Leben des Galilei - Bertolt Brecht - E-Book

Leben des Galilei E-Book

Bertolt Brecht

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Beschreibung

Bertolt Brechts weltberühmtes Theaterstück erzählt die Geschichte des italienischen Universalgelehrten Galileo Galilei, eines Wissenschaftlers im Gewissenskonflikt zwischen Wahrheitsanspruch und Autorität, Auflehnung und Anpassung.

Im 17. Jahrhundert bewies Galilei durch seine astronomischen Beobachtungen, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Dies widersprach dem herrschenden ptolemäischen Weltbild und führte zum Konflikt mit der katholischen Kirche. Aus Angst vor Inquisition und Folter widerrief er schließlich seine Entdeckung.

Das Schauspiel stellt die bis heute zentrale Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaftler:innen und bleibt damit zeitlos aktuell.

Der Anhang enthält eine Zeittafel zum Leben Bertolt Brechts sowie ausführliche Hintergrundinformationen zu Galileo Galileis Leben und zur Entstehungsgeschichte des Stücks Leben des Galilei.
Schön gestaltete, preiswerte Neuausgabe der dritten und letzten Fassung, der »Berliner Fassung« (1955/56).

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Seitenzahl: 178

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Cover

Titel

Bertolt Brecht

Leben des Galilei

SchauspielUnter Mitarbeit von Margarete SteffinMusik von Hanns Eisler[Berliner Fassung, 1955/56]

Text und Materialien

Suhrkamp

Impressum

Zur optimalen Darstellung dieses eBook wird empfohlen, in den Einstellungen Verlagsschrift auszuwählen.

Die Wiedergabe von Gestaltungselementen, Farbigkeit sowie von Trennungen und Seitenumbrüchen ist abhängig vom jeweiligen Lesegerät und kann vom Verlag nicht beeinflusst werden.

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Der vorliegende Text folgt der Ausgabe:Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, hg. v. Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei und Klaus-Detlef Müller.Band 5, Stücke 5, bearb. von Bärbel Schrader und Günther Klotz, S. 187-289 [»Berliner Fassung«, 1955/56]. Berlin u. Weimar: Aufbau Verlag/Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1988.Die »Zeittafel zu Galileo Galilei und seiner Zeit« und die »Zeittafel zu Leben des Galilei. Schauspiel von Bertolt Brecht« wurden erstellt von Dieter Wöhrle.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2025

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 5500.

NeuausgabeLeben des Galilei: © 1955, Suhrkamp Verlag GmbH, Berlin/Bertolt-Brecht-Erben© dieser Zusammenstellung: Suhrkamp Verlag GmbH, Berlin, 2025Alle Rechte vorbehalten, insbesondere auch das der Aufführung durch professionelle Bühnen und Amateurtheater, der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags, der Speicherung in elektronischen Datensystemen, der Verfilmung und der Sendung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Abschnitte. Das Recht der Aufführung ist überdie Suhrkamp Verlag GmbH zu erwerben: [email protected].

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung und Illustration: Burkhard Neie, nach einem Foto von Konrad Reßler, Augsburg 1927

eISBN 978-3-518-78478-5

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Cover

Titel

Impressum

1 Galileo Galilei, Lehrer der Mathematik zu Padua, will das neue kopernikanische Weltsystem beweisen

2 Galilei überreicht der Republik Venedig eine neue Erfindung

3 10. Januar 1610 Vermittels des Fernrohrs entdeckt Galilei am Himmel Erscheinungen, welche das kopernikanische System beweisen. Von seinem Freund vor den möglichen Folgen seiner Forschungen gewarnt, bezeugt Galilei seinen Glauben an die menschliche Vernunft.

4 Galilei hat die Republik Venedig mit dem Florentiner Hof vertauscht. Seine Entdeckungen durch das Fernrohr stoßen in der dortigen Gelehrtenwelt auf Unglauben.

5 Uneingeschüchtert auch durch die Pest setzt Galilei seine Forschungen fort

6 1616: Das Collegium Romanum, Forschungsinstitut des Vatikans, bestätigt Galileis Entdeckungen.

