Lakonie eines Nachkriegskindes - Heiner von Einfeld - E-Book

Lakonie eines Nachkriegskindes E-Book

Heiner von Einfeld

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Beschreibung

Lakonisch, eben knapp und trocken, eher schmucklos und doch treffend, versucht ein Kind die ersten Jahre seines Lebens zu erinnern. Jahre, die anfänglich die ärmlichen Verhältnisse der Nachkriegsjahre beschreiben, unter denen das Kind anscheinend weniger litt, als unter den nachfolgenden Jahren bei seinen Pflegeeltern, die zwar eine hohe finanzielle Sicherheit boten, aber nicht die wohlige Wärme seiner Familie. Der Leser erfährt, was dem Kind Richtung und Stärke gab, aber auch, dass es in dieser Lebensphase nicht nur Essen und Trinken benötigte, sondern auch Antworten auf all seine gestellten Fragen. Die Gedanken des Kindes werden bewusst zweisprachig wiedergegeben, da seine leiblichen Eltern plattdeutsch sprachen und die späteren Pflegeeltern hochdeutsch.

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Ich danke besonders meiner Frau ___

Sünnerlich dank ik mien Fru

Thorina

Für meine Kinder ___

För miene Kinner

Maja und Tilman

De Inhalt

Vörwoort

Einfeld

Hamborg

Im Laden

Bi Oma un Opa

Unkel Heinzi

Unkel Fritz und Tant Else

Tant Elli

Wahnoort

Bohrenfeller See

Verschickung

Ümtog

Poor Wöör achterna

Erklärungen

Inhalt

Vorwort

Einfeld

Hamburg

Im Laden

Bei Oma und Opa

Onkel Heinzi

Onkel Fritz und Tante Else

Tante Elli

Wohnort

Bahrenfelder See

Verschickung

Umzug

Nachwort

Erklärungen

Vörwoort

As lakoonsch versteiht een en korte, dröge, man passliche Oort sik uttodrücken. Fröher hett dat för de Bewahners vun Lakonien (d.h. Spartas) gollen. Dorvun leit sik ok de Lakonismus „de Spraakform vun de bedüdende Nüchternheit“ af.

Wat dat heet, hett Philipp II. vun Makedonien mal, as he mit sien Heer rankeem, de lakoonsche Hauptstadt vun Sparta droht:

„Wenn ik jo besiegt heff, warrt joon Hüüs brennen, joon Städer in Flammen stahn un joon Fruunslüüd warrt Wittfruuns ween.“

Dor säen de Spartaner:

„Wenn.“

Ut: Wikipedia, 2020

Düsse Oort vun Lakonie finnt een nich blots in Einfeld.

Vorwort

Als lakonisch wird eine knappe, aber treffende, trockene, schmucklose Ausdrucksweise bezeichnet, die als charakteristisch für die Bewohner Lakoniens (d. h. Spartas) galt. Davon abgeleitet ist Lakonismus „die sprachliche Form der bedeutenden Nüchternheit“.

Als Philipp II. von Makedonien bei anderer Gelegenheit mit seinem Heer herannahte, sandte er, der Legende nach, folgende Drohung an die lakonische Hauptstadt Sparta:

„Wenn ich euch besiegt habe, werden eure Häuser brennen, eure Städte in Flammen stehen und eure Frauen zu Witwen werden.“

Darauf antworteten die Spartaner:

„Wenn.“

Aus: Wikipedia, 2020

Diese Art der Lakonie findet man nicht nur in Einfeld.

Einfeld

Dat is üm 1949. Ik nün an negen Öventen twee Johr oolt, Ik sitt in en Gadderbett un stier op dat riffelte Bleek vun de Nissenhütt. Dat is veriest. Ik leev in en Köhlschapp.

Ik verhaal mi vun mien Lungenentzünnen bi rieke Verwandtschop in Hamborg. Bi Unkel Fritz un Tant Else. Tovör is dor al mien veer Johr öllere Broder Bernd mit Erfolg gegen siene Diphterie angahn.

Wenn’t regent, trummelt de Regen so luut gegen dat Bleekdack, dat een dat Brüllen vun mi un mien Vadder nich hören kann.

He hett den Krieg un de Arbeit verloren. Wenn he so wieder süppt, warrt he ok noch den Verstand verleren.

Na den Regen sitt ik mehrsttiets vör de Nissenhütt un geneet de eerdige Luft. Ik warr to’n Dagdrömer. Wenn allens dröög is un sik de eersten Deerten in miene Nöögde troot, sparr ik jem in, dat se blievt.

