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Job weg, enttäuscht von der Liebe und jede Menge unbezahlte Rechnungen. Jaqueline hat gehörig die Nase voll von Männern und von diesem Leben.
Spontan macht sie sich auf die Suche nach ihrem Vater, der vor 20 Jahren aus ihrem Leben verschwand. Und landet in der Provence in Frankreich.
***
Manchmal geht das Leben seltsame Wege. Man muss sie nur finden und den Mut haben, sie zu gehen.
Und manchmal sind es die spontanen Entscheidungen, die uns das Glück bringen.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Seit einer Stunde lag ich wach und starrte an die Decke. Durch die offene Balkontür strömte ein Geruch von Abgasen und der vorbeirauschende Berufsverkehr dröhnte in meinen Ohren. Köln war eine schöne Stadt, aber nicht, wenn man in ihr lebte. Meine kleine Wohnung lag direkt am Hansaring und schon lange sehnte ich mich nach mehr Ruhe und Natur. Wie so oft, fragte ich mich, ob ich woanders neu anfangen sollte. Nichts hielt mich hier, aber mir fehlte der Mut.
Ich widerstand der Versuchung, einfach liegen zu bleiben. Wieder so ein Bürotag und ich sehnte mich schon jetzt nach dem Feierabend. Ich schob die Bettdecke beiseite und setzte mich seufzend auf die Bettkante. Der Gedanke an meine unbezahlten Rechnungen trieb mich aus dem Bett.
Müde und lustlos schleppte ich mich in die Küche und stellte die Kaffeemaschine an. Während der Kaffee durchlief, ging ich ins Bad und hoffte, dass eine erfrischende Dusche meine Stimmung bessern würde. Aber auch das half nicht. Ich zog mich an und versuchte meine Haare, die widerspenstig um mein Gesicht wirbelten, zu bändigen.
Der Duft des frischen Kaffees zog mir in die Nase und ich ging zurück in die Küche. Hastig schüttete ich eine Tasse Kaffee hinunter. Ein Blick auf die Küchenuhr verriet mir, dass ich viel zu spät dran war. Wie so oft in den letzten Monaten. Es half nichts: Ich musste los.
Die Stimmung im Büro war seltsam. Schauten die Kollegen mich heute anders an als sonst? Irgendetwas lag in der Luft. In meinem Büro angekommen, schaltete ich den PC an. Marie, mit der ich mir das Büro teilte, sah vorwurfsvoll auf die Uhr.
„Mensch, Jaqu, du bist schon wieder zu spät. Mach voran, noch hat der Alte es hoffentlich nicht gemerkt.“
„Jaqueline?“, hörte ich Herrn Kremer im gleichen Moment rufen und mir war klar, dass ihm mein Zuspätkommen nicht entgangen war. Marie sah mich mitleidig an und zog die Schultern hoch.
„Na, dann lass dir mal eine neue Ausrede einfallen. Hört sich nach Ärger an.“
„Ja?“, antwortete ich Herrn Kremer.
„Kommen Sie in mein Büro“, befahl er und sein Ton jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Mit einem flauen Gefühl im Magen, ging ich über den langen Flur zu seinem Büro. Nicole, die neue Kollegin, stöckelte mir entgegen.
„Na, wieder mal zu spät?“, flötete sie und grinste hämisch. Ich ignorierte sie und betrat das Büro von Herrn Kremer. Er saß hinter seinem Schreibtisch und hatte sich in den protzigen Chefsessel gequetscht.
„Nein, Jaqueline, das hätte ich nie von Ihnen gedacht! Warum haben Sie mir nichts von Ihren Problemen gesagt?“, fuhr er mich an. Sein Gesichtsausdruck ließ nichts Gutes verheißen.
„Probleme? Welche Probleme?“, fragte ich verdutzt. Mein Herz begann zu rasen und unter meinen Achseln bildeten sich kleine Schweißperlen. Woher weiß er von meinen Problemen? Aber, noch ehe ich darüber weiter nachdenken konnte, unterbrach er meine Gedanken.
„Es fehlen eintausend Euro in der Firmenkasse. Können Sie mir das erklären?“
„Ich … ich …, nein, das ist mir noch nicht aufgefallen?“ Ich ärgerte mich über mein Gestotter und spürte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg. „Aber Sie glauben doch nicht etwa, dass ich …“
„Wer denn sonst?“, unterbrach er mich erneut. „Außer mir haben nur Sie einen Schlüssel. Und ich werde mich wohl nicht selbst beklauen!“
„Beklauen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein? Sie wollen mir sagen, ich hätte Sie beklaut?“ Ungläubig stierte ich ihn an. Aber statt einer Antwort, hielt er mir einen Briefumschlag entgegen.