7 Aber die Inquisition setzt die kopernikanische Lehre auf den Index (5. März 1616)

8 Ein Gespräch

9 Nach achtjährigem Schweigen wird Galilei durch die Thronbesteigung eines neuen Papstes, der selbst Wissenschaftler ist, ermutigt, seine Forschungen auf dem verbotenen Feld wieder aufzunehmen. Die Sonnenflecken.

10 Im folgenden Jahrzehnt findet Galileis Lehre beim Volk Verbreitung. Pamphletisten und Balladensänger greifen überall die neuen Ideen auf. Während der Fastnacht 1632 wählen viele Städte Italiens als Thema der Fastnachtsumzüge der Gilden die Astronomie.

11 1633: Die Inquisition beordert den weltbekannten Forscher nach Rom.

12 Der Papst

13 Galileo Galilei widerruft vor der Inquisition am 22. Juni 1633 seine Lehre von der Bewegung der Erde

14 1633-1642. Galileo Galilei lebt in einem Landhaus in der Nähe von Florenz, bis zu seinem Tod ein Gefangener der Inquisition. Die »Discorsi«.

15 1637. Galileis Buch »Discorsi« überschreitet die italienische Grenze.

Anhang

Zeittafel zu Galileo Galilei und seiner Zeit

Zeittafel zu

Leben des Galilei. Schauspiel

von Bertolt Brecht

»Dänische Fassung« (1938/39)

»Amerikanische Fassung«

»Berliner Fassung« (1955/56)

Informationen zum Buch

Leben des Galilei

Personen

Galileo Galilei · Andrea Sarti · Frau Sarti, Galileis Haushälterin, Andreas Mutter · Ludovico Marsili, ein reicher junger Mann · Der Kurator der Universität Padua, Herr Priuli · Sagredo, Galileis Freund · Virginia, Galileis Tochter · Federzoni, ein Linsenschleifer, Galileis Mitarbeiter · Der Doge · Ratsherren · Cosmo de Medici, Großherzog von Florenz · Der Hofmarschall · Der Theologe · Der Philosoph · Der Mathematiker · Die ältere Hofdame · Die jüngere Hofdame · Großherzoglicher Lakai · Zwei Nonnen · Zwei Soldaten · Die alte Frau · Ein dicker Prälat · Zwei Gelehrte · Zwei Mönche · Zwei Astronomen · Ein sehr dünner Mönch · Der sehr alte Kardinal · Pater Christopher Clavius, Astronom · Der kleine Mönch · Der Kardinal Inquisitor · Kardinal Barberini, später Papst Urban VIII. · Kardinal Bellarmin · Zwei geistliche Sekretäre · Zwei junge Damen · Filippo Mucius, ein Gelehrter · Herr Gaffone, Rektor der Universität Pisa · Der Balladensänger · Seine Frau · Vanni, ein Eisengießer · Ein Beamter · Ein hoher Beamter · Ein Individuum · Ein Mönch · Ein Bauer · Ein Grenzwächter · Ein Schreiber · Männer, Frauen, Kinder

1 Galileo Galilei, Lehrer der Mathematik zu Padua, will das neue kopernikanische Weltsystem beweisen

In dem Jahr sechzehnhundertundneun

Schien das Licht des Wissens hell

Zu Padua aus einem kleinen Haus.

Galileo Galilei rechnete aus:

Die Sonn steht still, die Erd kommt von der Stell.

Das ärmliche Studierzimmer des Galilei in Padua. Es ist morgens. Ein Knabe, Andrea, der Sohn der Haushälterin, bringt ein Glas Milch und einen Wecken.

galileisich den Oberkörper waschend, prustend und fröhlich: Stell die Milch auf den Tisch, aber klapp kein Buch zu.

andrea Mutter sagt, wir müssen den Milchmann bezahlen. Sonst macht er bald einen Kreis um unser Haus, Herr Galilei.

galilei Es heißt: er beschreibt einen Kreis, Andrea.

andrea Wie Sie wollen. Wenn wir nicht bezahlen, dann beschreibt er einen Kreis um uns, Herr Galilei.

galilei Während der Gerichtsvollzieher, Herr Cambione, schnurgerade auf uns zu kommt, indem er was für eine Strecke zwischen zwei Punkten wählt?

andreagrinsend: Die kürzeste.

galilei Gut. Ich habe was für dich. Sieh hinter den Sterntafeln nach.

