Lästerday - Marina Barth - E-Book

Lästerday E-Book

Marina Barth

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Beschreibung

Haben Sie schon mal nackt auf einem Hotelflur gestanden? Müssen Sie nicht. Marina Barth hat trefflich beschrieben, was Ihnen da blüht! Lesen Sie dieses Buch – Sie werden nicht nur Bauchschmerzen vor Lachen haben, sondern auch Antworten auf die Fragen: • Wie erlegt ein Alphamännchen seine Beute? • Wo bleibt das Internet, wenn der Computer aus ist? • Warum kann man überall Produkte testen, bloß nicht im Sexshop?

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Das Buch

Wer Marina Barths Geschichten liest, hat schon bald Tränen des Vergnügens in den Augen und erkennt vor allen Dingen eins: Das Leben ist ein Reisebus auf unübersichtlicher Strecke und mit jeder Menge Bekloppter an Bord. Und zu denen gehören insbesondere die Männer …

Die Autorin

Marina Barth, Kabarettistin und Leiterin des Klüngelpütz-Theaters in Köln, ist ein Relikt aus Tagen, als es noch Freude machte, eine Frau zu sein: Sie raucht, trinkt gerne Bier und hängt tagelang auf ihrem Sofa rum – so lange, bis entweder ihre beste Freundin Britta, ihr bester Freund Anton oder aber Paulchen, ihr dominanter Husky, sie vor die Tür und hinaus in wild-skurrile Abenteuer zwingt. Ihre Lesereihe »Rock and Read« ist inzwischen Kult.

Marina Barth

Wenn FRAUEN mal die WAHRHEIT sagen

Ullstein

Ein Teil der in diesem Buch abgedruckten Geschichten

wurde bereits in dem Band

Wie man Krokodile erwürgt veröffentlicht.

 

 

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.ullstein-taschenbuch.de

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden

 

 

Erweiterte Lizenzausgabe im Ullstein Taschenbuch

1. Auflage April 2011

© 2010 Verlag Die Muschel, Köln

Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, München

Konzeption: HildenDesign, München

Titelillustration: getty, © RK Studio/Kevin Lanthier

Satz und eBook: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

ISBN 978-3-8437-0025-2

Grappa-Tage

Da ist (k)ein Weg!

Gute-Laune-Grauen

Backenhörnchen-Blues

Murphys Gesetz

Netz und hopp

Sex and the City

Nahtoderfahrung

Du Tarzan, ich gähn

Menschenopfer

Leichte Beute

Ausgesprochen wenig gesagt

Lederstring und Micky Maus

Alles erlogen!

Auf den Hund gekommen

Erdbeermonster

Im übertragenen Sinn

Betriebsamkeit

Showbiz zum frühen Morgen

Crocodile Rock

Alpdrücken

Cliffhanger

Frühlingsgefühle

Erleuchtet erwacht

Freiheit für Armin Rohde

Star-Gezwitscher

Großes Theater

Kosmischer Bestellservice

Ein guter Tag

Holz vor der Hütte

Scheiß auf Pilatus

Es gibt Tage, die aus dem Raum-Zeit-Kontinuum fallen. Tage, die überhaupt nicht in diese Welt gehören, sondern in eine ganz andere. Dennoch gibt es sie, und du bist machtlos. Verstecken hilft nicht. Sie ereignen sich.

Ich wache auf, weil der Mann in meinem Bett in der Nase bohrt. Mit großer Andacht und völlig lautlos. Allein die Veränderung seiner Atemfrequenz durch intensive Bohrtätigkeit hat ausgereicht, um mich aus dem Schlaf zu reißen. Es ist stockdunkel.

Ich konzentriere mich auf meine Müdigkeit, doch sein angespanntes Atmen durch den Mund hält mich quälend wach.

Ich weiß genau, dies ist so ein Tag. Decke über den Kopf, aber nach kurzer Zeit kriege ich keine Luft mehr.

In diesem Universum gibt es keinen Kaffee. Vermutlich haben sie hier auch keine Zeitungsboten. Ich werde ohne Kaffee und ohne Morgenlektüre stumpf ins Morgengrauen starren, in Gesellschaft eines Menschen, der zumindest vorerst einiges an Attraktivität eingebüßt hat.

Ich überlege, ob Grappa eine Lösung ist. Er ändert nichts am Lauf der Dinge, aber sie verlieren ihren Stellenwert.

Der Grappageruch um sechs Uhr morgens schlägt mir ziemlich auf den Magen. Nach dem zweiten weiß ich den Namen des Höhlenforschers nicht mehr – es funktioniert.

