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Eine Frau und ein Mann, beide Großstädter, und ihr erster Hund, Leonberger Otto, leben seit einem Jahr auf dem Land, in einem 40-Einwohner-Dorf in Brandenburg, in der Prignitz. Sind sie auch angekommen? Dieses Buch erzählt vom Alltag des Paares, miteinander, im Dorfleben, im Garten, bei der Hundeerziehung. Von Zweifeln und Zipperlein, Rückschlägen und kleinen Erfolgen, Tierbegegnungen und Pflanzenentdeckungen. Von den Besonderheiten des Landlebens, von Menschen. Stets mit einem Augenzwinkern, denn mit Humor lässt sich alles besser meistern, ob mickrige Ernte, Wanzen im Bett oder bockiger Junghund. Und nicht zuletzt geht es um den liebenswerten Sturkopf Otto, der Pubertät und erste Liebe erlebt und mit dem es nie langweilig wird.
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Seitenzahl: 182
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Eine Frau und ein Mann, beide Großstädter, und ihr erster Hund, Leonberger Otto, leben seit einem Jahr auf dem Land, in einem 40-Einwohner-Dorf in Brandenburg, in der Prignitz. Sind sie auch angekommen?
Dieses Buch erzählt vom Alltag des Paares, miteinander, im Dorfleben, im Garten, bei der Hundeerziehung. Von Zweifeln und Zipperlein, Rückschlägen und kleinen Erfolgen, Tierbegegnungen und Pflanzenentdeckungen. Von den Besonderheiten des Landlebens, von Menschen. Stets mit einem Augenzwinkern, denn mit Humor lässt sich alles besser meistern, ob mickrige Ernte, Wanzen im Bett oder bockiger Junghund.
Und nicht zuletzt geht es um den liebenswerten Sturkopf Otto, der Pubertät und erste Liebe erlebt und mit dem es nie langweilig wird.
Die Autorin hinter dem Pseudonym Eva Andorn, Jahrgang 1970, wuchs im Ruhrgebiet auf. Sie ist ausgebildete Sprach- und Literaturwissenschaftlerin, PR-Beraterin und Lektorin und lebte in Bonn und Berlin, wo sie unter anderem für verschiedene Redaktionen tätig war. Nach mehr als zwanzig Jahren in der Hauptstadt zog es sie aufs Land. Sie lebt mit Mann, Hund und Hühnern in einem Dorf in der Prignitz/Brandenburg. 2023 erschien ihr Kurzgeschichtenband Mit Otto aufs Land. Wenn sie nicht gerade selbst schreibt, arbeitet sie als freie Lektorin.
Giersch siegt immer.
Jacques Berndorf: Eifel-Träume. Dortmund (15. Aufl.) 2004.
Der Charme der Prignitz
Regentanz
Das geht vorbei
Sag niemals Beet
Wächst was? I – Frühsommerfreuden
Die Gartenplage
Ein Fest
Von Spatzen und Kolibris
Otto am Meer
Schraubenzieher und andere Baustellen
Erzähl mir einen vom Kraut
Umbrüche
Wächst was? II – Wer braucht das alles?
Aufm Land
Alle sind so müde
Frage an die Natur – schlafen Insekten?
Frage an die Natur – trauern Mäuse?
Komm ruhig, Winter!
Zu viel „süß“ ist auch zu viel
Otto wird erwachsen (naja, ein bisschen)
„Wir sind hier isoliert“
Die Magie des Herrn Schulz
Wenn die Silvester-Hits nicht helfen
So viele Bäume
Was man im Februar nicht tun sollte
Von Wanzen und vom Altwerden
Shoppen und Cruisen
Faul und flauschig
Die Einöde grüßt schön zurück!
Die Visitenkarte des Grauens
Jorge hängt in der Luft
Alleinunterhalter
Frage an die Natur: Sind Fliegen nützlich?
Kürbisslalom
Wunderliches, groß und klein
Lecker, lecker
Stadtluft
Wegatmen
Ein ganz normaler Sommertag
Dolores, endlich
Zuhause ist hier
Zugabe 1)
Off-topic: Bei der Arbeit – Feedback
Zugabe 2)
Vorsicht – ein Gedicht!