Andrea fischt hinter den Sterntafeln ein großes hölzernes Modell des ptolemäischen Systems hervor.

andrea Was ist das?

galilei Das ist ein Astrolab; das Ding zeigt, wie sich die Gestirne um die Erde bewegen, nach Ansicht der Alten.

andrea Wie?

galilei Untersuchen wir es. Zuerst das erste: Beschreibung.

andrea In der Mitte ist ein kleiner Stein.

galilei Das ist die Erde.

andrea Drum herum sind, immer übereinander, Schalen.

galilei Wie viele?

andrea Acht.

galilei Das sind die kristallnen Sphären.

andrea Auf den Schalen sind Kugeln angemacht …

galilei Die Gestirne.

andrea Da sind Bänder, auf die sind Wörter gemalt.

galilei Was für Wörter?

andrea Sternnamen.

galilei Als wie?

andrea Die unterste Kugel ist der Mond, steht drauf. Und darüber ist die Sonne.

galilei Und jetzt laß die Sonne laufen.

andreabewegt die Schalen: Das ist schön. Aber wir sind so eingekapselt.

galileisich abtrocknend: Ja, das fühlte ich auch, als ich das Ding zum ersten Mal sah. Einige fühlen das. Er wirft Andrea das Handtuch zu, daß er ihm den Rücken abreibe. Mauern und Schalen und Unbeweglichkeit! Durch zweitausend Jahre glaubte die Menschheit, daß die Sonne und alle Gestirne des Himmels sich um sie drehten. Der Papst, die Kardinäle, die Fürsten, die Gelehrten, Kapitäne, Kaufleute, Fischweiber und Schulkinder glaubten, unbeweglich in dieser kristallenen Kugel zu sitzen. Aber jetzt fahren wir heraus, Andrea, in großer Fahrt. Denn die alte Zeit ist herum, und es ist eine neue Zeit. Seit hundert Jahren ist es, als erwartete die Menschheit etwas.

Die Städte sind eng, und so sind die Köpfe. Aberglauben und Pest. Aber jetzt heißt es: da es so ist, bleibt es nicht so. Denn alles bewegt sich, mein Freund.

Ich denke gerne, daß es mit den Schiffen anfing. Seit Menschengedenken waren sie nur an den Küsten entlang gekrochen, aber plötzlich verließen sie die Küsten und liefen aus über alle Meere.

Auf unserm alten Kontinent ist ein Gerücht entstanden: es gibt neue Kontinente. Und seit unsere Schiffe zu ihnen fahren, spricht es sich auf den lachenden Kontinenten herum: das große gefürchtete Meer ist ein kleines Wasser. Und es ist eine große Lust aufgekommen, die Ursachen aller Dinge zu erforschen: warum der Stein fällt, den man losläßt, und wie er steigt, wenn man ihn hochwirft. Jeden Tag wird etwas gefunden. Selbst die Hundertjährigen lassen sich noch von den Jungen ins Ohr schreien, was Neues entdeckt wurde.

Da ist schon viel gefunden, aber da ist mehr, was noch gefunden werden kann. Und so gibt es wieder zu tun für neue Geschlechter.

In Siena, als junger Mensch, sah ich, wie ein paar Bauleute eine tausendjährige Gepflogenheit, Granitblöcke zu bewegen, durch eine neue und zweckmäßigere Anordnung der Seile ersetzten, nach einem Disput von fünf Minuten. Da und dann wußte ich: die alte Zeit ist herum, und es ist eine neue Zeit. Bald wird die Menschheit Bescheid wissen über ihre Wohnstätte, den Himmelskörper, auf dem sie haust. Was in den alten Büchern steht, das genügt ihr nicht mehr.

