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Eigentlich hatte Kathrin Hansen sich auf die Einweihungsfeier der Praxis von Hindrik und ihres Ferien Apartment konzentrieren wollen, doch dann kommt es anders. Am Weststrand wird eine Tote gefunden. Kurz darauf gibt es ein weiteres Opfer am Oststrand. Kathrin Hansen und ihr Team haben es mit brutalen Gewaltverbrechern zu tun. Doch damit nicht genug. Drogenhändler aus Osteuropa und ein Krimineller aus der Kölner Szene tauchen wie aus dem Nichts auf. Im Laufe der Ermittlungen steht das Team dann plötzlich vor der Erkenntnis, dass klammheimlich auf der Insel ein Etablissement für Prostitution und Drogen entstanden ist.
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Seitenzahl: 230
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Eigentlich hatte Kathrin Hansen sich auf die Einweihungsfeier der Praxis von Hindrik und ihres Ferienapartment konzentrieren wollen, doch dann kommt es anders. Am Oststrand wird eine Tote gefunden. Kurz darauf gibt es ein weiteres Opfer am Weststrand. Kathrin Hansen und ihr Team haben es mit brutalen Gewaltverbrechern zu tun. Doch damit nicht genug. Drogenhändler aus Osteuropa und ein Krimineller aus der Kölner Szene tauchen wie aus dem Nichts auf. Im Laufe der Ermittlungen steht das Team dann plötzlich vor der Erkenntnis, dass klammheimlich auf der Insel ein Etablissement für Prostitution und Drogen entstanden ist.
1. KAPITEL
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31. KAPITEL
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34. KAPITEL
35. KAPITEL
36. KAPITEL
37. KAPITEL
38. KAPITEL
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42. KAPITEL
43. KAPITEL
44. KAPITEL
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46. KAPITEL
47. KAPITEL
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49. KAPITEL
50. KAPITEL
51. KAPITEL
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53. KAPITEL
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56. KAPITEL
57. KAPITEL
58. KAPITEL
59. KAPITEL
60. KAPITEL
61. KAPITEL
62. KAPITEL
63. KAPITEL
64. KAPITEL
65 . KAPITEL
66. KAPITEL
Geschafft. Erleichtert hakte Kathrin Hansen die Einladungsliste ab. Etwas über zwanzig Personen waren es geworden. Locker hätten es mehr sein können, doch es sollten nur die wirklich guten Freunde und Bekannten eingeladen werden. Menschen, die ihnen etwas bedeuteten. Bei der Entscheidung, ihre Mutter nicht einzuladen, hatte sie sich schwergetan. Weniger ihretwegen, sondern wegen des Mannes, den sie nach dem Tod von Kathrins Vater geheiratet hatte. Ein Mensch, in dessen Nähe sich Kathrin Hansen nie wohlgefühlt hatte. Vielleicht hatte es an ihr gelegen, weil sie ihn mit ihrem Vater verglich, was natürlich nicht richtig war. Für ihren Vater war sie die Prinzessin gewesen, die von ihm nach Strich und Faden verwöhnt wurde. Doch dann war er früh verstorben und sie hatte lange darunter gelitten. Nach ihrem Umzug auf die Insel brachen die Kontakte zu ihrer Mutter ganz ein. Zu den Feiertagen per WhatsApp Grüße, das war es. Auch sonst war nichts mit Familie. Geschwister hatte Kathrin Hansen keine und Onkel und Tanten kannte sie nur vom Hörensagen. Bei Hindrik sah es ähnlich aus. Seine Adoptiveltern lebten nicht mehr, Familienmitglieder gab es keine.
Thema Familie war damit abgehakt.
Ein paar Tage noch, und Hindrik würde seine Praxis für Psychotherapie eröffnen. Er freute sich wie ein Schneekönig. Und sie freute sich gleich zweimal. Einmal für Hindrik, und einmal für sich selbst. Nicht nur, dass der Erweiterungsbau ihres Hauses für die Praxis problemlos geklappt hatte, nein, auch das Ferienapartment, das on top obendrauf kam, war fertiggestellt.
Bezugsfertig!
Ein wahres Wunder bei der derzeitigen Handwerkersituation.
Das war Hindrik zu verdanken, der den termingerechten Fortschritt des Bauprojektes überwacht hatte.
Mehr noch, er hatte ihn gepuscht.
