Laura von Arabien - Laura Wrede - E-Book

Laura von Arabien E-Book

Laura Wrede

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Beschreibung

Meterhohe Sanddünnen, flirrende Sonne, erbarmungslose Hitze - so lebensfeindlich präsentiert sich die Wüste in Katar. Doch fasziniert sie ebenso mit ihrer Weite und Stille. So auch die Deutsche Laura Wrede, die sechs Jahre in Katar lebte, dort arbeitete und ihrer Leidenschaft, der Falknerei nachging. In ihrem Buch berichtet sie von ihrer aufregenden Zeit in Katar, über Traditionen, Bräuche und wie es ihr gelingen konnte, sich in einer von Männer dominierten Welt durchzusetzen. Sie erzählt vom Leben in der Wüste und den Beduinen, die in der Stille der Wüste ein einfaches Leben führen. Und sie lässt den Leser daran teilhaben, was sie in der Zeit über sich und fürs Leben gelernt hat.

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EPUB

Seitenzahl: 402

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmung»Hast du dir das auch gut überlegt? – Ein paar Worte meiner Freundin Sinje1 Wüstentraum2 Inschallah3 Faszination Falke4 Zwischen Wolkenkratzern und Wüstensand5 Das Gastgeschenk6 Die freundliche Siegerin7 Der Falke im Flugzeug8 Der BeduineBildstrecke9 Qatarische Qultur10 Vom Winde verweht11 Zufluchtsort Wüste12 Suhail13 Sonne, Sand und Sterne14 Isabel la Católica15 Mosta’hiel ist nur ein Wort16 FalknerspracheNachwort/AfterwordDanksagung/Shukran!Anmerkungen

Über dieses Buch

Meterhohe Sanddünnen, flirrende Sonne, erbarmungslose Hitze – so lebensfeindlich präsentiert sich die Wüste in Katar. Doch fasziniert sie ebenso mit ihrer Weite und Stille. So auch die Deutsche Laura Wrede, die sechs Jahre in Katar lebte, dort arbeitete und ihrer Leidenschaft, der Falknerei nachging. In ihrem Buch berichtet sie von ihrer aufregenden Zeit in Katar, über Traditionen, Bräuche und wie es ihr gelingen konnte, sich in einer von Männer dominierten Welt durchzusetzen. Sie erzählt vom Leben in der Wüste und den Beduinen, die in der Stille der Wüste ein einfaches Leben führen. Und sie lässt den Leser daran teilhaben, was sie in der Zeit über sich und fürs Leben gelernt hat.

Über die Autorin

Laura Wrede ist gelernte Wirtschaftswissenschaftlerin und hat die letzten sechs Jahre in Katar gelebt und gearbeitet, in einer von Scheichs gegründeten Stiftung für Bildung und Wissenschaft. Umtriebig war die junge Deutsche schon immer. Die Wahl-Münchnerin zog es nach der Schule hinaus in die Welt. Zum Studium ging sie nach Madrid und Paris, anschließend kam das Angebot aus Katar und mit ihm die Chance, dort ihren lang gehegten Traum zu verwirklichen: Falknerin zu werden. »Ich bin schon immer geritten und bin Jägerin. In den Großstädten Madrid und Paris war an so etwas nicht zu denken, erst in der Weite der arabischen Wüste war Raum für diese Träume«, erzählt sie.

LAURA WREDE

Als Frau allein unter Beduinen

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Dieses Buch beruht auf einer wahren Geschichte. Alles ist so beschrieben, wie die Autorin es erinnert. Einige Namen, Orte und Details wurden zum Schutz der Rechte der Personen geändert.

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Swantje Steinbrink, Berlin

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Fotos Umschlag: Isabel Ruiz Caro, Klaus Leix

Fotos Innenteil: © Laura Wrede, © Maria Isabel Ruiz Caro,© Sinje Gottwald, © Gregor Nicolai, © Gregor Koppenburg,© Sara Zainal, © Alistair Crighton, © Klaus Leix,© Jessica Palanca, © Minou Engelen

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-5636-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

There is freedom waiting for you,On the breezes of the sky,And you ask »What if I fall?«Oh but my Darling,what if you fly?

Erin Hanson

Dieses Buch widme ich all jenen, die fliegen wollen.

»Hast du dir das auch gut überlegt? –Ein paar Worte meiner Freundin Sinje

Obwohl ich kaum etwas über Qatar wusste, fühlte es sich doch erst einmal paradox an: Laura, diese so freiheitsliebende Person, in einem Land, in dem sich die Frauen verschleiern!? Dennoch war meine spontane Reaktion rein rhetorischer Natur, denn nach unserer langjährigen Freundschaft wusste ich schließlich ganz genau, dass Entschlossenheit, Willensstärke und Mut zu ihren Charaktereigenschaften zählen und an ihrer Entscheidung somit nicht mehr zu rütteln war. »Hast du dir das auch gut überlegt?« Das kurze und für Laura typische Lachen als Antwort auf meine Frage überraschte mich daher kaum – und Lauras Zuversicht ließ keine Zweifel zu. Trotzdem fragte ich mich insgeheim, ob ihr das beständige und angenehme Leben in Madrid, ihre Freunde und der Job nicht fehlen würden. Aber Laura ließ sich auf das Abenteuer Qatar ein, ohne je zuvor auch nur einen Fuß in dieses fremde Land gesetzt zu haben.

Angesteckt von ihrem Optimismus und gespannt auf Lauras Leben in Doha, flog ich bereits wenige Wochen nach ihrer Ankunft hin. Laura zeigte mir den Souq, das Museum für Islamische Kunst, diverse Malls, wir fuhren in die Wüste und testeten mehrere Restaurants. Es fühlte sich an wie Urlaub. Ähnliches erwartete ich bei meinem zweiten Besuch ein Jahr später, doch diesmal war das Programm ein gänzlich anderes. Laura hatte sich inzwischen gut eingelebt, lernte Arabisch, hatte einen Falken und viele neue Freunde – Expats und Einheimische. So begleitete ich sie auf eine qatarische Hochzeit, schaute ihr beim Falkentraining in der Wüste zu, wir saßen mit Beduinen in ihrem traditionellen Zelt, aßen mit ihnen zu Mittag und lauschten ihrem Abendgebet. Für Laura war es offenbar schon Alltag, doch ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wie hatte sie es geschafft, sich innerhalb kürzester Zeit so gut zu integrieren?

Entsprechend war ich bei meinem dritten Besuch auf alles gefasst, wurde jedoch abermals überrascht: Laura sprach inzwischen Arabisch, wurde – egal, ob in der Wüste oder im Souq – von fremden Menschen erkannt und mit »Lora« begrüßt. Mit ihrer Leidenschaft für die Falknerei, ihrem Status als Ausländerin in einer von Männern dominierten Tradition sowie ihrem starken Willen, ihrem Mut und ihrer Beharrlichkeit war sie in Qatar zu einer bekannten, vor allem aber respektierten Person geworden.

Laura von Arabien gewährt nicht nur spannende Einblicke in die Kultur Qatars und die Kunst der Falknerei, sondern gibt auch einen ehrlichen Einblick in Lauras Gefühlswelt, Erfahrungen und Herausforderungen während ihrer Zeit in Qatar.

Lauras Freundschaft und dieses Buch haben mich gelehrt, dass Träume erlaubt sind und dass es sich lohnt, diese mit aller Kraft und Energie zu verfolgen.

1

Wüstentraum

Ich habe die Wüste immer geliebt. Man setzt sich auf eine Sanddüne. Man sieht nichts. Man hört nichts. Und währenddessen strahlt etwas in der Stille.