– Einkaufen in Brandenburg
Quellen
Dank an…
Und sonst?
Die Prignitz ist weit, flach und grün. Hier leben sechsundsiebzigtausend Menschen, seit fast einem Dreivierteljahr auch wir: mein Mann Marc und ich und Junghund Otto.
Unser Dorf zählt etwa vierzig Einwohner, zwanzig Hunde, außerdem Kühe, Schweine, Hühner, Gänse, Wachteln, Pferde, Esel und einige Katzen. Sehr viele Mäuse auch und Maulwürfe. Den Ziegenbock musste Nachbar Christo abgeben, nachdem der ausgewachsen war und Christo und Hündin Bella sich nicht mehr in den Garten trauten.
Ob mit oder ohne Bock – wir fühlen uns wohl. Wildfang Otto ohnehin, so viel Platz, so viel zu schnuppern und zu erkunden. Pudelwohl fühlt er sich – in seinem Fall: leonbergerwohl.
Wie könnte man sich hier nicht wohlfühlen? Nur an den etwas eigenen, rauen Charme der Prignitzer mussten wir uns erst gewöhnen. Vielleicht hängt dieser damit zusammen, dass hier auf jeden Quadratkilometer bloß sechsunddreißig Bewohner kommen: Bei so dünner Besiedlung liegt es nah, dass man sich kaum in Small Talk, in Höflichkeitsfloskeln üben muss. Hier hat man sich entweder was zu erzählen, oft viel, oder eben nicht. Auf jeden Fall hält man sich nicht mit oberflächlichen Nettigkeiten auf.
Zum Beispiel stand ich im frühen Januar an der Tankstellenkasse und wünschte nach der Begrüßung „Ein frohes neues Jahr!“
Und die Frau hinter der Kasse sagte, ohne aufzublicken, „Danke“ und tippte weiter in ihr Handy.
Ich soufflierte in Gedanken ein „Ihnen auch!“ Muss man sich nicht mit aufhalten, aber wäre doch nett.
Ist nicht böse gemeint, das weiß ich inzwischen.
Neulich brachte ich unseren Nachbarn von schräg gegenüber, Familie Schulz, Kuchen vorbei. Dafür hatte ich mich nicht extra umgezogen, und da ich zuvor im Garten gearbeitet hatte, trug ich meine fleckige Arbeitshose, die in bematschten Gummistiefeln steckte, obenrum T-Shirt und Softshelljacke, die Haare hatte ich etwas nachlässig zu einem Knoten zusammengedreht. Ungeschminkt war ich sowieso.
Herr Schulz musterte mich und sagte Prignitz-charmant: „Du siehst schon aus wie eine Bäuerin.“
Dazu setzte er seinen sphinxhaft unergründlichen Blick auf. Und es war nicht so, dass er im Sonntagsanzug vor mir gestanden hätte, stattdessen trug er seinen durchaus etwas abgeranzten Blaumann.
Marc meinte nachher: „Wie hat er das denn gemeint?“
„Ich glaube positiv“, riet ich.
„Du freust dich ja richtig.“
Ja, ich freute mich wirklich. Das war bestimmt auf Prignitzer Art ein ziemliches Kompliment.
*
Urschrei. Das musste sein. Sofort frage ich mich: Hat das jemand gehört? Christo, falls der in seinem Garten werkelt, oder Herr Schulz, der immer alles zu sehen und zu hören scheint?
„Was ist los?“, Marc steckt den Kopf aus der Wintergartentür und klingt eher irritiert als besorgt.
Es ist doch offensichtlich, was los ist: Ich bin von oben bis unten triefnass, von der Brille bis zu den Schuhen.
Ich renne Richtung Wasseranschluss, verfange mich dabei kurz in einem Beißring des Hundes, ich sehe halt wenig durch die besprengten Gläser. Schaffe es, mich nicht hinzupacken, schüttele den Beißring vom Schuh.
„Schlauch!“, rufe ich im Vorbeirennen, atemlos und übellaunig, und stelle das Wasser ab.