Eigentlich hatte sie ihren Lebensgefährten so noch nie erlebt. Hindrik, der sich in den letzten Jahren mit Leib und Seele für traumatisierte Kinder und Jugendliche eingesetzt hatte, sanft und verständnisvoll, konnte plötzlich die Sau rauslassen, wenn beim Bau die Termine zu platzen drohten. Kathrin Hansen konnte es nur so interpretieren, dass die Schließung des Heims tief in ihm arbeitete und die eigene Praxis seine seelische Rettung war.
Geradezu passend hatte bei ihr Flaute geherrscht. Sie musste schmunzeln. Flaute in Bezug auf Mord und Totschlag. Jedenfalls hatte sie sich so um die Deko und Einrichtung des Apartments kümmern können. Eine Aufgabe, in der sie ganz aufging. Als Letztes fehlten noch Bilder für die Wände. Hindrik und sie liebten Motive der Insel. Hier hatten sie das Glück, dass es auf Langeoog einen begnadeten Künstler gab. Seine Werke waren weit über Langeoog hinaus bekannt. Nachher wollte Kathrin Hansen mit ihm die Räumlichkeiten durchgehen, um die Motive festzulegen. Gerne hätte sie Hindrik dabeigehabt, doch der war auf dem Festland. Er stellte in Kliniken und Reha-Häusern seine Praxis vor. Was die Bilder anging, würde sie schon die richtige Wahl treffen, so seine Meinung.
Kathrin Hansen blickte auf die Uhr und stellte fest, dass sie bis zu dem Termin mit dem Künstler noch Zeit hatte, um etwas einkaufen zu können. Sie überlegte, was sie als Abendessen zubereiten könnte. Eines ihrer Lieblingsessen war einfach, aber super lecker. Seelachs mit Bratkartoffeln und frischen Salat. Und dazu ein Gläschen Chardonnay durfte es auch sein. Sie blickte in den fast wolkenlosen Himmel und freute sich auf einen gemütlichen Abend auf der Terrasse.
Sie schnappte sich den Einkaufskorb, klemmte ihn auf ihr Bike und fuhr zur Barkhausenstraße. Kartoffeln und Salat bekam sie im Lebensmittelgeschäft, den Seelachs würde sie beim Fischhändler holen.
Gerade parkte sie ihr Bike vor dem Fischgeschäft, als einer der Personen, die sie zur Eröffnung eingeladen hatte, aus diesem herauskam. In der Hand eine gut gefüllte Tragetasche sah ihr Maartens freudestrahlend entgegen. Kathrin Hansen nahm ihn herzlich in die Arme.
»Kathrin, schön, dich zu sehen.« Maartens musterte sie und nickte zufrieden mit dem Kopf.
»Großes Kompliment, dass du bei dem, was du derzeit so alles um die Ohren hast, so gut aussiehst. Wie machst du das?«
»Danke, Bent. Doch tatsächlich ist es so, dass Hindrik und ich nur Positives erleben. Alles läuft wie geplant, und ja, nächste Woche wird Einweihung gefeiert. Für dich und Friederike müsste die Einladung in deinem Postfach sein.«
»Das ist ja schön, ganz lieben Dank. Wir freuen uns mit euch, dass alles so gut gelaufen ist. So kann Hindrik seine Praxis ja pünktlich eröffnen. In der heutigen Zeit ein kleines Wunder. Ach, ich hätte da auch direkt eine Frage. Ein alter Freund von mir ist bei der Mordkommission in Hamburg. In meiner aktiven Zeit haben wir beide manche Fälle gemeinsam bearbeitet. Heinz Keller, so heißt er, ist ein wirklich guter Ermittler und steht kurz vor dem Ruhestand. Doch kürzlich hat er bei einem Einsatz einen Mann erschossen. Es war einwandfrei Notwehr, dienstlich also alles korrekt. Doch seitdem leidet er an Depressionen. Eine Therapie bei einem der Psychologen, die für die Polizei arbeiten, lehnt er ab. Kurz vor der Rente will er sich das nicht mehr antun.«
Falten legten sich auf die Stirn von Maartens.
»Doch gestern habe ich mit seiner Frau telefoniert, sie war Rotz und Wasser am Heulen. Heinz käme nicht mehr so richtig in die Pötte, meinte sie. Er hätte für nichts mehr Lust und würde immer wieder schildern, wie es zu diesem Schusswechsel gekommen ist. Er käme mit der Situation nicht klar. Heinz bräuchte Hilfe.