Antoine de Saint-Exupéry

Eine unvorstellbare Weite – ich fühle mich so klein, fast schon verloren. Kaum zu glauben, wie bezaubernd die Wüste ist. Mir ist, als könnte ich über den Horizont hinaus schauen. Diese scheinbare Unendlichkeit beeindruckt mich. Wohin ich auch blicke, es geht immer weiter … Hoch über mir steht die gleißende Sonne. Es weht ein heftiger Wind, und kleinste Sandkörner peitschen mein Gesicht. Ich versuche, mich mit meinem Tuch zu schützen, doch der feine Sand dringt durch alles hindurch. Mein Hals ist trocken von der heißen Wüstenluft. Ich gehe weiter und spüre, wie der heiße Sand bei jedem Schritt unter meinen Sohlen rauscht. Mal ist der Untergrund etwas fester, dann wieder so weich, dass meine Füße versinken. Nur sehr langsam komme ich vorwärts, die Hitze ist erdrückend und diese absolute Stille beinahe erschreckend.

Plötzlich sehe ich einen Reiter mit weißem Turban und in einem langen schwarzen Gewand auf mich zukommen. Auf seinem majestätischen Araberhengst scheint er über den Wüstensand zu fliegen …

»Was hältst du denn nun von der Idee, nach Qatar zu ziehen?« Alfredos Stimme riss mich aus meinem Tagtraum, aus der fernen unendlichen Wüste zurück in unsere Madrider Stadtwohnung. In Wirklichkeit wusste ich noch so gut wie gar nichts über Qatar und die arabische Welt. Da waren nur Bilder wie aus 1001 Nacht und Lawrence von Arabien. Ich musste erst mal googeln, um herauszufinden, wo Qatar eigentlich genau liegt. Dubai sagte mir schon eher etwas, seit ich mit dem Gedanken gespielt hatte, dort zu studieren, doch dann war es bei dem Studium in Madrid und einem Semester in Paris geblieben. Alles im heimischen Europa. Wäre ich nach Dubai gegangen, hätte ich wahrscheinlich keinen Spanier geheiratet. Aber wer weiß das schon so genau. »Ach, da ist es!«, sagte ich begeistert. Direkt am Persischen Golf, ein kleiner Zipfel, der von Saudi-Arabien absteht. Da war es, das kleine Qatar. Irgendwie mittendrin, und doch so weit von Madrid entfernt. Dahin sollten wir nun also ziehen?

Eine spanische Immobilienfirma, die auf Innendesign spezialisiert ist, hatte meinem Mann vor Kurzem angeboten, in Doha, der Hauptstadt von Qatar, eine Dependance aufzubauen. Ein kleines Büro in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), gab es schon, jetzt setzte man auf das Nachbarland Qatar. Das reichste Land der Erde, erlebte gerade ein beachtliches Wirtschaftswachstum, und die Prognosen für die nächsten Jahre waren vielversprechend, vor allem auf dem Immobilienmarkt, denn es würde tüchtig gebaut werden: Häuser, Anlagen, Hotels und noch mehr Häuser, die natürlich alle hochwertig ausgestattet werden mussten.

Da ich nun geklärt hatte, wo das Land lag, galt es, als Nächstes festzustellen, ob Donald überhaupt mitkommen könnte. Schnell fand ich heraus, dass Hunde in Qatar nicht nur erlaubt sind, sondern auch ohne Quarantäne einreisen können, sofern alle Impfungen, insbesondere gegen Tollwut, vorliegen. Damit war die wichtigste Frage beantwortet.

Obwohl Alfredo und ich uns auf den ersten »Schuss« verliebt hatten und die Jagdleidenschaft teilten, wäre Donald, der kleine Jack-Russell-Rüde, vor drei Jahren fast ein Trennungsgrund gewesen. Da ich mit Hunden groß geworden bin, wollte ich unbedingt wieder einen Hund haben. Ein Leben ohne einen treuen vierpfötigen Begleiter konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Doch Alfredo war strikt dagegen, er meinte, ein Hund passe nun mal nicht in die Stadt. Das sah ich ganz anders. »Ein Hund kann sogar sehr gut in einer Stadt wohnen, man muss ihm nur genügend Auslauf bieten.« Und das konnten wir zweifellos, denn wir wohnten direkt an dem großen Stadtpark Retiro. Da musste ich nicht bis zum Sank-Nimmerleins-Tag oder auf eine Finca warten. Um meinen Hund würde ich mich immer kümmern können.

Alfredo blieb zwar stur, doch ich blieb sturer. Ich wollte nicht weiter ohne Hund leben. Punkt. Darum teilte ich Alfredo schließlich mit, dass ich aus der gemeinsamen Wohnung aus- und mit meinem zukünftigen Hund in meine eigene Wohnung einziehen werde. Wozu sich noch länger über das Thema streiten? Als er sah, wie ernst es mir war, gab Alfredo nach – und heiratete mich samt Hund. Er hat es auch nie bereut, denn trotz aller Anti-Hund-Argumente verliebte Alfredo sich Hals über Kopf in das kleine, zwei Kilogramm leichte Fellknäuel mit Knopfaugen. Insofern stand für ihn auch außer Zweifel, dass Donald auf jeden Fall mit nach Qatar musste. Bei Alfredo durfte unser Hund sowieso alles. Während ich Donald streng erzog und zu einem Jagdhund ausbildete, damit er uns tatkräftig bei Jagden begleiten kann, verwöhnte Alfredo ihn von vorn bis hinten. Donald genoss unsere täglichen Ausflüge in den Retiro, und jede Katze in der Umgebung fürchtete den kleinen Jäger. An den Wochenenden begleitete er uns auf die Jagd oder aufs Land. Auch wenn ich nach Deutschland flog, war Donald immer im Handgepäck dabei und schon ganz erpicht darauf, den Englischen Garten unsicher zu machen. Weder er noch ich verstehen, weshalb es kein Hundevielfliegerprogramm gibt. In Europa fühlte sich der kleine Racker zu Hause, aber würde es ihm auch in der heißen Wüste gefallen?

Und mir? Wie würde es mir dort gefallen? Vielleicht musste ich mich dort ja verschleiern. Aber in dieser Hinsicht konnte Google mich schnell beruhigen. Während Frauen im benachbarten Saudi-Arabien verpflichtet sind, sich zu verschleiern, ist es den Frauen in Qatar selbst überlassen, ob sie sich mit oder ohne Schleier in der Öffentlichkeit bewegen möchten. Und im Gegensatz zu den Saudis haben die Qataris auch keine Angst vor autofahrenden Frauen. Das klang doch schon mal gut.

Für mich waren somit alle wichtigen Fragen geklärt, und so gab ich Alfredo grünes Licht für unsere Reise ins Morgenland. Doch damit, dass ich mich so rasch und vor allem so klar für Qatar entscheiden würde, hatte er wohl nicht gerechnet. Offenbar wusste er selbst noch nicht recht, ob ihm die Idee, in den Wüstenstaat zu ziehen, behagt. Immerhin ist Alfredo ein Vollblutspanier: spanische Eltern, in Madrid geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen und studiert. Alles hat er in der Heimat abgewickelt, immer in der Muttersprache, eingebettet in die Familie und den vertrauten Freundeskreis. Auch die meisten Reisen wurden innerhalb Spaniens unternommen – im Sommer nach Marbella an den Strand, im Winter nach Baqueira zum Skifahren. Nur in die USA hat es ihn ab und zu verschlagen, zum ersten Mal für einen Schüleraustausch, weshalb er heute sehr gut Englisch spricht. Für jemanden, der in Qatar beruflich Fuß fassen will, war das von Vorteil, denn nach der Landessprache Arabisch ist Englisch dort weit verbreitet. Trotzdem merkte ich an Alfredos Reaktion auf mein schnelles »Vamos!«, dass ihm mulmig zumute war. Vielleicht hätte er sich sogar gefreut, wenn ich mich gegen die arabische Wüste entschieden hätte. Eine ängstliche Ehefrau hätte er seinem Arbeitgeber viel einfacher erklären und seinen Auftrag womöglich auf längere Geschäftsreisen beschränken können. Nun aber hatte ich mit leuchtenden Augen Ja gesagt, so dass es plötzlich feststand: Wir ziehen nach Qatar!