Mit de Naversgöörn warrt nich speelt. Se speelt ok nich mit mi. Wi sünd uns in Spraak un Wesen frömd.

Uns Nissenhütt is üm un bi 40 m2 groot. Se hett vörn un achtern en halvkreisförmig Wand un döröver en Wellbleekdack, eenwandig. Op de Goornsiet is de Ingangsdöör, blangenan dat Kökenfinster. Op de Stratensiet is dat Finster vun de Slaapstuuv. Achter de Döör is en Köken- un Waschbereich, achtern de Slaapstuuv mit Dubbel- un Gadderbett

Sünd de Öllern opstahn, treckt mien Broder un ik noch in dat noch warme Bett vun de Groten üm. Mien Broder maakt de Nadischlamp an un tövert mit siene Hannen grote Schattenfiguren an de Wand. Laatstens wenn de Wülv kaamt, versteek ik mi ünner de Bettdeek.

Nüms weet nipp un nau, woso de Hüüs Nissenhütten 1) heet, man all sünd sik seker, dat mutt wat mit de Eier vun de Lüüs to doon hebben. Noch en Grund, woso nich jedeen in uns Nöögde ween mag.

Uns Nissenhütt steiht in Einfeld, en Dörp in de Nöögde vun Neemünster, nich wiet af vun den Einfeller See. In Einfeld steiht de Hütt an’n Rand vun de Finnhuussiedeln 2), dicht bi‘n Spoortplatz 3) un direktemang vör de Feller un Wischen.

Wi hebbt en bannig grodet Grundstück mit Nutzgoorn un Schüün, bummelig 600 m2. Mien Vadder boot Kantüffeln, Kohl, Bohnen un Arven an. Un he verflucht de Ketelböters. Ik warr to’n Jäger bestimmt un mit en Weckglasgummi utstaffert. Över Weken muss ik wo masse Ketelböters dootscheten, opgliek ik jem bannig geern lieden mag.

Interesseren doot mi de grönen Heupeer, sünnerlich de Wieverchen mit de langen Legestacheln. Man ik kann jem noch so lang in mien Weckglas opbewohren, se vermehrt sik eenfach nich.

De Naverkatt hett ´smeten´. Mien Broder un ik kriegt nu jeder en lütte Katt. Mien Broder leest in een Tour Tarzan- und Akim-Comics. Dorüm heet de Katten Tarzan un Akim. Akim is de ´Tarzan för Arme´, seggt mien Broder. Ik krigg Akim.

Een Dags kümmt mien Vadder na Huus, nimmt de Katten, stickt jem tohopen mit Steens in en Sack un smitt dat allens in den Einfeller See. De Comics hebbt ok blots noch korte Tiet.

Mien Vadder süht ut as en Mix ut Landser un Apachenhäuptling. Mien Mutter hett sik in em verknallt as se bi den Bedriev „Herde“ in Hamborg-Altna in’n Tweten Weltkrieg de Köök ünner sik harr. Mien Vadder harr to düsse Tiet en Oog op de Dwangsarbeiters. Een seggt, he maakt sien Job mit „harte Hand“.

Siet he dat letzt Mal in Afrika un Italien in’n Krieg weer stötert he. Nüms weet woso. He snackt nich doröver.

He is in Neemünster to Welt kamen, hett Dookmaker lehrt, man de Dookmakerei is pleite. Nu arbeit he as LKW-Fahrer un is blots selten tohuus.

He hett jümmer Maleschen mit den ´Stohl´. Mien Mudder meent, wenn he sik endlich mal för’t Pinkeln hensetten deit, denn sünd de Maleschen weg. „Geev dien Darm en Schangs!“ Verkloort warrt nix. Al gor nich över sien ´Stohl´ un sien Ümfeld.

Eerst denk ik, se geneert sik, doröver to snacken. Man vundaag glööv ik, se hebbt eenfach keen Ahnen.

Op dat Flach steiht en grote Remise ut Holt, meist en Schüün. De Bodden is ut Sand, in’n Achtergrund gackert Höhner un vörn rechts stinkt dat Paddemang. De Schüün is in‘n Sommer köhl un warm in’n Winter.

Stünnenlang speel ik dor Indianerkriegen na. Ik un miene leevsten Plastikfiguren. Dorbi maak ik mit mien Muulwark jümmer jichtenswelche Zisch, Gorgel- un Explosiosgeräusche.

Ik heff masse Figuren: Indianers, Cowboys, en Kutsch un en Fort. Ik weer riek. Wi weern arm, bannig arm.