Nun, ich habe Lena, so heißt sie, gesagt, dass hier auf der Insel in Kürze eine Praxis für Psychotherapie eröffnet wird. Und dass der Therapeut sowohl ein anerkannter Fachmann, als auch ein enger Freund von mir ist. Sofort war Lena Feuer und Flamme und hat mich gebeten nachzufragen, ob ihr Mann zur Behandlung kommen könnte. Sie wollte es ihm dadurch schmackhaft machen, dass sie gleichzeitig auf der Insel Urlaub machen würden.«
Maartens blickte Kathrin Hansen erwartungsvoll an.
»Kathrin, siehst du eine Chance, dass Hindrik ihn als Patienten annimmt?«
»Schon, doch Hindrik muss das entscheiden. Am besten wäre, deine Bekannten würden sich mit ihm in Verbindung setzen. Auf der Einladungskarte findest du die Kontaktdaten seiner Praxis.«
»Wunderbar, ich gebe das weiter.« Maartens blickte auf seine Uhr und meinte, er müsste sich sputen, sie bekämen Gäste und Friederike würde auf den Fisch warten. Kathrin Hansen bestellte liebe Grüße und er möchte Friederike doch ausrichten, sie käme demnächst mal vorbei. Sie wäre schon sehr gespannt auf die Entwürfe zu dem neuen Wimmelbuch.
Mit einem gut gefüllten Einkaufskorb auf dem Gepäckträger fuhr Kathrin Hansen auf die Höhenstraße und sah von weitem ihr Haus. Ein neuer Anblick, an den sie sich noch gewöhnen musste. Das ursprünglich kleine Ostfriesenhaus hatte sich gewandelt. An der Ostseite hatten sie die Praxis von Hindrik großzügig angebaut und darüber das Ferienapartment gesetzt. Geschickt hatte der Architekt es so geplant, dass die alte und neue Bausubstanz einen in sich geschlossenen Baukörper ergab. So, als wäre es von Anfang an so gewesen. Wieder einmal schickte Kathrin Hansen ihren Großeltern, von denen sie das Haus geerbt hatte, ein Dankeschön, wohin auch immer.
In der Küche legte sie die Lebensmittel und den Wein in den Kühlschrank, überlegte, ob der Künstler, den sie erwartete, Tee oder Kaffee trinken möchte und entschied, damit noch zu warten. Es war Samstag, in der Dienststelle war alles ruhig. Ava Sari hatte Bereitschaft, die hätte sich sonst gemeldet. Kathrin Hansen konnte sich also für alles Zeit nehmen. Sie ging in ihr Arbeitszimmer, nahm Zollstock und iPad, um die Größe der Bilder festlegen und notieren zu können, und fühlte sich beschwingt. Sie freute sich auf die neuen Dinge, die auf sie und Hindrik zukamen. Gerade schloss sie die Verbindungstür zu der Praxis auf, als ihr Handy sich meldete.
Nein, dachte Kathrin Hansen, bitte jetzt keine Störung.
Die Dienststelle.
»Kathrin, es tut mir furchtbar leid, dich stören zu müssen«, meldete sich Ava Sari mit belegter Stimme, »aber wir haben eine Tote. Am Oststrand, eine junge Frau.« Dann kam nichts mehr.
Schlagartig fiel der Gutelaunepegel bei Kathrin Hansen ins Bodenlose. Sie ahnte, dass der Tag gelaufen war. Mist, dachte sie, gab sich einen Ruck und konzentrierte sich auf die Situation.
»Ava, ist der Notarzt vor Ort?«
»Ja. Die Urlauberin, die am Strand die Frau gefunden hat, hat den Rettungsdienst angerufen. Dr. Hinksen konnte nur noch den Tod bestätigen.«
»Konnte er feststellen, woran die Frau gestorben ist?«
»An einer Überdosis Rauschgift. Doch was genau, darauf wollte er sich nicht festlegen. Jedenfalls muss die Frau gestern Abend etwa zwei Stunden vor Mitternacht gestorben sein.«
»Wo am Strand liegt sie?«
»Strandzugang Gerk-sin-Spoor, etwa hundert Meter östlich. Oberhalb der Abbruchkante an den Dünen. Die Frau muss wohl auf dem Bauch gelegen haben, das Gesicht in den Sand gedrückt. Der Urlauberin kam das merkwürdig vor und hat sie angesprochen. Weil die Person darauf nicht reagierte, hat sie diese umgedreht und bemerkt, dass die Frau tot ist. Daraufhin hat die Urlauberin den Rettungsdienst angerufen.«
»Sind Olli und Maike vor Ort?«
»Ja, haben aber nichts weiter veranlasst. Sie gehen davon aus, dass die Tote sich zu Tode gekifft oder gespritzt hat. Und sollte Fremdeinwirkung vorliegen, gibt es laut Olli im Sand keine Spuren, nichts. Rundum hat er mit Maike alles abgesucht, doch wie gesagt, ohne Erfolg.«
»Gut, ich muss mir das trotzdem ansehen. Sage Olli Bescheid, dass ich unterwegs bin.