Ich bin zwar mit Kindern aus aller Welt auf eine Internationale Schule gegangen, habe auch einige spannende Reisen machen dürfen und meinen Wohnsitz ins Ausland verlegt, aber in einem Land wie Qatar war ich noch nie gewesen. Insofern empfand ich diesen Umzug keineswegs als Spaziergang, aber andere Länder und Sitten kennenzulernen, hatte für mich schon immer etwas Einladendes und Reizvolles – ob nun USA, Italien, Zimbabwe, Rumänien oder Qatar.

Unsere Familien hingegen hatten größte Bedenken, obwohl noch niemand je einen Fuß dorthin gesetzt hatte. »Ein arabisches Land«, das hörte sich in ihren Ohren nach politischer Instabilität, nach Krieg und unterdrückten Frauen an. Wir könnten ja verschleppt, ins Gefängnis geworfen oder sogar geköpft werden. »Und gibt es dort nicht Terroristen?«

Neben diesen extremen Befürchtungen gab es auch ein paar näherliegende wie eine Finanzkrise; schließlich sei Dubai gerade erst davon heimgesucht worden. »Warum dann nicht auch Qatar?« Tja, warum eigentlich nicht? Immerhin hat auch Europa seine Finanzkrisen. Aber das Leben geht trotzdem weiter. Manchmal können solche Krisen ja auch wichtig sein, um längst überfällige Veränderungen in Gang zu bringen und die Wirtschaft in neue Bahnen zu lenken. »Und wo bitte schön gibt es denn keine Krisen?«, entgegnete ich den Bedenkenträgern.

Auf all die anderen Horrorszenarien wollte ich gar nicht erst eingehen. Darüber zu diskutieren, was man so alles in den Medien liest und wie viel davon nun wirklich wahr, wahrscheinlich oder weit hergeholt ist, hätte sowieso nichts gebracht.

»Sag mal, Laura, willst du dir Qatar nicht erst mal anschauen, bevor wir anfangen zu packen?« Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute mich Alfredo an. »Aber wozu denn, wenn wir eh dorthin ziehen?«, konterte ich. »Das Thema ist durch. So eine Reise wäre jetzt nur verschwendete Zeit und rausgeschmissenes Geld. Wir sollten uns lieber auf den Umzug konzentrieren!« Alfredo seufzte und kraulte Donald gedankenversunken hinter den Ohren.

Von nun an musste Alfredo öfter nach Qatar reisen, wegen etlichen Geschäftsterminen, Hausbesichtigungen und sonstigen Vorbereitungen. Von der Villa, die für uns ausgesucht worden war, bekam ich ein paar Fotos zu sehen. Was ich darauf sah, machte einen ganz guten Eindruck. Allmählich rückte Qatar aus meinem 1001-Nacht-Traum in die Wirklichkeit.

Unterdessen lief die Packerei auf Hochtouren. Sachen wurden aussortiert, gespendet, verschenkt, eingelagert oder sorgfältig in Kisten verpackt und beschriftet. Das mag ziemlich einfach klingen, doch zu entscheiden, was wir vor Ort brauchen, von was wir uns trennen und was wir einlagern sollten, war anstrengender als gedacht. Mit den Jahren hatte sich viel Krempel angesammelt. Am schwierigsten war es bei jenen Dingen, die zwar längst löchrig, angeschlagen oder verfärbt, aber mit Erinnerungen verbunden waren. Letztlich aber lagerten wir nur wenige Erbstücke ein, die anderen fotografierten wir und ließen sie los.

Die schöne Wohnung zwischen Retiro und Prado-Museum wurde immer leerer, das Mobiliar entweder Familienmitgliedern geschenkt oder bei ihnen untergestellt. Mitnehmen konnten wir es nicht, weil das Haus in Doha von Alfredos Innendesign-Firma ausgestattet werden sollte. Ein wenig wehmütig schaute ich mich in den Zimmern um – so viele Erinnerungen, so viele schöne Stunden. Ein Kapitel schließt sich, damit sich ein anderes öffnen kann, dachte ich, als ich die Tür zuzog und zur Arbeit ging – begleitet von Gedanken an Araberhengste, Falken und Kamele, die durch die Wüste ziehen.

Doch bevor wir wirklich in der Wüste waren, gab es noch viel zu erledigen. Ganz oben auf der To-do-Liste standen Donalds Impfungen. Um auf Nummer sicher zu gehen, kontaktierte ich eine auf Haustierumzüge spezialisierte Agentur in Doha, die sich um die Einfuhrgenehmigung von Hunden kümmerte. Eine nette Dame aus Südafrika gab mir gute Tipps bis hin zur Hundebox für den Transport, in die ich einen Behälter mit gefrorenem Wasser stellen sollte, damit es nicht verschüttet wird. Wenn Donald während des Fluges dann Durst bekommt, ist es aufgetaut. Die Box war außerdem mit Donalds Foto und Daten zu versehen, um in Doha keine Schwierigkeiten bei der Zuordnung zu bekommen. Ich hielt mich strikt an die Anweisungen, denn Donald war zwar schon sehr oft mit mir zusammen in der Kabine geflogen, aber noch nie in einer Box im Cargo-Bereich. Qatar Airways lässt aber nun einmal nur Falken in der Kabine zu.

Während das Organisieren und Packen kein Ende zu nehmen schien, kam eines Tages die Nachricht, dass Qatar die Fußballweltmeisterschaft 2022 ausrichten würde. Jetzt war ich plötzlich nicht mehr die Einzige, die Qatar googelte. Millionen von Menschen wussten offenbar nicht, wo Qatar lag oder dass dieses Land überhaupt existierte. Vom Emirat Dubai hingegen hatte man schon mal gehört, denn Dubai zeigte der Welt gerade, wie steil es in der Wüste nach oben geht: Kürzlich war der Burj Khalifa eröffnet worden, mit 828 Metern das höchste Gebäude und mit dem Burj Al Arab das erste Sechssternehotel der Welt. Nun aber zog Qatar nach, indem es demnächst die Fußballnationen der Welt bei sich begrüßen würde. Und siehe da: Auf einmal schwanden alle Ängste und Bedenken von Familie und Freunden, Vorurteile lösten sich auf – Qatar war die Zukunft. Da müsse man unbedingt hinziehen, wurde mir gesagt. Da gäbe es gar keinen Zweifel. Es ist schon erstaunlich, was so ein bisschen PR bewirken kann.

Weihnachten verbrachte ich mit Alfredo und seiner Familie in Madrid, schließlich war noch immer viel zu erledigen. Meinen Job zu kündigen fiel mir besonders schwer, denn nachdem ich mit meiner ersten Stelle nach Abschluss meines BWL-Studiums wenig Glück gehabt hatte – von morgens bis abends in endlosen Meetings zu sitzen war mir schlicht zu öde –, hatte ich beim zweiten Anlauf einen Volltreffer gelandet: Propaganda Global Entertainment Marketing. Das junge Team war inspiriert, dynamisch und kreatives Denken ein Must-have. Wir wurden von unserem Chef motiviert und unterstützt; und auch für einen Spaß war er sich nicht zu schade. Im Gegenteil: Wenn er im Büro kurzfristig Patten üben wollte, ließ er sich von Teamhund Donald immer den Golfball zurückbringen. Dieser Job war einfach perfekt. Und zum ersten Mal konnte ich Menschen verstehen, die, wenn sie die Wahl haben, lieber dort bleiben, wo sie sich wohl- und zu Hause fühlen, als sich auf die komplette Ungewissheit einzulassen.