„Du machst das schon“, sagt Marc und zieht sich schnell wieder zurück.
Es gibt so Tage … Der Gartenschlauchaufsatz mit der „Brause“ sprang mir gerade zum zweiten Mal hintereinander ab. Das Wasser schoss unkontrolliert aus dem Schlauch, und ich stand im Weg. Passiert natürlich dann, wenn ich maximal weit vom Wasseranschluss entfernt bin.
Spurt, Wasser abstellen, also Pumpenstecker ziehen, Hahn auflassen. Zurück und Restwasser aus dem Schlauch ablaufen lassen. Den Aufsatz wieder aufs Schlauchende friemeln. Hebel auf „zu“. Noch mal zum Anschluss: Wasser anstellen. Der Stecker hat sich verklemmt. Macht ja nichts. Kurz tief durchatmen. Problem beheben, weitermachen.
Es ist Mitte Juni, und es regnet einfach nicht, seit Wochen. Als wäre schon Hochsommer. Genauer gesagt fing das an, als wir den großen Regenwasserauffangtank gekauft hatten. Nach Wochen mit ständigen Niederschlägen, ob Niesel, ausdauernder Landregen oder Unwetter mit Hagel. Kaum hatte Marc das Ding aufgebaut und die Dachrinne „umgeleitet“, da fiel kein Tropfen mehr.
Heißt: tägliches Wässern, vorn, hinten, an den Seiten. Nicht meine Lieblingsaufgabe, aber nicht zu ändern. Nur die Wiese lassen wir aus, um Wasser zu sparen – soll das, was da wächst, braun werden, da gedeihen ohnehin mehr Beikräuter und Maulwurfshügel als Gras.
Ich rechne lieber nicht gegen, ob ich durch mein Ungeschick weniger Wasser vergeude, als ein Rasensprenger verbrauchen würde.
Wenn ich mal gar keine Lust habe und mir einrede, dass es bewölkt ist, spätestens am nächsten Vormittag regnen wird und ich also das Wässern und Gießen ausnahmsweise ausfallen lassen kann, kommt die Quittung am nächsten Tag, an dem natürlich kein Tröpfchen vom Himmel fällt. Dann ist der sandige brandenburgische Boden so trocken, dass mein Gießwasser einfach abperlt. Nicht gut.
Ja, ich weiß, ich darf die fünfzig Meter Schlauch nicht einfach hinter mir herzerren, nein, ich nehme den Aufsatz in die linke Hand, ein paar Meter aufgewickeltes Schlauchende klemme ich mir unter den Arm und ziehe die blaue Schlange ganz vorsichtig durch den Garten. Aber erstens bin ich ungeduldig, zweitens eher grobmotorisch veranlagt und drittens ist das Ding gerade im flexiblen Kräuterbeetzaun hängengeblieben, der nun in einem unschönen Winkel im Beet liegt. Brause wieder ab, dritter Akt, Wasser marsch, nein, ich schreie nicht noch mal, ist doch peinlich.
Alles wieder von vorn. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Otto die Gelegenheit nutzt, endlich mal durch das Kräuterbeet, eine für ihn verbotene Zone, zu stromern. Forsch stapft er durch den Schnittlauch, um dann am Salbeibusch ein Bein zu heben.
„Nein! Otto!!!“
War was? Ich hab nichts gehört, scheint sich das Biest zu denken und fängt an zu buddeln.
Atmen! Ich scheuche den Hund aus dem Beet und richte den Zaun notdürftig wieder auf. Putze mir die Brille, bei der Gelegenheit, bevor ich mich noch mal in einem von Ottos Spielzeugen verfange oder über einen Ast oder Holzklotz stolpere. Eins von Ottos Lieblingsspielen ist es, Brennholz im Garten zu verteilen.
Ich wässere noch die Bartnelken, das war es schon, dafür der ganze Aufriss und die unfreiwilligen Duschen. Blick auf die Uhr: elf Uhr dreißig. Der Hühnerstall ist noch nicht gereinigt, und die Vögel haben noch kein Futter. Ich sollte auch ein wenig arbeiten, also für mein Einkommen – später.