Kathrin Hansen atmete auf, so wie es aussah, lag kein Gewaltverbrechen vor. Der Tag war dann doch noch gerettet. Sie rief den Künstler an und bat den Termin für die Festlegung der Bilder auf den Nachmittag zu verschieben.
Schon, als sie an dem Haus von Lale Andersen vorbeifuhr, sah sie den Rettungswagen in der Strandzufahrt stehen. Ein Anblick, den sie gar nicht mochte. Sie stellte ihr Bike an dem Fahrzeug ab und stapfte den Zugang hinunter. Wie zu erwarten standen einige Leute am Strand und blickten zu der Stelle, wo die Tote lag. Kathrin Hansen ging schneller.
Dr. Hinksen informierte sie, dass er bereits die Pathologie in Wittmund verständigt hätte. Sonja Klaes würde am Nachmittag die Obduktion vornehmen. Auf die Frage, ob jemand die Tote kannte, ob sie Ausweispapiere oder ein Handy dabeigehabt hatte, gab es ein allgemeines Kopfschütteln.
»Aber Kathrin, sieh dir das hier an«, sagte Dr. Hinksen und zeigte auf den linken Arm der Toten. »Einstiche von Nadeln, die Frau muss stark drogenabhängig gewesen sein. So ein junger Mensch«, frustriert schüttelte er den Kopf.
»Ich glaube, die ist noch keine zwanzig«, warf Maike Jansen ein, die neben Kathrin Hansen stand. »Sie muss ein richtig beschissenes Leben geführt haben.«
Kathrin Hansen beugte sich über das Gesicht der Toten und betrachtete es. Sie stimmte ihrer Kollegin zu, schätzte die Tote auf höchstens achtzehn Jahre. Was für ein Drama schoss es ihr durch den Kopf. Aus Erfahrung wusste sie, dass oft eine katastrophale Kindheit oder ein schwerer Schicksalsschlag junge Menschen an die Nadel brachten. Sie wandte sich an Olli Friedrichs, ihren Stellvertreter.
»Olli«, sie zeigte rundum auf den Strand, »habt ihr nichts gefunden, was die Frau in ihrem Delirium vielleicht verstreut hat. Sie hätte doch einen Rucksack, eine Tüte oder ähnliches dabeihaben müssen.«
»Kathrin, genau das ist es, was mir zu denken gibt«, antwortete Friedrichs und zeigte auf die Tote, die mit kurzer Jeans und Shirt bekleidet war. »In ihren Hosentaschen ist nichts, keine Drogen, keine Spritze, kein Feuerzeug, nichts. Meiner Meinung nach sind die Taschen nach ihrem Tod entleert worden.«
»Du gehst von einem Gewaltverbrechen aus?«
Friedrichs zuckte mit den Schultern.
»Natürlich ist es möglich, dass ihre Utensilien vom Sand verweht wurden.«
Nachdenklich sah Kathrin Hansen den Notarzt an.
»Kai, was denkst du?«
»Da wir hier nicht weiterkommen, müssen wir die Obduktion abwarten. Gibt es Anzeichen von Gewalteinwirkung, haben wir einen Mordfall.«
Kathrin Hansen musste schlucken. Ein Mord war das Letzte, was sie auf der Insel brauchten. Sie gab sich einen Ruck und wandte sich an ihre Kollegen.
»Okay. Maike und Olli, ihr veranlasst die Überführung der Toten nach Wittmund. Möglichst so, dass es nicht auffällt. Also kein Leichenwagen, der bis zu den Anlegern vorfährt. Wir wollen die Feriengäste nicht mit dem Tod konfrontieren. Sobald Sonja Klaes das Ergebnis der Obduktion vorliegen hat, soll sie mir den Bericht aufs Handy schicken. Ich melde mich dann bei euch und wir besprechen, wie es weitergeht. Versucht in der Zeit über das Foto der Frau herauszubekommen, wer sie ist. Ansonsten bin ich zu Hause erreichbar.
