Leben an der Goldküste - Katharina Wille-Gut - E-Book

Leben an der Goldküste E-Book

Katharina Wille-Gut

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Beschreibung

Die Goldküste ist ein Reizwort. Geheimnisumwittert und top abgeschirmt. Sie beherbergt jedoch durchaus auch menschliche Wesen wie Nina und ihre Family, die sich nicht allzu sehr von Normalos abheben. Katharina Willes Aufzeichnungen kommen als dokufiktionaler Roman daher. Und die Klischees halten sich in amüsantem Rahmen.

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Seitenzahl: 226

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Katharina Wille-Gut

Leben an der Goldküste

Aus dem Tagebucheiner Privilegierten

Roman • Zytglogge

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlich existierenden Personen oder Ereignissen ist rein zufällig – aber durchaus möglich.

Alle Rechte vorbehalten

Copyright by Zytglogge Verlag, 2004

Lektorat: Bettina Kaelin

Umschlagbild: © www.bulthaup.ch

e-Book: mbassador GmbH, Luzern

ISBN: 978-3-7296-0684-5

eISBN: 978-3-7296-2007-0

Zytglogge Verlag, Schoren 7, CH-3653 Oberhofen am Thunersee

[email protected], www.zytglogge.ch

Personenverzeichnis

Nina, 41, lebt zusammen mit ihrem Mann Eric, geborener Erich, 47, und den Kindern Lara, 12, und Marc, 10, in einem grosszügigen Landhaus an erhöhter Lage in einer wohlhabenden Goldküstengemeinde. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist Shopping.

Isabel, 38, ist eine Studienfreundin von Nina, die jetzt aber mit Mann Randolph und Kindern in Australien lebt. Als Gastarbeiterkind sieht Isa, wie Nina sie nennt, manches mit anderen Augen als Nina – was Letztere aber durchaus zu schätzen weiss.

Eliza, 44, betrachtet sich als Alleinerziehende ihres Sohnes Luca, 9, denn ihr Ehemann ist aus beruflichen Gründen oft tage- oder auch wochenweise abwesend. Luca besucht eine Tagesschule und wird in der übrigen Zeit von der Haushälterin betreut. Eliza ist nämlich seit Jahren mit einer Weiterbildung beschäftigt – ein Abschluss ist nicht abzusehen.

Barbara, 41, nennt sich Kiki, ist verheiratet und Mutter der beiden Teenager Gregor und Tibor, die von einem Au-pair betreut werden, das kaum älter ist als die beiden Buben. Hauptbeschäftigung von Barbara sind die Golfstunden mit immer wieder wechselnden knackig jungen Golflehrern. Im Übrigen verbringt sie viel Zeit mit den Kindern oder auch ohne sie in ihrer Villa in Antibes oder im Chalet in Gstaad.

Claudia, 39, hat eine sechsjährige Tochter, Zoe, und einen ungetreuen Ehemann, den Christian. Als Entschädigung für seine regelmässigen Seitensprünge hat er ihr ein Innendekorations-Geschäft eingerichtet, das sie nach anfänglicher Begeisterung aber eher nachlässig betreibt. Für Zoe hat sie eine echte amerikanische Nanny eingestellt.

Katja, 43, ist verheiratet und hat vier Kinder, Cécile, Constance, Catherine und Jean-Cédric, den lang ersehnten Stammhalter. Auch sie hat allerhand Personal, aber sie kümmert sich hingebungsvoll um ihre Kinder – zumindest was deren Kleidung und optimale schulische Förderung betrifft.

Dr. Stephan Lasalle, 54, therapiert die verschiedenen kleineren oder grösseren Macken der High Society an der Goldküste und geniesst den Ruf, einer der besten zu sein. Seine Visitenkarte wird mit der gleichen Begeisterung weitergegeben wie diejenige eines Starcoiffeurs.

1

«Es reicht!» Die Bankauszüge flattern auf den gläsernen Couchtisch, auf welchem der allabendliche Apéro steht. Erics Gesicht ist gerötet, die höher werdende Stirn glänzt, und er wirkt trotz Massanzug, Designerhemd und der dezent gemusterten Seidenkrawatte ziemlich ausser sich. Nina hat ihn in den fünfzehn Jahren, die sie ihn kennt, noch nie so wütend gesehen.