Warum vergeht die Zeit auf dem Land so schnell? Jeden Tag. Ich hatte mich die ganze Zeit auf den Sommer hier gefreut. Schon durch die längeren Tage müsste man doch mehr schaffen und noch dazu mehr Zeit zum Entspannen haben. Ist aber nicht so.
Vielleicht sollte ich Rituale für einen Regentanz googeln.
Marc traut sich wieder raus, einen Kaffeebecher in der Hand, Blick in den Himmel.
„Was für ein schöner Tag wieder!“, ruft er.
Mhm.
„Morgen bist du dran mit Wässern!“, antworte ich nur.
Marc lächelt ganz entspannt und meint: „Morgen soll’s regnen.“
*
Wir sitzen draußen bei Christo, trinken Kaffee und schauen unseren Hunden zu, die durch den wilden Garten toben. Vor allem einer tobt: Otto. Schäferhündin Bella, Ersatzmutter und Heldin unseres Kleinen, scheinen seine auffordernden Prankenhiebe nicht ganz geheuer zu sein. Kein Wunder, Otto bringt jetzt fünfundfünfzig Kilo auf die Waage und ist entsprechend kräftig. Bella schaut zu Christo, als wollte sie ihn fragen: Was mach ich denn jetzt? Der lässt mich nicht in Ruhe. Hilfe!
Vorhin, beim sonntäglichen Spaziergang durch die Felder, wusste sie sich selbst zu helfen, Not macht erfinderisch: Sie schnappte sich einen dicken, langen Stock und trug ihn vor sich her, so konnte Wildfang Otto ihr nicht mehr zu nah kommen.
Reden wir nicht drum herum: Otto rutschte aus der Welpenzeit in die Präpubertät, die nun anscheinend in die Hochpubertät übergegangen ist. Er ist fast vierzehn Monate alt. Er ist wild, bockig, stur und manchmal einfach nur verrückt.
Ich habe nicht mitgezählt, wie oft wir in den letzten Monaten hörten: „Der wird noch ruhiger“ und „Das wächst sich aus, das geht vorbei.“ Soso. Weiß auch jemand, wann?
Es läuft nicht alles schlecht. Otto geht gut bei Fuß und zieht nicht stark, wenn es keine ungewöhnlichen Reize gibt wie Katzen, andere Hunde, Eichhörnchen, große Vögel, Kinder, Menschen, die er mag, die er kennenlernen möchte oder die gerade einen gutriechenden Einkauf in ihrer Tasche dabeihaben.
Auch unsere Aufmerksamkeitsübung klappt meistens gut: Ich bringe ihn im Schlosspark ins Sitz und dann ins „Platsch“, zeige ihm die „Warte-Hand“ und entferne mich rückwärts ein paar Meter, verstecke mich manchmal sogar kurz hinter einem Baum. Otto bleibt in der Regel geduldig liegen, bis ich ihn rufe und dann natürlich fürs Kommen ganz doll lobe, während ich ihm ein Leckerli gebe.
Doch wehe, wenn etwas Ottos Interesse weckt. Wie das Eichhörnchen, das den Baumstamm hochflitzt, oder der Kater, der sich auf einmal vor uns mitten auf der Straße rekelt.
Inzwischen lasse ich in solchen Situationen die Leine los. Bisher konnte ich Otto immer wieder einfangen. Falls nicht, würde er hier im Dorf nicht weit kommen und wahrscheinlich irgendwann zurück nach Hause laufen. Und zum Glück gibt es hier kaum Autoverkehr.
Ich bin ja lernfähig. Neulich meinte ich nämlich noch, ich müsste den Hund unbedingt festhalten. Fehler.
Herr Schulz werkelte am Tor und winkte, rief mir etwas zu, was ich nicht verstand. In dem Moment kam ein brauner Labrador auf Otto und mich zugeschossen vom Schulzschen Grundstück, bellend. Besuch mit Hund, Hund ohne Leine. Otto legte sich nur ganz kurz hin, dann wollte er los, und zwar ruckartig. Ich fiel auf den Hintern, die Leine fest in der Hand, Otto im Schwitzkasten. Bestimmt ein komischer Anblick. Schulzens Besuch pfiff den Labrador zurück, der vorbildlich hörte, Angeber.