„Was ist das?“, fragte ich, während ich den Umschlag annahm.
„Ihre Kündigung. Nicole war so freundlich, sie gleich heute Morgen fertigzumachen“, sagte er, ohne auf eine weitere Erklärung zu warten.
„Meine was ...?“, schrie ich.
„Ich könnte Sie fristlos entlassen. Diebstahl ist schließlich kein Kavaliersdelikt. Aber weil Sie eine gute Mitarbeiterin waren, kündige ich Ihnen mit der ordentlichen Kündigungsfrist. Allerdings sind Sie bis zu Ihrem Ausscheiden von der Arbeit freigestellt“, sagte er kalt, ohne mich dabei anzusehen.
„Bitte Herr Kremer, so glauben Sie mir doch. Ich habe dieses Geld nicht genommen“, versuchte ich mich zu verteidigen. Meine Stimme zitterte, aber Herr Kremer deutete mir wortlos mit einem Blick an, sein Büro zu verlassen. Die kleinen Schweißperlen unter meinen Armen begannen zu strömen und wie in Trance verließ ich sein Büro. Ich rannte in mein Büro, vorbei an meinen Kollegen, die mich mitleidig ansahen. Ich schnappte meine Tasche, ließ die völlig verdutzte Marie ohne ein Wort zurück und rannte aus dem Büro.
Draußen schnappte ich nach Luft. Ich lief in einen nahegelegenen Park, wo ich oft meine Mittagspause verbrachte und setzte mich auf eine Bank. Jetzt endlich konnte ich den Tränen freien Lauf lassen. Meine Gefühle fuhren Achterbahn. Ich kochte vor Wut, weil ich nicht den Hauch einer Chance bekommen hatte, mich zu verteidigen. Dann wieder war ich enttäuscht, dass man mir so etwas überhaupt zutraute. Ich war jetzt neununddreißig Jahre und die Aussichten auf einen neuen Job waren gleich null. Hatte ich heute Morgen noch meine Arbeit verflucht, jetzt war ich sie los.
Ich bemerkte nicht, dass dunkle Wolken aufzogen. Ein heftiger Wolkenbruch überraschte mich und ich rannte nach Hause. Völlig durchnässt betrat ich kurze Zeit später meine Wohnung.
Ich muss Tina anrufen! Auf Tina war immer Verlass. Hastig kramte ich in meiner Tasche nach meinem Handy und wählte ihre Nummer. Aber sie nahm nicht ab.
Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Wie sollte es weitergehen? Schon jetzt konnte ich meine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Panik stieg in mir hoch. Ich rannte in die Küche und schnappte mir die offene Flasche Wein, die noch vom Vorabend übrig geblieben war, goss mir ein großes Glas ein und kippte es hinunter. Ich ging zurück ins Wohnzimmer und setzte mich in meinen bequemen Fernsehsessel. Hastig trank ich immer wieder an meinem Wein und die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Irgendwann schlief ich ein.
Das Schrillen meines Handys riss mich aus dem Schlaf. Es war bereits dunkel, also hatte ich den ganzen Tag verschlafen. Im Display meines Handys sah ich, dass es Tina war, und nahm ab.
„High, Tina hier. Na altes Haus, du hattest angerufen? Gibt’s was Bestimmtes? Alles in Ordnung bei dir?“, trällerte sie gleich los.
„Nein, nichts ist ok.“ Mit stockender, tränenerstickter Stimme erzählte ich ihr, was passiert war.
„Das ist ja ein Hammer. Aber das kann der nicht so einfach machen!“, sagte sie. Als erfolgreiche Anwältin schossen ihr gleich die Paragrafen durch den Kopf.
„Hat er aber“, sagte ich resigniert.
„Nee, nee, dagegen wehrst du dich. Du hast doch nichts getan! Komm morgen in meine Kanzlei. Ich schieb dich schon irgendwie dazwischen.“
„Mal sehen, Tina. Im Moment bin ich so durch den Wind, kann keinen klaren Gedanken fassen. Ich denke drüber nach. Obwohl, wenn ich ehrlich bin, habe ich gar keine Lust dort auf meine Wiedereinstellung zu klagen. Da setze ich keinen Fuß mehr rein“, entgegnete ich beleidigt.
„Ja klar, versteh ich. Aber trotzdem solltest du das nicht auf dir sitzen lassen. Wenn ich denke, was du für deinen Chef alles getan hast. Ewig hast du dir die Jammerei über seine schlechte Ehe angehört. Und die vielen Überstunden, die du immer klaglos hingenommen hast.“
„Oh ja, das Gejammer über seine Ehe war nervig. Na, vielleicht hat es auch alles sein Gutes.“
„Soll ich noch bei dir vorbeikommen?“, fragte Tina.