«Du hast es doch tatsächlich geschafft, innert einem Monat mehr auszugeben, als meine Sekretärin in einem halben Jahr verdient.» Und das ist ein ziemliches Sümmchen bei Eric, der als erfolgreicher Vermögensverwalter immer wieder betont, wie ausgesprochen grosszügig er seine «Leute» entlöhnt. Doch während er das Geld und dessen Vermehrung zu seinem Beruf gemacht hat, besteht Ninas Hauptbeschäftigung darin, dieses mit vollen Händen wieder unters Volk zu bringen. Wie Eric ihre diversen Konten auffüllt, interessiert sie wenig; Hauptsache, sie hat jederzeit Zugriff. Auf Preisschilder achtet sie nicht – zumal diese in den Läden, in welchen sie ein- und ausgeht, entweder fehlen oder so diskret angebracht sind, dass man sie leicht übersehen kann. Zwar lassen die Diskussionen um ihren saloppen Umgang mit Geld immer mal wieder den Hausfrieden in Schieflage geraten, doch Nina hat das bisher nicht allzu ernst genommen. Sie ist davon ausgegangen, dass solche Auseinandersetzungen in ihren Kreisen üblich sind und zur Profilierung der Männer als Ernährer dienen. Richtig böse Worte sind bisher jedenfalls nicht gefallen, da Eric in der Regel ein sehr ausgeglichener, kontrollierter Mensch ist, der selten zu einem Gefühlsüberschwang – in welche Richtung auch immer – neigt. Und wenn er sich mal aufregt, dann höchstens über sinkende Aktienkurse oder unfähige Mitarbeiter; das hat mit ihr ja nichts zu tun.

Aber diesmal ist es anders. Ganz eindeutig ist sie oder vielmehr ihr Verhalten Grund für sein ungewohnt barsches Auftreten.

Doch so schnell lässt sich Nina nicht einschüchtern.

Angriff ist die beste Verteidigung, sagt sie sich, nimmt einen kräftigen Schluck Veuve Cliquot und legt los: «Du hast ja keine Ahnung, wie viel heutzutage alles kostet. Das Essen, die Kleider der Kinder, ihre Klavierstunden …»

«Essen? Klavierstunden? Seit wann kaufen wir unser Essen bei Chanel? Und die Klavierstunden? Nehmen die die Kinder vielleicht bei Dolce & Gabbana?» Eric springt aus dem Corbusier-Sessel auf und fängt an, vor dem Flügel hin- und herzutigern.

«Na ja, eine Kleinigkeit muss ich ja auch für mich kaufen, schliesslich legst du doch Wert darauf, dass ich gut aussehe, oder?», versucht es Nina nun auf die sanfte Tour.

«Du siehst auch in einem deiner fünfhundert anderen Fummel gut aus. Zu deinem Namenstag – und das ist noch nicht lange her – habe ich doch extra das Ankleidezimmer vergrössern lassen, weil du immer darüber gejammert hast, dass du keinen Platz für all deine Kleider hast, also, was soll das?»

Und dann beginnt er, ihr eine Kreditkartenbelastung nach der anderen unter die Nase zu reiben: «Bally-Schuhe Fr. 1670.–, Globus Fr. 1436.–, Grieder Les Boutiques Fr. 1740.–, Bijouterie Bucherer Fr. 1750.–, Burger Fr. 784.–, Tiffany Fr. 1250.–, Parfümerie Koller Fr. 654.90, Globus Fr. 984.–, Tod’s 1345.–, Louis Vuitton 1805.–, Rudolf Haene Coiffure 520.–, Kowä Fr. 953.–, Prada Fr. 2450.–, Donna Karan Fr. 1150.–, Sibler Fr. 3450.–, – was war denn das?»

«Da habe ich doch diese tolle Espresso-Kaffeemaschine gekauft, die so gut auf die neue Anrichte in der Küche passt.»

«Aber wir hatten doch bereits eine Kaffeemaschine! Die hattest du ja extra per Kurier aus Italien kommen lassen, weil sie angeblich den besten Espresso der Welt macht – behauptete jedenfalls irgendeine deiner Freundinnen.»

«Ja, das stimmt schon, aber die machte sich auf der Anrichte längst nicht so gut wie die neue. Wenn du dich auch nur ein einziges Mal in die Küche bemühen würdest, dann wäre dir das sofort aufgefallen.»

Eric gibt entnervt auf, wirft die restlichen Bankbelege auf das Silbertableau auf dem Sideboard und greift zu seinem Glas. Dann stellt er sich vor das Panoramafenster, das auf die Terrasse führt, und schaut hinaus auf den See. Die herrliche Sicht auf den Zürichsee hat sich Eric einiges kosten lassen, denn an der Goldküste gilt: je prächtiger die Seesicht, desto höher die Grundstückpreise.