Alfredo hatte bereits seine Aufgabe in Doha, aber womit und wo würde ich mein Geld verdienen? Scheich Al Thani, Alfredos Sponsor – denn ohne Sponsor kann kein Ausländer in Qatar wohnen und arbeiten –, versuchte, mich zu beruhigen: Mit einem Wimpernschlag würde er mir einen Traumjob in Qatar besorgen. Ich bräuchte mir die Firma nur auszusuchen. Ohne einen blassen Schimmer von der qatarischen Arbeitskultur zu haben, hatte ich mit dieser Zusage des unbekannten Scheichs immerhin eine Versicherung im Unsicheren in der Tasche.

Kurz nach Weihnachten flog Alfredo nach Qatar, um letzte Vorbereitungen zu treffen und auf meine Ankunft zu warten. Donald und ich konnten allerdings erst nachkommen, wenn unser Haus in Doha einzugsbereit war, weil in den Hotels keine Hunde erlaubt waren. Aber Alfredo würde sich bestimmt nicht langweilen; geschäftlich hatte er jetzt viel um die Ohren, und außerdem musste er sich um sein Arbeitsvisum kümmern, das er nicht ohne die Erlaubnis »seines« Scheichs beantragen konnte. Diese Erlaubnis wiederum war abhängig von zig Unterlagen und ärztlichen Untersuchungen.

Mir war diese kleine Verschnaufpause vor dem Neuanfang ganz recht, und ich nutzte die Zeit für einen Besuch bei meiner Familie in München.

Zurück in Madrid packte ich auch die letzten verbliebenen Sachen in die wenigen noch offenen Kisten und verklebte sie so fest wie möglich. Dann wurden alle Kisten abgeholt, um sie auf ein Schiff Richtung Qatar zu verfrachten. Da standen Donald und ich nun in der leeren Altbauwohnung. Die Wintersonne fiel durch die geöffneten großen Fenster. Adiós Madrid! Wie wird es sich anfühlen, in dem schicken Haus in Doha zu stehen, was werde ich sehen, wenn ich dort aus dem Fenster schaue?

Dann war es so weit: Auf nach Qatar! Am Flughafen gab es noch ein letztes Streicheln und ein Leckerli für Donald, bevor seine Box geschlossen wurde. Es war ein mulmiges Gefühl, mich von Donald verabschieden zu müssen, und sein bohrender Hundeblick machte es mir nicht leichter. »In ein paar Stunden sind wir wieder zusammen«, tröstete ich uns. Als Donalds Box abgegeben war, konnte ich es mir nicht verkneifen, die Dame am Schalter zu fragen, ob denn auch Falken mitfliegen würden. Aber ich wurde enttäuscht: »Leider nicht auf diesem Flug.«

Meine Freundin Fe hatte mir noch zwei Bücher auf den Weg mitgegeben. Das eine behandelte die arabische Küche mit entsprechenden Rezepten. Das andere hieß: KulturSchock. Kleine Golfstaaten und Oman: Qatar, Bahrain, Oman und Vereinigte Arabische Emirate. Eigentlich waren das zwei sehr praktische Geschenke, aber viel Zeit zum Lesen blieb mir nicht: In knapp sieben Stunden würden wir in Doha landen. Trotzdem nahm ich mir während des Fluges den KulturSchock vor und blätterte zu dem Kapitel mit gängigen arabischen Wörtern. Salam aleikum sagt man zur Begrüßung, shukran heißt »Danke«. Prima, dachte ich, das ist doch ein Anfang.

»Ladies and gentlemen in just a few minutes we will descend towards Doha. Please take your seat and fasten your seatbelt.« Gespannt schaute ich auf den kleinen Wüstenstaat hinunter, doch ich konnte nur funkelnde Lichter erkennen. Es hätte auch jede andere Stadt der Welt sein können. Mit einem Seufzer ließ ich mich in den Sitz zurücksinken, schloss die Augen und genoss diesen besonderen Moment an der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt.

Aber kaum waren wir gelandet, begann ich schon, mich nach Donald zu erkundigen, blickte aufgeregt aus dem Fenster, hoffte, irgendwo seine Box zu entdecken. Ich müsse mich noch etwas gedulden, sagte die Flugbegleiterin lächelnd. Dann wurden alle Passagiere mit Flughafenbussen zum Terminal gebracht, wo sich vor dem Schalter für das Einreisevisum bereits eine lange Schlange gebildet hatte. Sämtliche Nationalitäten schienen hier vertreten zu sein. Eine UN-Generalversammlung sozusagen.

Endlich war ich an der Reihe und wurde von einem Qatari in der weißen Nationaltracht thoab begrüßt. Freundlich fragte er mich, wo ich wohnen werde, und nach meiner Kreditkarte, denn das Visum muss bei Ankunft mit Kreditkarte bezahlt werden. Es kostet 100 Qatar-Riyal (QAR), umgerechnet etwa 22 Euro.1 Dafür würde ich den schicken arabischen Stempel in meinen Reisepass bekommen und einen Monat lang im Land bleiben dürfen. Während ich meine Kreditkarte aus dem Portemonnaie zog, sagte ich: »Ich werde in meinem Haus wohnen«, und lächelte den Herrn selbstsicher an. Als er jedoch nach der Adresse fragte, musste ich mit einem weniger breiten Lächeln zugeben, dass ich die gar nicht wusste. Er winkte mich trotzdem durch – und ich betrat offiziell qatarischen Boden. Noch einmal wurde das Handgepäck durchleuchtet und besonders auf Flüssigkeiten hin kontrolliert, denn Alkohol darf in das islamische Land nicht eingeführt werden.

Da war ich also, in diesem so fremden Land, auf mein Gepäck und, noch viel wichtiger, auf meinen Hund wartend, umgeben von Weiß und Schwarz: Die Männer waren in Weiß, die Frauen in Schwarz gekleidet. Und die Männer trugen weiße, die Frauen schwarze Schleier. Das war ein harter Kontrast. Einige Frauen hatten sogar ihr ganzes Gesicht verschleiert, so dass sie wie eine schwarze Silhouette wirkten.

Während all die neuen Eindrücke auf mich einprasselten, wollte ich aber nur wissen, ob es Donald gut geht. Unruhig wanderte mein Blick zwischen dem surrenden Gepäckband, den Türen und Schaltern in der Umgebung hin und her, bis endlich eine sympathisch aussehende Blondine auf mich zukam und sich als Nicky von der Haustiertransport-Agentur vorstellte. »Wir haben schon per E-Mail wegen der Papiere und Impfungen kommuniziert«, sagte sie und gab mir die Unterlagen. Sie muss meine Nervosität bemerkt haben, denn sie fügte sofort hinzu: »Donald wird gleich wieder bei Ihnen sein.« Tatsächlich ging nur wenige Minuten später eine Tür auf, und Donald wurde in seiner geräumigen Box zu mir gebracht.

