Leben - Hilke Siedenburg - E-Book

Leben E-Book

Hilke Siedenburg

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Beschreibung

Als ihre Tochter Sunna schwer erkrankt, verändert sich auch für ihre Mutter Insa das Leben schlagartig. Gleichzeitig den Alltag und den Schicksalsschlag stemmend, erlebt sie die Zerrissenheit zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Kraftquellen und Hilflosigkeit.

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Seitenzahl: 113

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

SOMMER

29. Juni, Samstag

Erste Julihälfte

25. Juli, Mittwoch

26. Juli, Donnerstag

30. Juli, Montag

17. August, Freitag

20. August, Montag

21. August, Dienstag

22. August, Mittwoch

23. August, Donnerstag

27. August, Montag

21. September, Freitag

24. September, Montag

28. September, Freitag

17./19. Oktober, Mittwoch/Freitag

3. November, Samstag

18. November, Sonntag

Dezember

29. Dezember, Samstag

30./31. Dezember, Sonntag/Montag

3. Januar, Donnerstag

4. Januar, Freitag

5. Januar, Samstag

Ab 6. Januar, Sonntag

31. Januar, Donnerstag

12. Februar, Dienstag

15. Februar, Freitag

18. Februar, Sonntag

20. Februar, Mittwoch

14. März, Donnerstag

27. März, Mittwoch

30. April

21./22. Mai, Dienstag/ Mittwoch

29. Mai, Mittwoch

7. Juni, Freitag

9. Juni, Sonntag

16. Juni, Sonntag

17. Juni, Montag

SOMMER

Nachwort

Sommer

29. Juni, Samstag

Leise huschen die rhythmischen Geräusche der schwingenden Rotorblätter vom Windpark am Horizont über das vorgelagerte Wäldchen und das große Gerstenfeld, das erst am Gartenzaun sein Ende findet. Der grenzenlos blaue Himmel spannt sich über dieses Bild und wechselt gerade in sanfte gelbe und rosa Töne, die sich die Sonne gestattet, wenn sie gerade hinter der sichtbaren Erdkante verschwindet.

Auf der Terrasse mit freiem Blick auf diese Aussicht haben es sich die 4 Freundinnen bequem gemacht. Nina hat für jede von ihnen Lieblingscocktails gemixt. Ihre vier Hunde haben diese Stimmung aufgenommen und liegen relaxt auf dem Rasen zu ihren Füßen.

Gerade heute beginnen die Sommerferien und vor allem Sunna, die an einer Berufsschule unterrichtet, spürt, wie der Druck der letzten Wochen weicht. Der erste Tag ist immer der schönste. 6 Wochen frei! Na ja, nicht wirklich. Irgendwann steigt man gedanklich und danach auch aktiv wieder in die Arbeit ein, auch wenn noch kein Unterricht den Tag füllt. Aber erst einmal, erst einmal kommt Schweden!

Als hätte sie es geahnt, träumt Berit, Sunnas Frau, sich in diese Stimmung hinein.

„Hast du eigentlich schon mit deinen Eltern besprochen, wann wir das Wohnmobil abholen?“ wendet sie sich an Sunna.

„Ich wollte das morgen klären, nach dem Ausschlafen. Wir haben ja noch 4 Tage Zeit“, murmelt die mit geschlossenen Augen.

Das bevorstehende Wochenende gibt allen von ihnen die Möglichkeit, das Zusammensein auszudehnen, diese milde Luft zu genießen. Anschließend beginnt auch für Berit eine freie Zeit, während Nina und Britta mit ihrem Urlaub noch ein bisschen warten müssen.

„Habe ich euch eigentlich schon davon erzählt, dass vorgestern wieder bei einer Feier der Preis für Zivilcourage an der Schule überreicht wurde?“

Diesen Preis hat Sunna eingeführt, und es ist ihr eine Herzensangelegenheit gewesen gerade bei den Jugendlichen den sorgsamen Umgang miteinander zum Thema zu machen. Seit einigen Jahren hat er sich dort etabliert.

„Ach ja, ich hole euch mal den Zeitungsausschnitt. Die Feier war ein wirklich großes Ereignis.“

Sie streckt die Beine über den Seitenrand der Liege, vorsichtig mit den Zehen tastend, um die Hunde, die nahe an ihren Platz heran gekuschelt liegen, nicht zu treten. Als sie sich hinstellt, hebt Fiete, der Golden Retriever den Kopf und trottet hinter ihr her, als sie durch die Pforte im Zaun zum Nachbarhaus geht.

