scheibe und stemmte Jean samt Rückenlehne durchs Auto zur Heckscheibe hinaus. Der Wagen blieb wie eine Manschette am Fuße des Baumstamms kleben. Jeans Rücken schien durchbrochen zu sein. Wie ein nasser Sack fiel er vom Stamm auf den Boden. Er spürte nur noch, wie sich die Sachen auf seiner Haut mit warmen Blut vollsogen. Um ihn herum bildete sich eine große Blutlache, in die sich Schneeflocken niederließen und rot färbten. Jean konnte den Flocken dabei zusehen, wie sie mit Blut getränkt wurden, als sie den Boden berührten. Ja, er zählte sie sogar, bis er schließlich die Augen endgültig schloss.
Schwer atmend wachte Jean auf. Er war schweißgebadet und sein Puls raste schneller als Speedy Gonzales, die schnellste Maus von Mexiko „i Ándale!“ sagen konnte. In diesem Moment wach zu werden war für ihn wie eine Erlösung. Fast jede Nacht kämpfte Jean mit dem Gräuel in seiner Seele. Er stand auf und zog sich die nassen Klamotten aus. Sicherheitshalber sah er aus dem Fenster, nur für den Fall, dass es vielleicht doch geschneit haben könnte. Draußen sah es trocken aus. Wäre auch sehr merkwürdig gewesen, wenn es im September geschneit hätte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es 10 Uhr war. Er nahm was gegen seine Kopfschmerzen und brühte sich einen Kaffee auf. Während er diesen durchziehen ließ, stellte er sich schnell unter die Dusche. Diesen ganzen Alptraumscheiß musste er sich erstmal herunter waschen. Danach setzte er sich in bequemen Sachen in die Küche und sah wieder aus dem Fenster. Wann würde es mit den abartigen Träumen nur vorbei sein, fragte er sich und genoss dabei den Kaffee. Darüber hinaus hatte er schon die ganze Zeit ein seltsames Gefühl, so als hätte er irgendwas vergessen. Er war nach jeder Nacht verwirrt und es wurde immer schlimmer. Träumerisch ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, sah sich die Möbel an und öffnete gedanklich jedes Schubfach. Sein Blick wanderte weiter und blieb schließlich an seiner Dienstwaffe hängen. „Scheiße. Ich habe doch einen Einsatz“, schrie er plötzlich, als im einfiel, was das ungute Gefühl bedeutete. Jean war damals nach dem Tod seiner Frau aus dem Polizeidienst ausgeschieden. Sein Chef wollte ihn aber nicht verlieren. Jahrelange Zusammenarbeit hatte die beiden zusammengeschweißt. Deshalb überzeugte er Jean, wenigstens als Berater bei wichtigen Fällen und Operationen tätig zu sein. Was eine sehr gute Idee war, denn nach dem Tod seiner Frau, dem ein zweitägiger Überlebenskampf in einem Keller voranging, wurde etwas in Jeans Unterbewusstsein freigesetzt und strömte nun durch seine Gedanken. Es waren kleine Visionen, die sich ihm zeigten, sobald er andere Menschen berührte und die ließen ihn wiederum deren wahren Kern erkennen. Oft konnte er sehen, was sie Schlimmes getan hatten. So überführte er permanent Mörder und Verbrecher, die die Polizei nie hätte schnappen können. Und das machte Jeans Seele mächtig zu schaffen. Jedes Mal, wenn er in den Geist eines anderen eindrang, um die Taten zu erkennen, die derjenige begangen hatte, behielt er unbewusst etwas in sich zurück. Das, was er zurückbehielt, war das pure Böse und ließ seine nächsten Visionen noch lebensechter wirken. Es war ein schmaler Grat zwischen Realität und Fantasie. Wobei die Grenze zwischen beidem schon längst verschwommen war.