Herr Schulz lachte und rief: „Dein Hund macht ja mit dir, was er will!“
Töten, Töten, Töten, verlangte es in mir.
Aufstehen, Dreckabklopfen, Winken und heiter weiter, flott nach Hause. Wie ich mich schämte.
Und dann sah ich auch noch Herrn Schulz mit der alten Frau Fischer am Zaun. Bestimmt lästerten sie über mich, die Doofe, die ihren viel zu großen Hund nicht im Griff hat.
Aber auch das Gegenteil von Lossprinten beherrscht Otto auf einmal wieder, das kennen wir noch aus seiner frühen Welpenzeit: Er hat wieder angefangen, sich einfach hinzusetzen oder hinzulegen, wenn er nicht weiterwill. Zum Teil ist das, was er gerade beschnüffelt oder ausgräbt, wohl spannender, zum Teil scheint er einfach bloß sitzen zu wollen, ganz wie bei Loriot. Und versuche mal jemand, einen sitzenden Leonberger von der Stelle zu bewegen.
Mehrmals meinte er, das morgendliche Gassigehen verweigern zu können, und fing schon im Garten an zu bocken. Besonders dann, wenn wir Besuch hatten, da könnte man ja was verpassen. Einmal hatte ich es geschafft, mit ihm ein paar Meter die Straße entlangzugehen, da setzte er sich wieder trotzig hin. Ich zog, Otto schüttelte seinen Kopf hin und her, und plötzlich hatte er sich aus dem Halsband gewunden, der Houdini unter den Hunden. Er war offenbar kurz genauso verblüfft wie ich, ich konnte noch „Lauf zum Vati!“ rufen, da trabte er schon zurück Richtung Tor.
Auch das Zusammentreffen mit anderen Hunden wird in der Pubertät nicht einfacher. Obwohl Otto grundsätzlich ein friedlicher, lieber Geselle ist, neugierig und verspielt. Er verhält sich erst mal unterwürfig, legt sich platt hin, Hintern hoch. Manchmal springt er abrupt los, wie beim braunen Labrador, vielleicht könnte man es erahnen, wenn man die Hundesprache verstände. Womöglich signalisierte ihm sein Gegenüber: Ja, lass uns spielen, komm schon!
Was uns leider immer wieder auffällt: Wenn sich andere Hunde aufs Balgen und Rennen mit Otto einlassen, wird er ihnen meistens schnell zu viel, zu groß, zu wild. Sie ziehen sich zurück, Otto setzt nach, will weitermachen, sie geben ihm durch Bellen, Knurren, Schnappen zu verstehen, dass es ihnen reicht. Und unser Riesenbaby versteht die Welt nicht mehr. Bella immerhin spielt noch mit ihm, aber manchmal wird es eben auch ihr zu heftig.
Mit uns Zweibeinern hingegen will er gerade lieber nicht Ringe oder Hölzer fangen. Bälle schon gar nicht, die zerbeißt er nach wenigen Minuten. In letzter Zeit zieht er sich lieber zurück mit Beute wie einem zerfetzten Ball oder mit Teddy Nummer sechs, liegt auf der Wiese oder in seiner Kuhle, die er sich unter der Tuja eingerichtet hat.
Was er mit uns sehr gern tun würde: uns begatten. Vor ein paar Wochen spielte er mit Ronja, der Hündin von gegenüber, ein hübscher, mittelgroßer, schwarzbrauner Mix. Er pirschte sich von hinten an, aber Ronja gab ihm gleich Bescheid. Es geht los, dachten wir, die Hormone … Und seitdem sind wir, in Ermangelung an willigen Hündinnen, das Objekt seiner Begierde.