Es ist schon etwas Besonderes, zwei Frauenpaare, eng vertraut, lange schon befreundet seit so vielen Jahren in diesem Gleichklang zu erleben.

Sie greift nach dem Artikel auf dem Tisch, und obwohl sie nur kurz weg gewesen ist, ist die Stimmung drüben in der Gruppe schon wieder eine ganz andere. Sie hört das Lachen, das Ineinandergreifen der Sätze und einzelne Wortfetzen lassen sie ahnen, worum es geht.

Nina klärt sie auf.

„Um welche Uhrzeit bist du geboren?” und bevor sie selbst etwas sagen kann, wird sie mit den Informationen überhäuft, die den anderen offensichtlich schon bekannt sind. Es scheint, als hätte Britta aus ihrer schläfrigen Stimmung heraus, mit der wohligen Wärme auf dem Bauch sich daran erinnert, dass ihre Mutter ihr immer mal wieder genau dieses Bild dargestellt hat für den Termin ihrer Geburt. Es war Abend gewesen, sie war bis kurz vor der Geburt noch im Garten gewesen zur ähnlichen Jahreszeit, zur gleichen Tageszeit und dann ging alles sehr schnell. Zum Glück konnte sie die Klinik noch erreichen, bevor Britta geboren wurde.

Auch die anderen beiden erinnern sich an die Erzählungen zu ihren Daten. Sie schildern die Erleichterungen, die ihre Mütter empfanden, als ihr Kind nach vielen Wehen endlich das Licht der Welt erblickte, einmal nach einer langen Nacht endlich am späten Vormittag und das andere Mal zu Hause. Die Hebamme war dabei gewesen, und obwohl Berit das dritte Kind war, und man immer sagt, dann geht alles ein bisschen schneller, musste ihre Mutter sich gedulden, bevor das erste Mädchen in der Familie erst am späten Abend geboren wurde. Es regnete draußen, so hatte man es ihr erzählt, und die Hebamme war froh, dass sie sowieso hier ein Bett gestellt bekommen hatte, um vor Ort zu sein, falls sich noch Schwierigkeiten zeigen sollten.

Nun sind alle neugierig auf Sunnas Darstellung.

Sie legt den mitgebrachten Artikel auf den Tisch und ist irritiert.

Natürlich ist ihr bewusst, dass sie zusammen mit ihrer Zwillingsschwester am 1. Februar geboren wurde, aber die Tageszeit?

So wandert diese WhatsApp Nachricht am 18. Juni hinüber zu Insa , ihrer Mutter

Huhu Mutti, wir sitzen gerade gemütlich am Teich bei Britta und Nina, und alle wissen ihre Geburtsuhrzeit…. Ich muss passen.

Kannst du aushelfen?

Welch Frage? Welch Fülle an Erinnerungen taucht auf! Welch unendliches Glücksgefühl!

Ohne Kinder hatte Insa sich ihr Leben nie vorstellen können und so war es ein Glücksmoment gewesen, als sie, kurz bevor sie in ihr Referendariat als Lehrerin nach dem Studium einsteigen konnte, erfuhr, dass sie schwanger sei. Wie wunderbar! Sie sah kein Problem darin, in der kommenden Zeit nicht nur ein Kind zu bekommen, sondern auch mit voller Stundenzahl zu unterrichten und Prüfungen abzulegen. Alle ihre Träume auf einmal erfüllen! Konnte es besser laufen in ihrem Leben mit einem Partner an der Seite, der gewillt war, das alles mit zu leben?

Die Schwangerschaft verlief wunderbar. Sie kaufte sich die damals gerade auf den Markt kommenden Zeitschriften speziell für Eltern, konnte kaum abwarten, ihr Kind zu spüren, hielt sich an Regeln, die sie wichtig fand, um dem Kind keinen Schaden durch ihr Verhalten zuzufügen. Einzig ein Vorfall kurz nachdem sie von der Schwangerschaft erfahren hatte, stürzte sie für kurze Zeit in Besorgnis.

Ohne ihre Schuld fuhren Benno, ihr Mann, und sie ein Kind mit ihrem Auto an. Es musste in die Klinik. Dort stellte sich dann aber zum Glück heraus, dass die Verletzungen nicht gravierend waren.