Um draussen zu sitzen, ist es noch zu kühl, obwohl sich bereits erste Frühlingsboten rund um die Terrasse angekündigt haben. Dafür sorgt jeweils der Gärtner, der den Garten aus dem Winterschlaf erweckt, indem er unzählige Frühblüher wie Primeln und Osterglocken pflanzt und nach rund einem Monat wieder ausgräbt, um Platz für Tulpen und Narzissen zu schaffen. Eric findet diese Frühlings-Aktion zwar völlig überflüssig, aber Nina behauptet, sie bekäme eine Depression, wenn sie jetzt anfangs März ständig in den kahlen Garten schauen müsse.

Demnächst wird der Gärtner zusammen mit der Haushälterin auch das Gartenmobiliar wieder aus dem Geräteraum holen – wenn Nina nicht inzwischen bei Garpa eine komplett neue Gartenmöblierung bestellt hat, weil sie die alte zu schäbig findet. Er hingegen mag die sonnengebleichten Teakholzmöbel, die mit den dicken Kissen zum Entspannen einladen und zusammen mit den Terracotta-Töpfen aus der Toscana der Terrasse einen mediterranen Touch verleihen.

Nebst der Terrasse gibt es im weitläufigen Garten verschiedenste Orte zum Verweilen: An heissen Tagen bieten schmiedeiserne Stühle und ein runder Tisch ein schattiges Plätzchen unter dem alten Nussbaum. Und wer sich nach einem Bad im Pool wieder aufwärmen will, für den stehen vier Deckchairs aus Aluminium mit den passenden Beistelltischchen zur Verfügung. Diese werden auch recht häufig genutzt – was man vom Pool nicht behaupten kann, seit die Kinder aus dem Planschalter heraus sind. Nina schwimmt praktisch nie, weil das ihre Frisur ruiniert, und Eric spielt in seiner freien Zeit lieber Golf.

Schliesslich gibt es noch den Tisch aus einer riesigen Sandsteinplatte und die langen Bänke um den gemauerten Grill. Das war damals eine sehr aufwändige Sache, noch Jahre später hat man ärgerlicherweise im Rasen die Eindrücke sehen können, die der Kranwagen hinterliess, der die Platten für den Tisch und die Bänke angeliefert hat. Da bei wird eigentlich gar nie gegrillt.

«Jedenfalls geht das so nicht weiter», sagt Eric nun in einem Tonfall, in welchem er Janus, den Hund, den sie früher mal hatten, immer wieder dazu gebracht hat, ‹Sitz› oder ‹Platz› zu machen. Allerdings war Janus nicht gerade der Klügste, und als ihn anlässlich einer Party ein paar Geschäftsfreunde mit in feinstem Parmaschinken eingewickelten Eiswürfeln fütterten, frass er derart viel davon, dass er nach ein paar heftigen Bauchkrämpfen eine Woche später das Zeitliche segnete. Nina war ganz froh darüber, denn sein Magen-Darm-System war bereits vor der Geschichte mit den Eiswürfeln ständig angegriffen und störte ihren Sinn für Hygiene – wenn auch niemals sie es war, die die Spuren seiner Unpässlichkeiten entfernen musste.

«Jetzt versuch doch auch mal, dich in meine Situation zu versetzen. Da will ich nichts Böses ahnend bei Gucci dieses wunderbare aquamarinblaue Twinset» – den dazu passenden Schal verschweigt sie wohlweislich, umso mehr, als sie eigentlich gar keine Schals trägt, weil sie ja im Gegensatz zu einigen ihrer Freundinnen auch noch keine Falten an Hals und Dekolleté zu verbergen hat – «mit der Goldcard bezahlen. Aber das Gerät nimmt sie nicht an. Ich lästere bereits über die Unzulänglichkeiten der Technik, da stellt sich heraus, dass meine Karte gesperrt ist. So eine Blamage! Du hättest die Verkäuferinnen sehen sollen: Normalerweise rollen sie den roten Teppich aus, wenn ich ihren Laden betrete. Und nun haben sie mich behandelt, als wäre ich ein Nichts oder schlimmer noch: eine Ladendiebin, die gerade noch rechtzeitig ertappt wurde. Ich kann mich dort unmöglich je wieder blicken lassen.»

Nina ist schon versucht, ein paar Tränen zu simulieren, da unterbricht Eric sie scharf.