Die Katze hat in die Küche gekotzt, und ich bin überrascht, dass sie nicht tot ist. Die Häuserzeile gegenüber steht – scheinbar.

Letztes Mal, als sich das Loch im Universum genau über mir öffnete, ist unsere zwölf Meter hohe Tanne quer über die Straße gestürzt. In der Zeitung stand, Kyrill sei es gewesen, doch die Katze und ich, wir wissen es besser. Wir waren in einer Welt, in der noch viele andere schlimme Dinge geschahen.

Ich suche an den Wänden nach unscharfen Rändern, ein klares Zeichen für Tage, die nicht hierher gehören, genau wie verfaultes Obst, das gestern noch taufrisch war und heute durch den Raum-Zeit-Sprung mit einem Mal verdorben ist.

Zwei braune Äpfel in der Obstschale und eine schwarze Banane, im Kühlschrank grünpelzige Frikadellen. Na bitte! Und die Zigarettenschachtel ist leer, obwohl ich genau weiß, dass ich gestern Abend neue gekauft habe! Verdammt, es ist beschlossen. Ich kann nichts dagegen tun.

Um 7.30 Uhr (!) klingelt mein achtzigjähriger Nachbar Sturm. Der schwache Fluchtreflex lässt mich hinter dem Sofa in Stellung gehen, dann öffne ich ergeben die Tür. Herr Deimann hat das zweite Gesicht, er weiß, wann ich da bin, und klingelt sowieso, bis ich aufmache.

Er weint, das Rote Kreuz habe ihn vergessen und ihm den ganzen Tag noch nichts zu essen gebracht. Er sei schon ganz wackelig auf den Beinen.

Ich versuche nicht zu argumentieren, dass der Tag noch gar nicht angefangen hat und man dem Roten Kreuz wenigstens eine reelle Chance geben müsste. Das wäre Quatsch, denn Herr Deimann ist dauerhaft in der falschen Welt zurückgelassen worden, da kann man mit Logik nichts machen.

Ich gieße ihm einen Grappa ein und schmiere zwei Marmeladenbrote. Das ändert nichts an seiner fatalen Lage, aber er hört auf zu weinen und schimpft auf seine Familie, die ihn permanent beklaut, und auf den Zivi, der mit seinem Mantel abgehauen ist.

Den Hinweis, dass er den Mantel anhat und der Zivi wohl eher an seinen Schuhen interessiert war, denn Herr Deimann ist barfuß gekommen, kann man sich sparen bei einem Mann, der aus einem anderen Universum kommt. Ebenso den Einwand, dass er gar keine Familie hat. Hier jedenfalls nicht.

Für einen kurzen Moment erwäge ich, ihn zu beklauen, ihm seinen Mantel abzunehmen. Vielleicht könnte man damit die Diskrepanz zwischen den beiden Universen überwinden, und Herrn Deimanns innere und äußere Welt würden wieder eins. Aber erstens habe ich keine passenden Herrenschuhe, zweitens habe ich Angst, dass sie mich an seiner statt ins falsche Kontinuum stecken, und lasse es lieber.

Mit jedem Gläschen werden die Ränder der Wände unschärfer – vielleicht übt Grappa einen unheilvollen Einfluss auf die Zeitphasenverschiebung aus.

Ich schicke Herrn Deimann nach Hause, bevor unsere Treppe ihre Konturen ganz verliert und er am Ende böse stürzt.

Ein großer Bagger bezieht vor dem Haus Stellung, Schilder werden aufgestellt. Wir hätten einen massiven unterirdischen Wasserrohrbruch, unser Keller sei vollgelaufen, berichtet aufgeregt die Frau aus dem Stockwerk unter mir. Ich beschließe, dem Keller für die nächsten Wochen fernzubleiben. Für wie blöd halten die uns?

Es ist klar, dass die Leitungen brechen, wenn ein ganzes Haus in ein anderes Universum verschlagen wird. Wer weiß, welche unheimlichen Kreaturen jetzt durch den Riss im Rohr munter in unseren Keller paddeln.

Das Wasser bleibt abgestellt, und die Katze kotzt schon wieder. Katzen haben eine empfindliche innere Uhr. Sie spüren jede Veränderung der Zeitlinie.