Ich war so erleichtert, meinen kleinen Racker wiederzusehen. Dieser wedelte zufrieden mit dem Schwänzchen, als wäre nichts passiert. Er freute sich aber offenbar auch, mich zu sehen. Im Nu waren alle Sorgen verflogen, ob Donald die Reise gut überstehen würde, was wäre, wenn er verloren ginge, ob ihm im Frachtraum des Flugzeugs zu heiß oder zu kalt werden würde … Ich schaute in seine dunklen Knopfaugen und verstand: »Frauchen, alles ist gut.«

Alfredo erwartete uns schon hinter der Glastür. Wie schön war es in diesem Moment, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Aber er war mindestens genauso froh, dass Donald und ich gut angekommen und wir drei wieder zusammen waren. Er strahlte übers ganze Gesicht. »Willkommen in Qatar, ihr zwei!«, rief er, nahm den schwanzwedelnden Donald hoch und drückte uns beide fest an sich. Nun waren wir hier, um ihn bei dem Abenteuer zu unterstützen.

Ich war so gespannt auf unsere neue Umgebung, vor allem auf die Wüste, doch die Sonne war schon untergegangen, so dass ich noch nichts von der Wüste würde sehen können. Unsere Autofahrt führte uns vom Flughafen aus quer durch Doha in den Bezirk West Bay Lagoon. Die Skyline an der imposanten Strandpromenade Doha Corniche war hell erleuchtet. Es war, als führen wir durch eine glitzernde Hochhäuserwüste. Von Sand aber war weit und breit nichts zu sehen.

2

Inschallah

Reisen bedeutet herauszufinden, dass alle Unrecht haben mit dem, was sie über andere Länder denken.

Aldous Huxley

Da waren wir nun, Alfredo, Donald und ich in »unserer« Villa, einem dreigeschossigen, sandfarbenen Gebäude. Es war allerdings noch weit davon entfernt, halbwegs wohnlich zu sein. Jeder unserer Schritte hallte durch die leeren Räume. »Wie sollen wir bloß all diese Zimmer mit Leben füllen?«, fragte ich und riss unwillkürlich die Fenster auf, damit nicht jedes unserer Worte von einem Echo begleitet wurde. Die Villa mit zwei Parkplätzen vor der Tür lag auf einem umzäunten Gelände mit fünf weiteren Villen. Eine sah aus wie die andere. Obwohl die gesamte West Bay Lagoon nur durch vier kontrollierte Eingänge zugänglich war, wurden die Villen zusätzlich von einem eigenen Sicherheitsdienst bewacht.

Überwältigt von den Dimensionen unseres neuen Zuhauses wanderte ich von Raum zu Raum: Gleich rechts neben der Haustür war ein Gästezimmer mit Bad, linker Hand eine große moderne Küche, zu der auch ein Zimmer mit Bad für die Hausangestellte gehörte. Von dem riesigen Wohn- und Esszimmerbereich samt Kamin aus blickte man in den kleinen Garten mit Palmen und beleuchtetem Pool. Im ersten Obergeschoss war noch ein weiteres, etwas kleineres Wohnzimmer. »Von hier aus kannst du tagsüber das Meer sehen«, erklärte Alfredo, während ich auf die glitzernden Hochhäuser auf der anderen Seite der Bucht schaute. Um dieses Wohnzimmer herum waren vier Zimmer angeordnet, natürlich wieder jedes mit eigenem Bad. Und ganz oben befanden sich ein zweiter Gästebereich sowie eine herrliche Dachterrasse mit weitem Blick auf Garten, Strand, Meer, Doha und die üppig angelegte West Bay Lagoon.

Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte, dass ich diesmal – anders als bei unserer Wohnung in Madrid – kaum Gestaltungsfreiheit hatte, um diese Villa wirklich zu unserem Zuhause zu machen. Diesmal würde hauptsächlich Alfredos Firma den Charakter unserer vier, besser gesagt, 40 Wände bestimmen. Spanische Innenarchitekten grübelten bereits, wie sich daraus eine vorzeigbare Designer-Luxusbude zaubern ließe. Eine Showroom-Villa mit Alfredo und mir als Vorzeigepärchen – das war der Plan. Nun würde die Expertin für Product-Placement also selber zum platzierten Produkt werden. Ich war gespannt, wie sich das anfühlen würde. Vielleicht müssen wir stocksteif auf einem mit Swarovski-Steinen verzierten Glassofa sitzen, in der einen Hand ein Designermagazin, in der anderen ein vergoldetes Cocktailglas, statt gemütlich auf unserem guten alten Ikea-Sofa zu kuscheln, dachte ich schaudernd.

Noch konnten wir allerdings weder auf dem einen noch auf dem anderen sitzen, denn es gab rein gar nichts außer dem kalten Marmorboden, um sich niederzulassen. Das einzige Möbelstück weit und breit war ein Bett in einem der sechs Schlafzimmer. Bis die Designermöbel einträfen, brauchten wir unbedingt noch einen einfachen Tisch, zwei Stühle und vielleicht ein kleines Sofa, um hier wohnen zu können. Nur unsere Kleidung wäre im Nu in einem der zahlreichen Einbauschränke unseres neuen Domizils verstaut, schließlich würden wir nur aus insgesamt drei Koffern leben, solange die Kisten mit unserem Hab und Gut gen Qatar geschippert wurden.

Jetzt freute ich mich allerdings erst einmal darüber, endlich in Qatar angekommen zu sein, die Hektik der letzten Wochen hinter mir lassen zu können – und auf das eine Bett. Obwohl wir drei Musketiere bereit waren, uns gemeinsam den Herausforderungen dieses Neuanfangs zu stellen, gab es in diesem Moment nichts Dringenderes als zu schlafen. Auch Donald, der bisher nur einen kurzen Blick in den Garten geworfen und sein Revier markiert hatte, war damit einverstanden, die Erkundungstour durch die neue Nachbarschaft auf den nächsten Tag zu verschieben. Und so verbrachten wir unsere erste Nacht in der Villa – Donald auf seiner Decke neben dem Bett, Alfredo und ich Arm in Arm, den ungewohnten Geräuschen lauschend, die durch das geöffnete Fenster hereinkamen.

Kaum hatte ich morgens die Augen in dem lichtdurchfluteten Zimmer aufgeschlagen, war ich schon putzmunter und voller Tatendrang: Wie werden das Haus, der Garten und die Umgebung bei Tageslicht aussehen? Donald und ich freuten uns darauf, alles genauestens in Augenschein zu nehmen. Barfuß und noch im Schlafanzug lief ich gleich ein zweites Mal durch die Villa: Alles war hell und freundlich trotz der Leere. Und vom oberen Wohnzimmer aus konnte ich nun tatsächlich das türkisblaue Meer und den Strand sehen. Fast hätte ich mich selbst gekniffen, so traumhaft war es.

Als ich nach unten kam, war Donald bereits im Garten und in seinem Element: Wohin er auch schaute, überall bunte Vögel, denen er hinterherjagen konnte. Das musste mit einer genüsslichen Runde im Pool gefeiert werden – und zack war er im Wasser. Jetzt war der Pool offiziell eingeweiht. Schnell machte ich mich fertig und kam zu Donald in den Garten. Lachend öffnete ich das Gartentor und machte mich auf den kurzen Weg zum Strand, gefolgt vom patschnassen Donald, der sich freute, nun auch das Meer auf seine Art zu begrüßen. Eine echte Wasserratte, dieser Hund!

Zu den sechs Villen gehörte ein privater Strandabschnitt. Für einige Minuten setzte ich mich in den noch kühlen Sand, vergrub meine Füße und sah Donald beim Baden und Buddeln zu. Ein Strand direkt vor der Tür, ein Pool im Garten, umgeben von Palmen und exotischen Gärten – es war die reinste Idylle. So grün, blütenprächtig und anmutig hatte ich mir den Wüstenstaat Qatar wahrlich nicht vorgestellt. Bisher war von einer Wüste weit und breit nichts zu sehen.