«Umso besser. Damit haben wir in Zukunft schon einen Posten weniger auf der Kreditkartenabrechnung.»

«Natürlich bin ich sofort zur Bank gegangen, um das Missverständnis zu klären. Dort aber hat mir ein junger Schnösel …»

«Ein ehrgeiziger junger Mann, der sein Geld mit ehrlicher Arbeit verdient.»

« … so ein junger Schnösel erklärt, dass ich auf deine Anweisung hin bis auf weiteres weder Kredit noch Bargeld bekomme.»

Jetzt ist sie tatsächlich den Tränen nahe, hofft aber immer noch, dass Eric sich da vielleicht nur ein kleines Scherzchen erlaubt hat oder es sich vielleicht doch um ein Missverständnis handelt. Doch dem ist nicht so.

«Ich habe es satt, dein Dauer-Shopping durch die Früchte meiner Arbeit» – jetzt wird er ein bisschen pathetisch, was ihm gar nicht schlecht steht – «zu finanzieren.»

«Und was soll ich unseren Kindern zum Essen vorsetzen, was sollen sie anziehen? Werden wir uns alle von trockenem Brot ernähren und in Lumpen kleiden müssen?»

Auch Nina versteht es, im rechten Moment ein bisschen Dramatik in die Diskussion zu bringen. Doch damit bringt sie Eric nur noch mehr in Rage. Ganz entgegen seiner Gepflogenheiten wird er sogar richtig laut.

«Jetzt mach mal einen Punkt!», sagt er und haut mit der flachen Hand auf den breiten, marmornen Fenstersims. «Kleider haben wir alle weiss Gott genug, und das Essen kaufst du ohnehin auf Monatsrechnung bei ‹Oggenfuss›.»

Aber Nina lässt nicht locker: «Und wenn ich mit Eliza, Kiki oder Katja zum Lunch gehe, soll ich mich da etwa einladen lassen?»

Dieser Einwand bringt Eric kurz aus dem Konzept.

Was, wenn Nina tatsächlich die mittellose Ehefrau spielen würde und sich von ihren klatschsüchtigen Freundinnen aushalten liesse? Dann würde nicht nur an der ganzen Goldküste, sondern auch in der Geschäftswelt sofort das Gerücht die Runde machen, er stecke in finanziellen Nöten – und was das für einen 47-jährigen Vermögensberater mit eigenem Unternehmen heisst, möchte er sich gar nicht erst detailliert ausmalen. Aber so weit wird er es nicht kommen lassen.

«Nein, ich schlage vor, dass du mal wieder zu Hause isst, zusammen mit den Kindern.»

Mit den Kindern Mittag essen? Für Nina ist das eine ganz seltsame Vorstellung. Seit sie die Haushälterin, Frau Molinari, vor zwölf Jahren angestellt hat, ist diese für das Essen der Kinder zuständig. Sie ist es, die ihnen jeden Mittag etwas aus ihrem reichhaltigen Repertoire an feiner italienischer Küche kocht. Um gar nicht erst in Versuchung zu geraten und damit ihre Dauerdiät zu gefährden, verlässt Nina meistens kurz vor Mittag das Haus, um Freundinnen zu treffen, sich die Haare machen zu lassen, oder eben, um auf Einkaufstour zu gehen.

In den letzten paar Jahren ist sie nur ein paar wenige Male während des Essens zu Hause gewesen, und dabei ist sie sich wie ein Störfaktor vorgekommen, fast schon ein bisschen wie ein ungebetener Gast in ihrer eigenen Küche. Dabei wäre sie gerne noch ein bisschen geblieben, und sei es nur, weil es so fein nach italienischen Kräutern, Knoblauch und frischer Pasta gerochen hat. Aber es ist ihr auch peinlich gewesen, dass bei ihrem Erscheinen das fröhliche Plaudern der drei verstummt ist, und so hat sie es in Zukunft vermieden, am Mittag überhaupt die Küche zu betreten. Und jetzt soll sie plötzlich mittags zusammen mit den Kindern am Tisch sitzen? Worüber sollen sie sich denn unterhalten? Natürlich interessiert sich Nina für das Wohlergehen ihrer Kinder, aber muss sie deswegen mit ihnen zusammen essen? Demnächst wird sie einundvierzig, und um einigermassen in Form zu bleiben, hat sie ihre Kalorienzufuhr bereits vor Jahren auf ein Minimum reduziert. Und da soll sie mit knurrendem Magen zusehen, wie sich Marc und Lara mit Frau Molinaris feinen Mahlzeiten die Bäuche voll schlagen? Mit den Spaghetti all’arrabbiata? Den Involtini mit Risotto? Oder den selbst gemachten Spargel-Ravioli? Nein danke, das wäre ja nicht zum Aushalten. Womöglich würde sie noch aus lauter Frust mitessen und beim Shopping bald in der Abteilung ‹Grosse Grössen› landen.