Mien leevstet Eten is ´Fingerwust´. Dorto stickt een den Finger in en Lebberwust un stickt em denn in den Mund. Leider kann een dat nich so faken maken, derholen, ok nich, wenn een de Oberfläche mit denn Finger glattstrieken deit. Wat mien Mudder hennimmt, maakt mien Vadder wütig.

Dat twete Eten, wat ik sünnerlich geern mag, is Zuckerbroot. Dorto mellt een sik freewillig to’n Inhollen, köfft dat leckerste Boddermelkbroot wat dat gifft, bringt dat na Huus un töövt bet nüms in de Köök is. Denn snied een sik en dicke Schiev af, smeert düchtig „gode Bodder“ dorop un toppt dat allens mit jüst so veel Zucker, dat he nich vun’t Broot drieseln deit

Waschen is för mi jedeen Dag en Folter, man wat mien Mudder seggt mutt een dat doon, „anners wöör se den Schiet gor nich mehr vun mien Huut rünnerkriegen!“

Dat gifft keen Winneln. Mien Mudder maakt mi jümmer vör’t Avendeten free vun mien Schiet. Leider mutt ik lang in de Wann sitten, dat sik de Dreck aflööst, ahn dat dat weh deit. Mit dat Water hebbt se denn dat Feld düngt.

Mien Mudder hett wat Schönet un Warms. Ik mag ehr Stimm. Een kann sik in ehr rinkuscheln. Se maakt gode Luun un jedeen hett ehr geern. Blots mien Vadder nicht. Se denkt denn veel na un föhrt mit ehr Tung in’n Mund Achterbahn.

Wenn wi in’t Bett sünd un se mit wat vörlesen deit un dorbi mien Kopp strakelt, denn gifft dat nix, afsluut nix, mit wat ik tuuschen mag. Ok nich för Plastikfiguren.

Mien Broder un ik sünd mal wedder an‘n See, jümmer op de Söök, wat to beleven. Fische, Poggen un Vagels köönt al nich in uns Nöögde överleven. Lütte Jungs sünd unminschlich, wenn een jem lett.

Uns Mudder hett uns en ´Moorsvull` geven, wieldat wi blots mit uns Ünnerbüx in’n See weern. Wi denkt, dat is wegen de natte Büx, man dat is de See, vör den se bang is.

De Einfeller See is de anerkannte Vörhoff vun’n Einfeller Karkhoff. Entweder is dor jüst een verdrunken oder dor droht een, dat he sik verdrinkt. „Lever gah ik in‘n Einfeller See!“, dat is dat ultimative Drohen in Einfeld.

Nüms in uns Familie kann swömmen. Ik glööv sogor, nüms weet, dat een Swömmen lehrn kann

Op de anner Stratensiet vun uns Hütt is en Wisch. Se hett masse Blööd un Gräser. Wenn een sik dor henleggt, staht de Feldlarken hooch an’n Heven un singt. Ik lehr, mit jem to snacken. Nix wat uns stöört un nüms den ik stören do. Ik nehm mi vör, dat ik jichtenswann flegen kann.

Ik saddel vun Schaukelpeer op Ruller mit Ballonriepen üm. Bi mien eerste „grote Runn“ üm de Strateneck fohr ik ahn to bremsen op en Auto, wat dor parkt. To’n eersten Mal föhl ik, dat dor wat in mien Kopp knackt un Bloot wat na Metall smeckt, scheet ut mien Nees.

Op den Footballplatz loopt mal wedder mal en Hupen Mannslüüd achter en Ball ran. De Stimmung is opwöhlt un luut. Op Fragen antert mehrstendeels jichtenseen wat, wat ik nich verstah un all sünd an’t Juchen. Ik gah nich mehr hen! Football is dat Speel vun Döösköpp för Döösköpp

Einfeld hett en Oorstmidde mit Marktplatz. Op den Marktplatz hebbt se en hülten Baracke to en School utboot. Dor geiht mien Broder hen. He is en Linkspoot un kümmt sik behinnert vör, wieldat all allens mit rechts maakt. De Mitschölers un Lehrers maakt dat nich beter.

Blangen den Platz steiht en Dörpkino. Sünnerlich Cowboy-Films hebbt uns dat andoon. Den amerikaansche Schauspeler Randolph Scott möögt wi an’n leevsten. He süht ut as uns Vadder, blots dat he netter is. Bilütten seh ik in em mien Ersatzvadder.

Mien Broder seggt, de Cowboy-Films fangt jümmer liek an (dor ried een) un höört jümmer liek op (dor ried een) un in de Merrn warrt schaten. Man se geevt mi Ideen för miene Indianerkriegen.