Denn wo der Glaube tausend Jahre gesessen hat, eben da sitzt jetzt der Zweifel. Alle Welt sagt: ja, das steht in den Büchern, aber laßt uns jetzt selbst sehn. Den gefeiertsten Wahrheiten wird auf die Schulter geklopft; was nie bezweifelt wurde, das wird jetzt bezweifelt.

Dadurch ist eine Zugluft entstanden, welche sogar den Fürsten und Prälaten die goldbestickten Röcke lüftet, so daß fette und dürre Beine darunter sichtbar werden, Beine wie unsere Beine. Die Himmel, hat es sich herausgestellt, sind leer. Darüber ist ein fröhliches Gelächter entstanden.

Aber das Wasser der Erde treibt die neuen Spinnrocken, und auf den Schiffswerften, in den Seil- und Segelhäusern regen sich fünfhundert Hände zugleich in einer neuen Anordnung.

Ich sage voraus, daß noch zu unsern Lebzeiten auf den Märkten von Astronomie gesprochen werden wird. Selbst die Söhne der Fischweiber werden in die Schulen laufen. Denn es wird diesen neuerungssüchtigen Menschen unserer Städte gefallen, daß eine neue Astronomie nun auch die Erde sich bewegen läßt. Es hat immer geheißen, die Gestirne sind an einem kristallenen Gewölbe angeheftet, daß sie nicht herunterfallen können. Jetzt haben wir Mut gefaßt und lassen sie im Freien schweben, ohne Halt, und sie sind in großer Fahrt, gleich unseren Schiffen, ohne Halt und in großer Fahrt.

Und die Erde rollt fröhlich um die Sonne, und die Fischweiber, Kaufleute, Fürsten und die Kardinäle und sogar der Papst rollen mit ihr.

Das Weltall aber hat über Nacht seinen Mittelpunkt verloren, und am Morgen hatte es deren unzählige. So daß jetzt jeder als Mittelpunkt angesehen wird und keiner. Denn da ist viel Platz plötzlich.

Unsere Schiffe fahren weit hinaus, unsere Gestirne bewegen sich weit im Raum herum, selbst im Schachspiel die Türme gehen neuerdings weit über alle Felder.

Wie sagt der Dichter? »O früher Morgen des Beginnens! …«

andrea

»O früher Morgen des Beginnens!

O Hauch des Windes, der

Von neuen Küsten kommt!«

Und Sie müssen Ihre Milch trinken, denn dann kommen sofort wieder Leute.

galilei Hast du, was ich dir gestern sagte, inzwischen begriffen?

andrea Was? Das mit dem Kippernikus seinem Drehen?

galilei Ja.

andrea Nein. Warum wollen Sie denn, daß ich es begreife? Es ist sehr schwer, und ich bin im Oktober erst elf.

galilei Ich will gerade, daß auch du es begreifst. Dazu, daß man es begreift, arbeite ich und kaufe die teuren Bücher, statt den Milchmann zu bezahlen.

andrea Aber ich sehe doch, daß die Sonne abends woanders hält als morgens. Da kann sie doch nicht stillstehn! Nie und nimmer.

galilei Du siehst! Was siehst du? Du siehst gar nichts. Du glotzt nur. Glotzen ist nicht sehen. Er stellt den eisernen Waschschüsselständer in die Mitte des Zimmers. Also das ist die Sonne. Setz dich. Andrea setzt sich auf den einen Stuhl. Galilei steht hinter ihm. Wo ist die Sonne, rechts oder links?

andrea Links.

galilei Und wie kommt sie nach rechts?

andrea Wenn Sie sie nach rechts tragen, natürlich.

galilei Nur so? Er nimmt ihn mitsamt dem Stuhl auf und vollführt mit ihm eine halbe Drehung. Wo ist jetzt die Sonne?

andrea Rechts.

galilei Und hat sie sich bewegt?