«Also, und wie soll es in Zukunft weitergehen?», lenkt Nina ab.

Eric streicht sich sein nicht mehr ganz schwarzes und nicht mehr ganz volles Haar, das er seit neustem gerne etwas länger trägt, zurück.

«Erst wenn du von deiner Shopping-Sucht geheilt bist, bekommst du deine Karte wieder.»

«Sucht? Geheilt? Willst du etwa behaupten, ich sei krank oder was?»

Nina springt auf und klackert mit ihren Prada-Slippern wütend übers Parkett. Dann starrt sie Eric an und tobt los.

«Ich gebe mir alle Mühe, dass die ganze Familie gepflegt daherkommt, dass im Haus alles comme il faut aussieht und ich selbst jederzeit präsentabel bin. Und was ist der Dank? Du stellst mich vor den jungen Tüpfi von Verkäuferinnen und dem Schnösel von der Bank bloss, blamierst mich bis auf die Knochen und stempelst mich nun gar als verrückt ab!»

«Du übertreibst, meine Gute. Was du in deiner viel zu grosszügigen Freizeit betreibst, ist Shopping-Sucht pur. Und das hat jetzt ein Ende.»

Sein gönnerhafter Ton geht Nina gewaltig auf die Nerven, aber sie versucht, sich wieder etwas zu beruhigen, denn langsam sieht sie ihre Felle davonschwimmen, wie man so schön sagt, auch wenn diese jeweils anfangs März vom Kürschner abgeholt und im Kühlhaus eingelagert werden.

«Was willst du damit sagen?»

«Ab sofort wirst du dich professionell behandeln lassen, und zwar bei Dr. Lasalle.»

«Dr. Lasalle? Der Dr. Lasalle, der die ess-brechsüchtige Tochter von Peter therapiert und bei dem die Frau dieses Werbers – wie heisst sie schon wieder? –, die oben an der Weinhalde wohnt, versucht, von der Flasche wegzukommen? Glaubst du wirklich, dass ich da hingehe?»

Eric zieht leicht die Brauen hoch und schaut sie an, als wäre sie ein störrisches Kind, dem man die Dinge halt zweimal erklären muss.

«Wenn du deine Goldcard wieder zurückhaben willst, wirst du dich wohl oder übel bei Dr. Lasalle um einen Termin bemühen und dich einer Therapie unterziehen müssen. Erst wenn du dein Problem in den Griff bekommen hast, kannst du wieder frei über ‹dein› Geld verfügen.»

Das trifft Nina nun wirklich wie ein Hammer. Kein eigenes Geld, keine Karte, keine Konti – was fällt dem eigentlich ein? Ihr Adrenalinspiegel steigt auf ungeahnte Höhen.

«Das kannst du nun wirklich nicht machen. Ich bin doch nicht deine unmündige Tochter, die mal eben beim Joint-rauchen erwischt wurde und jetzt Zimmerarrest bekommt? Ich bin eine erwachsene Frau und habe Anrecht auf einen angemessenen Unterhalt. Ich lasse mir so was nicht bieten.»

Wütend eilt Nina durch den Living-Room, um ihre Handtasche zu suchen. Dort drin hat sie ihre krokodilledergebundene Agenda mit der Telefonnummer ihres Anwaltes. Na ja, so ein richtiger eigener Anwalt, der praktisch rund um die Uhr zu ihrer Verfügung steht, ist er nicht. Vielmehr ist er ein alter Schulkollege, den sie zufällig einmal an der Austernbar in einem pompösen Partyzelt anlässlich eines Vierzigsten – davon hat es in letzter Zeit jede Menge gegeben – getroffen hat. Sie haben sich angeregt unterhalten, Erinnerungen ausgetauscht und schliesslich auch noch die Visitenkarten. Seither hat sie nur gerade ein einziges Mal mit ihm Kontakt aufgenommen, nämlich als sie in der Tiefgarage des Einkaufscenters mit ihrem Range Rover das Cabriolet einer Unbekannten gestreift hat. Diese hat den ganzen Vorfall beobachtet und, statt dass man die Sache in Minne gelöst hätte, gleich mit dem Anwalt gedroht. Darauf hat Nina natürlich sofort auch einen Anwalt eingeschaltet – eben ihren alten Schulfreund. Die Sache hat sich dann über die Versicherung allerdings schnell erledigt; was blieb, war ein vierstelliges Honorar, das damals zu einem ziemlich ungefreuten Wortwechsel zwischen Eric und ihr geführt hat.