Kathrin Hansen warf noch einen langen Blick auf die Tote, bedankte sich bei Dr. Hinksen und den Rettungsleuten und stapfte mit gemischten Gefühlen zum Aufgang. Sie fragte sich, was die junge Frau spätabends, etwa zwei Stunden vor Mitternacht, am Oststrand wollte.
Um diese Zeit war es stockdunkel.
Ein Date?
Schwer vorstellbar. Dafür gab es schönere Stellen am Weststrand.
Ein Treffen mit einem Drogendealer?
Kaum.
Der Ort war zu abgelegen, zu gefährlich.
Wahrscheinlicher war, dass die Frau vollgedröhnt zum Strand gelaufen war, dort bewusstlos wurde und gestorben ist. Ein furchtbar trauriges Schicksal. Bei dieser Vorstellung ging Kathrin Hansen von einer natürlichen Todesursache aus. Schickte jedoch ein Gebet zum Meeresgott, dass bei der Obduktion der Leiche nicht doch noch Gewalteinwirkung festgestellt wurde.
Eigentlich wollte Kathrin Hansen, bevor am Nachmittag der Künstler wegen den Bildern kam, im Ferienapartment etwas ausmessen. Ihr schwebte vor, am Treppenaufgang eine Dreierkombination in Aquarell von Strand, Meer und Himmel aufzuhängen. Leicht, locker, luftig, sollten die Motive wirken. Dazu passend würde sie in der Diele eine Bodenvase mit Dünengras und hohen Rohrkolben hinstellen. Ein Arrangement, das den Gästen einen Hauch von Inselfeeling vermitteln sollte. Doch dafür musste sie den Kopf freikriegen, noch immer kreisten ihre Gedanken um den Tod der jungen Frau. Sie beschloss eine Runde zu laufen.
Zu Hause zog sie Shorts, T-Shirt und Laufschuhe an und lief zum Weststrand. Ihre Lieblingsstrecke führte entlang der Wasserkante in Richtung Flinthörn. Beim Laufen beobachtete sie Familien, die sich so richtig wohlzufühlen schienen. Selbst die Großen buddelten im noch feuchten Sand Löcher, bauten rundum mit den Kindern Schutzwälle und waren offensichtlich weit weg von ihren Problemen und Sorgen. So, wie es sein sollte. Überhaupt, kam es Kathrin Hansen in den Sinn, Langeoog und Familien, die perfekte Symbiose. Klar, für Partygänger bot Langeoog wenig Anreize, dafür konnten auf der autofreien Insel aber selbst Kleinkinder mit ihren Rädchen ungefährdet herumdüsen.
Nachdem sie den Hundestrand hinter sich gelassen hatte, bemerkte sie vor sich eine Gruppe Frauen, die Feldstaffeleien aufgestellt hatten. Ihre Gesichter waren den Dünen zugewandt, die als Motiv dienten. Kathrin Hansen freute sich über die Malgruppe. Nicht nur, dass die Frauen als Urlaubsgäste auf der Insel waren, sondern auch darüber, dass durch ihre Bilder die Insel nach außen getragen wurde.
Um die Künstlerinnen nicht zu stören, stellte Kathrin Hansen sich ohne zu grüßen hinter ihnen. Eine Weile sah sie ihnen schweigend zu. Alles Frauen im Schnitt so um die fünfzig, schätzte sie. Nur die Gruppenleiterin mochte etwas älter sein. Jedenfalls waren alle in ihrer Arbeit vertieft und ließen sich durch ihre Anwesenheit nicht stören. Gemalt wurde auf Leinwand und soweit Kathrin Hansen es sah, wurden Acrylfarben aus der Tube verwendet. Aus Erfahrung wusste sie, dass diese Maltechnik mit den schnell trocknenden Farben ideal für das Malen am Strand war. In dem Moment bedauerte sie, dass ihre eigene kreative Phase schon einige Zeit zurücklag.
Den fast fertigen Bildern nach zu urteilen hatte sie es mit erfahrenen Künstlerinnen zu tun. Ihre Bilder waren nach dem Goldenen Schnitt angelegt, harmonisch und stark in der Farbkomposition, leicht und beschwingt wie die Dünenlandschaft.
Ein Bild gefiel ihr besonders gut. Gekonnt hatte die Malerin es verstanden, die schroffe dunkle Abbruchkante mit den dagegen filigran wirkenden Dünen zu kombinieren. Durch geschickt angelegte Farbkontraste hatte das Bild eine unglaubliche Tiefe. Je länger Kathrin Hansen es betrachtete, umso mehr konnte sie sich dafür begeistern. Eigentlich das richtige Motiv für den Wohnraum im Ferienapartment, ging es ihr schließlich durch den Kopf. Dazu eine schöne Erinnerung an diesen Morgen mit der Malgruppe am Strand.