Ich will am liebsten gar nichts tun. Ich gucke möglichst harmlos in den Garten. Die Vögel flattern herum und picken Winterfutter. Eine dicke Taube fliegt völlig ungebremst mit einem Mordsknall gegen die Fensterscheibe und bleibt mit gebrochenem Genick auf dem Balkon liegen – Tauben rechnen nicht damit, dass in ihrer Flugbahn plötzlich Häuser aus einer Parallelwelt auftauchen.

Und wir haben erst 8.15 Uhr.

Der UPS-Bote klingelt und bringt ein Paket. Ich bitte ihn zu bleiben, bis ich den Inhalt überprüft habe (wer weiß, was die mir an so einem Tag per UPS schicken), und versuche, das Paket zu öffnen. Es geht schwer, und ich muss viel Kraft aufwenden. Als die Schere abrutscht und in meiner Hand stecken bleibt, fällt der UPS-Mann in Ohnmacht. Ich ziehe mit einem Ruck die Schere aus dem Knochen und stehe in einer Pfütze aus Blut.

Der Inhalt des Paketes ist ungefährlich, der UPS-Mann kommt zu sich, sieht das Blut und wird wieder ohnmächtig. Mit Eis auf der Hand rüttle ich ihn wach und versichere ihm, er habe nur geträumt, alles würde gut. Das ist natürlich nicht wahr. Ich überlege, welche Gefahren das Aufwischen einer Blutlache birgt, als das Telefon klingelt.

Eine Freundin erzählt mir, dass ihre Eltern sich streiten – nach fünfzig Jahren Ehe (!), dass ihre Versicherung die Prämie um vierzehn Euro pro Jahr erhöht und dass ihr Sohn einen unfreundlichen Chef hat. Das ist ja entsetzlich.

Meine Hand klopft, und ich starre ängstlich auf ein blinkendes Lämpchen am Telefon. Dieses Lämpchen blinkt höchsten Alarm! Vielleicht bedeutet es, dass die Selbstzerstörungssequenz initiiert wurde und das Telefon in die Luft fliegt, während ich es am Ohr habe!

Ich halte es so weit weg wie möglich, aber meine Freundin will dauernd eine Antwort haben. Ich antworte so einsilbig, wie ich kann, das Lämpchen blinkt wie verrückt.

Deine Ruhe möchte ich haben, sagt meine Freundin beleidigt und verabschiedet sich. Ich lasse das Telefon in letzter Sekunde fallen, und es zerschellt am Boden.

Für die Blutlache habe ich immer noch keine Lösung, und die Katze zeigt kein Interesse. Sie hat heute einen nervösen Magen.

Meine Tante Ruth ist einmal so unglücklich in einer Lache ausgerutscht, dass sie einen Tag und eine Nacht eingekeilt zwischen Badewanne und Toilette mit völlig verdrehtem Oberkörper verbringen musste, ihre Nase direkt über der Toilettenschüssel, unfähig, sich zu befreien. Seit diesem Vorfall hat sie ein irres Lachen, das einem eine Gänsehaut über den Rücken jagt.

Ich überlege, ob Blut beim Antrocknen giftige Gase entwickelt, und mache zur Vorsicht das Fenster ein bisschen auf, aber da liegt ja die Taube, und ich schließe es wieder.

Anrufen kann jedenfalls keiner mehr. Es ist 9.30 Uhr, und der Mensch mit der sorgsam gereinigten Nasenhöhle tritt ausgeschlafen in mein Gesichtsfeld.

Er rutscht auf der Katzenkotze aus und fällt mit dem Gesicht in die Blutlache.

Da wir kein Wasser haben, kann er nur sehr notdürftig wiederhergestellt werden und zieht, als er das Haus verlässt, die Kapuze ins Gesicht. Er ahnt nicht im mindesten, dass seine Wiederkehr mehr als ungewiss ist – vielleicht ist er der Antipode von Herrn Deimann, der in seinem Universum ja eine Lücke hinterlassen hat, die somit wieder ausgeglichen würde.

Am nächsten Tag ist alles wieder so, wie es sein muss. Die Kreaturen aus dem Keller sind verschwunden. Die Katze ist wohlauf, Herr Deimann noch da.

Der Typ mit dem Bohrdrang ist verschwunden. Manchmal gucke ich in den Nachthimmel und frage mich, was wohl in seinenUPS-Paketen ist und ob er auch eine Nachbarin hat, die Marmeladenbrote schmieren kann.