«Die Mühe brauchst du dir gar nicht zu machen», meldet sich Eric, noch bevor sie überhaupt im Chaos ihrer Louis-Vuitton-Tasche fündig geworden wäre. «Ich habe bereits abklären lassen, wie die rechtliche Lage aussieht, und solange ich dich nicht hungern und dursten lasse und dir ein angemessenes Taschengeld für ein paar Kleinigkeiten zur Verfügung stelle, ist alles in Ordnung. Es gibt nämlich kein Gesetz, das vorschreibt, dass Ehemänner die Sucht ihrer Frauen finanzieren müssen.»

Himmel, das hat gesessen!

Nina geht in die Küche und schenkt sich noch ein Gläschen Champagner nach. Den braucht sie jetzt wirklich, da spielen die siebzig zusätzlichen Kalorien für einmal keine Rolle.

Ihr Blick fällt auf das Sechser-Set geschmiedeter Küchenmesser, die in einem geschmackvollen Messerblock aus Tropenholz stecken. Benutzt werden diese zwar selten – Frau Molinari sind sie zu scharf, sie hat sich damit beinahe mal den Daumen amputiert – aber für einen Mord wären sie ideal …

So ein Blödsinn, ruft Nina sich aber gleich zur Ordnung, ich sollte weniger Krimis schauen. Immerhin hat dieses Gedankenspiel aber den Nebeneffekt, dass sie einiges ruhiger ins Wohnzimmer zurückkehren kann.

Um doch noch ein letztes Restchen Contenance zu bewahren, gibt sich Nina nun ganz souverän: «Also gut, ich werde mir die Sache überlegen.» Wobei natürlich beiden bewusst ist, dass es hier nichts zu überlegen gibt.

2

Was zieht man an, wenn man zum ersten Mal zum Psychiater in die Therapie geht? Darauf fällt auch Nina nicht auf Anhieb eine Antwort ein. Zwar ist sie sehr stilsicher, und ganz egal, ob Opern-Premiere in Zürich oder Kunst-Auktion in Basel, sie weiss immer, wie man sich richtig anzieht. Und es gäbe für sie auch nichts Peinlicheres, als feststellen zu müssen, dass sie mit ihrem Tenü total danebenliegt.

Da war doch beispielsweise die Frau eines Geschäftsfreundes von Eric, die tatsächlich in Pumps zum White Turf in St. Moritz gekommen ist. Man stelle sich vor: Das Pferderennen findet anfangs Februar auf dem gefrorenen See statt, da ist es im Engadin schnell einmal zehn Grad unter null oder noch kälter. Die Frau muss sich schon auf dem Weg vom Parkplatz zum VIP-Zelt halb tot gefroren haben – und trifft dann dort auf lauter Frauen in kuschlig warmen Chanel-Moonboots oder zumindest Sorel-Stiefeln, denn auch im Zelt ist es nicht gerade besonders warm.

Aus langjähriger Erfahrung – die Familie verbringt seit Jahren die Skiferien in ihrem Chalet in Champfèr – weiss Nina, dass selbst mit warmer Kleidung diese Pferderenn-Nachmittage eine harte Sache sind. Die Frau des Geschäftsfreundes hat dann auch nach etwa einer halben Stunde aufgegeben und ist gegangen. Sie dürfte Stunden gebraucht haben, um wieder aufzutauen.