andrea Das nicht.

galilei Was hat sich bewegt?

andrea Ich.

galileibrüllt: Falsch! Dummkopf! Der Stuhl!

andrea Aber ich mit ihm!

galilei Natürlich. Der Stuhl ist die Erde. Du sitzt drauf.

frau sartiist eingetreten, das Bett zu machen. Sie hat zugeschaut: Was machen Sie eigentlich mit meinem Jungen, Herr Galilei?

galilei Ich lehre ihn sehen, Sarti.

frau sarti Indem Sie ihn im Zimmer herumschleppen?

andrea Laß doch, Mutter. Das verstehst du nicht.

frau sarti So? Aber du verstehst es, wie? Ein junger Herr, der Unterricht wünscht. Sehr gut angezogen und bringt einen Empfehlungsbrief. Übergibt diesen. Sie bringen meinen Andrea noch so weit, daß er behauptet, zwei mal zwei ist fünf. Er verwechselt schon alles, was Sie ihm sagen. Gestern abend bewies er mir schon, daß die Erde sich um die Sonne dreht. Er ist fest überzeugt, daß ein Herr namens Kippernikus das ausgerechnet hat.

andrea Hat es der Kippernikus nicht ausgerechnet, Herr Galilei? Sagen Sie es ihr selber!

frau sarti Was, Sie sagen ihm wirklich einen solchen Unsinn? Daß er es in der Schule herumplappert und die geistlichen Herren zu mir kommen, weil er lauter unheiliges Zeug vorbringt. Sie sollten sich schämen, Herr Galilei.

galileifrühstückend: Auf Grund unserer Forschungen, Frau Sarti, haben, nach heftigem Disput, Andrea und ich Entdeckungen gemacht, die wir nicht länger der Welt gegenüber geheimhalten können. Eine neue Zeit ist angebrochen, ein großes Zeitalter, in dem zu leben eine Lust ist.

frau sarti So. Hoffentlich können wir auch den Milchmann bezahlen in dieser neuen Zeit, Herr Galilei. Auf den Empfehlungsbrief deutend. Tun Sie mir den einzigen Gefallen und schicken Sie den nicht auch wieder weg. Ich denke an die Milchrechnung. Ab.

galileilachend: Lassen Sie mich wenigstens meine Milch austrinken! – Zu Andrea: Einiges haben wir gestern also doch verstanden!

andrea Ich habe es ihr nur gesagt, damit sie sich wundert. Aber es stimmt nicht. Den Stuhl mit mir haben Sie nur seitwärts um sich selber gedreht und nicht so. Macht eine Armbewegung vornüber. Sonst wäre ich nämlich heruntergefallen, und das ist ein Fakt. Warum haben Sie den Stuhl nicht vorwärts gedreht? Weil dann bewiesen ist, daß ich von der Erde ebenfalls herunterfallen würde, wenn sie sich so drehen würde. Da haben Sie's.

galilei Ich habe dir doch bewiesen …

andrea Aber heute nacht habe ich gefunden, daß ich da ja, wenn die Erde sich so drehen würde, mit dem Kopf die Nacht nach unten hängen würde. Und das ist ein Fakt.

galileinimmt einen Apfel vom Tisch: Also das ist die Erde.

andrea Nehmen Sie nicht lauter solche Beispiele, Herr Galilei. Damit schaffen Sie's immer.

galileiden Apfel zurücklegend: Schön.

andrea Mit Beispielen kann man es immer schaffen, wenn man schlau ist. Nur, ich kann meine Mutter nicht in einem Stuhl herumschleppen wie Sie mich. Da sehen Sie, was das für ein schlechtes Beispiel ist. Und was ist, wenn der Apfel also die Erde ist? Dann ist gar nichts.

galileilacht: Du willst es ja nicht wissen.

andrea Nehmen Sie ihn wieder. Wieso hänge ich nicht mit dem Kopf nach unten nachts?

galilei Also hier ist die Erde, und hier stehst du. Er steckt einen Holzsplitter von einem Ofenscheit in den Apfel. Und jetzt dreht sich die Erde.