Spontan ging sie zu der Künstlerin hin und meinte leise, dass sie das Bild sehr schön finden würde.
Lächelnd wandte sich die Malerin Kathrin Hansen zu.
»Danke, das freut mich.«
Kathrin Hansen zuckte zusammen.
Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Dann betrachtete sie die Frau genauer. Etwa fünfzig, schlank, hochgewachsen, dunkles, mit grauen Strähnen durchzogenes Haar.
Doch entscheidend war das Gesicht.
Es war das Gesicht der Toten vom Strand.
Nur Jahrzehnte älter.
Kathrin Hansen war geschockt.
Seit etwa einer Stunde saßen sie im Besprechungsraum der Dienststelle. Auf Bitten von Kathrin Hansen war Dr. Hinksen hinzugekommen und hatte Lisbeth Feldbusch eine Beruhigungsspritze gesetzt. Die Mutter der Toten hielt ein Taschentuch in der Hand und wischte sich immer wieder die Tränen ab.
»Hätte ich Tanja doch nicht dazu bewegt, mit auf die Insel zu kommen«, schluchzte Lisbeth Feldbusch. »Aber ich hatte doch gedacht, nein gebetet, dass sie hier, weit weg von den Junkies, vor ihrem Einfluss sicher sein würde.«
Dr. Hinksen, der im Begriff war, sich zu verabschieden, schüttelte den Kopf.
»Sie müssen sich keine Vorwürfe machen. Soweit ich das nach der ersten Untersuchung beurteilen konnte, war ihre Tochter schon längere Zeit drogenabhängig. Nur ein Entzug in einer Klinik hätte ihr helfen können.«
Lisbeth Feldbusch blickte ihn mit schmalen Lippen an.
»Ja, ich weiß. Was glauben Sie, wie oft ich meine Tochter angefleht habe, in einen Entzug einzuwilligen. Doch sie war nicht bereit dazu. Wir hatten furchtbare Auseinandersetzungen. Die Clique, mit denen sie sich eingelassen hatte, hatte sie fest im Griff. Vor einem Jahr zog Tanja nach einem Streit von Zuhause aus und lebte mit diesen Leuten zusammen. Ihre Ausbildung als Zahntechnikerin hatte sie abgebrochen und wahrscheinlich keinen neuen Job angenommen. Ich mag gar nicht daran denken, auf welche Weise sie sich das Geld für die Drogen beschafft hat. Wissen Sie, ich kam einfach nicht mehr an sie heran.«
Maike Jansen, die das Protokoll schrieb, betrachtete die Frau, die mutlos auf dem Stuhl hockte. Trotz sorgfältig aufgelegtes Mak Up waren die verhärmten Gesichtszüge nicht zu übersehen. Ein Gefühl sagte ihr, dass es ein längerer Prozess gewesen sein musste, bis die Tochter dieser Frau drogenabhängig wurde. Ein zerrüttetes Familienleben könnte sie dazu getrieben haben. Maike Jansen wusste, wie sehr ein solches die Psycho belasten konnte. In der Zeit, als sie das Abitur machte, hatten sich ihre Eltern bereits auseinandergelebt. Jeder von ihnen hatte Liebschaften und dazu noch gemeint, sie als Tochter, würde das nicht mitbekommen. Doch, hatte sie. Da konnte auch das stilvolle Getue der Eltern nichts daran ändern. Doch sie hatte die Kurve gekriegt, war von Zuhause in Ehren ausgezogen und hatte studiert. Bei Tanja Feldbusch mochte es anders ausgesehen haben. Nachdenklich schrieb sie als Randnotiz »Elternhaus« mit Fragezeichen in das Protokoll.
Kathrin Hansen blickte auf die Uhr. Sonja Klaes hatte ihr zugesagt, das Ergebnis der Obduktion im Laufe des Nachmittags zu liefern. Danach würde sie die Tote schön herrichten, so dass ihre Mutter sie nochmals sehen konnte. Puh, fuhr es Kathrin Hansen durch den Kopf. Da kommt diese Frau mit ihrer Malgruppe auf die Insel, überredet ihre Tochter mitzukommen, und muss sie jetzt als Tote identifizieren. Am Ende fährt sie nach Hause und hat ihre Tochter für immer verloren.
Was für ein Schicksal.