Einmal mehr denkt Nina an Isa, ihre beste Freundin, mit der sie während vieler Jahre die Schulbank geteilt hat, die aber jetzt mit Mann und Kindern in Australien lebt. Mit so Banalitäten wie Tenüfragen würde sie sich gar nicht erst herumschlagen. «Ist doch total wurscht», würde sie sagen, «du triffst den ja nicht, um ihm zu gefallen, und der denkt sich sowieso, was er will, da kannst du ebenso gut im Trainingsanzug daherkommen wie im kleinen Schwarzen.» Aber als Tochter aus gutem Haus würde Nina niemals in Jeans und T-Shirt bei einem Psychiater aufkreuzen. Ein wenig gepflegter soll es schon sein, und wohl eher in gedeckten als schreienden Farben – ganz abgesehen davon, dass sie kein Teil besitzt, dessen Farbe man als schreiend bezeichnen könnte. Ausserdem würde sie dort einige Zeit sitzen müssen, also darf der Rock im Bund keinesfalls kneifen – das wäre ja nicht auszuhalten. Schliesslich entscheidet sie sich für ein schlichtes, aber teures taubenblaues Kostüm. Darunter trägt sie ein weisses Sei den-Shirt und in den Ohren die wertvollen Tahiti-Perlen-Ohrstecker, die sie zum 35. Geburtstag von Eric bekommen hat. Ein bisschen Wimperntusche, ein Hauch Lippenstift, die schulterlangen, blondierten Haare locker zusammengebunden, und Nina ist bereit für ihre erste Therapiestunde.

Nichts. Er sagt einfach nichts. Nina wird es langsam unbehaglich. Seit ihrem Erscheinen vor etwa sieben Minuten hat dieser Dr. Lasalle ausser den üblichen Begrüssungsfloskeln keinen Ton von sich gegeben. Nina hat gedacht, er müsse sich vielleicht vorerst irgendwelche Notizen machen oder Akten hervorkramen, aber da ist nichts. Er sitzt einfach hinter seinem riesigen Nussbaum-Schreibtisch, die Ellbogen aufgestützt, und schaut sie durch seine randlose Brille reglos an. Das einzig Lebendige an ihm ist das Licht, das auf seiner kahlen, glänzenden Kopfhaut reflektiert. Langsam wird es Nina unwohl in dem hohen Jugendstilraum mit den geschmackvollen antiken Möbeln und den hübschen Rosetten an der Decke.

Sie räuspert sich: «Und nun?»

«Was nun?»

«Wie geht es jetzt weiter?»

«Das liegt ganz an Ihnen.»

«Aber woher soll ich wissen, wie eine solche Therapie läuft? Sie sind schliesslich der Arzt.»

«Und Sie sind die Patientin.»

«Also?»

«Was meinen Sie mit ‹Also›?»

«Ich würde vorschlagen, Sie beginnen mal langsam mit der Therapiestunde.»

«Aber die hat doch bereits», er hebt den Blick Richtung Uhr, die für alle deutlich sichtbar an der gegenüberliegenden Wand hängt, «vor acht Minuten begonnen.»

«Ich glaube nicht, dass mit Schweigen irgendjemandem geholfen ist.»

«Nein, das glaube ich auch nicht.»

«Weshalb sagen Sie dann nichts?»

«Weil Sie die Patientin sind und ich darauf warte, dass Sie mir sagen, weshalb Sie hier sind.»

«Das hätten Sie mich doch gleich fragen können.»

«Ja sicher, aber für mich als Ihr Therapeut ist es wichtig, dass die Initiative von Ihnen ausgeht. Nur so kann ich sicher sein, dass Sie auch wirklich bereit sind, an sich zu arbeiten.»

Nina will dem Psycho-Doktor schon klar machen, dass sie keineswegs freiwillig hier ist und ausschliesslich das Ziel verfolgt, ihre Kreditkarte so rasch als möglich wieder zurückzubekommen.

Doch sie besinnt sich gerade noch rechtzeitig eines Besseren. Je mehr sie nämlich Bereitschaft zur Mitarbeit zeigt, desto schneller ist die Therapie vorüber.

«Das leuchtet mir ein, also erzähle ich Ihnen am besten, weshalb ich überhaupt hier bin.»

Dr. Lasalle nickt nur und lässt so die Lichter auf seiner Glatze wieder tanzen.

«Ich glaube, ich habe ein Problem mit dem Shopping.» Fast muss sie über diese Formulierung loskichern. Das einzige Problem, das sie bisher in der Regel mit dem Einkaufen hatte, waren die vielen Tüten, die sie vom Laden zum Auto tragen musste.

«Also, ich kaufe halt sehr gerne ein, ist ja auch ein bisschen meine Aufgabe als Ehefrau, Hausfrau und Mutter, und das kostet natürlich – schliesslich kommen nur hochwertige Produkte in Frage. Aber das ist doch für meine und alle anderen Familien, die ich kenne, eine Selbstverständlichkeit.»

Dr. Lasalle schaut sie nur schweigend an, macht sich nicht mal Notizen.

«Nun hab ich kürzlich in einem Magazin einen Artikel über eine shoppingsüchtige Frau gelesen. Natürlich habe ich mit der nichts gemein, aber ich habe mir gedacht, dass ich vorsichtshalber vielleicht trotzdem mal einen Spezialisten konsultieren sollte.»