Wenn ich vorm Beet knie, um am Rand den Giersch zu entfernen, muss ich aufpassen, schnell habe ich zwei Pfoten auf den Schultern. Wenn Nachbarin Anni vorbeikommt, die extra ihre kleine Hündin Flocke zu Hause lässt, springt Otto zur Begrüßung vor Freude an ihr hoch, und da sie nicht besonders groß ist, sind sie auf Augenhöhe. Ich mag dich doch so gern und muss dir darum quer durchs Gesicht schlecken! Schnell wegdrehen. Mit „Nicht springen!“ wieder auf den Boden geholt, schleicht sich der Hund in Annis Rücken, ein Laut zwischen Flehen und Drängen, schon setzt er an zum Sprung.
„Du hast da was im Rücken …“, rufe ich.
Zum Glück weiß Anni sich zu wehren, sie ist viel hundeerfahrener als wir.
Leider fällt Kuscheln mit Otto für mich also schon länger flach. Wie früher kommt er zum Sofa und setzt die Vorderpfoten aufs Polster, fängt aber nun meistens sogleich an zu rammeln. Ich winde mich raus und schaffe es dank Bodenkampftechniken, den Brocken wieder auf den Fliesen abzustellen. Otto legt sich zurück auf seine Decke, wahrscheinlich frustriert. Er tut mir durchaus leid.
Ein weiterer Pubertätsaspekt, den ich auf den Hormonhaushalt des Junghunds zurückführe: Das Tier stinkt! Klar, Hunde riechen nach Hund, langhaarige ganz besonders und solche, die gern in brackigen Bächen baden … Wir haben uns daran gewöhnt, das gehört mittlerweile zum „Familieneigengeruch“ dazu, und wenn ich Otto mal nicht rieche, fehlt was.
Jedoch: Seit Wochen schon wabert da eine andere Duftnote im Pelz des Hundes. Unangenehm, penetrant. Da muss ich gleich an männliche Jugendliche denken, die ja auch nicht immer Rosenduft verströmen. Sollte es bei Hunden genauso sein?
Andere Hundebesitzer beruhigten uns, das ginge wieder vorüber. Hoffentlich! Nur Nachbar Fred hat eine andere Theorie: Zu einer bestimmten Zeit im Sommer fräße sein Hund Oschi Waldameisen, nicht weil die so lecker wären, sondern weil sie sich mal ins Fell verirren und der Hund nach ihnen schnappt. Der Geruch käme von den Ameisen. Wir wagen aber zu zweifeln, da Otto wirklich kein einziges Insekt anrührt, und bei seinem dicken, dichten Fell würde er wahrscheinlich noch nicht mal mitbekommen, wenn sich dort eine ganze Ameisenkolonie angesiedelt hätte. Wie auch immer: Da müssen wir durch.
Und auch wenn wir wissen, dass das eine Phase ist, streiten Marc und ich zurzeit öfter über Ottos Erziehung. Er meint, ich wäre nicht entspannt genug. Das weiß ich in der Theorie, er müsste es mir nicht sagen, das verspannt mich gleich noch mehr. Ich hingegen halte ihn für inkonsequent und zu weich, und wenn ich das andeute, ist auch Marc gar nicht mehr entspannt.
Zugegeben: Inkonsequent sind wir beide, da braucht es nur einen steinerweichenden Blick vom Zottel, schon schmelzen wir dahin.
„Lass uns nicht vor dem Hund streiten!“, sage ich manchmal, und dann stellen wir uns vor, wir hätten Kinder. Was es da erst für Konfliktpotenzial geben muss. Schließlich lachen wir und sind froh, dass wir trotz allem so einen lieben Kleinen erwischt haben.
Bella hat sich in den Flur verzogen. Otto saß gerade noch, etwas traurig dreinblickend, zwischen Christos Gartenskulpturen. Marc hat sich schon verabschiedet, er will noch den Komposthaufen umgraben.
„Otto, nein!“, ruft Christo sehr bestimmt.
Da sehe ich es auch: Unser Hund hat sich in den Teich geschlichen. Die neue Teichfolie …
„Ja, wir sind haftpflichtversichert“, sage ich nur.
„Der weiß ganz genau, dass er das nicht darf “, meint Christo milde.