Und doch durfte sie Lisbeth Feldbusch noch nicht gehen lassen. Sie musste mehr über die sogenannte Clique der Tochter erfahren. Kathrin Hansen setzte sich kerzengerade hin, blickte Lisbeth Feldbusch fest in die Augen und bat sie, das mit den Junkies, mit denen ihre Tochter zusammenlebte, näher zu erklären. Ob sie die Leute kannte, wie alt sie seien und wo sie wohnten. Es war dann nicht viel, was Lisbeth Feldbusch beisteuern konnte. Nur so viel, dass ein Manni das Sagen hatte. Er war es auch gewesen, der ihrer Tochter geholfen hatte ihre Sachen aus dem Haus zu holen.
»Das waren die schrecklichsten Augenblicke meines Lebens«, schluchzte Lisbeth Feldbusch.
»Und was hatten Sie für einen Eindruck von diesem Manni?«, hakte Kathrin Hansen nach.
»Das war ja das Erstaunliche, der Mann machte überhaupt nicht den Eindruck, als ob er drogenabhängig wäre. Ich habe mich ihm in den Weg gestellt und ihn genau angesehen. Er hatte klare, ungetrübte Augen, seine Gesichtsfarbe sah gesund aus. In einem Disput teilte er mir in einer gepflegten Ausdrucksweise mit, dass meine Tochter volljährig sei und ich ihr nicht im Wege stehen könnte. Er sah gut aus und ja, ich hatte den Eindruck, dass Tanja in ihn verknallt war.«
Typisch Zuhälter, schoss es Kathrin Hansen durch den Kopf. Während ihrer Dienstzeit im Sittendezernat in Köln hatte sie es mit solchen Leuten oft zu tun gehabt. Einige waren ausgesprochen charmant, fast schon sanft gewesen. Kultiviert, gepflegt. Kaum jemand hätte in ihnen das Raubtier vermutet, dass in ihnen steckte.
»Und Sie haben ihre Tochter nie besucht, nie versucht herauszufinden, wie sie lebt, wie es ihr geht?«
»Nein. Ich hatte keine Ahnung wo sie wohnte. Erst vor Wochen, es musste etwas Gravierendes geschehen sein, rief Tanja mich an und fragte, ob sie zurückkommen könnte. Ich wollte sie sofort abholen, doch das ginge nicht, sagte sie. Sie käme, sobald es möglich wäre.«
»Und wie lange haben Sie dann warten müssen?«, warf Maike Jansen dazwischen.
So, als wenn sie sie Szene vor Augen hätte, blickte Lisbeth Feldbusch mit leerem Blick die Kriminalassistentin an.
»In der nachfolgenden Nacht läutete es gegen zwei Uhr Sturm. Tanja stand, genauer gesagt, hockte vor der Haustür. Sie zitterte am ganzen Körper, war nicht fähig ein Wort zu sagen. Ein Zustand, der zunehmend schlimmer wurde.«
»Entzugserscheinungen?«
Stumm nickte Lisbeth Feldbusch.
»Ein alter Freund von mir ist Arzt, den habe ich angerufen. Während den nächsten Tagen hat er sich um Tanja gekümmert. Er hat mehr getan, als er durfte.«
Entschlossen blickte Lisbeth Feldbusch Kathrin Hansen an. »Verlangen Sie nicht von mir, dass ich den Namen des Arztes nenne, den werde ich niemals sagen.«
Beruhigend griff Kathrin Hansen nach ihrer Hand. Mit Blick zu Maike Jansen hin sagte sie, dass dieser Part im Protokoll nicht erwähnt werde. Für mögliche weitere Ermittlungen wäre dies nicht relevant.
Mit einem »Entschuldigung, dass ich störe«, kam Ava Sari in den Raum und legte Kathrin Hansen einen Ausdruck vor. Das sonst leicht getönte Gesicht der jungen Taiwanerin war käseweiß und Kathrin Hansen bemerkte Tränen in den großen Augen. Schlagartig breitete sich ein mulmiges Gefühl in ihr aus.
Angespannt las sie den Obduktionsbericht. Starrte fassungslos auf das Papier.
Ihr wurde schlecht.
Sie brauchte einen Moment, um das Gelesene verarbeiten zu können. Sonja Klaes hatte bei der Obduktion festgestellt, dass die Tote innere Verletzungen hatte. Verursacht durch massive Tritte gegen ihren Bauch. Tanja Feldbusch war schwanger gewesen.