»Komm, Donald, weiter geht’s! Ich habe noch so viel zu erledigen!« Wir liefen am Strand entlang, und ich staunte über die aufwendig angelegten Gärten, an denen wir vorbeikamen, über kleine Parks mit Spiel-, Tennis- und Basketballplätzen. Die Luft war erfüllt von fröhlichem Vogelgezwitscher. Von lachenden Kindern, schwitzenden Tennisspielern oder ein paar simplen Spaziergängern fehlte allerdings jede Spur. Noch waren Tiere und Pflanzen unter sich. Voller Freude rannte Donald auf dem gepflegten Rasen hin und her. Hier fand er alles, was er brauchte. Kurzum: Donald hatte sich im Nu akklimatisiert.

Ich bemühte mich, es ihm möglichst rasch gleichzutun, indem ich mich erst mal auf die Suche nach ein paar provisorischen Möbeln für die Villa machte. Die wenigen Möbelgeschäfte in Qatar warten jedoch nur mit teurem Prunkmobiliar auf, weshalb Alfredo mir riet, mich im Online-Shop von Ikea Abu Dhabi umzusehen. Also stellte ich eine Liste zusammen: einen kleinen Esstisch mit vier Stühlen, ein Sofa mit Beistelltischchen und ein paar Küchenutensilien. Diese Liste leitete Alfredo an das Büro seiner Firma in Abu Dhabi weiter – und dann blieb uns nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass seine Kollegen Einkauf und Transport möglichst umgehend organisierten, denn niemand wusste, wann die angekündigten Designermöbel eintreffen würden, und bei aller Liebe zur Improvisation: Lediglich ein Bett war auf Dauer doch etwas zu spartanisch.

Für uns strukturverwöhnte Mitteleuropäer war es offenbar gar nicht so einfach, sich in Qatar einzuleben; dazu passte auch meine Bekanntschaft mit dem qatarischen Lieferservice, die ich wenige Stunden später machen durfte. Alfredo hatte mich von unterwegs aus angerufen und vorgeschlagen, etwas zu essen zu bestellen. Im Internet recherchierte ich Restaurants, die einen Lieferservice anboten, und entschied mich für ein indisches Lokal. Ich musste nicht mal auf die Speisekarte schauen, weil Alfredo und ich sowieso immer die gleichen Gerichte essen, wenn wir beim Inder bestellen. Sicherheitshalber notierte ich noch unsere »Adresse«2, um mich nicht wieder wie bei der Ankunft am Flughafen zu blamieren, dann wählte ich die Nummer des Restaurants. Leider war der nette Inder sehr schwer zu verstehen, doch freundlicherweise wiederholte er meine Bestellung mehrmals, bis ich endlich sicher war, dass er mich richtig verstanden hatte. Nur die Lieferadresse fehlte noch. »West Bay Lagoon, Nordeingang, Straße 4, Villa 5. Also die vierte Straße ganz runter und dann die erste rechts«, erklärte ich. Er: »Ah ja, okay. In dem Zickzack-Turm … Welches Apartment, bitte?« Ich: »Nein, nicht der Zickzack-Turm, sondern West Bay Lagoon, das ist eine Wohnanlage gegenüber vom Golfplatz.« Er: »Ach so! Aber welcher Golfplatz?« Komisch, dachte ich, es gibt doch nur einen einzigen Golfplatz in dem überschaubaren Doha, das muss man doch wissen. Nein, er wusste es nicht. Und ich fand auch keinen Weg, es ihm zu erklären. Google Maps kannte er auch nicht. Ich gab es auf.

Als Alfredo eine halbe Stunde später zur Tür hereinkam, schilderte ich ihm das Bestellspektakel. »Ich schätze, wir müssen heute auswärts essen, wenn wir noch etwas in den Magen bekommen möchten, oder wir bestellen und holen das Essen selber. Aber das mit dem Liefern ist zu gefährlich. Wer weiß, ob das jemals ankommt.« Lachend sagte Alfredo, er wisse auch schon, wohin er mich entführen werde. Schnell zog ich mir meine Cinderallaschühchen an, rief Donald herbei, der den Vögeln im Garten auf die Nerven ging, und schon fuhren wir – kutschiert von Alavi, dem Inder unseres Vertrauens – durch die hellerleuchteten Straßen Richtung »The Pearl«, einer künstlichen Edelinsel mit diversen Apartmenthäusern, Villen, einem Hafen, Shopping- und Restaurantmeile. Hier gab es sogar Alkohol in den Restaurants, was sonst eigentlich nur den Fünfsternehotels vorbehalten war. Entspannt genossen wir unsere leckeren Gerichte und lachten immer wieder über meinen missglückten Bestellversuch.

Am nächsten Morgen wartete Donald bereits aufgeregt auf seine Gassirunde. Und da Alfredo und ich noch immer so gut wie nichts im Kühlschrank hatten, um ausgedehnt zu frühstücken, musste er auch gar nicht lange auf mich warten. »Lass uns heute Abend einen Großeinkauf machen«, schlug Alfredo auf dem Weg zur Tür vor. »Ich hol dich ab!« »Gute Idee, bin gespannt, wie Einkaufen auf Qatarisch geht«, rief ich, schlüpfte in meine Flipflops und folgte Donald durch die Terrassentür in den Garten. Der Einkaufsliste konnte ich mich auch später noch widmen.

Donald flitzte bereits am Pool vorbei zum Gartentor. Kaum hatte ich es einen Spalt geöffnet, sauste er den Weg hinunter zum Strand, diesmal aber erstaunlicherweise nicht direkt ins Meer, sondern am Strand entlang in den nächstgelegenen Park – und schon hatte er etwas gepackt. Eine Katze war es diesmal zum Glück nicht, so viel konnte ich von Weitem erkennen. Aber was war es dann? Ich sah, wie Donald in etwas hineinbiss, es schüttelte, fallen ließ und bellend umkreiste. Schnell rannte ich hin. Es war eine Schlange. Ach herrje! Sie war nicht besonders groß und offensichtlich auch schon seit Längerem tot. So ein komisches Wesen hatte Donald noch nie im Maul gehabt und war entsprechend stolz. Aber auch ich war neugierig und nahm ihm seine Eroberung weg, um mir die Schlange näher anzuschauen. Ein bisschen beunruhigte mich der Fund ja schon. Angesichts so viel Chemierasens in der Umgebung wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass sich Schlangen hier wohlfühlen könnten. Womöglich gibt es hier sogar Skorpione!? Ich würde dieses Exemplar mit nach Hause nehmen und mich ein wenig schlaumachen.

Auf dem Rückweg ließ sich Donald seine Runde im Meer nicht nehmen, doch er war noch nicht einmal mit allen vieren eingetaucht, da fing er wieder an, laut zu bellen, umkreiste etwas im Wasser, sprang vor und zurück. Im nächsten Moment war ich bei ihm und erblickte eine Krabbe: leuchtend blau und salatkopfgroß. Die Krabbe war sichtlich nervös und ihre furchteinflößenden Zangen abwehrbereit. Wenn die zupackte, täte das empfindlich weh. Schnell ließ ich die Schlange fallen und beeilte mich, Donald von der Krabbe wegzutragen, als sie auch schon im Meeressand verschwand. Unglaublich. Was mochte sich noch so alles in dieser harmlos wirkenden Lagune tummeln?