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Berlin Ein junges Mädchen namens Amelie schlenderte mit ihren Freunden Pumpa und Krätze seelenruhig durch den Stadtbezirk Lichtenberg. Amelie, auch Ami von ihren wenigen Freunden genannt, war gerade 18 Jahre geworden und lebte seit 15 Jahren in Lichtenberg. Bis zum 17. Lebensjahr hauste sie in einem Heim, nahe der Möllendorffstraße, also nicht weit weg von ihrem jetzigen Zuhause, einer leicht heruntergekommenen Wohngemeinschaft in der Siegfriedstraße. Irgendwas hielt sie an diesen Ort, doch sie wusste nicht was. Obwohl sie die schlimmsten Jahre in diesem Heim erlebt hatte, fühlte sie sich seltsamer weise in der Umgebung wohl. Sie glaubte natürlich nicht an so etwas wie, dass man sich zu Lebzeiten an Orte aus früheren Leben erinnerte. Amelies Leben im Heim wurde nicht von körperlicher Gewalt sondern von psychischer Grausamkeit bestimmt. Nicht nur ihre Mitbewohnerin mobbte sie permanent, nein auch die Erzieher machten keinen Hehl daraus, dass diese mit ihrem Job überfordert waren. Sie ließen ihre schlechte Laune stets an ihr aus. Dabei wollte Amelie immer nur eins: Geborgenheit, Liebe und ihre Ruhe. Jetzt, wo sie in der Wohngemeinschaft lebte, war alles anders. Nun, es war ein altes mehrstöckiges Mietshaus, in dem alle Wohnungen leer standen. Eine davon hatten sie besetzt und diese mit Matratzen ausgestattet. Möbel gab es zwar, doch die waren schon sehr alt. Amelie war es aber egal, ihr störte das nicht. Das Leben war zwar immer noch stressig, doch Krätze und Pumpa gaben ihr Geborgenheit und Freundschaft. Die beiden hatte sie damals bei einem Rockkonzert kennengelernt. Sie hatten sie angesprochen und auf Anhieb stimmte die Chemie. Seither waren sie unzertrennlich. An diesem Morgen liefen die drei wieder durch die Straßen, um sich einen Platz zum Schnorren zu suchen. Amelie gefiel es nicht, doch sie tat es, um der WG etwas beizusteuern. Im Moment war die Bude dreckig und stinkig, da half es nicht mal, dass eine Frau dort wohnte. Das Geld war so knapp, dass sich die Jungs nie Spülmittel leisten konnten, geschweige denn eine Bürste. So war die Meinung der Jungs jedenfalls. Für Alkohol war allerdings immer ein Euro übrig. Im Heim hingegen war es immer sauber und sie bekam sogar die Möglichkeit eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau zu machen und diese bestand sie auch. Es half ihr aber nicht weiter, da sie sich nicht als Teil des Systems sah. Ihre Eltern, wer auch immer sie waren, hatten sie eiskalt ins Heim abgeschoben und in Kauf genommen, dass sie niemals ein normales Leben führen würde. Am Bahnhof Lichtenberg stellten sich die drei neben den Haupteingang und fingen an zu betteln. Eigentlich standen sie nur da und sprachen ab und zu Passanten an. Nebenbei quatschten sie und lachten über den einen oder anderen. Das einzige, was störte, war der Uringestank, der sich aus dem Fußgängertunnel nach oben schob und sich in die Nase und auf ihre Kleidungsstücke legte. Pumpa setzte sich auf den Steinboden. „Ami, was hältst du von einem Snack? Krätze holt uns bestimmt etwas.“ „Du bist ja een Witzbold. Wo soll ick denn det Geld hernehmen?“ „Stell dich nicht so an, Krätze. Geh zum Dönerladen und lass anschreiben. Aber bitte bringe keinen scheiß Döner mit. Es ist noch nicht mal 11 Uhr, da liegt mir dieser Müll schwer im Magen.“ Amelie ließ sich neben Pumpa nieder. Er hieß nicht wirklich Pumpa sondern Mathias. Er bekam seinen Spitznamen, weil, wenn er sich aufregte, fürchterlich stark zu atmen anfing. Und das sah so aus, als pumpte er kräftig die Luft in seine Lunge. „Ein Kaffee und dazu ein frisches Croissant. Das wäre jetzt schön“, sagte Amelie zu Krätze. Der nickte und zog dabei einen Mundwinkel hoch. Dann drehte er sich um und lief los. Dabei überlegte er, wie man im Dönerladen ein Croissant bekommen soll. Geh ich doch gleich zum Bäcker, sagte er sich und ging einen Laden weiter. Dorthin, wo er die ältere Doreen kannte, von der er hin und wieder was zu essen bekam. Pumpa legte indes einen Arm um Amelie und fuhr über ihre dunklen kurzen Haare. „Wieso hast du dir bloß die langen Haare abgeschnitten? Die waren voll geil.