Sie saßen auf der Terrasse beim Essen und es hätte so ein schöner Abend werden können. Kathrin Hansen hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie ihn vermasselt hatte. Doch der brutale Mord an der jungen Frau bekam sie nicht aus dem Kopf. Laut der Pathologin wurde ihr, nachdem sie innerlich verblutet war, die tödliche Spritze mit der Droge gesetzt. Die junge werdende Mutter musste grauenvoll gestorben sein.
»Hindrik, ich brauche einen Schnaps«, sagte Kathrin Hansen.
»Einen Doppelten.«
Mit zwei randvoll gefüllten Gläsern kam Hindrik aus der Küche, reichte eines seiner Lebensgefährtin und sagte: »Ex.«
Eine Weile blieb es still. Hindrik gab ihr Zeit. Auch für ihn war es schwer, den Tod der jungen Frau zu verarbeiten. Aber er hatte sie nicht gesehen, hatte ihre Bilder nicht im Kopf. Für ihn war es leichter, das Geschehen zu unterdrücken.
Durch Kathrin Hansen ging ein Ruck. Mit schmalen Augen blickte sie auf den Strand, staunte mal wieder über das unwahrscheinlich schöne Licht beim Versinken der Sonne am Horizont. Und doch war da etwas, das die Euphorie, die sie am Morgen noch hatte hochleben lassen, zerstörte.
»Hindrik«, sagte sie leise, »da draußen läuft ein Monster herum. Ich habe Angst, dass es sich an Frauen und Kinder vergreifen könnte.«
»Habt ihr irgendwelche Anhaltspunkte, eine Vorstellung, wer es sein könnte?«
»Nein. Außer den Namen des Mannes, der Tanja Feldbusch beim Auszug aus ihrem Elternhaus geholfen hat, nichts. Und auch das ist nur vage. Mehr als der Vorname Manni haben wir nicht.«
Frustriert schüttelte Kathrin Hansen den Kopf. Sie dachte an die Mutter der Toten, die nach der Mitteilung, dass ihre Tochter einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war, nicht mehr ansprechbar war. Jetzt noch war Kathrin Hansen froh, dass sie ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Und auch nicht, dass ihre Tochter ein Kind erwartet hatte.
Mit Blick zu Hindrik hin, der einen bedrückten Eindruck machte, wurde Kathrin Hansen bewusst, dass es Zeit war, ein anderes Thema auf den Tisch zu bringen. Etwas, über das sie beide sich freuen konnten. Entschlossen stand sie auf, ging zu Hindrik hin, setzte sich auf seinen Schoß und küsste ihn.
»So«, sagte sie nach einer Weile, »jetzt hole ich eine Flasche Prosecco, und die machen wir in deiner Praxis auf. Sozusagen als unsere kleine private Einweihung.«
»Nur, wenn wir anschließend in deinem Ferienapartment das Ganze wiederholen. Und die Betten dort müssen wir auch mal testen. Schließlich sollen deine Gäste zufrieden sein«, erwiderte Hindrik grinsend.
Dem hatte Kathrin Hansen nun gar nichts entgegenzusetzen, beharrte aber darauf, dass sie vorab die Bilder, die der Künstler ihr am Nachmittag als Fotoabzüge dagelassen hatte, mit Hindrik durchging.
Für die Praxis wählte Hindrik Motive, die Ruhe, Entspannung ausstrahlten. Bilder, mit im Licht stehendem Dünengras. Bilder, mit Dünengras, das sich gegen den Wind behaupten musste. Dünengras, das in seiner Vielzahl Verbundenheit, Widerstand zeigte. Stärke symbolisierte.
Ein in der Horizontalen dreigeteiltes Bild mit Strand und Meer wollte Hindrik in seinem Behandlungszimmer aufhängen. Ein breites Arrangement, dass der Blick der Patienten gefangen nehmen sollte. Dazu hatte Hindrik noch eine Idee. Er bat Kathrin Hansen, den Künstler doch zu fragen, ob er den Dreiteiler durch ein rotes, dickes Seemannstau verbinden könnte. Dadurch sollte signalisiert werden, dass Trennungen wieder zusammengefügt, vereint werden konnten. Ein Thema, dass tatsächlich im Alltag der Psychotherapie ein immer breiteres Feld einnahm. Kathrin Hansen versprach, dass sie das mit dem Künstler schon hinbekommen würde. Sie war glücklich, dass Hindrik die Phase der Depression nach der Schließung des Heims überwunden hatte. Das er wieder positiv in die Zukunft blickte.