Am Strand ließ ich Donald wieder frei, dummerweise ohne an die dort liegende tote Schlange zu denken. Donald war so überdreht, dass ich beschloss, die Schlange vorsichtshalber nur zu fotografieren und sie dann sofort zu vergraben. »Jetzt aber ab nach Hause«, rief ich Donald zu, als der bereits drauf und dran war, seinen kostbaren Fund wieder auszubuddeln. »DONALD!«, rief ich streng. »Für heute haben wir genug von Schlangen und blauen Riesenkrabben.«

Trotzdem wollte ich natürlich wissen, worauf wir gefasst sein mussten. Sobald das Gartentor hinter uns ins Schloss gefallen war, zückte ich mein Smartphone, um die hiesigen Schlangenarten zu googeln.

Nur leider funktionierte die Internetverbindung plötzlich nicht mehr. Wahrscheinlich irgendwas mit dem Router, dachte ich und erinnerte mich mit Grauen an die langen Stunden, die ich in den Warteschleifen Madrider Telefonfirmen verbracht hatte. Daher probierte ich alles, um dieser nervenzehrenden Zeitvergeudung aus dem Weg zu gehen, redete dem Router gut zu, erst auf Deutsch, dann auf Englisch. Ich fragte den Router freundlich, ob er nicht einfach funktionieren wolle; dann müsste man ihn nicht mit langwierigem Konfigurieren foltern oder gar austauschen. Er tat aber, als hätte er mich nicht gehört. Wer weiß, vielleicht verstand er nur Arabisch. Und so musste ich dann wohl oder übel die Qtel-Nummer heraussuchen.

Die staatliche Qtel hatte zwar vor Kurzem Konkurrenz durch Vodafone Qatar bekommen, doch Alfredo hatte erzählt, das Netz sei in dem jungen Land noch nicht ausgereift. Also war es Aufgabe von Qtel, diesen starrköpfigen Router irgendwie zu motivieren, seine Aufgabe zu erledigen. Eine männliche Automatenstimme meldete sich mit einer arabischen Ansage, allerdings glücklicherweise gefolgt von einer englischen: Ich wurde gebeten, die 2 zu drücken, was ich sofort tat, und landete tatsächlich bei einem Agenten. Der nette Herr am anderen Ende der Leitung fragte mich als Erstes nach meinem qatarischen Personalausweis, den ich zu seiner großen Enttäuschung noch nicht hatte. Ich erklärte ihm, dass das Internet in der Villa aber schon geschaltet sei und bezahlt werde. »Bis vorhin hat es ja auch funktioniert«, betonte ich. »Aha. Haben Sie es denn schon mal mit Aus- und Wiedereinschalten versucht?« Woher sollte er auch wissen, dass ich nicht nur das Ein-Aus-Spiel, sondern auch den Regentanz um den Router herum längst probiert hatte.

»Inschallah«, sagte der Qtel3-Mann. Völlig überfordert sagte ich, dass ich gerade erst in Doha angekommen sei und wirklich noch kein Arabisch verstünde. Freundlich erwiderte er: »Inschallah wird das Internet später wieder funktionieren.« Ich hätte ausrasten können. »Was bitte schön soll denn Inschallah heißen?« Ich wusste, dieses Nachfragen machte es nicht einfacher, aber jetzt war ich genervt. Doch mein Gesprächspartner blieb geduldig: »Ma’am« – diese respektvolle Anrede sollte mich wahrscheinlich beruhigen – »Inschallah bedeutet ›So Gott will‹.« »Aha.« Mehr fiel mir dazu nicht ein, denn ich konnte mir partout keinen Reim auf den Zusammenhang zwischen Gott und Internet machen. Also blieb mir nichts anderes übrig als zu fragen, was das jetzt für meine Internetverbindung bedeute. »Inschallah funktioniert es später.« Der nimmt dich nicht für voll, dachte ich und fuhr ihn an: »Das ist doch nicht Ihr Ernst! Wieso sollte der Router einfach so später funktionieren? Und dann auch nur, wenn Gott will? Ich sage Ihnen jetzt mal, wer was will: Ich will einen Techniker. Und zwar flott.«

Natürlich war sein Inschallah überhaupt nicht böse gemeint, aber geholfen hat er mir damit leider auch nicht. Und woher hätte ich wissen sollen, dass Inschallah eine gängige Redewendung der Demutshaltung in arabischen Ländern ist. Also stritten wir noch eine Weile um den Techniker, wann er ihn schicken würde und vor allem wohin. Denn ohne eindeutige Adresse würde der Techniker mich nie finden.

»Das Internet wird später funktionieren«, sagte der Q-Tel-Mann zum dritten Mal. »Inschallah.« »Ja. Inschallah.« Entnervt legte ich auf. Bestimmt muss ich noch gefühlte tausend Mal dort anrufen, bevor ein Techniker über die Türschwelle tritt, schimpfte ich vor mich hin, und die ganze Zeit wäre ich ohne Internet. Es war zum Mäusemelken. Doch all die Schimpferei würde den Router auch nicht gefügig machen. Dann konnte ich auch genauso gut in Ruhe den Einkaufszettel vorbereiten, dann war wenigstens das erledigt. Danach würde ich meinen Hitzkopf im Meer kühlen, beschloss ich. Blaue Riesenkrabben hin oder her …

Donald war begeistert von meiner Idee, den Nachmittag wieder am Strand zu verbringen, wahrscheinlich hoffte er auf die eine oder andere neue Entdeckung. Die ließ auch nicht lange auf sich warten: Es war eine kleine schwarze Krabbe auf ihrem Weg vom Meer zu den bräunlich gelben Felsen am Strand. Donald machte einen Satz auf sie zu, und vor Schreck blieb die Krabbe stocksteif stehen. Donald rechnete wohl damit, dass sie im nächsten Moment einen Sprung nach vorn machen würde, so dass er nur noch zuzupacken bräuchte. Doch wider Erwarten krabbelte die Krabbe blitzschnell seitwärts weg und hinein in eine Felsspalte. Da war er nun, der kleine Jäger Donald, fassungslos mit halb geöffnetem Maul und ohne Beute. Schon viele Grashüpfer, Mäuse, Ratten und auch einige Katzen hatte er in seinem Hundeleben geschickt erwischt. Doch die seitliche Fluchtstrategie der Krabbe hatte ihn überrumpelt. »Komm«, rief ich ihm zu, »geh lieber noch mal ins Meer, und überlass den Krabbenfang den Fischern.«

Während Donald und ich ausgetobt zur Villa zurückgingen, stellte ich mich seelisch und moralisch auf den nächsten Qtel-Anruf ein. Doch siehe da, das Internet funktionierte plötzlich wieder einwandfrei. Ohne tausend Anrufe, ohne Techniker und ohne weitere Regentänze. Vielleicht war das Inschallah ja doch nicht so schlecht? Dafür fühlte ich mich jetzt allerdings etwas schlecht. Da hatte ich den armen Mann dermaßen zurechtgewiesen, nur weil ich das arabische Wort nicht verstanden hatte. Dabei hatte er ja eigentlich Recht: Es wird sich schon regeln, so Gott will. Inschallah eben. Offenbar musste ich diese arabische Lebensphilosophie erst noch verinnerlichen. Vielleicht sollte ich es gleich mal an einem Lieferservice ausprobieren: Ob er mich wohl findet, ohne die Adresse zu kennen? Inschallah.

Aber vorher wollte ich zumindest noch ein paar Punkte meiner To-do-Liste abarbeiten: Zurück im Netz studierte ich den Stadtplan von Doha. Wo lagen welche Sehenswürdigkeit und welches wichtige Gebäude? Wie weit war was von unserer Villa entfernt? Und vor allem: Wie lange muss man fahren, um in der Wüste zu sein? Das Meer vor der Haustür zu haben ist ja gut und schön, aber ich sehnte mich danach, endlich den Wüstensand unter meinen Füßen zu spüren.