Ob Seelendoktoren auch Gedanken lesen und einen beim Lügen ertappen können? Nina ist sich da nicht ganz sicher, und dass dieser Typ sie ständig anstarrt, macht sie ganz nervös. Statt ihn anzuschauen, blickt sie zum Fenster hinaus, das auf eine grosse Strassenkreuzung geht. Doch obwohl lebhafter Verkehr herrscht, ist dank der speziellen Schallschluckfenster kein Ton zu hören.

«Sie können mir bestimmt sagen, ob ich irgendwie gefährdet bin, und wenn ja, was ich allerdings nicht annehme, was ich dagegen tun könnte.»

Jetzt kommt Leben in den Mann, er stellt allerhand Fragen und holt schliesslich zu einem längeren Vortrag zum Thema Sucht und Suchtbehandlung aus. Dann geht er im Speziellen auf die Shopping-Sucht und deren Therapie ein. Und zum Glück ist schliesslich die Zeit schon fast vorüber. Doch noch kann Nina sich nicht aus dem Staub machen.

«Unsere erste Sitzung ist vorüber, und ich persönlich habe den Eindruck, dass wir durchaus konstruktiv zusammenarbeiten könnten», sagt Lasalle etwas gewunden. «Allerdings ist es natürlich wichtig, dass auch Sie bereit und willens sind, die Therapie mit mir zusammen anzugehen. Ich schlage deshalb vor, Sie überlegen sich die Sache und melden sich, wenn Sie sich entschieden haben.»

Für Nina gibt es da nicht viel zu überlegen. Lasalle ist ihr nicht sympathischer oder unsympathischer als irgendein anderer Arzt, und sie möchte die ganze Sache auch nicht unnötig in die Länge ziehen. Also sagt sie schnell: «Ich bin überzeugt, dass wir gut zusammenarbeiten werden.»

«Das freut mich. Dann möchte ich Ihnen gleich eine kleine Aufgabe geben: Führen Sie doch bitte ab heute ein Tagebuch.»

«Ein Tagebuch? Wozu das denn? Doch nicht etwa für Sie zum Lesen?»

«Nein, nein, keineswegs. Ihre Aufzeichnungen sind für Sie ganz allein. Und was Sie mir in der Therapiestunde erzählen, untersteht selbstverständlich voll und ganz dem Arztgeheimnis.»

«Aber ich habe kein Tagebuch mehr geschrieben, seit ich fünfzehn war.»

«Es ist nie zu spät, um damit wieder zu beginnen. Sie werden sehen: Das Aufschreiben von Gedanken und Gefühlen entlastet, gibt einem Distanz zu seinen Krisen und Problemen, macht einem vieles bewusster und zwingt einen, über seine Situation nachzudenken.»

Da erzählt er ihr nichts Neues, schliesslich liest sie regelmässig Frauenzeitschriften, die unter anderem auch jede Menge Psycho-Tipps für besseres Wohlbefinden abgeben – aber sie kennt niemanden, der sich jemals länger als eine knappe Woche daran gehalten hätte.

Nina verabschiedet sich und ist richtig erleichtert, dass sie ihre erste Therapiestunde hinter sich hat. Kaum steht sie jedoch draussen auf dem Bellevue, umgeben vom Quietschen der Trams, dem Hupen von ungeduldigen Automobilisten und dem lauten Rufen des Arbeitslosen, der mit «Surprise, Surprise» sein Magazin an den Mann oder die Frau zu bringen versucht, wird sie nachdenklich. Nun gehört sie also auch zu den Frauen, die ihr Leben nur noch mit Hilfe eines Fachmanns meistern können – und das, obwohl sie im Vergleich zu dem Arbeitslosen mit den Magazinen im ausgefransten Plastiksack oder dem Tramführer, der in diesem Moment ein paar Passanten von den Tramschienen schellt, geradezu ein Traumleben führt. Keine Existenzängste, kein langweiliger Job, kein Mann, der trinkt und schlägt, und was der Klischees eines unglücklichen Lebens mehr sind. Sicher, freiwillig wäre sie ja nie zum Psychiater gegangen, ihr fehlt ja eigentlich nichts, aber sie kann auch nicht behaupten, dass die letzten 50 Minuten völlig überflüssig gewesen sind …

Der aufdringliche Klingelton des Handys reisst sie aus ihren Gedanken.