„Nein Tina. Ich bin total erledigt. Ich denke, ich lege mich wieder hin.“
„Ok, mach das. Ich melde mich dann morgen. Und mach dir nicht so viel Kopf, das kriegen wir schon hin“.
„Danke, Tina. Dann also bis morgen.“
„Kein Problem. Dafür bin ich doch da. Also dann, schlaf gut. Und Kopf hoch.“
„Ja, du auch. Tschüss.“
Mein Körper fühlte sich an wie Blei. Mein Kopf dröhnte und an Schlaf war nicht zu denken. Ich kuschelte mich unter meine Lieblingsdecke und hoffte, morgen wieder optimistischer zu sein. Ich war immer eine Kämpferin, aber für heute ging mir die Puste aus. Ich ließ die letzten Wochen meiner Arbeit noch mal Revue passieren. Die vielen Überstunden, die nervigen Gespräche mit meinem Chef über seine Eheprobleme. Und dann noch die neue Kollegin Nicole. Diese Zicke hatte mir von Anfang an zu schaffen gemacht. Und wo waren die tausend Euro?
Inzwischen war es weit nach Mitternacht, ich war müde und erschöpft. Durchschlafen war in den letzten Monaten kaum möglich. In dieser Nacht jedoch schlief ich tief und fest und wachte erst am nächsten, späten Vormittag auf.
Ich habe verschlafen! Ich rannte ins Bad und realisierte erst nach langen Minuten, dass ich nicht verschlafen konnte, weil ich keinen Job mehr hatte
Verschlafen ging ich in die Küche und freute mich auf meinen ersten Kaffee. Wie sollte es weitergehen? Wie sollte ich meine Miete und meine Rechnungen zahlen? Mit meinem Kaffee ging ich auf den Balkon. Die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings wärmten mein Gesicht. Ich genoss es, dass ich nicht zur Arbeit musste. Und trotz meiner Finanzlage beschloss ich, in die Stadt zu fahren. Schon lange hatte ich mir nichts mehr gegönnt.
Ich duschte, zog mir was Schickes an und rannte zur Bushaltestelle.
Nachdem der Bus hielt, stieg ich ein und kaufte mir eine Fahrkarte beim Fahrer. Ich wankte durch den fahrenden Bus, und gerade als ich mich setzte, riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken.
„Mensch, Jaqueline, bist du es wirklich?“
Ich blickte auf und sah in dunkelbraune Augen. Jens! Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss.
„Ja, ich bin‘s wirklich. Wieso, hab ich mich so verändert?“, fragte ich, nachdem ich mich gefangen hatte. Ich zog meine Handtasche an meine Brust, als könnte ich mich hinter ihr verstecken.
„Naja, älter halt.“
Na, vielen Dank auch. Genau das habe ich jetzt gebraucht. Ich musste mir eingestehen, dass Jens sich kaum verändert hatte. Er war zwei Jahre älter als ich, aber in seiner lässigen Jeans und der kurzen, braunen Lederjacke, sah er einfach umwerfend aus. Seine braunen Locken kringelten sich wild um sein Gesicht. Genau wie damals, als wir noch ein Paar waren. Ich ärgerte mich, dass ich mir heute Morgen nicht mehr Mühe mit meinem Aussehen gegeben hatte.
„Und, wo treibt es dich hin?“, fragte er lachend. Sein Lächeln erinnerte mich an unsere gemeinsame Zeit, die mir noch lebhaft, aber auch schmerzlich in Erinnerung geblieben war.
„Och, ich wollte einfach mal die Seele baumeln lassen und mir einen schönen Tag in der Stadt machen“, erwiderte ich und versuchte lässig zu klingen.
„Erzähl mal, wie ist es dir ergangen und was machst du heute so. Ich meine beruflich?“, fragte er. Er hatte ja keine Ahnung, in welche Wunde er da gerade seine Finger gelegt hatte.
„Ähm … ich … also ich arbeite als Sekretärin in einer Werbeagentur, hab‘ heute frei“, log ich ihn an.
„Als Sekretärin? Was ist aus deinem Medizinstudium geworden?“
Gott sei Dank hielt in dem Moment der Bus an. Obwohl wir noch nicht in der Stadt waren, sprang ich auf, rannte Richtung Türe und rief: „War schön dich getroffen zu haben, aber ich muss hier aussteigen.“
„Prima, ich auch“, rief er lachend und lief mir nach.
Wir stiegen aus.
„Wieso musstest du jetzt hier raus? Ich dachte, du wolltest in die Stadt.“