Hatte der Schreck ihrem Kind geschadet? Zum Glück passierte nichts, keine Blutung, keine Schmerzen bei ihr. Das Baby wollte weiterleben.

Ende Februar sollte es auf die Welt kommen. Mitte Januar war sie zu einer Routineuntersuchung. Eine Vertretungsärztin war diesmal für sie da, schien etwas irritiert zu sein und fragte nach den Stellen, an denen sie die Bewegungen ihres Babys spürte. Das waren viele. Es schien ein lebhaftes Kind zu werden.

Die Ärztin riet – und das war die Methode zu der Zeit – zu einer Röntgenuntersuchung. Insas Sorgen, das könne dem Kind schaden, räumte sie für sie glaubhaft aus. So saß sie kurz danach in einer weiteren Praxis und wartete ungeduldig auf das Ergebnis des gemachten Bildes.

Als der Arzt zu ihr kam, fragte er als erstes, ob sie denn schon alles fertig vorbereitet hätte für das Kind, und als sie bejahte, meinte er, nun solle sie alles man noch einmal machen, denn es wären zwei Babys.

Wieder konnte sie ihr Glück kaum fassen. Zwillinge waren für sie eine Dopplung ihrer Freude, sie hüpfte innerlich, wusste gar nicht, wie sie sie am besten ausdrücken könnte und kaufte in ihrem Überschwang sofort anschließend zwei identische Strampelhosen, um Bodo bildhaft die neue Tatsache vor Augen zu führen. Die Eltern und Schwiegereltern wurden eingeweiht und konnten nicht richtig einschätzen, warum die Freude so groß war. Sie sahen all die Hürden auf die beiden zukommen, die nicht nur das Anwachsen der Familie um ein neues Mitglied mit sich bringen würde, sondern nun auch noch die doppelte Belastung.

Insa konnte kaum erwarten, diese beiden Wesen kennen zu lernen. Das schien ihnen ähnlich zu gehen, denn schon gut drei Wochen vor dem Termin machten sich die beiden auf den Weg.

Ein Mädchen, trotz des verfrühten Termins normal gewichtig und offensichtlich gesund, erschien als erstes und – als habe es es kaum erwarten können – schoss 5 Minuten später noch ein zweites Mädchen hinterher aus Insas Körper. Zarter war es, voll mit Käseschmiere, dem Zeichen, dass es eigentlich noch ein Weilchen hätte in ihrem Bauch verweilen sollen, aber auch dieses Kind ganz offensichtlich gesund.

Kira und Sunna, sie sollten Kira und Sunna heißen!

Sunna wurde am 1. Februar um 3.50 Uhr geboren, fünf Minuten nach ihrer Schwester, genauer geht nimmer

Siebenundvierzig Jahre war das jetzt her.

Erste Julihälfte

Endlich – nach dem Ausschlafen am kommenden Tag – beginnen Sunna und Berit mit dem Vorbereiten der geplanten Schwedenreise. Wie füllt man eine Reise mit Vorfreude!

Schweden ist für Berit Neuland. Sunna kennt es von ihren Familienurlauben. Schweden bedeutet für sie Entspannung, Seen und Wälder, in die Landschaft gedrückte skandinavische rote Häuser und nette Begegnungen.

Sehnsucht nach mehr!

Diesmal soll Berit es auch kennen lernen, ihre Freude teilen.

Ein zweiter wichtiger Aspekt lässt diese Zeit noch besonders werden. Sie haben sich das Wohnmobil von Sunnas Eltern ausgeliehen.

Dieses Auto ist eines der Fortsetzungsmodelle, mit denen es der Familie in früheren Jahren möglich wurde, mit großer Familie in den Urlaub zu fahren.

Nach Kira und Sunna wurden drei weitere Kinder geboren. Hotelkosten waren im Budget nicht enthalten und so wurde ein ausgedienter Werkstattwagen zu einem Reisemobil umgebaut. Kissen wurden genäht und Gardinen. Es wurde Probe gelegen, um zu testen, ob alle in der Nacht genug Platz zum Schlafen hatten, denn auch die Personenzahl war damals in diesen Fahrzeugen noch nicht begrenzt. Damalige Sicherheitsvorschriften schränkten die Bewegungsfreiheit der Kinder während der Fahrt weder durch Gurte oder feste Plätze ein. Es wurde, während die Kilometer sich vorbeimühten, geschlafen, herumgelaufen und gespielt.