Alan Ladd is ok so en Westernheld. He is flasshoorig un egens veel to lütt för siene Rullen. Man he süht mien Broder bannig liek. Also warrt he mien grote Ersatzbroder. Mien richtigen Broder seh ik blots noch selten. Ik bün to jung. Miene eersten Vörbiller sünd Schauspelers. „Shane“ is mien levsten Film.

Mien Broder speelt nu Feldhandball, wat dat heet is dor de linke Hand vun Vördeel.

In de Dörpmidde gifft dat nu en wohrhaft wichtigen Laden: Den Speeltüügladen. Ik verbring masse Tiet vör de Schaufinsterschiev. Ik gah jümmer alleen ´na’t Dörp´, dat ik in Roh vör de Schiev stahn kann. Ik mutt de Plastikfiguren nich in de Hand hollen, ik kann mit jem in’n Kopp spelen, wenn ik jem seh.

Einfeld

Es ist um 1949, ich bin am neunten Elften zwei Jahre alt, sitze in meinem Gitterbett und starre auf das geriffelte Blech der Nissenhütte. Es ist vereist. Ich lebe in einem Kühlschrank.

Meine Lungenentzündung kuriere ich dann bei ´reichen´ Verwandten in der Stadt Hamburg aus, bei Onkel Fritz und Tante Else. Dort hat schon vorher mein vier Jahre älterer Bruder Bernd erfolgreich seine Diphterie bekämpft.

Wenn es regnet, trommelt der Regen so laut gegen das Blechdach, sodass das Schreien nicht zu hören ist, meins und das meines Vaters.

Er hat den Krieg und die Arbeit verloren und wird bei seinem Alkoholkonsum auch noch den Verstand verlieren.

Nach dem Regen sitze ich meist vor der Nissenhütte und genieße an der Tür sitzend die erdige Luft. Ich werde so zum Tagträumer. Wenn alles trocken ist und sich die ersten Tiere in meine Nähe trauen, kerkere ich diese ein, damit sie bleiben.

Mit den Kindern der Nachbarn wird nicht gespielt, ein Verhalten auf Gegenseitigkeit. Wir sind uns fremd, in der Sprache und im Verhalten.

Unsere Nissenhütte ist etwa 40 m2 groß, hat vorn und hinten eine halbkreisförmige Wand und darüber ein Wellblechdach, einwandig. Auf der Gartenseite ist die Eingangstür, daneben das Küchenfenster. Auf der Straßenseite gibt es das Schlafzimmerfenster. Hinter der Tür ist der Küchen- und Waschbereich, hinten der Schlafraum mit Doppel- und Gitterbett.

Wenn die Eltern aufgestanden sind, ziehen mein Bruder und ich in das noch warme Bett der Erwachsenen um. Mein Bruder macht dann die Nachttischlampe an und zaubert mit seinen Händen riesige Schattengestalten an die Wand. Spätestens wenn die Wölfe kommen, verschwinde ich unter der Bettdecke.

Keiner weiß genau, warum die Behausungen Nissenhütten 1) heißen, aber alle sind sich sicher, dass es was mit den Eiern der Läuse zu tun haben muss. Ein weiterer Grund, nicht unsere Nähe zu suchen.

Unsere Nissenhütte steht in Einfeld, ein Dorf nahe Neumünster unweit vom Einfelder See. In Einfeld steht die Hütte am Rande der Finnhaussiedlung 2), nahe dem Sportplatz 3) und direkt vor den Feldern und Wiesen.

Wir haben ein sehr großes Grundstück mit Nutzgarten und Scheune, ca. 600 m2. Mein Vater baut Kartoffeln, Kohl, Bohnen und Erbsen an und verflucht die Kohlweißlinge. Ich werde zum Jäger bestimmt und mit einem Weckglasgummi ausgestattet. Hiermit muss

ich wochenlang unzählige Kohlweißlinge erschießen, obwohl ich sie sehr schön finde.

Interessant finde ich die grünen Heupferde, besonders die Weibchen mit den langen Legestacheln. Aber ich kann sie noch so lange in meinem Weckglas beherbergen, es kommt zu keiner ´Geburt´.

Die Nachbarkatze hat ´geworfen´. Mein Bruder und ich bekommen je ein Kätzchen. Da mein älterer Bruder ständig Tarzan- und Akim-Comics liest, heißen die Katzen Tarzan und Akim. Akim ist der ´Tarzan für Arme´, sagt mein Bruder. Ich bekomme Akim.

Mein Vater kommt irgendwann nach Haus, nimmt die Katzen, steckt sie zusammen mit Steinen in einen Sack und wirft das Ganze in den Einfelder See. Die Comics gibt es auch nur noch kurze Zeit.