“ „Das geht dich einen Scheiß an und war einzig und allein meine Entscheidung. Was kümmert dich das?“, entgegnete sie. „Hey, Ami, bleib mal cool und so. Wir sind doch Freunde. Und wenn ich sehe, wie du dich verstümmelst, dann interessiert es mich schon. Geht dir was durch den Kopf oder beschäftigt dich was?“, fragte er sie. „Mir geht’s nicht jeden Tag so, wie ich es mir wünschen würde. Ich wäre gerne woanders, wo ich leben kann. Wo ich fliegen kann, um meinen Träumen zu folgen, hinaus aus dem Elend, das sich die ganzen letzten 18 Jahre in meinem Kopf zusammen gebraut hat.“ „Es gefällt dir nicht bei uns in der WG, oder? Ist es dir zu dreckig oder gehen wir dir auf den Sack?“ „Nein! Mensch Pumpa, du kannst das nicht verstehen. Ihr seid super und momentan mein einziger Halt. Ich bewundere euch für eure Einstellung und Lebensweise, die ist nicht üblich. Doch ich“, sie zögerte kurz, „ich stelle mir was anderes vor. In der Zukunft jedenfalls. Irgendwo da vorne ist etwas, das auf mich wartet. Ich weiß das.“ Pumpa war sehr irritiert und schüttelte leicht seinen Kopf. So hatte er sie noch nie erlebt. Er versuchte das erste Mal in seinem Leben, richtig angestrengt nachzudenken. Woher die anschließende Frage dann kam, konnte er sich selber nicht erklären, doch er sprach sie aus. „Suchst du vielleicht nach deinen Eltern? Ich meine, ich kenn mich da nicht so aus mit dem Elternscheiß. Weißt du, mir sind meine ganz scheißegal. Die kotzen mich echt an. Aber bei dir ist das wohl anders. Du bist ja kein Spießermädchen, das weiß ich. Du lebst wie wir in den Tag hinein und bist, ich meine warst, immer glücklich bei uns. Doch das, was dich innerlich auffrisst, ist etwas Ernstes.“ Amelie drehte sich zu ihm und sah ihm in die Augen. Ihr liefen Tränen die Wangen herunter. Mit zitternder Stimme sprach sie: „Was ist mit dir Pumpa? Du bist so anders. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass du mich verstehst. Und ja, du hast vollkommen Recht. Jetzt weiß ich, wo ich mein seltsames Gefühl einordnen kann. Ich hielt es immer für Hass, dabei war es die Sehnsucht nach meinen Eltern, die Ungewissheit der Vergangenheit und das mulmige Gefühl im Magen, das die Zukunft in sich trägt.“ Pumpas Gedanken verfielen in dem Moment in ein riesiges Chaos. Jetzt hatte er das erste Mal seit Jahren was Vernünftiges gesagt und das schien ihn nun von Amelie zu entfernen. Er hätte sich selber ohrfeigen können. Da wehte ein laues Lüftchen aus Amelies Richtung in seine Nase. Verzaubert von diesem Duft, der seltsamen Situation und der Nähe zu ihr setzte er seine Lippen auf ihre. Sie erwiderte seinen Kuss. Doch ein paar Sekunden später löste sie sich abrupt von ihm und sah verstört weg. Pumpa wusste auch nicht, was geschehen war und blickte plötzlich in Krätzes Gesicht. Der hockte vor ihm. „Habe ick etwas verpasst? Wat geht denn bei euch ab? Macht ihr jetzt auf Liebe oder wat? Man dat ist doch blöd.“ Er reichte Amelie die Tüte mit einem Croissant und einen Becher Kaffee. „Für dich und ganz umsonst. Was ist los?“ Krätze hockte sich am Becher schlürfend zu den beiden auf den Boden. Pumpa boxte ihn. „Hey, Alter, das ist nicht so, wie es aussieht.“ Krätze musste lachen: „Äh nee, wie sah es denn aus? Hey, Alter, war das Zufall oder wie? Man, ich habe euch noch nie knutschen gesehen. Wie lange habt ihr das schon vor mir verheimlicht?“ Pumpa wehrte sich und boxte ihn nochmals. „Da war noch nie was. Ich hätte es dir gesagt. Es überkam uns nur.“ Amelie aß ihr Croissant und trank den dampfenden Kaffee. Beim Kauen sprach sie: „Pumpa hat mich glücklich gemacht.“ Jetzt sah Krätze erbost zu Pumpa. Amelie sah es und sprach schnell weiter: „Er hat mir geholfen zu erkennen, wieso es mir nicht so gut geht.