Bislang wusste ich eigentlich nur, dass wir gegenüber vom einzigen Golfplatz der Stadt wohnten, aber der war ja bekanntlich nicht jedem ein Begriff. Ich notierte mir alles. Dann schaute ich nach, wo es Falken zu sehen gab, fand allerdings nur spärliche Informationen auf veralteten Webseiten mit Hinweisen auf Katara und Souq. Also setzte ich beide Begriffe auf meine Erkundschaften!-Liste und klickte mich anschließend bis zum E-Mail-Verteiler der Deutschen Botschaft, um mich dort anzumelden. Blieben noch die Spanische Botschaft und alle möglichen Expat4-Gruppen. Ich musste ja auf dem Laufenden sein und mich bestmöglich in mein neues Lebensumfeld einfügen. In der nächsten Woche, las ich, würde ein Kinoabend in der Deutschen Schule stattfinden, organisiert von der Deutschen Botschaft. »Tja, da hat Frauchen wohl einen Kinobesuch vor sich, Donald!«

Plötzlich hörte ich ein Hupen auf der Einfahrt: Alfredo war da, um mich zum Einkaufen abzuholen. Er hatte ein Auto für uns gemietet, damit wir die Einkäufe bequem transportieren konnten und in Zukunft nicht jedes Mal auf Alavi angewiesen waren. Zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln ist niemand in Doha unterwegs. Hier wird jede noch so kleine Strecke mit einer glänzenden Karosse gefahren.

Auf dem Weg zum Supermarkt berichtete ich von den vielen Vögeln im Park, der blauen Riesenkrabbe und vor allem von der Schlange. »Guck mal, ich hab’ sie sogar fotografiert«, sagte ich und hielt ihm an der nächsten Ampel das Display vor die Nase. »Ne Schlange? Weißt du, was das für eine ist?«, fragte er.

Ach herrje, vor lauter QTel und Inschallah hatte ich komplett vergessen, es nachzuschauen. Sofort googelte ich los und fand die entsprechende Schlange auch gleich: Psammophis. Welch schöner Name! »Durchaus giftige Schlange, aber für Menschen definitiv ungefährlich«, fasste ich den Interneteintrag zusammen. Das klang beruhigend, wenngleich ich ihre Wirkung auf den kleinen Donald lieber nicht ausprobieren wollte.

Eine gute Viertelstunde später erreichten wir den »Mega Mart«. »Das soll der beste Supermarkt von Doha sein«, sagte Alfredo. »Mit allem, was das Expatherz begehrt.«

Um mit diesem unserem Megaeinkauf möglichst schnell fertig zu werden, zog jeder von uns mit einer Hälfte der Einkaufsliste und einem Einkaufswagen ausgestattet los. Wasch- und Putzmittel, Salz, Pfeffer, Öl, wir brauchten einfach alles, da wir nichts in Küchen- und Kühlschrank hatten. »Zwiebelkühlschrank«, sagt mein Bruder dazu, denn wenn man so einen leeren Kühlschrank öffnet, kommen einem die Tränen.

Die meisten Produkte im Supermarkt waren importiert und nachträglich mit arabischen Aufklebern versehen worden. Nur sehr Weniges wie Datteln war tatsächlich arabischer Herkunft, selbst Gemüse und Früchte waren offenbar eingeführt worden. Mein persönlicher Favorit war das Waschmittel, eine Sonderedition für den Persischen Golf aus dem Hause Henkel: ein Waschmittel namens Persil Abaya5 für die schwarze Kleidung der Frauen und eines für die weißen Gewänder der Männer. Das nenne ich Kundennähe!

Der Nationalitäten-Mix, der mir hier im Supermarkt begegnete, erinnerte mich an den Flughafen von Doha. Auch der eine oder andere Qatari war zu sehen, doch Qatari sind in ihrem eigenen Land in der Minderheit. 80 Prozent der Einwohner von Qatar sind Expats aus aller Herren Länder: Baustellenarbeiter, vorwiegend aus Nepal, Bangladesch und Indien, Verkäufer, Fahrer, Köche und Gärtner aus Indien und Pakistan, Putzfrauen und Kindermädchen von den Philippinen und Sri Lanka, Büroangestellte aus Westeuropa und den USA, aber auch aus Ägypten, Syrien und dem Libanon. Die Qatari hingegen haben Top-Jobs in Verwaltung und Wirtschaft inne; das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Qatari liegt bei 90.000 Euro im Jahr (steuerfrei versteht sich!).

Da unsere Einkaufswagen am Ende randvoll waren, half uns ein junger Angestellter des Supermarkts, diese zum Auto zu schieben. »Laura, hast du mal den Autoschlüssel?«, fragte Alfredo. Müde und erschöpft reichte ich ihm einfach die Handtasche und freute mich – oh, Wunder – auf unsere leere Villa.

Schwer beladen fuhren wir mit unserem motorisierten Kamel auf vier Rädern zurück, wo Donald uns schwanzwedelnd begrüßte. So ein Großeinkauf verhieß normalerweise ein paar Hundeextras. Als das Auto endlich entladen und alle Einkäufe verstaut waren, fragte ich, wo denn meine Handtasche sei. »Die habe ich dir doch zurückgegeben.« Nun stand Aussage gegen Aussage, und von der Handtasche keine Spur. Mein Geldbeutel und mein Pass waren weg! Oh nein, bitte nicht schon wieder!

Als ich vor neun Jahren am Madrider Flughafen angekommen war, wurde mir meine Tasche brutal weggerissen. Das war für mich ein traumatisierendes Erlebnis mit 17 Jahren. Völlig frustriert stand ich in der Deutschen Botschaft, wo man mir zunächst gar keinen neuen Ausweis ausstellen wollte mit der Begründung, ich sei noch nicht volljährig, und die fällige Gebühr konnte ich nicht bezahlen, weil ich kein Geld hatte, und ohne Ausweis konnte ich kein Geld bekommen. Ein Drama war das. Diesmal war ich immerhin nicht allein, und es wurde keine Gewalt angewandt – aber ärgerlich war es allemal.

»Wie konnte das nur passieren? Als hätten wir nicht schon genug um die Ohren!« Ich schimpfte wie ein Rohrspatz. Alfredo versuchte, mich zu beruhigen: »Ich rufe jetzt erst mal beim Supermarkt an, sicherlich hat jemand die Tasche gefunden und abgegeben.« »Klar«, sagte ich, »und morgen schneit’s!« Aber schon im nächsten Moment musste ich an Inschallah und den Router denken. Gut, sollte er im Supermarkt anrufen. Und siehe da: Man freute sich über seinen Anruf. »Ja, die Tasche ist hier.« Ich konnte es kaum glauben.

Also fuhren wir wieder zurück zum Supermarkt. Am Infoschalter war man bereits informiert und zeigte uns einen Zettel, auf dem Datum und Uhrzeit des Verlusts sowie das gesamte Inventar der Tasche vermerkt worden waren. So genau hatte ich selber gar nicht gewusst, was ich so alles in dieser Tasche hortete: 1) Geld: QR 464 2) 7 kleine Kekse 3) Deutscher Pass von Laura Wrede 4) Zertifikat 5) 4 Geldkarten 6) 1 arabisches Wörterbuch 7) 1 Fernbedienung 8) 2 kleine Süßigkeitenboxen, 9) Taschentücher.

Das Ganze signiert vom Sicherheitsdienst.

Alles ist gut. Inschallah!