Allerdings musste ein kundiger Vater erst dafür sorgen, dass die Technik – vor allem die Bremsen – dem Überqueren der Alpen standhielten, denn Italien sollte auf Wunsch der Zwillinge das erste Ziel werden.

Es waren die Eindrücke vom Waschen an sprudelnden, kalten Bergbächen, dem Beißen in saftige Melonen und der Hitze, die, zusammen mit den fremdartig wirkenden Gebäuden die Sehnsucht nach weiteren unbekannten Zielen nährte.

Nachts wurde das Auto zum Schlaflager. Jeder Zentimeter, der sich dafür eignete, war vorher zum Liegeplatz erkoren. Sich dann im Auto fortbewegen war kaum möglich, ohne jemandem auf den Bauch, den Kopf oder die Gliedmaßen zu treten. Es war wie ein großes Abenteuer, und die Lust auf mehr wuchs in der ganzen Familie.

So war es kein Wunder, dass nach einiger Zeit ein weiteres Auto zu einem „Familienhotel“ umgebaut wurde und irgendwann sogar ein zwar gebrauchtes aber professionell ausgestattetes Gefährt vor der Tür stand. Die Kinder wurden größer, man war nicht mehr als riesige Gruppe unterwegs, aber es gab weiterhin ein solches Wohnmobil bei Bodo und Insa, das nun aber mit einem Plan zum Ausleihen zwischen den Familienmitgliedern hin und her wanderte.

Diesmal haben Sunna und Berit es sich für Schweden reserviert.

Sunna liebt das Auto, nicht nur die Bequemlichkeit, alles gerade Benötigte zur Verfügung zu haben, sondern auch das Fahren des großen Gefährtes. Sie liebt den hohen Sitz, der den Überblick über den Verkehr bietet, aber auch das Lenken, das Manövrieren, die schwierigen Situationen auf engen Straßen oder das Meistern des Einparkens.

Zum Urlaub gehört die Freude auf die Fahrt.

Wie schön, dass es WhatsApp gibt. In kurzen Abständen erfahren die Eltern davon, wo sie sich gerade befinden. Sie erkennen Berit strahlend in der Miniküche und dürfen den Platz direkt an der Küste zur Ostsee mit genießen. Vierzehn Tage lang saugen sie zusammen mit Sunna und Berit diese wunderschöne, skandinavische Landschaft auf. Erinnerungen auch bei ihnen, Austausch von Ortsnamen, die womöglich noch nicht auf dem Programm der Reisenden stehen und die man von Zuhause aus für sehenswert hält.

Am 21. Juli sind sie zurück, alles Persönliche ist ausgeräumt, der Fußboden gefegt und die Flächen abgewischt. Die Eltern kommen und nutzen das Abholen des Autos gleich auch zu einem Klönen auf der Terrasse. Der Blick über die Felder, die in der Ferne rotierenden Windräder, na ja, das ist ja schon einmal beschrieben. Dazu kommt herrliches Sommerwetter, vielleicht ein bisschen zu warm, und ein Fluss an wunderschönen Erinnerungen, der sich über alle ergießt.

Nun bleibt noch genug Zeit, um weiterhin Kraft zu tanken für das kommende Schuljahr und auch für Berit in ihrem Beruf.

25. Juli, Mittwoch

Sunna und Berit kommen vorbei. Die Impfausweise der Hunde waren im Auto liegen geblieben. Die sind wichtig und müssen wieder an ihren Platz. Mehr beiläufig erfahren Bodo und Insa von Sorgen, die sich Berit macht. Immer beim Bücken durchzuckt Sunna seit kurzem ein Kopfschmerz, der aber gleich beim Aufrichten wieder verschwindet.

Berit ist Ärztin, eine sehr sorgfältige und vorsichtige. Sie findet dieses Phänomen nicht normal und hat gleich nach dem Urlaub einen MRT-Termin für Sunna besorgt. Der war nun. Der Arzt dort ist beunruhigt, weil er im Kopf einen Befund sieht, den er gern schnell abgeklärt haben möchte. Einen bösartigen Tumor schließt er wohl mehr oder weniger aus aber eine Gehirnentzündung nach einem Infekt (im Februar) kann er sich vorstellen. Nun soll ein Termin in der Neurologie für weitere Untersuchungen besorgt werden. Der Termin Ende August zur Auswertung der bisherigen Untersuchungen erscheint ihm zu weit weg.