Otto versucht’s halt: Grenzen austesten. Wie auch beim Gassigehen. Christo kennt den Burschen schon sehr gut, wir haben ihn auch schon mal bei ihm gelassen, als wir ein paar Stunden unterwegs waren.
„Er kann eigentlich alles“, war im Anschluss Christos Kommentar zu Ottos Gehorsam. Das kleine Füllwort „eigentlich“ hat hier seine Berechtigung.
Otto verschwindet wieder im Dickicht. Kaum sind wir kurz abgelenkt, steht er mit beiden Beinen in Bellas Trinkeimer. Es ist warm, der kühlt sich die Pfoten, das hat er schon als Welpe beim Züchter gemacht.
Marc ruft etwas hinterm Zaun, ich will Otto gerade anleinen, da sprintet der Hund los. Mit einem Satz ist er über Christos Tor gehechtet und läuft zu seinem Herrchen. Wir staunen, ich schimpfe ihm hinterher.
Aber können wir ihm lange böse sein? Wenn ich ihn zum Beispiel frage: „Gehen wir arbeiten?“, er hinter mir her ins Arbeitszimmer trottet, sich hinlegt und mein Tun schnufend und schnarchend begleitet. Wenn er den Kopf schieflegt und diesen Blick aufsetzt. Wenn er vor Wiedersehensfreude Bocksprünge macht. Dann ist klar, Otto kann noch so frech sein und noch so sehr stinken, wir haben ihn lieb und freuen uns auf alles, was wir mit ihm noch erleben werden. Selbst wenn nach der Hochpubertät die Spätpubertät kommen und diese nahtlos in Altersstarrsinn übergehen sollte.
*
Es war schon lange mein Traum, eigene Kartoffeln zu haben. Und als wir das Haus mit dem großen Garten einschließlich einiger Gemüsebeete gekauft hatten, rief ich so ziemlich als Erstes voller Freude aus: „Wir werden Kartoffeln haben!“, ganz als gäbe es nichts Wichtigeres.
Der Erdapfel wird unterschätzt, finde ich. Der kann doch alles. Von Beilage über Gemüse bis zum Hauptgericht. Viele meiner Generation aßen sich als Kinder daran satt, weil damals nur selten Nudeln oder gar Reis auf den Teller gelangten. Ich komme da nach meinem Vater: Kartoffel geht immer, egal in welcher Gestalt.
Also fragte ich im Winter Nachbarn, was hier gut wächst und besonders lecker ist, auf WhatsApp ging es dann um Desiree, Mariola, Sieglinde & Co. Schließlich bestellte ich Anfang des Jahres einen Sack Laura, hübsche rotschalige Knollen, vorwiegend festkochend. Dazu gesellte sich Antonia aus dem Supermarkt, keine Pflanzkartoffel, aber ich legte ein paar, die schon keimten, beiseite, etwas Experimentieren macht doch auch Spaß.
Ich meine, es war noch im März, als ich es nicht mehr abwarten konnte und Herrn Schulz befragte: „Kann ich die Kartoffeln schon in die Erde setzen?“
„Kartoffeln pflanzt man“, korrigierte mich Herr Schulz. Und das könne ich tun. Mutig, aber möglich.
„Dann geh ich gleich mal ins Beet und lege los!“, rief ich freudig.
„‚Ins Beet‘, das sagen nur die Städter“, meinte Herr Schulz.
„Wie sagt man denn hier?“
„In den Garten.“
„Könnte ich auch sagen ‚In die Kartoffeln‘, also wenn sie schon wachsen würden?“
„Ja, das ginge auch.“
Er hat ja recht, dachte ich, ich hatte mir darüber bloß bisher nie Gedanken gemacht. Wenn ich in der Stadt sage, dass ich in den Garten gehe, dann kann es sein, dass ich etwas an den Pflanzen herumwerkle, mindestens genauso wahrscheinlich ist es aber, dass ich es mir im Liegestuhl gemütlich mache. Daher die Spezifizierung: ins Beet. Während der Garten hier zunächst mal mit Arbeit einhergeht.
Ich ging also in den Garten und pflanzte die erste Sorte. Zehn Tage später pflanzte ich auch die zweite.