»Ich höre diesen Scheiß auf!« Anton sagt es wütend und sehr entschlossen. »Ich mach ihn einfach nicht mehr mit. Diesen Scheißstress. Dauernd musst du Quoten erfüllen, hast deinen Chef im Nacken und jetzt auch noch diese blöden Beratungsprotokolle. Die die Kunden nicht unterschreiben. Aber wir müssen, bloß weil wir ihnen einen Bausparvertrag verkauft haben. Das ist lächerlich! Als ob wir alle Gangster wären.«

Ich gucke still auf meine Schuhe.

»Ich such mir jetzt eine ehrliche Arbeit. Mit künstlerischem Potential.«

Anton?

»Ich werde Trauertänzer.«

Ich sage erst mal gar nichts, das ist vielleicht besser so, wenn einer so wütend ist. Obwohl ich nicht die geringste Ahnung habe, was zum Teufel ein Trauertänzer sein soll. Ich bin noch nicht mal sicher, dass ich Anton richtig verstanden habe.

Trauerkloß und Traumtänzer, sagt mein persönliches Wörterbuch schleppend.

»Ich war auf der Messe«, fährt Anton wütend fort, »für die Bank. Und da habe ich sie gesehen!«

Ich nicke.

»Ich habe mit einem dieser Typen geredet, und der hat es selbst gesagt: Die Zukunft liegt im Trauertänzer. Die Leute wollen etwas Extravagantes, etwas Nonverbales, etwas, das den tiefsten Emotionen gerecht werden kann, etwas, das nicht jeder hat, und man muss nicht reden dabei. Stell dir mal vor: kein Wort reden! Das wäre für mich ja allein schon ein Grund.«

Ich stell’s mir vor und teile Antons Vorfreude – das wäre vielleicht wirklich was.

»Wenn man nicht reden muss«, wende ich sehr behutsam ein, »was muss man denn dann tun – als Trauertänzer?«

Antons Augen glänzen. »Es ist ganz einfach. Der Typ hat zu mir gesagt: ›Das Wichtigste ist, dass du zum Interieur passt. Es muss ein ästhetisches Gesamtbild geben!‹ Also, er empfiehlt Schwarz, ganz klassisch, vielleicht gesäumt mit etwas Grau oder Weiß. Das geht praktisch immer. Man darf sich nicht unangenehm absetzen, sondern muss sich einfügen ins Gesamtensemble.« Anton fährt sich durchs Haar. »Sogar wenn der Sarg giftgrün wäre und man hätte blutrote Kamelien gewählt und statt Kerzen bengalisches Feuer, hätte man in Schwarzgrau keinen Fehler gemacht.«

Er hat Sarg gesagt. Ich habe es genau gehört.

Anton gerät richtig in Fahrt. »Gut aussehen ist kein Problem für mich«, mein Blick bleibt ganz kurz nur an seinem Bäuchlein hängen, »und was noch wichtiger ist, hat der Typ gesagt, man darf nicht nur nicht unangenehm auffallen, man darf überhaupt gar nicht auffallen. Das will wirklich keiner, dass bei Beerdigungen irgendeiner auffällt. Man muss quasi unsichtbar sein, unaufdringlich, hat der Typ gesagt, völlig unaufdringlich.«

Er hat Beerdigung gesagt – da gibt es keinen Zweifel.

Die Sache mit dem Tänzer interessiert mich. »Tänzer – ist das das Richtige für dich?«, frage ich. »Das würde dann ja wohl ein etwas … wie soll ich sagen … großrahmiger Tanz.«

»Ach«, sagt Anton und winkt ab, »das spielt keine Rolle. Der Typ sagt, erstens guckt sowieso keiner hin, weil alle heulen. Und außerdem beschwert sich hinterher auch nie jemand. Wie pietätlos wäre denn das, sich über die mangelnde künstlerische Qualität des Tänzers auszulassen! Bei einer Beerdigung?! Das passiert nicht.«

Er hat schon wieder das böse »Erdigungwort« gesagt.

»Es reicht, wenn du ein bisschen hin und her wackelst und Staatstrauer im Blick hast. Das hab ich drauf. Hallo! Ich arbeite bei einer Bank!«

Arbeitete.

»Das ist leichtverdientes Geld. Ich muss noch nicht mal beim Graben helfen, dafür gibt es extra Leute. Und gestorben wird immer. Aber du hast mit dem unangenehmen Zeug nichts zu tun, verstehst du? Keine Leichen waschen, Särge tragen, es riecht nicht. Nein. Kommen, tanzen, Rechnung schreiben.« Anton kriegt sich gar nicht wieder ein. »Pastoren sind ja inzwischen völlig aus dem Rennen. Die haben ein Glaubwürdigkeitsproblem. Und bei Beerdigungen hat keiner so recht den Kopf, auch noch auf die Kinder aufzupassen. Genau in diese Lücke stößt der Trauertänzer.«

Soso.