andrea Und jetzt hänge ich mit dem Kopf nach unten.

galilei Wieso? Schau genau hin! Wo ist der Kopf?

andreazeigt am Apfel: Da. Unten.

galilei Was? Er dreht zurück. Ist er etwa nicht an der gleichen Stelle? Sind die Füße nicht mehr unten? Stehst du etwa, wenn ich drehe, so? Er nimmt den Splitter heraus und dreht ihn um.

andrea Nein. Und warum merke ich nichts von der Drehung?

galilei Weil du sie mitmachst! Du und die Luft über dir und alles, was auf der Kugel ist.

andrea Und warum sieht es so aus, als ob die Sonne läuft?

galileidreht wieder den Apfel mit dem Splitter: Also unter dir siehst du die Erde, die bleibt gleich, sie ist immer unten und bewegt sich für dich nicht. Aber jetzt schau über dich. Nun ist die Lampe über deinem Kopf, aber jetzt, was ist jetzt, wenn ich gedreht habe, über deinem Kopf, also oben?

andreamacht die Drehung mit: Der Ofen.

galilei Und wo ist die Lampe?

andrea Unten.

galilei Aha!

andrea Das ist fein, das wird sie wundern.

Ludovico Marsili, ein reicher junger Mann, tritt ein.

galilei Hier geht es zu wie in einem Taubenschlag.

ludovico Guten Morgen, Herr. Mein Name ist Ludovico Marsili.

galileiseinen Empfehlungsbrief studierend: Sie waren in Holland?

ludovico Wo ich viel von Ihnen hörte, Herr Galilei.

galilei Ihre Familie besitzt Güter in der Campagna?

ludovico Die Mutter wünschte, daß ich mich ein wenig umsähe, was in der Welt sich zuträgt und so weiter.

galilei Und Sie hörten in Holland, daß in Italien zum Beispiel ich mich zutrage?

ludovico Und da die Mutter wünscht, daß ich mich auch in den Wissenschaften umsehe …

galilei Privatunterricht: 10 Skudi pro Monat.

ludovico Sehr wohl, Herr.

galilei Was sind Ihre Interessen?

ludovico Pferde.

galilei Aha.

ludovico Ich habe keinen Kopf für die Wissenschaften, Herr Galilei.

galilei Aha. Unter diesen Umständen sind es 15 Skudi pro Monat.

ludovico Sehr wohl, Herr Galilei.

galilei Ich werde Sie in der Frühe drannehmen müssen. Es wird auf deine Kosten gehen, Andrea. Du fällst natürlich dann aus. Du verstehst, du zahlst nichts.

andrea Ich geh schon. Kann ich den Apfel mithaben?

galilei Ja.

Andrea ab.

ludovico Sie werden Geduld mit mir haben müssen. Hauptsächlich weil es in den Wissenschaften immer anders ist, als der gesunde Menschenverstand einem sagt. Nehmen Sie zum Beispiel dieses komische Rohr, das sie in Amsterdam verkaufen. Ich habe es genau untersucht. Eine Hülse aus grünem Leder und zwei Linsen, eine so er deutet eine konkave Linse an, eine so er deutet eine konvexe Linse an. Ich höre, eine vergrößert und eine verkleinert. Jeder vernünftige Mensch würde denken, sie gleichen einander aus. Falsch. Man sieht alles fünfmal so groß durch das Ding. Das ist Ihre Wissenschaft.

galilei Was sieht man fünfmal so groß?

ludovico Kirchturmspitzen, Tauben; alles, was weit weg ist.

galilei Haben Sie solche Kirchturmspitzen selber vergrößert gesehen?

ludovico Jawohl, Herr.

galilei Und das Rohr hatte zwei Linsen? Er macht auf einem Blatt eine Skizze. Sah es so aus? Ludovico nickt. Wie alt ist die Erfindung?

ludovico Ich glaube, sie war nicht älter als ein paar Tage, als ich Holland verließ, jedenfalls nicht länger auf dem Markt.

galileibeinahe freundlich: Und warum muß es Physik sein? Warum nicht Pferdezucht?