“ „Biste schwanger oder was? Würde ick auch dran denken, wenn ick wat mit dir hätte“, warf Krätze ein. „Nein. Ich bin nicht schwanger und habe nichts mit Pumpa. Pumpa meinte nur, dass ich Sehnsucht nach meinen Eltern habe. Vielleicht sollte ich wirklich nach ihnen suchen.“ „Echt? Willste das? Willste echt erfahren, warum sie dir wegjeschmissen haben? Mir wäre dit egal und ich hätte sowieso keenen Bock darauf, nochmals verletzt zu werden.“ „Hey, Krätze, jetzt lass sie doch in Ruhe und beantworte mir mal ne Frage. Sag, wenn du morgens aufwachst, wem folgst du den ganzen Tag?“ „Dir, Pumpa?“ „Quatsch Mensch. So meinte ich es nicht. Was sagt dir den ganzen Tag, was du machen kannst und worauf du Lust hast?“ „Meen Kopf und dat Bauchgefühl. Ist doch ganz einfach.“ „Siehst du Krätze und bei Ihr ist das auch so.“ Amelie genoss das neue Gefühl in ihren Gedanken, diesen neuen Weg nach vorn, der sie von alten Strukturen ablenkte. Sie wusste zwar noch nicht wie sie es anstellen würde, ihre Eltern zu finden, aber das etwas geschehen würde, dessen war sie sich sicher. „Übrigens vergesst nicht, dass wir heute Abend bei Jim Jerko eingeladen sind. Er eröffnet eine Bar in der Oranienburger Straße.“ Jim Jerko war halb Afroamerikaner und halb Russe und lebte seit zwei Jahren in Berlin. Ihre Wege kreuzten sich auf der Straße, als Jim anfangs auf ihr leben musste. Pumpa und Krätze halfen ihm damals, über die Runden zu kommen. Irgendwann lernte Jim seine Frau kennen und die hatte echt viel Geld. Sie half ihm dann, die Bar aufzubauen. Pumpa bekam große Augen. „Ist das heute schon? Wow, die Zeit vergeht. Da sind wir doch dabei, nicht wahr, Krätze?“ Der aber träumte wohl und sah in die weite Ferne. Dann drehte er sich zu Amelie um. „Ick glob, ick kann dir helfen. Ick kenne jemand, der hackt sich zu jerne überall in die PCs von anderen hinein. Wenn jemand etwas über dich in Erfahrung bringen kann, dann vielleicht er. Ick rufe ihn an und bevor wir heute Abend zu Jim gehen, schauen wir bei ihm vorbei.“ „Meinst du Sergei?“, fragte ihn Pumpa. Krätze nickte und rieb sich dabei seinen Hintern, der ihm vom Sitzen wehtat. „Das ist eine gute Idee von dir, vielleicht kann er ihr echt helfen.“ Während sich die drei so unterhielten schob sich ein Schatten über ihre Köpfe. Vor ihnen bauten sich drei Polizisten auf, die sehr ernst dreinschauten. Pumpa sah erbost zu Krätze und dann auf den Kaffee. Krätze hob nur kurz die Schultern ein wenig hoch. Da dämmerte es Pumpa, wieso der Bäckereinkauf kostenlos war. „Krätze, du Vollidiot, du hast doch nicht schon wieder geklaut.“ Als einer der Polizisten zu reden anfing, sah Pumpa erst Amelie und dann Krätze an. Sie hörten dem Beamten nicht zu, sondern sprangen schnell auf und schütteten die Becher in die Gesichter der Polizisten, die aufschreiend zurückwichen. Diesen Moment nutzten sie aus, um der Situation zu entfliehen. So schnell sie konnten, rannten sie vom Bahnhof weg. Durch mehrere kleine Nebenstraßen trieb es sie in der Hoffnung, die Polizei loszuwerden. Am Nationalfriedhof hielten sie an und gingen langsam weiter. Dort war nämlich gerade eine Beerdigung im Gange und die wollten sie auf keinen Fall stören. Als sie die Trauernden hinter sich gelassen hatten, rannten sie weiter und versteckten sich in der anliegenden Kleingartenanlage. Amelie war immer wieder erstaunt darüber, wie gut sich Pumpa in dem Bezirk auskannte. Er selber betonte stets nur, dass er seine halbe Jugend hier verbracht hatte. Und er hatte unweit ein gutes Versteck für den Sommer. Ein verlassenes Grundstück mit einer alten Laube darauf. Das Grundstück, auf dem sie gerade Zuflucht fanden, war ihm allerdings fremd. Hinter einer Laube legten sie sich auf alte Sonnenliegen und verharrten dort.
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Greensburg Wenn das Böse nachts umherschleicht, findet es immer einen Ort, über den es seinen grauenvollen Umhang werfen kann.