»Außerdem, hat der Typ gesagt, werden solche Berufstrauerer, und ganz besonders die ohne Worte, aber mit Ausdruckstanz, inzwischen auch zunehmend aus ganz anderen traurigen Anlässen gebucht. Verlorene Wahl, Ölkatastrophe, Börsensturz, Fußball-WM, Griechenlandurlaub. Was glaubst du, was da auf der ganzen Welt für Trauertänzer gebraucht werden, das ist ein internationaler Markt. Das funktioniert sogar in China – Tanz ist universal verständlich. Und das nächste Bergwerksunglück kommt bestimmt!«

So gesehen schon.

»Es ist der Hammer, dass noch keiner früher draufgekommen ist. Wo’s doch schon immer Klageweiber gab. Aber das hat so was Unwürdiges. Dieses Geplärre. Stille Trauer im Designeroverall, das ist die Zukunft.«

Anton ist auf Betriebstemperatur.

»Vielleicht erweitere ich später noch auf Pantomime. Trauerpantomime. Da brauchst du eigentlich nur Dürers Betende Hände draufzuhaben oder für Atheisten Rodins Denkerpose – das reicht schon.«

»Aber jeden Tag Streuselkuchen in der Mittagspause«, wende ich ein, »da ist doch bald ein Trauerfassrollen zu erwarten, oder?«

»Wo denkst du hin?« Anton entrüstet sich. »Da wird heute Fingerfood geboten oder Sushi und Champagner aus Flaschengärung. Und alles in lackschwarzem Design.«

Ich fange an, mich in Antons Gedankenwelt niederzulassen. Hast du schon mal an die Überfalloption gedacht? Wo erwartet man am wenigsten einen Raubüberfall? Wo gibt es garantiert keine Überwachungskamera?

Zumal ja kein halbwegs vernünftiger Ganove mehr Banken überfällt. Außer Griechenlandanleihen ist da eh nix mehr zu holen. »Beerdigungsgesellschaften, Designerbeerdigungen – was meinst du, was du da allein an Brillis abstauben könntest!«

Jetzt zögert Anton.

»Und dann gibt es neuerdings doch immer ein Spendenschwein statt Kränze. Das heißt, die haben alle Bargeld dabei. Viel Bargeld. Und in ihrer Trauer sind die dann total verblüfft. Ich werde dein Partner. Niemand weiß das.« Ich komme spät, aber gewaltig in Fahrt. »Du schleust uns ein bei den Beerdigungen, und ich pack den Colt aus. Das ist perfekt. Niemand rechnet damit. Die Menschen sind wie gelähmt. Du machst immer das Opfer. Das Mitopfer.«

Anton ist verunsichert. »Meinst du das ernst? Und meinst du Mitopfer oder Mietopfer?«

Beides irgendwie. »Aber klar meine ich das ernst – wir checken als Erstes die Todesanzeigen. Welche sind aus dem Villenviertel? Und da bietest du deine Dienste an. Ein todsicheres Geschäft. Der Eigentümer dieser Süßwarenfirma wohnt doch direkt in meiner Nachbarschaft. Den haben sie am Heiligen Abend überfallen. Wir hatten vom Balkon aus erstklassige Sicht auf die Ereignisse und mussten diesmal nicht Monopoly spielen. Das spielte sich direkt im Nachbarsgarten ab. Die haben fünfundvierzigtausend Euro und Schmuck im Wert von mindestens hunderttausend Euro mitgehen lassen. Was meinst du, wenn solche Leute eine Beerdigung auszurichten haben. Mit Spendenaufruf. Da hast du ausgesorgt.«

Anton zögert.

»Als Nächstes verticken wir Versicherungen gegen Beerdigungsüberfälle. Und gründen eine Security-Firma für stilvolle Trauerfeiern. In securitate quasi.«

Und Sushi-Catering mit Fischvergiftung inklusive. Damit die Kundschaft nicht ausstirbt. Nein – andersrum, damit die Kundschaft ausstirbt.

»Ich könnte auch noch Kontakte zu den großen Ölmultis knüpfen, oder zu Gasprom, da gibt es doch eine ganz prominente Verbindung – trete ich eben in die SPD ein. Die müssen sowieso jeden nehmen. Und da rollen auch immer Köpfe.«

»Schlag ein! Anton!«