Herein Frau Sarti, von Galilei unbemerkt.

ludovico Die Mutter meint, ein wenig Wissenschaft ist nötig. Alle Welt nimmt ihren Wein heutzutage mit Wissenschaft, wissen Sie.

galilei Sie könnten ebensogut eine tote Sprache wählen oder Theologie. Das ist leichter. Sieht Frau Sarti. Gut, kommen Sie Dienstag morgen.

Ludovico geht.

galilei Schau mich nicht so an. Ich habe ihn genommen.

frau sarti Weil du mich zur rechten Zeit gesehen hast. Der Kurator von der Universität ist draußen.

galilei Den bring herein, der ist wichtig. Das sind vielleicht 500 Skudi. Dann brauche ich keine Schüler.

Frau Sarti bringt den Kurator herein. Galilei hat sich vollends angezogen, dabei Ziffern auf einen Zettel kritzelnd.

galilei Guten Morgen, leihen Sie mir einen halben Skudo. Gibt die Münze, die der Kurator aus dem Beutelchen fischt, der Sarti. Sarti, schicken Sie Andrea zum Brillenmacher um zwei Linsen; hier sind die Maße.

Sarti ab mit dem Zettel.

der kurator Ich komme betreffs Ihres Ansuchens um Erhöhung des Gehalts auf 1000 Skudi. Ich kann es bei der Universität leider nicht befürworten. Sie wissen, mathematische Kollegien bringen der Universität nun einmal keinen Zustrom. Mathematik ist eine brotlose Kunst, sozusagen. Nicht als ob die Republik sie nicht über alles schätzte. Sie ist nicht so nötig wie die Philosophie, noch so nützlich wie die Theologie, aber sie verschafft den Kennern doch so unendliche Genüsse!

galileiüber seinen Papieren: Mein lieber Mann, ich kann nicht auskommen mit 500 Skudi.

der kurator Aber, Herr Galilei, Sie lesen zweimal zwei Stunden in der Woche. Ihr außerordentlicher Ruf verschafft Ihnen sicher Schüler in beliebiger Menge, die zahlen können für Privatstunden. Haben Sie keine Privatschüler?

galilei Herr, ich habe zu viele! Ich lehre und lehre, und wann soll ich lernen? Mann Gottes, ich bin nicht so siebengescheit wie die Herren von der philosophischen Fakultät. Ich bin dumm. Ich verstehe rein gar nichts. Ich bin also gezwungen, die Löcher in meinem Wissen auszustopfen. Und wann soll ich das tun? Wann soll ich forschen? Herr, meine Wissenschaft ist noch wißbegierig! Über die größten Probleme haben wir heute noch nichts als Hypothesen. Aber wir verlangen Beweise von uns. Und wie soll ich da weiterkommen, wenn ich, um meinen Haushalt in Gang zu halten, gezwungen bin, jedem Wasserkopf, der es bezahlen kann, einzutrichtern, daß die Parallelen sich im Unendlichen schneiden?

der kurator Vergessen Sie nicht ganz, daß die Republik vielleicht nicht so viel bezahlt, wie gewisse Fürsten bezahlen, daß sie aber die Freiheit der Forschung garantiert. Wir in Padua lassen sogar Protestanten als Hörer zu! Und wir verleihen ihnen den Doktorgrad. Herrn Cremonini haben wir nicht nur nicht an die Inquisition ausgeliefert, als man uns bewies, bewies, Herr Galilei, daß er irreligiöse Äußerungen tut, sondern wir haben ihm sogar eine Gehaltserhöhung bewilligt. Bis nach Holland weiß man, daß Venedig die Republik ist, in der die Inquisition nichts zu sagen hat. Und das ist einiges wert für Sie, der Sie Astronom sind, also in einem Fach tätig, wo seit geraumer Zeit die Lehre der Kirche nicht mehr mit dem schuldigen Respekt geachtet wird!

galilei